Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 03.03.2025 – 19 U 3486/24 e
Titel:

Erstattungsfähige Aufwendungen, Grobe Fahrlässigkeit, Eigene Beweiswürdigung, Unfallverhütungsvorschriften, Mitverschuldenseinwand, Mitverschulden des Geschädigten, Versicherungsfall, Sozialversicherungsträger, Grobfahrlässige, Verkehrserforderliche Sorgfalt, Augenblicksversagen, Informatorische Anhörung, Sachverständigengutachten, Landgerichte, Sozialrecht, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Gesamtschuldnerische, Sachverständigenberatung, Erstinstanzliche Feststellungen, Gelegenheit zur Stellungnahme

Schlagworte:
Arbeitsunfall, Aufwendungsersatzpflicht, Grobe Fahrlässigkeit, Gesamtschuldnerische Haftung, Umschulungskosten, Mitverschulden, Ermessensreduzierung
Vorinstanz:
LG München II, Endurteil vom 17.09.2024 – 14 O 4947/20
Fundstelle:
BeckRS 2025, 3373

Tenor

I. Der Senat weist nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München II vom 17.09.2024, Az. 14 O 4947/20, gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
II. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnendrei Wochennach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerin, eine Bau-Berufsgenossenschaft, nimmt den Beklagten zu 2) aus § 110 Abs. 1 SGB VII und die Beklagte zu 1) gemäß § 111 S. 1 SGB VII auf Erstattung der Aufwendungen in Anspruch, die ihr infolge eines Arbeitsunfalls entstanden sind, bei dem die bei der Klägerin versicherten Geschädigten … C… und … B… erheblich verletzt wurden.
2
Die Beklagte zu 1) ist eine GmbH mit Sitz in D…, deren Unternehmensgegenstand Bodenlegearbeiten aller Art und Handel mit Bodenbelägen aller Art sind.
3
Der Beklagte zu 2) war bis 22.06.2021 Geschäftsführer der Beklagten zu 1).
4
Am 01.03.2019 kam es im Keller des im Eigentum des Beklagten zu 2) stehenden Anwesens … in K… (im Folgenden: streitgegenständliches Anwesen) zu einer Explosion.
5
Die Beklagte zu 1) war dort unter anderem mit dem Verkleben von Teppich beauftragt. Die Arbeiten in einem von zwei vorhandenen Kellerräumen wurden durch den Beklagten zu 2), welcher die Bauaufsicht innehatte, zusammen mit dem Geschädigten … C… – damals bei der Beklagten zu 1) als Parkettleger beschäftigt – und dem Geschädigten … B… – damals Schülerpraktikant bei der Beklagten zu 1) – durchgeführt.
6
Dabei wurde ein lösungsmittelhaltiger Neoprene-Kontaktklebstoff des Herstellers MAPEI, Typ Adesilex LP, verwendet.
7
In den Verwendungshinweisen des Klebers (Anlage K 6) ist unter „VORSICHTS- UND SICHERHEITSHINWEISE“ ausgeführt:
„Das Produkt ist (…) leicht entzündlich (…).
(…)
Von Zündquellen fernhalten und nur in ausreichend belüfteten Bereichen verarbeiten.
(…) Nur in gut belüfteten Bereichen verwenden. Arbeitsschutzmaßnahmen gemäß TRGS 610 beachten!“
Unter der Überschrift „TECHNISCHE DATEN“ ist unter anderem angegeben:
„GGVS/ADR: brennbare Flüssigkeit UN 1133, Klebstoffe, 3, III
(…)
GefStoffV: F Leichtentzündlich (…)“
8
Die UN-Nummer 1133 kennzeichnet Klebstoffe, die eine entzündbare Flüssigkeit enthalten und einem Flammpunkt unter 23 °C aufweisen.
9
Als GISCODE ist in den Verwendungshinweisen angegeben „S1 gemäß TRGS 610“.
10
Der GISCODE ist das Kennzeichnungssystem der Klägerin. Der Code ist die Zuordnung von Produkten zu einer Produktgruppe. Der GISCODE S1 bezeichnet stark lösemittelhaltige Verlegewerkstoffe.
In den „Technischen Regeln für Gefahrstoffe – Ersatzstoffe und Ersatzverfahren für stark lösungsmittelhaltige Vorstriche und Klebstoffe im Bodenbereich (TRGS 610)“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Anlage K 7) steht in Ziffer 3.1 Abs. 2:
„Bei der Verwendung von stark lösemittelhaltigen (…) Klebstoffen für den Bodenbereich (GISCODE S 1-S 6) besteht Brand- und Explosionsgefahr.“
11
In Ziffer 3.6 Abs. 2 ist ausgeführt:
„Bei Einsatz von stark lösungsmittelhaltigen (…) Klebstoffen für den Bodenbereich (GISCODE S 1-S 6) besteht Brand- und Explosionsgefahr.“
12
Folgende „Allgemeine Informationen für den Umgang mit brennbaren Flüssigkeiten“ waren in den Verwendungshinweisen des Klebers ebenfalls enthalten:
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Im Sicherheitsdatenblatt des Klebers (ebenso Anlage K 6) heißt es:
14
Im Kellernebenraum des streitgegenständlichen Anwesens war während der Verklebearbeiten ein Katalyt-Heizofen (im Folgenden: Ofen) in Betrieb, welcher an eine Propangas-Flasche angeschlossen war und eine offene Flamme erzeugte. Dieser war vom Beklagten zu 2) dort nicht platziert worden. Er hatte aber am Vorfallstag wahrgenommen, dass sich dieser dort befindet und nicht kontrolliert, ob er an- oder ausgeschaltet war. Sämtliche Kellerfenster waren zum diesem Zeitpunkt geschlossen oder lediglich gekippt.
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Aufgrund der Dämpfe des verwendeten, leicht entzündbaren Klebers und der Flamme des Ofens kam es zu einer schweren Explosion. Sämtliche Beteiligten erlitten schwerste Verbrennungen, der Geschädigte … B… zudem ein Inhalationstrauma.
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Die Betriebshaftpfichtversicherung der Beklagten zu 1) lehnte eine Einstandspflicht ab.
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Hinsichtlich des Sachverhalts im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils des Landgerichts Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 S. 4 ZPO). Änderungen oder Ergänzungen haben sich im Berufungsverfahren nicht ergeben.
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Das Landgericht hat die Klage vollen Umfangs zugesprochen. Es hat die Beklagten kostenfällig wie folgt verurteilt:
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 71.570,24 € zzgl. Zinsen aus 38.833,42 € i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25.05.2020 sowie Zinsen aus weiteren 32.736,82 € i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 16.01.2021 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren gemäß § 110 SGB VII erstattungsfähigen Aufwendungen bis zur Höhe des fiktiven zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches des Herrn … C…, geboren am …, am 01.03.2019 auf dem Anwesen … K…, entstanden sind und noch entstehen werden.
3. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 66.901,11 € zzgl. Zinsen aus 66.811,10 € i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25.05.2020 sowie Zinsen aus weiteren 90,01 € i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 16.01.2021 zu zahlen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren gemäß § 110 SGB VII erstattungsfähigen Aufwendungen bis zur Höhe des fiktiven zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches des Herrn … B… geboren am …, am 01.03.2019 auf dem Anwesen … K…, entstanden sind und noch entstehen werden.
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Dagegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 17.10.2024 (Bl. 1 ff. d. OLG-eAkte) eingelegte und mit Schriftsatz vom 17.12.2024 (Bl. 11 ff. d. OLG-eAkte) begründete Berufung der Beklagten.
20
Die Beklagten beantragen, das Urteil des Landgerichts abzuändern und
die Klage abzuweisen.
21
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
22
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 17.12.2024 (Bl. 11 ff. d. OLG-eAkte), die Berufungserwiderung vom 13.02.2025 (Bl. 31 ff. d. OLG-eAkte) sowie die weiteren Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
23
Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung der Beklagten offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
24
Das verfahrensrechtlich bedenkenfreie und somit zulässige Rechtsmittel der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
25
Die angefochtene Entscheidung des LG München II lässt einen entscheidungserheblichen Rechtsfehler zu Lasten der Beklagten nicht erkennen. Das Landgericht ist mit zutreffender und überzeugender Begründung davon ausgegangen, dass sich nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme der Beklagte zu 2) gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII und die Beklagte zu 1) nach § 111 S. 1 SGB VII gegenüber der Klägerin in zugesprochenem Umfang aufwendungsersatzpflichtig gemacht haben.
26
Anzumerken bleibt Folgendes:
27
1. Die Klägerin hat gegen den Beklagten zu 2) dem Grunde nach einen Anspruch auf Ersatz der ihr infolge des streitgegenständlichen Unfalls für die bei ihr versicherten Geschädigten … C… und … B… entstandenen Aufwendungen nach § 110 Abs. 1 SGB VII.
28
Danach haften Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt ist – hier die des Beklagten zu 2) nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII – und welche den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben, den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadenersatzanspruchs. Das Verschulden braucht sich nur auf das den Versicherungsfall verursachende Handeln oder Unterlassen zu beziehen.
29
Es handelt sich hierbei um einen nicht aus dem Recht der versicherten Geschädigten abgeleiteten originären Anspruch eigener Art auf Ersatz von Aufwendungen, also keinen Schadensersatzanspruch (BGH, Urteil v. 09.12.2021, Az. VII ZR 170/19, Rz. 13; Urteil v. 15.05.1973, Az. VI ZR 160/71, juris Rz. 31; Ricke/Seiwerth in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 15.02.2025, § 110 SGB VII Rz. 4; Stelljes in: BeckOK Sozialrecht, 75. Ed., Stand: 01.09.2024, § 110 SGB VII Rz. 6).
30
Es ist ein privatrechtlicher Anspruch, der vor den Zivilgerichten eingeklagt werden muss (BGH, Urteil v. 09.12.2021, Az. VII ZR 170/19, Rz. 15; Urteil 15.05.1973, Az. VI ZR 160/71, juris Rz. 31; von Koppenfels-Spies in: Knickrehm/Roßbach/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 8. Aufl., § 110 SGB VII Rz. 4).
31
a) Das Landgericht hat weder den Begriff der groben Fahrlässigkeit i.S.v. § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII verkannt noch bei der Beurteilung des Verschuldensgrades im vorliegenden Fall wesentliche Umstände außer Betracht gelassen.
32
aa) Im Gegensatz zur Ansicht der Beklagtenseite hat das Landgericht die rechtlichen Maßstäbe für die Annahme grober Fahrlässigkeit zutreffend und rechtsfehlerfrei erkannt.
33
Für die Auslegung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit kann auf die zu § 640 Abs. 1 RVO a.F. ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Die Vorschrift in § 110 Abs. 1 SGB VII hat im Vergleich zu § 640 Abs. 1 RVO a.F., an dessen Stelle sie getreten ist, an dem haftungsauslösenden Verschuldensgrad nichts geändert (BGH, Urteil v. 30.01.2001, Az. VI ZR 49/00, juris Rz. 11; Urteil v. 15.05.1997, Az. III ZR 250/95, juris Rz. 13; BT-Drs. 13/2204, S. 101).
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Grobe Fahrlässigkeit i.S.d. § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII setzt – wie das Landgericht richtigerweise annimmt – einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen pflegt. Vielmehr erscheint eine Inanspruchnahme des haftungsprivilegierten Schädigers im Wege des Rückgriffs nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (vgl. insg. hierzu BGH, Urteil v. 18.02.2014, Az. VI ZR 51/13, Rz. 7; Urteil v. 30.01.2001, Az. VI ZR 49/00, juris Rz. 12; Urteil v. 12.01.1988, Az. VI ZR 158/87, juris Rz. 9).
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Weiterhin trifft die Rechtsauffassung des Landgerichts zu, dass sich grobe Fahrlässigkeit nicht allein mit der Verletzung der geltenden Unfallverhütungsvorschriften begründen lässt. Nicht jeder Verstoß gegen die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften ist schon als ein grob fahrlässiges Verhalten im Sinne des § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII zu werten (BGH, Urteil v. 08.05.1984, Az. VI ZR 296/82, juris Rz. 19; Urteil v. 21.10.1980, Az. VI ZR 265/79, juris Rz. 13; Urteil v. 08.10.1968, Az. VI ZR 164/67, juris Rz. 11).
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Vielmehr ist auch dann, wenn solche Verstöße gegen Sorgfaltsgebote vorliegen, eine Wertung des Verhaltens des Schädigers geboten, in die auch die weiteren Umstände des Einzelfalles einzubeziehen sind. Wie das Ersturteil korrekt ausführt, kommt es darauf an, ob es sich um eine Unfallverhütungsvorschrift handelt, die sich mit Vorrichtungen zum Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren befasst und elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hat. Daneben spielt insbesondere eine Rolle, ob der Schädiger nur unzureichende Sicherungsmaßnahmen getroffen oder von den vorgeschriebenen Schutzvorkehrungen völlig abgesehen hat, obwohl die Sicherungsanweisungen eindeutig waren. Im letzteren Fall kann der objektive Verstoß gegen elementare Sicherungspflichten ein solches Gewicht haben, dass der Schluss auf ein auch subjektiv gesteigertes Verschulden gerechtfertigt ist (vgl. insg. hierzu BGH, Urteil v. 18.02.2014, Az. VI ZR 51/13, Rz. 8; Urteil v. 30.01.2001, Az. VI ZR 49/00, juris Rz. 14; Urteil v. 18.10.1988, Az. VI ZR 15/88, juris Rz. 11).
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bb) Dem Ersturteil ist ebenfalls in der Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall zu folgen.
38
aaa) Die im Streitfall einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften der § 2 Abs. 1 DGUV Vorschrift 1 – Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (im Folgenden: UW) i.V.m. § 7 Abs. 4 S. 1, 3, 4 Nr. 2 und § 12 Abs. 2 GefStoffV haben elementare Sicherungspflichten zum Inhalt, die sich mit Vorrichtungen zum Schutz der Arbeiter (auch) vor tödlichen Gefahren befassen.
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Nach § 2 Abs. 1 S. 1 UW waren im Rahmen der vorliegend durchgeführten Klebearbeiten unter anderem die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zu treffen und gemäß § 7 Abs. 4 S. 1 GefStoffV Gefährdungen der Gesundheit und der Sicherheit der Beschäftigten bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen auszuschließen, insbesondere kollektive Schutzmaßnahmen technischer Art an der Gefahrenquelle anzuwenden und für angemessene Be- und Entlüftung zu sorgen, § 7 Abs. 4 S. 4 Nr. 2 GefStoffV. Außerdem waren nach § 12 Abs. 2 GefStoffV zur Vermeidung von Brand- und Explosionsgefährdungen Maßnahmen zu ergreifen, um gefährliche Mengen oder Konzentrationen von Gefahrstoffen zu vermeiden, die zu Brand- oder Explosionsgefährdungen führen können, Zündquellen oder Bedingungen zu vermeiden, die Brände oder Explosionen auslösen können, sowie schädliche Auswirkungen von Bränden oder Explosionen auf die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten und anderer Personen so weit wie möglich zu verringern.
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bbb) Das Landgericht erkannte hier zutreffend einen objektiven Verstoß des Beklagten zu 2) gegen die vorgenannten Unfallverhütungsvorschriften.
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Dass der Beklagte zu 2) als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) aufgrund der ihm für diese obliegenden Bauaufsicht für die danach gebotene Sicherung der Geschädigten … C… und … B… vor potentiell tödlichen Brand- und Explosionsgefahren Sorge zu tragen hatte und keine hinreichenden Schutzvorkehrungen getroffen hat, steht nicht in Streit.
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Unstreitig waren sämtliche Fenster im Keller des streitgegenständlichen Anwesens zum Zeitpunkt der Durchführung der streitgegenständlichen Verklebearbeiten mit dem leicht entzündbaren Klebstoff entgegen allen für diesen Kleber einschlägigen Sicherheitshinweisen geschlossen oder lediglich gekippt. Des Weiteren befand sich unbestritten im anliegenden Kellerraum ein Katalyt-Heizofen, der an eine Propangasflasche angeschlossen war und zum Vorfallszeitpunkt mit einer Flamme betrieben wurde, obwohl der Klebstoff von Zündquellen fernzuhalten war. Damit wurde durch den Beklagten zu 2) einerseits nicht für eine ausreichende und auch mögliche Be- und Entlüftung gesorgt, andererseits nicht eine potentielle Zündquelle entfernt, was die Bedingungen dafür schuf, die gegenständliche Explosion auszulösen.
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ccc) Zudem ist dem Beklagten zu 2) in subjektiver Hinsicht ein gegenüber der einfachen Fahrlässigkeit deutlich gesteigerter Schuldvorwurf zu machen, da nicht nur ein objektiv schwerer, sondern auch ein subjektiv nicht entschuldbarer Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vorliegt.
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Nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts war dem Beklagten zu 2) die von dem lösemittelhaltigen Klebstoff ausgehende Gefahr bewusst. So gab dieser in seiner informatorischen Anhörung selbst an, dass er das verwendete Produkt gekannt und gewusst habe, welche Gefahrzeichen sich auf diesen Produkten befinden. Ihm sei bewusst gewesen, dass man für eine gute Durchlüftung sorgen muss.
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Auch habe er seine Familie mit Hinweis auf den neoprenhaltigen, giftigen Kleber noch kurz vor dem Vorfall weggeschickt. Warum dies zu Gunsten des Beklagten zu 2) zu berücksichtigen sein soll, weil dieser damit doch gerade einen verantwortlichen Umgang in Bezug auf die gesundheitsgefährdenden Dämpfe gezeigt habe, vermag sich dem Senat nicht zu erschließen.
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Denn trotz vorhandenen Gefahrenbewusstseins – aber offenbar lediglich im Hinblick auf seine Familie – sorgte der Beklagte zu 2) weder für eine gute Durchlüftung des Kellers noch klärte er die Geschädigten … C… und … B… hinreichend über die Gefahren bei der Verwendung des verwendeten Klebstoffes auf. Nach eigenen Angaben wies er lediglich den Geschädigten … C… darauf hin, dass nunmehr nicht mehr im Keller geraucht werden dürfe. Eine Aufklärung des Geschädigten … B… unterblieb vollständig.
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Darüber hinaus gab der Beklagte zu 2) im Rahmen seiner informatorischen Anhörung an, dass er sehr wohl wahrgenommen habe, dass der Ofen sich am Tag des Unfalles im Keller befunden habe. Gleichwohl überprüfte er nicht, ob dieser genutzt wurde oder ausgeschaltet war und somit, ob eine potentielle Zündquelle im Keller vorhanden war.
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Dabei entlasten ihn – entgegen Beklagtenansicht – ebenso wenig die Tatsache, dass er den Ofen weder selbst in die Kellerräume brachte, noch anschaltete, wie der Umstand, dass es sich um das Gebäude des Beklagten zu 2) handelte, der damit sowohl sein Eigentum, als auch seine eigene körperliche Unversehrtheit gefährdete. Auch dass er (erst) unmittelbar vor der Explosion versuchte, den Ofen auszuschalten, spricht in keiner Weise für ein sorgfältiges Verhalten seinerseits – ganz im Gegenteil.
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Alles in allem zeigt das Vorgehen des Beklagten zu 2) deutlich, dass er die erforderliche Sorgfalt nach den Umständen des vorliegenden Falles unter Inkaufnahme eines möglichen Schadens für die Beteiligten in ungewöhnlich hohem Maße verletzte und unbeachtet ließ, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste.
50
ddd) Wenn die Beklagtenpartei meint, dass Verhalten des Beklagten zu 2) stelle sich als sog. „Augenblicksversagen“ dar, was es in einem milderen Licht erscheinen lassen müsse, so ist dies rechtsirrig.
51
α) Der Ausdruck des „Augenblicksversagens“ beschreibt nur den Umstand, dass der Handelnde für eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht ließ (BGH, Urteil v. 26.07.2016, Az. VI ZR 322/15, Rz. 26; Urteil v. 10.05.2011, Az. VI ZR 196/10, Rz. 12; Urteil v. 08.07.1992, Az. IV ZR 223/91, juris Rz. 13).
52
Dieser Umstand allein ist kein ausreichender Grund, den Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Fahrlässigkeit gegeben sind (BGH, Urteil v. 26.07.2016, Az. VI ZR 322/15, Rz. 26; Urteil v. 08.07.1992, Az. IV ZR 223/91, juris Rz. 13; OLG Düsseldorf, Urteil v. 21.08.2001, Az. 4 U 208/00, juris Rz. 32; OLG München, Urteil v. 13.02.1998, Az. 10 U 3611/97, juris Rz. 7).
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Es müssen weitere subjektive Umstände hinzukämen, die es im konkreten Einzelfall gerechtfertigt erscheinen ließen, unter Abwägung aller Umstände den Schuldvorwurf geringer als grob fahrlässig zu bewerten (BGH, Urteil v. 10.05.2011, Az. VI ZR 196/10, Rz. 13; OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 04.03.2003, Az. 22 U 86/00, juris Rz. 14). Welche hinzutretenden Gründe letztlich geeignet sein können, den Schuldvorwurf zu mindern, ist eine Frage des Einzelfalls (vgl. z.B. die Überblicke bei Burhoff, VA 2001, 169; Haberstroh, MDR 2000, 1349; Römer, VersR 1992, 1187).
54
Dabei spielt auch die Gefährlichkeit der Handlung eine Rolle, denn mit der Größe der möglichen Gefahr wächst auch das Maß der zu erwartenden Sorgfalt (BGH, Urteil v. 21.04.1977, Az. III ZR 200/74, juris Rz. 21; Urteil v. 14.10.1964, Az. Ib ZR 7/63, juris Rz. 31; OLG Stuttgart, Urteil v. 13.04.1994, Az. 3 U 233/90, juris Rz 28).
55
β) Wenn die Beklagtenseite in diesem Zusammenhang nochmals darauf verweist, dass der Beklagte zu 2) den Ofen nicht selbst aufgestellt oder eingeschaltet habe und ihm ein Einschalten folglich nicht noch präsent hätte sein können, so ist dies Eingedenk des Vorstehenden nicht geeignet, den Schuldvorwurf gegen ihn zum mindern.
56
Dies gilt namentlich mit Blick auf die hohe, dem Beklagen zu 2) bewusste Gefahr der leichten Entzündlichkeit des verwendeten Klebstoffes, welcher daher unbedingt von Zündquellen fernhalten und nur in ausreichend belüfteten Bereichen zu verarbeiten war. Dem Klebstoff wohnte in Verbindung mit offenem Feuer in schlecht oder nicht durchlüfteten Räumen ein immense Gefährlichkeit für Leib und Leben darin aufhältlicher Personen inne – welche sich auch vorliegend verwirklichte. Dass der Beklagte zu 2), obwohl er den Ofen im Kellernebenraum registrierte, sich – unabhängig davon, ob er oder andere Personen diesen dort platzierten – nicht vor Beginn der Klebearbeiten sicher Kenntnis davon verschaffte, ob dieser eingeschaltet war oder nicht, ist nicht als „Augenblicksversagen“ einzustufen, sondern als gröbste Sorglosigkeit und leichtfertige Pflichtvergessenheit.
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eee) Der Beklagte zu 2) kann sich weiterhin nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen ihn nach § 153a StPO eingestellt habe, was nur bei geringer Schuld des Angeklagten möglich sei und deshalb für eine leichte Fahrlässigkeit spreche.
58
Die Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden ist für die zivilrechtliche Beurteilung der Frage, ob dem Beklagten zu 2) vorzuwerfen ist, den Unfall grob fahrlässig verursacht zu haben, nicht maßgeblich (vgl. OLG Rostock, Urteil v. 26.09.2008, Az. 5 U 115/08, juris Rz. 20).
59
b) Richtigerweise hat das Landgericht erkannt, dass der Anspruch nach § 110 Abs. 1 SGB VII gegen den Beklagten zu 2) nicht wegen Mitverschuldens der Geschädigten … C… und … B… nach § 254 BGB zu ermäßigen ist.
60
Aus dem Umstand, dass es sich bei dem Rückgriffsanspruch nach § 110 Abs. 1 SGB VII um einen selbständigen, originären Anspruch und nicht um ein von dem Geschädigten abgeleitetes Recht handelt, folgt, dass ein Mitverschulden des Geschädigten die Haftung des Schädigers nicht mindert (BGH, Urteil v. 18.10.1988, Az. VI ZR 15/88, juris Rz. 20; Urteil v. 15.05.1973, Az. VI ZR 160/71, juris Rz. 31; Urteil v. 20.12.1963, Az. VI ZR 273/62, juris Rz. 17; Stelljes in: BeckOK Sozialrecht, 75. Ed., Stand: 01.09.2024, § 100 SGB VII Rz. 21; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 110 Rz. 3; Ebert in: Erman BGB, 17. Aufl, § 254 Rz. 19).
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Nur ausnahmsweise kann ein ganz überwiegendes Verschulden der geschädigten Person den Verschuldensanteil des Unternehmers oder einer anderen haftungsbeschränkten Person so in den Hintergrund drängen, dass ihre Regresshaftung entfällt (LG Baden-Baden, Urteil v. 03.11.2009, Az. 2 O 179/09, juris Rz. 41; LG Hanau, Urteil v. 25.05.2004, Az. 1 O 1183/03, juris Rz. 22; Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, 1. EL 2025, § 110 Rz. 13a). Dies steht hier evident nicht im Raum.
62
c) Die Klägerin ist entgegen der Ansicht der Beklagtenseite nicht aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null verpflichtet, auf ihren Anspruch gegen den Beklagten zu 2) nach § 110 Abs. 2 SGB VII zu verzichten.
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Nach § 110 Abs. 2 SGB VII können Sozialversicherungsträger nach billigem Ermessen auf den Ersatzanspruch nach § 110 Abs. 1 SGB VII ganz oder teilweise verzichten.
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aa) In die Abwägung (eingehend hierzu Konradi, SGb 2016, 195) sind insbesondere die ausdrücklich im Gesetz genannten wirtschaftlichen Verhältnisse einzubeziehen – die Existenz der Schädiger soll also nicht gefährdet oder unzumutbar belastet werden (Ricke/Seiwerth in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 15.02.2025, § 110 SGB VII Rz. 46) –, der Grad des Verschuldens des Schuldners (Stelljes in: BeckOK Sozialrecht, 75. Ed., Stand: 01.09.2024, § 110 SGB VII Rz. 48) und gegebenenfalls die familiäre Situation (Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 110 Rz. 6, 22).
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Soweit die Voraussetzungen für einen Verzicht gegeben sind, ist der Sozialversicherungsträger nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, auf Ansprüche (teilweise) zu verzichten (BGH, Urteil v. 27.06.2006, Az. VI ZR 143/05, Rz. 19; Urteil v. 18.10.1977, Az. VI ZR 62/76, juris Rz. 23; Urteil v. 28.09.1971, Az. VI ZR 216/69, juris Rz. 15; Ricke/Seiwerth in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 15.02.2025, § 110 SGB VII Rz. 45; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 110 Rz. 23).
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bb) Im hiesigen Fall liegt keine Ermessensreduzierung auf Null vor, die einen Anspruchsverzicht nach § 110 Abs. 2 SGB VII als rechtlich geboten erscheinen lässt.
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Die Beklagtenpartei vermag daher insoweit auch keine tragfähigen Anknüpfungstatsachen zu benennen, die über die pauschale Postulation des Ergebnisses – ein Anspruchsverzicht sei aus ihrer Sicht angezeigt – hinausgehen.
68
2. Der Anspruch gegen den Beklagten zu 2) besteht in der vom Landgericht zugesprochenen Höhe.
69
a) Der beklagenseitige Einwand, die Kosten der Umschulung des Geschädigten … C… seien nicht erstattungsfähig, geht fehl.
70
aa) Das sachverständig beratene Landgericht kam nach eigener Beweiswürdigung in berufungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis, dass die Kosten der vom Geschädigten … C… vorgenommenen Umschulungsmaßnahmen unfallbedingt waren.
71
Nach dem psychiatrischen Sachverständigengutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M… lägen hinreichende Gründe für die Entwicklung einer Anpassungsstörung bei dem Geschädigten … C… aufgrund der durch den streitgegenständlichen Unfall hervorgerufenen Brandverletzungen vor. Der Geschädigte … C… habe gegenüber dem Sachverständigen dargestellt, dass er in den Tagen bis Wochen nach dem Unfall unter Ängsten gelitten habe, den Gebrauch seiner Hände zukünftig einschränken zu müssen oder bestimmte Tätigkeiten gar nicht mehr ausüben zu können. Dies stelle nach den Ausführungen des Sachverständigen eine psychische Belastung dar, welche bereits Krankheitswertigkeit besessen habe. Auch die Schwere des Unfalles sowie die Schilderungen des Geschädigten … C… zu dem somatischen und psychischen Krankheitsverlauf in den Tagen bis Monaten nach dem Ereignis sprächen für eine solche entwickelte Anpassungsstörung. Der Sachverständige habe sogenannte Brückensymptome in den Aussagen des Geschädigten … C… identifizieren können, die auch ohne die hier nicht vorliegenden medizinische Dokumentation eine Anpassungsstörung begründeten. Auch der Umstand, dass sich der Geschädigte … C… in den Tagen bis Wochen nach dem Unfallereignis aufgrund der von ihm als erheblich empfundenen psychischen Beschwerden psychotherapeutische Hilfe gesucht habe, spreche für eine solche Anpassungsstörung.
72
Das Landgericht folgte den aus seiner Sicht nachvollziehbaren und strukturierten Feststellungen des Sachverständigen, wonach die Umschulungsmaßnahme unfallbedingt gewesen sei.
73
bb) Daran ist der Senat gebunden.
74
aaa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.
75
Die zivilrechtliche Berufung ist keine vollwertige zweite Tatsacheninstanz, sondern dient in erster Linie der Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils auf korrekte Anwendung des materiellen Rechts sowie auf Richtigkeit und Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen und Beseitigung etwaiger Fehler. Die Konzentration der Tatsachenfeststellungen in erster Instanz wird dadurch bewirkt, dass das Berufungsgericht grundsätzlich an die fehlerfrei gewonnenen Erkenntnisse der ersten Instanz gebunden ist (BGH, Beschluss v. 24.11.2009, Az. VII ZR 31/09, Rz. 8; Senatsbeschlüsse v. 30.01.2025, Az. 19 U 3374/24 e, juris Rz. 42, und v. 02.01.2023, Az. 19 U 3350/22, juris Rz. 79; OLG Naumburg, Urteil v. 12.01.2007, Az. 10 U 42/06, juris Rz. 54).
76
Der Senat hat insbesondere diejenigen Tatsachen als festgestellt anzusehen, zu denen das Landgericht aufgrund einer freien Beweiswürdigung gemäß § 286 Abs. 1 ZPO die Entscheidung getroffen hat, dass sie als wahr oder nicht wahr zu erachten seien (BGH, Urteil v. 19.03.2004, Az. V ZR 104/03, juris Rz. 14; Senatsbeschlüsse v. 30.01.2025, Az. 19 U 3374/24 e, juris Rz. 43, und v. 02.01.2023, Az. 19 U 3350/22, juris Rz. 80). Dies bewirkt eine Einschränkung der berufungsrechtlichen Kontrolle der erstgerichtlichen Beweiswürdigung (Nober in: Anders/Gehle, ZPO, 83. Aufl., § 286 Rz. 13).
77
Die Wiederholung der Beweisaufnahme steht nicht im reinen Ermessen des Berufungsgerichts (Senatsbeschlüsse v. 30.01.2025, Az. 19 U 3374/24 e, juris Rz. 44, und v. 02.01.2023, Az. 19 U 3350/22, juris Rz. 81). Sie ist im Sinne eines gebundenen Ermessens vielmehr nur dann zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen (OLG Schleswig, Beschluss v. 18.11.2024, Az. 7 U 66/24, juris Rz. 31; Beschluss v. 10.02.2021, Az. 7 U 200/20, juris Rz. 6).
78
Zweifel i.S.v. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sind dann begründet, wenn aus der Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (BGH, Beschluss v. 21.03.2018, Az. VII ZR 170/17, Rz. 15; Urteil v. 03.06.2014, Az. VI ZR 394/13, Rz. 10; Urteil v. 15.07.2003, Az. VI ZR 361/02, juris Rz. 6).
79
Konkrete Anhaltspunkte hierfür lägen etwa vor, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich wäre oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen würde (BGH, Urteil v. 16.04.2013, Az. VI ZR 44/12, Rz. 13; Urteil v. 08.07.2008, Az. VI ZR 274/07, Rz. 7; Urteil v. 01.10.1996, Az. VI ZR 10/96, juris Rz. 21; OLG Koblenz, Beschluss v. 25.01.2018, Az. 2 U 664/16, juris Rz. 24; OLG Karlsruhe, Urteil v. 21.10.2008, Az. 17 U 212/07, juris Rz. 20; KG, Beschluss v. 30.05.2014, Az. 6 U 54/14, juris Rz. 4).
80
bbb) Solche konkreten Anhaltspunkte werden weder von Beklagtenseite mit der Berufung vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich. Die Beanstandung der Beweiswürdigung durch die Beklagten insoweit ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Beweiswürdigung des Landgerichts aufzuzeigen.
81
Gegen das vom Landgericht erholte Sachverständigengutachten haben die Beklagten weder erstinstanzlich noch in der Berufungsbegründung Einwendungen erhoben. Es wird einzig darauf verwiesen, dass der Geschädigte … C… im Rahmen seiner Zeugenvernehmung vor dem Landgericht selbst ausgeführt habe, dass er meine, theoretisch schon in seinem alten Beruf arbeiten zu können, dies aber nicht mehr zu wollen.
82
Diese rein subjektive Einschätzung allein vermag das Ergebnis der Beweiswürdigung des Landgerichts aber nicht zu erschüttern. Es hat in Übereinstimmung mit der sachverständigen Einschätzung festgestellt, dass der Geschädigte … C… infolge des Unfalls seinen ursprünglichen Beruf als Bodenleger nicht mehr ausüben könne, da der medizinische Befund bestätige, dass eine Fortführung der vorherigen Tätigkeit gesundheitlich nicht vertretbar und die Umschulung daher eine direkte Folge der unfallbedingten Einschränkungen gewesen sei. Anhaltspunkte für eine willkürliche Berufsaufgabe durch den Geschädigten … C… stellte das Landgericht keine fest. Daher zeigt die Berufung insoweit keine entscheidungserheblichen Fehler des Ersturteils auf.
83
b) Der Mitverschuldenseinwand der Beklagten greift auch im Übrigen nicht.
84
aa) Der Anspruch nach § 110 Abs. 1 SGB VII ist auf die Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs begrenzt, weil den Schädigern systembedingt nicht mehr abverlangt werden soll, als sie ohne die zugrunde liegende Haftungsbeschränkung zu leisten hätten.
85
Zwar mindert ein Mitverschulden des Geschädigten den Anspruch aus § 110 Abs. 1 SGB VII – unmittelbar – nicht (s. dazu oben). Ein Mitverschulden des Geschädigten wirkt sich aber dahin aus, dass sich dadurch die Höhe eines (fiktiven) zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs nach § 254 BGB mindert, der seinerseits den Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen des Sozialversicherungsträgers der Höhe nach – mittelbar – begrenzt, so dass sich ein Mitverschulden des Geschädigten jedenfalls auf diesem Wege auswirkt (BGH, Beschluss v. 24.01.2017, Az. VI ZR 578/15; Stelljes in: BeckOK Sozialrecht, 75. Ed., Stand: 01.09.2024, § 110 SGB VII Rz. 21; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 100 Rz. 3; Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, 1. EL 2025, § 110 Rz. 13a, 18; Rolfs in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 25. Aufl., § 110 SGB VII Rz. 7; Waltermann, NJW 1997, 3401 [3404]; Rolfs, NJW 1996, 3177 [3181]).
86
Die Darlegungs- und Beweislast für ein Mitverschulden der Geschädigten liegt beim Schädigenden (BGH, Beschluss v. 13.03.2018, Az. VI ZR 230/17, Rz. 2; Urteil v. 29.01.2008, Az. VI ZR 70/07, Rz. 13; Ricke/Seiwerth in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 15.02.2025, § 110 SGB VII Rz. 17).
87
bb) Wenn sich die Beklagten auf ein angebliches Mitverschulden (zuletzt nur noch) des Geschädigten … C… stützen, so geht dies ins Leere.
88
Dieser sagte im Rahmen seiner erstinstanzlichen Zeugeneinvernahme aus, er sei zum Zeitpunkt des Unfalls gelernter Parkettleger gewesen. Er könne sich nicht erinnern, dass er, als er in den Keller gekommen sei, dort einen Ofen stehen gesehen habe. Ob die Fenster offen oder gekippt gewesen seien, könne er nicht mehr sagen. Er habe während seiner Lehrzeit nie mit einem Klebstoff wie dem streitgegenständlichen gearbeitet. Allerdings seien ihm aus seiner Lehrzeit zumindest die Gefahrenzeichen bekannt. Er vermeinte sich zu erinnern, dass er zuvor mal ein paar Bodenleisten mit einem solchen Klebstoff verklebt habe. Er würde es aber verneinen, deswegen von Erfahrung mit einem solchen Klebstoff zu sprechen.
89
Selbst falls man ein geringfügiges Mitverschulden des mit dem vorliegenden Klebstoff kaum vertrauten Geschädigten … C… allein angesichts einer gewissen – zumindest theoretisch vorhandenen – Expertise als gelernter Parkettleger annehmen und diesem vorwerfen wollte, jedenfalls nicht für eine ausreichende Be- und Entlüftung gesorgt zu haben, würde dieses in Übereinstimmung mit dem Landgericht von dem überragend schweren Verschulden der Beklagten zu 2) vollständig verdrängt.
90
3. In dem Umfang, in dem der Beklagte zu 2) der Klägerin haftet, muss die Beklagte zu 1) für die der Klägerin entstandenen Aufwendungen ebenso einstehen, § 111 S. 1 SGB VII.
91
Haben ein Mitglied eines vertretungsberechtigten Organs, Abwickler oder Liquidatoren juristischer Personen, vertretungsberechtigte Gesellschafter oder Liquidatoren einer rechtsfähigen Personengesellschaft oder gesetzliche Vertreter der Unternehmer in Ausführung ihnen zustehender Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht, haften nach Maßgabe des § 110 SGB VII auch die Vertretenen.
92
§ 111 SGB VII überträgt das zivilrechtliche Repräsentationsprinzip der Haftung für Handlungen von Vertretern (§ 31, § 278, § 831 BGB) auf die Haftung nach § 110 SGB VII, angepasst an deren Besonderheiten (OLG Düsseldorf, Urteil v. 04.03.2010, Az. 12 U 91/09, BeckRS 2011, 23044; Ricke/Seiwerth in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 15.02.2025, § 111 SGB VII Rz. 3; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 111 Rz. 2; Hillmann in: jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., Stand: 29.03.2023, § 111 Rz. 3).
93
Wie dargelegt, hat der Beklagte zu 2) als ehemaliger Geschäftsführer der Beklagten zu 1) in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen – in Wahrnehmung der Bauleitung für die Beklagte zu 1) – grob fahrlässig den vorliegenden Versicherungsfall verursacht.
94
4. Die Beklagten haften gemäß §§ 421 ff. BGB als Gesamtschuldner (OLG Dresden, Urteil v. 11.10.2019, Az. 6 U 996/19, juris Rz. 21; LG Detmold, Urteil v. 09.11.2018, Az. 1 O 160/17, juris Rz. 38; von Koppenfels-Spies in: Knickrehm/Roßbach/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 8. Aufl. § 111 SGB VII Rz. 1, 6; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 111 Rz. 6; Grüner in: Becker/Franke/Molkentin/Hedermann, SGB VII, 6. Aufl., § 111 Rz. 1).
III.
95
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats als Berufungsgericht oder die Zulassung der Revision (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).
96
Es handelt sich hier um eine Einzelfallentscheidung (vgl. BGH, Beschluss v. 14.08.2013, Az. XII ZB 443/12, Rz. 6), über welche hinaus die Interessen der Allgemeinheit nicht nachhaltig berührt werden, weswegen eine höchstrichterliche Leitentscheidung notwendig wäre (s. dazu BGH, Beschluss v. 25.05.2003, Az. VI ZB 55/02, juris Rz. 8; Beschluss v. 29.05.2002, Az. V ZB 11/02, juris Rz. 10).
97
Dazu ist keine mündliche Verhandlung geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO), da keine besonderen Gründe vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, bei denen nur die Durchführung einer mündlichen Verhandlung der prozessualen Fairness entspräche.
IV.
98
Bei dieser Sachlage wird schon aus Kostengründen empfohlen, die Berufung zurückzunehmen, was eine Ermäßigung der Gebühren für das „Verfahren im Allgemeinen“ von 4,0 (Nr. 1220 GKG-KV) auf 2,0 (Nr. 1222 GKG-KV) mit sich brächte.
99
Zu diesen Hinweisen besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
100
Der Senat soll nach der gesetzlichen Regelung die Berufung unverzüglich durch Beschluss zurückweisen, falls sich Änderungen nicht ergeben. Mit einer einmaligen Verlängerung dieser Frist um maximal drei weitere Wochen ist daher nur bei Glaubhaftmachung konkreter, triftiger Gründe zu rechnen (vgl. OLG Rostock, Beschluss v. 27.05.2003, Az. 6 U 43/03, juris Rz. 7 ff.).
101
Eine Fristverlängerung um insgesamt mehr als einen Monat ist daneben entsprechend § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO nur mit Zustimmung des Gegners möglich.