Inhalt

LSG München, Urteil v. 18.11.2025 – L 5 KR 460/18
Titel:

Verjährung des Haftungsanspruchs gegenüber einem ehemaligen GbR-Gesellschafter

Leitsätze:
1. Die fünfjährige Verjährungsfrist gegenüber dem Gesellschafter einer Gesellschaft Bürgerlichen Rechts (hier: § 159 HGB in der bis 31.12.2023 geltenden Fassung) beginnt frühestens mit der Kenntnis des Gläubigers von der Auflösung der Gesellschaft.
2. Dabei kommt es bei einem von der Einzugsstelle erlassenen Haftungsbescheid auch nach vorausgegangener Betriebsprüfung ausschließlich auf die Kenntnis der Einzugsstelle und nicht die des prüfenden Rentenversicherungsträgers an.
3. Die Hemmung durch den Betriebsprüfungsbescheid (§ 52 SGB X) tritt unabhängig davon ein, ob im Einzelfall die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs gegen den Betriebsprüfungsbescheid angeordnet wurde und endet mit dessen Bestandskraft bzw. Aufhebung.
Schlagworte:
Betriebsprüfungsbescheid, Gesellschafterhaftung, Hemmung, Verjährung
Vorinstanz:
SG Landshut, Urteil vom 05.09.2018 – S 6 KR 391/16
Fundstelle:
BeckRS 2025, 35290

Tenor

I. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 05.09.2018 wird aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 10.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.10.2016 wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Streitig ist im wiedereröffneten Berufungsverfahren, ob die Beklagte als Einzugsstelle die Klägerin im Wege eines Haftungsbescheides für Forderungen von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen gegen eine vormalige Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), deren Mitgesellschafterin die Klägerin war, in Anspruch nehmen durfte.
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1. Die Klägerin und ihr Ehemann betrieben bis 30.06.2009 in der Rechtsform einer GbR (L GbR, im Folgenden: GbR) ein Unternehmen im Bereich Handel mit Haushaltswaren, ab 2003 mit dem Ankauf und Verkauf von Telekommunikationsanträgen und seit 01.01.2008 in der Verlagswerbung. Die Vermittlung von Abonnements und Telefonverträgen erfolgte durch Haustürwerbung (sog. „Drückerkolonnen“), durch eine Vielzahl von Beschäftigten, für die keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt wurden. Die Werber und sog. „Teileleute“ wurden offiziell als selbständige Handelsvertreter geführt und arbeiteten auf Provisionsbasis. Das Hauptzollamt L. , Finanzkontrolle Schwarzarbeit Standort P, leitete hierzu ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt ein. Dies führte zur Verurteilung des Ehemannes der Klägerin durch das Amtsgericht Landshut mit Urteil vom 28.11.2011 (Az. 01 Ls 35 Js 28514/08) wegen Vorenthaltens und Veruntreuung von Arbeitsentgelt nach § 266a Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, ausgesetzt zur Bewährung. In der mündlichen Verhandlung am 28.11.2011 wurde außerdem das Verfahren betreffend die Klägerin gemäß § 153a Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) gegen Auflage einer Zahlung von 7.000 € eingestellt.
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2. Im Anschluss an die Ermittlungen des Hauptzollamts erließ die nunmehr beigeladene Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund am 21.09.2011 zwei Betriebsprüfungsbescheide, jeweils adressiert an die Gesellschafter der GbR, mit denen sie Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.196.600,94 € für den Zeitraum vom 01.01.2002 bis 30.06.2009 nachforderte. Der Forderungsanteil der Beklagten als Einzugsstelle betrug 121.832,86 € (Beiträge und Umlagen zuzüglich Säumniszuschläge). Im anschließenden Klageverfahren des Ehemannes der Klägerin vor dem Sozialgericht Landshut (Az.: S 13 R 5022/12) hob die beigeladene DRV Bund in der mündlichen Verhandlung vom 11.08.2014 den Bescheid vom 21.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26.04.2012 auf Hinweis des Vorsitzenden auf und erließ am 19.03.2015 einen Nachforderungsbescheid über 1.196.600,94 € gegenüber der GbR. Auch gegen diesen Bescheid wurde Widerspruch eingelegt, den die Beigeladene mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2015 zurückwies. Mit Urteil vom 22.03.2018 (Az.: S 1 R 5091/15) hob das Sozialgericht Landshut den Bescheid vom 19.03.2015 in Bezug auf 12 Personen auf, bei denen eine personenbezogene Zuordnung möglich gewesen und auch durchzuführen wäre. Im Übrigen wies es die Klage ab. Die Forderung der Beklagten war von der Teilaufhebung nicht betroffen. Die Berufung der Klägerin zum Landessozialgericht (LSG) wegen der danach noch verbleibenden Forderung in Höhe von 559.231,26 € war erfolglos (Urteil vom 13.10.2021 – L 6 BA 86/18 –), ebenso die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht (BSG, Beschluss vom 02.03.2022 – B 12 R 40/21 B –). In Umsetzung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 22.03.2018 erging am 09.02.2022 ein Bescheid gegenüber der Klägerin und ihrem Ehemann, der nach erfolglosem Klageverfahren (Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 03.03.2023 – S 1 BA 22/22 –) Gegenstand des Berufungsverfahren mit dem Aktenzeichen war. Mit Urteil vom 23.01.2025 wies das LSG die Berufung zurück. Der Umsetzungsbescheid vom 09.02.2022 stelle bereits keinen Verwaltungsakt dar. Er weise auch keine inhaltlichen Fehler auf, da er das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 22.03.2028 in zutreffender Weise umgesetzt habe. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision war erfolglos (BSG, Beschluss vom 30.6.2025 – B 12 BA 10/25 B –).
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3. Mit Bescheid vom 26.03.2015 machte die Beklagte die anteilige Nachforderung gegenüber der GbR geltend, die auch auf nachfolgende Mahnungen nicht reagierte. Nachdem der Ehemann der Klägerin im Jahr 2015 vor dem Amtsgericht Landshut eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte, versuchte die Beklagte erfolglos, die Forderung bei der Klägerin zu vollstrecken. Mit Schreiben vom 23.03.2016 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, dass die GbR inzwischen aufgelöst sei und die Vollstreckung von Beitragsforderungen gegen die Klägerin persönlich nur im Wege eines Haftungsbescheides nach § 128 Handelsgesetzbuch (HGB) erfolgen könne, andere Einzugsstellen hätten bereits Haftungsbescheide erlassen. Die Beklagte hörte daraufhin mit Schreiben vom 17.05.2016 die Klägerin und ihren Ehemann zum beabsichtigten Erlass eines Haftungsbescheides an.
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4. Am 10.06.2016 erließ die Beklagte gegenüber der Klägerin und ihren Ehemann unter Bezugnahme auf die geschuldeten Beiträge, Säumniszuschläge und Nebenkosten aus dem Betriebsprüfungsbescheid vom 19.03.2015 gleichlautende Haftungsbescheide über jeweils 121.832,86 €. Wörtlich führen diese Haftungsbescheide aus: „Wir nehmen Sie hiermit als persönlich haftender Gesellschafter der GbR in Anspruch …“. Beide legten Widerspruch ein und rügten das Fehlen einer nachvollziehbaren Ermessensentscheidung. Mit Widerspruchsbescheiden vom 20.10.2016 wies die Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück. Der Haftungsbescheid sei ermessensfehlerfrei, insbesondere sei der Anspruch nicht nach § 159 HGB verjährt, da die Verjährungsfrist durch die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung unterbrochen worden sei. Im anschließenden die Klägerin betreffenden Klageverfahren (Az.: S 1 R 5091/15) hat das Sozialgericht Landshut mit Urteil vom 05.09.2018 den Bescheid vom 10.06.2016 aufgehoben, da es für den Erlass eines Haftungsbescheides vorliegend keine gesetzliche Grundlage gebe.
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Am 08.10.2018 hat die Beklagte Berufung zum LSG erhoben. Die Gesellschafter einer GbR hafteten für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft gesamtschuldnerisch. Es sei unschädlich, dass der streitgegenständliche Haftungsbescheid an die Klägerin adressiert sei. Aus dem Bescheid ergebe sich, dass es sich um Verbindlichkeiten der GbR handle.
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Nachforderungsbescheides die Gesellschafterhaftung bereits verjährt gewesen sei. Die für die Dauer der Betriebsprüfung eingetretene Verjährung (§ 25 Abs. 2 Satz 2 SGB IV) habe mit der Bekanntgabe des Betriebsprüfungsbescheids, spätestens sechs Monate nach Abschluss der Prüfung (hier am 18.09.2009 bzw. 18.03.2010) geendet. Nach Beendigung der Prüfung hätte es der Beigeladenen oblegen, eine Fortführung der Betriebsprüfung mit der Folge der weiteren Hemmung der Verjährungsfrist einzuleiten (LSG München, Urteil vom 20.04.202 – L 5 KR 832/20). Entsprechend sei die Verjährung fünf Jahre später am 18.03.2015 eingetreten und der Beitragsbescheid vom 19.03.2015 um einen Tag zu spät ergangen. Der Haftungsbescheid entbehre einer gesetzlichen Grundlage und sei zudem ermessensfehlerhaft.
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Mit Urteil vom 17.12.2022 hat der Senat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
* Arbeitgeber und damit zur ordnungsgemäßen Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge gem. § 28e Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) verpflichtet sei die von der Klägerin und ihrem Ehemann betriebene GbR gewesen, die Rechtsfähigkeit besitze, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründe (vgl. BGH, Urteil vom 29.01.2001, 11 ZR 331/00, 8GHZ 146, 341 ff. sowie zur Arbeitgeberstellung einer GbR: BSG, Urteil vom 16.02.1983 – 12 RK 30/82 –; Urteil vom 29.01.2009 – B 3 P 8/07 R –; zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG): Urteil vom 30.10.2008 – 8 AZR 397/07 –). Zum Zeitpunkt der dem Betriebsprüfungsbescheid vom 19.03.2015 zugrundeliegenden Handlungen habe die „L GbR“ noch bestanden.
* Nach der Auflösung der GbR fehle es für den streitgegenständlichen Haftungsbescheid an der erforderlichen Rechtsgrundlage. § 28h SGB IV reiche als Rechtsgrundlage nicht aus, um die Klägerin als handelnde Person anstelle des Arbeitgebers (hier die GbR) für Beiträge haftbar zu machen, welche nach der ausdrücklichen Regelung in § 28e SGB IV der Arbeitgeber allein schulde. § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV ermächtige nur den Träger der Rentenversicherung, Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe zu erlassen. Nach den Regelungen des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes (VwVG) dürfe nur vollstreckt werden, wenn die Gläubigerbehörde gegenüber dem Haftungsschuldner zuvor einen Leistungsbescheid erlassen habe. Vorliegend sei der Erstattungsbescheid aber als Leistungsbescheid gegen die GbR gerichtet gewesen. Eine Rechtsgrundlage für die Erstreckung der Forderung könne auch nicht aus der Haftungsnorm des § 128 HGB hergeleitet werden könne. Richtigerweise müsse daher die Beklagte den Zivilrechtsweg beschreiten.
* Unabhängig davon habe die Beklagte bei der Auswahl und der Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin das pflichtgemäße Ermessen nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht ausgeübt. Das behördliche Ermessen sei bei der Auswahl des Haftungsschuldners und bei der Festsetzung der Höhe der Forderung, für die der jeweilige Haftungsschuldner einstehen solle, auszuüben.
* Schließlich wäre die Forderung bei Bejahung einer Prüfzuständigkeit der Sozialgerichte auch für eingebettete Schadensersatzansprüche (BSG, Urteil vom 30.01.2015 – B 3 KR 22/15 –) unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH, wonach die zivilrechtliche Verjährung nach § 199 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auch laufe, wenn der zuständige Bedienstete der verfügungsberechtigten Behörde Kenntnis vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlange, auch verjährt. Jedenfalls die DRV Bund sei auch verfügungsberechtigt für die Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche (BGH, Urteil vom 12.05.2009 – VI ZR 294/08 –). Die Verjährungsfrist umfasse daher auch Zeiten, in denen die DRV Bund die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin im Wege der Gesellschafterhaftung gekannt habe.
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Das den Ehemann der Klägerin betreffende Verfahren, das ebenfalls am LSG anhängig ist (Az.: L 12 KR 395/18) ist auf Antrag der Beteiligten ruhend gestellt worden.
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5. Mit Urteil vom 28.06.2022 (B 12 KR 5/20 R) hat das BSG die Entscheidung des Senats aufgehoben und die Streitsache an das LSG zurückverwiesen.
* Die Beklagte sei befugt, die Klägerin als ehemalige Gesellschafterin der GbR für deren Beitragsschulden durch Verwaltungsakt in Haftung zu nehmen, selbst wenn die Haftung auf zivilrechtlichen Vorschriften beruhe. Das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten sei öffentlichrechtlicher Natur, obwohl sich die Haftung der Klägerin als Gesellschafterin einer GbR für deren Beitragsschuld aus der analogen Anwendung der bürgerlichrechtlichen Vorschrift des § 128 Satz 1 HGB ergebe, die auf eine Außen GbR entsprechend anwendbar sei. § 128 Satz 1 HGB analog ordne gegenüber der Beklagten als zuständiger Einzugsstelle für rückständige Gesamtsozialversicherungsbeiträge eine Haftung der Klägerin für die von der GbR nicht erfüllte Forderung an, bei der es sich (weiterhin) um die originäre öffentlichrechtliche Beitragsforderung der Beklagten gegen die GbR handle. Die Ausgleichsverpflichtung der Gesellschafter entstehe unmittelbar mit der Begründung einer Verbindlichkeit der Gesellschaft und stehe gleichberechtigt neben der Haftung der Gesellschaft. Liege der Rechtsgrund der Haftung der Klägerin allein in der öffentlichrechtlichen Beitragsforderung gegen die GbR, bleibe die Rechtsnatur der Forderung öffentlichrechtlich. Die Ermächtigung zum Erlass des streitigen Verwaltungsaktes gegenüber der Klägerin folge aus § 28h Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 28e Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV.
* Der Bescheid vom 10.6.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.10.2016 sei auch nicht wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig. Nach der Rechtsprechung des BFH sei die bei einem Haftungsbescheid nach § 42d Einkommensteuergesetz (EstG) zu treffende Ermessensentscheidung im Fall vorsätzlicher Steuerstraftaten dergestalt vorgeprägt, dass es keiner besonderen Begründung für eine Ermessensausübung bedürfe. Diese Vorprägung des Ermessens gelte insbesondere dann, wenn sich mehrere Gesamtschuldner einer vorsätzlichen Steuerstraftat schuldig gemacht hätten und deshalb bei der Ausübung des Auswahlermessens grundsätzlich gleichrangig nebeneinander stünden. Jedenfalls auf die Heranziehung eines vorsätzlich an einer Steuerstraftat Beteiligten könne grundsätzlich nicht verzichtet werden (BFH, Urteil vom 12.02.2009 – VI R 40/07 – BFHE 224, 306, 308 mwN). Dem schließe sich der Senat für das Beitragsrecht an. Da die Klägerin nach den nicht angefochtenen und damit bindenden Feststellungen des LSG wegen des vorsätzlichen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a StGB rechtskräftig verurteilt worden sei, sei eine begründete Ermessensentscheidung, die Klägerin als Gesellschafterin zur Haftung heranzuziehen, nicht erforderlich gewesen. Schon deshalb könne offenbleiben, ob grundsätzlich bei einem die Haftung eines Gesellschafters für Beitragsschulden der Gesellschaft nach § 128 Satz 1 HGB (analog) feststellenden Verwaltungsakt überhaupt Ermessen auszuüben sei. Zudem läge selbst nach diesen Maßstäben kein Ermessensfehler vor. Denn die Möglichkeit eines Gläubigers, von jedem der Gesamtschuldner die Leistung nach Belieben ganz oder zum Teil zu fordern (vgl. § 421 Satz 1 BGB), werde nach der Rechtsprechung des 2. Senats im Beitragsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung als Teil des öffentlichen Rechts verfassungsrechtlich in der Weise überformt, dass bei der Auswahl des Gesamtschuldners und der Bestimmung der Quantität („ganz oder zu einem Teil“) eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen vorzunehmen sei (vgl. BSG, Urteil vom 30.03.2017 – B 2 U 10/15 R – BSGE 123, 35 = SozR 4-2700 § 130 Nr. 1, Rn. 14 ff; BSG, Urteil vom 23.01.2018 – B 2 U 4/16 R – BSGE 125, 120 = SozR 4-2700 § 123 Nr. 3, Rn. 22 ff). Vorliegend habe sich die Beklagte jedoch nicht auf eine Inanspruchnahme der Klägerin beschränkt. Sie habe vielmehr auch die GbR mit Schreiben vom 26.03.2015, 04.05.2015 und 26.08.2015 sowie den Ehemann der Klägerin als nach § 128 Satz 1 HGB (analog) gesamtschuldnerisch haftender Gesellschafter der GbR mit Bescheid vom 10.06.2016 für die Gesamtforderung in Anspruch genommen.
* Der Senat könne auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des LSG allerdings nicht abschließend darüber entscheiden, ob im Übrigen die Voraussetzungen für den Erlass des Haftungsbescheids vorgelegen hätten. Dessen Rechtmäßigkeit setze das Bestehen der geltend gemachten Beitragsforderung, Säumniszuschläge und Mahngebühren sowie die durchsetzbare Haftung der Klägerin hierfür voraus (vgl. BSG, Urteil vom 08.12.1999 – B 12 KR 18/99 R – BSGE 85, 200, 203 = SozR 3-2400 § 28e Nr. 2 S. 14). Auch sei festzustellen, ob die der Haftung zugrunde liegende Gesamtforderung gegen die GbR in der konkret festgesetzten Höhe (noch) bestehe. Nach den Feststellungen des LSG belaufe sich zwar der Forderungsanteil der Beklagten an der von der DRV Bund mit Bescheid vom 19.03.2015 festgesetzten Nachforderung i.H.v. 1.196.600,94 Euro auf 121.832,86 Euro. Der Verwaltungsakt, mit dem die DRV Bund den Nachforderungsbetrag von 1.196.600,94 Euro festgesetzt habe, sei aber insoweit durch das SG Landshut aufgehoben worden, als 12 im Urteil bezeichnete Personen nicht betroffen gewesen seien. Diese Teilaufhebung sei mangels Berufung der Beklagten rechtskräftig geworden. Es sei nicht erkennbar, ob und inwieweit sich die rechtskräftige Teilaufhebung auf die hier streitige Gesamtforderung auswirke. Die festgesetzte Gesamtforderung sei auch nicht durch das vom LSG als „Bescheid“ gewertete Schreiben der Beklagten vom 26.03.2015 oder die nachfolgenden Schreiben an die GbR vom 04.05.2015 und 26.08.2015 bindend festgestellt worden, bei denen es sich um reine Zahlungsaufforderungen Regelungsabsicht gehandelt habe.
* Darüber hinaus ließen die Feststellungen des LSG keine abschließende Beurteilung zu, ob der Haftung der Klägerin die im Berufungsverfahren erhobene Einrede der Verjährung nach § 159 HGB analog entgegenstehe. Für die vom LSG angenommene zivilrechtliche Verjährung eines „eingebetteten“ Schadensersatzanspruchs nach § 199 Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung einer der Beklagten zuzurechnenden Kenntnis der DRV Bund sei dabei kein Raum. Gemäß § 159 HGB verjährten die Ansprüche gegen einen Gesellschafter aus Verbindlichkeiten der Gesellschaft in fünf Jahren nach der Auflösung der Gesellschaft, sofern nicht der Anspruch gegen die Gesellschaft einer kürzeren Verjährung unterliege; die Verjährung beginne mit dem Ende des Tages, an welchem die Auflösung der Gesellschaft in das Handelsregister des für den Sitz der Gesellschaft zuständigen Gerichts eingetragen werde. Da die Auflösung einer GbR nicht in ein Register eingetragen werde, trete bei ihr an die Stelle des Tags der Registereintragung der Zeitpunkt, in dem der Gläubiger Kenntnis von der Auflösung erlange (BFH, Urteil vom 26.08.1997 – VII R 63/97 – BFHE 183, 307, 311; BVerwG, Urteil vom 14.10.2015 – 9 C 11/14 – BVerwGE 153, 109 Rn. 14; BGH, Urteil vom 16.12.2021 – IX ZR 81/21 –). Gegebenenfalls werde das LSG auch zu prüfen haben, ob nach § 52 Abs. 1 SGB X eine Hemmung der Haftungsverjährung, möglicherweise schon durch den Betriebsprüfungsbescheid der DRV Bund vom 21.09.2011, eingetreten sei, sofern dadurch bereits die hier streitige Haftung festgestellt worden sein sollte. Dabei wäre eine etwaige (rückwirkende) Aufhebung des Betriebsprüfungsbescheids vom 21.09.2011 in der mündlichen Verhandlung vor dem SG Landshut am 11.08.2014 für den Eintritt der Verjährungshemmung unschädlich. Der Zeitraum von der Bekanntgabe bis sechs Monate nach der Aufhebung des Verwaltungsaktes (vgl. § 52 Abs. 1 Satz 2 SGB X) werde auch in diesem Fall nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet (sog „ex nunc“-Wirkung). Auch würde eine etwaige Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes die Verjährungshemmung nicht ausschließen (vgl. BSG, Urteil vom 20.10.1983 – 7 RAr 41/82 – BSGE 56, 20, 24 = SozR 4100 § 145 Nr. 3).
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6. Im wieder eröffneten Berufungsverfahren ist den Beteiligten aufgegeben worden, sich dahingehend zu äußern, welche Personen vom strittigen Haftungsbescheid betroffen seien und inwieweit sich die Haftungssumme eventuell reduzieren lasse, ebenso, ob bereits Zahlungen auf die streitige Forderung erfolgt seien.
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Die Klägerin hat beantragt, die Akten der Staatsanwaltschaft Landshut beizuziehen. Da das Verfahren gegen die Klägerin gemäß § 153a StPO gegen Zahlung einer Auflage eingestellt worden sei, habe sich die Klägerin keiner Straftat schuldig gemacht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.01.1991 – 1 BvR 1326/90 –) und das Urteil des BSG auf rechtsfehlerhaft getroffenen unzutreffenden tatsächlichen Feststellungen des LSG beruht. Entsprechend fehle es an einer Vorprägung nach der Rechtsprechung des BFH und es sei eine Ermessensentscheidung zu treffen gewesen. Dabei sei selbst im Fall einer grundsätzlichen Gleichrangigkeit eine Ermessensreduzierung auf Null von vornherein auszuschließen (BSG, Urteil vom 20.03.2017 – B 2 U 10/15 R –; BFH, Urteil vom 02.12.2003 – VII R 17/03, Rn. 28 –). Auch im Falle einer Vorprägung müsse danach die Behörde zu erkennen geben, dass ihr bewusst gewesen sei, dass sie ein Auswahlermessen habe. Das habe die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 20.10.2016 aber ausdrücklich verneint. Allerdings wäre, was durch eine Beweisaufnahme festzustellen sei, die Inanspruchnahme der unschuldigen Klägerin in jedem Fall grob ermessensfehlerhaft. Schließlich mangele es dem Haftungsbescheid auch an der erforderlichen Bestimmtheit, da die Haftungssumme vor Erlass des Haftungsbescheids feststehen müsse. Sie hat ein Anerkenntnis angeregt.
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Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 10.10.2023 dahingehend Stellung genommen, dass aus ihrer Sicht die für den Beginn der fünfjährigen Verjährungsfrist des § 159 HGB maßgebende erstmalige Kenntnis der Beklagten von der Auflösung der GbR erst mit der Übersendung des Prüfbescheids vom 19.03.2015 am 24.03.2015 eingetreten sei. In diesem Bescheid habe sich erstmals der Hinweis befunden, dass die beiden Gesellschafter den Betrieb der GbR bis zum 30.06.2009 betrieben hätten. Im Bescheid vom 21.09.2011 sei dieser Hinweis noch nicht enthalten gewesen. Die Verjährungsfrist laufe somit vom 25.03.2015 bis 24.03.2020 und sei durch den Erlass des streitgegenständlichen Haftungsbescheids vom 10.07.2016 gehemmt gewesen. Hinsichtlich der betroffenen Personen werde davon ausgegangen, dass der Verwaltungsakt hinsichtlich der nicht im Urteil des Sozialgerichts Landshut enthaltenen Personen bestandskräftig gewesen sei. Die Haftungssumme sei daher nicht zu reduzieren. Zahlungen seien bisher noch nicht geleistet worden. Die Einstellung des Verfahrens habe keinen Einfluss auf die Vorprägung des Ermessens nach dem Urteil des BFH vom 12.02.2009 (Az.: VI R 40/04). Der Vorsatz ergebe sich aus der Zahlung von Schwarzlöhnen. Der Tatbestand des § 266a StGB sei vorliegend nach den Feststellungen des Hauptzollamtes erfüllt. Die Einstellung nach § 153a StPO setze einen hinreichenden Tatverdacht voraus und die Einstellung gegen Auflage sei nur möglich gewesen, weil in der Hauptverhandlung ausreichend Anhaltspunkte für eine Straftat nach § 266a StGB vorgelegen hätten und eine Verurteilung der Klägerin wahrscheinlich gewesen sei. Schließlich werde auf die weiteren Ausführungen im Urteil vom 28.06.2022 hingewiesen, wonach auch aus anderen Gründen kein Ermessensfehler vorgelegen habe.
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Die mit Beschluss vom 17.10.2023 beigeladene DRV Bund hat mitgeteilt, dass nach dem in Umsetzung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 22.03.2018 ergangenen Beitragsbescheid gegenüber der Klägerin und ihrem Ehemann vom 09.02.2022 die Nachforderungssumme betreffend Herrn O unverändert gegenüber dem Ausgangsbescheid vom 19.03.2015 121.832,86 € inklusive Säumniszuschlägen betrage.
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Mit einem am 17.11.2025 eingegangenen Schriftsatz vom 14.11.2025, den übrigen Beteiligten weitergeleitet am 17.11.2017, auf dessen Inhalt im Übrigen verwiesen wird, hat der Bevollmächtigte der Klägerin umfangreich ausgeführt und seine Auffassung, insbesondere zur Frage der Verjährung, näher erläutert. Er hat darin auch die Auffassung vertreten, dass sowohl der Bescheid vom 21.09.2011 als auch der Bescheid vom 10.06.2016 aufgrund von Unbestimmtheit nichtig seien.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 05.09.2018 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 10.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.10.2020 abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Der Senat hat im wiedereröffneten Berufungsverfahren die Akten der Staatsanwaltschaft Landshut (Az.: 35 Js 28514/08) beigezogen und Auszüge zu den Akten genommen und die Gerichts- und Verwaltungsakten des Berufungsverfahrens Az.: L 16 BA 35/23 beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Entscheidungsgründe

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Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) und auch in der Sache begründet. Der Bescheid der Beklagten vom Bescheid vom 10.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.10.2016 ist gegenüber der Klägerin rechtmäßig ergangen und verletzt diese nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat als zuständige Einzugsstelle die Klägerin rechtmäßig in ihrer Eigenschaft als gesamtschuldnerisch haftende Gesellschafterin der GbR für die Beitragsforderung gegenüber der früheren GbR in Haftung genommen. Weder stehen der Inanspruchnahme Ermessensfehler entgegen noch greift die Einrede der Verjährung. Dies folgt aus den Feststellungen des BSG im Urteil vom 22.09.2022, denen sich der Senat anschließt.
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1. Rechtsgrundlage für den Erlass des streitigen Verwaltungsaktes gegenüber der Klägerin ist § 28h Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 28e Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV. Gemäß § 28h Abs. 1 Satz 3 SGB IV hat die Einzugsstelle Beitragsansprüche, die nicht rechtzeitig erfüllt worden sind, geltend zu machen. Diese Vorschriften bringen die Hoheitsbefugnis der für die Beitragserhebung zuständigen Einzugsstelle gegenüber dem beitragszahlungspflichtigen Arbeitgeber zum Ausdruck. Entsprechend war die Beklagte befugt, die Haftung der Klägerin für die Beitragsschulden der GbR durch Verwaltungsakt zu regeln, auch wenn die Haftung der Klägerin für die Beitragsschulden der GbR auf zivilrechtlichen Vorschriften beruht. § 128 Satz 1 HGB analog hat im streitigen Zeitraum gegenüber der Beklagten als zuständiger Einzugsstelle für rückständige Gesamtsozialversicherungsbeiträge eine Haftung der Klägerin für die von der GbR nicht erfüllte Forderung angeordnet. Seit 01.01.2024 ergibt sich die persönliche Haftung der Gesellschafter einer GbR direkt aus § 721 BGB (in der Fassung vom 10.8.2021). Bei dieser Forderung handelt es sich (weiterhin) um die originäre öffentlichrechtliche Beitragsforderung der Beklagten gegen die GbR. Die Gesellschafterhaftung nach § 128 Satz 1 HGB analog (bzw. nunmehr § 721 BGB) setzt allein den Bestand einer Gesellschaftsverbindlichkeit voraus und erfordert keinen darüber hinausgehenden Rechtsgrund. Anders als für die Haftung von Geschäftsführern einer GmbH ist ein eigenes pflichtwidriges Verhalten des Vertreters durch Vorenthalten von Beiträgen zur Sozialversicherung nicht erforderlich. Die allein in der Stellung als Gesellschafterin begründete und nur die Existenz einer Verbindlichkeit der Gesellschaft voraussetzenden Einstandspflicht der Gesellschafterin nach § 128 Satz 1 HGB ist auch nicht subsidiär, sondern entsteht unmittelbar mit der Begründung einer Verbindlichkeit der Gesellschaft gleichberechtigt neben der Haftung der Gesellschaft (so zur Haftung des Komplementärs nach §§ 128, 161 HGB bereits BSG, Urteil vom 20.07.1988 – 12 RK 53/86 – juris Rn. 22). Das durch die originäre Beitragsforderung begründete Rechtsverhältnis ist daher insgesamt dem öffentlichen Recht zuzurechnen (so im Ergebnis bereits BSG, Urteil vom 26.06.1975 – 3/12 RK 1/74 – BSGE 40, 96, 97 = SozR 2200 § 393 Nr. 2; zur öffentlichrechtlichen Natur des Anspruchs auf Zahlung der Gesamtversicherungsbeiträge im Wege der Durchgriffshaftung BSG, Urteil vom 27.9.1994 – 10 RAr 1/92 – BSGE 75, 82 = SozR 3-7685 § 13 Nr. 1).
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Die Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsakts ergibt sich aus der Systematik des Gesetzes und der Eigenart des zwischen der Behörde und dem Einzelnen bestehenden Rechtsverhältnisses, das mit einem Über- und Unterordnungsverhältnis einhergeht, in dem sich typischerweise Privatpersonen und Behörden gegenüberstehen (BSG, Urteil vom 27.04.2021 – B 12 R 14/19 R – BSGE 132, 86 = SozR 4-2600 § 212a Nr. 1, Rn. 14 mwN). Die Beitragserhebung ist zur Finanzierung der von den Sozialversicherungsträgern nach dem Gesetz zu erfüllenden Aufgaben unerlässlich und stellt damit einen Kernbereich ihrer öffentlichrechtlichen Tätigkeit dar (BSG, Urteil vom 27.05.2008 – B 2 U 11/07 R – BSGE 100, 243 = SozR 4-2700 § 150 Nr. 3, Rn. 13 mwN). Die der Finanzierung der Sozialversicherung dienende Hoheitsbefugnis ist auch den Krankenkassen als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung in ihrer Eigenschaft als Einzugsstelle übertragen. Dadurch stehen sie mit den anderen Sozialversicherungsträgern in einem Treuhandverhältnis, das sie nicht nur befugt, sondern auch verpflichtet, die Beitragsforderungen auch für diese geltend zu machen. Gegenüber den Beitragsschuldnern haben sie die volle Gläubigerstellung inne (BSG, Urteil vom 28.05.2015 – B 12 R 16/13 R – SozR 4-2400 § 28p Nr. 5 Rn. 23; Urteil vom 29.03.2022 – B 12 KR 7/20 R –). Die ihr vom Gesetzgeber auferlegte Verpflichtung, Beitragsansprüche gegen jeden Beitragsschuldner geltend zu machen, erfüllt sie durch den Erlass entsprechender Verwaltungsakte. Die Befugnis zur Entscheidung durch einen Verwaltungsakt umfasst alle die originäre Beitragsforderung betreffenden Entscheidungen der Einzugsstelle.
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Die Befugnis der Beklagten, die Klägerin als persönlich haftende Gesellschafterin der aufgelösten GbR durch Verwaltungsakt in Anspruch zu nehmen, folgt aus § 28e Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB IV. Auch wenn danach den Gesamtsozialversicherungsbeitrag ausdrücklich nur der Arbeitgeber, hier also die GbR, zu zahlen hat, trifft die Zahlungspflicht nach der Intention des Gesetzgebers ebenso denjenigen, der als Arbeitgeber gilt oder die Pflichten eines Arbeitgebers zu erfüllen hat und deshalb gegenüber der Einzugsstelle Beitragsschuldner ist (vgl. BT-Drucks. 11/2221, Seite 22 zu § 28e). Letzteres ist wegen der Haftung der Klägerin nach § 128 Satz 1 HGB analog für die originäre Beitragsschuld der GbR als Arbeitgeberin der Fall. Haftungsgrund bilden allein die Stellung als Gesellschafter und die Existenz einer Verbindlichkeit der Gesellschaft. Die mit der Begründung einer Verbindlichkeit unmittelbar entstehende akzessorische Ausgleichsverpflichtung der Gesellschafter rechtfertigt es, diese ebenfalls als Arbeitgeber i.S. des § 28e Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB IV durch Verwaltungsakt zur Beitragszahlung heranzuziehen (so bereits im Ergebnis zur Haftung des Gesellschafters für Verbindlichkeiten einer Vor GmbH nach § 128 HGB: BSG, Urteil vom 08.12.1999 – B 12 KR 10/98 R – BSGE 85, 192, 193 = SozR 3-2400 § 28e Nr. 1). Der Inanspruchnahme der Klägerin durch Verwaltungsakt steht auch nicht die Rechtsprechung des BVerwG entgegen, wonach es für die Überführung der zivilrechtlichen Haftung nach § 128 HGB in das öffentlichrechtliche Handlungsregime einer ausdrücklichen Transformationsnorm als Ermächtigungsgrundlage für den Erlass eines Haftungsbescheids bedürfe (BVerwG, Beschlüsse vom 05.06.2019 – 7 B 18/18 und 7 B 19/18 – jeweils juris), da § 28h Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV eine solche Transformationsnorm darstellt (BSG, Urteil vom 22.06.2022, a.a.O.).
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2. Die Forderung beruht nach der Teilaufhebung des ursprünglichen Beitragsforderung auf dem Betriebsprüfungsbescheid vom 19.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.08.2015, formal auch in der Fassung des diese Entscheidung bestätigenden Umsetzungsbescheids vom 09.02.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.09.2022. Sie besteht, da die Forderung der Beklagten als Einzugsstelle betreffend den Arbeitnehmer O von der Teilaufhebung nicht betroffen war, weiterhin in Höhe von 121.832,86 € einschließlich Säumniszuschlägen. Der Haftende muss sich die Bindungswirkung eines gegenüber dem Arbeitgeber ergangenen Beitragsbescheids entgegenhalten lassen. Einwände gegen den Grund und die Höhe des Beitragsanspruchs sind im vorliegenden Verfahren nicht mehr möglich (Werner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 28e SGB IV (Stand: 24.01.2023), Rn. 136). Der Haftungsbescheid wäre im Übrigen auch dann nicht rechtswidrig, wenn die Beiträge zwischenzeitlich von anderer Seite gezahlt worden wären (BSG, Urteil vom 08.12.1999 – B 12 KR 18/99 R –, BSGE 85, 200-208, Rn. 23).
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3. Der angefochtene Haftungsbescheid ist nicht wegen fehlender Ermessensbetätigung der Klägerin rechtswidrig. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin sich einer vorsätzlichen Straftat nach § 266a StGB strafbar gemacht hat. Die (vorläufige) Verfahrenseinstellung gemäß § 153a StPO lässt diesen Schluss ebenso wenig zu wie die Feststellung ihrer Unschuld, wie die Klägerin meint. Dies wäre nur im Fall eines Freispruchs der Fall.
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Allerdings liegt unabhängig davon kein Ermessensfehler vor. Denn die Möglichkeit eines Gläubigers, von jedem der Gesamtschuldner die Leistung nach Belieben ganz oder zum Teil zu fordern (vgl. § 421 Satz 1 BGB), wird nach der Rechtsprechung des BSG dahingehend ausgelegt, dass (nur) bei der Auswahl des Gesamtschuldners und der Bestimmung der Quantität („ganz oder zu einem Teil“) eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen vorzunehmen sei (vgl. BSG, Urteil vom 30.03.2017 – B 2 U 10/15 R – BSGE 123, 35 = SozR 4-2700 § 130 Nr. 1; BSG, Urteil vom 23.01.2018 – B 2 U 4/16 R – BSGE 125, 120 = SozR 4-2700 § 123 Nr. 3). Vorliegend hat sich die Beklagte jedoch nicht auf eine Inanspruchnahme der Klägerin beschränkt. Sie hat vielmehr auch die GbR mit Schreiben vom 26.03., 04.05. und 26.08.2015 sowie den Ehemann der Klägerin als nach § 128 Satz 1 HGB (analog) gesamtschuldnerisch haftender Gesellschafter der GbR mit Bescheid vom 10.06.2016 für die Gesamtforderung in Anspruch genommen und damit gerade keine Auswahl vorgenommen, die eine Ermessensausübung erforderlich machen würde. Nichts anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin aus dem Verhältnis von der Haftung der GbR zu der Nachhaftung der Gesellschafter. Die Einstandspflichten eines persönlich haftenden Gesellschafters einerseits und der Gesellschaft andererseits stehen gleichberechtigt nebeneinander und Gläubiger sind nicht verpflichtet, zunächst das Gesellschaftsvermögen in Anspruch zu nehmen.
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4. Der streitige Haftungsbescheid ist auch inhaltlich hinreichend bestimmt und deshalb nicht wegen Verstoßes gegen § 33 Abs. 1 SGB X rechtswidrig. Dem Bestimmtheitsgebot entspricht ein Verwaltungsakt nur dann nicht, wenn dessen Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich nicht widerspruchsfrei ist und der davon Betroffene bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers nicht in der Lage ist, sein Verhalten daran auszurichten (BSG, Urteil vom 09.12.2004 – B 6 KA 44/03 R – BSGE 94, 50). Vorliegend geht aus dem Bescheid vom 10.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.10.2016 klar und unzweideutig hervor, in welcher Höhe von der Klägerin Zahlungen gefordert werden. Bei den Bescheiden, die im Einzelfall die Zahlungspflichten regeln, ist zwischen Beitragsbescheiden und Haftungsbescheiden zu unterscheiden. Haftungsbescheide unterliegen nicht denselben Anforderungen an die Bestimmtheit eines Beitragsbescheids, der in Bezug auf bestimmte Personen die Versicherungspflicht und Beitragshöhe regelt (BSG, Urteil vom 08.12.1999, a.a.O.). Bei einem Haftungsbescheid entscheidet die Einzugsstelle lediglich darüber, ob der Adressat für die Zahlungspflicht des Arbeitgebers haftet. Nur insofern gilt demnach auch das Bestimmtheitserfordernis des § 33 Abs. 1 SGB X. Das Bestehen von Versicherungspflicht und Beitragspflicht der Arbeitnehmer sowie die richtige Beitragshöhe sind lediglich Vorfragen, über die eine Einzugsstelle in einem Haftungsbescheid nicht mit Bindungswirkung gegenüber Arbeitgeber und Arbeitnehmern entscheidet. Diese brauchen deshalb im Streit um die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides auch nicht vom Verwaltungsverfahren benachrichtigt und im Prozess nicht notwendig beigeladen zu werden.
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Auch die weitere Begründung genügt den Anforderungen des § 35 Abs. 1 SGB X. Die Vorschrift verlangt nicht, schriftliche Verwaltungsakte in allen Einzelheiten zu begründen. Es reicht aus, wenn dem Betroffenen die Gründe der Entscheidung in solcher Weise und in solchem Umfang bekannt gegeben werden, dass er seine Rechte sachgemäß wahrnehmen kann (BSG, Urteil vom 27.06.2012 – B 6 KA 37/11 R – SozR 4-2500 § 85 Nr. 71 Rn. 16). Diesen Anforderungen wird die Begründung des angefochtenen Bescheides gerecht. Denn er enthält eine Auflistung der geschuldeten Beiträge, Säumniszuschläge und Mahngebühren und führt aus, für welchen Zeitraum diese geschuldet werden (BSG, Urteil vom 11.09.2019 – B 6 KA 13/18 R –, SozR 4-7610 § 812 Nr. 9).
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Dass die streitige Forderung bereits mit dem nach der erfolgten Teilaufhebung und der Entscheidung des LSG vom 13.10.2021 (Az.: L 6 BA 86/18) bestandskräftig gewordenen Betriebsprüfungsbescheid vom 19.03.2015 rechtmäßig festgesetzt worden ist, hat das LSG in dem rechtsskräftigen Urteil vom 23.01.2025 (a.a.O.) bestätigt. Insofern ist nicht erkennbar, inwiefern die Bezeichnung des zum Zeitpunkt der streitigen Entscheidung noch gar nicht ergangenen und die streitige Forderung lediglich bestätigenden Formal-Bescheids vom 09.02.2022 zu einer Nichtigkeit des Haftungsbescheids führen würde.
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5. Der Haftung der Klägerin steht auch nicht die im Berufungsverfahren erhobene Einrede der Verjährung nach § 159 HGB analog (in der Fassung bis 31.12.2023) entgegen. Gemäß § 159 HGB verjähren die Ansprüche gegen einen Gesellschafter aus Verbindlichkeiten der Gesellschaft in fünf Jahren nach der Auflösung der Gesellschaft, sofern nicht der Anspruch gegen die Gesellschaft einer kürzeren Verjährung unterliegt (Abs. 1); die Verjährung beginnt mit dem Ende des Tages, an welchem die Auflösung der Gesellschaft in das Handelsregister des für den Sitz der Gesellschaft zuständigen Gerichts eingetragen wird (Abs. 2). Diese Vorschrift ist gegenüber einem Gesellschafter einer aufgelösten Außen GbR entsprechend anwendbar. Da die Auflösung einer GbR nicht in ein Register eingetragen wird, tritt bei ihr an die Stelle des Tags der Registereintragung der Zeitpunkt, in dem der Gläubiger Kenntnis von der Auflösung erlangt (BFH, Urteil vom 26.08.1997 – VII R 63/97 – BFHE 183, 307, 311; BVerwG, Urteil vom 14.10.2015 – 9 C 11/14 – BVerwGE 153, 109 RdNr. 14; BGH, Urteil vom 16.12.2021 – IX ZR 81/21 – juris Rn. 20 mwN).
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Vorliegend ist die GbR zwar schon seit dem 01.07.2009 aufgelöst. Hiervon hat die Beklagte ausweislich der Verwaltungsakte allerdings wohl erst im Nachgang zu dem Betriebsprüfungsbescheid vom 19.03.2015 und dem anschließend gegenüber der GbR ergangenen Haftungsbescheid vom 26.03.2015 erfahren, als der Bevollmächtigte der Klägerin vom 23.03.2016 darauf hingewiesen hat, dass die GbR nicht mehr existent sei, weswegen es eines gesonderten Haftungsbescheids gegenüber der Klägerin und ihrem Ehemann bedürfe. Dass die Beklagte zu einem früheren Zeitpunkt als dem Betriebsprüfungsbescheid vom 19.03.2015 bereits Kenntnis von der Auflösung der Gesellschaft hatte, geht weder aus den Akten der Beklagten oder der Beigeladenen hervor noch wird dies von der Klägerin behauptet.
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Soweit die Klägerin vorträgt, die Beklagte müsse sich die Kenntnis der Beigeladenen von der Auflösung der GbR, die sich schon aus dem Prüfbericht des Zolls ergebe, zurechnen lassen, vertritt der Senat die Auffassung, dass dies nicht der Fall ist. Für eine Wissenszurechnung besteht weder eine Rechtsgrundlage noch Veranlassung. Dass für die im Urteil vom 05.09.2018 angenommene zivilrechtliche Verjährung eines „eingebetteten“ Schadensersatzanspruchs nach § 199 Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung einer der Beklagten zuzurechnenden Kenntnis der DRV Bund kein Raum ist, hat das BSG im Urteil vom 20.06.2022 (a.a.O.) ausdrücklich klargestellt. Andere Vorschriften, aus denen sich eine Wissenszurechnung ergeben könnte, bestehen nicht.
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Nach allgemeinen Grundsätzen kommt es mangels einer ausdrücklichen Regelung auf die Kenntnis des konkret mit dem Sachverhalt befassten Trägers bzw. der jeweils zuständigen Behörde (hier der Beklagten) an. Die Situation ist insofern vergleichbar mit der Frage der Kenntnis von den zur Aufhebung gemäß § 45 SGB X berechtigenden Umständen (Jahresfrist gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Für die Kenntnis kommt es in diesem Fall sogar auf die Kenntnis des behördenintern für die Vorbereitung oder die Entscheidung zuständigen Bearbeiters oder zumindest der zur Entscheidung berufenen Dienststelle an (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 45 SGB X (Stand: 17.06.2025), Rn. 113 mwN). Im Rahmen von Erstattungsstreitigkeiten (hier § 105 SGB X) hat das BSG im Falle eines als Leistungsträger nach dem SGB II zugelassenen kommunalen Trägers dessen Kenntnis von leistungsrelevanten Sachverhalten nicht zugleich als Kenntnis dieses Trägers in seiner Funktion als Sozialhilfeträger angesehen (BSG, Urteil vom 11.09.2024 – B 4 AS 6/23 R –).
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Nicht zuletzt ergibt sich dieses Ergebnis auch aus der Zweigleisigkeit des Betriebsprüfungsverfahrens, wonach die Rentenversicherungsträger nach Maßgabe des § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV dazu ermächtigt sind, im Rahmen der Betriebsprüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern zu erlassen, die Geltendmachung der Ansprüchen auf Beiträge (vgl. § 28h Abs. 1 Satz 3 SGB IV) aber den Krankenkassen in ihrer Eigenschaft als Einzugsstelle obliegt. Das bedeutet, dass sie gegenüber den Beitragsschuldnern die volle Gläubigerstellung innehaben und hierbei in eigener Verantwortung entscheiden (BSG, Urteil vom 28.05.2015 – B 12 R 16/13 R – SozR 4-2400 § 28p Nr. 5 Rn. 23; Urteil vom 29.03.2022 – B 12 KR 7/20 R –).
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Allerdings ist zur Überzeugung des Senats eine Hemmung der Haftungsverjährung nach § 52 Abs. 1 SGB X bereits durch den Betriebsprüfungsbescheid der DRV Bund vom 21.09.2011 eingetreten, weil es sich um einen Verwaltungsakt gehandelt hat, der zur Feststellung der Anspruchs der im Einzelnen betroffenen Sozialleistungsträger erlassen worden ist. Die Hemmung gegenüber der aufgelösten Gesellschaft wirkt auch gegenüber den Gesellschaftern, die der Gesellschaft zur Zeit der Auflösung angehört haben (§ 159 Abs. 4 HGB). Dass Betriebsprüfungsbescheide des Rentenversicherungsträgers zugleich den Eintritt der Verjährung auch für den Haftungsbescheid der Einzugsstelle hemmen, ergibt sich ebenfalls aus der Zweigleisigkeit des Verfahrens zur Erhebung (§ 76 Abs. 1 SGB IV) von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen im Fall einer Betriebsprüfung.
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Dabei ist zu unterscheiden: Zum einen ist gemäß § 25 Abs. 2 SGB IV für die Dauer der Betriebsprüfung die für die Forderung rückständiger Beiträge geltende Verjährungsfrist von vier bzw. 30 Jahren gehemmt. Diese Hemmung beginnt mit dem Tag des Beginns der Prüfung und endet mit der Bekanntgabe des Betriebsprüfungsbescheids, spätestens jedoch nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Abschluss der Prüfung, hier am 17.03.2010.
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Zugleich hat aber die Betriebsprüfung den Zweck, den Einzugsstellen durch Sicherstellung von Arbeitgeberunterlagen und -aufzeichnungen eine Berechnungsgrundlage zu verschaffen, damit diese die notwendigen Schritte zur Geltendmachung von Ansprüchen auf Beiträge (vgl. § 28h Abs. 1 Satz 3 SGB IV) unternehmen können (grundlegend: BSG, Urteil vom 28.05.2015 – B 12 R 16/13 R –, SozR 4-2400 § 28p Nr. 5, vgl. auch Scheer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 28p SGB IV (Stand: 26.06.2025), Rn. 281).
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Wird wie vorliegend die Forderung nicht beglichen, hat die Einzugsstelle mehrere Möglichkeiten. Zum einen wird sie zunächst versuchen, die Forderung im Wege der Zwangsvollstreckung beizutreiben. Dabei gilt gemäß § 52 Abs. 2 SGB X die Verjährungsfrist von 30 Jahren nach Unanfechtbarkeit des Betriebsprüfungsbescheids.
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Ist auch das nicht erfolgreich oder erfolgsversprechend, weil – wie vorliegend – die Arbeitgeberin nicht mehr besteht, kann sie die Forderung gegenüber denjenigen geltend machen, auf die sich die Haftung erstreckt, hier die Klägerin und ihren Ehemann als ehemalige Gesellschafter der GbR. Soweit es hierzu eines Haftungsbescheids bedarf, dient der Betriebsprüfungsbescheid als Grundlagenbescheid. Bei dem Verfahren zur Feststellung der Beitragsschuld handelt es sich daher um ein die Verjährung von Beitragsforderungen unterbrechendes „Beitragsverfahren“, bis zu dessen Abschluss auch die Verjährungsfrist für die Haftung der Gesellschafter gehemmt ist (BSG, Urteil vom 27.07.2011 – B 12 R 19/09 R –, SozR 4-2600 § 198 Nr. 1 zur Anwendbarkeit von § 52 SGB X auf Beitragsbescheide des Rentenversicherungsträgers; sowie auf Verwaltungsakte zur Feststellung und Durchsetzung von Beitragsansprüchen Becker in Hauck/Noftz, SGB X, § 52 Rn. 20 mwN, Stand Februar 2022; Wehrhahn in Kasseler Kommentar, SGB X, § 52 Rn. 8, Stand Dezember 2021; Verjährung von Beitragsansprüchen in Kern, Handbuch Betrieb und Personal, 279. Ergänzungslieferung, Oktober 2025).
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Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob auch die fünfjährige Verjährungsfrist erst mit dem Betriebsprüfungsbescheid beginnt oder sogar schon mit der Auflösung der Gesellschaft zum 30.06.2009. Denn jedenfalls ist mit der Bekanntgabe des Betriebsprüfungsbescheids vom 21.09.2011 innerhalb der danach noch laufenden Verjährungsfrist bis zur Aufhebung des Bescheids in der mündlichen Verhandlung am 11.08.2014 ein Hemmungstatbestand eingetreten. Die Hemmung der Verjährung bewirkt nach der Definition in § 209 BGB, dass der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, nicht in den Lauf der Verjährungsfrist mit einberechnet wird. Die Verjährungsfrist verlängert sich also „rechnerisch“ um den Zeitraum der Hemmung, indem dieser – taggenau – zu ermittelnde Zeitraum an den regulären Fristablauf „angehängt“ wird. Alternativ benennt § 52 Abs. 1 Satz 2 SGB X als Ende der Hemmung „sechs Monate nach der anderweitigen Erledigung“ des Verwaltungsakts, das war hier die Aufhebung in der mündlichen Verhandlung am 11.08.2014. Die Hemmung entfällt dabei nicht „rückwirkend“, sondern endet mit Wirkung ex nunc (BSG, Urteil vom 22.06.2022, a.a.O.), weswegen die Verjährungsfrist von fünf Jahren am 10.06.2016 in jedem Fall noch nicht abgelaufen war, und zwar unabhängig davon, auf welchen Tag für den Beginn der Verjährung abgestellt wird. Die rückwirkende Aufhebung des Betriebsprüfungsbescheids vom 21.09.2011 in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Landshut am 11.08.2014 ist für den Eintritt der Verjährungshemmung unschädlich.
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Für eine entsprechende Anwendung von § 231 Abs. 2 AO, wonach die Verjährungsunterbrechung u.a. voraussetzt, dass ein Zahlungsaufschub, eine Stundung, eine Aussetzung der Vollziehung oder ein Vollstreckungsaufschub gewährt worden ist (ähnlich auch § 205 BGB), besteht aufgrund der spezielleren und insoweit abschließenden Regelung in § 52 SGB X keine Veranlassung. Dass damit die Gesellschafter je nach Verfahrensdauer auch weitaus länger als fünf Jahren in Haftung genommen werden können, hat seine Ursache in der unmittelbaren und akzessorischen Haftung der Gesellschafter. Es handelt sich bei der Regelung in § 159 HGB ausdrücklich nicht um eine allgemein geltende Ausschlussfrist, sondere um eine Regelung der Verjährung, was bedeutet, dass auch die Verjährung hemmende oder unterbrechende Tatbestände nach Maßgabe der jeweils anzuwenden Verfahrensvorschriften, hier des SGB X zu beachten sind.
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Der Eintritt der Hemmung scheitert auch nicht daran, dass der Betriebsprüfungsbescheid vom 21.09.2011 nichtig im Sinne von § 40 SGB X gewesen wäre. Abgesehen von den in § 40 Abs. 2 SGB X geregelten Fällen, die hier nicht einschlägig sind, ist das nur der Fall, wenn der Verwaltungsakt an einem besonders schweren Fehler leidet, und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Dafür liegen keine Anhaltspunkte vor. Dass der Bescheid ausdrücklich an die Klägerin bzw. ihren Ehemann gerichtet war, weil die Beklagte wohl von einer originären Beitragsschuld der Klägerin und ihres Ehemannes und nicht von einer akzessorischen Verpflichtung als Gesellschafter der GbR ausgegangen ist, hatte zwar aus Sicht des Sozialgerichts Landshut die Rechtswidrigkeit und in der Folge die Aufhebung dieses Beitragsbescheids zur Folge, nicht aber dessen Nichtigkeit. Die Frage, ob der Betriebsprüfungsbescheid an die GbR oder an die Gesellschafter zu richten war, ist ebenfalls eine Frage der Rechtmäßigkeit des Bescheids und führt nicht zur fehlenden Bestimmtheit oder Nichtigkeit des Bescheides vom 21.09.2011 (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 – B 14 AS 153/10 R –, BSGE 108, 289-299, SozR 4-4200 § 38 Nr. 2, Rn. 32 – 37).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und folgt dem Ausgang des Verfahrens. Die Kosten sind danach insgesamt von der Klägerin zu tragen.
43
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht. Insbesondere schließt sich der Senat der aktuellen Rechtsprechung des BSG an.