Inhalt

FG München, Urteil v. 29.01.2025 – 4 K 632/24
Titel:

Nichtfestsetzung der Grunderwerbsteuer nach nachfolgender Ausübung eines dinglichen Vorkaufsrechts

Normenketten:
GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 16 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 90 Abs. 2, § 100 Abs. 1 S. 1, § 105 Abs. 3 S. 2
BGB § 883 Abs. 2, § 1098 Abs. 2
Schlagworte:
Grunderwerbsteuer, Teilungsversteigerung, Vorkaufsrecht
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
EFG 2025, 576
StEd 2025, 153
BeckRS 2025, 3659
LSK 2025, 3659

Tenor

1. Die Grunderwerbsteuerbescheide vom 05.11.2021 sowie die Bescheide vom 19.11.2021 über die Ablehnung des Antrages auf Nichtfestsetzung jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 04.03.2024 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

I.
1
Die Beteiligten streiten über die Nichtfestsetzung der Grunderwerbsteuer nach Abgabe des Meistgebots und nachfolgender Ausübung eines dinglichen Vorkaufsrechts.
2
Eine Erbengemeinschaft, bestehend aus … Erben, war aufgrund eines Erbfalles Eigentümerin des im Grundbuch des Amtsgerichts X-Stadt für …, Blatt … aufgeführten … qm großen Grundstücks der Gemarkung …, Flurstück …, Y-Straße …, Gebäude- und Freifläche (im Folgenden: das Grundstück). Das Grundstück war in Abteilung II Nr. 1 mit einem Erbbaurecht für die Dauer vom 1.12.1952 bis 30.11.2021 zugunsten von Frau … belastet (im Folgenden: die Vorkaufsberechtigte). Zudem war in Abteilung II Nr. 3 ein Vorkaufsrecht für alle Verkaufsfälle für den jeweils Berechtigten des Erbbaurechts aus Nr. 1 eingetragen.
3
Im Zuge der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft wurde von einem Miterben die Teilungsversteigerung beantragt. Im Zwangsversteigerungsverfahren zum Zwecke der Aufhebung der Gemeinschaft wurde das Grundstück nach Abgabe des Meistgebots am 28.7.2021 mit Zuschlagsbeschluss vom 3.8.2021 an die Kläger jeweils hälftig für den bar zu zahlenden Betrag von insgesamt 790.000 € zugeschlagen.
4
Mit Schreiben vom 16.9.2021 an die 15 Mitglieder der Erbengemeinschaft sowie die beiden Kläger übte die Vorkaufsberechtigte das Vorkaufsrecht aus.
5
Mit notarieller Urkunde „Erfüllung zur Ausübung eines Vorkaufsrechts mit Erklärung der Auflassung“ vom 19.10.2021 vereinbarten die Kläger mit der Vorkaufsberechtigten in Abschnitt I, dass sämtliche Ansprüche, die die Kläger als Ersteher aus dem genannten Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts München vom 3.8.2021 zustehen, an die Vorkaufsberechtigte abgetreten und hilfsweise auf diese übertragen werden. Hilfsweise übertrugen die Kläger das Grundstück an die Vorkaufsberechtigte zum Alleineigentum. Die Vorkaufsberechtigte verpflichtete sich in Abschnitt III zur Zahlung eines Gesamtbetrages von 799.858,47 € (inkl. Zuschlagsgebühr, Zinsen etc.). Unter Abschnitt VII beantragten die Kläger, dass von einer Veranlagung zur Grunderwerbsteuer abzusehen ist bzw. ein bereits erlassener Grunderwerbsteuerbescheid von Seiten des Finanzamts zurückgenommen wird.
6
Mit separaten Bescheiden vom 5.11.2021 setzte der Beklagte (im Folgenden: das FA) gegen die Kläger für den Erwerb durch Meistgebot vom 3.8.2021 aus einer Bemessungsgrundlage in Höhe von (i.H.v.) jeweils 790.000 € Grunderwerbsteuer unter Berücksichtigung eines jeweils hälftigen Erwerbs i.H.v. jeweils 13.825 € fest.
7
Mit separaten Schreiben vom 19.11.2021 lehnte das FA den Antrag der Kläger aus der notariellen Urkunde vom 19.10.2021 auf Nichtfestsetzung der Grunderwerbsteuerfestsetzung gemäß § 16 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) ab.
8
Mit separaten Schreiben jeweils vom 30.11.2021 legten die beiden Kläger sowohl gegen die beiden Grunderwerbsteuerbescheide vom 5.11.2021 als auch gegen die Ablehnungsschreiben vom 19.11.2021 jeweils Einspruch ein.
9
Mit separaten Einspruchsentscheidungen jeweils vom 4.3.2024 wies das FA die Einsprüche als unbegründet zurück.
10
Ihre am 26.3.2024 erhobene Klage begründen die Kläger wie folgt: Es fehle entweder an einem Erwerbsvorgang oder die Voraussetzungen des § 16 GrEStG seien erfüllt. Die Kläger seien zu keinem Zeitpunkt zivilrechtliche Eigentümer des Grundstücks geworden. Im Streitfall seien die Kläger nicht in der Lage gewesen, ohne die Zustimmung der Vorkaufsberechtigten zivilrechtlich wirksames Eigentum erwerben zu können. Die Kläger seien – auch gegen ihren Willen – zur Mitwirkung an der Eigentumsverschaffung an die Vorkaufsberechtigte verpflichtet gewesen. Eine Belastung mit Grunderwerbsteuer nach Ausübung des Vorkaufsrechts widerspreche dem Grundsatz der Belastungsentscheidung des GrEStG und der Eigenart als Verkehrssteuer. Ähnlich wie bei einem Kaufvertrag mit der Möglichkeit zum Rücktritt müsse es auch beim Meistgebot eine grunderwerbsteuerliche Rückabwicklungsmöglichkeit geben.
11
Die Kläger beantragen,
1.
Die Grunderwerbsteuerbescheide vom 05.11.2021 sowie die Bescheide vom 19.11.2021 über die Ablehnung des Antrages auf Nichtfestsetzung jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 04.03.2024 werden aufgehoben.
2.
Im Falle des Unterliegens wird die Revision zugelassen.
12
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
13
Der Erwerbsvorgang in Form des Meistgebots nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG sei nicht rückwirkend entfallen. Bei der Grunderwerbsteuer als Rechtsverkehrsteuer bleibe unberücksichtigt, ob und wann das Erfüllungsgeschäft durchgeführt werde. Die Voraussetzungen des § 16 GrEStG seien nicht erfüllt, da der Veräußerer das Grundstück nicht wiedererlangt habe. Die Ausübung des Vorkaufsrechts führe zudem zu keiner Rückabwicklung des Versteigerungsverfahrens. Die Ausübung eines Vorkaufsrechts erfülle nicht den Tatbestand des § 16 GrEStG. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9.7.2014 II R 50/12, BStBl II 2015, 399, könne nicht auf andere Fälle des Vorkaufsrechts übertragen werden.
14
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 20.1.2025 und 21.1.2025 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2 FGO zugestimmt.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten wird gem. § 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Grunderwerbsteuerakte des FA und die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.
16
Die zulässige Klage ist begründet. Zu Unrecht hat das FA gegen die Kläger nach Ausübung des Vorkaufsrechts Grunderwerbsteuer festgesetzt.
17
1. Die Klage ist zulässig.
18
Die Klage ist als Anfechtungsklage nach § 40 Abs. 1 Alt. 1 FGO statthaft. Sie ist gerichtet auf gerichtliche Überprüfung, ob den Grunderwerbsteuerbescheiden vom 5.11.2021 ein Festsetzungshindernis in Form des § 16 GrEStG entgegensteht und ob die Ablehnung des Antrags auf Nichtfestsetzung der Grunderwerbsteuer mit Schreiben vom 19.11.2021 rechtswidrig ist.
19
2. Die Klage ist begründet. Die Grunderwerbsteuerbescheide vom 5.11.2021 sowie die Ablehnungen des Antrags auf Nichtfestsetzung der Grunderwerbsteuer mit Schreiben vom 19.11.2021 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG sind im Streitfall erfüllt.
20
a) Es liegt ein Erwerbsvorgang in Form der Abgabe des Meistgebots vor (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG).
21
aa) Der Grunderwerbsteuer unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG das Meistgebot im Zwangsversteigerungsverfahren für ein inländisches Grundstück. Der Besteuerung nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG unterliegt bereits das Meistgebot und nicht erst der Zuschlag, weil der Meistbietende durch ein wirksames Meistgebot den Anspruch auf den Zuschlag (§ 81 Abs. 1 Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG)) und damit auf das Eigentum am Grundstück (§ 90 Abs. 1 ZVG) erwirbt.
22
bb) Im Streitfall liegt ein Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG vor, da die Kläger im Versteigerungstermin am 28.7.2021 das Meistgebot i.H.v. 790.000 € abgegeben haben.
23
b) Im Streitfall besteht ein Festsetzungshindernis nach § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG.
24
aa) Erwirbt der Veräußerer das Eigentum an dem veräußerten Grundstück zurück, so wird gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG auf Antrag sowohl für den Rückerwerb als auch für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn die Vertragsbedingungen des Rechtsgeschäfts, das den Anspruch auf Übereignung begründet hat, nicht erfüllt werden und das Rechtsgeschäft deshalb auf Grund eines Rechtsanspruchs rückgängig gemacht wird.
25
bb) Aus der Steuerbarkeit des Meistgebots für die Auslegung des § 16 GrEStG folgt, dass der Anspruch auf Nichterhebung oder Erstattung von Grunderwerbsteuer nicht voraussetzt, dass der rückgängig gemachte Erwerbsvorgang in einem Rechtsgeschäft bestehen oder auf einem Rechtsgeschäft beruhen muss. Die Entstehung eines Anspruchs auf Nichterhebung oder Erstattung von Grunderwerbsteuer kommt vielmehr auch dann in Betracht, wenn der steuerbare Erwerbsvorgang aus einem Rechtsübergang in einem Meistgebot im Zwangsversteigerungsverfahren gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG besteht (BFH-Urteil vom 6.6.1984 II R 184/81, BStBl II 1985, 261).
26
cc) Die Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Vorkaufsberechtigte und Übertragung des Grundstücks sind als Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs anzusehen.
27
(1) § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG setzt grundsätzlich einen rechtlichen und tatsächlichen Rückerwerb durch den Veräußerer voraus (Loose, in: Viskorf, GrEStG, 21. Auflage 2024, § 16 Rn. 176). Dennoch hat der BFH vom Grundsatz der Personenidentität eng begrenzte Ausnahmen zugelassen (für den Fall einer Wiederversteigerung vgl. BFH-Urteil vom 14.9.1988 II R 76/86, BStBl. II 1989, 150). Aus der Vorschrift des § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG lässt sich der allgemeine Rechtsgedanke ableiten, dass in den Fällen, in denen sich der Erwerber oder der Veräußerer der Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs bzw. einer Rückübertragung des Grundstücks aus Rechtsgründen nicht entziehen kann, also ein durchsetzbarer Anspruch besteht, die Steuer nicht festgesetzt bzw. die Steuerfestsetzung aufgehoben werden soll (BFH-Urteil vom 6.2.1980 II R 7/76, BStBl II 1980, 363; BFH-Urteil vom 9.7.2014 II R 50/12, BStBl II 2015, 399). So hat der BFH entschieden, dass der Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG nicht entgegensteht, dass die Ausübung des nach § 2035 Abs. 1 BGB bestehenden gesetzlichen Vorkaufsrechts durch einen Miterben nicht zur Rückabwicklung des Erbteilskaufvertrags mit dem ursprünglichen Anteilsverkäufer führt. Entscheidend ist vielmehr, dass der Erbteilserwerb bereits durch das Vorkaufsrecht belastet ist und sich mit Ausübung des Vorkaufsrechts die von vornherein bestehende Möglichkeit realisiert, dass der Erwerber die Erbteile wieder herausgeben muss. Es kommt daher weder darauf an, ob ein Erbteilskaufvertrag unter der auflösenden Bedingung der Nichtausübung des Vorkaufsrechts steht, noch darauf, ob dem Erwerber wegen der Ausübung des Vorkaufsrechts gegenüber dem Anteilsverkäufer ein gesetzliches oder vertragliches Rücktrittsrecht zusteht. (BFH-Urteil vom 9.7.2014 II R 50/12, BStBl II 2015, 399).
28
(2) Nach Auffassung des Senats können die im BFH-Urteil vom 9.7.2014 II R 50/12 zum Vorkaufsrecht bei einem Erbteilskauf aufgestellten Grundsätze entsprechend auf die nachträgliche Ausübung eines im Zeitpunkts der Abgabe des Meistgebots bestehenden (und bestehen bleibenden) dinglichen Vorkaufsrechts übertragen werden.
29
(I) Gemäß §§ 1094 I, 1095 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) kann das Eigentum an einem Grundstück in der Weise belastet werden, dass derjenige, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, dem Eigentümer gegenüber zum Vorkauf berechtigt ist. Der Vorkaufsberechtigte kann dieses Vorkaufsrecht ausüben, sobald der Verpflichtete mit einem Dritten einen Kaufvertrag über den Gegenstand geschlossen hat (§§ 463, 1098 BGB). Ein Vorkaufsfall liegt auch bei der Erteilung des Zuschlags im Rahmen einer sog. Teilungsversteigerung vor.
30
(II) Der Erwerb des Grundstücks durch einen Dritten hindert zwar im Falle eines bestehenden bleibenden Vorkaufsrechts nicht den Übergang des Eigentums (Schermaier, in: Staudinger, BGB, 2021, § 1098 BGB, Rn. 17). Nach § 1098 Abs. 2 BGB hat das Vorkaufsrecht Dritten gegenüber jedoch die Wirkung einer Vormerkung zur Sicherung des durch die Ausübung des Rechts entstehenden Anspruchs auf Übertragung des Eigentums. Nach § 883 Abs. 2 BGB ist eine Verfügung, die nach der Eintragung der Vormerkung über das Grundstück oder das Recht getroffen wird, insoweit unwirksam, als sie den Anspruch vereiteln oder beeinträchtigen würde. Die Wirkung des Vorkaufsrechts tritt rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Möglichkeit zur Ausübung ein, mithin mit Eintritt des Vorkaufsfalls (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 22.2.1973 III ZR 22/71, NJW 1973, 747). Im Ergebnis ist der Eigentumserwerb des Erstehers gegenüber dem Vorkaufsberechtigten relativ unwirksam (Stöber, NJW 1988, 3121). Letzterer hat gegen den Dritten bei Ausübung des Vorkaufsrechts einen Anspruch auf Übereignung und Zustimmung zur Auflassung gemäß § 888 Abs. 1 BGB (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 12.12.2023 11 U 160/21, NJOZ 2024, 618; Schermaier, in: Staudinger, BGB, 2021, § 1098 BGB, Rn. 10, 17).
31
(III) Überträgt der Erwerber bei Ausübung des Vorkaufsrechts das Grundstück auf den Vorkaufsberechtigten, ist es gerechtfertigt, diesen Erwerbsvorgang einer Aufhebung des Erbteilskaufvertrags gleichzustellen und entsprechend § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG wie einen Rückerwerb wegen Rückgängigmachung aufgrund Rechtsanspruchs zu behandeln. Dass die Ausübung des dinglichen Vorkaufsrechts nicht zur Rückabwicklung des abgegebenen Meistgebots mit dem ursprünglichen Eigentümer führt, steht dem nicht entgegen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Erwerb bereits durch das Vorkaufsrecht belastet ist und sich mit Ausübung des Vorkaufsrechts die von vornherein bestehende Möglichkeit realisiert, dass der Erwerber das Grundstück wieder herausgeben muss. Aufgrund des Anspruch des Vorkaufsberechtigten auf Übereignung und Zustimmung zur Auflassung kann sich der Erwerber der Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs zivilrechtlich nicht entziehen.
32
(IV) Eine andere Auffassung würde zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung der Erwerber im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG gegenüber freihändigen Erwerbern führen, die die Möglichkeit haben, eine auflösende Bedingung oder ein vertragliches Rücktrittsrecht in den Vertrag einzubauen, welches bei Ausübung des dinglichen Vorkaufsrechts die Voraussetzungen des § 16 GrEStG erfüllt. Dies wäre aus Sicht des Senats mit der Zielsetzung des § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG nicht zu vereinbaren.
33
(3) Die Voraussetzungen für eine Rückgängigmachung im Sinne des § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG sind im Streitfall erfüllt.
34
(I) Die Kläger waren im Zeitpunkt der Rückgängigmachung der Erwerbsvorgänge bereits Eigentümer des Grundstücks, da ihnen wirksam der Zuschlag im Rahmen des Zwangsversteigerungsverfahrens erteilt wurde (§ 90 Abs. 1 ZVG). Auf die Eintragung ins Grundbuch kommt es nicht an. Diese wirkt lediglich deklaratorisch (Pestel, in: BeckOK ZVG, Löhnig/Gietl, 15. Edition Stand: 01.07.2024, § 90 ZVG Rn. 15, 16).
35
(II) Die Vorkaufsberechtigte hat am 16.09.2021 ihr Vorkaufsrecht wirksam ausgeübt.
36
Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Erklärung, das Vorkaufsrecht auszuüben, gegenüber dem Verpflichteten abzugeben. Im Falle einer Miteigentümergemeinschaft sind das sämtliche frühere Miteigentümer (BGH-Beschluss vom 11.5.2023 V ZR 203/22, ZfIR 2024, 42). Im Streitfall erfolgte die Ausübung des Vorkaufsrechts gegenüber sämtlichen Miterben, so dass diese Voraussetzung erfüllt ist.
37
(III) Die Kläger haben in Erfüllung ihrer Verpflichtung zur Mitwirkung an der Eigentumsverschaffung mit notarieller Urkunde vom 19.10.2021 sämtliche Ansprüche, die ihnen als Ersteher aus dem Zuschlagsbeschluss vom 3.8.2021 zustehen, an die Vorkaufsberechtigte abgetreten bzw. (hilfsweise) das Grundstück zum Alleineigentum übertragen.
38
(IV) Die Kläger konnten sich der Übertragung des Grundstücks nach Ausübung des Vorkaufsrechts nicht entziehen. Infolge der Ausübung des Vorkaufsrechts am 16.9.2021 entstand ein Anspruch der Vorkaufsberechtigten gegen die Kläger auf Zustimmung zur Auflassung (§ 888 Abs. 1 BGB). Nach den Versteigerungsbedingungen handelt es sich bei dem dinglichen Vorkaufsrecht um ein bestehen bleibendes Recht. Dieses hat den Klägern gegenüber nach § 883 Abs. 2 BGB die Wirkung einer Vormerkung, so dass die Zuschlagserteilung der Vorkaufsberechtigten als vormerkungswidrige Verfügung gegenüber relativ unwirksam war. Insofern hat sich im Streitfall das im Zeitpunkt der Abgabe des Meistgebots bestehende Risiko verwirklicht, dass die Kläger das Grundstück wieder herausgeben müssen.
39
3. Die Kostentscheidung richtet sich nach § 135 Abs. 1 FGO.
40
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708
41
Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
42
5. Die Revision wird zugelassen zur Klärung der Frage, ob die Ausübung eines dinglichen Vorkaufsrechts nach einem Erwerbsvorgang gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG unter § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG fällt.