Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 21.08.2025 – 201 ObOWi 595/25
Titel:

Verstoß gegen tierschutzrechtliche Anordnungen

Normenketten:
GG Art. 103 Abs. 2
BayVwVfG Art. 37
BayVwVfG Art. 43
OWiG § 20
OWiG § 79
StPO § 267
StPO § 353
TierSchG § 2
TierSchG § 16a Abs. 1 S. 1
TierSchG § 16a Abs. 1 S. 2
TierSchG § 18 Abs. 1 Nr. 20a
Leitsätze:
1. Beim Vorwurf eines Verstoßes gegen eine vollziehbare Anordnung nach § 18 Abs. 1 Nr. 20a TierSchG haben die Urteilsgründe im Falle einer Anordnung auf Grundlage des § 16a Abs. 1 TierSchG Feststellungen zu der Frage zu enthalten, ob die Anordnung auf Basis der §§ 2, 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG oder auf Basis des (nicht bußgeldbewerten) § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG ergangen ist.
2. Die Nichtbefolgung einer in einer Anordnung nach § 16a Abs. 1 Satz 2 TierSchG enthaltenen Handlungspflicht stellt sich als ein Unterlassen in Form eines Dauerdelikts dar, das seinen Abschluss erst mit der Erfüllung der Anordnung oder durch den Erlass eines Urteils der Tatsacheninstanz bzw. den Eintritt der Rechtskraft des Bußgeldbescheides findet.
Schlagworte:
Anordnung, Bekanntgabe, Bestandskraft, Bestimmtheitsgebot, Blankettnorm, Darstellungsmangel, Dauerdelikt, einheitliche Tat, einheitlicher Tatentschluss, Einlassung, Einzelanordnung, Haltungsbedingungen, Kenntnis, Nachschau, natürliche Handlungseinheit, Pferd, Rechtsbeschwerde, Rechtsgrundlage, selbständige Handlungspflichten, sofortige Vollziehbarkeit, Tatmehrheit, Tier, Tierschutz, Überzeugungsbildung, Unterlassungsdelikt, Urteilsgründe, Verwaltungsakt, Verwaltungsbehörde, Wertung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 34689

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 19.02.2025 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.
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Das Amtsgericht hat die Betroffene mit Urteil vom 19.02.2025 wegen vier vorsätzlicher Verstöße gegen vollziehbare Anordnungen nach dem TierSchG (§ 18 Abs. 1 Nr. 20a TierSchG) schuldig gesprochen. Es hat festgestellt, dass die zuständige Verwaltungsbehörde am 08.12.2023 eine sofort vollziehbare und „zwischenzeitlich bestandskräftig“ gewordene tierschutzrechtliche Anordnung gegen die Betroffene, eine Pferdehalterin, erlassen hat, in der diese verpflichtet wurde, vier im Einzelnen geschilderte jeweils selbstständige Maßnahmen (Trennung des Hengstes von den Stuten; Schaffung einer trockenen Liegefläche für die Tiere; Entfernung gefährlicher Gegenstände im Aufenthaltsbereich der Tiere; Schaffung nicht morastiger Aufenthaltsflächen für die Tiere) zu ergreifen, um den gehaltenen Pferden tierschutzgerechte Haltungsbedingungen zu ermöglichen. Bei mehreren Kontrollen am 09.01., 12.01., 09.02. und 22.02.2024 wurde festgestellt, dass diese Anordnungen nicht eingehalten wurden. Das Amtsgericht hat deshalb gegen die Betroffene für die Verstöße wegen der beiden ersten Kontrollen jeweils Geldbußen von 300 Euro und wegen der Verstöße bei den weiteren beiden Kontrollen jeweils von 600 Euro verhängt.
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Mit ihrer hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügt die Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.
II.
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Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist begründet. Die erhobene Sachrüge hat zumindest vorläufig Erfolg.
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1. Die Urteilsfeststellungen tragen bereits in objektiver Hinsicht nicht die Verurteilung der Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 18 Abs. 1 Nr. 20a TierSchG, da sich ihnen nicht entnehmen lässt, ob die behördliche Anordnung vom 08.12.2023 auf Basis der §§ 2, 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG oder auf Basis des (nicht bußgeldbewerten) § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG ergangen ist.
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Die Generalstaatsanwaltschaft München führt in ihrer Stellungnahme vom 23.07.2025 hierzu zutreffend folgendes aus:
„Nach § 18 Abs. 1 Nr. 20a TierSchG handelt ordnungswidrig, wer einer vollziehbaren Anordnung nach § 11 Abs. 5 Satz 6 oder § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 3 oder Nr. 4 oder Abs. 2 oder 3 TierSchG zuwiderhandelt. Ob die den Urteilsgründen zu entnehmenden behördlichen Anordnungen – in einer für die Betroffene erkennbaren Weise – auf Grundlage einer in dem Bußgeldtatbestand genannten Vorschriften erlassen wurden, ergibt sich, auch wenn insoweit § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG als Rechtsgrundlage inhaltlich naheliegen mag, nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit aus den Feststellungen. § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG sieht vor, dass die Verwaltungsbehörde insbesondere die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierschG erforderlichen Maßnahmen anordnen kann, was das Aufstellen von konkreten Haltungsanforderungen in Bezug auf die Ernährung, Pflege und Unterbringung von Tieren unzweifelhaft miteinschließt (zur Haltung von Pferden vgl. etwa VGH München, Beschluss vom 16.06.2014 – 9 CS 14.602; vgl. allgemein auch Lorz/Metzger/Metzger, 7. Aufl., TierSchG § 16a Rn. 17, 18 mwN). Allerdings kann die Verwaltungsbehörde bei dem Treffen selbständiger Einzelanordnungen für den Einzelfall auch auf Grundlage der allgemeinen Anordnungsbefugnis des § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG handeln (vgl. dazu Lorz/Metzger/Metzger, a.a.O. Rn. 13 ff.). Die Zuwiderhandlung gegen eine auf dieser Grundlage getroffene Maßnahme wäre indes nicht bußgeldbewehrt, weil § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG in § 18 Abs. 1 Nr. 20a TierSchG keine Erwähnung findet.
Im Fall der Verhängung einer Geldbuße wegen einer Ordnungswidrigkeit auf Grundlage einer Blankettvorschrift, die – wie hier – der Ausfüllung durch einen behördlichen Verwaltungsakt bedarf, muss die Rechtsgrundlage aus dem Bußgeldbescheid – für den Rechtsunterworfenen erkennbar – hervorgehen. Denn dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG ist nur dann Genüge getan, wenn die Verwaltungsanordnung erkennen lässt, dass ein Zuwiderhandeln gegen das ausgesprochene Gebot als Ordnungswidrigkeit geahndet werden und die Verhängung eines Bußgelds nach sich ziehen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 13.07.1978 – 4 StR 82/78). Insoweit würde es zwar genügen, dass dem Verwaltungsakt eine Rechtsgrundlage, die zur Ahndung führt, eindeutig zu entnehmen ist; die Blankettnorm selbst braucht in dem Verwaltungsakt nicht ausdrücklich erwähnt zu werden (OLG Koblenz, Beschluss vom 16.03.1998 – 1 Ss 367/97; Erbs/Kohlhaas/Metzger, 256. EL Februar 2025, TierSchG § 18 Rn. 15; Lorz/Metzger/Metzger, a.a.O., § 18 Rn. 19). Allerdings fehlen vorliegend tragfähige Feststellungen zu dem näheren Inhalt des Bescheids der Verwaltungsbehörde, so dass der Senat nicht prüfen kann, auf welcher Grundlage die behördliche Anordnung ergangen ist und ob die Ausführungen in dem Bescheid dem Bestimmtheitsgebot genügen. Dass die Anordnungen – für die Betroffene erkennbar – in Inanspruchnahme des § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bzw. zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG ergangen sind, was zur Wahrung des Bestimmtheitsgebotes genügen würde, geht aus den Urteilsgründen so nicht hervor. Insoweit ist auch die Liste der angewendeten Vorschriften nicht weiterführend; diese erwähnt nämlich neben § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 auch § 16a Abs. 1 Satz 1 TierschG.“
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2. Die Urteilsfeststellungen tragen weiterhin aus den von Generalstaatsanwaltschaft München genannten Gründen in subjektiver Hinsicht nicht die Verurteilung der Betroffenen wegen vorsätzlichen Verhaltens.
„Es fehlt es auch an näheren Feststellungen dazu, auf welche Weise und wann der Bescheid der Betroffenen bekanntgemacht wurde und ob diese im Tatzeitraum hiervon tatsächlich Kenntnis hatte. Zwar hat das Amtsgericht auch die Feststellung getroffen, dass der Bescheid bestandskräftig geworden ist. Allerdings handelt es sich bei der Frage der Bestandskraft um eine rechtliche Wertung, die das Rechtsbeschwerdegericht ohne Angabe der hierfür maßgeblichen Tatsachen nicht nachvollziehen kann. Zudem setzt die Bekanntgabe im Sinne des Art. 43 Abs. 1 i.V.m. Art. 37 BayVwVfG als solche eine tatsächliche Kenntnisnahme vom Inhalt des bekanntgemachten Schriftstücks nicht voraus, so dass jedenfalls vorsätzliches Handeln schon in dieser Hinsicht nicht belegt ist. Sind die Erwägungen zur subjektiven Tatseite lückenhaft, unklar und widersprüchlich, so führt auch dies zur Urteilsaufhebung (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 31.01.2017 – 4 StR 597/16; KK-StPO/Bartel, 9. Aufl. 2023, StPO § 267 Rn. 14 f., 19 m.w.N).“
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3. Das Urteil leidet darüber hinaus an einem grundlegenden Darstellungsmangel, was einen durchgreifenden Rechtsfehler darstellt. Die Urteilsgründe geben nicht an, ob und ggf. wie sich die Betroffene zur Sache eingelassen hat.
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Wie die Generalstaatsanwaltschaft München zutreffend ausführt, sind nach § 267 Abs. 1 StPO in den Urteilsgründen die erhobenen Beweise erschöpfend zu würdigen. Dies schließt die Darstellung der Einlassung der Betroffenen ein, damit das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfen kann, ob sich der Tatrichter unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewendet hat. Es bedarf daher in der Regel einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung eines Betroffenen oder der Angabe, dass dieser zur Sache keine Angaben gemacht hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30.09.2024 – 6 StR 421/24; Beschluss vom 03.12.2020 – 4 StR 371/20; Beschluss vom 13.08.2020 – 4 StR 629/19, jew. m.w.N). Wenn auch in Bußgeldsachen als Massenverfahren an die Abfassung der Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind, kann für sie als alleiniger Grundlage für die sachlich-rechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils prinzipiell nichts anderes gelten wie für Urteile in Strafsachen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25.09.2019 – 202 ObOWi 1845/19). Gerade vor dem Hintergrund, dass die Tatvorwürfe einen besonders gelagerten Einzelfall aus einem nicht alltäglichen Rechtsgebiet betreffen, bildet der vorliegende Fall keine Ausnahme, zumal das Amtsgericht auch von der Höhe her nicht unbedeutende Geldbußen verhängt hat.
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4. Zudem erweist sich die konkurrenzrechtliche Würdigung des Sachverhalts durch das Amtsgericht als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
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a) Der vom Amtsgericht vertretene Auffassung, wonach mit jeder Nachschau seitens der Verwaltungsbehörde eine neue Tat begangen wurde, kann der Senat nicht folgen.
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Das Amtsgericht hat verkannt, dass die Verwaltungsbehörde der Betroffenen verschiedene Handlungspflichten auferlegt hatte und sich deren Nichthandeln deshalb als echtes Unterlassungsdelikt darstellte, durch das ein der Anordnung zuwiderlaufender Zustand aufrechterhalten wurde. Ein solches Dauerverhalten findet seinen Abschluss jedoch erst mit der Erfüllung der Anordnung (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31.08.2023 – 202 ObOWi 836/23) oder durch den Erlass eines Urteils der Tatsacheninstanz bzw. den Eintritt der Rechtskraft des Bußgeldbescheides (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28.04.2023 – 201 ObOWi 251/23), keinesfalls jedoch durch die Feststellung der Fortdauer der Regelwidrigkeit des bestehenden Zustands.
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b) Soweit die Betroffene gegen vier selbstständige, ihr auferlegte Handlungspflichten verstoßen hat, kann der Senat auf Basis der Urteilsfeststellungen nicht abschließend beurteilen, ob eine einheitliche Tat oder vier tatmehrheitliche Delikte (§ 20 OWiG) vorlagen.
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Bei echten Unterlassungsdelikten ist regelmäßig von Unterlassungsmehrheit auszugehen, wenn der Täter mehrere Handlungspflichten, die unabhängig voneinander existieren und denen er unabhängig voneinander hätte nachkommen können, nicht erfüllt (BGH, Urt. v. 28.11.1984 – 2 StR 309/84; BGH, Beschluss vom 30.05.1963 – 1 StR 6/63; BayObLG, Beschluss vom 28.03.2024 – 201 ObOWi 141/24; OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.09.1998 – 2 Ss 284/98; TK/Sternberg-Lieben/Bosch StGB 31. Aufl. vor § 52 Rn. 28 f.). Der Umstand, dass die unterschiedlichen Handlungspflichten in einer gemeinsamen Anordnung getroffen wurden, ist irrelevant.
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Eine natürliche Handlungseinheit ist hingegen gegeben, wenn mehrere Verhaltensweisen derart in einem unmittelbaren räumlichen, zeitlichen und motivatorischen Zusammenhang stehen, dass das gesamte Verhalten bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Unterlassen anzusehen ist (BayObLG a.a.O.). Dies wurde von der Rechtsprechung etwa angenommen, wenn die verletzten Handlungspflichten der Verhinderung eines identischen Erfolgs oder einer identischen Gefahr dienen, aber auch dann, wenn von vornherein ein einheitlicher Tatentschluss vorlag, einem von einer Behörde abgeforderten Verhalten insgesamt keine Folge leisten zu wollen (BayObLG a.a.O.). Im vorliegenden Fall lag es nicht völlig fern, dass die Betroffene sich entschlossen hatte, die mit einem gewissen finanziellen Aufwand verbundenen Verhaltensanordnungen aus dem Bescheid vom 08.12.2023 komplett zu ignorieren. Hierzu hat der Tatrichter jedoch keine Feststellungen getroffen.
III.
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Aufgrund der aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mängel ist auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen hin das angefochtene Urteil insgesamt mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V. m. § 353 StPO).
16
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
IV.
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Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.
18
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.