Titel:
Nichtzulassungsbeschwerde, Rentenversicherung, Versicherungspflicht, Berufung, Bescheid, Arzt, Arbeitsvertrag, Unterkunft, Arbeitnehmer, Krankenhaus, Annahmeverzug, Gesellschaft, Versorgungsauftrag, Statusfeststellungsverfahren, ersparte Aufwendungen, rechtliche Einordnung
Schlagworte:
Nichtzulassungsbeschwerde, Rentenversicherung, Versicherungspflicht, Berufung, Bescheid, Arzt, Arbeitsvertrag, Unterkunft, Arbeitnehmer, Krankenhaus, Annahmeverzug, Gesellschaft, Versorgungsauftrag, Statusfeststellungsverfahren, ersparte Aufwendungen, rechtliche Einordnung
Vorinstanz:
LG Coburg vom 19.01.2023 – 51 O 946/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH, Urteil vom 04.12.2025 – III ZR 14/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 34588
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 19.01.2023, Az. 51 O 946/21, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Gegen dieses Urteil wird die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten aus einem zwischen den Parteien am 14.01.2018 abgeschlossen „Dienstleistungsvertrag“ (Anlage K1) die Zahlung einer Vergütung in Höhe von insgesamt 340.674,25 €.
2
Die Beklagte betreibt in Y. ein Krankenhaus (X. Y.). Vor Abschluss des vorgenannten Dienstleistungsvertrags herrschte bei der Beklagten insbesondere im Bereich der Kardiologie ein enormer Ärztemangel, so dass die Gefahr bestand, dass sie ihren Versorgungsauftrag nicht oder nicht mehr vollständig erfüllen können würde. In dieser Situation kam es zwischen der Beklagten und Dr. A., einem Kardiologen, zu einer Kontaktaufnahme. Dr. A., der dem Anforderungsprofil der Beklagten vollständig entsprach, wünschte jedoch keine Anstellung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, sondern schlug der Beklagten den Abschluss eines Dienstvertrages mit der Klägerin vor, bei der es sich um eine Gesellschaft (Limited) mit dem Sitz auf Malta handelt; Dr. A. ist deren Alleingesellschafter und geschäftsführender „Managing Director“. Dr. A. wies hierbei darauf hin, dass das Konstrukt legal und einer anwaltlichen Prüfung unterzogen worden sei.
3
Am 14.01.2018 schlossen die Parteien den vorgenannten Dienstleistungsvertrag, in dem sich die Klägerin gegenüber der Beklagten verpflichtete, Dienstleistungen auf dem Gebiet der Inneren Medizin im Bereich der Interventionellen Kardiologie und Angiologie durch den Einsatz von „Personal“ zu erbringen, das sämtliche gesetzliche und qualitative Voraussetzungen zur Erbringung dieser Leistungen erfüllt. Die Beklagte verpflichtete sich, der Klägerin die für die Behandlung erforderliche Zahl von Krankenhausbetten zur Verfügung zu stellen, die Nutzung bestimmter technischer Anlagen und den Einsatz des Bedien- und Assistenzpersonals zu gestatten, wobei die Klägerin berechtigt sein sollte, nach Absprache mit der Beklagten bestimmtes Material (Spezialkatheder etc.) zu beschaffen und der Beklagten in Rechnung zu stellen. Die Parteien vereinbarten den Vertragsbeginn auf 05.02.2018, eine unbestimmte Vertragsdauer mit dem Ausschluss einer ordentlichen Kündigung für die Dauer von einem Jahr und im Anschluss eine beiderseitige Kündigungsfrist von 6 Monaten unter Abbedingung eines „eventuellen Kündigungsrechts gem. § 627 BGB“. Als Vergütung wurden 180,00 € netto pro Stunde „und somit pro Tag eine Vergütung von 1.440,00 €“ vereinbart und eine Vergütung von 65,00 € netto pro Stunde im Falle einer Aufforderung der Beklagten, die Dienstleistung im Rahmen eines Hintergrundbereitschaftsdienstes auf Abruf bereitzustellen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die in Anlage (K1) vorgelegte Kopie des Dienstleistungsvertrags Bezug genommen.
4
Nachdem Dr. A. die im Dienstleistungsvertrag vereinbarten Tätigkeiten im Hause der Beklagten aufgenommen hatte, die auch in der Folgezeit ausschließlich durch Dr. A. geleistet wurden, leitete die Beklagte im Einvernehmen mit der Klägerin ein sozialversicherungsrechtliches Statusfeststellungsverfahren bezüglich der Tätigkeiten des Dr. A. im Hause der Beklagten ein. Im daraufhin am 31.08.2018 ergangenen (nicht rechtskräftigen) Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund wurde festgestellt, dass die Tätigkeit von Dr. A. seit Beschäftigungsbeginn (05.02.2018) im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde, in dem Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe.
5
Am 01.10.2018 erklärte die Beklagte die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Dienstleistungsvertrags. Mit anwaltlichen Schreiben vom selben Tag (Anlage K3) wies die Klägerin die außerordentliche Kündigung zurück und erklärte die Leistungsbereitschaft „des Mandanten“. Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 02.10.2018 verwies die Beklagte auf nicht überschaubare Haftungsrisiken gegenüber dem Sozialversicherungsträger und gegenüber dem Fiskus. Weiterhin bot die Beklagte dem Geschäftsführer der Klägerin den Abschluss eines „Chefarztvertrages“ an. Mit Schreiben vom 17.10.2018 bot die Beklagte darüber hinaus an, das Vertragsverhältnis „als freies Mitarbeiterverhältnis“ weiterzuführen, wobei die Klägerin ihr Einverständnis damit erklären sollte, dass Sozialversicherungsbeiträge und Einkommenssteuer wie bei einem Arbeitsverhältnis für Dr. A. abgeführt würden. Den im genannten Schreiben abgeforderten Mitwirkungshandlungen zur ordnungsgemäßen Abrechnung kam die Klägerin nicht nach. In der Folgezeit erfolgte keine Tätigkeit durch Dr. A. oder sonstiges Personal der Klägerin bei der Beklagten.
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Die Klägerin forderte in der Folgezeit von der Beklagten für den Zeitraum vom 01.10.2018 bis einschließlich 26.11.2018 eine Vergütung in Höhe von 53.280,00 €, die sie vor dem Landgericht Coburg geltend machte (Az. 21 O 92/19). Nach Abweisung der Klage durch das Landgericht wurde diese auf die Berufung der Klägerin mit Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Bamberg vom 09.11.2021 (Az. 5 U 397/20, Anlage K 2) größtenteils zugesprochen. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten gegen dieses Urteil wurde mit Beschluss des BGH vom 30.06.2022 (Az. III ZR 2/22) zurückgewiesen.
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Im vorliegenden Verfahren macht die Klägerin mit einer am 31.12.2021 bei dem Landgericht Coburg eingereichten und mit Schriftsatz vom 25.07.2022 erweiterten Klage Vergütungsansprüche für den nachfolgenden Zeitraum bis einschließlich 30.09.2019 in Höhe von 340.674,25 € geltend.
8
Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass die Beklagte zu einer außerordentlichen Kündigung des Dienstvertrags mangels Kündigungsgrund nicht berechtigt gewesen sei und aufgrund eines bestehenden Annahmeverzugs verpflichtet sei, die vereinbarte Vergütung aus dem im streitgegenständlichen Zeitraum wirksamen Vertragsverhältnis zu zahlen. Anrechnen lassen müsse sich die Klägerin auf ihren Vergütungsanspruch lediglich ersparte Aufwendungen in Höhe von monatlich 2.060,00 € (Unterkunft und Fahrtkosten). Die Klägerin hat sich hierbei im Wesentlichen die Argumentation aus dem Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Bamberg zu eigen gemacht.
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Die Beklagten wendet hiergegen ein, dass der Vertrag vom 14.01.2018 gemäß § 134 BGB nichtig sei, da das von der Klägerin praktizierte Vertragskonstrukt einzig dazu gedient habe, die Zahlung von Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben zu vermeiden. Tatsächlich sei von einer abhängigen Beschäftigung des Dr. A. auszugehen mit der Konsequenz einer Sozialversicherungs- und Lohnsteuerpflicht in Deutschland. Hilfsweise beruft sich die Beklagte darauf, dass sie sich auch nicht in Annahmeverzug befunden habe. So sei die Klägerin notwendigen Mitwirkungspflichten zur Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer nicht nachgekommen. Ferner habe es die Klägerin böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen und zudem infolge des Unterbleibens der Dienstleistungen auch weitere Aufwendungen erspart. Die Beklagte hat zudem die Einrede der Verjährung erhoben.
10
Das Landgericht hat der Klage mit Endurteil vom 08.12.2022 im Wesentlichen stattgegeben und hat hierzu ausgeführt, dass das Vertragsverhältnis erst durch die ordentliche Kündigung zum 31.08.2019 beendet worden sei und sich die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt in Annahmeverzug befunden habe. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des 5. Zivilsenats des OLG hat das Landgericht dargelegt, dass der Dienstleistungsvertrag vom 14.01.2018 wirksam sei und auch nicht aufgrund Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder einer außerordentlichen Kündigung, die überdies als verfristet anzusehen wäre, beendet worden sei.
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Auch eine Verjährung der Forderung sei nicht eingetreten.
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Hinsichtlich der Einzelheiten des Parteivorbringens, der vom Landgericht getroffenen Feststellungen und wegen des Wortlauts der erstinstanzlichen Anträge wird auf das Endurteil des Landgerichts vom 08.12.2022 (Bl. 86 ff. d. LG-Akte) Bezug genommen.
13
Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte am 21.02.2023 Berufung eingelegt und diese (nach antragsgemäß bewilligter Fristverlängerung) mit am 21.04.2023 beim OLG eingegangenen Schriftsatz begründet. Sie führt hierbei im Wesentlichen aus, dass durch das Schreiben der Klägervertreter vom 01.10.2018 kein Annahmeverzug begründet worden sei, da hieraus nicht ersichtlich sei, wer die Dienstleistung anbieten werde (die Klägerin oder Dr. A. persönlich). Auch die Ablehnung des von der Beklagten angebotenen Abschlusses eines zumutbaren Arbeitsvertrags mit Dr. A. lasse den Annahmeverzug entfallen. Ferner sei das Angebot auch nicht allen Modalitäten der vertraglichen Vereinbarung gerecht geworden, da sich dieses nur auf die Dienstleistung im Austausch gegen das volle Gehalt ohne die entsprechenden Abzüge bezogen habe. Das Ziel der beiderseitigen Abgabenminimierung sei jedoch Vertragsbestandteil gewesen. Das Angebot der Klägerin unter dem Vorbehalt der vollständigen Zahlung stelle daher kein vertragsgerechtes Angebot dar. Ferner sei die Klage auch unbegründet, da die Klägerin keine vollständige Auskunft über die anderweitige Verwendung der Dienste des Dr. A. erteilte habe. Die Beklagte ist der Auffassung, dass sich die Auskunftsverpflichtung auch nicht allein auf die Klägerin erschöpfe, sondern nach Treu und Glauben auch auf deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter Dr. A., dessen persönliche Verdienste der Klägerin zuzurechnen seien.
14
Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren,
das am 19.01.2023 verkündete Urteil des Landgerichts Coburg, AZ. 51 O 946/21 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
15
Die Klägerin beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
16
Sie ist der Auffassung, dass das Bestehen eines Annahmeverzugs der Beklagten seit 01.10.2018 bereits aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des OLG Bamberg vom 09.11.2021 feststehe, da dieser Grundlage der ausgesprochenen Rechtsfolge im Vorprozess gewesen sei und daher im vorliegenden Verfahren nicht mehr in Frage gestellt werden könne. Bei dem Vortrag, dass sich die Klägerin geweigert habe, einen Auskunftsanspruch der Beklagten über anderweitige Verwendung ihrer Dienste zu erfüllen, handele es sich um neuen Sachvortrag; darüber hinaus seien entsprechende Auskünfte im Vorverfahren auch erschöpfend erteilt worden.
17
Der Senat hat am 27.11.2023 mündlich verhandelt (Protokoll Bl. 33 ff. d.A.) und am 04.12.2023 einen Hinweisbeschluss erlassen (Bl. 39 ff. d.A.). Nach Eingang der Stellungnahmen der Parteien hierzu wurde am 09.12.2024 erneut mündlich verhandelt (Protokoll Bl. 80 ff. d.A.).
18
Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Coburg vom 08.12.2022 ist zulässig und begründet.
19
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der im „Dienstleistungsvertrag“ vom 14.01.2018 vereinbarten Vergütung, da im streitgegenständlichen Zeitraum durch die Klägerin unstreitig keine Leistungen erbracht wurden (§§ 611 Abs. 1, 614 BGB) und auch kein Annahmeverzug der Beklagten bestand (§§ 611 Abs. 1, 615 S. 1 BGB).
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a) Zunächst ist das Gericht im vorliegenden Verfahren nicht daran gehindert, von der im Vorfahren durch den 5. Zivilsenat vertretenen Auffassung abzuweichen, wonach die Voraussetzungen des Annahmeverzugs der Beklagten gegeben seien. Wie bereits im Hinweisbeschluss vom 04.12.2023 ausgeführt, erwachsen die dortigen tatsächlichen Feststellungen und die Beurteilung des Rechtsverhältnisses nicht in Rechtskraft und hindern eine andere Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht. In Rechtskraft erwächst bei einem eine Leistungsklage stattgebenden Urteil lediglich, dass die Leistungspflicht für den geltend gemachten Zeitraum besteht. Eine Zwischenfeststellungsklage wurde nicht erhoben (BeckOK ZPO/Gruber, 50. Ed. 1.9.2023, ZPO § 322 Rn. 24, 41).
21
b) Auch liegen die für einen Annahmeverzug erforderlichen Voraussetzungen nicht vor.
22
Nach § 615 S. 1 BGB kann der zur Dienstleistung Verpflichtete die nach § 611 BGB vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung der nicht erbrachten Dienste verpflichtet zu sein, wenn der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Dies beurteilt sich nach §§ 293 ff. BGB. Die Vorschrift gibt keinen selbstständigen Anspruch, sondern bewirkt, dass der (ursprüngliche) Vergütungsanspruch dem zur Dienstleistung Verpflichteten erhalten bleibt (BGH Urteil vom 12.5.2022 – III ZR 78/21, NJW 2022, 2269, Rn. 24). Voraussetzung für das Eintreten des Annahmeverzugs ist allerdings, dass der Dienstverpflichtete die Leistung auch erbringen darf und er diese, so wie sie vertraglich geschuldet ist, anbietet (Grüneberg/Grüneberg, BGB, 84. Aufl., § 293, Rn. 8).
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aa) So konnte sich die Klägerin bereits nicht wirksam verpflichten, die von ihr geschuldeten Dienste durch den Einsatz von „Personal“ (§ 2 Abs. 2 des Dienstleistungsvertrags) zu erbringen, soweit es sich bei dem „Personal“ um Arbeitnehmer der Klägerin handeln sollte. In diesem Fall wäre, worauf bereits im Hinweisbeschluss vom 04.12.2023 hingewiesen wurde, das Vertragsverhältnis als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag im Sinne des AÜG zu qualifizieren, wofür die Klägerin jedoch nicht die erforderliche Erlaubnis im Sinne der §§ 1, 2 AÜG verfügte.
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aaa) Für die Qualifikation als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag ist entscheidend, ob der Beklagten Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden sollten, die in deren Betrieb eingegliedert werden sollten und ihre Arbeit nach deren Weisungen und in dessen Interesse ausführen. Ist dies der Fall, liegt eine Arbeitnehmerüberlassung vor (BAG, Urteil v. 20.9.2016, Az. 9 AZR 735/15, NZA 2017, 49, Rn. 29). Zu berücksichtigen ist weiter, dass für die rechtliche Einordnung des Vertrags zwischen dem Dritten und dem Unternehmer der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung entscheidend ist, die dem tatsächlichen Geschäftsinhalt nicht entspricht. Die Vertragschließenden können das Eingreifen zwingender Schutzvorschriften des AÜG nicht dadurch vermeiden, dass sie einen vom Geschäftsinhalt abweichenden Vertragstyp wählen (BAG, a.a.O., Rn. 31).
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bbb) Vor diesem Hintergrund stellen sich die von der Klägerin laut Vertrag vom 14.01.2018 durch den Einsatz ihres „Personals“ (§ 2 S. 2) zu erfüllenden Verpflichtungen nicht als Leistungen im Rahmen eines Dienstvertrages dar; vielmehr steht die Überlassung des geeigneten „Personals“ an die Beklagte zur Erfüllung ärztlicher Aufgaben im Vordergrund, welche – eingegliedert in den Arbeitsablauf der Klinik der Beklagten (im streitgegenständlichen Vertrag in § 3 als „Pflichten der Klinik“ bezeichnet) – mit den dort vorhandenen bzw. auf Kosten der Beklagten zu verschaffenden Mitteln auszuführen sind. Soweit im Vertrag (§ 2 S. 1) ausgeführt wird, dass die Dienstleistungen nach medizinischer Erforderlichkeit und Notwendigkeit und nach dem Ermessen der Klägerin zu erbringen sind, steht dies einer Einordnung als Arbeitnehmerüberlassung nicht entgegen, da jeder Arzt uneingeschränkt den Regeln des ärztlichen Berufsrechts unterliegt und sich insofern auf die ärztlichen Grundfreiheiten, besonders auf die Therapiefreiheit berufen kann, was jedoch einer Einordnung eines Arztes als Arbeitnehmer nicht entgegensteht, wenn er in organisatorischer Hinsicht Weisungen unterliegen (BSG, Urt. v. 4.6.2019, Az. B 12 R 11/18 R, DStR 2019, 2429, Rn. 29; Ricken in Huster/Kaltenborn, 2. Aufl., Krankenhausrecht, § 13 Recht des Krankenhauspersonalwesens Rn. 5). Schon vor dem Hintergrund, dass die Beklagte zunächst mit dem Managing Director der Klägerin, Dr. A., einen Arbeitsvertrag abschließen wollte und die Tätigkeit bei der Beklagten auch ausschließlich durch Dr. A. ausgeübt wurde, besteht die Vermutung, dass sich die durch Dr. A. in der Klinik der Beklagten ausgeübte Tätigkeit tatsächlich nicht von einer solchen unterschieden hat, die er dort als angestellter Arzt ausgeführt hätte. Für eine Beschränkung der Verpflichtung der Klägerin auf die Stellung geeigneten Personals und damit für eine Arbeitnehmerüberlassung spricht zudem, dass sie und ihre „Auftragnehmer bzw. Mitarbeiter“ von Haftungsansprüchen Dritter freigestellt wurden und Regressansprüche der Beklagten aufgrund einer von dieser zu unterhaltenden Berufshaftpflichtversicherung ausgeschlossen wurden (§ 6 des Vertrags). Ferner wurde das Kündigungsrecht nach § 627 BGB abbedungen (§ 4 des Vertrags) und ein Mindestumfang der geschuldeten Dienstleistungen (40 Stunden pro Woche, § 3 letzter Absatz des Vertrags) vereinbart. Auch dies legt nahe, dass hier ein dienstvertragliches Verhältnis zwischen den Parteien tatsächlich nicht beabsichtigt war, sondern das von der Klägerin einzusetzende Personal bei der Beklagten gleich einem dort beschäftigten Arbeitnehmer tätig werden sollte. Soweit die Klägerin im Anschluss an den Hinweisbeschluss vorgetragen hat (Schriftsatz vom 12.02.2024), dass sich die Leistung der Klägerin nicht in einem Arbeitseinsatz erschöpft habe, sondern die Klägerin es übernommen habe, die zur Leistungserbringung hochspezialisierten Materialien zu beschaffen (§ 3 des Dienstleistungsvertrags), steht dies einer Qualifikation als Arbeitnehmerüberlassung nicht entgegen. So ist dort geregelt, dass die Klägerin berechtigt sein soll, das so beschaffte Material der Beklagten gesondert in Rechnung zu stellen. Wirtschaftlich unterscheidet sich dies damit nicht von dem Fall, in dem ein angestellter Arzt die von ihm (im Rahmen seiner Therapiefreiheit) benötigten Materialien von der Klinik auf deren Kosten beschaffen lässt. Im Übrigen sind laut § 3 des Dienstleistungsvertrags die wesentlichen Arbeitsmittel, welche die Klägerin zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt (medizinische Geräte und Assistenzpersonal), wie typischerweise in einem Arbeitsverhältnis, von der Beklagten zur Verfügung zu stellen. Nicht vergleichbar ist das Vertragsverhältnis zudem mit einem Belegarztvertrag im Sinne des § 18 KHEntgG, in dem der Belegarzt – ohne beim Krankenhaus angestellt zu sein – aus dem mit dem Krankenhausträger geschlossenen Belegarztvertrag berechtigt wird, in eigenem Namen und auf eigene Rechnung Patienten im Krankenhaus des Trägers unter Inanspruchnahme der vom Klinikträger bereitgestellten Dienste, Einrichtungen und Mittel zu behandeln, ohne hierfür vom Klinikträger eine Vergütung zu erhalten. Schon eine direkte Vertragsbeziehung zwischen der Klägerin und den jeweils behandelten Patienten war im vorliegenden Fall nicht vorgesehen. Soweit die Klägerin vorgetragen hat, dass eine personenbezogene Weisungsbefugnis der Beklagten gegenüber Mitarbeitern der Klägerin im Vertrag gerade nicht statuiert und auch nicht gewollt war, rechtfertigt dies keine andere Bewertung. So hat die Klägerin auf den Hinweisbeschluss auch nicht vorgetragen, inwieweit sich die tatsächliche Tätigkeit des Dr. A. bei der Beklagten von derjenigen eines angestellten Facharztes unterschieden hätte. Ohne dass es hierauf im Ergebnis noch ankäme, hat in diesem Zusammenhang die Beklagte in ihrer Klageerwiderung sogar ausgeführt (S. 10, Bl. 23 d. LG-Akte), dass sich Dr. A. am 31.08.2018 im „Urlaub“ befunden habe, was unbestritten geblieben ist.
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bb) Aber auch durch ihren „Managing Director“ Dr. A., bei dem es sich nicht um einen Arbeitnehmer der Klägerin im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG handelt und auf dessen „Überlassung“ an die Klägerin die Regelungen des AÜG damit nicht anwendbar sind (BAG, Urteil vom 17.01.2017, Az. AZR 76/16, NZA 2017, 572; offen gelassen im Urteil des BSG vom 20.07.2023, Az. B 12 R 15/21 R, NZS 2024, 262, Rn. 15 ff.), konnte die Klägerin die vertraglich vereinbarten Leistungen nicht mit einen Annahmeverzug auslösender Wirkung anbieten. Wie bereits im Hinweisbeschluss vom 04.12.2023 ausgeführt, waren die von Dr. A. erbrachten und nach dem Vertrag zu erbringenden Tätigkeiten unter Berücksichtigung der Ausführungen unter c) bb) (wie auch im Statusfeststellungsverfahren festgestellt) als abhängige Beschäftigung im Sinne der sozialrechtlichen Vorschriften zu qualifizieren (BSG, a.a.O., Rn. 10, 16 ff.). Einer entsprechenden Einordnung des Verhältnisses zwischen Dr. A. und der Beklagten als Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Sozialrechts steht auch deren fehlende Vertragsbeziehung nicht entgegen, da es insoweit auf die tatsächlichen Umstände der Tätigkeit und nicht auf die vertraglichen Strukturen der beteiligten natürlichen und juristischen Personen ankommt (BSG, a.a.O., Rn. 22 ff.). In der Folge konnte daher die Klägerin ihre Tätigkeiten durch Dr. A. nicht erbringen, ohne dass gleichzeitig die Beklagte mit entsprechenden Sozialbeiträgen auf Grundlage der zwischen der Parteien vereinbarten Vergütung (BSG, a.a.O., Rn. 27) belastet wird. Das Gericht folgt nicht der Auffassung des 5. Zivilsenats, wonach es sich bei diesen Verpflichtungen um originäre Verpflichtungen der Beklagten als Dienstgeberin handelte, die unabhängig von Wunsch und Wille des Dr. A. oder der Klägerin bestanden und daher einer vertraglichen Leistungserbringung durch die Klägerin nicht entgegengestanden sei. Vielmehr bestand die Verpflichtung der Klägerin darin, ihre Leistungen zu den vertraglich vereinbarten Konditionen anzubieten. Dies vermochte sie jedoch aufgrund des gesetzlichen Verbots ohne eine Genehmigung nach dem AÜG weder durch eigene Arbeitnehmer noch durch ihren Geschäftsführer Dr. A. zu leisten, da letzteres zu einer über die vereinbarte Vergütung hinausgehende, nicht vereinbarte und nach dem Vertragszweck von beiden Seiten auch nicht gewünschte zusätzliche finanzielle Belastung der Beklagten durch die gesetzlichen Sozialbeiträge, die im Ergebnis ihrem Geschäftsführer Dr. A. zugute geführt hätte. Soweit die Klägerin – erstmals in diesem Verfahren – in der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2024 vorgetragen hat, dass sie „von Anfang an deutlich gemacht“ habe, dass sie die wirtschaftlichen Folgen einer Sozialversicherungspflicht der von ihr geschuldeten Tätigkeiten tragen werde, was von ihr auch bereits im Vorverfahren vorgetragen worden sei, wurde dies in der mündlichen Verhandlung durch die Beklagte in Abrede gestellt. Es konnte damit nicht als unstreitig festgestellt werden, dass die Klägerin bereits bei dem Angebot ihrer Leistung zum 01.10.2018 auch die Übernahme dieser Verpflichtungen angeboten hätte. Dem im Parallelverfahren erfolgten Vortrag, wie auch dem Inhalt des nach der letzten mündlichen Verhandlung eingegangenen nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 10.12.2024, der ebenfalls lediglich den Vortrag der Klägerin im Vorverfahren referiert, kommt im vorliegenden Verfahren insoweit keine Bedeutung zu.
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2. Auf die Fragen, ob die vorgenannten Erwägungen entsprechend auf eine Verpflichtung der Beklagten zur Abführung der Lohnsteuer anwendbar sind und ob und ggf. in welcher Höhe sich die Klägerin ersparte Aufwendungen anrechnen lassen muss (Ziff. I. 5. des Hinweisbeschlusses vom 04.12.2023) kam es damit nicht mehr an.
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Die Kostenfolge richtet sich nach § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Zulassung der Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, da eine Divergenz zur Entscheidung des 5. Senats des OLG Bamberg vom 09.11.2021 (Az. 5 U 397/20) besteht. Als für das Revisionsverfahren zuständiges Gericht wird der Bundesgerichtshof bestimmt (§ 7 Abs. 1 EGZPO); landesgesetzliche Rechtsnormen kommen hier nicht zur Anwendung (§ 8 Abs. 2 EGGVG, Art. 11 Abs. 1 AGGVG).