Titel:
Verhängung des Regelfahrverbots grundsätzlich auch bei Wechsel auf die durch Rotlicht gesperrte Fahrtrichtung im Kreuzungsbereich
Normenketten:
OWiG § 79
OWiG § 80a
StVG § 24
StVG § 25
StVO § 37 Abs. 2
BKatV § 3 Abs. 1
BKatV § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
BKat Lfd. Nr. 132.3
BKat Lfd. Nr. 132.3.1
Leitsätze:
1. Ein grundsätzlich mit einem Regelfahrverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV i.V.m. lfd.Nr. 132.3 BKat zu ahndender qualifizierter Rotlichtverstoß ist nicht deshalb milder zu bewerten, weil der Fahrzeugführer nach Einfahren in den Kreuzungsbereich von der durch Grünlicht frei gegebenen Linksabbiegerspur auf die durch Rotlicht gesperrte Rechtsabbiegerspur überwechselt. Dies gilt auch dann, wenn der Entschluss zum Spurwechsel erst nach dem Einfahren in den Kreuzungsbereich gefasst wird.
2. Die Anerkennung einer Privilegierungswirkung im Hinblick auf das verwirkte Regelfahrverbot mit der Begründung, durch den Fahrspurwechsel seien andere Verkehrsteilnehmer nicht konkret gefährdet worden, ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil damit das Fehlen des besonderen Sanktionsschärfungsgrundes nach lfd.Nr. 132.3.1 BKat dem Betroffenen zugute gebracht würde.
3. Die Bedeutung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes wird nicht dadurch relativiert, dass der Betroffene nach dem Verstoß besondere Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer genommen hat, zu der er ohnehin verpflichtet gewesen wäre.
Schlagworte:
Abstrakte Gefährdung, Änderungswunsch, Ausnahme, Beschränkung, Einmündung, Einspruch, Fahrstreifen, Fahrstreifenwechsel, Fahrverbot, Fußgänger, Haltlinie, konkrete Gefährdung, Kreuzung, qualifizierter Rotlichtverstoß, Rechtsbeschwerde, Rechtsfolgen, Rotlicht, Sanktionsschärfungsgrund, Spurwechsel, Taxi, Tenorierung, Verkehrsteilnehmer, Vorsicht, Wechsel der Fahrtrichtung, Wirksamkeit
Fundstelle:
BeckRS 2025, 34688
Tenor
I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts vom 09.04.2025
a) dahingehend klargestellt, dass der Betroffene nach dem insoweit rechtskräftigen Bußgeldbescheid der Zentralstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt vom 23.09.2024 der fahrlässigen Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage bei länger als 1 Sekunde andauernden Rotlichtphase schuldig ist und
b) im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe
1
Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt setzte mit Bußgeldbescheid vom 23.09.2024 gegen den Betroffenen wegen einer am 18.06.2024 als Fahrer eines Taxis fahrlässig begangenen Missachtung des Rotlichts einer innerörtlichen Lichtzeichenanlage bei mehr als 1 Sekunde dauernden Rotphase (§ 37 Abs. 2 StVO, §§ 24, 25 StVG, § 4 Abs. 1 Satz Nr. 3 BKatV, Lfd. Nr. 132.3 BKat) eine Geldbuße von 200 Euro fest. Außerdem ordnete sie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG an.
2
Das Amtsgericht hat den Betroffenen nach Einlegung des Einspruchs, den dieser in der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, „unter Bezugnahme auf den im Übrigen rechtskräftigen Bußgeldbescheid“ zu einer Geldbuße von 55 Euro verurteilt. Von der Verhängung des im Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbots hat es abgesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass aufgrund atypischer Umstände der Grad des vorwerfbaren Handelns als gering erscheine.
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Mit ihrer Rechtsbeschwerde rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
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Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte, auch sonst zulässige und infolge der wirksamen Beschränkung des Einspruchs nur noch den Rechtsfolgenausspruch betreffende Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat aufgrund der Sachrüge Erfolg.
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1. Die Beschränkung des Einspruchs des Betroffenen auf den Rechtsfolgenausspruch war wirksam (a), allerdings begegnet die Fassung des Tenors des amtsgerichtlichen Urteils rechtlichen Bedenken (b).
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a) Der Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs steht nicht entgegen, dass das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen und die von ihm erklärte Beschränkung des Einspruchs derart in Widerspruch gestanden hätten, dass bei Zugrundelegung des tatsächlichen Vorbringens überhaupt keine Geldbuße hätte verhängt werden dürfen, sondern ein Freispruch hätte ergehen müssen. Dies ist jedoch bei der mit der Einlassung übereinstimmenden Feststellung, dass der Betroffene bei grünem Linksabbiegerpfeil mit der Absicht nach links abzubiegen die Haltlinie überfahren und erst nach einem Änderungswunsch des Fahrziels durch den Fahrgast die Fahrtrichtung nach rechts geändert hat, wo die für die Rechtsabbiegespur geltende Ampel Rotlicht zeigte, nicht der Fall.
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Es entspricht nämlich ständiger obergerichtlichen Rechtsprechung, dass bei einer mehrspurigen Fahrbahnführung mit mehreren durch Richtungspfeile gekennzeichneten Spuren und jeweils eigener Lichtzeichenregelung auch derjenige einen Rotlichtverstoß begeht, der auf der durch Grünlicht freigegebenen Spur in die Kreuzung einfährt und nach Überfahren der Haltlinie im geschützten Bereich der Kreuzung auf den durch Rotlicht gesperrten Fahrstreifen wechselt. Dabei ist es unerheblich, ob der Entschluss zum Spurwechsel vor oder – wie hier – nach dem Überfahren der Haltlinie gefasst wurde (BayObLG, Beschluss vom 27.06.2000 – 1 ObOWi 257/00 u. v. 12.02.2002 – 1 ObOWi 607/01; OLG Köln, Beschluss vom 07.08.2015 – 1 RBs 250/15; OLG Dresden, Beschluss vom 03.04.2002 – Ss (OWi) 9054/01).
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b) Der nach wirksamer Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch in Rechtskraft erwachsene und im Tenor des amtsgerichtlichen Urteils nicht zum Ausdruck gekommene Schuldspruch war vom Senat klarzustellen.
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Im Fall der Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen hat der Tatrichter die Urteilsformel – zweckmäßigerweise unter Bezugnahme auf den nicht angegriffenen Teil des Bußgeldbescheids – in der Weise zu fassen, als hätte er auch im Übrigen selbst entschieden (BayObLG, Beschluss vom 22.03.2023 – 201 ObOWi 66/22 und v. 12.02.1999 – 1 ObOWi 3/99). Die insoweit erforderliche Klarstellung des Urteilstenors kann der Senat selbst vornehmen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
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2. Die Begründung, mit der das Amtsgericht abweichend von der Regelgeldbuße und abweichend von dem in Betracht kommenden Regelfahrverbot das Vorliegen einer Ausnahmesituation bejaht und den von der Regelsanktion weit nach unten abweichenden Rechtsfolgenausspruch begründet hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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a) Soweit das Amtsgericht eine zu Gunsten des Betroffenen zu wertende Besonderheit des Falles in dem Umstand sieht, dass dieser bei grünem Linksabbiegerpfeil mit der Absicht nach links abzubiegen in die Kreuzung/Einmündung eingefahren ist und erst nach einem Änderungswunsch des Fahrziels durch den Fahrgast die Fahrtrichtung nach rechts geändert hat, wo die für die Rechtsabbiegespur geltende Ampel Rotlicht zeigte, liegt darin keine zu Gunsten des Betroffenen zu berücksichtigende Besonderheit des Einzelfalls.
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Die abstrakte Gefährlichkeit eines Rotlichtverstoßes für die durch das Rotlicht geschützten Verkehrsteilnehmer, insbesondere die seitlich querenden Fußgänger ist in der festgestellten Fallkonstellation keinesfalls geringer, als wenn der Betroffene von vornherein bei Rotlicht auf der für ihn vorgesehenen Spur in die Kreuzung eingefahren wäre. Weder die Grundsatzentscheidung des BGH zur umgekehrten Fallkonstellation (Beschluss vom 30.10.1997 – 4 StR 647/96 = BGHSt 43, 285) noch die weiteren Entscheidungen (BayObLG, OLG Köln, OLG Dresden jew. a.a.O.) zeigen Anhaltspunkte dahingehend auf, dass Rotlichtverstöße, die unter Wechsel der Fahrtrichtung im Kreuzungsbereich begangen werden, aus grundsätzlichen tatsächlichen Erwägungen heraus gegenüber „normalen“ Rotlichtverstößen von minderer Bedeutung oder Gefährlichkeit wären.
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b) Das Argument, es liege eine Ausnahmesituation vor, weil der Betroffene mit äußerster Vorsicht rechts abgebogen sei und niemanden konkret gefährdet habe, ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Amtsgericht damit das Fehlen eines Sanktionsschärfungsgrundes dem Betroffenen sanktionsmildernd zugute gebracht hat (vgl. BGH, Urt. vom 12.02.2015 – 5 StR 536/14 und v. 19.01.2017 – 4 StR 334/16; Beschluss vom 21.11.2018 – 2 StR 335/18). Der Bußgeldkatalog sieht in lfd.Nr. 132.3.1 BKat für den Fall der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gegenüber dem in lfd.Nr. 132.3 BKat geregelten Normalfall einen erhöhten Bußgeldrahmen (320 Euro anstatt 200 Euro) vor, so dass bereits der Verordnungsgeber die ausgebliebene Gefährdung Dritter im Rahmen der von ihm bestimmten Regelsanktion berücksichtigt hat.
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In der obergerichtlichen Rechtsprechung besteht Einigkeit darüber, dass es den Betroffenen nicht entlasten kann, wenn kein Dritter durch seinen Verkehrsverstoß konkret gefährdet wurde (BayObLG, Beschluss vom 12.02.2002 – 1 ObOWi 607/01; OLG Bamberg, Beschluss vom 22.01.2019 – 3 Ss OWi 1698/18; KG, Beschluss vom 02.10.2015 – 3 Ws (B) 505/15 – 162 §§ 109/15; OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.03.2006 – 2 Ss OWi 86/06; OLG Hamm, Beschluss vom 04.11.2004 – 3 Ss OWi 600/04).
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c) Dass eine mit dem Rotlichtverstoß typischerweise einhergehende abstrakte Gefahrerhöhung für andere Verkehrsteilnehmer im Einzelfall ausnahmsweise nicht vorgelegen hätte (vgl. BayObLG a.a.O.), wird von der Tatrichterin behauptet. Es habe nämlich „zu keiner Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer kommen können, da an dieser Stelle lediglich nach rechts oder links abgebogen werden konnte“. Diesem Gedankengang kann der Senat nicht folgen.
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Nachdem ausweislich der weiteren Urteilsfeststellungen hohes Fußgängeraufkommen herrschte, lag der Ausschluss einer abstrakten Gefährdung der seitlich rechts querenden Fußgänger vielmehr gänzlich fern. Außerdem lag es nahe, dass das die Fahrspur wechselnde Fahrzeug des Betroffenen den Kreuzungsbereich angesichts des auf der Rechtsabbiegespur wegen der vielen querenden Fußgänger bestehenden Rückstaus verengte, obwohl es angesichts des für die rechte Fahrtrichtung geltenden Rotlichts dort nichts zu suchen hatte.
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d) Soweit das Amtsgericht darauf abhebt, dass sich der Betroffene wegen des hohen Fußgängeraufkommens und des Umstands, dass Fußgänger trotz für sie geltenden Rotlichts die Straße überquerten, auch bei für ihn geltendem Grünlicht nur mit äußerster Vorsicht hätte rechts abbiegen können, stellt auch dieser Umstand keinen atypischen Sachverhalt dar.
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Die Schwere und die Bedeutung des Vorwurfs, eine Verkehrsregel übertreten zu haben, wird nicht dadurch relativiert, dass der Betroffene unabhängig hiervon zu besonderer Rücksichtnahme gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern verpflichtet war und dieser Verpflichtung nachgekommen ist.
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e) Soweit der Betroffene verkehrsrechtlich nicht vorgeahndet ist, ist auch dieser Umstand weder geeignet, die Regelgeldbuße herabzusetzen noch von der Verhängung eines Regelfahrverbots (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV, Lfd. Nr. 132.3 BKat) abzusehen, weil bereits die Regelsätze der BKatV (§ 3 Abs. 1 BKatV) von einem nicht vorbelasteten Betroffenen ausgehen und das gleiche für die Anordnung eines Fahrverbots gilt.
20
Aufgrund der aufgezeigten fehlerhaften Wertungen ist auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil aufzuheben. Die Aufhebung erfasst den gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
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Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG. Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.