Titel:
Zu den Voraussetzungen des § 185 StGB bei mehrdeutigen Äußerungen und zu den Voraussetzungen des § 188 Abs. 1 StGB nF
Normenketten:
StGB § 185, § 188 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine strafgerichtliche Verurteilung wegen einer Äußerung verstößt gegen Art. 5 Abs. 1 GG, wenn diese den Sinn, den das Gericht ihr entnommen und der Verurteilung zugrunde gelegt hat, nicht besitzt oder wenn bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne dass andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind. Dies gilt auch, soweit der Tatrichter von einem die Abwägung entbehrlich machenden Ausnahmetatbestand (Schmähkritik, Formalbeleidigung, Angriff auf die Menschenwürde) ausgehen will. (Rn. 9 – 16) (red. LS Alexander Kalomiris)
2. Bei der Prüfung, ob „die Tat geeignet ist, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren“ (§ 188 Abs. 1 StGB nF) sind nicht nur der Sinngehalt der Äußerung, sondern auch andere Umstände der Tat (Art der Verbreitung, Umfang des erreichten Personenkreises, Person des Geschädigten) zu berücksichtigen. (Rn. 18 – 29) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Formalbeleidigung, Volksschädling, Auslegung, Ermittlung des Sinngehaltes, mehrdeutig, geeignet, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren, Umstände der Tat, Meinungsfreiheit
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 19.07.2024 – 2 4 NBs 34 Js 8888/22
Fundstellen:
AfP 2025, 130
LSK 2025, 3444
BeckRS 2025, 3444
Tenor
I. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 19. Juli 2024 wird als unbegründet verworfen.
II. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Entscheidungsgründe
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1. Das Amtsgericht Ingolstadt sprach den Angeklagten mit Urteil vom 5. Juni 2023 von den Tatvorwürfen der gegen Personen des politischen Lebens gerichteten Beleidigung bzw. Verleumdung im Zusammenhang mit dem Verwenden eines Plakates auf einer Demonstration in Ingolstadt am 24. April 2022 frei.
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2. Das Landgericht Ingolstadt verwarf mit Urteil vom 19. Juli 2024 die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft.
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a) Das Landgericht hat seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde gelegt (UA S. 3-5):
„I. Anklageschrift vom 03.02.2023
Dem Angeklagten lag nach der Anklageschrift vom 03.02.2023 folgendes Tatgeschehen zur Last: Am 24.04.2022 nahm der Angeschuldigte auf dem Volksfestplatz in Ingolstadt an einer Versammlung unter dem Thema ”Endgültiges Maßnahmenaus“ teil. Hierbei trug er ein Plakat deutlich sichtbar an sich, auf welchem unter anderem der Bundeskanzler Olaf Scholz sowie die Bundesinnenministerin Nancy Faeser hinter Gittern abgebildet waren. Untertitelt war das Abbild von Scholz mit dem Ausspruch ”Volksschädling“, das Abbild Faesers mit der Unterschrift ”10-Punkte-Plan zur Volksvernichtung“. Diese Betitelung bezog sich auf die jeweilige, politische Tätigkeit der Abgebildeten als Bundespolitiker und war – wie der Angeschuldigte zumindest billigend in Kauf nahm – geeignet, deren öffentliches Wirken erheblich zu erschweren. Weiterhin wollte er durch die Betitelung als ”Volksschädling“ seine Missachtung gegenüber Olaf Scholz ausdrücken. Bei dem Nancy Faeser zuzuordnenden Kommentar bezog sich der Angeschuldigte auf deren Kampagne ”10-Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus“ und unterstellte wissentlich, sie leite eine Kampagne zur Volksvernichtung, was – wie der Angeschuldigte wusste – nicht der Fall ist. Der Angeschuldigte nahm bei seiner Handlung zumindest billigend in Kauf, dass die übrigen Versammlungsteilnehmer das Plakat wahrnehmen würden.
II. Feststellungen der Kammer
Am 24.04.2022 nahm der Angeklagte auf dem Volksfestplatz in Ingolstadt an einer Versammlung unter dem Thema ”Endgültiges Maßnahmenaus“ teil. Hierbei trug der Angeklagte ein Plakat deutlich sichtbar an sich, welches folgende Aufmachung und Inhalt hatte: Auf einer Seite des Plakats steht im Wortlaut: ”Amtseid von Volksverbrechern! So wahr uns der Teufel Amerika helfe, werden wir das deutsche Volk weiterhin belügen und betrügen! Allen voran NATO, UNO, WHO. Die rote Linie ist längst überschritten.“ Auf der anderen Seite des Plakats befindet sich die Überschrift ”Totengräber der Demokratie“ Darunter sind die Bundesministerin des Inneren, Nancy Faeser, der Bundeswirtschaftsminister, Robert Habeck, und der Bundeskanzler, Olaf Scholz, jeweils hinter Gittern befindlich abgebildet. Unter dem Bild der Bundesministerin des Inneren, Nancy Faeser, befindet sich folgender Wortlaut: ”10-Punkte-Plan zur Volkvernichtung“. Unter dem Bild des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck befindet sich folgender Wortlaut: ”Vaterlandsliebe findet er zum Kotzen“. Unter dem Bild des Bundeskanzlers Olaf Scholz befindet sich das Wort: ”Volksschädling“. Darunter steht folgender Text: ”Geistige Brandstifter am deutschen Volke. Rot-Grüne Kriegsbefürworter seit den 90ern (Jugoslawienkrieg)„. Zum Zeitpunkt, als dieses Plakat durch Kräfte der Polizei Ingolstadt beschlagnahmt wurde, nahmen ungefähr 100 Personen an der Versammlung teil. Ungefähr 6 Wochen zuvor hatte die Bundesministerin des Inneren einen ”10 Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus“ öffentlich vorgestellt; auf dieses Ereignis bezog der Angeklagte die unter dem Bild der Innenministerin angebrachte Bildunterschrift. Bereits im Jahr 2010 veröffentlichte der heutige Wirtschaftsminister Habeck ein Buch mit dem Titel ”Patriotismus. Ein linkes Plädoyer“, in welchem er schrieb ”Patriotismus, Vaterlandsliebe also, fand ich stets zum Kotzen. Ich wusste mit Deutschland nichts anzufangen und weiß es bis heute nicht“. Auf dieses Zitat bezog der Angeklagte seine unter dem Bild des Wirtschaftsministers angebrachte Bildunterschrift. Durch die Bezeichnung als ”Volksschädling“ wollte der Angeklagte seine Missachtung gegenüber Olaf Scholz ausdrücken. Der Angeklagte nahm bei seiner Handlung zumindest billigend in Kauf, dass die übrigen Versammlungsteilnehmer das Plakat wahrnehmen würden. Mit Schreiben des Bundeskanzleramts vom 17.10.2022 verzichtete der Bundeskanzler auf die Stellung eines Strafantrags; der Strafverfolgung von Amts wegen wurde nicht widersprochen. Zwischen dem 04.08.2022 und spätestens 07.09.2022 erlangte die Bundesministerin des Innern Kenntnis von den oben geschilderten Ereignissen und der Person des Angeklagten. Erst mit Schreiben vom 07.12.2022, welches am 09.12.2022 bei der KPI Ingolstadt einging, stellte die Bundesministerin Strafantrag gegen den Angeklagten.“
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b) Seine den Freispruch des Amtsgerichts bestätigende Entscheidung hat das Landgericht wie folgt begründet:
„I. Beleidigung zum Nachteil des Bundeskanzlers Olaf Scholz Die Bezeichnung des Bundeskanzlers Olaf Scholz als ”Volksschädling“ stellt eindeutig eine nicht von dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckte Formalbeleidigung nach § 185 2. Alternative StGB dar. Mangels Strafantrages nach § 194 StGB sondern ausdrücklichen Verzichts auf die Stellung eines Strafantrages ist diese Tat jedoch nicht verfolgbar.
II. Keine Straftat zum Nachteil der Bundesministerin des Inneren Nancy Faeser Die Kammer sieht keine strafbare Beleidigung oder Verleumdung zum Nachteil der Bundesministerin des Inneren Nancy Faeser. Nach Auffassung der Kammer liegt unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des BVerfG keine Beleidigung oder Verleumdung im Sinne von § 185, 187, 188 Abs. 2 StGB vor. Denn die auf dem Plakat befindliche Bild-Unterschrift ”10-Punkte-Plan zur Volksvernichtung“ kann nicht isoliert als (unrichtige) Tatsachenbehauptung betrachtet werden, sondern sie stellt eine zulässige Meinungsäußerung dar. Vorliegend kann die betreffende Bildunterschrift sinnvoll nur im Kontext der damals aktuellen Berichterstattung zu dem auch offiziell so bezeichneten ”10 Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus“ seitens der Bundesministerin des Inneren ausgelegt werden. In diesem Kontext wird deutlich, dass die Aussage ”10-Punkte-Plan zur Volksvernichtung“ nicht als eine Tatsachenbehauptung, sondern als eine negative und überspitzte Meinungsäußerung zu diesem besagten ”10 Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus“ auszulegen ist. Denn bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext dieser Äußerung an. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht. Auch ist im Einzelfall eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte. Denn anders als bei Meinungen, bei denen insbesondere im öffentlichen Meinungskampf im Rahmen der regelmäßig vorzunehmenden Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit einerseits und dem Rechtsgut, in deren Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz wie den § 185ff. StGB eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zugunsten der freien Rede gilt, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind deshalb auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. nur zuletzt BVerfG, Beschluss v.04.04.2024, 1 BvR 820/24, Rz 17 m.w.N.). Als solche Meinungsäußerung überschreitet die Bildunterschrift nach Auffassung der Kammer auch eindeutig nicht die Grenze zur Schmähkritik oder Formalbeleidigung, da diese Äußerung sich insbesondere nicht primär gegen die Person der Ministerin, sondern gegen eine von dieser vertretenen politischen Maßnahme richtet. Darauf, dass seitens der Ministerin kein wirksamer Strafantrag gestellt wurde, oder ob die Tat im Sinne von § 188 StGB geeignet ist, ihr öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, kam es damit nicht mehr an.
III. Keine Strafbarkeit nach § 188 Abs. I StGB bezüglich der Beleidigung des Bundeskanzlers Olaf Scholz Die objektiv und subjektiv gegebene Beleidigung des Bundeskanzlers Olaf Scholz durch dessen Bezeichnung als ”Volksschädling“ ist nicht nach § 188 Abs. 1 StGB verfolgbar, da die Tat nicht geeignet ist, das öffentliche Wirken des Bundeskanzlers erheblich zu erschweren.
1. Rechtsdogmatisch handelt es sich bei § 188 Abs. 1 StGB um einen Qualifikationstatbestand zur Beleidigung nach § 185 StGB mit einem erhöhten Strafrahmen von bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe. Die Norm erfasst dabei im Gegensatz zur einfachen Beleidigung lediglich 2 Begehungsweisen, nämlich eine Beleidigung in einer öffentlichen Versammlung oder eine Beleidigung durch Verbreiten eines lnhaltes nach § 11 Abs. 3 StGB. Dahinter steht die Erwägung, dass derartige Verbreitungsformen an einen weiten Personenkreis gerichtet sind. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber als einschränkendes Merkmal die Formulierung: ”und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren“ aufgenommen. Es handelt sich also um ein abstraktes Gefährdungsdelikt (vgl. AG Schwetzingen, Urteil vom 26.06.2023 -2 Cs 806 Js 336/23, BeckRS 2023, 15390).
2. Rechtsprechung zur aktuellen Fassung des § 188 StGB ist bis heute, bis auf die zitierte Entscheidung des AG Schwetzingen, Urteil vom 26.06.2023 -2 Cs 806 J5 336/23, BeckRS 2023, 15390, noch nicht veröffentlicht.
3. Der Bundesgerichtshof hat in Entscheidungen zum § 187a StGB alte Fassung, der üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens unter Strafe stellte, jedoch mehrere Entscheidungen hinsichtlich des auch damals geltenden Merkmals der Eignung der Tat, das öffentliche Wirken erheblich zu erschweren, gefällt. In seinem Urteil vom 08.01.1954 hat der 5. Strafsenat vertreten, dass es für die Frage, ob eine Äußerung geeignet ist, das öffentliche Wirken des Angegriffenen erheblich zu erschweren, lediglich auf den Inhalt der Äußerung ankomme. Dies begründet der 5. Strafsenat damit, dass der Gesetzgeber auch im § 187a StGB alte Fassung forderte, dass die Äußerung öffentlich in einer Versammlung oder durch das Verbreiten von Schriften getätigt werden musste. Durch diese selbstständige Tatbestandsvoraussetzung, welche zur Erfüllung des Tatbestandes ausreiche, habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass eine weitere Einschränkung des Tatbestandsmerkmals der Eignung durch äußere Umstände, wie etwa die Verbreitungsform, die Menge des erreichten Personenkreises o.ä., nicht gewollt sei (BGH, Urteil vom 8. 1. 1954-5 StR 611/53; NJW 1954, 649). Diese Rechtsprechung hat der 2. Strafsenat fortgeführt und am 04.03.1981 entschieden, dass es auch unerheblich sei, wie viele der von der Äußerung erreichten Personen der Erklärung des Täters Glauben schenken (BGH, Urteil vom 04.03.1981 -2 StR 641/80).
4. In der Literatur wird überwiegend vertreten, dass es für die Bestimmung der Eignung der Tat, das öffentliche Wirken des Opfers erheblich zu erschweren, auch auf die äußeren Umstände der Tat ankomme (vgl. BeckOK StGB/Valerius, 61. Ed. 1.5.2024, StGB § 188 Rn. 9; Fischer StGB, 69. Auflage 2022, § 188 Rn. 6; MüKoStGB/Regge/Pegel, 4. Aufl. 2021, StGB § 188 Rn. 12; Hilgendorf in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage 2023, § 188 StGB Rn. 4, NK-StGB/Kargl, 6. Aufl. 2023, StGB § 188 Rn. 14).
5. Letzterem ist aus Sicht der Kammer zuzustimmen. Für diese Ansicht sprechen Wortlaut und Systematik. § 188 Abs. 1 StGB stellt auf die Eignung der ”Tat“ ab. Es erscheint daher vorzugswürdig, sämtliche Begleitumstände zu betrachten und die Verbreitungsform, die Größe des Adressatenkreises, den Umstand der Äußerung etc. mit bei der Frage der Eignung abzuwägen. § 186 und 187 StGB stellen im Gegensatz zu § 188 StGB bei der Eignung zur Verächtlichmachung, beziehungsweise Herabwürdigung alleine auf die Tatsache und nicht auf die ”Tat“ ab, so dass auch die Systematik für eine derartige Auslegung spricht. Darüber hinaus würde ein fehlendes Außerachtlassen der Begleitumstände die Gefahr bergen, dass das Verhältnis zwischen Grundtatbestand aus § 185 bis 187 StGB zur Qualifikation in § 188 StGB in Ungleichgewicht gerät. Es sind nämlich kaum Fälle der § 186 und 187 StGB denkbar, die dann nicht zu einer Erfüllung des Qualifikationstatbestandes führen, wenn die Tatsache in Bezug auf eine Person des politischen Lebens geäußert wird. Die meisten Fälle, die die Strafverfolgungsbehörden beschäftigen stammen gerade aus dem Bereich der lnternetmedien, sodass es sich fast ausschließlich um Inhalte nach § 11 Abs. 3 StGB handelt. Dies führt zu einer Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Grundtatbestand und Qualifikation (vgl. AG Schwetzingen, Urteil vom 26.06.2023-2 Cs 806 J5 336/23, BeckRS 2023, 15390).
6. Welche Voraussetzungen jedoch erfüllt sein müssen, damit die Tat geeignet ist, das öffentliche Wirken erheblich zu gefährden, ist bislang nicht abschließend geklärt. Teilweise wird gefordert, dass die Glaubwürdigkeit oder Lauterkeit in Frage gestellt oder die Einflussmöglichkeiten nachhaltig geschmälert werden (Fischer StGB, 69. Auflage 2022, § 188 Rn. 6). Andere stellen darauf ab, ob die Äußerung geeignet ist, das Vertrauen in die Integrität des Opfers zu erschüttern (MüKoStGB/Regge/Pegel, 4. Aufl. 2021, StGB § 188 Rn. 13), ob ihr die Eignung zur Herbeiführung erheblicher Nachteile zukommt (vgl. NK-StGB/Kargl, 6. Aufl. 2023, StGB § 188 Rn. 12). oder ob die Äußerung den Betroffenen des Vertrauens unwürdig erscheinen lässt, dessen er für sein öffentliches Wirken bedarf (Hilgendorf in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage 2023, § 188 StGB Rn. 4). Jedenfalls ist, um das Verhältnis zwischen Grundtatbestand und Qualifikation nicht umzukehren, ein ”Mehr“ gegenüber der bloßen Erfüllung des Grundtatbestandes und den für § 188 StGB notwendigen Begehungsformen (öffentliche Versammlung oder Verbreiten eines Inhalts) zu fordern. Denn die besonderen Begehungsformen sind bereits in § 185 StGB selbst in Form einer Qualifikation enthalten. Andererseits dürfen die Anforderungen an die Eignung nicht überspannt werden, da es sich nur um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt (vgl. AG Schwetzingen, Urteil vom 26.06.2023 -2 Cs 806 Js 336/23, BeckRS 2023, 15390).
7. Der Angeklagte hat das gegenständliche Plakat im Rahmen einer öffentlichen Versammlung mit ungefähr 100 Teilnehmern mitgeführt. Dem Plakat des Angeklagten ist also nur eine begrenzte Reichweite zuzusprechen.
8. Letztendlich handelt es sich bei der Frage der Eignung um eine Wertungsfrage im Einzelfall der sich in irgendeiner Form mittels einer einfachen Kontrollüberlegung angenähert werden muss. Es ist daher nach Auffassung der Kammer darauf abzustellen, ob die Gefahr besteht, dass ein vernünftiger, durchschnittlicher Bürger durch die Äußerung ernsthaft an der Integrität oder Lauterkeit der politischen Person zweifeln oder das politische Wirken der Person in Frage stellen würde. Dabei wird nicht verkannt, dass es vereinzelt auch (unvernünftige) Personen gibt, die für abstruse Behauptungen empfänglich sind, solchen Glauben schenken und daher den politischen Einfluss des Angegriffenen in Frage stellen. Dieser Anteil dürfte jedoch relativ gering sein. Jedenfalls wirkt sich dies nicht ”erheblich“ im Sinne der Vorschrift aus. Die Kontrollüberlegung soll den Tatbestand daher nicht von seiner Ausgestaltung zu einem konkreten Gefährdungsdelikt umgestalten, sondern eben auch das Merkmal der ”Erheblichkeit“ im Sinne der Vorschrift abbilden (vgl. AG Schwetzingen, Urteil vom 26.06.2023 -2 Cs 806 Js 336/23, BeckRS 2023, 15390).
9. Die vorliegende Äußerung ist daher nicht geeignet, das öffentliche Wirken des Bundekanzlers erheblich zu erschweren. Gerade weil sich das Plakat in keiner Form mit politischen Inhalten des Bundeskanzlers auseinandergesetzt und dieser lediglich plakativ als ”Volksschädling“ bezeichnet wird, würde ein vernünftiger Dritter in keiner Weise an der Integrität des Bundeskanzlers zweifeln, oder dessen Einflussmöglichkeit in Frage stellen. Bei beleidigenden Inhalten ist dies auch generell schwer denkbar. Insofern ist auch aus Sicht der Kammer die Aufnahme des § 185 StGB in den Qualifikationstatbestand missglückt. Während durchaus Beispiele der üblen Nachrede oder Verleumdung denkbar sind, die das Vertrauen in die Integrität einer Person des politischen Lebens erschüttern und das öffentliche Wirken erheblich erschweren können, wie beispielsweise die unwahre Verbreitung von sexuellen Missbrauchsvorwürfen oder der Vorwurf der Korruption. Im Bereich der Beleidigung hingegen sind Konstellationen, in denen der Tat eine solche Eignung innewohnt, kaum vorstellbar, was letztlich allerdings nicht dazu führt, dass Personen des politischen Lebens schutzlos gestellt sind. Die strafrechtliche Sanktion von beleidigenden Äußerungen ist über § 185 StGB gewährleistet. Dann jedoch nur unter der Voraussetzung, dass ein wirksamer Strafantrag vorliegt (vgl. AG Schwetzingen, Urteil vom 26.06.2023 -2 Cs 806 J8 336/23, BeckRS 2023, 15390).“
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3. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt und die rechtliche Würdigung des Landgerichts bezüglich der Beleidigung des Geschädigten Scholz beanstandet. Sie meint, dass wie zu den vorherigen Fassungen des § 188 StGB lediglich auf den Inhalt der Beleidigung abzustellen sei. Hier liege eine Schmähbeleidigung vor, die auf nationalsozialistisches Gedankengut und Formulierungen zurückgreife, und so auszulegen sei, dass das politische Handeln des Geschädigten dem „gesunden Volksempfinden“ widerspreche und sein Leben daher nicht schützenswert sei. Die Äußerung sei darüber hinaus geeignet gewesen, andere Versammlungsteilnehmer zu weiteren Angriffen gegen den Geschädigten zu motivieren und auch insofern geeignet, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren.
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Das Rechtsmittel wird von der Generalstaatsanwaltschaft vertreten.
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Die zulässige Revision hat keinen Erfolg, weil sich die freisprechende Entscheidung des Landgerichts und die Verneinung einer Strafbarkeit des Angeklagten nach § 188 Abs. 1 StGB im Zusammenhang mit der Bezeichnung des Geschädigten Scholz als „Volksschädling“ jedenfalls im Ergebnis als richtig erweisen.
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1. Nach Auffassung des Senats kann auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen schon eine Beleidigung des Geschädigten Scholz (UA S. 6) nach § 185 StGB nicht bejaht werden, was bereits den Freispruch den Angeklagten trägt.
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a) Das Landgericht ist von einer „Formalbeleidigung“ ausgegangen und hat den Tatbestand des § 185 StGB ohne weitere Abwägung mit dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 StGB bejaht. Dies verfehlt die verfassungsrechtlichen Anforderungen im Zusammenhang mit der Strafbarkeit von Meinungsäußerungen.
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aa) Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälernden Gehalts einer Äußerung. Die strafrechtliche Sanktionierung knüpft an diese dementsprechend in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallenden und als Werturteil zu qualifizierende Äußerungen an und greift damit in die Meinungsfreiheit des Äußernden ein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020, 1 BvR 2397/19, NJW 2020, 2622ff., Rdn. 12 m. w. N.). Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts. Der Schutz der Meinungsfreiheit ist gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und findet darin unverändert seine Bedeutung. Davon unberührt bleibt, dass der Gesichtspunkt der Machtkritik im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Eingriffs in die Meinungsfreiheit in die Abwägung eingebunden und nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern erlaubt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.04.2024, 1 BvR 820/24, AfP 2024, 316, 317, Rdn. 12).
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Im Normalfall erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung für eine strafrechtliche Sanktionierung einer Aussage nach der Ermittlung des Sinns dieser Aussage eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, welche der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (BVerfG vom 19.05.2020, 1 BvR 2397/19, aaO Rdn. 15 m. w. N.). Es bedarf einer umfassenden Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falles und der Situation, in der die Äußerung erfolgte (BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020, 1 BvR 2459/19, NJW 2020, 2629ff. Rdn. 18). Eine Abwägung ist nur in den Fällen der Schmähkritik, der Formalbeleidigung und dann entbehrlich, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde darstellt (BVerfG vom 19.05.2020, 1 BvR 2459/19, aaO Rdn. 17 m. w. N.). Von einem die Abwägung entbehrlich machenden Ausnahmetatbestand (Schmähkritik, Formalbeleidigung, Angriff auf die Menschenwürde) kann nur ausgegangen werden, wenn eine in den Urteilsgründen darzulegende Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falles ergibt, dass ein mit der inkriminierten Äußerung verfolgtes sachliches Anliegen entweder nicht existiert oder so vollständig in den Hintergrund tritt, dass sich die Äußerung in einer persönlichen Kränkung erschöpft, bzw. die verwendete Beschimpfung das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts verlässt und unabhängig von den Umständen grundsätzlich nicht mit der Meinungsfreiheit legitimierbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020, 1 BvR 2397/19 aaO Rdn. 23). Auch insoweit gilt daher, dass sich die Strafbarkeit einer Äußerung nicht allein aus deren Wortlaut erschließt, sondern die Feststellung deren Anlasses und der näheren Umstände erfordert.
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bb) Da der Schutzumfang des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG von der näheren Qualifizierung des Sinngehalts einer Aussage (s. bereits oben) abhängt, muss sich für das Revisionsgericht aus den Feststellungen des Tatrichters auch dieser ergeben. Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG Vorgaben abgeleitet, die schon im erforderlichen Ermittlungsvorgang gelten und damit rechtliche Maßstäbe für die tatrichterliche Sachverhaltsfeststellung enthalten. Ihre Einhaltung zu überprüfen ist Teil der revisionsgerichtlichen Kontrolle. So verstößt eine strafgerichtliche Verurteilung wegen einer Äußerung schon dann gegen Art. 5 Abs. 1 GG, wenn diese den Sinn, den das Gericht ihr entnommen und der Verurteilung zugrunde gelegt hat, nicht besitzt oder wenn bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne dass andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 26.06.1990, 1 BvR 1165/89, zitiert nach juris; BVerfG vom 04.04.2024, 1 BvR 820/24, aaO Rdn. 15). Dabei haben die Gerichte insbesondere ausgehend vom Wortlaut auch den Kontext und die sonstigen Begleitumstände der Äußerung zu beachten (siehe z.B. BVerfG, Beschluss vom 28.03.2017, 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001, Rdn. 17). Maßstab der Sinnermittlung ist der Horizont eines verständigen Dritten (vgl. z. B. BayObLG, Beschluss vom 20.10.2004, 1 St RR 153/04, NJW 2005, 1291, Rdn. 21, m. w. N. zur Rechtsprechung des BVerfG; Fischer, StGB, 72. Aufl., § 185 StGB Rdn. 8ff. m. w. N.).
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cc) Diesen Anforderungen wird die begründunglose Einordnung des Plakatinhaltes den Geschädigten Scholz betreffend als „Formalbeleidigung“ durch die Kammer nicht gerecht. Es wird schon nicht darlegt, welcher genaue Aussagegehalt dem Plakat bezüglich des Geschädigten zu entnehmen sein soll; auch eine Einordnung in den Gesamtkontext des Plakates und der Protestaktion erfolgt nicht (vgl. zu einem ähnlichen Fall BVerfG vom 04.04.2024, 1 BvR 820/24, aaO Rdn. 18). Anders als die Staatsanwaltschaft zu meinen scheint, sind auch Assoziationen an das NS-Regime (durch den Gebrauch des Begriffes „Volksschädling“) nicht ausreichend, um einen strafbaren Inhalt anzunehmen (vgl. zum gegenständlichen Begriff auch OLG Köln, Urteil vom 08.06.1999, 15 U 110/98, 15 U 135/98, zitiert nach juris, dort Rdn. 206); auch hier kommt es auf die Ermittlung des Sinngehaltes im Gesamtkontext an (vgl. Senat, Beschluss vom 30.10.2024, 206 StRR 278/24, BeckRS 2024, 29671). Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass der Plakatinhalt bezüglich des Geschädigten Scholz überhaupt keinen sachlichen Bezug haben könnte und lediglich die persönliche Kränkung im Vordergrund steht.
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b) Die Ermittlung des Sinngehaltes und die Abwägung mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit kann und muss das Revisionsgericht bei vollständigen Feststellungen selbst vornehmen (ständige Rechtsprechung des Senates, vgl. zuletzt etwa Beschluss vom 14.10.2024, 206 StRR 343/24, BeckRS 2024, 27460, dort Rdn. 8). Lediglich wenn eine Ermittlung des Sinngehaltes und eine Abwägung allein anhand der Urteilsgründe nicht möglich ist, ist es dem Senat verwehrt, sich aus den Akten die notwendigen Überzeugungen zu verschaffen; das Urteil des Tatrichters ist dann aufzuheben (vgl. Senat, Beschluss vom 19.09.2024, 206 StRR 311/24, BeckRS 2024, 25529).
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Danach ist hier zwar die Ermittlung des Sinngehaltes der Äußerung hinsichtlich des Geschädigten Scholz durch das Landgericht mangelhaft und unklar, weil offenbleibt, ob die Kammer den Gesamtzusammenhang des Plakats seiner Auslegung ebenso wie bei der Geschädigten Faeser zugrunde gelegt hat, ob sie davon ausgegangen ist, dass sich der Angeklagte auch bezüglich des Geschädigten Scholz gegen den „10-Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus“ wenden wollte oder ob sie einen sachlichen Bezug zum eigentlichen Thema der Demonstration „Endgültiges Maßnahmenaus“ gesehen hat.
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Auf der Grundlage der insoweit vollständigen landgerichtlichen Feststellungen kann der Senat jedoch (ausnahmsweise) unter Zugrundelegung des vollständigen Inhaltes und des Gesamtzusammenhanges der Verwendung des Plakates selbst aussprechen, dass eine Strafbarkeit nach § 185 StGB nicht vorliegt. Jedenfalls auf dieser Grundlage lässt sich nämlich eine Deutung der Äußerung des Angeklagten (auch) bezüglich des Geschädigten Scholz nicht zweifelsfrei ausschließen, dass er mit der Bezeichnung „Volksschädling“ aus seiner Sicht in erster Linie das inhaltliche Handeln des Bundeskanzlers „zum Schaden des Volkes“ anprangern wollte. Dafür spricht insbesondere der weitere Inhalt des Plakates („Volksverbrecher“, „Totengräber der Demokratie“). Eine solche Machtkritik ist unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (s. o. Ziff. II.1a) auch in derart polemischer Form zulässig. Für eine Straflosigkeit von mehrdeutigen Äußerungen ist es ausreichend, wenn sich eine Deutung der Aussage als eine vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasste nicht ausschließen lässt.
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2. Zusätzlich sind allerdings auf der Grundlage der Feststellungen der Kammer auch die übrigen Voraussetzungen des § 188 Abs. 1 StGB nicht gegeben, so dass die freisprechende Entscheidung auch auf dieser Basis rechtsfehlerfrei ist.
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a) Der Senat hält zunächst entgegen den Ausführungen der Revisionsführerin den Ansatz des Landgerichtes für zutreffend, dass bei der Prüfung, ob „die Tat geeignet ist, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren“ nicht nur der Sinngehalt der Äußerung, sondern auch andere Umstände der Tat (Art der Verbreitung, Umfang des erreichten Personenkreises, Person des Geschädigten) zu berücksichtigen sind.
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Ergänzend zu den Ausführungen der Kammer (UA S. 7-11) sind insoweit folgende Bemerkungen veranlasst:
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aa) Der BGH war zur Vorgängervorschrift des § 187a StGB bzw. der Fassung des § 188 StGB nach dem 6. Strafrechtsreformgesetz (der sich nur auf Straftaten nach §§ 186, 187 StGB bezog) in ständiger Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteile vom 08.01.1954, 5 StR 611/53, NJW 1954, 649, und vom 04.03.1981, 2 StR 641/80, BeckRS 1981, 31107343) der Meinung, dass nur der Inhalt der Tatsachenbehauptung maßgeblich sei, nicht hingegen die Art der Verbreitung und die Größe des erreichten Personenkreises, weil nur dies dem Wortlaut (des § 187a StGB a. F.) und dem Zweck der Vorschrift entspreche (vgl. BGH aaO, NJW 1954, 649). Bereits zur alten Fassung wurde diese Meinung in der Literatur nicht geteilt (vgl. Schönke/Schröder-Eisele/Schittenhelm, StGB, 30. Aufl., § 188 Rdn. 6 und Münchener Kommentar zum StGB (MK)-Regge/Pegel, 4. Aufl., § 188 Rdn. 12), insbesondere wegen des Wortlautes des § 188 StGB a. F. („ist die Tat geeignet …“).
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bb) Jedenfalls zu § 188 StGB Abs. 1 n. F. hält es der Senat nicht mehr für zutreffend, allein auf den Inhalt der Äußerung abzustellen, sondern es müssen deren Gesamtumstände und ihre Auswirkungen maßgeblich sein.
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(1) Dies gilt zum einen wegen des Wortlautes der Vorschrift („Tat“, s. o. und BeckOK zum StGB/Valerius, 63. Ed., § 188 Rdn. 8f., sowie Leipziger Kommentar zum StGB (LK)/Hilgendorf, 13. Aufl., § 188 Rdn. 4; s. auch AG Schwetzingen, Urteil vom 26.06.2023, 2 Cs 806 Js 336/23, BeckRS 2023, 15390, Rdn. 15ff). Demnach muss die „Tat“ geeignet sein, das öffentliche Wirken erheblich zu erschweren. Dies spricht dafür, dass nicht lediglich der Inhalt der Äußerung, sondern auch die Begleitumstände entscheidend sind. Der Ausdruck der Tat wird an vielen weiteren Stellen im StGB verwendet. Im Allgemeinen Teil des StGB findet sich die „Tat“ als Merkmal wieder, so beispielsweise im Rahmen der Strafzumessungskriterien bei § 46 Abs. 2 S. 2 StGB („die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille“), innerhalb der 2017 reformierten Bestimmungen über die Vermögensabschöpfung bei § 73 Abs. 1 StGB („durch eine rechtswidrige Tat“) oder bei der Frage der Verjährung, wo an die Beendigung der Tat angeknüpft wird, was jedoch nicht mit dem Ende der Tathandlung übereinstimmen muss (§ 78a S. 1 StGB). Dabei ist jeweils das gesamte Geschehen gemeint, eine Eingrenzung auf die Tathandlung alleine ist abzulehnen. Darüber hinaus findet sich die „Tat“ im Besonderen Teil des StGB vielfach als Tatbestandsmerkmal, so etwa in § 239 Abs. 3 Nr. 2 oder bei § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Auch hierbei ist jeweils nicht nur die konkrete Tathandlung, sondern ein weiteres Verständnis maßgeblich (zu § 239: BGH, Urteil vom 28.01.2021, 3 StR 279/20, NStZ 2022, 291 Rdn. 18ff.; Fischer aaO § 239 Rdn. 15b; zu § 250 etwa BGH, Urteil vom 25.03.2009, 5 StR 31/09, zitiert nach juris, dort Rdn. 7ff.; Fischer aaO § 250 Rdn. 18). Hätte der Gesetzgeber mit der Formulierung in § 188 Abs. 1 StGB eine andere Bedeutung erzielen wollen, hätte er sich eines einschränkenden Ausdruckes bedient. Dies hat er etwa bei den Vorschriften des §§ 186, 187 StGB auch getan, indem dort die Geeignetheit der geäußerten „Tatsachen“ zu überprüfen steht. Eine solche Regelungskonstruktion bzw. Formulierung ist dem § 188 Abs. 1 S. 1 StGB indes gerade nicht zu entnehmen. Eine Verengung des Begriffsverständnisses der „Tat“ hin dazu, darunter lediglich die Äußerung bzw. deren Inhalt zu verstehen, wäre sowohl sprachlich ungewohnt als auch im Hinblick auf die anderen Regelungen des StGB nicht nachzuvollziehen.
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(2) Entscheidend hierfür ist allerdings die unterschiedliche Deliktsstruktur von § 188 Abs. 1 (bezogen auf Straftaten nach § 185 StGB, neu eingefügt) und § 188 Abs. 2 StGB (bezogen auf Straftaten nach §§ 186, 187 StGB, entspricht der Vorgängervorschrift).
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Während die Straftaten nach §§ 186, 187 StGB an Tatsachenbehauptungen anknüpfen, geht es bei § 185 StGB um Werturteile, bei denen nach der Rechtsprechung des BVerfG schon für die Erfüllung des Tatbestandes des § 185 StGB nicht nur der Wortlaut, sondern die Gesamtumstände der Äußerung maßgeblich sind (s. o.). Sind die Gesamtumstände somit für ein Tatbestandsmerkmal des § 188 StGB Abs. 1 StGB n. F. maßgeblich, so muss das auch für die weiteren Tatbestandsmerkmale gelten, um Widersprüche zu vermeiden und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes Rechnung zu tragen, wonach bei durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägten Werturteilen als Meinungen im engeren Sinne im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 GG andere verfassungsrechtliche Anforderungen gelten (vgl. BVerfG vom 04.04.2024 aaO Rdn. 16).
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Zudem sind auch die Auswirkungen von falschen Tatsachenbehauptungen in der Regel andere als von beleidigenden Werturteilen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 23.07.2024, 1 ORs 19/24, zitiert nach juris, dort Rdn. 21; Hecker, JuS 2025, 274, 275). Anders als bei einer falschen Tatsachenbehauptung herrscht bei einem Werturteil die Gefahr der Verselbstständigung der Äußerung nicht in gleichem Maße. Dies ist darin begründet, dass einem Werturteil anzusehen ist bzw. es diesem zugrunde liegt, dass es ein subjektives Gefühl und eine persönliche Wertung wiedergibt. Solche persönlichen Wertungen werden von Personen lediglich dann weitergetragen bzw. geteilt, wenn diese derselben Ansicht sind. Insofern beruht dies jedoch auf einem eigenen Entschluss, dieselbe Meinung zu haben und diese auch Kund zu tun. Dagegen ist bei einer Tatsachenbehauptung oftmals nicht sofort erkennbar, ob es sich dabei um eine falsche oder wahre Tatsachenbehauptung handelt. Jedoch werden Tatsachenbehauptungen, da sie objektiver Natur sind, von Personen gleichwohl weitergegeben. Dies hängt im Gegensatz zu Werturteilen weniger von den eigenen Einstellungen der weitergebenden Personen ab. Daher ist bei einer Tatsachenbehauptung das Risiko der Verselbstständigung jener Behauptung bedeutend größer als bei einem Werturteil.
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cc) Soweit das OLG Zweibrücken (Urteil vom 30.09.2024, 1 ORs 1 SRs 8/24, zitiert nach juris, dort Rdn. 20ff.) der Meinung ist, auch bei § 188 Abs. 1 StGB sei nur auf den Inhalt der Äußerung abzustellen, überzeugt das aus den vorgenannten Gründen nicht. Auch der Verweis auf den Willen des Gesetzgebers verfängt nach Auffassung des Senates nicht.
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Der Entwurf für § 188 StGB n. F. sah zunächst nur eine Ergänzung dahingehend vor, dass er sich zukünftig auf die kommunale Ebene erstrecken sollte (BT-Drs. 19/17741 S. 7und 36). Erst auf Initiative des Bundesrates (vgl. BT-Drs. 19/18470 S. 18 und Engländer, NStZ 2021, 385, 388) wurde die Erweiterung auf Delikte nach § 185 StGB ins Spiel gebracht. Entgegen der Anregung der Bundesregierung, derartig weitreichende Änderungen gesondert zu prüfen und zuvor auch die Praxis zu beteiligen (BT-Drs. 19/18470 S. 26) wurde diese Änderung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ohne weitere Prüfung beschlossen (BT-Drs. 19/20163 S. 26). Aus den sehr kurzen „Motiven“ (BT-Drs. 19/20163 S. 43) ergibt sich, dass den Entwurfsverfassern die unterschiedlichen Anforderungen an die Delikte nach §§ 186, 187 StGB einerseits und § 185 StGB andererseits in keiner Weise bewusst waren. Dass sich daraus ggf. auch andere Anforderungen an die „Eignung“ ergeben könnten, war den Abgeordneten somit nicht bewusst. Von einem „Willen“ des Gesetzgebers hinsichtlich der Anforderungen an die „Eignung, das öffentliche Wirken des Betroffenen erheblich zu erschweren“ kann somit keine Rede sein, er hat diese Problematik ohne genauere Prüfung schlichtweg nicht bedacht.
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dd) Schließlich ist auch dem Argument des OLG Zweibrücken (Urteil vom 30.09.2024 aaO Rdn. 26) entgegenzutreten, wonach es „zu kaum handhabbaren Abgrenzungsschwierigkeiten“ für die Tatgerichte komme, sofern man auch die Begleitumstände der Äußerung berücksichtigt. Denn es vermischt an dieser Stelle die Maßstäbe, mit welchen die Frage der Geeignetheit zu beantworten ist. Einerseits ist es für das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals nicht notwendig, dass es tatsächlich zu einer Erschwernis des öffentlichen Wirkens gekommen ist. Dazu muss der Tatrichter folglich auch keine konkreten Feststellungen treffen. Vielmehr sind lediglich die Umstände der Tat zu ermitteln, und diese dann abstrakt auf ihre Eignung, potentiell eine Erschwernis zu besorgen, zu überprüfen. Dies jedoch ist für den Tatrichter auch mit der notwendigen Sicherheit zu leisten. So kann er etwa bei einer Verbreitung einer Äußerung über das Internet feststellen, über welche Plattform die Äußerung verbreitet wurde, ob es sich dabei um ein geschlossenes, nur für registrierte Nutzer zugängliches Posting oder ein allgemein einsehbares Netzwerk handelt. Ferner können auch Tatsachen wie Likes oder Kommentare (sofern möglich) hinsichtlich ihrer Zahl festgestellt werden. Ebenso ist es möglich, die Zahl von Teilnehmern an einer Versammlung, die Funktion des Äußernden auf einer Versammlung (Randfigur oder Hauptredner) oder den Kontext der Äußerung festzustellen. Schließlich sind auch Feststellungen zur Person des Äußernden möglich, welche auf deren Glaubwürdigkeit schließen lassen. Hinzu kommt, dass ein Großteil dieser Feststellungen ohnehin zur Prüfung der Erfüllung des Tatbestandes des § 185 StGB (s. o.) getroffen werden muss.
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b) Auf dieser Grundlage hat das Landgericht die Eignung der gegenständlichen Äußerung, das öffentliche Wirken des Geschädigten Scholz erheblich zu erschweren, zutreffend verneint (UA S. 10/11). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich um ein offensichtlich überspitztes Werturteil anlässlich einer Demonstration gegen (u. a.) staatliche Covid-Maßnahmen handelt, so dass generell zweifelhaft ist, ob diese Äußerungen den Geschädigten Scholz des Vertrauens unwürdig erscheinen lassen, dessen er für sein öffentliches Wirken bedarf (vgl. LK/Hilgendorf aaO § 188 Rdn. 4 und OLG Celle vom 23.07.2024 aaO Rdn. 21). Zum anderen erfolgte die Äußerung auf einer lokalen Demonstration mit nur wenigen Teilnehmern, von der kaum bundespolitische Auswirkungen zu erwarten sind.
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c) Da der Senat über die Frage der Erfüllung des Tatbestandes des § 188 Abs. 1 StGB (oben Ziff. 2a) aufgrund der Tatsache, dass bereits keine Beleidigung vorliegt (oben Ziff. 1.) nicht tragend entscheidet, ist eine Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof oder eine entsprechende Anfrage an das Oberlandesgericht Zweibrücken (§ 121 Abs. 2 GVG; vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO (KK)/Feilcke, 9. Aufl., § 121 GVG Rdn. 30) nicht veranlasst, weil die Abweichung von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken nicht entscheidungserheblich ist.
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1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das jedenfalls im Ergebnis richtige freisprechende Urteil des Landgerichts war daher als unbegründet zu verwerfen
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO.