Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 10.12.2025 – 102 MK 1/21
Titel:

Musterfeststellungsklage, Vergleichsmehrwert, Zinsnachzahlung, Kündigungsrecht, Streitwertfestsetzung, Verbraucheransprüche, Bindungswirkung

Schlagworte:
Musterfeststellungsklage, Vergleichsmehrwert, Zinsnachzahlung, Kündigungsrecht, Streitwertfestsetzung, Verbraucheransprüche, Bindungswirkung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 34187

Tenor

Der Streitwert für das Verfahren wird auf 250.000,00 € festgesetzt. Ein Vergleichsmehrwert besteht nicht.

Gründe

- I.
1
Der Musterkläger, ein eingetragener Verein, begehrte mit der Musterfeststellungsklage Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Art in Bezug auf Sparverträge mit der Bezeichnung „S-Prämiensparen flexibel“, welche die Musterbeklagte seit den 1990er Jahren mit Verbrauchern geschlossen hatte. Der Musterkläger machte mit der Klageschrift vom 22. Januar 2021 zunächst 17, teils unbedingt, teils bedingt gestellte Feststellungsanträge geltend, die im Verlauf des Verfahrens ergänzt bzw. umformuliert und teils für erledigt erklärt wurden. Die Feststellungsziele betrafen die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung der Verträge durch die Musterbeklagte, die Bestimmung von Parametern zur Verzinsung der Sparguthaben anstelle der vereinbarten unwirksamen Zinsanpassungsklausel sowie Fragen in Bezug auf eine etwaige Verjährung bzw. Verwirkung von Nachzahlungsansprüchen. Außerdem beantragte der Musterkläger in Bezug auf Kundenbeziehungen, in denen die Musterbeklagte in einer nachvertraglichen Urkunde eine Prämienstaffel für einen Zeitraum von 1 bis 99 Jahre aufgenommen hatte, eine Feststellung zum Ausschluss eines ordentlichen Kündigungsrechts der Musterbeklagten für die ersten 99 Jahre der Vertragslaufzeit. Den Streitwert bezifferte der vormalige Prozessbevollmächtigte des Musterklägers in der Klageschrift unter Berücksichtigung der Deckelung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 GKG (in der von 1. November 2018 bis zum 12. Oktober 2023 geltenden Fassung, im Folgenden: a. F.) mit 250.000,00 €.
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Mit Beschluss vom 29. Juli 2025 hat der Senat festgestellt, dass ein zwischen den Parteien geschlossener und mit Senatsbeschlüssen vom 15. Mai 2025 festgestellter und gerichtlich genehmigter Vergleich wirksam geworden ist.
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Im gerichtlichen Vergleich verpflichtet sich die Musterbeklagte, an berechtigte Verbraucher („Prämiensparer“), die mit der Musterbeklagten Prämiensparverträge geschlossen haben, einmalig und pauschal eine Zinsnachzahlung zu leisten, deren Höhe in § 2 des Vergleichs näher geregelt ist. Die Verzinsung erfolgt auf der Grundlage festgelegter Prozentsätze. Außerdem enthält der Vergleich Festlegungen zu den Voraussetzungen für die Geltendmachung der Nachzahlungsansprüche, insbesondere welche Erklärungen bzw. Nachweise von Anspruchstellern vorzulegen sind. Berechtigt aus dem Musterfeststellungsvergleich sind nur Verbraucher, die sich zum Musterfeststellungsverfahren in der Zeit vom 4. März 2021 bis zum 12. Mai 2022 beim Klageregister angemeldet, ihre Anmeldung nicht zurückgenommen und nicht den Austritt aus dem Vergleich erklärt haben. Nicht berechtigt sind Verbraucher, deren Ansprüche auf Zinsnachzahlung Gegenstand eines rechtskräftigen Urteils oder eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichs sind oder deren Zinsansprüche vor dem 22. Januar 2021 (Einreichung der Musterfeststellungsklage) bereits verjährt waren.
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Außerdem ist in dem Vergleich geregelt, dass Kündigungen der Musterbeklagten zu Prämiensparverträgen wirksam und die Verträge spätestens zu dem Zeitpunkt beendet sind, zu dem die Musterbeklagte die Kündigung erklärt hat. § 10 des Vergleichs enthält eine Abgeltungsklausel sowie eine Regelung zu noch anhängigen Individualklagen betreffend die Zinsnachzahlung und/oder die Kündigung eines Prämiensparvertrags.
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Ergänzend wird für die im Verfahren gestellten Klageanträge und den Vergleich auf die Veröffentlichungen im Klageregister Bezug genommen.
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Die Parteien haben mit Schriftsätzen vom 28. April 2025 und 16. Mai 2025 übereinstimmend beantragt, den Streitwert für das Verfahren auf 250.000,00 € festzusetzen.
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Der vormalige Prozessbevollmächtigte des Musterklägers hat mit Schriftsatz vom 19. Mai 2025 mitgeteilt, dass er im Falle eines Vergleichsabschlusses beabsichtige, die aufgrund seiner Mitwirkung an den Vergleichsverhandlungen entstandenen Rechtsanwaltsgebühren, die ihm nach § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO und RVG zustünden, geltend zu machen. Seine Kanzlei sei maßgeblich an der Einleitung der gegenständlichen Vergleichsverhandlungen beteiligt gewesen und habe bis zum 30. Januar 2025 wesentliche Beiträge zum Vergleichsschluss geleistet. Im Hinblick auf die Höhe der gesetzlichen Mindestgebühren sei zu berücksichtigen, dass der Vergleich Leistungsansprüche der Verbraucher regle und damit über die anhängigen Musterfeststellungsziele hinausgehe. Es sei zwischen einer Musterfeststellungsklage mit bloßen Musterfeststellungszielen und einem Vergleich, in welchem Leistungsansprüche der angemeldeten Verbraucher geregelt würden, zu unterscheiden. Die Leistungsansprüche der angemeldeten Verbraucher seien im Musterfeststellungsverfahren nicht anhängig, weswegen ein Vergleich, aus welchem sich konkrete Leistungsansprüche angemeldeter Verbraucher ergäben, weit über die anhängigen Musterfeststellungsziele hinausgehe. Dies habe nicht nur Einfluss auf die angefallenen Rechtsanwaltsgebühren, sondern auch auf die Gerichtsgebühren. Auch in der Kommentarliteratur werde vertreten, dass es bei einem Musterfeststellungsvergleich, der eine Leistungsregelung enthalte, auf das wirtschaftliche Interesse der Verbraucher ankomme. Entscheidend sei, welchen Streit der Vergleich erledige. Die Streitwertdeckelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 GKG a. F. sei insofern nicht einschlägig. Auch die Gesetzesmaterialien enthielten keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber eine Streitwertdeckelung auch für den Gegenstandswert eines Vergleichs, der nicht im Musterverfahren anhängige Leistungsregelungen enthalte, habe vornehmen wollen. Vielmehr habe der Gesetzgeber über die isolierte Ausnahme der Streitwertbegrenzung der Musterfeststellungsziele die allgemeinen Rechtsanwaltsvergütungsregelungen nicht anrühren wollen.
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Die nunmehrigen Prozessbevollmächtigten des Musterklägers vertreten dagegen die Auffassung, dem geschlossenen Prozessvergleich sei kein Mehrwert zuzumessen. Nicht anhängige Streitgegenstände seien vom Vergleich nicht erfasst, vielmehr habe die Musterfeststellungsklage genau diejenigen Zinsansprüche zum Gegenstand, die im Vergleich geregelt seien. Daran ändere sich nichts dadurch, dass die mit der Musterfeststellungsklage verfolgten Feststellungsziele des Musterklägers aufgrund des Vergleichs in unmittelbare Ansprüche der Anmelder „transformiert“ würden. Dies sei der vom Gesetzgeber vorgesehene Regelfall, womit sich ein Verständnis verschiedener Streitgegenstände und eine gesonderte gebührenrechtliche Betrachtung verbiete. Selbst wenn man vorliegend einen Vergleichsmehrwert grundsätzlich für möglich hielte, müsse die im Gesetz vorgesehene Höchstgrenze von 250.000,00 € bei der Festsetzung des Streitwerts beachtet werden. Der klagende, überwiegend steuerfinanzierte Verband verfolge keine wirtschaftlichen Eigeninteressen, sondern das Interesse der Allgemeinheit. Die gesetzliche Deckelung des Streitwerts schütze ihn vor unkalkulierbaren Kosten, für deren Begleichung dem Verband die Mittel fehlten. Dieser Schutzzweck würde bei einer Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts untergraben.
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Auch würde die vom Gesetzgeber geförderte Beilegung des Musterfeststellungsverfahrens durch Vergleich erheblich erschwert oder sogar wirtschaftlich unmöglich gemacht.
II.
10
Gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG ist nach Abschluss des Verfahrens der Streitwert für die zu erhebenden Gerichtsgebühren von Amts wegen festzusetzen.
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1. Für das Musterfeststellungsverfahren ist entsprechend den übereinstimmenden Anträgen der Parteien ein Streitwert von 250.000,00 € zugrunde zu legen.
12
Der Streitwert der durch Vergleich beendeten Musterfeststellungsklage bestimmt sich nach den allgemeinen Vorschriften (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i. V. m. § 45 Abs. 4 und 1 GKG, § 3 ZPO). Maßgeblich ist das Interesse der Allgemeinheit an den mit der Musterfeststellungsklage verfolgten Feststellungszielen und nicht die wirtschaftliche Bedeutung für diejenigen, deren Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von den Feststellungszielen abhängen (vgl. BT-Drs. 19/2439 S. 29). Bei der Bestimmung des Streitwerts von Musterfeststellungsklagen im Zusammenhang mit der variablen Verzinsung von Prämiensparverträgen bewertet der Bundesgerichtshof Feststellungsziele im Hinblick auf die überdurchschnittlich hohe wirtschaftliche Bedeutung, die Vielzahl betroffener Bankkunden sowie den öffentlichkeitswirksamen Meinungsstreit in Rechtsprechung und Literatur im Regelfall mit jeweils 20.000,00 € (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2024, XI ZR 40/23, juris Rn. 6). Dies gilt auch, soweit Feststellungsanträge zur Höhe der Verzinsung lediglich hilfsweise geltend gemacht werden (BGH, a. a. O.).
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Mit der gemäß § 40 GKG für die Wertberechnung maßgeblichen Klageschrift vom 22. Januar 2021 hat der Musterkläger 17 Feststellungsziele geltend gemacht. Ausgehend hiervon errechnet sich unter Berücksichtigung des in § 48 Abs. 1 Satz 2 GKG a. F. festgelegten Höchstwerts ein Streitwert von 250.000,00 €. Spätere Klageänderungen sind damit für die Streitwertberechnung nicht mehr relevant.
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2. Ein Vergleichsmehrwert ist nicht festzusetzen.
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a) Wird in einem Prozess ein Vergleich über nicht gerichtlich anhängige Gegenstände geschlossen, sieht Nr. 1900 KV GKG i. V. m. § 3 Abs. 2 GKG eine wertabhängige gerichtliche Gebühr in Höhe von 0,25 vor. Die Mehrvergleichsgebühr soll die entgangene Verfahrensgebühr abgelten, weswegen diese nur erhoben wird, soweit Gegenstände Teil des Vergleichs sind, die nicht in einem anderen Verfahren anhängig sind (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. August 2025, 19 W 58/23, juris Rn. 13 m. w. N.). Weitere Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung, dass der gerichtliche Vergleich einen Mehrwert hat. Ob dies der Fall ist, ist durch einen Vergleich zwischen dem Verfahrensgegenstand, also dem Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens, und dem Vergleichsgegenstand, also dem, worüber, nicht worauf sich die Parteien bzw. ein Dritter verglichen haben, zu beurteilen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. August 2025, 19 W 58/23, juris Rn. 15; OLG Dresden, Beschluss vom 23. Juni 2025, 4 W 168/25, juris Rn. 10 OLG München, Beschluss vom 15. März 2019, 24 W 278/19, juris Rn. 9). Maßgebend ist dabei, wie die Rechte zu bewerten sind, die durch den Vergleich dem Streit entzogen worden sind. Ein Vergleichsmehrwert scheidet aus, soweit der Gegenstand des Rechtsstreits deckungsgleich mit dem durch Vergleich erledigten Gegenstand ist (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. August 2025, 19 W 58/23, juris Rn. 13; OLG Hamm, Beschluss vom 22. Mai 2018, I- 7 W 9/18, juris Rn. 18). Ist Gegenstand der Klage ein Feststellungsbegehren, das im Rahmen der Streitwertfestsetzung regelmäßig mit einem Abschlag von 20% bewertet wird, wird in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur unterschiedlich beurteilt, ob ein eine Leistungspflicht begründender Vergleich einen Mehrwert hat (bejahend: OLG Dresden, Beschluss vom 23. Juni 2025, 4 W 168/25, juris Rn. 11; OLG Köln, Beschluss vom 15. Januar 2025, 4 W 46/23, juris Rn. 17; OLG Bremen, Beschluss vom 1. März 2021, 3 U 19/20, juris Rn. 11 f.; Elzer in Toussaint, Kostenrecht, 55. Aufl. 2025, GKG § 45 Rn. 59; verneinend: OLG München, Beschluss vom 19. Januar 2024, 25 W 1378/23 e, juris Rn. 13; OLG Hamm, Beschluss vom 4. Mai 2023, I- 20 W 9/23, juris Rn. 12; Beschluss vom 22. Mai 2018, I- 7 W 9/18, juris Rn. 21; Herget in Zöller, ZPO, 36. Aufl. 2026, § 3 Rn. 16.179). Schließlich müssen die miterledigten Ansprüche streitig sein, damit aus ihnen ein Mehrwert abzuleiten ist (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. August 2025, 19 W 58/23, juris Rn. 17; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 4. Oktober 2018, 5 W 71/18, juris Rn. 9; OLG Stuttgart, Beschluss vom 25. April 2018, 10 W 25/18, juris Rn. 23; OLG Köln, Beschluss vom 6. Juni 2016, 10 W 9/16, juris Rn. 3).
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Überwiegend wird in der Rechtsprechung angenommen, dass ein Vergleichsmehrwert auch dadurch entstehen kann, dass im Vergleich Ansprüche zwischen einer Partei und einem Streithelfer oder einem sonstigen Dritten miterledigt werden. Der Vergleichsmehrwert ist allerdings nur im entsprechenden Rechtsverhältnis maßgeblich (OLG München, Beschluss vom 17. September 2024, 31 W 1309/24 e, juris Rn. 26; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Januar 2024, 19 W 92/22, MDR 2024, 398 [juris Rn. 16] OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Oktober 2021, 10 W 28/21, juris Rn. 10; OLG Stuttgart, Beschluss vom 25. April 2018, 10 W 25/18, juris Rn. 19 f.). Der Prozessvertreter einer Partei, dessen Gebühren nach § 32 Abs. 1 RVG grundsätzlich auf der Basis des für die Gerichtsgebühren festgesetzten Werts zu berechnen sind, kann somit nur dann Gebühren aus einem Vergleichsmehrwert beanspruchen, wenn der zu einem Mehrwert führende Gegenstand seine Partei auch wirtschaftlich und rechtlich betrifft.
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b) Weder das Gesetz selbst noch die Gesetzesmaterialien enthalten Aussagen dazu, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen bei einer Beendigung einer Musterfeststellungsklage durch gerichtlichen Vergleich die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts in Betracht kommt, insbesondere wenn der Vergleich, wie in § 611 Abs. 2 ZPO (in der von 1. November 2018 bis zum 12. Oktober 2023 geltenden Fassung, im Folgenden: a. F.) vorgesehen, Regelungen zu den auf die angemeldeten Verbraucher entfallenden Leistungen enthält. Da bislang keine Musterfeststellungsklage durch gerichtlichen Vergleich beendet worden ist, findet sich auch keine Rechtsprechung zu dieser Frage.
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aa) Vorliegend spricht gegen die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts schon die Tatsache, dass sich der Streitwert für das Musterfeststellungsverfahren bereits auf den in § 48 Abs. 1 Satz 2 GKG a. F. geregelten Höchstwert von 250.000,00 € beläuft. Ähnlich wie im Fall des § 39 Abs. 2 GKG hat der Gesetzgeber damit eine Begrenzung dahingehend vorgenommen, dass die im Musterfeststellungsverfahren anfallenden gerichtlichen Gebühren maximal anhand des gesetzlichen Höchstwerts von 250.000,00 € zu berechnen sind. Für die Erhebung zusätzlicher Gerichtsgebühren wegen eines etwaigen Vergleichsmehrwerts ist damit kein Raum.
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bb) Doch auch bei Heranziehung der Grundsätze, die die Rechtsprechung zu Individualprozessen für die Annahme eines Vergleichsmehrwerts für maßgeblich erachtet, ist ein „Mehrwert“ nicht feststellbar.
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(1) Bei der Frage eines möglichen „Mehrwerts“ eines in einer Musterfeststellungsklage geschlossenen Vergleichs sind die prozessualen Besonderheiten dieser Verfahrensart zu berücksichtigen. Nur eine qualifizierte Einrichtung und nicht der einzelne Verbraucher kann mit der Musterfeststellungsklage die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen begehren (§ 606 Abs. 1 ZPO in der von 1. November 2018 bis zum 12. Oktober 2023 geltenden Fassung; im Folgenden auch für die weiteren zum 13. Oktober 2023 außer Kraft getretenen Vorschriften der ZPO zur Musterfeststellungsklage: a. F.). Bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins können Verbraucher Ansprüche oder Rechtsverhältnisse, die von den Feststellungszielen abhängen, zur Eintragung in das Klageregister anmelden (§ 608 Abs. 1 ZPO a. F.). Obwohl angemeldete Verbraucher nicht Partei des Musterfeststellungsverfahrens werden, entfaltet ein rechtskräftiges Musterfeststellungsurteil Bindungswirkung für Streitigkeiten zwischen ihnen und dem Musterbeklagten, soweit die Feststellungsziele und der Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betroffen sind (§ 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO a. F.). Auch ein gerichtlicher Vergleich kann mit Wirkung für und gegen die angemeldeten Verbraucher geschlossen werden (§ 611 Abs. 1 ZPO a. F.). Ein solcher Vergleich soll insbesondere Regelungen über die auf die angemeldeten Verbraucher entfallenden Leistungen, den zu erbringenden Nachweis der Leistungsberechtigung und zur Fälligkeit der Leistung enthalten (§ 611 Abs. 2 ZPO a. F.).
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(2) Ein konkreter Mehrwert des gerichtlichen Vergleichs gegenüber einer gerichtlichen Entscheidung über die geltend gemachten Feststellungsziele ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich.
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Weder in persönlicher noch in sachlicher Hinsicht erfasst der Vergleich andere Ansprüche als diejenigen, die Gegenstand der Musterfeststellungsklage waren. Er regelt ausschließlich Ansprüche von Verbrauchern, die sich beim Klageregister fristgerecht angemeldet und nicht wieder abgemeldet haben und nicht aus dem Vergleich ausgetreten sind. Zinsnachzahlungen leistet die Musterbeklagte nur auf streitgegenständliche Prämiensparverträge. Anspruchsberechtigt sind damit ausschließlich Personen, die sich bei einem rechtskräftigen Musterfeststellungsurteil gegenüber der Musterbeklagten auf die in § 612 Abs. 1 Satz 1 ZPO a. F. geregelte Bindungswirkung hätten berufen können.
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Darüber hinaus wurden durch den gerichtlichen Vergleich keine Streitpunkte beigelegt, die nicht bereits Gegenstand des laufenden Musterfeststellungsverfahrens waren. So regelt der Vergleich insbesondere die Höhe der Verzinsung von Sparguthaben und die Wirksamkeit von Kündigungen, die die Musterbeklagte im Verlauf der Vertragsbeziehungen erklärt hat. Dies korrespondiert vollumfänglich mit den im Verfahren geltend gemachten Feststellungszielen.
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Allein die Tatsache, dass nunmehr Verbraucher anhand des gerichtlichen Vergleichs unmittelbar Zahlungsansprüche geltend machen können, während im Falle einer streitigen Entscheidung „lediglich“ Feststellungen getroffen worden wären, führt damit wirtschaftlich und rechtlich betrachtet nicht zu einem echten Mehrwert. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es zwischen der Musterbeklagten und (allen oder einzelnen) angemeldeten Verbrauchern über die im Musterfeststellungsverfahren strittigen Fragen hinaus Meinungsverschiedenheiten gegeben hätte. Nichts anderes gilt in Bezug auf Festlegungen im Vergleich in Bezug auf die Vorlage von Nachweisen bzw. Belegen zur Anspruchsberechtigung. Auch insoweit ist nicht ersichtlich, dass es zwischen den Beteiligten Unstimmigkeiten gegeben hätte.
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cc) Lediglich ergänzend ist festzustellen, dass im Verhältnis zwischen Musterkläger und Musterbeklagten ein Vergleichsmehrwert schon deshalb nicht ersichtlich ist, da der Musterkläger individuelle Ansprüche von Verbrauchern nicht geltend machen kann, mithin ihn die Tatsache, dass der Vergleich hierzu Regelungen enthält, weder wirtschaftlich noch rechtlich betrifft.