Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 10.03.2025 – 101 AR 5/25 e
Titel:

Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit für eine Klage wegen Schadensersatzes bei Datenschutzverstößen eines Onlineservices

Normenketten:
DSGVO Art. 15, Art. 79 Abs. 2 S. 2, Art. 99 Abs. 2
GKG § 48Abs. 1, Abs. 2 S. 1
GVG § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1, § 72 Abs. 1
ZPO § 3, § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2
EGZPO § 9
Leitsätze:
1. Halten sich zwei Gerichte jeweils wechselseitig für zuständig, sich selbst aber jeweils für unzuständig, ist die Vorlage gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO die einzig gesetzlich vorgesehene Verfahrensweise. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist grds. das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einem Verweisungsbeschluss kommt dann keine Bindungswirkung zu, wenn dieser schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zwar ist mit dem Vorwurf von (objektiver) Willkür Zurückhaltung zu üben, wenn die Verweisung auf Antrag beider Parteien ergeht, dies gilt aber nur dann, wenn die Zuständigkeitsfrage nicht erstmals durch das Gericht aufgeworfen wurde. (Rn. 27 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
5. Der Wert einer positiven Feststellungsklage ist unter Rückgriff auf § 3 ZPO zu bestimmen. (Rn. 33 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
6. Maßgeblich bei einem Unterlassungsantrag nach bereits erfolgter Verletzungshandlung ist das Interesse des Anspruchstellers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße, welches maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbes. seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für den Inhaber des verletzten Rechts bestimmt wird. (Rn. 37 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuständigkeitsbestimmung, Datenschutzverletzung, Schmerzensgeld, Unterlassungsantrag, Streitwert, Verweisungsbeschluss
Fundstelle:
BeckRS 2025, 3629

Tenor

(Sachlich) zuständig ist das Landgericht Regensburg.

Gründe

I.
1
Mit seiner zum Landgericht Regensburg erhobenen Klage macht der in dessen Bezirk wohnhafte Kläger „Ansprüche nach DSGVO“ geltend wegen eines Datenlecks bei der Plattform …, einem Onlineservice […].
2
Er begehrt von der in Irland ansässigen Beklagten als Ausgleich für Datenschutzverstöße und die Ermöglichung der unbefugten Erlangung persönlicher Daten immateriellen Schadensersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, den Betrag von 1.000,00 € aber nicht unterschreiten sollte (Klageantrag zu 1.), für die Nichterteilung einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden außergerichtlichen Datenauskunft i. S. d. Art. 15 DSGVO weiteren immateriellen Schadensersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, den Betrag von 2.000,00 € aber nicht unterschreiten sollte (Klageantrag zu 2.), sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, alle materiellen künftigen Schäden zu ersetzen, die durch den unbefugten Zugriff Dritter auf das Datenarchiv der Beklagten entstanden sind und/oder noch entstehen werden (Klageantrag zu 3.). Er beantragt ferner, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, personenbezogene Daten Dritten zugänglich zu machen, ohne die nach dem Stand der Technik möglichen Sicherheitsmaßnahmen vorzunehmen (Klageantrag zu 4.) und begehrt Auskunft über personenbezogene Daten, welche die Beklagte verarbeitet (Klageantrag zu 5.). Die außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.054,10 € (Klageantrag zu 6.) werden aus einem Streitwert von 12.600,00 € berechnet.
3
Zur Begründung trägt der Kläger vor, im Dezember 2021 sei bekannt geworden, dass es bei der Plattform der Beklagten wohl im Oktober 2020 zu einem Datenleck gekommen sei. Der Verlust der Datenkontrolle sowie die Weitergabe von Daten an unbefugte Dritte habe weitreichende Folgen.
4
Zur Bezifferung des vorläufigen Streitwerts in Höhe von 5.500,00 € wird in der Klageschrift ausgeführt, dass sie auf einer „nicht nachvollziehbaren Vorgabe“ der Rechtsschutzversicherung beruhe. Der Streitwert betrage 14.600,00 €. Der Kläger beantrage Schmerzensgeld für die abgegriffenen Daten von nicht weniger als 1.000,00 € und Schmerzensgeld für die verzögerte Auskunft von nicht weniger als „1.000,00“ €. Für den Auskunfts- und den Unterlassungsantrag werde der Streitwert jeweils auf 5.000,00 € geschätzt, für den Antrag auf Feststellung des Ersatzes zukünftiger Schäden dem Grunde nach betrage der Streitwert 2.600,00 €.
5
Das Landgericht hat den Streitwert mit Beschluss vom 13. November 2023 vorläufig auf 9.500,00 € festgesetzt. Die Beklagte hat sich in ihrer Klageerwiderung vom 15. April 2024 zum Streitwert nicht geäußert.
6
Nach dem Hinweis des Landgerichts vom 18. Juni 2024, es sei beabsichtigt den Streitwert auf maximal 5.000,00 € zu beziffern, sodass das Amtsgericht sachlich zuständig sei, hat der Kläger beantragt, den Rechtsstreit an das zuständige Amtsgericht zu verweisen. Die Beklagte hat sich mit einer Verweisung an das Amtsgericht einverstanden erklärt.
7
Mit Beschluss vom 3. Juli 2024 hat das Landgericht den Streitwert auf 5.000,00 € festgesetzt, sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Klagepartei und der Beklagtenpartei an das Amtsgericht Regensburg verwiesen. Die Entscheidung beruhe auf § 281 Abs. 1 ZPO. Das angegangene Gericht sei sachlich unzuständig. Auf Antrag der Klagepartei habe sich das angegangene Gericht für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das sachlich zuständige Gericht zu verweisen.
8
Das Amtsgericht Regensburg hat die Übernahme des Verfahrens am 8. Juli 2024 abgelehnt und die Akte an das Landgericht Regensburg zurückgeschickt.
9
Mit Beschluss vom 7. Oktober 2024 hat das Landgericht Regensburg erneut den Streitwert auf 5.000,00 € festgesetzt, sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Klagepartei und der Beklagtenpartei an das Amtsgericht Regensburg verwiesen. Der Streitwert für die Klageanträge zu 1. und 2. ergebe sich jeweils aus dem vom Kläger vorgestellten (Mindest-)Schadensersatzbetrag in Höhe von 1.000,00 € bzw. 2.000,00 €. Dem Klageantrag zu 3. sei ein eigener wirtschaftlicher Wert beizumessen, der sich an den Vorstellungen des Klägers zum Klageantrag zu 1. orientiere, wobei aber nur ein Bruchteil von 50% und damit ein Betrag in Höhe von 500,00 € angemessen erscheine. Der Klageantrag zu 4. stütze sich im Wesentlichen auf eine Wiederholungsgefahr bezüglich nur eines Teils der vermeintlich und tatsächlich vorliegenden Datenschutzverstöße der Beklagten. Der Streitwert könne deshalb jedenfalls nicht oberhalb der vermeintlich insgesamt bereits erlittenen Beeinträchtigungen liegen und sei mit 1.000,00 € festzusetzen. Der mit Klageantrag zu 5. geltend gemachte Auskunftsanspruch sei mit 500,00 € zu bewerten.
10
Mit Verfügung vom 11. Oktober 2024 hat das Amtsgericht Regensburg das Verfahren dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Der erneute Verweisungsbeschluss vom 7. Oktober 2024 sei ohne jedwede Grundlage, da ein entsprechender Beschluss bereits ergangen sei.
11
Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2024 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers im eigenen Namen gegenüber dem Landgericht Beschwerde gegen den Streitwertbeschluss vom 7. Oktober 2024 eingelegt und beantragt, den Streitwert auf 15.600,00 € festzusetzen.
12
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat das Bestimmungsverfahren an das Bayerische Oberste Landesgericht am 17. Januar 2025 abgegeben.
13
Die Parteien haben im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Der Kläger hält das Landgericht Regensburg für sachlich zuständig. Die Beklagte hat von einer Stellungnahme zur Frage der Zuständigkeit abgesehen.
II.
14
Auf die zulässige Vorlage des Amtsgerichts Regensburg ist die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts auszusprechen.
15
1. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor.
16
a) Die deutschen Gerichte sind für das Verfahren international zuständig. Die internationale Zuständigkeit ergibt sich ab dem 25. Mai 2018 aus Art. 82 Abs. 6 i. V.
17
m. Art. 79 Abs. 2 Satz 2, Art. 99 Abs. 2 DSGVO, da der Kläger seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland hat (vgl. BayObLG, Beschluss vom 16. August 2024, 101 AR 103/24 e, juris Rn. 24).
18
b) Die mit der Sache befassten Gerichte haben sich „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für unzuständig erklärt, das Landgericht Regensburg mit dem nach Rechtshängigkeit der Streitsache ergangenen unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 3. Juli 2024, das Amtsgericht Regensburg mit der die Übernahme des Rechtsstreits ablehnenden Verfügung vom 8. Juli 2024. Diese Entscheidungen sind den Parteien jeweils bekanntgegeben worden. Die in dieser Weise jeweils ausgesprochene verbindliche Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt alle Anforderungen, die an das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12 m. w. N.; Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 36 Rn. 34 ff. m. w. N.). Die Streitwertbeschwerde vom 18. Oktober 2024 ändert daran nichts.
19
c) Zuständig für die Bestimmungsentscheidung ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht. Im Streitfall ist das im Instanzenzug nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht über dem Amtsgericht Regensburg und dem Landgericht Regensburg in der hier vorliegenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeit der Bundesgerichtshof, denn vom Amtsgericht als Eingangsgericht gemäß § 23 Nr. 2 Buchst. a) GVG geht der Rechtszug zum Landgericht als Berufungsgericht gemäß § 72 Abs. 1 GVG und weiter zum Bundesgerichtshof als Revisionsgericht gemäß § 133 GVG, während vom Landgericht als Eingangsgericht gemäß § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG der Rechtszug zum Oberlandesgericht als Berufungsgericht gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG und weiter zum Bundesgerichtshof als Revisionsgericht gemäß § 133 GVG geht. Dass beide am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte im Bezirk des Oberlandesgerichts Nürnberg liegen, führt deshalb nicht zur Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für das Bestimmungsverfahren (vgl. BayObLG, Beschluss vom 24. September 2019, 1 AR 83/19, juris; Toussaint in BeckOK ZPO, 55. Ed. Stand: 1. Dezember 2024, § 36 Rn. 45.2).
20
2. Sachlich zuständig zur Entscheidung über das Klagebegehren ist das Landgericht Regensburg. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts vom 3. Juli 2024 entfaltet keine Bindungswirkung, weil die Grundlage der Verweisung angesichts der lediglich formelhaften Begründung und dem übrigen Akteninhalt nicht erkennbar ist. Der weitere Verweisungsbeschluss vom 7. Oktober 2024 findet im Gesetz keine Stütze.
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Sachlich zuständig ist gemäß § 71 Abs. 1, § 23 Nr. 1 GVG das Landgericht, da der Streitwert 5.000,00 € überschreitet.
22
a) Der Verweisungsbeschluss vom 3. Juli 2024 entfaltet keine Bindungswirkung. Nach der die Übernahme ablehnenden Entscheidung des Amtsgerichts hätte das Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt werden müssen.
23
aa) Halten sich zwei Gerichte jeweils wechselseitig für zuständig, sich selbst aber jeweils für unzuständig, ist die Vorlage gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO die einzig gesetzlich vorgesehene Verfahrensweise. Das verweisende Gericht kann seinen Beschluss weder ändern, wenn es nachträglich dessen Unrichtigkeit erkennt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 5. März 2024, 101 AR 246/23 e, juris Rn. 22; Beschluss vom 8. April 2020, 1 AR 23/20, juris Rn. 19; OLG Hamm, Beschluss vom 19. Juli 2018, 32 SA 24/18, juris Rn. 11; Beschluss vom 1. Dezember 2016, I-32 SA 69/16, juris Rn. 16), noch nachträglich die Begründung des Verweisungsbeschlusses ergänzen.
24
bb) Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Demnach entziehen sich auch ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. Juni 2023, 102 AR 119/23 e, juris Rn. 15).
25
Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss allerdings dann keine Bindungswirkung zu, wenn dieser schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 15; Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; Beschluss vom 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634 [juris Rn. 13 f.]; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16). Objektiv willkürlich ist ein Verweisungsbeschluss, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BGH NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9 m. w. N.).
26
Zwar hat der Bundesgerichtshof bislang nicht abschließend entschieden, inwieweit ein Verweisungsbeschluss einer Begründung bedarf (vgl. BGH NJW-RR 2017, 1213 Rn. 28), anerkannt ist jedoch, dass ein Verweisungsbeschluss willkürlich sein kann, wenn weder aus seiner Begründung noch sonst aus dem Akteninhalt nachvollziehbar ist, auf welcher Grundlage die Verweisung erfolgt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 1996, X ARZ 683/96, NJW 1996, 3013 [juris Rn. 7]; BayObLG, Beschluss vom 20. Juli 2023, 101 AR 150/23 e, juris Rn. 17; Anders in Anders/Gehle, ZPO, 83. Aufl. 2025, § 281 Rn. 33; Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, 7. Aufl. 2025, § 281 Rn. 57; Bacher in BeckOK ZPO, § 281 Rn. 32.1; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 281 Rn. 10 und 17).
27
cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen entfaltet der Verweisungsbeschluss vom 3. Juli 2024 keine Bindungswirkung.
28
Im Streitfall hat erstmals das Gericht, das zunächst den Streitwert vorläufig auf 9.500,00 € festgesetzt hatte, Zweifel daran geäußert, dass der Streitwert über 5.000,00 € liegt, dies allerdings nicht näher erläutert. Der Verweisungsbeschluss vom 3. Juli 2024 enthält neben der Standardaussage zur eigenen Unzuständigkeit und zur in Anspruch genommenen Verweisungsnorm keine Begründung zur Streitwertfestsetzung hinsichtlich der einzelnen Klageanträge. Auch angesichts der – teilweise in sich widersprüchlichen – Angaben des Klägers ist hier aus dem der Entscheidung vom 3. Juli 2024 zugrunde liegenden Akteninhalt nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen das Landgericht seine sachliche Zuständigkeit verneint hat. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die im Beschluss vom 7. Oktober 2024 zur Begründung wiedergegebenen Überlegungen bereits dem Verweisungsbeschluss vom 3. Juli 2024 zugrunde lagen.
29
Der Umstand, dass sich beide Parteien auf den Hinweis vom 18. Juni 2024 übereinstimmend für die Verweisung an das Amtsgericht ausgesprochen haben, führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwar ist mit dem Vorwurf von (objektiver) Willkür Zurückhaltung zu üben, wenn die Verweisung auf Antrag beider Parteien ergeht, dies gilt aber nur dann, wenn die Zuständigkeitsfrage nicht erstmals durch das Gericht aufgeworfen wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 1988, IVb ARZ 8/88, FamRZ 1988, 943 [juris Rn. 3]).
30
b) Sachlich zuständig ist das Landgericht, da die streitgegenständlichen Ansprüche den Betrag von 5.000,00 € überschreiten, § 71 Abs. 1, § 23 Nr. 1 GVG.
31
aa) Die Klageanträge zu 1. und 2. sind jeweils mit dem Betrag zu bewerten, den der Kläger selbst als Minimum des begehrten immateriellen Schadensersatzes angegeben hat (vgl. Herget in Zöller, ZPO, § 3 Rn. 16.171.)
32
bb) Der Antrag auf Feststellung hinsichtlich etwaiger zukünftiger Schäden (Klageantrag zu 3.) ist mit 500,00 € zu bewerten.
33
Der Wert einer positiven Feststellungsklage ist unter Rückgriff auf § 3 ZPO zu bestimmen (BayObLG, Beschluss vom 16. August 2024, 101 AR 103/24 e, juris Rn. 40 m. w. N.). Dabei wird regelmäßig von einem entsprechenden Leistungsantrag auszugehen sein, jedoch wegen der fehlenden Vollstreckbarkeit ein Abschlag von in der Regel 20% vorgenommen (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022, IV ZR 282/21, juris Rn. 4). Allerdings handelt es bei dem Abschlag nur um einen Anhaltspunkt für den Regelfall, denn bei jeder nach § 3 ZPO vorzunehmenden Bewertung ist auch auf die weiteren Umstände des Einzelfalls abzustellen, soweit sie für die wirtschaftlichen Interessen des Klägers an der Erreichung des prozessualen Ziels von Bedeutung sind (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022, IV ZR 282/21, juris Rn. 5). Maßgeblich ist daher nicht nur die Höhe des drohenden Schadens, sondern auch, wie hoch oder gering das Risiko eines Schadenseintritts ist, sodass gegebenenfalls auch ein höherer Abschlag als 20% in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2008, XII ZB 75/08, NZM 2009, 51 Rn. 8; Elzer in Toussaint, Kostenrecht, 54. Aufl. 2024, ZPO § 3 Rn. 19; Herget in Zöller, ZPO, § 3 Rn. 16.76). Im Einzelfall kann die Gefahr einer Verwirklichung der festgestellten Schadensersatzpflicht so unwahrscheinlich sein, dass der Feststellung jede selbständige wirtschaftliche Bedeutung fehlt oder nur der Ansatz eines „Erinnerungswerts“ gerechtfertigt ist (BGH, Beschluss vom 28. November 1990, VIII ZB 27/90, NJW-RR 1991, 509 [juris Rn. 12] – 500 DM anstelle 80% von 13.000 DM). Bei sehr vagem Vortrag zu weiteren Schäden wurde auch der pauschale Ansatz von 500,00 € oder 1.000,00 € nicht beanstandet (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2021, III ZR 253/20, juris Rn. 5; Elzer in Toussaint, Kostenrecht, ZPO § 3 Rn. 19 m. w. N.).
34
Ausgehend davon ist der Feststellungsantrag mit 500,00 € zu bewerten, auch wenn der Kläger einen Streitwert in Höhe von 2.600,00 € für angemessen hält, weil das Landgericht München I in einem vergleichbaren Fall (Urt. v. 9. Dezember 2021, 31 O 16606/20) diesen Streitwert angenommen habe. Dieser Entscheidung lässt sich zur Festsetzung des Streitwerts indes nur entnehmen, dass sich das Gericht an den Angaben in der Klageschrift orientiert hat (juris Rn. 48). Angaben des Klägers zum Streitwert stellen zwar ein gewichtiges Indiz dar, allerdings nur, wenn sie nicht offensichtlich unzutreffend sind. Gebunden ist das Gericht im Rahmen des § 3 ZPO selbst an übereinstimmende Angaben beider Parteien nicht (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2012, X ZR 110/11, GRUR 2012, 1288 Rn. 4; BayObLG, Beschluss vom 16. August 2024, 101 AR 103/24 e, juris Rn. 40; OLG München, Beschluss vom 5. Februar 2018, 29 W 1855/17, juris Rn. 16).
35
Der Kläger trägt nicht vor, um welche materiellen oder immateriellen, bereits entstandenen unbekannten oder künftig noch entstehenden Schäden es im Rahmen des Feststellungsantrags gehen soll. In der Klageschrift wird lediglich ausgeführt, zum aktuellen Zeitpunkt könne noch nicht abgesehen werden, welche Dritte noch Zugriff auf die Daten bekommen könnten und „was sie mit möglicherweise krimineller Energie mit diesen Daten missbräuchlich anstellen“ würden. Die Folgen von Datenschutzverletzungen mit unübersehbarer Außenwirkung – wie hier – offenbarten sich „regelmäßig erst zu nachgelagerter Zeit“. Damit sind allerdings Schwierigkeiten beim Nachweis der Ursächlichkeit künftiger Schäden absehbar (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2024, VI ZR 7/24, juris Rn. 15).
36
cc) Der Unterlassungsanspruch (Klageantrag zu 4.) ist in Abweichung von der Streitwertangabe des Klägers auf 1.000,00 € festzusetzen.
37
Der Streitwert ist nach allgemeinen Regeln unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen (§ 48 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 GKG, § 3 ZPO). Maßgeblich bei einem Unterlassungsantrag nach – wie im Streitfall geltend gemacht – bereits erfolgter Verletzungshandlung ist das Interesse des Anspruchstellers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße, welches maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für den Inhaber des verletzten Rechts bestimmt wird. Allerdings kann auch anderen, von der bereits erfolgten Verletzungshandlung unabhängigen Faktoren – etwa dem Grad der Wahrscheinlichkeit künftiger Zuwiderhandlungen – Rechnung zu tragen sein. Das Gefährdungspotential ist dabei allein mit Blick auf das konkrete Streitverhältnis zu bestimmen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2024, VI ZR 7/24, juris Rn. 14; BayObLG, Beschluss vom 16. August 2024, 101 AR 103/24 e, juris Rn. 44 ff.; OLG Hamm, Urt. v. 15. August 2023, I-7 U 19/23, juris Rn. 275 ff. jeweils m. w. N.).
38
Der Streitwert des Unterlassungsanspruchs liegt – wie der Streitwert des Klageantrags zu 1. – bei 1.000,00 €. Der Kläger argumentiert mit der bereits eingetretenen Rechtsverletzung und führt in der Klageschrift aus, die Wiederholungsgefahr könne nicht ausgeschlossen werden. Es sei nicht „prüffähig“, ob die Beklagte in technischer und organisatorischer Hinsicht alle notwendigen und erforderlichen, jedenfalls aber ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe, um ein neuerliches Abgreifen von Daten zu verhindern.
39
dd) Der Wert des Auskunftsanspruchs (Klageantrag zu 5.) beträgt – wie in vergleichbaren Fällen – 500,00 €.
40
Der Streitwert eines Auskunftsantrags richtet sich nach dem wirtschaftlichen Interesse, das der Kläger an der Erteilung der Auskunft hat. Aus dem Klagevorbringen ist hier jedoch nicht ersichtlich, welche weiteren Ansprüche der Kläger nach Erteilung der Auskunft noch geltend machen möchte. Eine Bemessung mit 500,00 € entspricht der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BayObLG, Beschluss vom 16. August 2024, 101 AR 103/24 e, juris Rn. 51 m. w. N.).
41
ee) Die mit dem Klageantrag Ziffer 6. geltend gemachten außergerichtlich entstandenen Anwaltskosten in Höhe von 1.054,10 € werden insoweit zur Hauptforderung, als der Berechnung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ein Gegenstandswert von 12.500,00 € anstelle eines zutreffenden Gegenstandswerts von 5.000,00 € (Antrag zu 1.: 1.000,00 €; Antrag zu 2.; 2.000,00 €; Antrag zu 3.: 500,00 €; Antrag zu 4.: 1000,00 €; Antrag zu 5.: 500,00 €) zugrunde gelegt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2019, IV ZB 8/18, juris Rn. 51; BayObLG, Beschluss vom 16. August 2024, 101 AR 103/24 e, juris Rn. 52).
42
Dies führt dazu, dass der Streitwert für das vorliegende Verfahren 5.000 € übersteigt. Der Streitwert für den Klageantrag zu 6. beträgt 513,60 €. Denn Nebenforderung ist der Klageantrag – bei einem zwischen 4.000,01 € und 5.000,00 € liegenden Gegenstandswert – nur in Höhe von 540,50 €.