Titel:
Asylrecht, Russische Föderation, Ingusche in wehrpflichtigem Alter, Kein subsidiärer Schutz wegen möglicher Einziehung zum Wehrdienst, keine beachtlich wahrscheinliche Gefahr eines Kampfeinsatzes in der Ukraine, keine Gefahr eines beachtlichen Schadens bei Einsatz in der russisch-ukrainischen Grenzregion, Ablehnung als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG setzt nicht voraus. dass die Vernichtung oder Beseitigung des Identitäts- oder Reisedokuments kausal dafür war, dass die Identität oder Staatsangehörigkeit nicht festgestellt werden kann
Normenketten:
AsylG § 4
AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 4
RL 2013/32/EU Art. 31 Abs. 8 Buchst. d)
Schlagworte:
Asylrecht, Russische Föderation, Ingusche in wehrpflichtigem Alter, Kein subsidiärer Schutz wegen möglicher Einziehung zum Wehrdienst, keine beachtlich wahrscheinliche Gefahr eines Kampfeinsatzes in der Ukraine, keine Gefahr eines beachtlichen Schadens bei Einsatz in der russisch-ukrainischen Grenzregion, Ablehnung als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG setzt nicht voraus. dass die Vernichtung oder Beseitigung des Identitäts- oder Reisedokuments kausal dafür war, dass die Identität oder Staatsangehörigkeit nicht festgestellt werden kann
Fundstelle:
BeckRS 2025, 3581
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägtdie Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
1
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, inguschischer Volks- und muslimischer Religionszugehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste er am 3. Januar 2022 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 11. Oktober 2022 Asyl.
2
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) am 9. Januar 2023 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, er habe bis zu seiner Ausreise in … (ehemals …) gelebt. Er sei am 24. Dezember 2021 in Inguschetien aufgebrochen und mit einem Auto nach Deutschland gefahren worden, wo er am 3. Januar 2022 angekommen sei. Die Reise hätten seine Eltern finanziert. Seinen Inlandspass habe er bei der Militärbehörde im Heimatland verloren, seinen Reisepass habe er in Berlin verbrannt, weil er Angst gehabt habe, zurückgeschickt zu werden.
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Zuletzt sei der 21-jährige Antragsteller Student an einem College für … gewesen. Im Januar 2021 habe ein Lehrer die Studenten gefragt, wer von ihnen bereits 18 Jahre alt sei. Der Antragsteller habe daraufhin angegeben, bald 18 zu werden. Am 7. Januar 2021 sei ein Freund und entfernter Verwandter des Antragstellers volljährig geworden. Der Antragsteller habe ihn am selben Tag aus Freundschaft mit zur Militärbehörde begleitet. Als er dort seinen Ausweis vorgezeigt habe, sei festgestellt worden, dass er bald 18 Jahre alt werde. Man habe ihm dann gesagt, dass man ihn bräuchte, um Wehrdienst abzuleisten. Auf seinen Einwand, dass er Student an einem College sei, habe man ihm gesagt, dass er eine „akademische Pause“ einlegen könne. Daraufhin sei er zu einer Musterungsuntersuchung gezwungen worden, anschließend habe er nach Hause gehen dürfen. Später sei ein Distriktsoffizier zu den Eltern des Antragstellers gekommen, als er nicht zu Hause gewesen sei. Er habe seinen Eltern gesagt, der Antragsteller solle sich bei der DOSAAF (Freiwillige Gesellschaft zur Unterstützung der Armee, der Luftstreitkräfte und der Flotte) melden, um dort auf den Wehrdienst vorbereitet zu werden; bald werde es eine spezielle Militäroperation geben. Der Antragsteller habe sich bei der DOSAAF gemeldet und dort einen Kurs zur Ausbildung als Lkw-Fahrer begonnen. Den Kurs habe er im August 2021 maximal einen Monat lang besucht. Er habe dann ein Schreiben bekommen, wonach er zum 1. Oktober 2021 erneut einen Kurs besuchen solle. Dem sei er aber nicht mehr nachgekommen. Seine Eltern hätten dem Antragsteller daraufhin zur Ausreise nach Deutschland geraten. Am 24. Dezember 2021 sei er dann von einem ihm unbekannten Mann mit dem Auto abgeholt und nach Deutschland gefahren worden. Bei der Ausreise aus der Russischen Föderation habe es keine Kontrolle gegeben, lediglich bei der Einreise in Weißrussland. Bis zu seiner Ausreise seien keine Nachfragen des Militärs erfolgt, danach sei aber eine Vorladung zugestellt worden.
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Der Antragsteller legte dem Bundesamt verschiedene Dokumente vor, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, § 77 Abs. 3 des Asylgesetzes (AsylG). In der Behördenakte des Bundesamtes ist zudem eine Kopie aus dem Reisepass des Antragstellers mit dem Vermerk „Original hat nicht vorgelegen“ enthalten.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 13. Januar 2025 wurde der Antrag des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Ziffern 1 bis 3 des Bescheids). Es wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 4 des Bescheids). Der Antragsteller wurde aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Ihm wurde die Abschiebung in die Russische Föderation oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht; die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, für den Fall einer fristgerechten Stellung eines Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrages durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Ziffer 5 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6 des Bescheides). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen, § 77 Abs. 3 AsylG. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 17. Januar 2025 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 21. Januar 2025, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 22. Januar 2025, ließ der Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 13. Januar 2025 erheben (B 4 K 25.30092) und zugleich beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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In Tschetschenien würden alle Männer für den Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine massenhaft einberufen. Dort sei es für junge Männer unmöglich, sich dem Krieg zu entziehen. Der Antragsteller habe einen Einberufungsbefehl erhalten und sei verpflichtet worden, die DOSAAF zu besuchen. Dies bedeute in Tschetschenien sicher die Einberufung für den Krieg in der Ukraine. Die Mutter des Antragstellers habe diesem mitgeteilt, dass bereits mehrmals Vertreter der Militärbehörden gekommen seien und nach dem Antragsteller gesucht hätten.
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Für die Antragsgegnerin beantragte das Bundesamt mit Schriftsatz vom 24. Januar 2025,
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Behörden- und die Gerichtsakten Bezug genommen.
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1. Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
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a) Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung. Die mit dieser Verwaltungsentscheidung intendierte umgehende Beendigung des Aufenthalts des Asylbewerbers im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet und ist deren Folge. Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes daher auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes offensichtlich nicht besteht, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166). Gemäß Art. 16a Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) und § 36 Abs. 4 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet bzw. die Vollziehung nur ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Der zur Entscheidung über diesen Antrag berufene Einzelrichter (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG) hat aus den Gründen des angefochtenen Bescheids des Bundesamts vom 13. Januar 2025, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (§ 77 Abs. 3 AsylG), jedenfalls keine ernstlichen Zweifel im Sinne der oben angegebenen Vorschriften. Ergänzend ist auszuführen:
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b) Der Antragsteller hat weder gegenüber dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren eine beachtlich wahrscheinliche flüchtlingsrelevante Verfolgung in seinem Heimatland vorgetragen. Er hat lediglich angegeben, aus Angst vor einer Einberufung zum Militär und einer möglichen Verwendung im Rahmen des Angriffskrieges der Russischen Föderation gegen die Ukraine sein Heimatland verlassen zu haben.
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aa) Selbst wenn man davon ausginge, dass eine solche Gefahr für den Antragsteller mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestünde, läge darin jedenfalls keine Anknüpfung an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale, die Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wäre. Eine Verfolgung des Antragstellers wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ist insoweit nicht erkennbar. Ebenso wenig kommt demnach eine Anerkennung als Asylberechtigter i.S.d. Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) wegen einer politischen Verfolgung in Betracht; zudem ist wegen der Einreise des Antragstellers auf dem Landweg eine Asylanerkennung nach Art. 16a Abs. 2 GG ausgeschlossen.
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bb) Der Vortrag des Antragstellers begründet jedoch ebenso wenig die Annahme, ihm drohe in seinem Herkunftsland wegen einer möglichen Einberufung zum Militär sowie eines Einsatzes im Rahmen des Krieges der Russischen Föderation gegen die Ukraine ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG, der Grundlage für die Gewährung subsidiären Schutzes wäre.
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(1) Der 21-jährige Antragsteller unterliegt zwar in der Russischen Föderation grundsätzlich der Wehrpflicht, die dort für Männer zwischen 18 und 30 Jahren besteht (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand 4.7.2024, S. 12). Er ist aber als Student berechtigt, den Wehrdienst aufzuschieben (Republik Österreich, Länderinformationen der Staatendokumentation – Russische Föderation, Stand 16.12.2024, S. 38 m.w.N.). Damit besteht jedenfalls derzeit keine beachtlich wahrscheinliche Gefahr dafür, dass der Antragsteller überhaupt zum Wehrdienst einberufen würde.
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(2) Selbst wenn dies erfolgen sollte, ist dem Antragsteller die Ableistung des regulären Wehrdienstes zuzumuten. Es ist grundsätzlich das legitime Recht eines Staates, zur Unterhaltung seiner Streitkräfte seine Bürger zum Militärdienst heranzuziehen. Auch die Pflicht zur Ableistung des regulären Wehrdienstes in den Streitkräften der Russischen Föderation begegnet insoweit keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 22.8.2024 – 12 B 18/23 – juris Rn. 29 m.w.N.): Zwar wird innerhalb militärischer Strukturen in der Russischen Föderation vermutet, dass die sog. Dedowschtschina („Herrschaft der Großväter“) – ein System des Schikanierens und der Erniedrigung, Vergewaltigungen, der groben körperlichen Gewalt und Einschüchterungen durch dienstältere Mannschaften an abgelegenen Standorten ohne Ausgang bzw. Urlaub – weiterhin in den russischen Streitkräften vorkommt, wenn auch nach Ausweitung der militärpolizeilichen Befugnisse im Jahre 2015 zur Bekämpfung von Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte und Dienstgrade innerhalb der Streitkräfte nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit. Es besteht aber kein Zweifel, dass es sich um unzulässige und auch mit Strafe bedrohte Übergriffe handelt, die – soweit sie angezeigt werden – offiziell auch verfolgt werden und zur Versetzung Verantwortlicher in Strafbataillone zur Verrichtung von Schwerstarbeit oder zur Verhängung von Kriminalstrafen führen können. Wesentlich zur Bekämpfung staatlicherseits hat zudem die Verkürzung des Wehrdienstes von zwei Jahren auf ein Jahr gewirkt, weil sie das Aufeinandertreffen von Wehrdienstleistenden verschiedener Einberufungsjahre vermeidet. Vorkommende Vorfälle dürften daher dem Staat als Akteur nicht zuzurechnen sein und berechtigen nicht zu der grundsätzlichen Annahme, dass die Einberufung zum Wehrdienst in der Russischen Föderation im Allgemeinen zu einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung im Militär führt.
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(3) Anders als vom Antragsteller befürchtet, besteht auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass er – selbst wenn er zum Wehrdienst eingezogen werden sollte – dabei im Rahmen von Kampfhandlungen in der Ukraine eingesetzt werden würde. Aktuell gibt es keine Hinweise auf eine Teilnahme russischer Wehrdienstleistender an Kampfhandlungen in der Ukraine (Republik Österreich, Länderinformationen der Staatendokumentation – Russische Föderation, Stand 16.12.2024, S. 49 m.w.N.; ebenso OVG Berlin-Bbg, U.v. 22.8.2024 – 12 B 18/23 – juris Rn. 54; OVG MV, U.v. 17.6.2024 – 4 LB 215/20 OVG – juris Rn. 65). Ebenso wenig ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller, so er in der Russischen Föderation seinen Wehrdienst ableisten müsste, in dessen Rahmen gezwungen werden könnte, sich als Vertragssoldat zu verpflichten und sodann als solcher in der Ukraine eingesetzt zu werden. Zwar wird in einzelnen Medienberichten geschildert, dass auf Wehrdienstleistende entsprechender Druck ausgeübt würde und ihnen im Falle der Weigerung mit einer Einberufung im Zuge einer Mobilisierung oder Gerichtsverfahren gedroht würde (vgl. Republik Österreich, Länderinformationen der Staatendokumentation – Russische Föderation, Stand 16.12.2024, S. 49 m.w.N.). Allerdings ist die Erkenntnislage insgesamt wenig fundiert; es bleibt offen, inwieweit die Einzelfallschilderungen verallgemeinerungsfähig sind. Auch ist nicht erkennbar, ob ausreichend zwischen „Druck“ und auf einen Willensbruch zielenden Handlungsweisen wie Zwang und Täuschung differenziert wird. Andererseits ist bekannt, dass die Anwerbung von Vertragssoldaten mit hohen finanziellen Anreizen und sonstigen staatlichen Vergünstigungen von der Russischen Föderation – offenbar erfolgreich – betrieben wird, weil dies insbesondere ärmere Schichten und die Landbevölkerung anspricht, was eine zwangsweise Rekrutierung, die mit Spekulationen über die militärischen Verluste verbunden sein könnte, entbehrlich machen dürfte (OVG Berlin-Bbg, U.v. 22.8.2024 – 12 B 18/23 – juris Rn. 58 m.w.N.).
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Als Wehrdienstleistender kann der Antragsteller zwar auf der Krim sowie für Grenzsicherungszwecke entlang der russisch-ukrainischen Grenze eingesetzt werden (Republik Österreich, Länderinformationen der Staatendokumentation – Russische Föderation, Stand 16.12.2024, S. 49 m.w.N.). Soweit hierbei die Gefahr besteht, dass der Antragsteller im Rahmen von Gegenangriffen der Ukraine in Kampfhandlungen verwickelt wird, stellt dies keinen ihm drohenden ernsthaften Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG dar. Ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG läge hier schon deshalb nicht vor, weil der Antragsteller dann als Angehöriger der regulären Streitkräfte der Russischen Föderation keine Zivilperson im Sinne der genannten Vorschrift darstellen würde (vgl. Art. 50 Abs. 1 Satz 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12.8.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte – Genfer Zusatzprotokoll I i.V.m. Art. 4 Buchst. A) Nr. 1 des III. Genfer Abkommens vom 12.8.1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen – III. Genfer Abkommen). Aber auch ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung läge insoweit nicht vor. Die fraglichen Kampfhandlungen finden auf russischem Territorium statt und dienen der Abwehr der ukrainischen Offensive. Der Kampfeinsatz der Wehrpflichtigen findet nicht statt, um das Gebiet der Ukraine oder Teile davon völkerrechtswidrig zu erobern, zu besetzen oder zu annektieren. Der Einsatz zur Verteidigung eigenen Territoriums stellt keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG dar (OVG Berlin-Bbg, U.v. 22.8.2024 – 12 B 18/23 – juris Rn. 54).
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(4) Über die Einberufung von Männern im wehrpflichtigen Alter zum Wehrdienst hinaus findet nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln eine offene Mobilisierung in der Russischen Föderation nicht statt. Vielmehr setzt der russische Staat wegen der Unpopularität der Teilmobilmachung und der folgenden Massenemigration auf eine verdeckte Mobilisierung durch Rekrutierung Freiwilliger sowie Zwangseinberufungen von Migranten und kürzlich eingebürgerter russischer Staatsbürger (Republik Österreich, Länderinformationen der Staatendokumentation – Russische Föderation, Stand 16.12.2024, S. 45). Zudem hat der Antragsteller bislang keinen Wehrdienst geleistet, so dass er einer etwaigen Mobilmachung schon nicht unmittelbar unterfallen würde (vgl. Danish Immigration Service, COI: Russia – An update on military service since July 2022, Dezember 2022, S. 13 f.). Die Teilmobilisierung auf Grundlage des von Präsident Putin am 21. September 2022 unterzeichneten „Erlasses über die Teilmobilmachung in der Russischen Föderation“ erfasste nur solche Mitglieder der Reserve mit militärischen Vorerfahrungen (OVG MV, U.v. 20.11.2023 – 4 LB 82/19 OVG – juris Rn. 28; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand 4.7.2024, S. 13). Auch hat der Kläger jedenfalls außerhalb der Nordkaukasusregion auch nicht mit einer Zwangsrekrutierung etwa zu einem sogenannten Freiwilligenbataillon zu rechnen. Diese Praxis mag zwar in Tschetschenien eine realistische Gefahr auch für ungediente tschetschenische Männer darstellen (vgl. dazu Republik Österreich, Länderinformationen der Staatendokumentation – Russische Föderation, Stand 16.12.2024, S. 51 f. m.w.N.). Zum einen stammt der Antragsteller aber schon nicht aus Tschetschenien, sondern aus der Nachbarrepublik Inguschetien. Zum anderen kann er sich als nicht in besonderer Weise politisch in Erscheinung getretener, gesunder und arbeitsfähiger Mann ohne Weiteres auch außerhalb der Nordkaukasusregion innerhalb der Russischen Föderation vor Verfolgung sicher niederlassen und dort seinen Lebensunterhalt sichern. Insoweit ist er also auf die Möglichkeit internen Schutzes i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG zu verweisen (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 22.8.2024 – 12 B 18/23 – juris Rn. 37; OVG MV, U.v. 17.6.2024 – 4 LB 215/20 OVG – juris Rn. 59; SächsOVG, U.v. 6.2.2024 – 2 A 617/18.A – juris Rn. 29; BayVGH, U.v. 16.7.2019 – 11 B 18.32129 – juris Rn. 46 ff.).
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(5) Hinsichtlich der Gefahr einer Bestrafung des Antragstellers wegen der Nichtbefolgung des ihm angeblich bereits zugestellten Einberufungsbefehls wird auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheides Bezug genommen, § 77 Abs. 3 AsylG. Ergänzend ist anzumerken, dass hinsichtlich der Echtheit der vom Antragsteller vorgelegten Vorladung zu den Militärbehörden, um die Ladung zur Einberufung zu erhalten, schon erhebliche Zweifel bestehen. Das Dokument enthält keinen behördlichen Briefkopf, kein Aktenzeichen und kein Erstellungsdatum, es ist auch nicht unterschrieben.
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Die Zuerkennung von Asyl nach Art. 16a GG oder der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 AsylG scheiden damit ebenso offensichtlich aus wie die Gewährung subsidiären Schutzes i.S.d. § 4 AsylG.
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c) Die Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet beruht auf § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat oder die Umstände offensichtlich diese Annahme rechtfertigen. Der Antragsteller hat hier gegenüber dem Bundesamt ausdrücklich angegeben, er habe seinen Reisepass verbrannt, weil er Angst gehabt habe, zurückgeschickt zu werden. Die Voraussetzungen nach § 30 Abs. 1 Nr. AsylG liegen damit vor. Der Antragsteller hat nach seinen eigenen Angaben mutwillig, d.h. in der Absicht, seine Rückführung zumindest zu erschweren, seinen Reisepass zerstört.
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Dass die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit trotz der Vernichtung dieses Dokuments möglich war, insbesondere, weil etwa zuvor eine Kopie aus dem Reisepass gefertigt wurde, steht dem nicht entgegen. § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG verlangt weder ein tatsächliches Fehlschlagen der Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit des Ausländers noch eine Kausalität der Vernichtung oder Beseitigung eines Identitäts- oder Reisedokumentes hierfür. Weder aus dem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck der Vorschrift ist eine solche einschränkende Auslegung ersichtlich (ebenso VG Ansbach, B.v. 19.9.2024 – AN 1 S 24.31781 – juris Rn. 58 ff; VG Frankfurt a.M., B.v. 28.10.2024 – 9 L 3680/24.F.A – juris; VG Düsseldorf, B.v. 22.5.2024 – 22 L 1091/24.A. – juris Rn. 24 ff; vgl. auch Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2024, § 30 AsylG Rn. 31; a.A. VG Würzburg, B.v. 4.9.2024 – W 7 S 24.31518 – juris Rn. 44 ff.; VG Regensburg, B.v. 21.11.2024 – RO 4 S 24.32845 – juris Rn. 27 ff.; VG Aachen, B.v. 26.4.2024 – 10 L 265/24.A – juris Rn. 14 ff.).
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aa) Der in § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG enthaltene attributive Relativsatz „das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte“ dient lediglich der Charakterisierung des Identitäts- oder Reisedokumentes, das vernichtet oder beseitigt wird. Aus ihm wird deutlich, dass es sich nicht um ein beliebiges Identitäts- oder Reisedokument handeln kann, sondern um eines, das zuverlässige Angaben zur Identität bzw. Staatsangehörigkeit gerade des Antragstellers als Inhaber dieses Dokumentes enthalten muss, d.h. in der Regel um ein von staatlichen Stellen ausgestelltes, mit einem Lichtbild des Inhabers versehenes Ausweisdokument. Insoweit hat die Präzisierung des Objektes der Vernichtungs- bzw. Beseitigungshandlung im Wortlaut der Vorschrift eine eigenständige Funktion (a.A. VG Würzburg, B.v. 4.9.2024 – W 7 S 24.31518 – juris Rn. 48 f.). Hieraus lässt sich aber nicht ableiten, dass das vernichtete oder beseitigte Dokument zwingend erforderlich gewesen sein müsste, um die Identität oder Staatsangehörigkeit des Ausländers tatsächlich festzustellen und dies deswegen nun nicht mehr möglich wäre.
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bb) Dass ein solcher Erfolg der Vernichtungs- oder Beseitigungshandlung erforderlich wäre, ergibt sich auch nicht aus der Voraussetzung einer „mutwilligen“ Vernichtung oder Beseitigung (so jedoch VG Regensburg, B.v. 21.11.2024 – RO 4 S 24.32845 – juris Rn. 28). Eine mutwillige Vernichtung oder Beseitigung liegt vor, wenn der Ausländer – wie hier – die Handlung in der böswilligen Absicht vornimmt, die Feststellung seiner Identität zu vereiteln oder zumindest zu erschweren. Dieses allein subjektive Tatbestandselement dient damit zur Abgrenzung von einer lediglich versehentlichen, unabsichtlichen oder sonst nicht vorwerfbaren Vernichtung oder Beseitigung. Ein objektiver Eintritt des beabsichtigten Erfolges ist danach aber gerade keine Voraussetzung. Den daraus zwangsläufig resultierenden Nachweisproblemen begegnet das Gesetz mit der Erweiterung „oder die Umstände offensichtlich diese Annahme rechtfertigen“, die einen unwiderlegbaren Rückschluss von eindeutigen objektiven Tatsachen auf die subjektiven Absichten des Ausländers zulässt (vgl. dazu Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2024, § 30 AsylG Rn. 31).
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cc) Auch aus der Gesetzesbegründung lässt sich insoweit kein Wille des Gesetzgebers ableiten, dass § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG nur bei einer objektiv erfolgreichen Verhinderung oder zumindest Erschwerung der Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit des Asylbewerbers einschlägig sein sollte. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 20/9463 S. 56) soll die Neufassung des § 30 AsylG durch das Rückführungsverbesserungsgesetz die Fälle, in denen die Mitgliedstaaten nach Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 der RL 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (VerfahrensRL) in den nationalen Vorschriften vorsehen können, dass ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird, in das Asylgesetz übertragen. § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG dient dabei der Umsetzung von Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 Buchst. d) VerfahrensRL. Die Vorschrift soll die nach bisheriger Rechtslage in § 30 Abs. 1 (gemeint offenbar: Abs. 3) Nr. 2 und 5 AsylG a.F. geregelten Fälle der Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit, durch Vernichtung oder Beseitigung erfassen. In der bis zum 26. Februar 2024 geltenden Fassung des § 30 Abs. 1 AsylG sahen Nr. 2 und Nr. 5 der Norm eine Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet in den Fällen vor, in denen der Ausländer im Asylverfahren über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder diese Angaben verweigert bzw. er bestimmte Mitwirkungspflichten, darunter auch die Pflicht, seinen Pass oder Passersatz den zuständigen Behörden vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen, in vorwerfbarer Weise gröblich verletzt hat. Schon daraus, dass die Neuregelung in § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG diese Tatbestände „erfassen“ soll, ergibt sich nicht, dass damit nunmehr auch erforderlich wäre, dass die Vernichtung oder Beseitigung des Identitäts- oder Reisedokuments kausal zu einer Verhinderung oder auch nur Erschwerung der Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit führen müsste. Abgesehen davon, dass die frühere Regelung schon europarechtlichen Bedenken begegnete (vgl. dazu etwa Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, § 30 AsylG Rn. 2 f. m.w.N.), liegt ein „Erfassen“ der bisherigen Regelung auch dann vor, wenn die Neuregelung weiter gefasst ist als bisher.
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dd) Unter Berücksichtigung der europarechtlichen Grundlage des § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ergibt sich ebenfalls kein Anlass, die Vorschrift einschränkend dahingehend auszulegen, dass das vernichtete oder beseitigte Identitäts- oder Reisedokument tatsächlich zur Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit des Asylbewerbers erforderlich gewesen wäre. Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 Buchst. d) VerfahrensRL, der mit § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG umgesetzt wird (BT-Drs. 20/9463 S. 56), bestimmt, dass ein Antrag als offensichtlich unbegründet werden darf, wenn angenommen werden kann, dass der Antragsteller ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat. Dieser Wortlaut wurde mit § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG nahezu identisch ins nationale Recht übernommen, so dass insoweit grundsätzlich auf die obigen Ausführungen zu verweisen ist. Aber auch andere, ebenso verbindliche Sprachfassungen der Richtlinie lassen nicht den Schluss zu, dass Art. 31 Abs. 8 Buchst. d) VerfahrensRL so einschränkend auszulegen wäre, dass mit der Vernichtung oder Beseitigung eine Identitäts- oder Staatsangehörigkeitsfeststellung vereitelt worden wäre. Im Gegenteil formulieren andere Sprachfassungen insoweit weniger strikt als im Deutschen mit „die Feststellung ermöglicht hätte“, sondern verwenden Formulierungen, die sich eher mit „zu einer Feststellung beigetragen hätte“ übersetzen lassen. So lautet etwa die englische Fassung insoweit „an identity or travel document that would have helped establish his or her identity or nationality“, in der niederländischen Fassung heißt es „een identiteitsof reisdocument dat ertoe kon bijdragen dat zijn identiteit of nationaliteit werd vastgesteld“ (Hervorhebung durch das Gericht, vgl. zur französischen und spanischen Fassung auch VG Ansbach, B.v. 19.9.2024 – AN 1 S 24.31781 – juris Rn. 59). Vor diesem Hintergrund ist erst recht nicht ersichtlich, weshalb die Vernichtung oder Beseitigung eines Dokuments, das schon nur einen Beitrag zur Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit leisten können muss, diese Feststellung tatsächlich verhindert haben sollte.
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ee) Letztendlich entspricht die § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG innewohnende Sanktionierung entsprechender Vernichtungs- oder Beseitigungshandlungen auch ohne einen objektiven Erfolg dem Beschleunigungsgrundsatz, der das Asylverfahren insgesamt prägt (vgl. Art. 31 Abs. 2 VerfahrensRL). Denn jede solche Handlung ist objektiv geeignet, die Feststellung der Identität bzw. Staatsangehörigkeit des Antragstellers zumindest zu erschweren und damit das Verfahren zu verzögern, auch wenn sie letztlich dennoch möglich ist.
29
d) Der Antragsteller kann sich schließlich auch nicht mit Erfolg auf das Bestehen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG berufen. Auch insoweit schließt sich das Gericht den zutreffenden Ausführungen in den Gründen des streitgegenständlichen Bescheids insbesondere auch zu den humanitären Bedingungen in der Russischen Föderation im Hinblick auf Art. 3 EMRK an, auf die Bezug genommen wird, § 77 Abs. 3 AsylG.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).
31
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).