Titel:
Ablehnungsantrag, Besorgnis der Befangenheit, Unvoreingenommenheit, Verhandlungssituation, Äußerung des Vorsitzenden, Entschuldigung, Individuell-objektiver Maßstab
Schlagworte:
Ablehnungsantrag, Besorgnis der Befangenheit, Unvoreingenommenheit, Verhandlungssituation, Äußerung des Vorsitzenden, Entschuldigung, Individuell-objektiver Maßstab
Fundstelle:
BeckRS 2025, 34546
Tenor
1. Der gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht K. wegen Besorgnis der Befangenheit gerichtete Ablehnungsantrag des Angeklagten … vom 04.12.2025 wird für begründet erklärt.
2. Der gegen die Richterin am Landgericht … sowie die Richterin … wegen Besorgnis der Befangenheit gerichtete Ablehnungsantrag des Angeklagte … vom 04.12.2025 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
1
Die Ablehnungsantrage sind zulassig.
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Die geltend gemachten Ablehnungsgründe wurden unverzüglich im Sinne des § 25 Abs. 2 StPO vorgebracht. Maßgeblich ist dabei nicht der Kenntnisstand der Verteidiger, sondern der des Angeklagten. Zwar muss die Ablehnung nicht sofort erfolgen; sie ist jedoch ohne schuldhaftes Zögern, mithin ohne vermeidbare, sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung geltend zu machen. Im Interesse einer zügigen Durchführung des Strafverfahrens ist hierbei ein strenger Maßstab anzulegen.
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Die im Mittelpunkt der Ablehnungsanträge stehende Äußerung des Vorsitzenden fiel in der Hauptverhandlung vom 03.12.2025. Die Ablehnungsgesuche wurden am darauffolgenden Tag, dem 04.12.2025, in der Hauptverhandlung angebracht. Der Angeklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass er erst nach der Hauptverhandlung vom 03.12.2025 Kenntnis von einer öffentlichen Äußerung des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald J. Trump, erlangt habe, zu der aus seiner Sicht ein inhaltlicher Bezug zu der Äußerung des Vorsitzenden bestehen könne.
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Diese Erklärung ist plausibel. Die genannte Äußerung des amerikanischen Präsidenten wurde zwar bereits am 02.12.2025 in Washington abgegeben, fand jedoch erst in der Nacht zum 03.12.2025 und sodann im Verlauf des Vormittags des 03.12.2025 breiteren Widerhall in den deutschen Medien. Es ist daher glaubhaft, dass der Angeklagte die mögliche Kontextualisierung erst nach Abschluss der Hauptverhandlung vom 03.12.2025 erkannt hat.
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Dem Angeklagten war zudem eine angemessene Zeit einzuräumen, um die Bedeutung dieses Zusammenhangs zu überdenken, Rücksprache mit seinen Verteidigern zu halten und das Ablehnungsgesuch zu formulieren. Vor diesem Hintergrund sind die Ablehnungsanträge auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs ohne schuldhaftes Zögern gestellt worden.
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Das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter am Landgencht K. ist begründet.
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Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt hervorgehoben, dass im gerichtlichen Verfahren bereits der böse Schein mangelnder Unvoreingenommenheit zu vermeiden ist (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2023 – 1 BvR 1160/19 –, BVerfGE 167, 28-46 m.w.H.a. BVerfGE 152, 332 <337 f. Rn. 15>; 156, 340 <348 f. Rn. 21>; 159, 135 <141 f. Rn. 19>). Maßgeblich ist nicht, ob der Richter tatsächlich voreingenommen ist, sondern ob aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten Anlass zu Zweifeln an seiner Unparteilichkeit bestehen kann.
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An diesem verfassungsrechtlichen Leitbild ausgerichtet hat die Kammer allein auf den in der konkreten Verhandlungssituation entstandenen äußeren Eindruck abgestellt, den das Verhalten des Vorsitzenden aus der maßgeblichen Perspektive eines besonnenen Angeklagten vermitteln konnte. Die tatsächliche innere Haltung des Vorsitzenden war dabei nicht Gegenstand der Bewertung. Nach der auf langjähriger gemeinsamer richterlicher Erfahrung beruhenden Überzeugung der Kammer entspricht diese innere Haltung gerade nicht dem entstandenen Anschein. Gleichwohl ist allein der Anschein entscheidend.
1. Schaffung des Anscheins
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Der abgelehnte Vorsitzende hat durch seine Äußerung zunächst den entsprechenden Anschein geschaffen.
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Die Kammer hat für ihre Entscheidung den Standpunkt eines besonnenen, vernünftig urteilenden Ablehnenden zugrunde gelegt, der sich bei zumutbar ruhiger Prüfung der ihm bekannten Umstände ein Bild von der Situation macht (individuell-objektiver Maßstab). Danach ist die Besorgnis der Befangenheit dann begründet, wenn aus dieser Sicht Anlass zu der Annahme besteht, der Richter könne dem Angeklagten gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die seine Unparteilichkeit beeinträchtigt (st. Rspr. BGH, Beschluss vom 14. November 2023 – 4 StR 239/23, Rn. 16 m.w.N.).
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Ob eine Äußerung oder ein Verhalten eines Richters diesen Eindruck hervorzurufen vermag, beurteilt sich stets nach den Umständen des Einzelfalls. Eine sachlich-nüchterne Würdigung gebietet es, die beanstandete Situation nicht isoliert zu betrachten, sondern in ihren maßgeblichen verfahrensbezogenen Gesamtzusammenhang einzuordnen (vgl. BeckOK StPO/Cirener, 57. Ed. 1.10.2025, § 24 Rn. 35 m.w.N.).
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Dabei waren für die Kammer insbesondere folgende Gesichtspunkte von Bedeutung:
a. Situation der konfliktbehafteten Zeugenvernehmung
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Aus der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden vom 04.12.2025 ergibt sich nachvollziehbar, dass sich die Vernehmung des Zeugen … schwierig gestaltete. Der Vorsitzende gewann den Eindruck, der Zeuge beantworte Fragen nur zögerlich und ausweichend.
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Ein besonnener Angeklagter hat grundsätzlich hinzunehmen, dass die Leitung der Hauptverhandlung dem Vorsitzenden obliegt und dieser berechtigt sowie verpflichtet ist, den Sachverhalt umfassend aufzuklären. Dazu gehört es auch. Zeugen in klarer, mitunter nachdrücklicher Weise zu befragen und sie gegebenenfalls zu einer präzisen Aussage anzuhalten. Situationsbedingt kann dies auch die erkennbare Missbilligung eines ausweichenden Aussageverhaltens einschließen, solange dies nicht grob unsachlich oder ehrverletzend geschieht. Dieses Maß an Strenge ist dem Angeklagten grundsätzlich zumutbar.
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Zugleich bewegt sich eine solche Form der Befragung, insbesondere in konfliktbehafteten Vernehmungssituationen, in einem sensiblen Grenzbereich. Der Vorsitzende hatte hier erkannt, dass die Übersetzung durch den Dolmetscher anfänglich nicht durchgehend vollständig erfolgte, und zudem den Eindruck gewonnen, dass der Zeuge über eingeschränkte verbale Ausdrucksmöglichkeiten verfügte. In einer derartigen Konstellation darf ein besonnener Angeklagter erwarten, dass die notwendige Nachdrücklichkeit mit erhöhter Zurückhaltung verbunden wird und mögliche Ursachen der Kommunikationsschwierigkeiten in besonderer Weise berücksichtigt werden.
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Hinzu tritt als weiterer kontextprägender Umstand, dass sämtliche unmittelbar Beteiligten – Zeuge, Dolmetscher, Nebenkläger, Nebenklägervertreterin, Angeklagter und Verteidiger – eine fremde Herkunft oder einen Migrationshintergrund aufweisen. In einer solchen Konstellation können pauschale oder zugespitzte Äußerungen, selbst wenn sie nicht in dieser Absicht erfolgen, aus Sicht eines Angeklagten den Eindruck einer herabsetzenden oder verallgemeinernden Bewertung hervorrufen.
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Der Vorsitzende hat in seiner dienstlichen Stellungnahme glaubhaft geschildert, aufgrund des aus seiner Sicht unzureichenden Aussageverhaltens des Zeugen deutlich verärgert gewesen zu sein und diesen mit erhobener, lauter Stimme zur Beantwortung der Fragen angehalten zu haben. Er habe den Zeugen aufgefordert, einfach zu schildern, was geschehen sei. An eine Äußerung, der Zeuge oder der Dolmetscher seien „dumm“, hat der Vorsitzende keine Erinnerung. Diese Darstellung wird durch die dienstlichen Stellungnahmen der beisitzenden Richterinnen im Wesentlichen bestätigt.
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Vor diesem Hintergrund konnte die Art und Weise der Befragung aus der maßgeblichen Sicht eines besonnenen Angeklagten als sehr streng, spannungsgeladen und an der Grenze dessen wahrgenommen werden, was unter den gegebenen Umständen als sachlich angemessen erscheint. Für sich genommen überschritt sie diese Grenze indes nicht in einer Weise, die bei isolierter Betrachtung den Schluss auf eine fehlende Unvoreingenommenheit zuließe.
b. Zeitgeschichtlicher Kontext
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Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika äußerte sich nach übereinstimmenden Medienberichten am Ende einer Kabinettssitzung am 02.12.2025 in Washington im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen Subventionsbetrugs („Feeding our Future“) in Minneapolis und St. Paul (Bundesstaat Minnesota). In diesen Verfahren sollen zahlreiche Personen pandemiebezogene Fördergelder in erheblichem Umfang zu Unrecht erlangt haben. Der Bundesstaat Minnesota beherbergt die größte somalischstämmige Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten.
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Ein vollständiges amtliches Transkript der Äußerungen des Präsidenten liegt – soweit ersichtlich – nicht vor. Es existieren jedoch übereinstimmende journalistische Berichte sowie auszugsweise Agenturmeldungen, wonach der Präsident in verallgemeinernder Weise Somaliern vorgeworfen haben soll, den Bundesstaat Minnesota „ausgebeutet“ („ripped off“) zu haben. Ferner soll er geäußert haben, man gehe den falschen Weg, wenn man „Müll“ („garbage“) in das Land lasse, und sich in diesem Zusammenhang auch abwertend über einzelne somalischstämmige Personen sowie über das Land Somalia geäußert haben.
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Der abgelehnte Vorsitzende hat in seiner dienstlichen Stellungnahme glaubhaft und zur vollen Überzeugung der Kammer angegeben, diese Äußerungen des Präsidenten zum Zeitpunkt seiner eigenen Äußerung in der Hauptverhandlung nicht gekannt zu haben.
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Es ist nicht Aufgabe eines besonnenen Angeklagten, den Vorsitzenden auf der Grundlage bloßer Mutmaßungen diesbezüglich der Unwahrheit zu bezichtigen. Zugleich legt die Kammer auch hier den individuell-objektiven Maßstab zugrunde. Danach kommt es nicht auf die tatsächliche Kenntnis des Vorsitzenden an. Maßgeblich ist vielmehr, dass dieser zeitgeschichtliche Kontext als objektive Tatsache bestand und in deutschen Medien präsent war. Ein besonnener Angeklagter durfte daher die nachfolgend zu würdigende Äußerung des Vorsitzenden in diesem Licht einordnen.
c. Äußerung des Vorsitzenden
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Es ist Aufgabe der Kammer, die ablehnungsauslösende Äußerung des Vorsitzenden mit der gebotenen Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit festzustellen und ausschließlich anhand des individuell-objektiven Maßstabs zu bewerten.
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Gegen Ende der Einvernahme des Zeugen … und in Anwesenheit des somalischen Dolmetschers tätigte der abgelehnte Vorsitzende eine Äußerung, in der er inhaltlich Verständnis für nicht näher konkretisierte Aussagen des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika erkennen ließ. Der genaue Wortlaut dieser Äußerung wird von den Verfahrensbeteiligten nicht übereinstimmend wiedergegeben. Übereinstimmend ist jedoch festzuhalten, dass der Vorsitzende keinen ausdrücklichen Bezug auf die konkret berichteten Äußerungen des Präsidenten im Rahmen der Kabinettssitzung vom 02.12.2025 nahm.
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An seine initiale Bemerkung fügte der Vorsitzende einen weiteren Satz an, wonach er Äußerungen des Präsidenten zu „kulturellen Unterschieden und den daraus resultierenden Schwierigkeiten“ nachvollziehen könne.
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Soweit der Angeklagte den abgelehnten Richtern vorhält, sie stellten den Wortlaut der Äußerung in ihren dienstlichen Stellungnahmen verfälschend dar, unterzieht die Kammer auch dies einer kritischen Würdigung. Der Angeklagte und seine Verteidiger haben plausibel dargelegt, die Berichterstattung über die Äußerungen des amerikanischen Präsidenten am 03.12.2025 noch nicht gekannt zu haben und daher den möglichen Bedeutungsgehalt der Äußerung des Vorsitzenden erst am Folgetag in einen weiteren Zusammenhang eingeordnet zu haben. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig naheliegend, dass sie bereits am 03.12.2025 Anlass gehabt hätten, den exakten Wortlaut der Äußerung in einer Weise festzuhalten, die ihnen die wortlautbezogene Rüge verfälschender Darstellung erlaubte.
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Entscheidend ist indes auch hier nicht eine semantische Detailbetrachtung der Äußerung. Aus der maßgeblichen Sicht eines besonnenen Angeklagten kommt es nämlich nicht auf Wortlautfragen oder sprachliche Nuancen an. Vielmehr durfte ein besonnener Angeklagter im Lichte der konfliktbehafteten Vernehmung des somalischen Zeugen …, der engen zeitlichen Nähe zu einer breiten medialen Berichterstattung über abwertende Äußerungen des amerikanischen Präsidenten gegenüber somalischen Personen sowie der am Ende der Vernehmung erfolgten Bezugnahme des Vorsitzenden auf nicht näher bestimmte Äußerungen dieses Präsidenten zunächst den Verdacht fassen, der Vorsitzende bringe pauschalisierende oder abwertende Zuschreibungen gegenüber dem Zeugen oder dem Dolmetscher zum Ausdruck oder mache sich solche zumindest zu eigen.
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Der individuell-objektive Maßstab, dem die Kammer verpflichtet ist, verbietet es ausdrücklich, ihre Entscheidung auf die persönliche Kenntnis und die langjährigen Erfahrungen der Kammermitglieder mit dem Vorsitzenden zu stützen. Auch wenn die Kammermitglieder den Vorsitzenden als einen Richter kennen, der keinerlei abwertende oder diskriminierende Denkmuster in seiner beruflichen Haltung duldet, hat dies für die Beurteilung im vorliegenden Fall keine Rolle zu spielen. Die Entscheidung muss ausschließlich auf dem Eindruck basieren, den ein besonnener Angeklagter unter den gegebenen Umständen gewinnen kann.
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Unter diesen Umständen durfte bei einem besonnenen Angeklagten der böse Anschein entstehen, der Vorsitzende schreibe Menschen aufgrund ihrer Herkunft negative Eigenschaften zu oder werte sie hierauf gestützt ab. Dieser Anschein ist geeignet, auch bei einem nicht somalischstämmigen Angeklagten – hier dem polnischen Angeklagten – die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
2. glaubhafte Entschuldigung
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Das Recht der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit verlangt auch von dem hier maßgeblichen besonnenen Angeklagten, dass er sich nicht allein von der durch den Anschein der Befangenheit ausgelösten Empörung leiten lässt, sondern die Reaktion des abgelehnten Richters in eine sachliche Gesamtbewertung einstellt.
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Unbedachtes oder missverstandliches Verhalten eines Richters kann grundsatzlich durch eine zeitnahe Klarstellung oder Entschuldigung ausgeräumt werden. Insbesondere ein offenes Eingeständnis eigenen Fehlverhaltens oder eine ausdrückliche Entschuldigung können geeignet sein, den zuvor entstandenen Anschein der Befangenheit wieder entfallen zu lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 5 StR 292/11 – m.w.H.a. BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 – 5 StR 278/05, NStZ 2006, 49, und vom 18. August 2011 – 5 StR 286/11).
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Vor diesem Hintergrund ist besonders hervorzuheben, dass der abgelehnte Vorsitzende nach Stellung des Ablehnungsantrags noch am 04.12.2025 in öffentlicher Hauptverhandlung einräumte, eine Äußerung mit Bezugnahme auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gemacht zu haben, und zugleich ausdrücklich betonte, hiermit weder eine Herabwürdigung noch rassistische Intentionen verbunden zu haben. Er erklärte wörtlich: „Die Äußerung tut mir leid.“
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Dabei ist von Bedeutung, dass der Vorsitzende sein Bedauern nicht lediglich in einer nichtöffentlichen dienstlichen Stellungnahme äußerte, sondern sich bewusst in der öffentlichen Hauptverhandlung und damit vor den Verfahrensbeteiligten wie auch der Medienöffentlichkeit erklärte. Diese Form der offenen, unmittelbaren Entschuldigung stellt eine Geste persönlicher Verantwortung dar und war objektiv geeignet, einem entstandenen Misstrauen entgegenzuwirken.
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Gleichwohl vermochten die Entschuldigung in der Hauptverhandlung und die nachfolgende dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden den aus Sicht eines besonnenen Angeklagten bei zumutbar ruhiger Prüfung der Sachlage begründeten Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit nicht vollständig auszuräumen.
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Dies hängt wesentlich mit der besonderen Qualität des entstandenen Anscheins zusammen. Während andere – auch deutliche oder emotionale – Unmutsäußerungen eines Richters für einen objektiven Angeklagten regelmäßig als situationsbedingte Reaktionen erscheinen können, die durch eine klare Distanzierung oder Entschuldigung ihre Bedeutung verlieren, gilt dies für den Anschein herkunftsbezogener oder weltanschaulich konnotierter Bewertungen nur eingeschränkt. In solchen Konstellationen kann – selbst bei einer aufrichtigen und demütigen Entschuldigung – ein verbleibender Zweifel an der inneren Unvoreingenommenheit fortbestehen.
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Verstärkt wird dies vorliegend durch die vorausgegangene konfliktbehaftete Vernehmungssituation des Zeugen … Die aus Sicht eines besonnenen Angeklagten als sehr streng und grenznah empfundene Art der Befragung wirkt in die Gesamtwürdigung der Entschuldigung hinein und verleiht zugleich dem zuvor entstandenen Anschein zusätzliches Gewicht.
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Schließlich vermochte auch der in der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden vom 04.12.2025 erfolgte Rückgriff auf eigene Erfahrungen mit einzelnen Einvernahmen somalischer Zeugen die Wirkung der Entschuldigung nicht zu verstärken. Aus der Perspektive eines besonnenen Angeklagten kann der Eindruck entstehen, dass individuelle Verständigungs- oder Aussageprobleme verallgemeinert und nicht ausschließlich fallbezogen bewertet werden.
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Diese Faktoren stehen auch aus Sicht des besonnenen Angeklagten einer vollständigen Wiederherstellung des Vertrauens in die unbedingte Unvoreingenommenheit entgegen.
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die beanstandete Äußerung des Vorsitzenden in der konkreten Verhandlungssituation – im Zusammenwirken mit der konfliktbehafteten Zeugenvernehmung und dem zeitgeschichtlichen Kontext – aus der maßgeblichen Sicht eines besonnenen Angeklagten den bösen Anschein einer herkunftsbezogenen Voreingenommenheit begründen konnte.
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Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Vorsitzende sich zeitnah und in offener Form entschuldigt hat und dass nach der festen Überzeugung der Kammermitglieder keine tatsächliche diskriminierende Haltung vorliegt. Gleichwohl ist für die Entscheidung allein erheblich, dass der entstandene Anschein trotz der Entschuldigung nicht mit der für einen besonnenen Angeklagten erforderlichen Sicherheit ausgeräumt werden konnte.
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Da bereits der begründete Zweifel an der Unvoreingenommenheit genügt und das Vertrauen in die unparteiische Verfahrensführung uneingeschränkt gewahrt bleiben muss, war das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden für begründet zu erklären.
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Soweit der Angeklagte die Beisitzerinnen wegen einer unterbliebenen Intervention gegen die Äußerung des Vorsitzenden ablehnt, vermag dies die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen (§ 24 Abs. 2 StPO).
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Die in Rede stehende Äußerung des Vorsitzenden stellte sich als spontane, situationsbedingte Unmutsbekundung dar. Sie war für die beisitzenden Richterinnen weder vorhersehbar noch in ihrer konkreten Entstehung steuerbar.
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Die abgelehnten Richterinnen haben in ihren dienstlichen Stellungnahmen nachvollziehbar und glaubhaft dargelegt, dass sie von der Äußerung in der konkreten Situation überrascht wurden und deren Tragweite zunächst nicht erfassen konnten. Unter diesen Umständen durfte ein besonnener Angeklagter nicht erwarten, dass die Beisitzerinnen sich unverzüglich inhaltlich distanzieren.
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Anhaltspunkte dafür dass sich die Beisitzerinnen die beanstandete Äußerung inhaltlich zu eigen gemacht hätten oder ihr Verhalten auf eine fehlende innere Distanz zur Verhandlungsführung des Vorsitzenden schließen ließe, bestehen nicht Aus der maßgeblichen Sicht eines besonnenen Angeklagten ergibt sich daher kein objektiv nachvollziehbarer Grund für ein Misstrauen gegen ihre Unparteilichkeit.