Inhalt

BayObLG, Endurteil v. 10.12.2025 – 102 ZRR 9/25 e
Titel:

Gemeinde, Revision, Kaufvertrag, Zwangsvollstreckung, Vollstreckungsgegenklage, Kaufpreis, Berufung, Gemeinderat, Genehmigung, Mangel, Zulassung, Wirksamkeit, Streitwert, Vollstreckungsabwehrklage, Ergebnis der Beweisaufnahme, Treu und Glauben, Vertreter ohne Vertretungsmacht

Schlagworte:
Gemeinde, Revision, Kaufvertrag, Zwangsvollstreckung, Vollstreckungsgegenklage, Kaufpreis, Berufung, Gemeinderat, Genehmigung, Mangel, Zulassung, Wirksamkeit, Streitwert, Vollstreckungsabwehrklage, Ergebnis der Beweisaufnahme, Treu und Glauben, Vertreter ohne Vertretungsmacht
Vorinstanzen:
OLG Bamberg, Urteil vom 08.01.2025 – 8 U 1/24 e
LG Bamberg, Endurteil vom 06.12.2023 – 24 O 423/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 33982

Tenor

1. Die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg vom 8. Januar 2025, Az. 8 U 1/24 e, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen. 
2. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 550.000,00 € festgesetzt.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde.
2
Die Beklagte ist Eigentümerin des Anwesens …. Das Landratsamt … informierte den ersten Bürgermeister der Klägerin am 12. Oktober 2022, dass in diesem Anwesen nach einem geplanten Verkauf 50 Flüchtlinge untergebracht werden sollten. Daraufhin lud der erste Bürgermeister der Klägerin am 14. Oktober 2022 zu einer Gemeinderatssitzung für den 20. Oktober 2022, wobei die angegebene Tagesordnung unter Tagesordnungspunkt 4 (im nichtöffentlichen Teil) vorsah: „Informationen zur aktuellen Situation bezüglich der Flüchtlingskrise und eventuellen Auswirkungen auf die Gemeinde …“. Oberhalb der Überschrift „Tagesordnung“ fand sich die Anmerkung: „Treffpunkt ist bereits um 17.30 Uhr am Rathaus zur Durchführung einer Ortseinsicht“. In der Gemeinderatssitzung vom 20. Oktober 2022 waren zehn Mitglieder und der erste Bürgermeister anwesend; zwei Mitglieder fehlten entschuldigt. Unter dem Tagesordnungspunkt 4 fasste der Gemeinderat mit neun zu zwei Stimmen den Beschluss, dass die Gemeinde … die Grundstücke … von der Beklagten für einen Kaufpreis von 550.000,00 € erwerben solle. Der Bürgermeister werde „beauftragt und ermächtigt, die Gemeinde bei diesem Grundstückgeschäft rechtswirksam zu vertreten“. In einer Sitzung vom 31. Oktober 2022 genehmigte der Gemeinderat die Niederschrift über die Sitzung mit zehn zu null Stimmen. Am 15. November 2022 wurde der Abschluss des Kaufvertrags zu einem Kaufpreis von 550.000,00 € zwischen der Beklagten als Verkäuferin und der Klägerin, vertreten durch den ersten Bürgermeister, als Käuferin notariell beurkundet. Der notarielle Vertrag enthält unter Ziffer III eine Regelung, wonach sich die Klägerin wegen des vereinbarten Kaufpreises der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde in ihr gesamtes Vermögen unterwerfe. Der erste Bürgermeister legte im Notartermin einen Beschlussbuchauszug, der den Gemeinderatsbeschluss vom 20. Oktober 2022 enthielt, vor. In einer Gemeinderatssitzung vom 28. November 2022 wurde die Genehmigung der notariellen Urkunde vom 15. November 2022 mit sechs zu sechs Stimmen abgelehnt. Das Landratsamt … äußerte als Aufsichtsbehörde mit Schreiben vom 7. Dezember 2022 die Ansicht, die Ladung für die Gemeinderatssitzung am 20. Oktober 2022 sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Mit Gemeinderatsbeschluss vom 2. Januar 2023 wurde die Genehmigung des Vertrags nochmals mehrheitlich abgelehnt. Am 21. Februar 2023 erteilte der Notar der Beklagten eine vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde zum Zweck der Zwangsvollstreckung des Kaufpreises in Höhe von 550.000,00 €.
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Die Klägerin hat mit ihrer beim Landgericht Bamberg erhobenen Klage beantragt, die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde für unzulässig zu erklären, die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Das Landgericht Bamberg hat der Klage stattgegeben.
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Die von der Beklagten hiergegen eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht Bamberg mit Urteil vom 8. Januar 2025, den Beklagtenvertretern zugestellt am 9. Januar 2025, zurückgewiesen und die Revision zum Bayerischen Obersten Landesgericht zugelassen. Gegen die Zurückweisung der Berufung wendet sich die Beklagte mit ihrer am 5. Februar 2025 beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangenen Revision, die die Beklagte nach gewährter Fristverlängerung bis zum 10. April 2025 mit einem an diesem Tag eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (GO) sei dahin auszulegen, dass der erste Bürgermeister auch im Fall eines gefassten, aber unwirksamen Gemeinderatsbeschlusses Vertretungsmacht habe. Jedenfalls sei der Klägerin der Einwand der Unwirksamkeit nach § 242 BGB abgeschnitten; im Übrigen seien die Grundsätze über die Anscheins- und Duldungsvollmacht beziehungsweise § 172 BGB einschlägig.
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Die Beklagte begehrt daher
die Aufhebung des Berufungsurteils und die Abweisung der Klage, hilfsweise die Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.
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Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

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Die aufgrund ihrer unbeschränkten Zulassung statthafte und auch sonst zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.
I.
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Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klage sei als Titelgegenklage analog § 767 Abs. 1 ZPO statthaft. Zwar sei der Anwendungsbereich von § 767 ZPO in Verbindung mit § 795 Satz 1 ZPO direkt nur eröffnet, wenn der Vollstreckungsschuldner Einwände gegen den titulierten Anspruch geltend mache. Eine Klage wegen Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Titels selbst sehe die ZPO an sich nicht vor. Jedoch lasse der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die sogenannte Titelgegenklage in Analogie zu § 767 ZPO zu.
Die Klägerin sei bei der Klageerhebung wirksam durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten worden. Der erste Bürgermeister habe einen Beschlussbuchauszug vorgelegt, wonach ausweislich eines am 17. April 2023 gefassten Gemeinderatsbeschlusses der Klägervertreter beauftragt werden solle, eine Feststellungsklage zur Frage der Wirksamkeit des Kaufvertrags zu erheben und auf etwaige Vollstreckungsmaßnahmen mit einer Vollstreckungsabwehrklage zu reagieren.
Die Klage sei begründet, da der erste Bürgermeister bei der Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung ohne Vertretungsmacht gehandelt habe. Dies führe zur Unwirksamkeit der Vollstreckungsunterwerfung.
Der Gemeinderatsbeschluss vom 20. Oktober 2022 sei nicht ordnungsgemäß zustande gekommen und daher unwirksam. Die Beschlussfähigkeit des Gemeinderats setze nach Art. 47 Abs. 2 GO eine ordnungsgemäße Ladung sämtlicher Mitglieder voraus. Die in der Ladung enthaltene Formulierung des in Rede stehenden Tagesordnungspunkts sei nicht ausreichend. Aus ihr sei nicht ansatzweise erkennbar, dass es um den Erwerb eines Grundstücks gehen könnte, auf dem ein anderer Kaufinteressent beabsichtige, Flüchtlinge unterzubringen. Eine nähere Bezeichnung sei auch ansonsten nicht verzichtbar gewesen. Insbesondere habe die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit einer konkreteren Fassung der Tagesordnung nicht entgegengestanden. Der erste Bürgermeister habe bei der Ladung bereits gewusst, dass es um den Erwerb des Grundstücks gehen sollte. Nach dem Ergebnis der vom Berufungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme sei dieses auch nicht davon überzeugt, dass die Gemeinderatsmitglieder mit der Angelegenheit bereits vertraut gewesen seien. Sämtliche benannten und vernommenen Zeugen hätten übereinstimmend bekundet, nicht gewusst zu haben, worauf sich der Tagesordnungspunkt 4 und die in der Ladung erwähnte „Ortseinsicht“ bezogen hätten. Ferner hätten die Zeugen übereinstimmend und glaubhaft angegeben, die Besichtigung des Grundstücks habe erstmals am 20. Oktober 2022 und nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden. Auch hätten sie vor der Sitzung keinerlei schriftliche Unterlagen über das Grundstück erhalten. Der Ladungsmangel sei auch nicht geheilt worden. Grundsätzlich komme eine Heilung nur in Betracht, wenn alle Gemeinderatsmitglieder anwesend seien und sich rügelos eingelassen hätten. Etwas anderes könne gelten, wenn die Abwesenheit einzelner Mitglieder aus persönlichen Gründen entschuldigt sei. Es spreche viel dafür, dass eine Heilung nur in Betracht komme, wenn die Mitglieder die Tragweite der Entscheidung abschätzen könnten. Dies könne aber dahingestellt bleiben. Bereits die Abwesenheit des Gemeinderatsmitglieds S. stehe einer Heilung des Ladungsmangels entgegen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei das Berufungsgericht davon überzeugt, dass auch dieser zu Tagesordnungspunkt 4 nichts über den Inhalt der Ladung hinaus gewusst habe. Als Zeuge habe das Berufungsgericht ihn nicht vernehmen können, da die Beklagte ihn nicht benannt habe. Es sei anhand des Inhalts der Entschuldigung, wonach er einen Termin mit dem Bayerischen Tourismusverband „vorziehe“ und um Verständnis hierfür bitte, auch nicht ersichtlich, dass ihm eine Teilnahme unmöglich gewesen wäre. Es stehe nicht fest, dass das Gemeinderatsmitglied S. bei näherer Kenntnis von den Hintergründen des Tagesordnungspunkts 4 nicht doch teilgenommen hätte. Die verbleibenden Zweifel gingen zu Lasten der Beklagten.
Der Gemeinderatsbeschluss sei daher unwirksam. Daraus folge, dass der erste Bürgermeister als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt habe. Nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO handle der erste Bürgermeister nicht nur dann ohne Vertretungsmacht, wenn der Gemeinderatsbeschluss bei einer nicht laufenden Angelegenheit völlig fehle, sondern auch, wenn ein solcher zwar gefasst worden sei, aber aufgrund von Mängeln fehlerhaft und damit unwirksam sei.
Der Kaufvertrag sei nicht durch eine Genehmigung wirksam geworden. Der Mangel der Vertretungsmacht könne auch nicht durch die Grundsätze der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht überwunden werden. Diese dürften nicht dazu dienen, den im öffentlichen Interesse des Schutzes der öffentlich-rechtlichen Körperschaften bestehenden Vertretungsregeln im Einzelfall jede Wirkung zu nehmen. Es sei auch kein überzeugender Grund ersichtlich, die Berufung der Klägerin auf die Unwirksamkeit des Gemeinderatsbeschlusses als treuwidrig anzusehen.
II.
9
Das Berufungsurteil hält im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand. Zwar ist das Berufungsgericht unzutreffend nur von einer Titelgegenklage, nicht aber auch von einer ebenfalls erhobenen Vollstreckungsgegenklage ausgegangen. Auch wenn damit der Prüfungsumfang weiter ist als vom Berufungsgericht angenommen, ist dem Senat insgesamt eine Entscheidung möglich, da es keiner weitergehenden Tatsachenfeststellungen bedarf. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht entschieden, dass der erste Bürgermeister im Rahmen des Notartermins als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt hat, eine Genehmigung durch den Gemeinderat nicht erfolgt ist und es der Klägerin auch nicht nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf die Unwirksamkeit der vom ersten Bürgermeister abgegebenen Erklärungen zu berufen.
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1. Vom Bestehen einer wirksamen Prozessvollmacht der Klägervertreter ist, wie im Berufungsurteil auf die Rüge der Beklagten nach § 88 Abs. 1 ZPO erörtert, auszugehen. Die Feststellungen des Berufungsgerichts hierzu werden von der Beklagten in der Revision nicht angegriffen.
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2. Rechtsfehlerhaft geht das Berufungsurteil allerdings davon aus, dass die Klage nur als Titelgegenklage entsprechend § 767 ZPO, nicht aber auch als – zulässige – Vollstreckungsgegenklage nach § 767 Abs. 1, § 795 Satz 1 ZPO auszulegen ist.
12
a) Gemäß § 795 Satz 1 ZPO findet die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO auch bei vollstreckbaren Urkunden nach § 794 Abs. 1 ZPO Anwendung. § 797 Abs. 4 ZPO regelt, dass auf Einwendungen, die den Anspruch selbst betreffen, § 767 Abs. 2 ZPO keine Anwendung findet. Der Schuldner ist durch die vollstreckbare Urkunde daher nicht mit seinen Einwendungen gegen den materiell-rechtlichen Anspruch nach § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, weil der Titel nicht mit materieller Rechtskraft ausgestattet ist. Daher ist die der Urkunde zugrunde liegende Forderung im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage in vollem Umfang und ohne Veränderung der Beweislast zu überprüfen (BGH, Urt. v. 17. Februar 2023, V ZR 212/21, NJW 2023, 2281 Rn. 17). Die Vollstreckungsgegenklage gegen eine vollstreckbare Urkunde soll die Prüfung der materiell-rechtlichen Beziehung in vollem Umfang ermöglichen, weil dem Titel kein Erkenntnisverfahren vorgeschaltet war (BGH, Urt. v. 3. April 2001, XI ZR 120/00, NJW 2001, 2096 [juris Rn. 23]).
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b) Ausgehend hiervon ist der Klageantrag (auch) als Vollstreckungsgegenklage auszulegen, die als solche auch zulässig ist. Die Auslegung von Verfahrenserklärungen unterliegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs freier rechtlicher Nachprüfung. Im Zweifel ist dasjenige als gewollt anzusehen, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Beschluss vom 29. März 2023, XII ZB 409/22, NJW-RR 2023, 707 Rn. 14 m. w. N.). Die Klägerin hat vorliegend beantragt, die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde für unzulässig zu erklären, da der erste Bürgermeister im Rahmen des Notartermins die Klägerin nicht wirksam habe vertreten können. Dieser Vortrag betrifft nicht nur die Erklärung der Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung aus der Urkunde, sondern insbesondere die Willenserklärung zum Abschluss des notariell beurkundeten Kaufvertrags und damit das Entstehen des Kaufpreisanspruchs der Beklagten nach § 433 Abs. 2 BGB. Der Antrag, die „Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde für unzulässig zu erklären“ ist gerade nicht, wie das Berufungsgericht meint, ausschließlich auf die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung und damit das Entstehen eines Vollstreckungstitels beschränkt. Vielmehr wird auch im originären Anwendungsbereich des § 767 ZPO, wenn nachträglich entstandene, materielle Einwendungen gegen einen durch Urteil titulierten Anspruch geltend gemacht werden, die Zwangsvollstreckung aus dem Titel für unzulässig erklärt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 5. Juli 2005, VII ZB 10/05, FamRZ 2005, 1832 [juris Rn. 13]; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 22. Aufl. 2025, § 767 Rn. 44). Mithin liegt in dem Antrag der Klägerin unter Berücksichtigung der dazu gegebenen Begründung primär eine statthafte und auch sonst zulässige Vollstreckungsgegenklage nach § 767 Abs. 1, § 795 Satz 1 ZPO, ungeachtet der Tatsache, dass nicht nachträglich entstandene Einwendungen erhoben werden, sondern schon das Entstehen des materiell-rechtlichen Kaufpreisanspruchs in Abrede gestellt wird. Da allerdings der von der Klägerin behauptete Mangel der Vertretungsmacht auch die Erklärung des ersten Bürgermeisters zur Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung betrifft, enthält die Klageschrift zudem eine ebenfalls zulässige Titelgegenklage entsprechend § 767 Abs. 1, § 795 Satz 1 ZPO, die mit der Vollstreckungsgegenklage verbunden werden kann (BGH, Urt. v. 26. Juni 2007, XI ZB 287/05, NJW-RR 2008, 66 Rn. 14; zur Titelgegenklage allgemein Preuß in BeckOK ZPO, 58. Ed. 1. September 2025, § 767 Rn. 57 – 57.2).
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3. Die zulässige Vollstreckungsgegenklage ist begründet. Der Beklagten steht kein Kaufpreisanspruch aus § 433 Abs. 2 BGB gegen die Klägerin zu, da es an dem Abschluss eines wirksamen Kaufvertrags nach § 433 Abs. 1 BGB fehlt. Bereits aus diesem Grund ist die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde, wie vom Berufungsurteil im Ergebnis zutreffend tenoriert, für unzulässig zu erklären.
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a) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der erste Bürgermeister im Rahmen des Notartermins vom 15. November 2022 nach § 177 Abs. 1 BGB als Vertreter ohne Vertretungsmacht handelte.
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aa) Der nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 36 Satz 1 GO für eine Vertretungsmacht erforderliche Beschluss des Gemeinderats lag zwar vor, war jedoch unwirksam.
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Nach Art. 38 Abs. 1 GO vertritt der erste Bürgermeister die Gemeinde nach außen. Der Umfang der Vertretungsmacht ist jedoch auf seine Befugnisse beschränkt. Gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO erledigt der erste Bürgermeister in eigener Zuständigkeit die laufenden Angelegenheiten, die für die Gemeinde keine grundsätzliche Bedeutung haben und keine erheblichen Verpflichtungen erwarten lassen. Der Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags ist für die Klägerin nicht als laufende Angelegenheit zu qualifizieren. Hierfür sprechen, wie vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, der gerade für eine sehr kleine Gemeinde wie die Klägerin nicht unerhebliche Kaufpreis von 550.000,00 €, der Erwerb von Grundeigentum und die Lage der Grundstücke im Zentrum der Gemeinde.
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Soweit der erste Bürgermeister nicht im Rahmen der eigenen Befugnisse tätig wird, kann er die Gemeinde nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 36 Satz 1 GO vertreten, sofern ein entsprechender Gemeinderatsbeschluss vorliegt. Mit dem mehrheitlich gefassten Beschluss vom 20. Oktober 2022 wurde der erste Bürgermeister beauftragt und ermächtigt, die Gemeinde bei dem streitgegenständlichen Grundstücksgeschäft zu vertreten. Indessen war dieser Beschluss unwirksam, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat.
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(1) Der Gemeinderat war in der Sitzung vom 20. Oktober 2022 mangels ordnungsgemäßer Ladung hinsichtlich des maßgeblichen Tagesordnungspunkts 4 nach Art. 47 Abs. 2, Art. 46 Abs. 2 Satz 2 GO (in der Fassung vom 30. Dezember 2015, gültig bis 31. Dezember 2023; s. jetzt Art. 46 Abs. 2 Satz 1 GO) nicht beschlussfähig. Ein trotz Beschlussunfähigkeit gefasster Gemeinderatsbeschluss ist unwirksam (BayVGH, Urt. v. 20. Juni 2018, 4 N 17.1548, BayVBl. 2019, 265 [juris Rn. 28 f.]; Urt. v. 30. Juli 2001, 1 N 98.3591, juris Rn. 37; Jung in BeckOK Kommunalrecht Bayern, 28. Ed. 1. November 2025, GO Art. 47 Rn. 20). Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsurteil davon aus, dass die Ladung mit dem angekündigten Tagesordnungspunkt „Informationen zur aktuellen Situation bezüglich der Flüchtlingskrise und eventuellen Auswirkungen auf die Gemeinde …“ zu unbestimmt war.
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(a) Mit der Ladung sollen die Gemeinderatsmitglieder in die Lage versetzt werden, sich adäquat vorzubereiten und sich gegebenenfalls auf einheitliche Positionen zu verständigen. Daher muss die Tagesordnung hinreichend konkret sein und darf sich nicht auf allgemeine Kategorien wie „Personal- und Grundstücksangelegenheiten“, „Nachträge“ oder „Sonstiges“ beschränken (BayVGH, Beschluss vom 4. Oktober 2010, 4 CE 10.2403, BayVBl. 2011, 85 [juris Rn. 7]; VG Ansbach, Beschluss vom 4. November 2024, AN 4 E 24.2660, juris Rn. 54; Wernsmann/Neudenberger in BeckOK Kommunalrecht Bayern, GO Art. 46 Rn. 16; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, 35. EL Mai 2025, Art. 46 Rn. 12). Letztlich handelt es sich um eine Frage des Einzelfalls und hängt von Faktoren wie bereits erfolgter Vorbefassung, der Regelmäßigkeit und Häufigkeit der Befassung mit derartigen oder thematisch ähnlichen Tagesordnungspunkten, der Größe der Gemeinde und der Bedeutung der Angelegenheit ab (Jung in BeckOK Kommunalrecht Bayern, GO Art. 47 Rn. 12). Wirksame Beschlüsse können grundsätzlich nur über Beratungsgegenstände gefasst werden, die in der Tagesordnung aufgeführt waren (Wernsmann/Neudenberger in BeckOK Kommunalrecht Bayern, GO Art. 46 Rn. 16). Eine Erweiterung der Tagesordnung noch in der Sitzung ist zulässig, wenn es sich um einen objektiv dringlichen Antrag handelt und eine entsprechende Möglichkeit in der Geschäftsordnung vorgesehen ist oder wenn alle Gemeinderatsmitglieder anwesend sind und sich rügelos auf die Beratung einlassen (BayVGH, Urt. v. 6. Oktober 1987, 4 CE 87.02294, BayVBl. 1988, 83; Urt. v. 10. Dezember 1986, 4 B 85 A.916, BayVBl. 1987, 239 [241]; VG Ansbach, Urt. v. 4. November 2024, AN 4 E 24.2660, juris Rn. 55; Wernsmann/Neudenberger in BeckOK Kommunalrecht Bayern, GO Art. 46 Rn. 29; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 46 Rn. 18; zu letzterer Fallgruppe auch BayVGH BayVBl. 2019, 265 [juris Rn. 41]; Urt. v. 26. Mai 2009, 1 N 08.2636, BeckRS 2009, 39796 Rn. 35; Urt. v. 12. Mai 2009, 1 N 04.3145, BeckRS 2009, 43283 Rn. 31).
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(b) Zutreffend geht das Berufungsurteil davon aus, dass der unter Tagesordnungspunkt 4 gefasste Beschluss über den Grundstückserwerb nicht von der Ankündigung in der Ladung gedeckt war. Nach den Feststellungen des Berufungsurteils war zu diesem Tagesordnungspunkt lediglich ausgeführt, es gehe um „Informationen“ zur „aktuellen Situation der Flüchtlingskrise“ und zu „eventuellen“ „Auswirkungen auf die Gemeinde …“. Keinen Bedenken begegnet die Annahme des Berufungsgerichts, daraus sei nicht ansatzweise deutlich geworden, dass es bei dem Tagesordnungspunkt um den Erwerb eines mit einer ehemaligen Gaststätte bebauten Grundstücks gehen könnte, auf dem ein anderer Interessent beabsichtige, Flüchtlinge unterzubringen. Auch ist nicht erkennbar, welches Grundstück betroffen sein könnte: Der Hinweis auf den Treffpunkt am Rathaus schon um 17.30 Uhr „zur Durchführung einer Ortseinsicht“ lässt völlig offen, wo und aus welchem Grund diese stattfinden soll.
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(c) Ohne Rechtsfehler geht das Berufungsurteil davon aus, dass eine nähere Bezeichnung des Tagesordnungspunkts nicht wegen entsprechender Vorkenntnisse der Gemeinderatsmitglieder entbehrlich war.
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(aa) Nach der Vernehmung der angebotenen Zeugen hält das Berufungsgericht die Behauptung der Beklagten, es habe schon am 14. Oktober 2022 eine Besichtigung des Grundstücks stattgefunden, für widerlegt. Auch der Vortrag der Beklagten, das Verkehrswertgutachten zu dem Grundstück sei den Gemeinderatsmitgliedern bereits vor Beginn der Sitzung überlassen worden, ist nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht erwiesen. Noch weitergehend ist das Berufungsgericht davon überzeugt, dass selbst während der Besichtigung der fraglichen Grundstücke im Vorfeld der Sitzung vom 20. Oktober 2022 den Gemeinderatsmitgliedern der Grund hierfür nicht mitgeteilt wurde. An diese Feststellungen ist das Revisionsgericht in Ermangelung eines hierauf gerichteten Revisionsangriffs gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Einen Rechtsfehler des Berufungsgerichts bei der Würdigung des Prozessstoffs (§ 286 ZPO) zeigt die Revision nicht auf.
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(bb) Allein die Nichtöffentlichkeit der Sitzung rechtfertigt die völlig unzureichenden Angaben in der Tagesordnung nicht, selbst wenn, was vorliegend keiner Entscheidung bedarf, der Ausschluss der Öffentlichkeit bezüglich dieses Tagesordnungspunkts zulässig gewesen sein sollte. Zwar kann bei einer Tagesordnung für eine nichtöffentliche Sitzung gegebenenfalls auf Individualisierungen wie Namensnennungen verzichtet werden (Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 46 Rn. 12). Vorliegend ließ sich der Tagesordnung aber noch nicht einmal entnehmen, dass es nicht nur um bloße Informationen über die Flüchtlingskrise und deren eventuellen Auswirkungen, sondern um den Erwerb eines Grundstücks durch die Klägerin gehen sollte. Damit war es den Gemeinderatsmitgliedern praktisch unmöglich, die tatsächliche Bedeutung des Tagesordnungspunkts auch nur ansatzweise einzuschätzen.
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(d) Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Behandlung des Grundstückserwerbs ohne (ausreichende) Ankündigung in der Tagesordnung nicht aufgrund einer besonderen objektiven Dringlichkeit zulässig war. Der erste Bürgermeister berief nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsurteils die Sitzung des Gemeinderats gerade ein, um einen Beschluss über den Erwerb des fraglichen Grundstücks herbeizuführen. Es wäre ihm nach den weiteren Feststellungen des Berufungsurteils ohne Weiteres möglich gewesen, dies explizit als Tagesordnungspunkt bereits in die Ladung vom 14. Oktober 2022 aufzunehmen. Dass er dies unterlassen hat, kann nicht dazu führen, die Behandlung des nicht ausreichend angekündigten Tagesordnungspunkts nunmehr unter dem Aspekt der objektiven Dringlichkeit zu rechtfertigen.
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Anderes könnte dann gelten, wenn sämtliche Gemeinderatsmitglieder in der Sitzung anwesend gewesen wären und sich ohne Rüge auf die Abstimmung eingelassen hätten. Zwar wurden nach den Feststellungen des Berufungsurteils von den am 20. Oktober 2022 anwesenden Gemeinderatsmitgliedern keine Bedenken gegen die Ordnungsgemäßheit der Ladung beziehungsweise der Tagesordnung erhoben. Soweit die Klägerin in der Revisionserwiderung hierzu erstmals vorträgt, das Gemeinderatsmitglied D. habe den Beschluss aufgrund der Kurzfristigkeit der Aufnahme in diese Tagesordnung abgelehnt und habe „somit“ gerügt, kann sie damit nicht durchdringen. Eine Verfahrensrüge nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) ZPO gegen die Tatsachenfeststellungen des Berufungsurteils ist von der Beklagten insoweit nicht erhoben worden. Neuer Tatsachenvortrag ist in der Revisionsinstanz nach § 559 Abs. 1 ZPO nicht mehr möglich. Darauf kommt es vorliegend aber ohnehin nicht an, da nicht alle Gemeinderatsmitglieder an der Sitzung teilnahmen; die Gemeinderatsmitglieder K. und S. fehlten entschuldigt.
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(2) Soweit in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur eine Heilung von Ladungsmängeln in weiteren Fallgestaltungen für möglich gehalten wird, ergibt sich auch daraus vorliegend keine Wirksamkeit des Gemeinderatsbeschlusses.
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(a) Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist die Formwidrigkeit einer Ladung dann unbeachtlich, wenn der Betroffene fernbleibt, aber im Voraus gegenüber dem Sitzungsleiter persönliche Entschuldigungsgründe angeführt hat. Dieses Verhalten lässt den Schluss zu, dass sich der Ladungsmangel nicht ausgewirkt hat, da das abwesende Ratsmitglied bei ordnungsgemäßer Ladung ebenfalls verhindert gewesen wäre. Maßgeblich ist insoweit eine reine Kausalitätsprüfung, sodass es nicht darauf ankommt, ob ein entschuldigt Abwesender den Ladungsverstoß erkannt und bewusst auf dessen Geltendmachung verzichtet hat (BayVGH, Urt. v. 10. Dezember 2020, 4 CE 20.2271, BayVBl. 2021, 273 [juris Rn. 28 f.]; BayVBl. 2019, 265 [juris Rn. 41]; Urt. v. 3. März 2006, 26 N 01.593, juris Rn. 19; zustimmend Jung in BeckOK Kommunalrecht Bayern, GO Art. 47 Rn. 21 ff.; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 47 Rn. 9b; Wutz, BayVBl. 2020, 733 [734]).
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(b) Auch unter Anwendung dieser Grundsätze kommt eine Heilung des Ladungsmangels vorliegend nicht in Betracht.
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Das Berufungsurteil hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme folgende Feststellungen getroffen: Die vernommenen Gemeinderatsmitglieder hätten bezüglich des Beratungsgegenstands keine über den Inhalt der Ladung hinausgehenden Kenntnisse gehabt. Dass dies bei dem Gemeinderatsmitglied S. anders gewesen sein könnte, sei nicht ersichtlich. Eine Vernehmung des Gemeinderatsmitglieds S. sei dem Berufungsgericht mangels Benennung als Zeuge nicht möglich gewesen. Nach dem Parteivortrag und dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei kein Grund ersichtlich, aus dem ihm eine Teilnahme an der Sitzung ohnehin unmöglich gewesen wäre oder aus dem er ohne Rücksicht auf den Gegenstand der Beratung auf eine Teilnahme verzichtet hätte. Er habe sich mit der Begründung entschuldigt, dass er den Termin mit dem Bayerischen Tourismusverband „vorziehe“ und hierfür um Verständnis gebeten. Für das Berufungsgericht stehe nicht fest, dass er selbst bei näherer Kenntnis der unter Tagesordnungspunkt 4 geplanten Beratung und Beschlussfassung seiner grundsätzlichen Pflicht zur Teilnahme an der Gemeinderatssitzung gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 1 GO nicht nachgekommen wäre. Verbleibende Zweifel gingen zu Lasten der Beklagten, die für die Umstände, aus denen sich eine Heilung ergeben könnte, darlegungs- und beweispflichtig sei.
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An diese Feststellungen ist der Senat nach § 559 Abs. 2 ZPO gebunden, da die Revision insoweit weder eine durchgreifende Verfahrensrüge erhoben hat noch Rechtsfehler bei der Würdigung des Prozessstoffs (§ 286 ZPO) aufzeigt. Sie trägt nur vor, S. hätte nicht als Zeuge, sondern nur als Partei vernommen werden dürfen, da dieser in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht als zweiter Bürgermeister und damit als gesetzlicher Vertreter der Klägerin aufgetreten sei. „Ein entsprechender Hinweis“ sei vom Berufungsgericht nicht erteilt worden, hätte aber erteilt werden müssen. Damit dringt die Revision nicht durch. Es erschließt sich bereits nicht, weshalb das Berufungsgericht die Beklagte auf den ihr bekannten Umstand hätte hinweisen müssen, dass das Gemeinderatsmitglied S. nicht als Zeuge benannt und auch keine Parteivernehmung beantragt worden war. Was die Beklagte bei Erteilung eines entsprechenden Hinweises vorgetragen hätte, legt sie ebenfalls nicht dar. Im Übrigen greift die Beklagte die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ohnehin nicht an. Dass die vom Berufungsgericht aus der Vernehmung der übrigen Zeugen gezogenen Schlussfolgerungen widersprüchlich oder denknotwendig falsch und im Ergebnis unzutreffend wären, legt die Beklagte in keiner Weise dar und ist auch nicht ersichtlich. Die Annahme des Berufungsgerichts, es seien keine Gründe dafür erkennbar, dass ausgerechnet das Gemeinderatsmitglied S. mehr gewusst hätte als die übrigen, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Auch die Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts aus der vorgelegten Entschuldigung erfolgen rechtsfehlerfrei. Aus der vom Berufungsgericht wiedergegebenen Entschuldigung lässt sich ersehen, dass es gerade kein privater Verhinderungsgrund wie Krankheit oder Urlaub war, aufgrund dessen das Gemeinderatsmitglied S. nicht an der Sitzung teilnehmen wollte.
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Vielmehr ist der Entschuldigung, wie vom Berufungsgericht ausgeführt, ohne Weiteres zu entnehmen, dass er in einer Abwägung zwischen der Bedeutung der Gemeinderatssitzung und dem Termin mit dem Bayerischen Tourismusverband letzterem den Vorzug gegeben hatte. Das trägt die vom Berufungsgericht gezogene Schlussfolgerung, es stehe jedenfalls nicht fest, dass das Gemeinderatsmitglied S. bei näherer Kenntnis von den Hintergründen des Tagesordnungspunkts nicht doch die Teilnahme an der Gemeinderatssitzung für wichtiger erachtet hätte. Im Rahmen der notwendigen Kausalitätsprüfung lässt sich daher nicht feststellen, dass das Gemeinderatsmitglied S. auch bei ordnungsgemäßer Ladung verhindert gewesen wäre und sich die zu ungenaue Bezeichnung des Tagesordnungspunkts somit nicht ausgewirkt hat.
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Nicht mehr entscheidungserheblich ist die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, ob eine Heilung dann nicht in Betracht kommt, wenn sämtliche Gemeinderatsmitglieder zwar rügelos abgestimmt haben, aber nicht in der Lage waren, Bedeutung und Tragweite der getroffenen Entscheidung zu erfassen.
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(3) Die am 31. Oktober 2022 beschlossene Genehmigung des Sitzungsprotokolls führt nicht zu einer Heilung des unwirksamen Beschlusses vom 20. Oktober 2022 und stellt weder eine Bestätigung noch eine Neuvornahme dar. Nach Art. 54 Abs. 1 und 2 GO ist über die Verhandlungen des Gemeinderats eine Niederschrift zu fertigen und diese vom Gemeinderat zu genehmigen. Im Rahmen der Genehmigung geht es nur darum, ob Inhalt und Ablauf der Gemeinderatssitzung in der Niederschrift zutreffend wiedergegeben werden. Eine inhaltliche Bestätigung (unwirksamer) Beschlüsse liegt darin ebenso wenig wie eine erneute inhaltliche Beschlussfassung (vgl. auch Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 54 Rn. 5 zu den Anforderungen an einen Änderungsbeschluss).
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bb) Aufgrund der Unwirksamkeit des Gemeinderatsbeschlusses handelte der erste Bürgermeister im Rahmen des Notartermins am 15. November 2022 ohne Vertretungsmacht für die Klägerin.
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(1) Welche Folgen sich für die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO ergeben, wenn dieser in einer nicht laufenden Angelegenheit die Gemeinde vertritt, der dem Tätigwerden zugrundeliegende Gemeinderatsbeschluss aber unwirksam ist, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt; einschlägige Rechtsprechung liegt, soweit ersichtlich, noch nicht vor.
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Nach einer Ansicht ist der Vollzug eines unwirksamen Gemeinderatsbeschlusses hinsichtlich der Rechtsfolgen einem Handeln ohne Gemeinderatsbeschluss gleichzusetzen, es liege ein Tätigwerden als Vertreter ohne Vertretungsmacht vor. Zur Begründung wird insbesondere auf Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO verwiesen (so Jung in BeckOK Kommunalrecht Bayern, GO Art. 47 Rn. 20; Messerer, BayVBl. 2019, 366 [369]; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 38 Rn. 3 ff. unter Verweis auf Korrekturmöglichkeiten nach § 242 BGB). Nach anderer Ansicht kommt es für Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO nur auf das formale Vorliegen eines Gemeinderatsbeschlusses, nicht aber auf dessen Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit an. Hierfür wird insbesondere der Schutz des Rechtsverkehrs angeführt. Vertragspartnern der Gemeinde dürfe nicht das Risiko unerkannt unwirksamer Beschlüsse aufgebürdet werden. Eine Prüfung der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit von Gemeinderatsbeschlüssen sei dem Bürger weder möglich noch zumutbar. Fehler könnten noch Jahre später von der Gemeinde geltend gemacht werden, auch wenn sie aus ihrer Sphäre stammten. Dies führe zu einer untragbaren Rechtsunsicherheit. Im Übrigen liege ein „Vollzug“ eines Gemeinderatsbeschlusses im Sinne des Art. 36 Satz 1 GO auch dann vor, wenn ein Beschluss zwar gefasst, aber rechtswidrig sei. In einer derartigen Situation habe sich der Gemeinderat mit der jeweiligen Thematik tatsächlich befasst, sodass ein Übergriff des ersten Bürgermeisters in die Kompetenz des Gemeinderats, anders als bei völligem Fehlen eines Beschlusses, regelmäßig nicht zu befürchten sei.
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(2) Der Senat schließt sich der erstgenannten Ansicht an. Hierfür sprechen folgende Erwägungen:
(a) Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO ist der Umfang der Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters auf seine Befugnisse beschränkt. Über eine eigene Zuständigkeit verfügt er nach Art. 37 Abs. 1 GO, soweit es sich um laufende Angelegenheiten handelt. Im Übrigen sind seine Befugnisse im Wesentlichen darauf beschränkt, gemäß Art. 36 GO die Beschlüsse des Gemeinderats zu vollziehen. In diesen Fällen wird mithin die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters erst durch den Gemeinderatsbeschluss begründet. Ein rechtswidriger Gemeinderatsbeschluss ist nichtig; ein nichtiger Beschluss entfaltet keine Wirkung und kann daher auch keine Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters konstitutiv herbeiführen. Anders als etwa im Gesellschaftsrecht (vgl. § 110 HGB, §§ 241, 243 AktG) gibt es keinen trotz gewisser Mängel wirksamen und lediglich anfechtbaren Gemeinderatsbeschluss.
Zudem fordert Art. 56 Abs. 1 Satz 1 GO, dass die gemeindliche Verwaltungstätigkeit mit der Verfassung und den Gesetzen in Einklang stehen muss. Nach Art. 59 Abs. 2 GO hat der erste Bürgermeister Entscheidungen des Gemeinderats zu beanstanden und ihren Vollzug auszusetzen, wenn er sie für rechtswidrig hält. Dazu stünde es in erheblichem Widerspruch, wenn Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO so verstanden würde, dass er dem Vollzug eines rechtswidrigen und damit nichtigen Gemeinderatsbeschlusses im Rahmen des Art. 36 Satz 1 GO nicht entgegenstünde.
(b) Zudem spricht die Entstehungsgeschichte des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO für die erstere Ansicht.
Vor Einfügung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO durch Gesetz vom 22. März 2018 (GVBl. S. 145) war nur geregelt, dass der erste Bürgermeister die Gemeinde nach außen vertritt. Diese Regelung wurde in ständiger Rechtsprechung insbesondere des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Bayerischen Obersten Landesgerichts dahin ausgelegt, dass die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters nach außen nicht unbeschränkt, sondern auf die Bereiche seiner eigenen Zuständigkeit und den Vollzug von Beschlüssen des Gemeinderats nach Art. 36 GO beschränkt ist (BayObLG, Beschluss vom 15. Januar 1997, 3Z BR 153/96, NJW-RR 1998, 161 [juris Rn. 14]; Beschluss vom 24. April 1986, 1 Z 32/86, NJW-RR 1986, 1080; Beschluss vom 21. Oktober 1974, 2 Z 24/74, juris Rn. 10; BayVGH, Beschl. v. 27. Mai 2014, 15 ZB 13.105, NVwZ-RR 2014, 693 Rn. 5 f.; Beschluss vom 20. Oktober 2011, 4 CS 11.2047, BayVBl. 2012, 341 [juris Rn. 7 f.]; Beschluss vom 31. August 2011, 8 ZB 11.549, BayVBl. 2012, 177 [juris Rn. 30]). Erst der Bundesgerichtshof (Urt. v. 18. November 2016, V ZR 266/14, NJW 2017, 2412 Rn. 12 ff.) und das Bundesarbeitsgericht (Beschluss vom 22. August 2016, 2 AZB 26/16, NZA 2016, 1296 Rn. 11) legten Art. 38 Abs. 1 GO a. F. dahingehend aus, dass der erste Bürgermeister nach außen unbeschränkte Vertretungsmacht habe. Zur Begründung stellte der Bundesgerichtshof maßgeblich auf den Aspekt der Rechtssicherheit ab. Ein ausreichender Schutz eines Dritten werde auch nicht dadurch gewährleistet, dass er von dem ersten Bürgermeister den Nachweis seiner Befugnis zur Vornahme des betreffenden Rechtsgeschäfts verlangen könne. Dabei verblieben erhebliche Rechtsunsicherheiten. Werde dem Erklärungsempfänger die Ausfertigung eines Gemeinderatsbeschlusses vorgelegt, müsste dieser überprüfen, ob der Beschluss wirksam sei und das konkrete Rechtsgeschäft umfasse (BGH, a. a. O., Rn. 21). In Reaktion auf diese Entscheidungen führte der bayerische Gesetzgeber Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO ein. In der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 17/14651 S. 17) wird unter Verweis auf die frühere Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Bayerischen Obersten Landesgerichts sowie die Landtags-Drucksache 2/1140 (S. 35) ausgeführt, mit der Neuregelung werde klargestellt, dass die Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters auf seine Befugnisse beschränkt sei. Diese Klarstellung sei im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts erforderlich. Zwar beschäftigen sich die in der Drucksache zitierten Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht mit der Vertretungsmacht im Fall eines gefassten, aber unwirksamen Gemeinderatsbeschlusses. Auch findet sich (soweit ersichtlich) über die zitierten Urteile und Beschlüsse hinaus auch in der älteren bayerischen Rechtsprechung keine Entscheidung zu dieser Frage; diskutiert wurde regelmäßig die Abgrenzung der laufenden zur nicht laufenden Angelegenheit bei fehlendem Gemeinderatsbeschluss. Allerdings hat der Bundesgerichtshof (a. a. O., Rn. 21) das Problem der Rechtsunsicherheit bei unwirksamen Gemeinderatsbeschlüssen deutlich hervorgehoben. Dies spricht dafür, dass Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO eine bewusste Entscheidung des Landesgesetzgebers zugunsten des Schutzes der gemeindlichen Kompetenzordnung unter Inkaufnahme einer gewissen Rechtsunsicherheit zulasten der Bürger zugrunde liegt. Hierfür streitet schließlich auch der Verweis in der Gesetzesbegründung zu Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO auf die Landtags-Drucksache 2/1140 (S. 35). Dort wird in Bezug auf Art. 38 Abs. 2 GO a. F. ausgeführt, Dritte, die irrtümlich die Voraussetzungen des Abs. 2 a. F. („dringliche Anordnung“, „unaufschiebbares Geschäft“) für gegeben hielten, sollten keinen Schutz des guten Glaubens genießen.
(c) Der Senat folgt nicht der Ansicht, die Kompetenzordnung der Gemeinde sei hinreichend geschützt, wenn sich der Gemeinderat in einem, wenn auch unwirksamen, Beschluss mit der fraglichen Angelegenheit bereits befasst hatte. Eine Missachtung der Kompetenzordnung durch den ersten Bürgermeister kann auch darin liegen, dass er den Gemeinderat mit der Ladung über die konkreten Beschlussgegenstände im Unklaren lässt, sodann unter Verweis auf die Dringlichkeit eines Tagesordnungspunkts den Gemeinderat zu einem Beschluss ohne ausreichende Vorbereitung veranlasst und diesen Beschluss im Folgenden vollzieht.
(d) Der Senat verkennt nicht, dass für den Bürger, der mit einer Gemeinde kontrahiert, die Wirksamkeit eines ihm zum Nachweis der Vertretungsmacht vorgelegten Beschlusses kaum überprüfbar sein wird. Indessen ist es dem Senat verwehrt, aus möglichen rechtspolitischen Erwägungen Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GO in einer Weise auszulegen, die mit seinem Wortlaut, seiner Systematik und seiner Entstehungsgeschichte nicht in Einklang steht. Im Übrigen können in extremen Fällen Ausnahmen im Hinblick auf § 242 BGB zu erwägen sein (siehe unten c] bb] [1]); zudem erscheinen je nach Fallgestaltung Schadensersatzansprüche denkbar.
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b) Eine Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters bei Abschluss des Kaufvertrags lässt sich nicht mit den Rechtsfiguren der Anscheins- oder Duldungsvollmacht begründen. Der erste Bürgermeister legte im Notartermin einen Beschlussbuchauszug vor, aus dem der Gemeinderatsbeschluss vom 20. Oktober 2022 und die darin erteilte Vollmacht für den ersten Bürgermeister ersichtlich waren. Ob damit bereits die Voraussetzungen einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht vorliegen könnten (vgl. Schubert in Münchener Kommentar zum BGB, 10. Aufl. 2025, § 167 Rn. 116 und 121; Schäfer in BeckOK BGB, 76. Ed. 1. November 2025, § 167 Rn. 15 ff.), kann mangels Anwendbarkeit dieser Rechtsfiguren dahingestellt bleiben. Zwar finden Anscheins- und Duldungsvollmacht auch gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts Anwendung, wenn deren vertretungsberechtigte Organe das Vertreterhandeln eines Dritten geduldet oder nicht verhindert haben. Die Grundsätze dürfen aber nicht dazu dienen, den im öffentlichen Interesse des Schutzes der öffentlichrechtlichen Körperschaften und ihrer Mitglieder bestehenden Vertretungsregeln im Einzelfall jede Wirkung zu nehmen (BGH, Urt. v. 6. Juli 1995, III ZR 176/94, NJW 1995, 3389 [juris Rn. 19]; Urt. v. 30. Oktober 1983, III ZR 158/82, NJW 1984, 606 [juris Rn. 25]). Die Vorschriften über die Vertretungsmacht der zur Vertretung berufenen Organe dienen dazu, eine Bindung der öffentlich-rechtlichen Körperschaft durch das Tätigwerden eines unzuständigen Organs zu verhindern; sie können daher nicht durch den Einwand des Verstoßes gegen Treu und Glauben oder den Rückgriff auf Rechtsscheintatbestände wie die Anscheins- und Duldungsvollmacht außer Kraft gesetzt werden (BGH, Urt. v. 10. Mai 2001, III ZR 111/99, NJW 2001, 2626 [juris Rn. 19]; Urt. v. 20. September 1984, III ZR 47/83, NJW 1985, 1778 [juris Rn. 36]; Wernsmann/Neudenberger in BeckOK Kommunalrecht Bayern, GO Art. 38 Rn. 13; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 38 Rn. 5; Schubert in Münchener Kommentar zum BGB, § 167 Rn. 112; vgl. auch den Verweis in der LT-Drs. 17/14651 S. 17 auf die LT-Drs. 2/1140 S. 35, wonach der gute Glaube Dritter in die Vertretungsmacht des Amtsträgers nicht geschützt werde).
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Aus denselben Erwägungen finden die Regelungen in §§ 171, 172 BGB ebenfalls keine Anwendung. Auch diese Normen betreffen Fälle einer Rechtsscheinsvollmacht (BGH, Urt. v. 8. Oktober 2004, V ZR 18/04, NZM 2005, 232 [juris Rn. 23]; Schubert in Münchener Kommentar zum BGB, § 171 Rn. 2, § 172 Rn. 18).
41
c) Der Klägerin ist es nicht verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit des Gemeinderatsbeschlusses und damit das Fehlen der Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters zu berufen.
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aa) Dem steht nicht die Rechtsnatur der Sitzungsniederschrift als öffentliche Urkunde entgegen.
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Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat der Gemeinderat mehrheitlich den Beschluss gefasst, die Grundstücke zu erwerben und den ersten Bürgermeister „beauftragt und ermächtigt“, „die Gemeinde bei diesem Grundstücksgeschäft rechtswirksam zu vertreten“, wie im Berufungsurteil festgehalten. Die Sitzungsniederschrift stellt eine öffentliche Urkunde nach §§ 415, 418 ZPO dar. Damit begründet sie vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Bezüglich des Inhalts ist jedoch der Beweis der Unrichtigkeit zulässig, § 418 Abs. 2 ZPO (BGH, Urt. v. 23. April 2015, III ZR 195/14, NVwZ 2015, 630 Rn. 18; BayVGH, Urt. v. 12. Februar 2021, 1 B 20.875, BayVBl. 2021, 604 [juris Rn. 21]; Wernsmann/Neudenberger in BeckOK Kommunalrecht Bayern, GO Art. 38 Rn. 8; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 38 Rn. 4). Eine negative Beweiskraft dergestalt, dass in der Niederschrift nicht aufgenommene Vorgänge als nicht stattgefunden zu behandeln sind, ist ihr nicht beizumessen (BGH, a. a. O.). Damit ist der Gemeinde der Einwand, der Gemeinderatsbeschluss sei aus Gründen nichtig, die sich nicht aus der Sitzungsniederschrift ergeben, nicht abgeschnitten (Wernsmann/Neudenberger in BeckOK Kommunalrecht, GO Art. 38 Rn. 8).
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bb) Die Ansicht des Berufungsgerichts, das Handeln der Klägerin, die sich auf die Unwirksamkeit des Gemeinderatsbeschlusses vom 20. Oktober 2022 und das Fehlen der Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters beruft, sei nicht als Verstoß gegen § 242 BGB zu werten, hält revisionsrechtlicher Überprüfung ebenfalls stand.
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(1) Eine Gemeinde verstößt nur unter besonderen Umständen gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung, wenn sie die Unwirksamkeit des Vertreterhandelns geltend macht. Denkbar erscheint dies allenfalls, wenn die Nichtigkeitsfolgen für den Vertragsgegner zu schlechthin unerträglichen Ergebnissen führen und ein notwendiger Ausgleich mit anderen rechtlichen Mitteln nicht zu erzielen ist (BGH NJW 1984, 606 [juris Rn. 26]; Urt. v. 16. November 1978, III ZR 81/77, NJW 1980, 117 [juris Rn. 31]; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 38 Rn. 5; Wernsmann/Neudenberger in BeckOK Kommunalrecht Bayern, GO Art. 38 Rn. 13; vgl. auch BGH NJW 2001, 2626 [juris Rn. 18]). Einen solchen Ausnahmefall hat das Berufungsgericht hier mit Recht verneint. Auch wenn die Verkaufschancen für die fraglichen Grundstücke beziehungsweise deren Wert gesunken wären, stellte dies noch kein schlechthin unerträgliches Ergebnis dar, zumal ein Ausgleich etwa entstandener Vermögensschäden jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheint.
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(2) Ein Verstoß gegen das Verbot des venire contra factum proprium kommt ebenfalls nicht in Betracht.
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Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht verstößt es gegen diesen Grundsatz, wenn sich die Gemeinde auf die Unrichtigkeit einer von ihr selbst erstellten Ausfertigung des Gemeinderatsbeschlusses beruft. Auch könne, sobald eine Ausfertigung erteilt worden ist, von der Gemeinde nicht mehr eingewandt werden, der Beschluss sei aus Gründen, die sich nicht aus der Ausfertigung ergeben, nichtig (so Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 38 Rn. 4). Dieser Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen, da sie sich in Widerspruch zum Umfang der Beweiskraft einer Sitzungsniederschrift setzt. Wie ausgeführt, kommt der Sitzungsniederschrift keine negative Beweiskraft zu. Damit stellt es auch keinen Verstoß gegen das Verbot des venire contra factum proprium dar, wenn nach Erteilung einer Ausfertigung die Gemeinde sich auf die Unwirksamkeit des Beschlusses aus Gründen, die sich nicht aus der Urkunde ergeben, beruft. Vorliegend kommt hinzu, dass der Beschluss gerade unwirksam ist, weil die Gemeinderatsmitglieder nicht ordnungsgemäß vollständig und rechtzeitig über den Tagesordnungspunkt informiert wurden. Die Ladungsvorschriften dienen dazu, den Gemeinderatsmitgliedern zu ermöglichen, sich ausreichend auf die Beschlussgegenstände vorzubereiten. Wenn die Gemeinderatsmitglieder in einer Sitzung von einem nicht (ordnungsgemäß) angekündigten Tagesordnungspunkt überrascht wurden, erscheint es nicht treuwidrig, wenn sie nach näherer Überlegung feststellen, dass der gefasste Beschluss übereilt war und sie an diesem nicht festhalten wollen, auch wenn er vom ersten Bürgermeister bereits vollzogen wurde. Dass vorliegend die Unwirksamkeit erstmals nach dem Notartermin vom 15. November 2022 geltend gemacht wurde, mag der notwendigen Überlegungs- und Abstimmungszeit zwischen den Gemeinderatsmitgliedern oder einem Meinungswandel nach weiterem Nachdenken geschuldet sein, lässt das Verhalten der Gemeinde aber nicht treuwidrig erscheinen.
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(3) Ob im Einzelfall eine Gemeinde das Recht, sich auf die fehlende Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters zu berufen, verwirken könnte (vgl. BayObLG, Beschluss vom 15. Januar 1997, 3z BR 153/96, BayObLGZ 1997, 37 [juris Rn. 16]), kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls fehlt es vorliegend bereits an einem ausreichenden Zeitmoment.
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d) Der vom ersten Bürgermeister als Vertreter ohne Vertretungsmacht geschlossene, zunächst schwebend unwirksame Kaufvertrag ist nicht durch eine Genehmigung des Gemeinderats nach § 177 Abs. 1, § 184 Abs. 1 BGB wirksam geworden, wie das Berufungsgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei angenommen hat.
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Grundsätzlich kann ein von einem ersten Bürgermeister ohne Vertretungsmacht geschlossener Vertrag durch einen Beschluss des Gemeinderats genehmigt und damit wirksam werden (grundlegend BGH, Urt. v. 28. September 1966, I b ZR 141/64, NJW 1966, 2402 f.; BayObLGZ 1997, 37 [juris Rn. 15]; BayObLG, Beschl. v. 21. Oktober 1974, BReg 2 Z 24/74, BayObLGZ 1974, 374 [juris Rn. 13]; OLG Stuttgart, Urt. v. 9. Februar 2016, 10 U 137/15, MDR 2016, 698 [juris Rn. 39]; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 29 Rn. 25; Wernsmann/Neudenberger in BeckOK Kommunalrecht Bayern, GO Art. 38 Rn. 11). Ein derartiger Beschluss liegt nach den Feststellungen des Berufungsgerichts aber nicht vor.
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aa) Der Beschluss vom 31. Oktober 2022 diente lediglich der Genehmigung der Sitzungsniederschrift und kann schon aufgrund der anderen Zielrichtung keine Genehmigung des (ohnehin noch nicht abgeschlossenen) Kaufvertrags darstellen.
52
bb) In der Gemeinderatssitzung vom 28. November 2022 wurde nach den Feststellungen des Berufungsgerichts über die Genehmigung des Kaufvertrags Beschluss gefasst und diese mit sechs zu sechs Stimmen abgelehnt. Ob die Enthaltung des Gemeinderatsmitglieds A. unzulässig war, kann, wie das Berufungsurteil zutreffend annimmt, dahingestellt bleiben. Selbst wenn dies der Fall wäre, läge dennoch kein wirksamer Genehmigungsbeschluss vor.
53
Die in der gleichen Sitzung gefassten Beschlüsse zu Haushaltsmitteln und Förderanträgen können von vornherein nicht als konkludente Genehmigungsbeschlüsse qualifiziert werden, selbst wenn sich diese Beschlüsse auf die fraglichen Grundstücke bezogen hätten. In derselben Sitzung wurde ausdrücklich über die Genehmigung des Kaufvertrags vom 15. November 2022 abgestimmt und der Antrag abgelehnt; damit kann nicht ein anderer in derselben Sitzung gefasster Beschluss als konkludente Genehmigung eben dieses Kaufvertrags ausgelegt werden.
54
cc) Mit Beschluss vom 2. Januar 2023 wurde der Kaufvertrag ebenfalls nicht genehmigt, sondern gerade umgekehrt die Genehmigung mit Mehrheitsbeschluss abgelehnt.
55
4. Die von der Klägerin zulässig erhobene Titelgegenklage entsprechend §§ 767, 795 Satz 1 ZPO ist ebenfalls begründet. Es fehlt an einem wirksamen Vollstreckungstitel, da Ziffer III der notariellen Urkunde, wonach sich die Klägerin wegen des vereinbarten Kaufpreises der sofortigen Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde in ihr gesamtes Vermögen unterwirft, mangels Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters aus den oben ausgeführten Gründen ebenfalls unwirksam ist.
III.
56
Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO hat die Beklagte die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
57
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO.