Titel:
Berufung, Schadensersatz, Software-Update, Restwert, Nutzungsvorteile, Betriebsbeschränkung, Verjährung
Schlagworte:
Berufung, Schadensersatz, Software-Update, Restwert, Nutzungsvorteile, Betriebsbeschränkung, Verjährung
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 07.04.2022 – 43 O 99/21
Fundstelle:
BeckRS 2025, 32907
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 07.04.2022, Az. 43 O 99/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Regensburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 19.099,41 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Klagepartei macht in zweiter Instanz nur noch Ansprüche wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in dem von ihm erworbenen Gebrauchtwagen gegen die Beklagte zu 2) geltend (im Folgenden Beklagte).
2
Die Klagepartei erwarb am 01.06.2016 zum Preis von 22.800 € ein am 23.11.2015 erstmals zugelassenes Fahrzeug der Marke Opel, Typ Zafira Tourer, Euro 6, 2.0 CDTI „96/125 KW (130/170 PS)“ mit einem Kilometerstand von 9.780 km (Anlage K1). Der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeuges betrug zuletzt am 15.10.2025 128.632 km.
3
Die Klagepartei beruft sich hinsichtlich ihres Vortrags zu unzulässigen Abschalteinrichtungen auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein:
„Die Antragstellerin stattete von ihr hergestellte Personenkraftwagen der Modellreihen Insignia 2.0 CDTI, Zafira 1.6 und 2.0 CDTI und Cascada 2.0 CDTI im Zeitraum 2013 bis 2016 mit einem Emissionskontrollsystem aus, welches in Abhängigkeit u.a. von Umgebungstemperatur (unterhalb 17°C), Umgebungsluftdruck (unterhalb 91,5 kPa) und Motorendrehzahl (oberhalb von 2.750 U/min) in seiner Wirkungsweise verringert wird.“
4
Die Klagepartei ließ ein Software-Update der Beklagten im Rahmen der freiwilligen Service-Aktion bereits im April 2018 in ihrem Fahrzeug installieren (BA Bl. 139, Anlage B2-5)
5
Das Landgericht wies die Klage mit Urteil vom 7.4.2022 mit der Begründung ab, dass der Klagepartei weder ein Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB noch nach § 823 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz (§ 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder den Normen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007) zustünden. Wie der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seinen Urteilen vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19 Rn. 72 ff., BGHZ 225, 316) und 30. Juli 2020 (VI ZR 5/20 Rn. 10 ff., ZIP 2020, 715) ausgeführt habe, liege das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich dieser Bestimmungen.
6
Ein sittenwidriges Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen liege nicht vor. Der Vortrag der Klageseite, das Emissionskontrollsystem unterscheide zwischen Prüfbedingungen und dem Normalbetrieb, sei unbeachtlich, denn die Klageseite bringe außer der pauschalen Behauptung keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte für die Richtigkeit vor. Dasselbe gelte für die Behauptung, das On-Board-Diagnosesystem unterdrücke Warnhinweise und den Vortrag, wonach die für Beklagte handelnden Personen die Rechtswidrigkeit der Abschalteinrichtung gekannt hätten.
7
Unabhängig hiervon könne jedenfalls im maßgeblichen Zeitraum des Gebrauchtwagenkaufs (hier: Juni 2016) in einer Gesamtschau kein Sittenwidrigkeitsvorwurf erhoben werden.
8
Zu diesem Zeitpunkt habe die Beklagte das Software-Update zur Verbesserung der Emissionsminderungsleistung für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp bereits fertig entwickelt (Frühjahr 2016) und dem Kraftfahrt-Bundesamt zur Freigabe vorgestellt, die in der Folge erteilt wurde. Darüber hinaus habe die Beklagte zu 2) die Öffentlichkeit bereits ab Ende 2015 über die in Arbeit befindliche Verbesserungsmaßnahme informiert.
9
Auf die tatsächlichen Feststellungen auch zu den in der ersten Instanz gestellten Anträgen und die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen, § 540 I ZPO.
10
Die Klagepartei beantragte zunächst unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Regensburg:
I. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerpartei EUR 22.800,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Opel Zafira Tourer mit der Fahrgestellnummer W0… zu zahlen.
II. das Urteil des Landgerichts Regensburg, Az. 43 O 99/21 aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Beweisaufnahme an das Landgericht Regensburg zurückzuverweisen;
III. die Revision zuzulassen
11
Zuletzt beantragt die Klagepartei nur noch:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von EUR 3.420,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
12
Die Klagepartei behauptet einen „aktuellen“ (Stand 15.1.2024) Restwert von 11.950 Euro unter Vorlage einer ADAC Restwertermittlung der Anlage BK7. Es sei eine Gesamtlaufleistung von 350.000 km gerechtfertigt.
13
Die Beklagte sieht die Gesamtlaufleistung bei 200.000 km und den Restwert (Stand 15.3.24) wegen der Sonderausstattung zwischen 12.990 und 14.990 Euro unter Vorlage eines Auszugs von Mobile.de (Anlage B2-16, BA Bl. 173).
14
Im Übrigen wird auf die Berufungsbegründung vom 07.07.2022 ergänzt durch Schriftsatz vom 13.3.2024 sowie die Berufungserwiderung vom 8.8.2022 ergänzt durch Schriftsatz vom 20.2.2024, 18.3.2024, 6.10.2025 mit dem darin enthaltenen Antrag, die Berufung zurückzuweisen, und die Niederschrift vom 15.10.2025 Bezug genommen.
15
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet, §§ 511, 517, 519, 520 ZPO. Die Zustellung des klageabweisenden Urteils erfolgte am 3.4.2022 an die Klägervertreter. Die Berufung ging am 6.5.2022 bei Gericht ein. Die Berufungsbegründung ging am 7.7.2022 bei Gericht ein. Die Berufungsbegründungsfrist war bis zum 13.7.2022 verlängert worden.
16
Die Berufung ist im Ergebnis unbegründet.
17
Der Senat nimmt zur Begründung zunächst auf den Beschluss vom 19.2.2024 Bezug.
18
I. Der Senat geht davon aus, dass das unstreitig aufgespielte Software-Update zu einem Wegfall eines ursprünglichen Differenzschadens geführt hat (vgl. BGH, Urteil vom 31. Juli 2024 – VIa ZR 910/22 –, juris; BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 80 mit Verweis auf BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 – VI ZR 40/20, BGHZ 230, 224 Rn. 24).
19
Nach dieser Rechtsprechung ist dies der Fall, wenn das Update die Gefahr von Betriebsbeschränkungen signifikant reduziert und es seinerseits keine unzulässige Abschalteinrichtung enthält.
20
1. Der Einwand der Klagepartei, das Software-Update der Beklagten enthalte selbst wieder eine unzulässige Abschalteinrichtung (BA Bl. 141) ist unbegründet.
21
a) Die Klagepartei bezieht sich dabei zwar auf eigenen Vortrag der Beklagten vom 17.10.2023 in einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht München (14 U 161/22), wonach durch das Software-Update u.a. der Temperaturbereich der Abgasrückführung (AGR) der streitgegenständlichen Fahrzeuge derart erweitert wurde, dass die AGR nunmehr innerhalb von minus 11 °C bis plus 50 °C aktiv ist und zwischen 2 °C und 37 °C mit minimalem Sauerstoffanteil im Brennraum und daher mit maximalen Abgasrückführungsraten betrieben wird, was nach Ansicht der Klagepartei nicht ausreichend ist (Temperaturbereich minus 12 bis minus 14 °C).
22
Die Bestätigung des KBA vom 11.1.2024 erfolgte aber nach dem 17.10.2023 in einem Verfahren, in dem die Beklagte unstreitig die gesamte Abgasstrategie offengelegt hatte (BA Bl. 101), Das KBA hat somit die Einschränkungen hinsichtlich der Wirksamkeit im beanstandeten Temperaturbereich als zulässig eingeordnet.
23
b) Ohne Erfolg beruft sich die Klagepartei auch auf die Entscheidung des OLG Dresden (Endurteil v. 6.11.2023 – 5a U 2494/22, BeckRS 2023, 44863, beck-online). Dort handelte es sich um einen Astra Sport Tourer, der mit einem kleineren Motor ausgestattet war (1,6 CTDI).
24
c) Die von der Klagepartei zitierte Entscheidung des VG Schleswig (Urteil vom 20.02.2023 – Az.: 3 A 113/18) betrifft Dieselmotoren mit einem Aggregat des Typs EA189 Euro 5.
25
2. Es kann vorliegend dahinstehen, ob den Entscheidungen des KBA vorliegend rechtlich eine Tatbestandswirkung zukommt.
26
Diese wäre jedenfalls nicht dadurch beeinträchtigt, dass, worauf die Klagepartei hinweist (BA Bl. 140), tatsächliche Feststellungen von einem externen Gutachter getroffen wurden. Für eine Parteilichkeit dieses Gutachters wird nichts vorgetragen. Das KBA verfügt auch über genügend Fachkenntnisse, dessen Ergebnisse richtig einzuordnen.
27
Die im Schreiben enthaltenen Feststellungen des KBA zu einem höheren Stickoxid-Emissionsniveau versteht der Senat als Darstellung des Sachverhalts, der eine Verbesserung durch ein Update erforderlich macht. Denn nach dem nachfolgend beschriebenen Ergebnis der Untersuchung wurden die Grenzwerte eingehalten.
28
Der Senat sieht bei dem vor fast zehn Jahren zugelassenen Fahrzeug, bei dem sich die Zulassungsbehörde in Kenntnis der Abschalteinrichtungen und deren Funktionen und im Bewusstsein der Bedeutung für den Kraftfahrzeugmarkt und der sich darin widerspiegelnden rechtlichen Diskussionen nicht nur für eine Genehmigung eines freiwilligen Updates, sondern auch für die Anordnung eines entsprechenden Rückrufs zur Vermeidung einer Betriebsbeschränkung entschlossen hat, keine realistische Gefahr, dass die Klagepartei dennoch mit Betriebsbeschränkungen rechnen müsste. Nach der Entscheidung des KBA wird durch das Update gerade die sonst drohende Betriebsbeschränkung abgewendet.
29
II. Ein dennoch eventuell verbleibender Differenzschaden wäre zudem mindestens größtenteils durch Nutzungsvorteile und Restwert aufgezehrt. Die Entscheidung des EuGH vom 1.8.2025 (C-666/23) steht dem nicht entgegen (vgl. BGH, 2. September 2025, VIa ZR 87/24).
30
1. Der Senat bemisst die Nutzungsvorteile bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug nach der anteiligen Laufleistung des Fahrzeugs im Besitz der Klagepartei im Verhältnis zu einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km mit 11.280,60 Euro:
|
Die Klagepartei hat folgenden Kaufpreis gezahlt:
|
22.800,00 €
|
|
Der Senat setzt eine gewöhnliche Laufleistung (km) an:
|
250.000
|
|
Die Klagepartei hat das Fahrzeug gekauft am:
|
01.06.2016
|
|
Sie hat das Fahrzeug mit folgendem Kilometerstand (km) erhalten:
|
9.780
|
|
Das Fahrzeug wurde erstmals zugelassen am:
|
23.11.2015
|
|
Die Restlaufzeit des Fahrzeugs bei Erwerb beträgt (km):
|
240.220
|
|
Der letzte mitgeteilte Kilometerstand (km) lautet:
|
128.632
|
|
Die Klagepartei hat damit das Fahrzeug gefahren (Km):
|
118.852
|
|
Der Nutzungsvorteil der Klagepartei nach Laufleistung nach der
|
|
|
Formel: Kaufpreis*gefahrene Kilometer/Restlaufleistung b. Erwerb:
|
11.280,60 €
|
|
Der Differenzschaden würde damit aufgezehrt ab einem Restwert
|
von 11.519,40 €.
|
31
2. Dieser Restwert würde nach dem – nicht aktualisierten – Vortrag beider Parteien erreicht, denn die Klagepartei gestand einen Restwert von 11.950 Euro zu und die Beklagtenpartei behauptete einen Restwert von mindestens 12.990 Euro unter Vorlage von Vergleichsangeboten. Bei den vorgelegten Angeboten der Beklagtenpartei wären nach der Rechtsprechung des Senats Abzüge vorzunehmen. Der Senat nimmt in der Regel Abschläge von 10 Prozent vor, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es sich regelmäßig bei den Angebotspreisen nur um die Nennung einer Verhandlungsbasis handelt und der Erhaltungszustand unterschiedlich sein dürfte. Bei Händlern nimmt der Senat in der Regel einen weiteren Abschlag von 5 Prozent vor, weil Händler sich nicht einer Gewährleistung entziehen können. Vorliegend handelt es sich zudem um stärker motorisierte Fahrzeuge, die zum Teil auch ein jüngeres Zulassungsdatum aufweisen. Insgesamt hält der Senat einen aus den Angeboten der Beklagten abzuleitenden Restwert von damals 11.700 Euro für realistisch.
32
Wenn man berücksichtigt, dass sich die Parteien auf Restwerte vom 15.2.2024 bzw. 15.3.2024 beziehen, dürfte sich ein zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung anzunehmender Restwert knapp unter dem Wert von 11.519,40 Euro bewegen und ein eventueller Differenzschaden weitgehend, aber nicht vollständig aufgezehrt sein.
33
III. Die Frage der Verjährung kann bei dieser Sachlage ebenso offen bleiben, wie die Berechtigung der Beklagten, sich auf eine fehlende Erwerbskausalität oder auf fehlendes Verschulden zu berufen (hierzu Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 03.04.2025 – 24 U 26/22).
34
Die Klagepartei hat nach § 97 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, § 543 ZPO.