Titel:
Aufhebung eines Bußgeldurteils wegen fehlender richterlicher Unterschrift trotz deren Nachholung
Normenketten:
OWiG § 71 Abs. 1
OWiG § 79
StPO § 37
StPO § 80a
StPO § 41
StPO § 267
StPO § 275 Abs. 1
StPO § 275 Abs. 2
StPO § 337
StPO § 353
StVG § 25 Abs. 2a
Leitsätze:
1. Das Fehlen der Unterschrift des Richters bei einem Bußgeldurteil ist dem völligen Fehlen der Urteilsgründe gleichzustellen und führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.
2. Die fehlende Unterschrift kann trotz unwirksamer Zustellung an den Verteidiger nicht nachgeholt werden, wenn das Urteil aus dem inneren Bereich des Gerichts hinausgegeben wurde.
3. Ein Verstoß gegen § 275 Abs. 2 StPO hindert die Wirksamkeit der Zustellung jedenfalls dann nicht, wenn dem Empfänger eine mit der Urschrift des Urteils übereinstimmende Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift zugestellt worden ist.
Schlagworte:
Akten, Aufhebung, Beglaubigte Abschrift, Bußgeldbescheid, Fehlende Urteilsgründe, Hinausgabe, Innerer Bereich, Kenntnis, Nachholung, ohne Gründe, Prüfungsgrundlage, Rechtsbeschwerde, Richter, Sachrüge, Schriftliches Urteil, Staatsanwaltschaft, Unterschrift, Unterschriftsleistung, Unvollständigkeit, Urschrift, Urteilsabsetzungsfrist, Urteilsentwurf, Urteilsergänzung, Urteilsgründe, Verfahrensrüge, Verteidiger, Wirksamkeit, Zustellung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 34691
Tenor
I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 11.03.2025 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
1
Mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt vom 11.11.2024 wurde gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h eine Geldbuße in Höhe von 260 Euro sowie ein – mit der Vollstreckungserleichterung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenes – Fahrverbot für die Dauer von einem Monat festgesetzt.
2
Das Amtsgericht hat den in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen mit Urteil vom 11.03.2025 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 260 Euro verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG verhängt.
3
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 12.03.2025, eingegangen am 13.03.2025, legte der Betroffene Rechtsbeschwerde gegen dieses Urteil ein. Mit richterlicher Verfügung vom 10.04.2025 wurde die Zustellung des schriftlichen Urteils an den Verteidiger und der Akte mit dem schriftlichen Urteil gemäß § 41 StPO an die Staatsanwaltschaft angeordnet, das Urteil war zu diesem Zeitpunkt nicht unterschrieben. Auf der an den Verteidiger am 10.04.2025 zugestellten beglaubigten Abschrift des Urteils war die Unterzeichnung durch die zuständige Richterin (fehlerhaft) vermerkt worden. Der Staatsanwaltschaft wurde die Akte am 11.04.2025 zugestellt.
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Nach Begründung der Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, wurde das Urteil am 14.07.2025 von der Richterin unterschrieben und aufgrund richterlicher Verfügung vom 16.07.2025 dem Verteidiger am 17.07.2025 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 11.08.2025, eingegangen am 12.08.2025, begründete der Verteidiger die Rechtsbeschwerde erneut mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts vom 11.03.2025 mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
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Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 2 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat – zumindest vorläufig – Erfolg.
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1. Das angefochtene Urteil hält materiell-rechtlicher Überprüfung nicht stand, da es bereits an der notwendigen Prüfungsgrundlage fehlt; dies zwingt den Senat zur Aufhebung des Urteils.
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Gegenstand der Überprüfung eines Urteils durch das Rechtsbeschwerdegericht in sachlich-rechtlicher Hinsicht sind allein die schriftlichen Entscheidungsgründe, wie sie sich aus der gemäß § 275 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG mit der Unterschrift des Richters zu den Akten gebrachten Urteilsurkunde ergeben (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 30.04.2018 – 3 Ss OWi 602/18; KK/Gericke StPO 9. Aufl. § 337 Rn. 27; Schmitt/Köhler StPO 68. Aufl. § 337 Rn. 22). Das Fehlen jedweder richterlichen Unterschrift wie hier ist dem völligen Fehlen der Urteilsgründe gleichzustellen (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 18.12.2015 – 1 Ss 318/14; OLG Hamm, Beschluss vom 29.04.2008 – 4 Ss 90/08; BGH, Beschluss vom 21.11.2000 – 4 StR 354/00) und führt bereits auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils (vgl. OLG Bamberg a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.; OLG Köln a.a.O.; KK/Greger a.a.O. § 275 Rn. 68; Schmitt/Köhler a.a.O. § 275 Rn. 28). Lediglich dann, wenn eine von mehreren richterlichen Unterschriften unter den schriftlichen Entscheidungsgründen fehlt, bedarf es einer Verfahrensrüge. Bei einem vollständigen Fehlen der Unterschrift liegt nur ein Begründungsentwurf vor, dessen Unvollständigkeit sich wie beim völligen Fehlen von Urteilsgründen allein aus der Urteilsurkunde ergibt (BGH, Beschluss vom 14.02.2024 – 4 StR 232/23 m.w.N.).
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So liegt der Fall hier. Das angefochtene Urteil wies zum Zeitpunkt der ersten Zustellung an den Verteidiger und die Staatsanwaltschaft und damit beim Verlassen des inneren Bereichs des Gerichts keine handschriftliche Unterzeichnung mit dem Namenszug eines Richters auf.
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Der Mangel der fehlenden Unterschrift wird auch nicht durch die spätere Unterschrift ausgeglichen. Nach Ablauf der in § 275 Abs. 1 StPO bestimmten Frist können weder die Unterschrift der Richterin noch ein Verhinderungsvermerk nachgeholt werden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19.10.1982 – RReg. 1 St 245/82; OLG München, Beschluss vom 26.06.2018 – 5 OLG 15 Ss 89/18; MüKo/Valerius StPO 2. Aufl. § 275 Rn. 14; Schmitt/Köhler a.a.O. § 275 Rn. 6), auch nicht, wenn lediglich die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
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2. Die erste Zustellung an den Verteidiger am 10.04.2025 war zwar unwirksam, dies ermöglicht jedoch nicht die Nachholung der Unterschriftsleistung.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 11.09.2025 insoweit Folgendes ausgeführt:
„Der Umstand, dass dem Verteidiger bei der ersten Zustellung offensichtlich eine Urteilsabschrift mit der Unterschrift der Richterin übermittelt wurde, die dem Original nicht entsprochen hat, mit der Folge, dass diese Zustellung unwirksam war (vgl. nur BGHSt 46, 204, 205), führt – anders als die Staatsanwaltschaft angenommen hat – nicht zur Nachholbarkeit der Unterschriftsleistung.
Denn eine Hinausgabe aus dem inneren Bereich des Gerichts, die die Ergänzung der Urteilsgründe „sperrt“, liegt auch im Fall einer unwirksamen Zustellung vor. Es genügt, wenn das Urteil, selbst ohne eine entsprechende richterliche Anordnung, zur Post gegeben oder einer anderen Stelle oder gerichtsfremden Person zur Kenntnis gebracht worden ist (st. Rspr.; vgl. nur BayObLG, Beschluss vom 06.07.1981 – 3 Ob OWi 108/81 = BayObLGSt 1981, 84; KG, Beschluss vom 15.09.2022 – (3) 121 Ss 118/22 (52/22)). Anders läge es nur dann, wenn das Gericht trotz rechtzeitiger Einlegung des Rechtsmittels nach Aktenlage von der Anwendbarkeit des § 267 Absatz 4 Satz 1 StPO, also von der Rechtskraft des Urteils ausgehen durfte und es deswegen ein Urteil ohne Gründe hinausgegeben hat (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15.05.2024 – 3 StR 450/23). Eine solche Konstellation ist hier nicht gegeben. Hinzu kommt, dass in dem vorliegenden Fall die im selben Zeitraum durch Vorlage der Urschrift des Urteils gemäß § 41 StPO bewirkte Zustellung an die Staatsanwaltschaft für sich genommen auch wirksam war, weil das Fehlen der Unterschrift aus dem zugestellten Original zu ersehen war. Zudem war im Zeitpunkt der Unterschriftsleistung auch die Absetzungsfrist abgelaufen, was die Ergänzung des Urteils zusätzlich verbietet.“
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Dem tritt der Senat bei. Das Amtsgericht war nicht befugt, das nicht unterschriebene Urteil vom 11.03.2025 nach Hinausgabe an den Verteidiger und der am 11.04.2025 erfolgten Zustellung an die Staatsanwaltschaft abzuändern. Die Zustellung an die Staatsanwaltschaft war trotz Fehlens der Unterschrift wirksam. Ein Verstoß gegen § 275 Abs. 2 StPO hindert die Wirksamkeit der Zustellung jedenfalls dann nicht, wenn dem Empfänger eine mit der Urschrift des Urteils übereinstimmende Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift zugestellt worden ist (vgl. Schmitt/Köhler a.a.O. § 37 Rn. 2); insoweit besteht kein Unterschied zu den Folgen anderer Auslassungen im schriftlichen Urteil (BGH, Beschluss vom 21.11.2000 – 4 StR 354/00 m.w.N.). In derartigen Fällen handelt es sich nämlich nicht um einen Mangel der Zustellung, sondern um einen Fehler des Urteils selbst; ein solcher kann die Rechtswirksamkeit der Zustellung nicht berühren.
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Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangels muss das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufgehoben werden (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen werden (§ 79 Abs. 6 OWiG).
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Die Entscheidung ergeht durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.
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Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet die Einzelrichterin.