Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 13.02.2025 – 5 U 68/24 e
Titel:

Feststellungsinteresse, Räum- und Streupflicht, Verkehrssicherungspflichten, Verkehrssicherungspflichtigen, Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, Verkehrssicherungspflichtverletzung, Feststellungsklage, Eigene Beweiswürdigung, Vorrang der Leistungsklage, Kindertageseinrichtung, Mitverschulden des Klägers, Überwiegendes Mitverschulden, Rechtsschutzbedürfnis, Allgemeine Glätte, Landgerichte, Prozeßbevollmächtigter, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Prozeßvoraussetzungen, Rückübertragung, Erstinstanzliche Feststellungen

Schlagworte:
Feststellungsklage, Verkehrssicherungspflicht, Winterdienst, Glätteunfall, Schmerzensgeld, Mitverschulden, Schadensersatz
Vorinstanz:
LG Coburg, Endurteil vom 19.04.2024 – 24 O 555/22
Fundstelle:
BeckRS 2025, 3277

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 19.04.2024, Az. 24 O 555/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
2. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert auf 75.000,00 € festzusetzen und der Beklagten die Kosten des Berufsverfahrens aufzuerlegen.
3. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 12.03.2025.

Entscheidungsgründe

A.
1
Der Kläger verlangt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die ihm durch die bei einem Sturz wegen Glätte erlittenen Verletzungen entstanden sind und noch entstehen werden, zu ersetzen.
2
Die Beklagte ist Eigentümerin des Anwesens K. 1 in R.. Aufgrund eines mit dem Bayerischen Roten Kreuz, Kreisverband Coburg, geschlossenen Trägervertrags betreibt dieser Verband eine Kindertageseinrichtung in diesem Anwesen. In § 1 Abs. 2 Satz 3 dieses Vertrags ist bestimmt, dass der Träger die Verkehrssicherungs- und Aufsichtspflichten übernimmt.
3
Für das Gemeindegebiet der Beklagten besteht eine von ihr erlassene „Verordnung über die Reinhaltung und Reinigung der öffentlichen Straßen und der Sicherung der Gehbahnen im Winter“ (im Folgenden nur noch Verordnung). Hinsichtlich der Einzelheiten der darin enthaltenen Regelungen wird auf die Anlage K9 und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
4
Die Beklagte hielt im Winter 2020/2021 einen Winterdienst vor. Den Bereitschaftsdienst für den Winterdienst stellte sie ab 21.03.2021 wegen der damals herrschenden milden Witterung ein. Am Morgen des 06.04.2021 herrschten winterliche Verhältnisse mit liegen gebliebenem Schnee und Glätte. Die Fahrzeuge der Beklagten wurden in deren Bauhof um 7:00 Uhr für die Ausführung des Räum- und Streudienstes umgerüstet. Die Räum- und Streuarbeiten wurden entsprechend einer vorhandenen Prioritätenliste der zu bearbeitenden Straßen und Wege um 7:30 Uhr begonnen.
5
Der Kläger hat in erster Instanz vorgetragen, dass bereits am Nachmittag des 05.04.2021 starker Schneefall bei Temperaturen von konstant unter 0 °C eingesetzt habe. Der Schneefall sei bereits vorher angekündigt worden. In der Nacht zum 06.04.2021, in der die Temperaturen unter 0 °C gefallen seien, habe es nicht mehr geschneit. Am 06.04.2021 gegen 8:30 Uhr sei auf der Zufahrtsstraße zum Kindergarten kein Schnee geräumt worden. Er habe seinen Sohn in die Kinderkrippe bringen wollen, als er, obwohl er Schuhwerk mit Profil getragen und sich überaus vorsichtig bewegt habe, auf dem Weg am Rand der Fahrbahn, entlang des Grundstücks des Kindergartens auf einer Glättestelle ausgerutscht sei. Hierdurch habe er eine trimalleoläre Sprunggelenksluxationsfraktur (Bruch aller 3 Knochen des Sprunggelenkes) am linken Fuß erlitten. Er leide noch unter deren Folgen und es müsse von einer dauerhaften Beeinträchtigung ausgegangen werden. Er hat die Ansicht vertreten, dass ihm, abhängig vom weiteren Verlauf, ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 30.000,00 € zustehe. Weiter werde ihm ein Haushaltsführungsschaden von mindestens 30.000,00 € entstehen. Hinzu kämen künftig entstehende Verdienstausfallschäden und Kosten für vermehrte Bedürfnisse, deren Höhe er auf 15.000,00 € schätze.
6
Der Kläger hat in der ersten Instanz den im Urteil des Landgerichts enthaltenen Antrag gestellt.
7
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
8
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass die Feststellungsklage wegen fehlendem Feststellungsinteresses nicht zulässig sei. Die Beklagte hat bestritten, dass der Kläger aufgrund von Schnee- und Eisglätte gestürzt sei. Sie hat vorgetragen, dass es am 05.04.2021 keinen Niederschlag gegeben habe und Plusgrade geherrscht hätten. In der Nacht zum 06.04.2021 habe leichter Nieselregen eingesetzt. Dieser sei am 06.04.2021 ab ca. 6:30 Uhr in Schnee übergegangen. Am Morgen des 06.04.2021 sei es daher zu einem plötzlichen, für die Beklagte nicht vorhersehbaren Wintereinbruch gekommen, der zur Bildung von Blitzeis geführt habe. Gegen 9:00 Uhr sei durch Mitarbeiter der Beklagten im Bereich der Kindertagesstätte geräumt und gestreut worden. Eine allgemeine Glätte habe nicht geherrscht, sondern es habe nur einzelne Glättestellen gegeben. Die Beklagte hat gemeint, dass die Voraussetzungen für eine die winterliche Räum- und Streupflicht auslösende, konkrete Gefahrenlage nicht vorgelegen haben. Im Rahmen des Zumutbaren könne von der Beklagten nicht verlangt werden, dass die betroffene, untergeordnete Nebenstraße zum behaupteten Schadenszeitpunkt schon geräumt und gestreut habe sein müssen. Den Kläger treffe ein ganz überwiegendes Mitverschulden an dem Sturz, da er den verschneiten Zustand der Straße erkannt habe.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf das Urteil und die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten Bezug genommen.
10
Das Landgericht hat mit Endurteil vom 19.04.2024 festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schaden aus dem Schadensfall vom 06.04.2021 vor der Kinderkrippe „Gänseblümchen“, K. 1,... R., zu ersetzen. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung wird auf das Urteil Bezug genommen.
11
Die Beklagte trägt in der Berufung vor, dass der Kläger nicht substantiiert vorgetragen habe, dass die Schadensentwicklung zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgeschlossen sei. Da bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung festgestanden habe, dass der Kläger einen Dauerschaden erlitten habe, seien sowohl die immateriellen als auch die materiellen Schäden bereits vollumfänglich bezifferbar. Dass die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen sei und dies zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorhersehbar sei, habe der Kläger weder substantiiert dargelegt noch bewiesen. Die Behauptung, dass er ein künstliches Sprunggelenk benötige, sei nicht nachgewiesen. Aus der Anlage K4 sei bereits jetzt absehbar, dass es zu einer Arthrose kommen könne, so dass dies im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung bereits jetzt eingepreist werden könne. Es bestehe daher der Vorrang der Leistungsklage mit der Folge, dass ein Feststellungsinteresse fehle.
12
Die Beweisaufnahme habe entgegen der Feststellung des Landgerichts nur ergeben, dass allenfalls einzelne Glättestellen vor dem Eingang zum Kindergarten vorhanden gewesen seien. Es sei nicht nachgewiesen, dass eine allgemeine Glätte am Unfallort vorhanden gewesen sei. Aus den vom Landgericht herangezogenen Beweismitteln lasse sich der Nachweis nicht führen. Der Kläger habe nicht substantiiert vorgetragen, wo er Glättestellen wahrgenommen habe. An der Unfallstelle habe er lediglich einzelne Glättestellen gesehen, die von Fahrzeugreifen verursacht worden seien. Auf den Lichtbildern der Anlage K1 seien nur Fußabdrücke sichtbar, jedoch keine Rutschspuren oder Spuren, die auf eine Gangunsicherheit schließen ließen. Entgegen der Feststellung des Landgerichts habe sich an der Unfallstelle am 05.04.2021 keine Schneedecke gebildet. Aus dem eingeholten Gutachten des Deutschen Wetterdienstes gehe hervor, dass sich am 05.04.2021 sehr wahrscheinlich keine Schneedecke in R.gebildet habe. Erst am Morgen des 06.04.2021 zwischen ca. 4:00 Uhr und 5:00 Uhr solle Schneefall eingesetzt haben, woraus sich wahrscheinlich eine dünne Schneedecke gebildet habe. Aufgrund der vorhandenen Schneedecke sei nicht anzunehmen, dass eine allgemeine Glätte vorhanden gewesen sei, die für das Entstehen einer Räum- und Streupflicht erforderlich sei. Die Aussagen der Zeugen hätten das Vorliegen einer allgemeinen Glätte nicht bestätigt. Die Beklagte sei daher nicht verpflichtet gewesen, vor 7:00 Uhr bzw. 7:30 Uhr mit den Räum- und Streuarbeiten zu beginnen. Sie habe alles Erforderliche getan, um ihren Pflichten nachzukommen. Darüber hinaus sei die Beklagte aufgrund der vertraglichen Übertragung der Räum- und Streupflicht auf das Bayerische Rote Kreuz für den Bereich der Sturzstelle zu diesen Arbeiten nicht verpflichtet gewesen. Eine Rückübertragung der Verkehrssicherungspflichten vom Bayerischen Roten Kreuz auf die Beklagte sei nicht erfolgt. Aus der tatsächlich erfolgten Übernahme der Räum- und Streupflicht durch die Beklagte als vormalige Verkehrssicherungspflichtige bei Untätigkeit des Verpflichteten folge dies nicht. Insoweit fehle es an einer klaren und unmissverständlichen Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem Bayerischen Roten Kreuz als Träger der Einrichtung. Eine Verletzung der Kontroll- und Überwachungspflichten der Beklagten im Hinblick auf die Durchführung der Räum- und Streupflichten durch den Träger der Kindereinrichtung sei nicht vorgetragen und nachgewiesen. Wenn die Beklagte bemerkt habe, dass nicht ausreichend geräumt und gestreut gewesen sei, habe sie den Seitenstreifen in Ausnahmefällen selbst mit geräumt, um ihren Kontroll- und Überwachungspflichten nachzukommen. Weiter habe das Landgericht das Mitverschulden des Klägers nicht berücksichtigt. Dieser habe angegeben, eine Glätte wahrgenommen zu haben, so dass er mit einem vorsichtigen Gang den Sturz hätte vermeiden können. Der Kläger hätte auch auf der angetauten Fahrbahn gehen und so die Schneedecke umgehen können. Er hätte auch mit seinem Fahrzeug den Berg bewältigen können, wodurch der Sturz vermieden worden wäre.
13
Die Beklagte beantragt,
1.
Das Urteil des Landgerichts Coburg, Az.: 24 O 555/222, wird abgeändert.
2.
Die Klage wird abgewiesen.
Hilfsweise:
Das Urteil wird aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
14
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
15
Der Kläger trägt vor, dass die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtlich zutreffend und nicht zu beanstanden sei. Aufgrund der Schwere der Verletzungen ergebe sich das Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellungsklage im Hinblick auf noch möglicherweise zukünftig eintretende materielle und immaterielle Schäden. Die Beklagte verkenne die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Verletzung der ihr obliegenden Kontroll- und Überwachungspflicht.
16
Im Übrigen wird hinsichtlich des Vortrags der Parteien auf die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigte nebst Anlagen Bezug genommen.
B.
17
Der Senat hat bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die vom Landgericht fehlerfrei getroffenen Feststellungen zugrunde zu legen, da keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel an der Richtigkeit oder der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.
18
1. Zweifel im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegen dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle der Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. BGH WM 24, 1649; BGH NJW-RR 18, 651; BGH VersR 16, 1194; BGH NJW 14, 2797; 14, 74; 05, 1583 jeweils m.w.N.). Konkreter Anhaltspunkt ist dabei der objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit genügen nicht (vgl. BGH NJW-RR 18, 651; BGH NJW 06, 152; OLG München, Urteil vom 26.10.2012, 10 U 4533/11 jeweils m.w.N.). Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder der Vollständigkeit der für die Entscheidung erheblichen Feststellungen können sich dabei aus Verfahrensfehlern ergeben, die bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. BGH WM 24, 1649; BGH VersR 16, 1194; BGH NJW 14, 2797; 14, 74; BGH NJW-RR 09, 1193 jeweils m.w.N.). Dies gilt insbesondere dann, wenn in der ersten Instanz Beweise fehlerhaft oder unzureichend erhoben oder gewürdigt wurden (vgl. BGH WM 24, 1649; BGH NJW 14, 74; 05, 1583; BGH NJW-RR 09, 1193). Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze sowie gegen allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche (vgl. BGH WM 24, 1649; BGH VersR 16, 1194; BGH NJW-RR 05, 897; OLG München a.a.O.). Die Darstellung der bloßen Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisergebnisse reicht jedoch nicht aus, um die erstinstanzliche Beweiswürdigung zu erschüttern. Es genügt nicht, die eigene Beweiswürdigung an die Stelle der Beweisführung des Landgerichts zu setzen (vgl. OLG München, Urteil vom 20.06.2012 – 17 U 1392/12; OLG Düsseldorf BauR 16, 2092; OLG Saarbrücken, Urteil vom 28.04.2016 – 4 U 96/15 – und vom 06.11.2014 – 4 U 189/13, jeweils zitiert nach juris).
19
2. Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Der Senat schließt sich den Ausführungen des Landgerichts insoweit an. Die dagegen erhobenen Einwendungen der Berufung greifen aus den nachfolgend dargestellten Gründen nicht durch und können keine Zweifel an der Richtigkeit oder der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.
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a) Das Landgericht hat die Beschaffenheit der Wegverhältnisse, die vor Ort geherrscht haben, fehlerfrei und zutreffend festgestellt. Es hat sich dabei auf die Aussagen der Zeuginnen L. und R. gestützt, die zu verschiedenen Zeitpunkten zeitlich kurz vor und unmittelbar nach dem Sturzgeschehen an der Unfallstelle waren und sich daher ein Bild von dem Zustand des Weges gemacht haben. Weiter hat es zutreffend und zulässig die Angaben des Klägers im Rahmen seiner Anhörung seinen Feststellungen zugrunde gelegt. Bei der Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO sind auch die Äußerungen einer Partei im Rahmen ihrer Anhörung nach § 141 Abs. 1 ZPO verwertbar (vgl. BGH NJW-RR 18, 249; BGH WM 14, 1036). Zudem hat sich das Landgericht durch Einnahme des Augenscheins der vorgelegten Lichtbilder, insbesondere dem Bild 2 der Anlage K1, Kenntnis von dem Zustand des Weges verschafft.
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b) Das eingeholte meteorologische Gutachten steht diesen Feststellungen nicht entgegen, da es nicht den witterungsbedingten Verlauf am Ort des Sturzes wiedergibt. Wie die Berufung selbst ausführt, lässt sich aus dem Gutachten nur entnehmen, welche Wettererscheinungen an den jeweiligen Wetterstationen aufgezeichnet wurden. Entnehmen lässt sich aus diesen Messunngen jedoch, dass am Abend des 05.04.2021 im Raum R.ein schauerartiger Regen in Schneeregen oder nassen Schneefall überging. Weiter lässt sich dem Gutachten entnehmen, dass die Temperatur in der zweiten Nachthälfte zum 06.04.2021 auf Werte von um – 4 °C und in Bodennähe bis um die – 7 °C absank. Aus dem Gutachten lässt sich, was das Landgericht zutreffend ausführt, auch entnehmen, dass es aufgrund des mäßigen Frostes sehr wahrscheinlich zu Eisglätte gekommen ist, und dass Eisglättestellen durch den einsetzenden Schneefall überdeckt worden sein könnten. Durch diese Ausführungen für den Raum R.lassen sich daher die Aussagen der Zeuginnen und die Angaben des Klägers zum Zustand der Stelle, an der sich der Sturz ereignet hat, bestätigen.
C.
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In rechtlicher hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass die Feststellungsklage zulässig ist
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1. Das Feststellungsinteresse liegt vor.
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a) Das Feststellungsinteresse ist eine besondere Prozessvoraussetzung, die eng verwandt ist mit der allgemeinen Prozessvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses. Ein Interesse an der Feststellung einer Ersatzpflicht für künftige Schadensfolgen aus einer bereits eingetretenen Verletzung eines absoluten Rechts oder eines vergleichbaren Rechtsguts ist zu bejahen, wenn die Möglichkeit besteht, dass solche Schäden eintreten (vgl. BGH NJW 21, 3130, 20, 683). Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung besteht nur dann nicht, wenn aus Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (vgl. BGH NJW-RR 07, 601). Unzulässig ist eine Klage nach diesen Maßstäben zum Beispiel dann, wenn ein bestehendes Erkrankungsrisiko nur minimal über dem allgemeinen Lebensrisiko liegt und als äußerst gering anzusehen ist (vgl. BGH NJW-RR 14, 840).
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b) Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze liegt das Feststellungsinteresse vor. Es besteht die reale Möglichkeit, dass sich in der Zukunft aufgrund der erlittenen, schweren Verletzung des Körpers des Klägers und der sich daraus ergebenden Dauerschädigung weitere Schäden ergeben können. Der Bruch von drei Knochen des Sprunggelenks stellt eine so schwerwiegende Verletzung dar, dass, was die Beklagte auch einräumt, zumindest mit der Entwicklung einer Arthrose gerechnet werden muss. Hinzu kommt, dass aufgrund dieser schweren Verletzungen des Sprunggelenks, dessen ursprünglicher, gesunder Zustand nicht wiederhergestellt werden konnte und kann. Es besteht daher die erkennbare und ernsthafte Möglichkeit, dass sich eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers im Bereich des Sprunggelenks einstellen kann. Dies kann zu weiteren Behandlungsmaßnahmen führen, die über das Behandeln einer Arthrose hinausgehen können mit der Folge, dass hierdurch weitere immaterielle und materielle Schäden verursacht werden können. Dies sind mögliche Folgen, die über das bestehende allgemeine Lebensrisiko nicht nur minimal hinausgehen und als äußerst gering anzusehen sind. Entgegen der Ansicht der Berufung sind daher weder die immateriellen und erst recht nicht die materiellen Schäden abschließend bezifferbar.
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Dies ist bereits ausreichend, um ein Feststellungsinteresse annehmen zu können. Dahingestellt bleiben kann daher, ob der bestrittene Vortrag des Klägers zutreffend ist, dass er in Zukunft ein künstliches Sprunggelenk benötigen wird.
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2. Ein Vorrang der Leistungsklage gegenüber der Feststellungsklage besteht nicht.
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Wie gerade dargelegt, stehen derzeit nicht alle noch zukünftig möglichen, materiellen und immateriellen Schäden fest, so dass der Kläger diese nicht geltend machen kann. Wenn die Schadensentwicklung, wie hier, noch nicht abgeschlossen ist, und der Kläger seinen Anspruch daher nur teilweise beziffern kann, ist er nicht verpflichtet, über den bezifferbaren Teil des Schadens eine Leistungsklage und hinsichtlich des Rests der möglichen künftigen Schäden eine Feststellungsklage zu erheben (vgl. BGH NJW 84, 1552; BGH NJW-RR 88, 445).
D.
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Die Beklagte ist gemäß § 823 Abs. 1 BGB verpflichtet, dem Kläger die aus dem Unfall vom 06.04.2021 resultierenden materiellen Schäden zu ersetzen.
1. Die Beklagte ist aufgrund ihrer Stellung als Eigentümerin des Grundstücks in der K. 1 in R. grundsätzlich für die Einhaltung der Räum- und Streupflicht nach allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätzen verantwortlich.
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Dies folgt aus § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1 der Verordnung. Diese Regelung wendet sich an die Eigentümer der jeweiligen Grundstücke, die von ihr betroffen sind. Der Umfang der von der Beklagten einzuhaltenden Pflichten richtet sich daher nach ihrer Stellung als Eigentümerin eines Anliegergrundstücks und nicht nach ihrer Stellung als Verkehrssicherungspflichtige für öffentlich-rechtliche Straßen und Wege. Wenn sie Ihren Verkehrssicherungspflichten als Eigentümerin des Grundstücks nicht nachgekommen ist, stellt dies keine Amtspflichtverletzung im Sinne des § 839 BGB dar. Die Beklagte haftet daher nach allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätzen (vgl. BGH VersR 92, 444).
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2. Auch wenn die Beklagte im Vertrag über den Betrieb der Kindertageseinrichtungen (Anlage B3) unter § 1 Abs. 2 Unterabsatz 2 Satz 1 vereinbart hat, dass der Träger der Einrichtung, hier das Bayerische Rote Kreuz, Kreisverband Coburg, die Verkehrssicherungs- und Aufsichtspflichten übernimmt, war die Beklagte im vorliegenden Fall verpflichtet, selbst die Räum- und Streupflichten im Rahmen des Winterdienstes sicherzustellen und auszuführen.
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a) Zwar ist eine Rückübertragung der Verkehrssicherungspflichten im Bezug für den Winterdienst von dem Träger der Kindertageseinrichtungen auf die Beklagten nicht erfolgt.
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Allein aufgrund der Tatsache, dass der Träger vor dem Grundstück, auf dem er die Kindertageseinrichtungen betrieben hat, zu keinem Zeitpunkt im Winter dafür gesorgt hat, dass eine Gehbahn im Sinne des § 2 Absatz 2b der Verordnung, wenn Schnee und Eis vorhanden waren, durch Räumen oder Streuen geschaffen wurde und dies dann jeweils durch Mitarbeiter der Beklagten im Rahmen der Räumung der Straße erfolgte, ist eine Rückübertragung der Verkehrssicherungspflichten von dem Träger auf die Beklagte nicht erfolgt. Eine solche hätte eine entsprechende vertragliche Vereinbarung vorausgesetzt, die vorliegend – auch nicht konkludent – nicht getroffen wurde.
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b) Die Beklagte hat jedoch die bei ihr verbliebenen Kontroll- und Überwachungspflichten nicht oder nicht ausreichend erfüllt, so dass sie aufgrund der Verletzung dieser Pflichten eine Verkehrssicherungspflichtverletzung gegenüber dem Kläger begangen hat.
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aa) Wird die Verkehrssicherungspflicht auf einen Dritten delegiert, so wird der Dritte für den Gefahrenbereich nach allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätzen verantwortlich. Damit ist der ursprüngliche Verkehrssicherungspflichtige nicht völlig entlastet. Er bleibt – in Grenzen – zur Überwachung des Dritten verpflichtet und ist insofern neben diesem selbst noch verantwortlich (vgl. BGH NJW 17, 2905; 06, 3628,; BGH VersR 14, 78; jeweils m.w.N.). Der Übertragende darf zwar im Allgemeinen darauf vertrauen, dass der Dritte seinen Verpflichtungen auch nachkommt, solange nicht konkrete Anhaltspunkte bestehen, die dieses Vertrauen erschüttern (vgl. BGH NJW 17, 2905; BGH VersR 14,78). Wenn der Übertragende aber Anlass zu Zweifeln hat, ob der Übernehmer den zu bewältigenden Gefahren tatsächlich in gebührender Weise Rechnung trägt oder sich als unzuverlässig erweist, hat der Übertragende eine Pflicht zum eigenen Eingreifen (vgl. BGH NJW 93, 647; 85, 2588; OLG Hamm, Urt. V. 13.07.2009, 6 U 203/08, veröffentlicht in juris; jeweils m.w.N.).
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bb) Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze war zum Zeitpunkt des Unfalls des Klägers die Beklagte hinsichtlich der Erfüllung der Räum- und Streupflichten wieder neben dem Träger der Einrichtung mitverantwortlich.
37
Das Landgericht hat aufgrund der Beweisaufnahme zutreffend festgestellt, dass das Bayerische Rote Kreuz, Kreisverband Coburg als Träger der Kindestageseinrichtungen die Räum- und Streuarbeiten nach der Verordnung nur unmittelbar am Eingang zur Kindertagesstätte ausgeführt hat. Entlang des Grundstücks der Beklagten wurden von den Mitarbeitern der Kindertagesstätte zu keinem Zeitpunkt Räum- und Streuarbeiten durchgeführt. Die Zeugin L. hat hierzu ausgesagt, dass sie nur vor dem Eingangsbereich der Kinderkrippe Schnee schieben mussten, ansonsten aber die Anweisung hatten, dass die Straße von ihnen nicht geräumt oder gestreut werden muss. Die Zeugin R. hat ausgesagt, dass seit Jahren die Straße vor dem Kindergarten, insbesondere in dem Bereich, in dem auf dem Bild die Spuren zu erkennen sind, grundsätzlich nicht geräumt und gestreut gewesen ist. Auch der Mitarbeiter der Beklagten Maar hat hierzu ausgesagt, dass die Beklagte den Winterdienst für die Straße vor der Kindertagesstätte ausgeführt und dabei auch den Streifen unmittelbar vor der Grundstücksgrenze mit einbezogen hat. Da die verantwortlichen Mitarbeiter bzw. Vertreter der Beklagten dies entweder wegen Fehlens oder mangelhafter Durchführung einer Überwachung der zur Einhaltung der Verkehrssicherungspflichten erforderlichen Arbeiten durch den Träger der Kindertageseinrichtungen nicht bemerkte oder, falls eine ausreichende Überwachung erfolgt sein sollte, dies nicht gegenüber dem Träger beanstandet und auf die Einhaltung der vertraglich übernommenen Verkehrssicherungspflichten hingewirkt haben, liegt eine Verletzung dieser der Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflichten vor. Die Beklagte durfte nicht aufgrund der Tatsache, dass ihr gegenüber keine Beschwerden oder Mitteilungen über einen nicht erfolgten Winterdienst durch den Träger des Kindergartens vorlagen, davon ausgehen, dass dieser pflichtgemäß handelt. Die Beklagte war verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die bestehenden und übertragenen Räum- und Streupflichten durchgeführt werden. Hierfür musste sie aktiv Sorge tragen, indem sie regelmäßig und ausreichend oft überprüft, ob der Träger die Verkehrssicherungspflichten erfüllt. Eine solche Überprüfung und Kontrolle der Einhaltung der Verkehrssicherungspflichten in Form des Winterdienstes lag nicht vor, was zur Folge hat, dass für die Einhaltung der Verkehrssicherungspflicht auch die Beklagte wieder zu sorgen hat.
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3. Es liegt eine Verletzung dieser der Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht im Sinne einer Räum- und Streupflicht vor.
39
a) Die rechtlich gebotene Verkehrssicherungspflicht umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden durch diese Gefahrenlage zu bewahren, wobei diese dem Pflichtigen den Umständen nach zumutbar sein müssen (vgl. BGH NJW 18, 2956; 14, 2104; 13, 48; BGH VersR 14, 78; 06, 665 jeweils m.w.N.). Der Verkehrssicherungspflichtige genügt dabei den an sein Verhalten zu stellenden Anforderungen, wenn er die Sicherheit schafft, die unter Berücksichtigung der Verhältnisse und der Art des Publikums, welches diesen Bereich bestimmungsgemäß benutzt, allgemein erwartet werden darf und muss (vgl. BGH NJW 94, 2617; OLG Düsseldorf VersR 06, 135).
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Die winterliche Räum- und Streupflicht beruht auf der Verantwortlichkeit durch Verkehrseröffnung und setzt eine konkrete Gefahrenlage, das heißt eine Gefährdung durch Glättebildung bzw. Schneeauflage voraus. Grundvoraussetzung für die Streu- und Räumpflicht auf Straßen oder Wegen ist das Vorliegen einer allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen (BGH NJW-RR 19, 1304; 17, 858; BGH NJW 12, 2727; BGH MDR 15, 1001; jeweils m.w.N.).
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Inhalt und Umfang der winterlichen Streupflicht auf öffentlichen Wegen und Straßen unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherung richten sich nach den Umständen des Einzelfalls (BGH NJW-RR 19, 1304; BGH NJW 12, 2727). Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Streupflicht besteht also nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt. Dieser hat im Rahmen und nach Maßgabe der vorgenannten Grundsätze durch Bestreuen mit abstumpfenden Mitteln die Gefahren zu beseitigen, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung und trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen (vgl. BGH MDR 15, 1001; BGH NJW 03, 3622; jeweils m.w.N.).
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b) Diese Pflichten wurden im konkreten Fall durch die Beklagte verletzt.
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aa) Das Landgericht ist rechtlich zutreffend davon ausgegangen, dass an der Unfallstelle nicht nur vereinzelte Glättestellen vorhanden waren. Dies ergibt sich sowohl aus den Angaben des Klägers und den Aussagen der Zeuginnen L. (sie hat ausgesagt, dass der Zustand wie er auf dem zweiten Bild der Anlage K1 erkennbar ist, vorlag, und dass sie sich sicher an die Rutschspur, wie sie dort erkennbar ist, erinnert) und R. (diese hat ausgesagt, dass sie gegen 8:25 Uhr auf der Straße und an der Stelle, an der die Rutschspur zu erkennen ist, gerutscht ist und dass es nicht geräumt oder gestreut und glatt war) als auch aus den vorgelegten Fotos, insbesondere dem Foto Nr. 2 der Anlage K1. Aus diesem lässt sich ersehen, dass an der Unfallstelle durchgehend die Wegfläche an dem Rand der Fahrbahn, die nach § 11 Abs. 1, § 9 Abs. 1, § 2 Absatz 2b der Verordnung geräumt werden musste, mit Schnee und Eis bedeckt war. Auf diese Fläche ist vorliegend abzustellen, da es um das Bestehen und Einhalten der Verkehrssicherungspflichten der Beklagten als Eigentümerin des angrenzenden Grundstücks und nicht um die Verkehrssicherungspflichten der Beklagten für ihre gesamten öffentlichen Straßen und Wege geht. Im Hinblick auf diese für die konkrete Fläche vor ihrem Grundstück bestehende Verkehrssicherungspflicht ist daher nicht, wie dies für die öffentlich-rechtliche Verkehrssicherungspflicht der Beklagten im Hinblick auf das von ihr unterhaltene Straßen- und Wegenetz gilt, auf den im Gemeindegebiet R. vorliegenden Zustand der Wege und Straßen abzustellen. Darüber hinaus ergibt sich aus der Aussage des Zeugen M., dass die Beklagte im Gemeindegebiet Räum- und Streumaßnahmen durchgeführt hat, was voraussetzt, dass eine entsprechende allgemeine Glättebildung durch Schnee und Eis vorgelegen hat.
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bb) An der konkreten Stelle bestand für die Beklagte als Eigentümerin des Grundstücks, auf dem die Kindertageseinrichtungen betrieben werden, eine besondere Pflicht dafür zu sorgen, dass der Weg für die Eltern und Kinder, die zu dieser Einrichtung gehen, über die Straße vor ihrem Grundstück gefahrlos möglich ist. Diese erhöhte Sorgfaltspflicht bestand und besteht insbesondere zu den Zeiten, in denen die Kinder üblicherweise gebracht und wieder abgeholt werden, da zu diesen Zeiten ein erhöhter Publikumsverkehr auf dieser Wegstrecke stattfindet, was der Beklagten auch bekannt ist. Nach § 2 Absatz 2b der Verordnung war vor dem Grundstück der Beklagten am Rande der öffentlichen Straße in einer Breite von 1 m, gemessen ab der Grundstücksgrenze ein Streifen als Gehbahn freizuhalten, da kein für den Fußgängerverkehr bestimmter, befestigter und abgegrenzter Teil der Straße vorhanden war. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten waren an diesem Morgen um ca. 7:00 Uhr die Schneefälle zu Ende gegangen. Bis zum Zeitpunkt des Sturzes gegen 8:30 Uhr war die Beklagte verpflichtet, für den sicheren Zustand der Gehbahn zu sorgen. Die ihr grundsätzlich einzuräumende Reaktionszeit auf das Eintreten der Gefahr durch Entstehen einer Schnee- und Eisglätte war vorliegend zu diesem Zeitpunkt längst abgelaufen. Als Eigentümerin des anliegenden Grundstücks war sie spätestens um 7:30 Uhr (§ 10 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung schreibt als Beginn 7:00 Uhr vor), verpflichtet, den Schnee zu räumen und bei Schnee- oder Eisglätte mit geeigneten abstumpfenden Stoffen die Gehbahn zu bestreuen oder das Eis zu beseitigen. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte nicht nachgekommen.
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4. Aufgrund der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wurde der Kläger in seiner Gesundheit körperlichen Unversehrtheit verletzt.
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Nach den zugrunde zu legenden Feststellungen des Landgerichts ist der Kläger am Rand der Straße vor dem Grundstück der Beklagten aufgrund dort vorhandener Glätte ausgerutscht und hat sich dabei einen schwerwiegenden, mehrfachen Bruch des Fußgelenks zugezogen.
47
5. Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht erfolgte fahrlässig und damit schuldhaft.
48
6. Der Kläger kann daher von der Beklagten Ersatz der hierdurch verursachten materiellen Schäden verlangen.
49
7. Ein Mitverschulden an der Entstehung des Schadens gemäß § 254 Abs. 1 BGB kann dem Kläger nicht angelastet werden.
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a) § 254 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt hat. Dieses Verschulden bedeutet nicht die vorwerfbare Verletzung einer gegenüber einem anderen bestehenden Leistungspflicht, sondern ein Verschulden in eigener Angelegenheit. Es handelt sich um ein Verschulden gegen sich selbst, d.h. um die Verletzung einer im eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit (vgl. BGH NJW 18, 944; 14, 2493; 09, 582 m.w.N.; Grüneberg, BGB 84. A., § 254 Rdnr. 1). Den Geschädigten trifft ein Mitverschulden, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die jedem ordentlichen und verständigen Menschen obliegt, um sich vor Schaden zu bewahren (vgl. BGH NJW 18, 944; 14, 2493; 01, 149 m.w.N.). Voraussetzung ist dabei grundsätzlich die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Schädigung (vgl. BGH NJW-RR 06, 965).
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b) Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze liegt ein Mitverschulden des Klägers an der Herbeiführung des Schadens nicht vor.
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aa) Die Beklagte hat nicht nachgewiesen, dass der Kläger mit ungeeignetem Schuhwerk den Seitenstreifen an der Straße begangen hat.
53
bb) Der Umstand, dass der Kläger bemerkt hat, dass die Straße und der Bereich am Rande der Straße schneebedeckt und glatt war, führt nicht zu einem Verstoß gegen der Obliegenheit, sich vor Schäden zu bewahren, weil er weitergegangen ist.
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Er musste seinen Sohn in die Kinderkrippe bringen. Hierzu musste er zwangsweise diesen Weg benutzen, da von ihm nicht verlangt werden kann und muss, dass er mit dem Pkw bis vor den Eingang der Kinderkrippe fährt. Dies gilt umso mehr, da ansonsten durch einen Fahrverkehr aller Eltern, die ihre Kinder zur Kinderkrippe bringen, wenn sie bis zum Eingang der Kinderkrippe fahren, eine entsprechende Gefahrenquelle für die Kinder und die Eltern sowie das Personal der Kinderkrippe entstehen würde, da dann nicht ausreichend Platz für alle, wie sich aus den Bildern ergibt, vorhanden war.
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cc) Der Kläger war auch nicht verpflichtet, über die für die Fahrzeuge vorgesehene Fahrbahn zu gehen, da im vorliegenden Fall, wie sich aus den Bildern, insbesondere dem Bild 2 der Anlage K1, ergibt, auch dort weder geräumt noch gestreut war. Aus dem Bild lässt sich vielmehr erkennen, dass auf der Fahrbahn noch mehr flächendeckende Glättestellen waren. Dies bringt eine weitaus höhere Gefahr des Ausrutschens mit sich als das Gehen über eine schneebedeckte Fläche. Darüber hinaus kann der Kläger nicht dazu verpflichtet werden, sich in Gefahr zu begeben, indem er auf die für die Fahrzeuge freigegebenen Fahrbahnteile ausweicht und dabei in den Bereich fahrender Fahrzeuge gerät.
E.
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Der Kläger kann von der Beklagten gemäß § 253 Abs. 2 BGB die Zahlung von Schmerzensgeld verlangen, ohne dass er sich dabei ein Mitverschulden bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes zurechnen lassen muss.
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Aus diesen wesentlichen Gründen hat die Berufung der Beklagten keine Aussicht auf Erfolg. Eine Entscheidung des Berufungsgerichts ist auch nicht aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
F.
58
Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 75.000,00 € festzusetzen und der Beklagten die Kosten des Berufsverfahrens aufzuerlegen. Auf die bei einer Berufungsrücknahme in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (vgl. KV-Nrn. 1220, 1222) wird vorsorglich hingewiesen. Im Falle der Rücknahme der Berufung verringern sich die Gerichtsgebühren von den 4,0 fachen auf das 2,0 fache der Gebühr.