Inhalt

LSG München, Urteil v. 15.12.2025 – L 20 KR 213/22
Titel:

Aufrechnung mittels Avis, Blutung als Abgrenzungskriterium, Krankenhausvergütung, Krankenversicherung, Marcumarisierter Patient, Pausieren der Marcumargabe zur Operation

Leitsatz:
Im Falle eines markumarisierten Patienten ist die hämorrhagischer Diathese iSd D68. nur dann als Nebendiagnose zu kodieren, wenn sich die vermehrte Blutungsneigung klinisch beispielsweise durch eine gestörte Blutstillung nach Punktionen und Verletzungen oder als spontan auftretende, nur schwer stillbare Blutung oder Hautblutungen äußert.
Schlagworte:
Aufrechnung mittels Avis, Blutung als Abgrenzungskriterium, Krankenhausvergütung, Krankenversicherung, Marcumarisierter Patient, Pausieren der Marcumargabe zur Operation
Vorinstanz:
SG Nürnberg, Urteil vom 17.03.2022 – S 7 KR 945/19
Fundstelle:
BeckRS 2025, 35269

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten hin, wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.03.2022 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung und hierbei insbesondere um die Frage, ob die Klägerin die Nebendiagnose D68.33 (Hämorrhagische Diathese durch Cumarine – Vitamin-K-Antagonisten) abrechnen durfte.
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Die Klägerin ist Trägerin eines zur Behandlung gesetzlich Versicherter zugelassenen Krankenhauses (§ 108 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB V –), in dem vom 13.04.2015 bis zum 20.04.2015 der bei der Beklagten Versicherte E (Versicherte) behandelt wurde.
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Für den stationären Aufenthalt berechnete die Klägerin der Beklagten nach Fallpauschale DKR F52A unter Zugrundelegung insbesondere der Nebendiagnose D68.33 insgesamt 7.811,06 € (Rechnung vom 28.04.2015).
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Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst, rechnete am 27.11.2015 jedoch nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) (Gutachten vom 27.07.2015) iHv 2.891,17 € mit unstreitigen Forderungen der Klägerin per Zahlungsavis aus anderen unstreitigen Behandlungen auf, da die Nebendiagnose D68.33 gemäß den Empfehlungen des SEG4, KDE 316, in Z92.1 (Dauertherapie – gegenwärtig – mit Antikoagulanzien in der Eigenanamnese) zu ändern sei.
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Am 09.12.2019 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, bei dem Versicherten handele es sich um einen marcumarisierten Patienten, wobei die Marcumargabe pausiert worden sei. Nach der Kodierbeschreibung D68.33 umfasse die hämorrhagische Diathese durch Cumarine auch die Blutungsneigung. Der Versicherte habe wegen der induzierten Cumarine an einer deutlich erhöhten Blutungsneigung gelitten. Bei der SEG4-Leitlinie handele es sich lediglich um eine Kodierempfehlung, welche nicht allgemeinverbindlich sei. Der spezielle Aufwand aufgrund der Marcumarisierung – die Gerinnungswerte hätten mehrfach kontrolliert werden und die Medikation angepasst, umgestellt und immer wieder kontrolliert werden müssen – werde durch die D68.33 beschrieben, während Z92.1 nur das erhöhte Risiko einer Krankenhausbehandlung wegen der Dauertherapie umfasse. Es habe keine Dauertherapie vorgelegen, da ein Wechsel von Marcumar auf Konakion – zur Durchführung der invasiven Diagnostik –, mit Einführung des Medikaments Clopidogrel, erfolgt sei.
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Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat zur Begründung ausgeführt, für Fälle ab einschließlich 2015 sei nach der KDE 316 im Konsens zwischen SEG4 und FoKA als Nebendiagnose Z92.1 (Dauertherapie – gegenwärtig – mit Antikoagulanzien in der Eigenanamnese) und nicht D68.33 zu kodieren. Aus der Gesamtschau beider Kodes und der Exklusiva folge bei einer Auslegung eng am Wortlaut, dass das entscheidende Abgrenzungskriterium das Auftreten bzw. Nichtauftreten einer Blutung sei. Hämorrhagische Diathese meine wörtlich zwar eine Blutungsneigung. Allerdings genüge eine asymptomatische Neigung, dh eine Blutungsneigung ohne Blutung, nicht, sie müsse sich auch durch eine konkrete Blutung zeigen. Wortlaut und Systematik seinen eindeutig. Würde eine abstrakte Blutungsneigung, die bei einer Therapie mit Cumarinen stets erhöht sei, ausreichen, könne Z92.1 nie kodiert werden. Auch das alphabetische Verzeichnis weise die Therapie mit entsprechenden Gerinnungshemmern der Z92.1 zu, solange es zu keiner Blutung komme. Bei dem Versicherten sei es nicht zu einer Blutung gekommen. Die Dauertherapie mit Cumarinen sei insoweit nur zur vorübergehenden Erhöhung der Gerinnungsneigung unterbrochen worden, worin der Aufwand liege, der sich über Z92.1 abbilde. Dies entspräche gängiger Kodierpraxis.
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Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 17.04.2022 verurteilt, an die Klägerin einen weiteren Betrag iHv 2.891,17 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.12.2015 zu zahlen und sich hierbei auf das im Verfahren von Amts wegen eingeholte Sachverständigengutachten des Facharztes für Innere Medizin, Hämatologie, Internistische Onkologie, Ernährungsmedizin, Sozialmedizin W (W) vom 24.08.2020 gestützt. Das ICD-10 differenziere deutlich zwischen einer Blutung und einer Blutungsneigung (Diathese). Beide Möglichkeiten würden alternativ bei dem hier strittigen Diagnoseschlüssel aufgeführt werden. Eine Dauertherapie mit Antikoagulanzien sei bei dem Versicherten nicht gegeben gewesen, da die Pausierung der Marcumargabe, die Umstellung auf Clexane und die nachfolgende Einführung einer dualen Plättchenhemmung eine Zäsur in der erfolgten Therapie dargestellt habe, so dass die bisher bei dem Versicherten erfolgte Dauertherapie unterbrochen worden sei.
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Dagegen hat die Beklagte Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ergänzend vorgetragen, da es sich bei der streitigen Frage um eine Rechtsfrage handele, sei die Einbeziehung des Sachverständigengutachtens prozessrechtlich verfehlt. In medizinischer Hinsicht stelle sich die Sachlage so dar, dass bei operativen Eingriffen das Marcumar in aller Regel pausiert werde, um das Blutungsrisiko unter der Operation besser zu steuern. Dies geschehe durch das präoperative Absetzen, die Gabe des „Gegenmittels“ Konakion unter Laborwertkontrolle und die gesteuerte Antikoagulation durch ein Heparin-Derivat. Nach der Operation werde das Marcumar dann wieder angesetzt. Es handele sich hierbei um ein standardisiertes medizinisches Vorgehen, das regelhaft bei Patienten angewendet werde, die Marcumar oder ein vergleichbares Phenprocoumon-Produkt (zB Falithrom) erhielten. Dieser Sachverhalt liege auch der KDE-316 zugrunde und habe sich auch im vorliegenden Fall so zugetragen. Zu beachten sei zudem, dass sich Wortlaut und Systematik der ICD-10-GM von der Fassung 2014 auf die Fassung 2015 in diesem Zusammenhang geändert hätten, indem die wechselseitigen Verweise durch die jeweiligen Exklusiva nach dem Abgrenzungskriterium der Blutung eingeführt worden seien. Der Argumentation der Klägerin, auch der Mehraufwand wegen des Absetzens des Cumarins, der Gabe des Gegenmittels Konakion, das Überbrücken mit einem Heparin und durch das Wiederansetzen des Cumarins begründe die Kodierung von D68.33, sei entgegengehalten, dass der Aufwand schon kein zulässiges Abgrenzungskriterium sei.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.03.2022 (S 7 KR 945/19) abzuweisen.
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Die Klägerin,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Die Einbeziehung eines Sachverständigengutachtens sei vorliegend nicht verfehlt, da es darum gehe, den Sachverhalt medizinisch zu würdigen und zu bewerten. Soweit die Beklagte sich auf die Kodierempfehlung KDE 316 und den darin geschilderten Konsens beziehe, werde übersehen, dass für die Regelung ab 2015 differenziert werde, zwischen der Blutungsneigung und der Dauertherapie ohne Blutung. Hierzu bestehe Konsens darüber, die hämorrhagische Diathesen im Sinne einer Blutungsneigung mit D68.33 zu verschlüsseln, was vorliegend klägerseits erfolgt sei sowie eine Marcumar-Therapie ohne Blutung mit Z92.1 zu verschlüsseln. Beides seien unterschiedliche Fallkonstellationen, die entsprechend zu differenzieren seien, sodass sich hieraus für den hier zu entscheidenden Fall nichts ableiten lasse, was gegen die dargestellte Auffassung der Klägerin spreche. Bei Patienten, die Marcumar dauerhaft einnähmen, also eine Dauertherapie mit Vitamin K Antagonisten vornähmen, sei zu unterscheiden zwischen Patienten, die operiert würden und solchen, die zwar eine Krankenhausbehandlung durchführen müssten, aber nicht operiert würden. Die Patienten, die nicht operiert werden müssten, stellten ihre Therapie nicht um und es ergebe sich kein weiterer Umstellungs- und Einstellungs- und Überwachungsaufwand. Diese Patienten führten ihre Dauertherapie mit den entsprechenden Messungen fort. Stelle sich in dieser Situation eine Blutung ein, komme die Verschlüsselung D68.33 zum Ansatz. Stelle sich in dieser Situation keine Blutung ein, käme die Verschlüsselung Z92.1 zum Ansatz. Bei den Patienten, die dauerhaft mit Cumarinen behandelt würden und die sich einer Operation unterziehen müssten, sei ein anderes Management notwendig. Bei diesen Patienten müsse Marcumar abgesetzt werden und durch andere Stoffe ersetzt werden. Hierzu sei ein besonderer Aufwand notwendig. Dieses Management orientiere sich daran, dass bei den Patienten aufgrund der Antikoagulation eine besondere Blutungsneigung bestehe, der durch ein besonderes Behandlungsmanagement entgegenzuwirken sei. Zu verschlüsseln sei hier die Situation, nach der keine Dauertherapie gegeben sei und keine Blutung vorliege, aber eine Blutungsneigung infolge der Gabe durch Cumarine. Die Abrechnungsvorschriften seien wortlautgetreu auszulegen. Der von der Beklagten erstmals im Berufungsverfahren übermittelte Zahlungsavis genüge nicht den Anforderungen des § 10 Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV). Es müsse bestritten werden, dass das Zahlungsavis vom 27.11.2015 der Klägerin vorlegen habe bzw. übermittelt worden sei. Zudem ergebe sich aus dem Avis nicht, mit welchen Forderungen genau verrechnet worden sei.
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Die Beteiligten haben jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte, die von der Klägerin vorgelegten Behandlungsunterlagen, sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
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1. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig und begründet. Die von der Klägerin im Gleichordnungsverhältnis erhobene (echte) Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG ist zulässig (stRspr.; vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2025 – B 1 KR 14/24 R – juris, Rn. 9 mwN), aber unbegründet. Der mit der Klage geltend gemachte – unstreitige – Vergütungsanspruch für die Behandlung eines anderen Versicherten der Beklagten ist durch Aufrechnung mit dem aus der Behandlung des Versicherten resultierenden Erstattungsanspruch erloschen. Der beklagten Krankenkasse stand ein Erstattungsanspruch in der geltend gemachten Höhe zu.
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Die Beklagte hatte gegenüber der Klägerin einen öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch in Höhe von 2.891,17 €. Für die Behandlung des Versicherten im Zeitraum vom 13.04.2015 bis zum 20.04.2015 stand der Klägerin lediglich ein durchsetzbarer Vergütungsanspruch von 4.919,89 € zu, der sich aus der DRG F52B ergibt. Die höher bewertete DRG F52A, die zu einer Vergütung von 7.811,06 € geführt hätte, konnte sie gegenüber der Beklagten nicht wirksam geltend machen. Da die Beklagte zur Begleichung der Behandlungskosten bereits den Gesamtbetrag von 7.811,06 € an die Klägerin gezahlt hatte, ergab sich ein Erstattungsanspruch in Höhe der Differenz. Mit diesem Anspruch hat die Beklagte wirksam aufgerechnet und damit die unstreitige weitere Vergütungsforderung zum Erlöschen gebracht (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V iVm § 389 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB –).
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2. Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann (§ 387 BGB). Der Vergütungsanspruch der Klägerin und der von der Beklagten geltend gemachte öffentlichrechtliche Erstattungsanspruch erfüllten die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit und der Gleichartigkeit. Der öffentlichrechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten war auch – seine Existenz unterstellt – fällig und der Vergütungsanspruch der Klägerin erfüllbar (vgl. zu alledem zB BSG, Urteil vom 25.10.2016 – B 1 KR 9/16 R – juris, Rn. 10).
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Die Beklagte hat die Aufrechnung auch wirksam erklärt. Die Aufrechnung stellt eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung dar und erfolgt gemäß § 388 Satz 1 BGB durch – nicht zwingend ausdrücklichen – Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Voraussetzung ist, dass sowohl die Hauptforderung (Passivforderung) als auch die Gegenforderung (Aktivforderung) – notfalls im Wege der Auslegung nach § 133 BGB – hinreichend bestimmt bezeichnet werden. Maßgeblich für die Auslegung ist dabei stets der objektive Empfängerhorizont (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.2016 – B 1 KR 9/16 R – juris, Rn. 29 mwN).
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Die Aufrechnung ist insbesondere hinreichend bestimmt. Denn der Anlage zum Schreiben der Beklagten vom 27.11.2015, dem Zahlungsavis, ist zu entnehmen, dass die Beklagte mehrerer Rechnungen – namentlich Fallnummern 15092687, 15082138, 15099548, 15098716 – zusammengefasst hat und die für den Versicherten bereits gezahlte Vergütung iHv 7.811,06 € unter der Fallnummer 15032348 abgezogen und gleichzeitig unter derselben Fallnummer einen Betrag iHv 4.919,89 € gutgeschrieben hat. Die Fallnummer 15032348 ist eindeutig dem Versicherten zuordenbar, da dieselbe Fallnummer der Klägerin bereits ua im Rahmen der Prüfanzeige vom 27.07.2015 und im Schreiben vom 15.09.2015 (in diesem wurde von der Beklagten nach Eingang der Stellungnahme mitgeteilt, man halte an dem Begutachtungsergebnis fest) mit zusätzlicher Namensbezeichnung des Versicherten mitgeteilt worden ist. Damit hat die Beklagte mit ihrer Erklärung nach dem objektiven Empfängerhorizont für einen verständigen Adressaten in der Situation der Klägerin unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie den Vergütungsanspruch der Klägerin für die unstreitigen Behandlungsfälle Nrn. 15092687, 15082138, 15099548, 15098716 durch Aufrechnung mit einem öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch wegen überzahlter Vergütung für die Behandlung des Versicherten iHv von 2.891,17 € erfüllen will (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.2016 – B 1 KR 9/16 R – juris, Rn. 30). Dass die Klägerin dies auch so verstanden hat, geht bereits aus ihrer Klagebegründung vom 06.12.2019 hervor.
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3. Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerin die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung erfüllt, indem sie den Versicherten vom 13.04.2015 bis zum 20.04.2015 in ihrem Krankenhaus stationär behandelte. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – abgesehen von einem Notfall – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iSv § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (stRspr.; vgl. zB BSG, Urteil vom 12.06.2025 – B 1 KR 14/24 R – juris, Rn. 9 mwN) Diese Voraussetzungen waren erfüllt. Dies ist im Übrigen auch zwischen den Beteiligten unstreitig.
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Aus dieser Behandlung resultierte ein Anspruch der Klägerin iHv 4.919,89 €, also auf 2.891,17 € weniger als sie gegenüber der Beklagten abgerechnet hatte. Zu Recht sind die Beteiligten darüber einig, dass der Anspruch auf die um 2.891,17 € höhere Vergütung voraussetzt, dass die DRG F52A abzurechnen gewesen wäre. Die Voraussetzungen dieser DRG lagen jedoch nicht vor.
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Die Vergütung nach Fallpauschalen und deren Höhe ergibt sich für die Behandlung des Versicherten im Jahr 2015 bei DRG-Krankenhäusern, wie jenem der Klägerin, nach § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V iVm § 7 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG). Das Gesetz regelt in diesen Vorschriften die Höhe der Vergütung der zugelassenen Krankenhäuser bei stationärer Behandlung gesetzlich Krankenversicherter und setzt das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht, erforderliche Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V zu gewähren (§ 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V), dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus. Der Anspruch wird durch Vereinbarungen auf Bundes- und Landesebene konkretisiert (BSG, Urteil vom 12.06.2025 – B 1 KR 14/24 R – juris, Rn. 9 mwN).
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Im vorliegenden Fall sind insbesondere die Fallpauschalenvereinbarung 2015 und die DKR 2015 maßgebend. Die DRG F52A wird hier nur dann im Groupierungsvorgang (vgl. BSG, Urteil vom 21.04.2015 – B 1 KR 8/15 R – juris, Rn. 16) angesteuert, wenn die Nebendiagnose „Hämorrhagische Diathese durch Cumarine (Vitamin-K-Antagonisten)“ (D68.33) zu kodieren ist. Dies war vorliegend nicht der Fall. Aus diesem Grund scheidet auch der noch streitige Zinsanspruch (ab dem 01.12.2015) aus.
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Abrechnungsbestimmungen sind wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und allenfalls unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (stRspr; vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – juris, 27; BSG, Urteil vom 16.07.2020 – B 1 KR 16/19 R – juris, Rn. 17, jeweils mwN). Sie dürfen nicht analog angewandt werden (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2024 – B 1 KR 41/22 R – juris, Rn. 12 mwN). Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt (stRspr; vgl. zB BSG, Urteil vom 12.06.2025 – B 1 KR 14/24 R – juris, Rn. 14, mwN). Da das DRGbasierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs. 2 Satz 1 KHG) und damit als „lernendes“ System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2011, aaO mwN; BSG, Urteil vom 13.11.2012 – B 1 KR 14/12 R – juris, Rn. 12 ff mwN). Dies schließt eine teleologische Auslegung nach allgemeinen Regelungszweck- oder Billigkeitsüberlegungen von vornherein aus (BSG, Urteil vom 12.06.2025, aaO). Bei der konkreten Auslegung der DKR und Abrechnungsbestimmungen handelt es sich um eine rechtliche Prüfung (BSG, Beschluss vom 10.30.2016 – B 1 KR 97/15 B – juris, Rn. 8).
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Im vorliegenden Fall ist nach Maßgabe des dargestellten Regelungssystems die Nebendiagnose D68.33 nicht zu kodieren.
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Die Diagnose D68.33 – im Kapitel III Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems (D50 – D90) – ist 2015 wie folgt definiert: Hämorrhagische Diathese durch Cumarine (Vitamin-K-Antagonisten); Inkl.: Blutung bei Dauertherapie mit Cumarinen (Vitamin-K-Antagonisten); Exkl.: Dauertherapie mit Cumarinen ohne Blutung (Z92.1). Die Diagnose Z92.1 – im Abschnitt Personen mit potentiellen Gesundheitsrisiken aufgrund der Familien- oder Eigenanamnese und bestimmte Zustände, die den Gesundheitszustand beeinflussen – ist definiert als Dauertherapie (gegenwärtig) mit Antikoagulanzien in der Eigenanamnese exkl. Blutung bei Dauertherapie mit Antikoagulanzien (D68.3-).
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Unter hämorrhagischer Diathese versteht sich eine vermehrte Blutungsneigung, die sich klinisch beispielsweise durch eine gestörte Blutstillung nach Punktionen und Verletzungen oder als spontan auftretende, nur schwer stillbare Blutung oder Hautblutungen äußert (Pschyrembel, 265. Auflage, 2023, S. 393). Bereits nach dieser Definition bedarf es für die Anwendung des Codes D68.3. demnach einer Blutung (so auch im Ergebnis LSG Hessen, Urteil vom 21.08.2014 – L 8 KR 128//13 – juris, Rn. 26). Die spiegelbildlichen Exklusiva in den Diagnosen D68.33 – D68.35 und Z92.1 bestätigen dies (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2023 – B 1 KR 1/23 R – juris, Rn. 20), da demnach das Vorliegen einer Blutung bzw. das Nichtvorliegen einer solchen für die Einordnung in den richtigen Diagnoseschlüssel das maßgebliche Kriterium darstellt. Ferner bestätigen die Bezeichnungen im alphabetischen Verzeichnis, welche als Beispiele für den Inhalt der Kategorie und als Hinweis auf deren Umfang und Abgrenzung dienen (vgl. BSG, aaO, Rn. 19), das Abgrenzungskriterium Blutung. Blutung bei Dauertherapie mit Cumarinen wird der Diagnose D68.33 zugordnet (S. 125) während die Dauertherapie mit Antikoagulanzien ohne Blutung wie auch die Dauertherapie mit Cumarinen ohne Blutung (S. 162) sowie die Marcumartherapie (S. 518) der Diagnose Z92.1 zugeschrieben werden. Damit einhergehend lautet die Kodierempfehlung KDE-316 der Sozialmedizinischen Expertengruppe „Vergütung und Abrechnung“ der Medizinischen Dienste <SEG 4>, abrufbar unter https:// https://foka.medizincontroller.de/index.php/KDE-316, zuletzt aktualisiert am 27.10.2016), auf die Frage, welche Nebendiagnose zu kodieren ist, wenn präoperativ bei einem aktkoagulierten Patienten das Marcumar abgesetzt und aufgrund des erniedrigten Quickwertes (INR) Konakion gegeben wird, dass für Fälle ab 2015 als Nebendiagnose beim Vorliegen einer hämorrhagischen Diathese durch Cumarine D68.33 zu kodieren ist; sofern keine Blutung unter der Marcumartherapie aufgetreten ist, ist hingegen der Kode Z92.1, hierzu wird auf das Exklusivum verwiesen, zu verschlüsseln.
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Nach alledem war die Nebendiagnose Z92.1 zu kodieren. Die stationäre Aufnahme des Versicherten erfolgte wegen einer dekompensierten Herzinsuffizienz im Rahmen einer Herzrhythmusstörung bei Vorhofflimmern verbunden mit Thoraxdruckgefühl. Der Versicherte war bei bekannter absoluter Arrhythmie marcumarisiert. Zur invasiven Diagnostik (Koronarangiographie) wurde die Marcumartherapie pausiert. Marcumar wurde am 20.04.2015 mit drei Tabletten wieder begonnen. Die beiden Folgetage sollten zwei und dann eine Tablette eingenommen werden. Ziel-INR war 2-3. Überlappend sollte Enoxaparin 0,8 ml bis der INR effektiv sei, eingenommen werden. Die weitere Einstellung erfolgte ambulant. Zudem wurde Clopidogrel für ein Jahr verordnet (Abschlussbericht der Klägerin vom 20.04.2015). Ein Blutungsereignis ist im stationären Verlauf nicht dokumentiert. Allein das Herabsetzen der Blutgerinnung durch die (vorstationäre) Gabe von Cumarinen reicht nicht aus, um eine Blutungsneigung iSd ICD-Code D68.33 zu kodieren. Die Klägerin konnte mithin lediglich den Code Z92.1 kodierten. Insbesondere lag dabei auch eine Dauertherapie mit Antikoagulanzien in Form von Marcumar vor, wenngleich die Gabe von Marcumar während des stationären Aufenthaltes zwischenzeitlich pausiert worden ist. Denn die Marcumargabe war zur Durchführung der Koronarangiographie notwendig und wurde danach umgehend fortgesetzt. Eine Beendigung der Dauertherapie ist in diesem Vorgang, der kurzfristigen Unterbrechung zur Durchführung medizinsicher Maßnahmen mit anschließender Wiederaufnahme der vorherigen Therapie, gerade nicht zu sehen.
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Dem Ergebnis steht auch das vom SG eingeholte Sachverständigengutachten des W vom 24.08.2020 nicht entgegen. Denn der medizinische Sachverhalt ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Ausschlaggebend ist vielmehr die Klärung einer Rechtsfrage, nämlich die Auslegung der maßgeblichen Vergütungsregelungen. Die Entscheidung über Rechtsfragen obliegt jedoch nicht dem Sachverständigen, sondern dem Gericht (vgl. BSG, Beschluss vom 10.03.2016 – B 1 KR 97/15 B – juris Rn. 8; Sächsisches LSG, Urteil vom 08.09.2015 – L 1 KR 45/12 – juris Rn. 16). Die hier streitige Frage der korrekten Kodierung erforderte ausschließlich die Anwendung und Auslegung der ICD-10 und der DKR (jeweils Version 2015) durch das Gericht nach den allgemeinen juristischen Auslegungsmethoden. Das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten des W ist daher lediglich insoweit relevant, als es dem Gericht einen Einblick in das in der medizinischen Praxis und Wissenschaft bestehende (uneinheitliche) Kodierverständnis vermitteln (LSG Sachsen, Urteil vom 08.09.2015 – L 1 KR 45/12 – juris, Rn. 16).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder Klägerin noch Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.
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5. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.