Inhalt

AG Hersbruck, Endurteil v. 09.10.2025 – 1 C 104/25
Titel:

Rückzahlung des Reisepreises, Pauschalreisevertrag, Rücktrittsrecht, Reisemangel, Vertragsänderung, Rechtsanwaltskosten, Zinsanspruch

Schlagworte:
Rückzahlung des Reisepreises, Pauschalreisevertrag, Rücktrittsrecht, Reisemangel, Vertragsänderung, Rechtsanwaltskosten, Zinsanspruch
Fundstelle:
BeckRS 2025, 32935

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.780,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 03.10.2024 sowie weitere 367,23 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.11.2024 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 2.780,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um einen Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des Reisepreises für eine bei der Beklagten gebuchte Erlebnisreise.
2
Der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Kläger buchte für sich und seine Ehefrau … bei der Beklagten am 29.05.2024 eine Erlebnisreise „Gebirgsbahnen Europas: Auf den Spuren des Doppeladlers“ in Österreich und Slowenien für den Reisezeitraum 16.09.2024 bis 21.09.2024 zu einem Gesamtpreis von 2.780,00 €. Auf diesen Betrag leistete der Kläger am 04.06.2024 eine Anzahlung in Höhe von 556,00 €. Am 22.08.2024 bezahlte der Kläger den verbleibenden Betrag in Höhe von 2.224,00 € an die Beklagte. Vertragsbestandteil wurden die als Anlagen K3 und B3 vorgelegten Reise- und Zahlungsbedingungen der Beklagten, auf die vollumfänglich Bezug genommen wird. Buchungsgrundlage war die als Anlage K1d vorgelegte Reiseausschreibung im Reisekatalog der Beklagten, auf die ebenfalls Bezug genommen wird.
3
Mit Schreiben vom 16.09.2024 wurde dem Kläger auf dessen Nachfrage hin mitgeteilt, dass die Semmering-Bahnstrecke aufgrund schlechten Wetters nicht befahren werden könne. Die Bahnstrecke von Gloggnitz nach Mürzzuschlag war wegen Unwetters gesperrt. Zudem wurde der Besuch von Wien mit Abendessen abgesagt und die Route sollte stattdessen nach Graz führen.
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Mit Schreiben vom 16.09.2024 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Reisevertrag. Mit Rechnung vom 17.09.2024 bestätigte die Beklagte die Stornierung und berechnete die Stornierungsentschädigung in Höhe von 95 Prozent des Reisepreises, also 2.641,00 €. Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 14.11.2024 wurde die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 420,07 € bis zum 28.11.2024 aufgefordert. Eine Zahlung erfolgte nicht.
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Die Ansprüche der Ehefrau des Klägers wurden an diesen abgetreten. Der Kläger nahm die Abtretung an.
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Der Kläger behauptet, dass die Fahrt auf der Semmering-Bahnstrecke – einem UNESCO-Weltkulturerbe – in dem Reisekatalog der Beklagten als zentrales Reiseerlebnis hervorgehoben worden sei. Die Durchführung der Semmering-Bahnstrecke sei für den Kläger und seine Ehefrau auch ausschlaggebend für die streitgegenständliche Buchung gewesen. Ein konkreter Reiseverlauf sei von der Beklagten nach den Absagen der Semmering-Strecke und des Besuchs von Wien trotz mehrfacher telefonischer Nachfragen nicht angegeben worden. Es habe eine Reisewarnung der zuständigen österreichischen Behörden vorgelegen und am 15.09.2024 sei für Österreich Katastrophenalarm ausgerufen worden.
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Der Kläger ist der Meinung, dass die Absage der Semmering-Strecke sowie des Besuchs von Wien eine erhebliche Änderung der Reiseleistung darstelle und für die Reisenden wegen erheblicher Vertragsänderung nicht zumutbar sei. Es habe ein kostenloses Rücktritssrecht nach § 651h Abs. 3 BGB bestanden. Der Kläger habe daher gemäß § 651h Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises. Da der Reisepreis gemäß § 651h Abs. 5 BGB innerhalb von 14 Tagen nach Rücktritt zu erstatten sei, befinde sich die Beklagte spätestens seit dem 03.10.2024 in Zahlungsverzug. Außerdem sei der Kläger gemäß § 651g Abs. 1 S. 3 Alt. 1 in Verbindung mit S. 2 Nr. 2 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten.
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Der Kläger beantragt:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 667,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 01.09.2023 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
9
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
10
Die Beklagte behauptet, dass nur das letzte Stück der Bahnfahrt am Semmering von den Wetterbedingungen betroffen gewesen sei. Auf die Semmeringbahn, also die Bahnstrecke von Gloggnitz bis Mürzzschlag, würden lediglich ungefähr zwei Prozent der Gesamtstrecke von ungefähr 1.450 km entfallen. Bei dieser Strecke handele es sich auch nicht um ein besonderes Highlight.
11
Die Beklagte ist der Meinung, dass keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände aufgetreten seien, die die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigt hätte. Ein kostenfreier Rücktritt vom Reisevertrag sei daher nicht möglich gewesen.
12
Hinsichtlich des Parteivortrags wird ergänzend auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
13
Die Parteien haben übereinstimmend ihre Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO erklärt.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.
I.
15
Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückzahlung des vollständigen Reisepreises in Höhe von 2.780,00 € aus § 346 Abs. 1 BGB in Verbindung mit §§ 651g Abs. 1 und 3, 651h Abs. 5 BGB.
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1. Die Parteien haben einen Pauschalreisevertrag im Sinne des § 651a BGB abgeschlossen. Die Ehefrau des Klägers hat ihre Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Vertrag unstreitig gemäß § 398 S. 1 BGB an den Kläger abgetreten.
2. Die Beklagte hat gemäß § 651g Abs. 3 S. 1 Hs. 1 in Verbindung mit § 651h Abs. 1 S. 2 BGB ihren Anspruch auf Zahlung des Reisepreises verloren, so dass ein Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des Reisepreises aus § 346 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 651h Abs. 5 BGB entstanden ist, da der Kläger gemäß § 651g Abs. 1 S. 3 in Verbindung mit S. 2 BGB wirksam vom Vertrag zurückgetreten ist, ohne der Beklagten eine Entschädigung zahlen zu müssen.
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a) Das Rücktrittsrecht aus § 651g BGB geht dem aus § 651h BGB vor (Blankenburg, Erman BGB, Kommentar, 17. Auflage 2023, § 651g Rn. 18).
18
b) Dass die Semmering-Bahn und der Besuch von Wien mit dortigem Abendessen aufgrund schlechten Wetters abgesagt wurden, ist eine erhebliche Änderung wesentlicher Eigenschaften der Reiseleistungen im Sinne des § 651g Abs. 1 S. 3 BGB.
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Was wesentliche Eigenschaften der Reiseleistungen sind, ergibt sich aus Artikel 250 § 3 Nummer 1 EGBGB. Hierunter fällt insbesondere die Reiseroute (Buchst. b). Und auch der Besuch bekannter Sehenswürdigkeiten kann eine wesentliche Eigenschaft der Reiseleistungen sein. Bei der Fahrt mit der Semmering-Bahn und dem Besuch von Wien mit dortigem Abendessen und Übernachtung handelt es sich zweifellos um solche wesentlichen Eigenschaften.
20
Es liegt auch eine erhebliche Änderung im Sinne des § 651g Abs. 1 S. 3 BGB vor. Nach dem maßgeblichen Willen des Gesetzgebers ist eine Änderung dann erheblich im Sinne des § 651g Abs. 1 S. 3 BGB, wenn sie einen Reisemangel darstellt (BT-Drs. 18/10822, 74; Blankenburg, Erman BGB, Kommentar, 17. Auflage 2023, § 651f Rn. 6 und § 651g Rn. 5; Harke BeckOGK BGB, Stand: 01.07.2025, § 651f Rn. 10 und § 651g Rn. 9). Ein solcher liegt gemäß § 651i Abs. 2 S. 1 BGB vor, wenn die Reise nicht die vereinbarte Beschaffenheit aufweist. Die Fahrt mit der Semmering-Bahn und der Besuch in Wien waren unstreitig Vertragsinhalt. Dies ergibt sich auch aus dem als Anlage K 1d vorgelegten Katalogauszug der Beklagten, so dass die Parteien eine dementsprechende (konkludente) Beschaffenheitsvereinbarung getroffen haben (vgl. Geib BeckOK BGB, 75. Edition, Stand: 01.08.2025, § 651i Rn. 12). Die Absage dieser Programmpunkte hat somit zu einer Abweichung von der vertragsgemäßen Beschaffenheit geführt, so dass ein Reisemangel vorliegt. Grundsätzlich haftet der Reiseveranstalter verschuldensunabhängig für den Erfolg der Reise (Tonner, Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2023, § 651i Rn. 15). Ein Fall, in dem die Einstandspflicht des Reiseveranstalters entfällt – so etwa bei bloßen Unannehmlichkeiten – liegt hier nicht vor.
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d) Dass dem Kläger der veränderte Umfang der Reise lediglich mitgeteilt wurde, ohne die Formvorschriften für eine erhebliche Vertragsänderung einzuhalten, ist für das Rücktrittsrecht des Klägers nicht relevant. Die Unwirksamkeit eines Änderungsangebots wirkt sich nicht zu Lasten des Reisenden aus (Blankenburg, Erman BGB, Kommentar, 17. Auflage 2023, § 651g Rn. 13).
II.
22
1. Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 und 2 BGB. Die Beklagte befindet sich mit der Rückzahlung des Reisepreises seit 01.10.2024 in Verzug, da der Rücktritt unstreitig am 16.09.2024 erklärt wurde und der Reisepreis gemäß § 651h Abs. 5 in Verbindung mit § 651g Abs. 3 S. 1 Hs. 1 BGB innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt zurückzuzahlen war.
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Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 367,23 € setzen sich wie folgt zusammen:
-
1,3 Geschäftsgebühr, Nr. 2300, 1008 VV RVG: 288,60 €,
-
Auslagen, Nr. 7001 u. 7002 VV RVG: 20,00 € und
-
Umsatzsteuer: 58,63 €
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2. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 Abs. 1 S. 1 BGB. Mit der Rückzahlung der Hauptforderung ist die Beklagte seit dem 01.10.2024 in Verzug, siehe oben 1. Hinsichtlich des Zinsbeginns ist das Gericht an den klägerischen Antrag gebunden, § 308 Abs. 1 S. 1 BGB. Mit der Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geriet die Beklagte durch Ablauf der Frist, die der Beklagten mit dem als Anlage K2 vorgelegten Schreiben vom 14.11.2024 gesetzt wurde, in Verzug.
III.
25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
26
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709 S. 1 und 2 ZPO.