Titel:
Arbeitsunfall, Kostenerstattung, Unfall, Beschwerde, Gutachten, Bescheid, Widerspruchsbescheid, Ermessen, Verletztengeld, Erstattung, Vergleich, Schulter, Anspruch, Kostentragung, von Amts wegen, keinen Erfolg, eingelegte Beschwerde
Normenkette:
SGG § 109
Leitsatz:
Zu den Grundsätzen bei der Entscheidung über die endgültige Kostentragung nach § 109 SGG.
Schlagworte:
Arbeitsunfall, Kostenerstattung, Unfall, Beschwerde, Gutachten, Bescheid, Widerspruchsbescheid, Ermessen, Verletztengeld, Erstattung, Vergleich, Schulter, Anspruch, Kostentragung, von Amts wegen, keinen Erfolg, eingelegte Beschwerde
Vorinstanz:
SG Augsburg, Beschluss vom 27.08.2025 – S 11 U 54/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 34020
Tenor
I. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 27. August 2025 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe
1
Im zugrundeliegenden Rechtsstreit war die Anerkennung weiterer Folgen eines Arbeitsunfalls und die Gewährung von Verletztengeld streitig.
2
Der Kläger verletzte sich am 05.10.2022 bei seiner beruflichen Tätigkeit an der linken Schulter. Die Beklagte erkannte das Ereignis als Arbeitsunfall mit einer ohne funktionelle Einschränkungen verheilten Zerrung der linken Schulter an und lehnte einen Anspruch auf Verletztengeld ab (Bescheid vom 30.11.2022 und Widerspruchsbescheid vom 28.02.2023).
3
Mit seiner dagegen beim Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage machte der Kläger geltend, dass eine Schleimbeutelentzündung, ein Riss der Obergrätenmuskelsehne, ein Riss der Untergrätenmuskelsehne, ein Riss der langen Bizepssehne und eine Gichtarthropathie in der linken Schulter als weitere Unfallfolgen vorlägen und dass ab dem 12.10.2022 Verletztengeld zu zahlen sei.
4
Das SG beauftragte nach Einholung von Befundunterlagen den Orthopäden und Unfallchirurgen R mit der Erstattung des Gutachtens vom 29.06.2023. Der Sachverständige R kam zu dem Ergebnis, dass der Unfall zu einer Zerrung der linken Schulter geführt habe, die folgenlos ausgeheilt sei. Die weiteren Gesundheitsschäden an der linken Schulter seien einer Texturstörung zuzuordnen. Über den 11.10.2022 hinaus habe keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bestanden.
5
Auf den Antrag des Klägers erstellte anschließend der Orthopäde H sein Gutachten vom 24.02.2024. Auch dieser Sachverständige gelangte zu der Einschätzung, dass der Unfall allein kausal für eine Zerrung der linken Schulter ohne weitere strukturelle Schäden sei, die innerhalb eines Zeitraums von zwei bis drei Wochen ohne weitere Folgeschäden ausgeheilt gewesen sei.
6
Der Kläger nahm schließlich die Klage zurück (Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 08.04.2024).
7
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 26.08.2025 hat der Kläger beim SG die Übernahme der Gutachterkosten auf die Staatskasse beantragt.
8
Das SG hat mit Beschluss vom 27.08.2025 den Antrag auf Übernahme der Kosten für das von H erstellte Gutachten vom 24.02.2024 auf die Staatskasse abgelehnt. Das Gericht entscheide über den Antrag auf endgültige Kostenerstattung nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Übernahme sei gerechtfertigt, wenn das Gutachten die Aufklärung des Sachverhalts wesentlich gefördert habe. Vorliegend habe das Gutachten von H keine neuen beweiserheblichen Gesichtspunkte aufgezeigt. Im Vergleich zum Gutachten von R seien die Beweisfragen im Wesentlichen deckungsgleich beantwortet worden. Eine objektive Förderung der Sachaufklärung sei folglich nicht gegeben.
9
Dagegen hat der Kläger Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zu klären sei gewesen, ob aufgrund des Arbeitsunfalls Verletztengeld oder Verletztenrente zu bewilligen sei. Das vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten habe er dezidiert angegriffen. Der von ihm beantragte Gutachter habe im Ergebnis den gerichtlichen Sachverständigen gestützt. Allerdings sei dies nicht von vornherein absehbar gewesen im Hinblick darauf, dass das erste Gutachten nicht überzeugend gewesen sei. Letztlich könne die Kostenübernahme nicht davon abhängen, wenn der Sachverständige neue Erkenntnisse bringe, sondern es müsse davon abhängen, ob das Erstgutachten auch für den Kläger nachvollziehbar und überzeugend sei. Auf Letzteres habe aber das SG fehlerhaft nicht abgestellt. Wäre aufgrund des zweiten Gutachtens eine andere Entscheidung ergangen, würde sich die Frage der Kostenübernahme nicht stellen.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
11
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§§ 172, 173, 65a des Sozialgerichtsgesetzes – SGG); sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
12
Die Entscheidung darüber, wer die Kosten eines gemäß § 109 Abs. 1 SGG eingeholten Gutachtens endgültig trägt bzw. ob sie auf die Staatskasse zu übernehmen sind, ist eine Ermessensentscheidung des Gerichts, das das Gutachten angefordert hat (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl., § 109 Rn. 16; Roller in Berchtold, SGG, 6. Aufl., § 109 Rn. 30). Bei der Entscheidung über die Kostenübernahme auf die Staatskasse ist zu berücksichtigen, ob das Gutachten die Sachaufklärung objektiv wesentlich gefördert und somit Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung oder den Ausgang des Verfahrens gewonnen hat (vgl. Keller, a.a.O., § 109 Rn. 16a). Entscheidend ist dabei, ob durch das Gutachten neue beweiserhebliche Gesichtspunkte zu Tage getreten sind oder die Beurteilung auf eine wesentlich breitere und für das Gericht und die Beteiligten überzeugendere Grundlage gestellt worden ist (vgl. BayLSG, Beschlüsse vom 07.04.2014 – L 15 SB 198/13 B und vom 13.11.2015 – L 15 SB 206/15 B – juris). Dass ein Gutachten „die Aufklärung des Sachverhalts in objektiv sinnvoller Weise gefördert hat“, genügt dabei nicht (vgl. BayLSG, Beschlüsse vom 28.09.2012 – L 15 SB 293/11 B und vom 21.11.2018 – L 20 KR 486/18 B – juris). Denn diese Voraussetzungen sind bei medizinischen Gutachten so gut wie immer gegeben. Nur eine wesentliche Förderung der Sachaufklärung kann zu einer Kostenübernahme führen (vgl. Keller, a.a.O., § 109 Rn. 16a). Dafür genügt nicht ein nur geringfügiger Beitrag des Gutachtens gemäß § 109 SGG zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts, sondern der Beitrag muss von nicht unerheblichem Gewicht sein, um die weitere Aufklärung wesentlich gefördert zu haben.
13
Von einer Förderung der Sachaufklärung ist regelmäßig auch dann auszugehen, wenn das Gutachten gemäß § 109 SGG weitere Ermittlungen von Amts wegen erforderlich gemacht hat (vgl. BayLSG, Beschluss vom 19.08.1999 – L 18 B 303/96 V – juris). Nur dann, wenn in einem solchen Fall die von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen lediglich die Unrichtigkeit des Gutachtens nach § 109 SGG und der darin enthaltenen Hinweise, die Anlass für weitere Ermittlungen von Amts wegen waren, bestätigen, ohne wesentliche, darüber hinausgehende zusätzliche Erkenntnisse zu bringen, ist eine Kostenübernahme auf die Staatskasse nicht angezeigt (vgl. Udsching, Besonderheiten des Sachverständigenbeweises im sozialgerichtlichen Verfahren, NZS 1992, 50, 55; BayLSG, Beschluss vom 12.03.2012 – L 15 SB 22/12 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.06.2017 – L 18 R 677/15 B – juris). Denn in einem solchen Fall hat, wie sich im Rahmen der durch das Gutachten gemäß § 109 SGG veranlassten Ermittlungen und somit im Nachhinein zeigt, kein objektiver Grund für weitere Ermittlungen von Amts wegen bestanden. Vielmehr hat in einem solchen Fall mit dem Gutachten gemäß § 109 SGG nur ein tatsächlich unzutreffendes und irreführendes Gutachten zunächst den falschen Eindruck vermittelt, dass weitere Ermittlungen erforderlich wären. Dass sich dieser Eindruck erst nachträglich durch die von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen als falsch herausgestellt hat, kann nicht dazu führen, dass die Kosten für das Gutachten gemäß § 109 SGG auf die Staatskasse zu übernehmen wären. Würde man dies anders sehen, hätte dies faktisch zur Konsequenz, dass ein tatsächlich weder zur Sachaufklärung beitragendes noch entscheidungserhebliches Gutachten allein deshalb aus der Staatskasse zu bezahlen wäre, weil es inhaltlich falsch gewesen ist und dadurch, also wegen der Unrichtigkeit, weitere Ermittlungen von Amts wegen nach sich gezogen hat. Dass ein derartiges Ergebnis nicht richtig sein kann, zumal es eine durch nichts zu rechtfertigende Besserstellung gegenüber einem Kläger bedeuten würde, dessen gemäß § 109 SGG benannter Sachverständiger sorgfältig arbeitet und damit nicht den Anschein der Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen weckt mit der Konsequenz, dass die Kosten für dieses Gutachten wegen des fehlenden Beitrags zur Sachaufklärung und Entscheidungserheblichkeit nicht auf die Staatskasse zu übernehmen wären, liegt auf der Hand (vgl. BayLSG, Beschluss vom 12.03.2012 – L 15 SB 22/12 B).
14
Nicht entscheidend ist, ob das Gutachten gemäß § 109 SGG den Rechtsstreit in einem für den Antragsteller günstigen Sinn beeinflusst hat. Kein maßgeblicher Gesichtspunkt für eine Ermessensausübung zugunsten eines Antragstellers ist es auch, wenn dieser nach Bestätigung der Ergebnisse, wie sie zuvor der von Amts wegen bestellte Sachverständige festgestellt hat, aufgrund des gemäß § 109 SGG erstatteten Gutachtens die Klage oder Berufung zurücknimmt. Denn mit der Kostenübernahme auf die Staatskasse bzw. der Ablehnung der Kostenübernahme darf keine Belohnung bzw. Sanktionierung eines bestimmten prozessualen Verhaltens erfolgen (vgl. BayLSG, Beschlüsse vom 12.03.2012 – L 15 SB 22/12 B und vom 25.04.2018 – L 20 VG 14/18 B – juris).
15
Eine nur teilweise Kostenübernahme ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber bei einem einheitlichen Streitgegenstand regelmäßig nicht sachgerecht (vgl. Keller, a.a.O., § 109 Rn. 16a). Sie wird daher überhaupt nur in seltenen Fällen in Betracht gezogen werden können. Denkbar ist dies bei einem teilbaren Streitgegenstand, wenn das Gutachten gemäß § 109 SGG nur für einen Teil des Streitgegenstands neue Erkenntnisse gebracht bzw. nur diesbezüglich zur Erledigung geführt hat, nicht aber für den anderen Teil des Streitgegenstands.
16
Nach diesen Grundsätzen hat das auf Antrag des Klägers von dem Sachverständigen H erstattete Gutachten vom 24.02.2024 die Sachaufklärung objektiv nicht wesentlich gefördert. Dazu wird auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). H hat gegenüber R keine neuen entscheidungserheblichen Erkenntnisse aufgezeigt und sein Gutachten hat auch keinen Anlass für weitere Ermittlungen ergeben.
17
Dass der Kläger nach dem aus Sicht seines Klagebegehrens negativen Ergebnis der Begutachtung durch H sich zu einer Rücknahme der Klage entschlossen hat, ist unerheblich, denn hierauf kommt es nach den obigen Darlegungen nicht an. Es ist auch nicht erkennbar, dass dies erfolgt wäre, weil das Gutachten des H eine breitere Grundlage geliefert hätte. Der Sachverständige H hat im Vergleich zu R keine wesentlich anderen oder überzeugenderen Gründe aufgeführt, weshalb der Arbeitsunfall nicht ursächlich für weitergehende Schädigungen an der linken Schulter war.
18
Der klägerische Begründungsansatz, wonach es auf die Nachvollziehbarkeit und Überzeugungskraft des von Amts wegen eingeholten Gutachtens ankomme, führt zu keiner anderen Beurteilung. Wie sich bereits aus den oben dargestellten Grundsätzen ergibt, ist die Frage der Kostenübernahme nicht an diesen Kriterien auszurichten. Ansonsten würde auch die Funktion des § 109 SGG im Gefüge des sozialgerichtlichen Verfahrens verkannt, das nach § 103 SGG dem Grundsatz der Amtsermittlungspflicht folgt (vgl. Roller, a.a. O., § 103 Rn. 2). Zudem ist der Maßstab der Nachvollziehbarkeit und Überzeugungskraft recht subjektiv und nicht allein vom Zweck der Sachaufklärung geprägt.
19
Eine nur teilweise Kostenübernahme kommt ebenfalls nicht infrage, da hier keine Trennung verschiedener Verfahrensgegenstände möglich ist.
20
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
21
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
22
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.