Titel:
Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde bei Abwesenheit des Betroffenen und Anwesenheit eines Verteidigers ohne Vertretungsvollmacht
Normenketten:
OWiG § 46 Abs. 1
OWiG § 73 Abs. 3
OWiG § 79 Abs. 4
OWiG § 80 Abs. 1
OWiG § 80 Abs. 3
OWiG § 80 Abs. 4
StPO § 44 S. 1
StPO § 45 Abs. 2
StPO § 341 Abs. 2
StPO § 345
StPO § 349 Abs. 1
StPO § 473 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Ist der Betroffene in der Hauptverhandlung nicht anwesend, beginnt bei einem in seiner Abwesenheit verkündeten Urteil die Frist zur Anbringung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nur dann bereits mit der Verkündung des Urteils zu laufen, wenn der Betroffene bei der Urteilsverkündung von einem nach § 73 Abs. 3 OWiG mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden ist. Das gilt auch dann, wenn der Betroffene vom persönlichen Erscheinen entbunden war.
2. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung ist unzulässig, wenn die Frist zur Einlegung des statthaften Antrags zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht versäumt war.
Schlagworte:
Abwesenheitsverhandlung, Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, Begründung, Einlegung, Frist, Fristbeginn, Nachweis, prophylaktisch, Unzulässigkeit, Verkündung, Versäumung, Verteidiger, Vertretung, Vertretungsvollmacht, Wiedereinsetzung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 34690
Tenor
I. Der Antrag des Betroffenen vom 04.06.2025 auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 23.05.2025 wird als unzulässig verworfen.
II. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das vorgenannte Urteil wird als unzulässig verworfen.
III. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
1
Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen aufgrund der Hauptverhandlung vom 23.05.2025 wegen der fahrlässigen Ordnungswidrigkeit, an Straßenkreuzungen mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren zu sein und dabei nicht die rechte Fahrbahnseite benutzt zu haben, zu einer Geldbuße von 110 Euro. In der Hauptverhandlung am 23.05.2025 wurde der Betroffene von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden, die anwesende Verteidigerin verfügte nicht über eine nachgewiesene Vertretungsvollmacht.
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Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 04.06.2025, beim Amtsgericht eingegangen am selben Tag, legte der Betroffene gegen das vorgenannte Urteil Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Fristversäumnis zur Stellung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Kanzleiverschuldens. Zugleich wurde eine undatierte (Vertretungs-)Vollmacht vorgelegt.
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Das vollständige Urteil wurde der Verteidigerin am 20.06.2025 auf elektronischem Weg zugestellt. Eine Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgte nicht.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 04.09.2025 beantragt, dem Betroffenen auf seine Kosten Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu gewähren. Auf Hinweis des Senats, dass hinsichtlich der Einlegungsfrist möglicherweise keine Frist versäumt worden, der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde aber mangels Begründung unzulässig sein könnte, hat sich der Betroffene nicht geäußert.
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Der nach § 80 Abs. 1 OWiG statthafte und Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unzulässig, § 349 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, ebenso der Wiedereinsetzungsantrag.
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1. Der Antrag vom 04.06.2025 auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Frist zur Einlegung des statthaften Antrags zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht versäumt war.
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Der Betroffene war in der Hauptverhandlung nicht anwesend. Wie sich aus § 79 Abs. 4 letzter Halbsatz i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG ergibt, beginnt bei einem in Abwesenheit des Betroffenen verkündeten Urteil die Frist zur Anbringung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nur dann bereits mit der Verkündung des Urteils zu laufen, wenn der Betroffene bei der Urteilsverkündung von einem nach § 73 Abs. 3 OWiG mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden ist. Zu Beginn der Hauptverhandlung muss der Nachweis einer Vertretungsvollmacht bei Gericht vorliegen (vgl. KK/Senge/Ellbogen OWiG 6. Aufl. § 73 Rn. 41 m.w.N.). Aus ihr muss sich ergeben, dass der Verteidiger berechtigt ist, den Betroffenen in der Hauptverhandlung zu vertreten (BayObLG, Urt. v. 01.02.1956 – RReg. 1 St 508/55). Denn es soll gewährleistet sein, dass die Vertretung des Betroffenen seinem explizit erklärten Willen entspricht und dies dem Gericht auch aus Gründen der Rechtssicherheit nachgewiesen wird. Eine derartige Vollmacht ist hier jedoch erst am 04.06.2025 zu den Akten gelangt. Damit begann die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde erst mit der wirksamen Zustellung des Urteils, also am 20.06.2025, § 79 Abs. 4 OWiG i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG. Für die wirksame Zustellung des Urteils ist es ohne Bedeutung, dass sich zum Zeitpunkt der Zustellung eine Verteidigervollmacht nicht bei den Akten befand. Denn jedenfalls hat die Verteidigerin mit der Bestätigung im Empfangsbekenntnis, zur Entgegennahme legitimiert zu sein, den Nachweis einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht und damit der Empfangsberechtigung erbracht (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.02.2017 – 2 (6) SsRs 723/16-AK 261/16). Die Einlegungsfrist lief nach § 341 Abs. 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG bis einschließlich 27.06.2025. Der am 04.06.2025 eingegangene Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde war daher fristgerecht.
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Ein Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig, wenn, wie hier, keine Frist versäumt war (BGH, Beschluss vom 12.01.2022 – 3 StR 424/21; Beschluss vom 12.03.2024 – StB 16/24). Ein Wiedereinsetzungsantrag kann auch nicht prophylaktisch für den Fall der Versäumung einer erst in der Zukunft ablaufenden Frist gestellt werden, wie sich aus der Formulierung des § 44 Satz 1 StPO ergibt. Dies entspricht auch dem Sinn der gesetzlichen Regelung, weil die Beurteilung der Frage, ob jemand ohne Verschulden verhindert war eine Frist einzuhalten, nur aufgrund eines abgeschlossenen Sachverhalts erfolgen kann und nicht aufgrund von in der Zukunft liegenden und deshalb naturgemäß ungewissen Umständen.
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2. Eine formgerechte Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde – entweder zu Protokoll der Geschäftsstelle oder mittels einer vom Verteidiger oder von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift (§ 345 Abs. 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG) – ist weder innerhalb der Begründungsfrist (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG), die sich an die Frist zur Anbringung des Zulassungsantrags anschloss, noch in der Folgezeit beim Amtsgericht eingegangen.
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Auch das Vorbringen im Schriftsatz der Verteidigung vom 04.06.2025 zur Wiedereinsetzung stellt keine auslegungsfähige Rechtsbeschwerdebegründung dar. Es ist nicht erkennbar, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer materiellen Rechtsnorm angegriffen wird. Zudem wird im Schriftsatz ausgeführt, dass die Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mittels gesondertem Schriftsatz erfolgen soll. Ein derartiger Schriftsatz liegt nicht vor.
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Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde erweist sich deshalb als unzulässig.
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Die Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde nicht beantragt, lediglich die Wiedereinsetzung hinsichtlich der Einlegungsfrist. Ein prophylaktischer Antrag ist nicht möglich (s.o.). Für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen ist schon deshalb kein Raum, da eine formgerechte Begründung des Zulassungsantrags nach wie vor nicht vorliegt, § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
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Die Unzulässigkeit des Zulassungsantrags führt zur Verwerfung des Rechtsmittels, ohne dass das Urteil in der Sache einer Überprüfung unterzogen werden kann.
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Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird daher nach § 80 Abs. 4 Sätze 1 und 3 OWiG verworfen. Damit gilt die Rechtsbeschwerde als zurückgenommen (§ 80 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 4 Satz 4 OWiG).
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Die Entscheidung über die Kosten des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
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Die Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrages erfolgt ohne gesonderte Kostenentscheidung (Schmitt/Köhler StPO 68. Aufl. § 473 Rn. 38).