Titel:
Klagefrist versäumt, unzulässige Klage, öffentliche Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung, unbekannter Aufenthalt
Normenketten:
VwGO § 74 Abs. 1 S. 2
BayVwZVG Art. 15
Schlagworte:
Klagefrist versäumt, unzulässige Klage, öffentliche Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung, unbekannter Aufenthalt
Fundstelle:
BeckRS 2025, 34183
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung sowie Nebenanordnungen.
2
1. Der Kläger, ein am … … 1985 geborener ukrainischer Staatsbürger, reiste am 6. April 2013, 17. Februar 2018 und 3. September 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte wiederholt Asylanträge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), die jeweils abgelehnt wurden, zuletzt mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamts vom 4. September 2024 (vgl. Az. W 6 K 24.31799, W 6 S 24.31800 zu den diesbezüglichen gerichtlichen Verfahren), in dem ihm auch die Abschiebung in die Ukraine angedroht wurde. Seit 26. Juni 2025 befindet sich der Kläger in der Justizvollzugsanstalt Würzburg.
3
Nachdem der Kläger vielfach strafrechtlich in Erscheinung getreten war (vgl. Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 21. Februar 2024 mit 14 Eintragungen) wurde ihm mit Schreiben vom 14. August 2024 Gelegenheit gegeben, zur beabsichtigten Ausweisung Stellung zu nehmen, worauf er mit Schreiben vom 6. September 2024 erwiderte.
4
2. Mit Bescheid vom 6. März 2025 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziffer 1). Für die Dauer von sieben Jahren ab dem Zeitpunkt seiner Ausreise wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot unter der Bedingung der zwischenzeitlichen Straffreiheit gegen ihn verhängt. Anderenfalls wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von neun Jahren ab der Ausreise befristet (Ziffer 2). Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 6. März 2025 Bezug genommen, § 117 Abs. 3 VwGO. Dem Bescheid war eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrungbeigefügt.
5
Am 10. März 2025 ging bei der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken (im Folgenden: ZAB) eine Meldung der Staatlichen Gemeinschaftsunterkunft V* … S* … in W* … (im Folgenden: GU) ein, dass der Kläger am selben Tag nach unbekannt ausgezogen und untergetaucht sei (Bl. 1875 d.BA). Daraufhin wurde durch die ZAB am 14. März 2025 die Benachrichtigung gemäß Art. 15 Abs. 2 BayVwZVG vom 13. März 2025 über die öffentliche Zustellung des Bescheids vom 6. März 2025 mit dem folgenden Wortlaut ausgehängt:
„Für B* …, N* …, geb. …1985 in L* …, zuletzt wohnhaft in Staatliche Gemeinschaftsunterkunft, V* … S**. …, … W* … liegt ein Bescheid zur Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung vom 13.03.2025, AZ: …, bei der Regierung von Unterfranken – Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken – C* …S* … … … … – Geschäftszimmer – bereit.
Das Dokument gilt als öffentlich zugestellt, wenn ab dem Tag der Bekanntmachung dieser Benachrichtigung zwei Wochen vergangen sind. Evtl. Fristen werden ab diesem Zeitpunkt in Gang gesetzt, nach deren Ablauf Rechtsverluste drohen können.“
6
Die Abnahme der Benachrichtigung erfolgte am 31. März 2025 (Bl. 1983 d.BA).
7
Mit Schriftsatz vom 11. August 2025, bei Gericht eingegangen am 20. August 2025, reichte der Kläger einen handschriftlichen Klageentwurf mit dem Betreff „Klage gegen den Ausweisungsbescheid vom 22.7.2025“ ohne seine Unterschrift ein.
8
Auf Hinweis des Gerichts vom 22. August 2025 hin erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 31. August 2025, bei Gericht eingegangen am 5. September 2025, sodann „Klage gegen den Ausweisungsbescheid vom 22.7.25“ und beantragt,
den Ausweisungsbescheid gegen ihn aufzuheben.
9
Begründet wurde die Klage mit Schriftsätzen vom 31. August 2025 und 10. Oktober 2025. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
10
Mit Schriftsatz vom 17. September 2025 beantragte der Beklagte,
11
Zur Begründung wurde angeführt, der Ausweisungsbescheid der ZAB vom 6. März 2025 sei am 2. Mai 2025 bestandskräftig geworden. Der gegenständliche Ausweisungsbescheid sei am 31. März 2025 mittels öffentlicher Zustellung bekanntgegeben worden. Die öffentliche Zustellung der Ausweisungsverfügung sei notwendig gewesen, da der Kläger zwischen dem 10. März 2025 und dem 26. Juni 2025 amtlich unbekannten Aufenthalts gewesen sei und das Aushändigungsschreiben mit dem Ausweisungsbescheid vom 6. März 2025 bereits nicht mehr der zu dem Zeitpunkt letzten bekannten Unterkunft habe zugestellt werden können. Der Kläger habe sich amtlich unbekannten Aufenthalts befunden, obwohl die ZAB ihn über die Verpflichtung zur Wohnsitznahme im Rahmen der Belehrungen und Hinweise in einer für ihn verständlichen Sprache vom 7. Januar 2025 belehrt habe. Zudem sei der Kläger darüber nach § 50 Abs. 4 AufenthG belehrt worden, dass er verpflichtet sei, jeden Wohnungswechsel für mehr als drei Tage vorher bei der ZAB anzuzeigen. Der Kläger habe die Unterschrift als Bestätigung des Erhalts der Belehrungen und Hinweise verweigert. Mit Schreiben vom 22. Juli 2025 (zugestellt am 30. Juli 2025) habe die ZAB den Kläger lediglich von dem bereits bestandskräftigen Ausweisungsbescheid vom 6. März 2025 in Kenntnis gesetzt. Der Kläger habe mit der Unterschrift auf dem Empfangsbekenntnis bestätigt, den bestandskräftigen Ausweisungsbescheid erhalten zu haben.
12
Auf Hinweis des Gerichts vom 23. September 2025 hin, dass die Klage aufgrund Verfristung aller Voraussicht nach keine Aussicht auf Erfolg habe, hielt der Kläger mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2025, eingegangen bei Gericht am 15. Oktober 2025, an seiner Klage ausdrücklich fest.
13
Für den weiteren schriftsätzlichen Vortrag der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
14
Mit Schreiben des Gerichts vom 29. Oktober 2025 wurde den Beteiligten Gelegenheit gegeben zur Möglichkeit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung oder durch Gerichtsbescheid bis 14. November 2025 Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 6. November 2025 erklärte der Beklagte sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Der Kläger reagierte nicht.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
16
Die gegen den Bescheid vom 6. März 2025 gerichtete Klage, über die das Gericht nach Anhörung durch Gerichtsbescheid entscheidet (§ 84 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO), ist bereits unzulässig, da sie nicht innerhalb der einmonatigen Klagefrist bei Gericht erhoben wurde.
17
Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.
18
Gemäß Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG i.V.m. Art. 15 Abs. 1 Nr. 1 BayVwZVG kann die Zustellung eines Verwaltungsakts durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Unbekannt ist der Aufenthalt, wenn er allgemein und nicht nur der zustellenden Behörde oder dem Gericht, unbekannt ist (BGH, U.v. 19.12.2001 – VIII ZR 282/00 – NJW 2002, 827; BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 43.95 – NVwZ 1999, 178). Vorliegend war der Bescheid vom 6. März 2025 bei Meldung der GU am 10. März 2025, dass der Kläger am selben Tag nach unbekannt ausgezogen und untergetaucht sei, dem Kläger noch nicht zugestellt worden. Es bestanden für die ZAB aufgrund der Mitteilung der GU keinerlei Ansatzpunkte für eine weitere Aufenthaltsermittlung des Klägers, sodass sein Aufenthaltsort ab diesem Zeitpunkt allgemein unbekannt und damit unbekannt i.S.d. Art. 15 Abs. 1 Nr. 1 BayVwZVG war. Auch war der ZAB ausweislich der Aktenlage im Verwaltungsverfahren kein Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigter des Klägers bekannt, sodass auch keine Zustellung an einen solchen möglich war.
19
Gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 1 bis 3 BayVwZVG erfolgt die öffentliche Zustellung durch Bekanntmachung einer Benachrichtigung an der Stelle, die von der Behörde hierfür allgemein bestimmt ist, oder durch Veröffentlichung einer Benachrichtigung im Bundesanzeiger oder im elektronischen Bundesanzeiger. Die Benachrichtigung muss die Behörde, für die zugestellt wird, den Namen und die letzte bekannte Anschrift des Zustellungsadressaten, das Datum und das Aktenzeichen des Dokuments sowie die Stelle, wo das Dokument eingesehen werden kann, erkennen lassen. Die Benachrichtigung muss den Hinweis enthalten, dass das Dokument öffentlich zugestellt wird und Fristen in Gang gesetzt werden können, nach deren Ablauf Rechtsverluste drohen können. Die Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung vom 13. März 2025 erfüllte vorliegend all diese Voraussetzungen (s.o.) und wurde durch Aushang durch die Regierung von Unterfranken bekanntgemacht (Bl. 1924 d.BA). Auch war durch die Angabe „Regierung von Unterfranken“ oben auf der Benachrichtigung (Bl. 1983 d.BA) die Behörde, für die zugestellt wird, erkennbar.
20
Gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 5 BayVwZVG ist in den Akten zu vermerken, von wann bis wann und wie die Benachrichtigung bekannt gemacht wurde. Vorliegend wurde auf der Benachrichtigung, die danach zu den Akten genommen wurde, vermerkt, dass diese am 14. März 2025 ausgehängt wurde und am 31. März 2025 wieder abgehängt wurde (Bl. 1983 d. BA).
21
Gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 6 BayVwZVG gilt das Dokument als zugestellt, wenn seit dem Tag der Bekanntmachung der Benachrichtigung zwei Wochen vergangen sind. Auf die Kenntnisnahme des Zustellungsempfängers kommt es nicht an, da es sich hierbei um eine Zustellungsfiktion handelt (vgl. zur Parallelvorschrift § 10 VwZG L. Ronellenfitsch in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand: 1.10.2025, § 10 VwZG Rn. 32). Somit galt der Bescheid vom 6. März 2025 vorliegend nach ordnungsgemäßer Bekanntmachung der Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung am 14. März 2025 nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 28. März 2025, einem Freitag, als zugestellt und damit gemäß Art. 2 Abs. 1 BayVwZVG als dem Kläger bekanntgegeben.
22
Die einmonatige Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO begann somit am 29. März 2025 um 0:00 Uhr zu laufen und endete am 29. April 2025 um 24:00 Uhr, einem Dienstag (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Dem Schriftsatz vom 11. August 2025, bei Gericht eingegangen am 20. August 2025, fehlte es bereits an einer handschriftlichen Unterschrift durch den Kläger, sodass darin schon keine formwirksame Klageerhebung gesehen werden konnte. (vgl. Peters in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand: 1.10.2025, § 81 Rn. 16). Ohnehin würde aber auch ein Abstellen auf diesen Schriftsatz nicht zu einer Fristwahrung führen. Die formwirksame Klageerhebung am 5. September 2025 erfolgte allerdings ebenfalls deutlich nach Ablauf der Klagefrist und damit auch nicht mehr fristwahrend.
23
Umstände, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO rechtfertigen würden, wurden nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.
24
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.