Titel:
Beschwerde, Staatsanwaltschaft, Durchsuchungsbeschluss, Notar, Ermittlungsrichter, Herausgabe, Vergleich, Herkunft, Differenzbesteuerung, Zwangsmittel, Befreiung, Anordnung, Durchsuchung, Abwendung, milderes Mittel, prima facie, Wahrnehmung berechtigter Interessen
Normenketten:
StPO § 95
StPO § 103
StGB § 203
Leitsätze:
1. Bei einem nicht von der Schweigepflicht entbundenen Berufsgeheimnisträger stellt ein Herausgabeersuchen nach § 95 StPO nicht das mildere Mittel im Vergleich zur Durchsuchungsanordnung samt Abwendungsbefugnis dar.
2. Nimmt ein Berufsgeheimnisträger die ihm in einem Durchsuchungsbeschluss eingeräumte Abwendungsbefugnis zur Abwendung der Durchsuchung wahr und offenbart er damit ein ihm anvertrautes Geheimnis, handelt er nicht unbefugt i.S.d. § 203 StGB.
Ein Berufsgeheimnisträger handelt nicht unbefugt iSd § 203 StGB, wenn er zur Abwendung der Durchsuchung die ihm eingeräumte Abwendungsmöglichkeit nach § 95 StPO wahrnimmt. (Leitsatz des Verfassers) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde, Staatsanwaltschaft, Durchsuchungsbeschluss, Notar, Ermittlungsrichter, Herausgabe, Vergleich, Herkunft, Differenzbesteuerung, Zwangsmittel, Befreiung, Anordnung, Durchsuchung, Abwendung, milderes Mittel, prima facie, Wahrnehmung berechtigter Interessen
Vorinstanz:
AG Nürnberg vom 08.08.2025 – 57 Gs 9819/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 32665
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird das richterliche Herausgabeersuchen des Amtsgerichts Nürnberg – Ermittlungsrichter – vom 08.08.2025 aufgehoben.
2. Die Kosten des Rechtsmittels fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
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Der Beschwerdeführer, ein Notar, wendet sich gegen ein richterliches Herausgabeersuchen gemäß § 95 StPO.
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Der Beschuldigte soll von 2016 bis 2018 im Gebrauchtwagenhandel die Herkunft weiterverkaufter Fahrzeuge verschleiert haben, um sie zu Unrecht nach § 25a UStG der Differenzbesteuerung zu unterwerfen und so letztlich Steuern zu hinterziehen. Dabei soll ein Angestellter – sein Neffe S – für den Beschuldigten aufgrund einer notariell beglaubigten Generalvollmacht tätig geworden sein. Der in Rumänien wohnhafte Beschuldigte gab in seiner Vernehmung an, von der Generalvollmacht und den Geschäften des S sowie generell von einem von ihm – dem Beschuldigten – angeblich betriebenen Gebrauchtwagenhandel nichts zu wissen. Die ihm in Ablichtung vorgelegte Generalvollmacht weise nicht seine Unterschrift auf.
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Die ermittelnde Steufa forderte den Notar auf, Auskunft zu erteilen darüber, ob die seinerzeit von seinem Amtsvorgänger beglaubigte Unterschrift im Zusammenhang mit der in Ablichtung vorgelegten Generalvollmacht beglaubigt worden war. Der Notar lehnte die Auskunft unter Hinweis auf seine Amtsverschwiegenheit ab. Daraufhin ersuchte das Finanzamt den Notar um die Herausgabe der Urkunde (UR-Nr. …), welche sich aus der Generalvollmacht samt dem notariellen Beglaubigungsvermerk für die auf der Vollmacht geleisteten Unterschrift zusammensetzt, sowie die Herausgabe der dazugehörigen Unterlagen. Hiergegen verwahrte sich der Notar unter Verweis auf die fehlende Entbindung von der Schweigepflicht sowie die von ihm eingeholte Rechtsauskunft der Landesnotarkammer.
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Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth beantragte daraufhin einen Durchsuchungsbeschluss gem. § 103 StPO beim Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Nürnberg, um nach der Originalurkunde sowie den dazugehörigen und überlassenen Unterlagen in den Geschäftsräumen und Fahrzeugen des Notars zu suchen. Der mit dem Antrag vorgelegte Beschlussentwurf enthielt eine Klausel zur Abwendungsbefugnis des Notars. Der Ermittlungsrichter kam dem Antrag nicht nach, sondern regte an, zunächst aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein richterliches Herausgabeersuchen gemäß § 95 StPO zu beantragen. Auf entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft richtete er sodann am 8. August 2025 das Herausgabeersuchen an den Notar. Darin wird der Notar um unverzügliche Herausgabe der Originalurkunde … sowie dazugehöriger und überlassener Unterlagen ersucht. Am Ende des Ersuchens heißt es wörtlich:
Die Pflicht zur Herausgabe der Unterlagen ergibt sich aus § 95 StPO. Notarielle Urkunden sind vom Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 StPO nicht erfasst, da diese keiner besonderen Geheimhaltung unterliegen, sondern für die Kenntnisnahme Dritter bestimmt sind. Im Falle der Weigerung können deshalb gemäß § 95 Abs. 2 S. 1 StPO gegen die in § 70 bestimmten Ordnungs- und Zwangsmittel festgesetzt werden.
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Der Notar lehnte die Herausgabe der begehrten Dokumente ab. Mit Schreiben vom 14. Oktober 2025 übermittelte er der Staatsanwaltschaft die zwischenzeitlich von ihm beim zuständigen Landgerichtspräsidenten gemäß § 18 Abs. 3 BNotO eingeholte – ablehnende – Entscheidung über eine mögliche Schweigepflichtentbindung. Am 31. Oktober 2025 erhob der Notar zudem Beschwerde gegen das richterliche Herausgabeersuchen. Das Amtsgericht Nürnberg hat ihr nicht abgeholfen.
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Die Beschwerde ist gegen das richterliche Herausgabeersuchen statthaft (Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 95 Rn. 12) und auch im Übrigen zulässig. Sie hat in der Sache Erfolg.
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1. Das richterliche Herausgabeersuchen ist schon deshalb rechtswidrig, weil es den Beschwerdeführer irreführt und ihn zu Unrecht mit Sanktionen bedroht.
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a) Gemäß § 95 Abs. 1 StPO ist derjenige, der einen Gegenstand, welcher gemäß § 94 Abs. 1 StPO als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein könnte, in seinem Gewahrsam hat, verpflichtet, diesen auf Erfordern vorzulegen und auszuliefern. Weigert sich der Pflichtige, können ihm die in § 70 StPO genannten Ordnungs- und Zwangsmittel auferlegt werden (§ 95 Abs. 2 Satz 1 StPO). Das gilt jedoch nicht bei Personen, die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind (§ 95 Abs. 2 Satz 2 StPO). Der Beschwerdeführer ist als Notar zeugnisverweigerungsberechtigt (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO) und kann damit nicht zulässigerweise Adressat von Zwangsmitteln sein, wobei im Einzelnen streitig ist, ob schon die Herausgabepflicht als solche (so Jahn in FS Roxin, 2011, S. 1357, 1362 f.) oder nur deren zwangsweise Durchsetzbarkeit (Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 95 Rn. 6 m.w.N.) entfällt (vgl. LR-StPO/Menges, 27. Aufl., § 95 Rn. 15: im Ergebnis gleichgültig). Damit war das angegriffene Herausgabeverlangen jedenfalls nicht zwangsweise durchsetzbar. Dass der Beschwerdeführer nicht selbst die streitbefangene Urkunde erstellt hat, sondern er lediglich Amtsnachfolger des seinerzeit beurkundenden Notars und der aktuelle Verwahrer der Urkunde ist, ändert an dieser Rechtslage nichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. März 1972 – 2 BvR 28/71, juris Rn. 30).
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Hier wurde der Beschwerdeführer auf eine jedenfalls nicht durchsetzbare Verpflichtung zur Herausgabe hingewiesen, die behauptetermaßen, tatsächlich jedoch nicht, mit Ordnungs- und Zwangsmitteln durchgesetzt werden könnte, und so rechtswidrig in seiner Entschlussfreiheit eingeschränkt.
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b) Soweit in dem richterlichen Herausgabeersuchen und auch in der Beschwerde ausgeführt wird, dass die Anordnung von Zwangsmitteln möglich sei, da im konkreten Fall die notariellen Urkunden vom Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 StPO nicht erfasst seien, geht das fehl. Der Wortlaut des § 95 Abs. 2 Satz 2 StPO stellt explizit auf die Eigenschaft des Adressaten als Zeugnisverweigerungsberechtigter gemäß den §§ 52 ff. StPO ab und nicht auf eine etwaige Befreiung des Gegenstandes vom Beschlagnahmeprivileg gemäß § 97 StPO. Auch bei einer Beschlagnahmefähigkeit des herausverlangten Gegenstandes – hier wäre zudem zwischen Urkunde und sonstigen Unterlagen zu differenzieren – bliebe jedenfalls das Herausgabeverlangen gemäß § 95 Abs. 1 StPO zumindest nicht durchsetzbar (vgl. LR-StPO/Menges, 27. Aufl., § 95 Rn. 25).
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2. Zweifelhaft ist zudem, ob das richterliche Herausgabeersuchen tatsächlich in gegebener Konstellation verhältnismäßig wäre.
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Die dem Ersuchen zugrunde liegende Erwägung, aus Verhältnismäßigkeitsgründen könne an eine nichtverdächtige Person statt mit einem Durchsuchungsbeschluss nach § 103 StPO vorrangig mit einem (isolierten) richterlichen Herausgabeverlangen herangetreten werden (vgl. BGH, Beschluss vom 18. November 2021 – StB 6 + 7/21, juris Rn. 17; LG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 28. Januar 2020 – 23 Qs 54/19, juris Rn. 19; LG Dresden, Beschluss vom 27. November 2013 – 5 Qs 113/13, juris Rn. 10), stellt für einen nicht von der Schweigepflicht entbundenen Berufsgeheimnisträger i.S.d. § 53 StPO nur prima facie ein milderes Mittel dar.
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Tatsächlich wird dem Berufsgeheimnisträger damit angesonnen, strittige Rechtsfragen zu beantworten, die – wenn die Antworten falsch ausfallen – die Gefahr eigener Strafbarkeit gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB heraufbeschwören können. Er darf nach dieser Strafnorm keine von ihr geschützten Geheimnisse unbefugt offenbaren. Unbefugt ist die Offenbarung durch einen nicht von der Schweigepflicht entbundenen Berufsgeheimnisträger, wenn sie sonst nicht gerechtfertigt ist (vgl. Fischer/Anstötz, StGB, 72. Aufl., § 203 Rn. 61 ff.). Zuerst müsste er also für sich die im Einzelfall schwierige Rechtsfrage beantworten, ob der von ihm herausverlangte Gegenstand nach § 97 StPO beschlagnahmefrei ist. Nur wenn er es nicht ist, könnte überhaupt ein Herausgabeverlangen an ihn gerichtet werden (Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 95 Rn. 6; KK-StPO/Greven, 9. Aufl., § 95 Rn. 2; Auffermann/Vogel, NStZ 2016, 387, 391). Fehlt es schon an der Zulässigkeit des Herausgabeverlangens, ist auch die Offenbarung objektiv unbefugt. Ist der Gegenstand aber beschlagnahmefähig – im konkreten Fall ist das jedenfalls hinsichtlich der Urkunde selbst der Fall (vgl. LG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 28. Januar 2020 – 23 Qs 54/19, juris Rn. 13) –, stellt sich weiter die oben angesprochene Frage, ob gegenüber dem Berufsgeheimnisträger überhaupt ein Herausgabeanspruch i.S.d. § 95 StPO besteht; nur bejahendenfalls könnte daraus ein Rechtfertigungsgrund erwachsen, das aber auch nur dann, wenn die Leistung auf einen nicht durchsetzbaren Anspruch als rechtfertigend im Sinne des § 203 StGB anerkannt würde. Diese Rechtsfragen sind ungeklärt.
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Das könnte dafür sprechen, dass im Fall eines nicht von der Schweigepflicht entbundenen Berufsgeheimnisträgers ein auf beschlagnahmefähige Gegenstände gerichtetes Herausgabeverlangen i.S.d. § 95 StPO erst dann verhältnismäßig sein könnte, wenn die Ermittlungsbehörde zugleich schon die Grundlage für die Anwendung von Zwangsmitteln (einen Durchsuchungs- oder einen Beschlagnahmebeschluss) in der Hand hält und mit deren Durchführung droht. Denn erst dadurch würde der Berufsgeheimnisträger aus der Gefahr der eigenen Strafbarkeit herausgeführt. Gibt er nämlich die geforderte Sache heraus, um selbst einem gegen ihn gerichteten Zwang zu entgehen, handelt er in Wahrnehmung berechtigter Interessen (zudem möglicherweise auch durch Notstand gem. § 34 StGB gerechtfertigt) und damit nicht unbefugt i.S.d. § 203 StGB (vgl. Rogall, NStZ 1983, 1, 6; in der Sache auch MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, 5. Aufl., § 203 Rn. 94; TK-StGB/Eisele, 31. Aufl., § 203 Rn. 60 [beide unter Rückgriff auf § 34 StGB]; a.A. LK-StGB/Hilgendorf, 13. Aufl., § 203 Rn. 186; SK-StGB/Hoyer, 10. Aufl., § 203 Rn. 117, beide m.w.N. zum Streitstand). Dieser Rechtfertigungsgrund ist implizit anerkannt durch die richterrechtlich entwickelte und regelmäßig angewandte Figur der Abwendungsbefugnis, die dem Betroffenen gestattet, zur Meidung einer Durchsuchung die gesuchte Sache herauszugeben (vgl. BGH, Beschluss vom 6. September 2023 – StB 40/23, juris Rn. 21; BGH, Beschluss vom 18. November 2021 – StB 6 + 7/21, juris Rn. 17; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 22. November 2024 – 18 Qs 17/24, juris Rn. 94 m.w.N.). Denn es wäre widersinnig und rechtswidrig, einerseits die Aufnahme einer Abwendungsbefugnis im Durchsuchungsbeschluss aus Verhältnismäßigkeitsgründen zu fordern, andererseits denjenigen, der von ihr Gebrauch macht, dann gerade deswegen strafrechtlich zu verfolgen. Praktisch führt das alles bei einem nicht von der Schweigepflicht entbundenen Berufsgeheimnisträger dazu, dass das Herausgabeersuchen nach § 95 StPO regulatorisch mit einer im Durchsuchungsbeschluss enthaltenen Abwendungsbefugnis zusammenfällt. Einen die Eingriffsschwere mildernden Effekt hat das Ersuchen in diesem Fall nicht. Dann aber ist es überflüssig und als eigenständige Maßnahme neben einem Durchsuchungsbeschluss samt Abwendungsbefugnis mithin ungeeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeitsprüfung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO analog.