Titel:
Aufrechnung, Prüfungsumfang, Verrechnung
Normenketten:
JVEG § 19
JVEG § 20
JVEG § 4 Abs. 1
JVEG § 4 Abs. 3
Leitsätze:
1. Zum Umfang der Überprüfung der gerichtlichen Festsetzung der Entschädigung im Beschwerdeverfahren.
2. Eine gerichtliche Festsetzung der Entschädigung nach § 4 Abs. 1 JVEG kann ausschließlich die Prüfung der Bestimmungen des JVEG umfassen; die Möglichkeit einer Verrechnung im Wege der Aufrechnung mit Forderungen der Staatskasse aus anderen Verfahren bzw. deren rechtsvernichtende Wirkung sind im JVEG nicht geregelt.
3. Die Aufrechnung von Forderungen der Staatskasse mit Zahlungsansprüchen ist nach Art. 70 BayHO der Kasse bzw. Zahlstelle zugeordnet.
Schlagworte:
Aufrechnung, Prüfungsumfang, Verrechnung
Vorinstanz:
SG München, Beschluss vom 10.08.2021 – S 28 RF 10/21 E
Fundstelle:
BeckRS 2025, 32372
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 10.08.2021, S 28 RF 10/21 E, aufgehoben.
II. Die Entschädigung des Beschwerdeführers für die Wahrnehmung des Begutachtungstermins am 09.12.2020 wird auf 28,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist ein Anspruch des Antragstellers und Beschwerdeführers (Bf) auf Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) wegen der Wahrnehmung eines gerichtlich angeordneten Begutachtungstermins.
2
Im dem Klageverfahren beim Sozialgericht München (SG) war der Bf zu einer Begutachtung durch einen medizinischen Sachverständigen in M am 09.12.2020 eingeladen worden. Ausweislich der Anwesenheitsbescheinigung des Sachverständigen war der Bf am 09.12.2020 von 8:00 bis ca.15:00 Uhr anwesend.
3
Mit Entschädigungsantrag vom 26.12.2020, eingegangen am 29.12.2020, machte der Bf eine Entschädigung wegen Zeitversäumnis (Rückkehr ca. 15:00 Uhr) geltend. Eine Fahrkarte für die Fahrt zum Begutachtungstermin und zurück hatte das SG dem Bf bereits vorab zur Verfügung gestellt.
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Die Kostenbeamtin stellte mit Schreiben vom 07.04.2021 eine Entschädigung bei Nachteilsausgleich für einen Zeitraum von acht Stunden (7:00 bis 15:00 Uhr) in Höhe von 3,50 Euro pro Stunde und damit von 28,00 Euro fest. Zugleich erklärte sie nach VV 19.1.1 zu Art. 70 BayHO die Aufrechnung der Forderung der Staatskasse aufgrund einer Prozesskostenhilfe (PKH)-Rückforderung in dem Verfahren S 51 AS 28/14 (Rechnung vom 14.06.2018 über 537,29 Euro) gegen den Anspruch des Bf und setzte den auszuzahlenden Entschädigungsanspruch auf 0,00 Euro fest. Die gesetzlichen Voraussetzungen nach §§ 387 ff. BGB lägen vor. Der Entschädigungsanspruch des Bf, die Hauptforderung, müsse weder fällig noch durchsetzbar sein. Die PKH-Rückforderung sei fällig und durchsetzbar, da der PKH-Aufhebungsbeschluss vom 07.02.2018 rechtskräftig geworden sei. Die Staatskasse sei Schuldnerin und Gläubigerin einer öffentlich-rechtlichen Forderung in Geld. Die Forderungen seien gleichartig und gegenseitig. Ein Aufrechnungsverbot bestehe hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs nur für tatsächliche Auslagen, nicht jedoch für sonstige Entschädigungen nach dem JVEG – hier die beantragte allgemeine Zeitentschädigung. Die Aufrechnung sei zulässig und demnach zwingend schriftlich zu erklären. Als Folge der Aufrechnung werde der Entschädigungsanspruch des Bf in Höhe von 28,00 Euro nicht ausgezahlt und die PKH-Rückforderung verringere sich um 28,00 Euro auf 509,29 Euro.
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Am 14.04.2021 hat der Bf gegen die Aufrechnungserklärung Widerspruch eingelegt. Die Aufrechnung sei unzulässig. Eine Forderung, die nicht pfändbar sei, dürfe nicht aufgerechnet werden. Im Übrigen handele es sich bei der Aufrechnung um einen Verwaltungsakt; im Fall einer Ablehnung des Widerspruches sei eine Anfechtungsklage statthaft. Die richterliche Festsetzung sei hingegen kein statthaftes Rechtsmittel. Auch werde ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör geltend gemacht, der Bf sei vor der Aufrechnungserklärung nicht angehört worden. Gegen die Festsetzung der 28,00 Euro wegen allgemeiner Zeitentschädigung sei nichts einzuwenden.
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Der Vertreter der Staatskasse hat unter Hinweis auf Erläuterungen zu den Verwaltungsvorschriften zu Art. 70 der Bayerischen Haushaltsordnung (BayHO) ausgeführt, dass bei Anwendung eines Mittelbewirtschaftungssystems wie IHV die Geschäftsstelle für die schriftliche Aufrechnungserklärung zuständig sei. Die Aufrechnung sei kein eigenständiger Verwaltungsakt, weshalb die erteilte Rechtsbehelfsbelehrungzu § 4 JVEG keinen Bedenken begegne. Geldansprüche auf Ersatz immaterieller Schäden seien frei übertragbar und damit pfändbar. Rein hilfsweise werde darauf hingewiesen, dass umstritten sei, ob einem Arbeitslosen überhaupt ein Nachteil durch eine gerichtliche Zuziehung in seinem Verfahren entstehe und er deshalb überhaupt anspruchsberechtigt gem. § 20 JVEG sei.
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Das SG hat mit Beschluss vom 10.08.2021 die Entschädigung des Bf für seine Heranziehung am 09.12.2020 im Verfahren auf 0,00 Euro festgesetzt. Es hat die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
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Statthaftes Rechtsmittel sei, auch wenn sich der Bf lediglich gegen die Aufrechnung wende, der Antrag gemäß § 4 Abs. 1 JVEG. Die Kostenbeamtin habe im Zusammenhang mit der erklärten Aufrechnung keinen Verwaltungsakt erlassen, gegen den der Bf zulässig Widerspruch erheben könnte. Sie habe wegen der Aufrechnung nach dem Gesamtzusammenhang weder Aktivitäten entfaltet, die Verwaltungsverfahren mit dem Ziel des Abschlusses durch Verwaltungsakt hätten sein können (vgl. § 8 SGB X), noch ihre Entscheidung als Verwaltungsakt bezeichnet oder anderweitig den Eindruck erweckt, sie habe durch Verwaltungsakt über die Aufrechnung entschieden. Die durch die Kostenbeamtin abgegebene Erklärung, es werde keine Entschädigung ausgezahlt, sei somit kein (feststellender) Verwaltungsakt und auch keine gesonderte Ablehnung der Auszahlung. Der vom Antragsteller eingelegte Widerspruch sei daher als Antrag auf gerichtliche Festsetzung der Entschädigung gem. § 4 Abs. 1 JVEG auszulegen.
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Die Entschädigung sei auf 0,00 Euro festzusetzen. Die Kostenbeamtin habe zutreffend eine Entschädigung von 28,00 Euro zugunsten des Bf berechnet. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 JVEG lägen vor. Es sei davon auszugehen, dass dem Bf aufgrund der Heranziehung am 09.12.2020 ein Nachteil entstanden sei. Aufgrund der vom Bf angegebenen erforderlichen Zeit der Heranziehung und der Anwesenheitsbescheinigung des Sachverständigen seien acht Stunden á 3,50 Euro, also 28,00 Euro, zu entschädigen.
10
Der Anspruch des Bf sei durch die Aufrechnungserklärung der Kostenbeamtin vom 07.04.2021 erloschen. Eine Anhörung des Bf vor Erklärung der Aufrechnung sei nicht notwendig gewesen; ein Verwaltungsverfahren i.S.d. § 8 SGB X habe nicht vorgelegen. Die Voraussetzungen der Aufrechnung nach §§ 387ff. BGB seien gegeben. Eine Aufrechnungslage habe zum Zeitpunkt des Zugangs der Aufrechnungserklärung vorgelegen. Eine Aufrechnungslage bestehe, wenn die in § 387 BGB normierten Tatbestandsmerkmale Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit, Durchsetzbarkeit der Aktivforderung des Aufrechnenden und Erfüllbarkeit der Passivforderung des Aufrechnungsgegners gegeben seien (BGH, Urteil vom 19.11.2013, Az. II ZR 18/12, Rn. 11, m.w.N.). Die Staatskasse und der Bf schuldeten einander (bestehende) Geldforderungen und damit Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig seien. Die Staatskasse habe die ihr geschuldete Leistung aufgrund PKH-Rückforderung in dem Verfahren S 51 AS 28/14 fordern können; die Forderung des Bf auf Entschädigung sei entstanden und erfüllbar. Die Aufrechnungserklärung sei mit Schreiben der Kostenbeamtin vom 07.04.2021 erfolgt.
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Auch habe kein Aufrechnungsausschluss i.S.d. § 394 Satz 1 BGB bestanden. Es liege keine Aufrechnung gegen eine unpfändbare Forderung vor. Gem. § 850a Nr. 3 ZPO seien unpfändbar u.a. Aufwandsentschädigungen, soweit diese Bezüge den Rahmen des Üblichen nicht überstiegen. Vorliegend gehe es um eine Entschädigung des Bf wegen Nachteilsausgleich und nicht um eine Aufwandsentschädigung (etwa Fahrkosten). Somit handele es sich bei der Forderung des Bf um keine unpfändbare Forderung. Ein Aufrechnungsausschluss wegen Unpfändbarkeit bestehe daher nicht (vgl. auch SG Potsdam, Beschluss vom 28.09.2020, Az. S 30 SF 198/20 F).
12
Die Aufrechnung sei daher zulässig und wirksam. Infolge der Aufrechnung sei die Entschädigung des Bf für seine Heranziehung am 09.12.2020 im Verfahren auf 0,00 Euro festzusetzen. Die Beschwerde sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Aufrechnungsthematik zuzulassen (§ 4 Abs. 3 JVEG).
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Hiergegen hat der Bf Beschwerde erhoben und ausgeführt, das SG gehe fehlerhaft davon aus, dass die richterliche Festsetzung statthaft sei. Der festgesetzte Entschädigungsbetrag sei aber unstreitig. Im Bescheid vom 07.04.2021 sei jedoch mit einer Gegenforderung aufgerechnet worden. Gegen die Aufrechnung, die einen Verwaltungsakt darstelle, sei richtigerweise trotz falscher RechtsmittelbelehrungWiderspruch eingelegt worden. Über diesen sei noch nicht entschieden worden. Ggf. könne gegen einen Widerspruchsbescheid Anfechtungsklage erhoben werden. Streitig sei damit lediglich die Aufrechnungserklärung. Die Festsetzung der Entschädigung auf 0,00 Euro durch das SG sei rechtswidrig, die Entschädigung betrage, wie bereits festgesetzt, 28,- Euro. Eine Aufrechnung sei aufgrund der Pfändungsfreigrenzen rechtswidrig. Unpfändbare Forderungen seien nach §§ 393, 394 BGB nicht aufrechenbar. Auch für den Fall, dass das Gericht davon ausgehe, dass eine Aufrechnungserklärung keinen Verwaltungsakt darstelle, sei in dem Schreiben vom 07.04.2021 eine falsche Rechtsmittelbelehrungerteilt worden mit der Folge, dass die Aufrechnungserklärung als öffentliche Willenserklärung anzufechten wäre.
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Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren an das Bayerische Landessozialgericht weitergeleitet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren L 12 SF 225/21 und S 28 RF 10/21 verwiesen.
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Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Beschluss des SG vom 10.08.2021, mit dem dieses die Entschädigung des Bf für seine Heranziehung am 09.12.2020 im Verfahren mit der Begründung auf 0,00 Euro festgesetzt hat, der Anspruch des Bf sei durch die Aufrechnungserklärung der Kostenbeamtin vom 07.04.2021 erloschen.
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Das Verfahren ist zur Entscheidung wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen worden, § 4 Abs. 7 S. 2 JVEG.
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Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das SG hat mit dem angegriffenen Beschluss vom 10.08.2021 zu Unrecht die Entschädigung des Bf für die Wahrnehmung des Begutachtungstermins am 09.12.2020 auf 0,00 Euro festgesetzt.
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1.) Die Beschwerde ist gemäß § 4 Abs. 3 JVEG zulässig, weil sie sich gegen eine Festsetzung der Entschädigung durch gerichtlichen Beschluss gemäß § 4 Abs. 1 JVEG richtet und das SG die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zugelassen hat.
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2.) Die Beschwerde ist auch begründet.
21
Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der von den Kostenbeamten vorgenommenen Ermittlung der Entschädigung oder Vergütung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Festsetzung durch die Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.11.1968, Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos. Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungs- oder Vergütungsanspruchs vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg erfolgte Festsetzung beschränkt zu sein.
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Auch im Beschwerdeverfahren ist eine vollständige Prüfung der Festsetzung der Vergütung ohne Beschränkung auf die mit der Beschwerde vorgetragenen Umstände vorzunehmen. Allerdings ist im Beschwerdeverfahren das Verbot der reformatio in peius – anders als im Antragsverfahren nach § 4 Abs. 1 JVEG – zu beachten (vgl. Beschluss des Senats vom 11.01.2021, Az.: L 12 SF 113/19 m.w.N.).
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a.) Der Senat hatte im Rahmen des Beschwerdeverfahrens die Festsetzung des SG vollumfänglich zu überprüfen. Die Beschwerde gegen die richterliche Festsetzung ist eine Tatsacheninstanz. Das Beschwerdegericht hat anstelle des Erstrichters zu entscheiden. Ihm obliegt damit die volle Nachprüfung der Festsetzung. Sie umfasst alle die für die Bemessung der Entschädigung maßgeblichen Umstände, unabhängig davon, ob sie ein Beschwerdeführer aufgegriffen hat oder nicht (vgl. Jahnke/Pflüger, JVEG Kommentar 28. Auflage 2021, § 4 Rn. 18).
24
Der Bf hatte sich mit seinem „Widerspruch“ ausdrücklich gegen die Aufrechnungserklärung der Kostenbeamtin gewendet und mitgeteilt, gegen die Festsetzung der 28,00 Euro wegen allgemeiner Zeitentschädigung sei nichts einzuwenden. Das SG hatte dies als Antrag auf Festsetzung der Entschädigung durch gerichtlichen Beschluss gemäß § 4 Abs. 1 JVEG ausgelegt und war von einer Statthaftigkeit des Antrags auf gerichtliche Festsetzung der Entschädigung ausgegangen. Es hatte eine eigene, von der von der Kostenbeamtin vorgenommenen Berechnung unabhängige, erstmalige Festsetzung vorgenommen und in diesem Rahmen auch die von der Kostenbeamtin erklärte Aufrechnung überprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, der Anspruch des Bf sei durch die Aufrechnungserklärung erloschen. Das SG hatte daher die Entschädigung des Bf für die Wahrnehmung des Begutachtungstermins am 09.12.2020 auf 0,00 Euro festgesetzt.
25
Dem Senat oblag die volle Nachprüfung dieser Festsetzung.
26
b.) Die Entschädigung des Bf für die Wahrnehmung des Begutachtungstermins am 09.12.2020 wird auf 28,00 Euro festgesetzt.
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Beteiligte eines gerichtlichen Verfahrens sind gemäß § 191 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wie Zeugen zu entschädigen, sofern es sich – wie hier – um ein gerichtskostenfreies Verfahren im Sinn des § 183 SGG handelt. Die Entschädigung ergibt sich aus dem JVEG. Die Entschädigungstatbestände (für einen Zeugen) sind in § 19 JVEG aufgelistet.
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aa.) Vorliegend hat der Bf mit Entschädigungsantrag vom 26.12.2020, eingegangen am 29.12.20202, eine Entschädigung für Zeitversäumnis geltend gemacht. Gegen die Festsetzung des SG (wie auch zuvor der Kostenbeamtin) einer Entschädigung bei Nachteilsausgleich für einen Zeitraum von acht Stunden in Höhe von 3,50 Euro pro Stunde und damit von 28,00 Euro hat sich der Bf zwar nicht gewendet, es war aber unabhängig von den gestellten Anträgen eine Überprüfung durchzuführen (vgl. Jahnke/Pflüger, JVEG Kommentar 28. Auflage 2021, § 4 Rn. 12).
29
Der Senat kommt, wie das SG, zu dem Ergebnis, dass dem Bf eine Entschädigung für Zeitversäumnis gem. § 20 JVEG (in der bis 31.12.2020 geltenden Fassung) zu gewähren ist. Danach ist eine Entschädigung für Zeitversäumnis in Höhe von 3,50 Euro pro Stunde zu erbringen, wenn weder für einen Verdienstausfall noch für Nachteile bei der Haushaltsführung eine Entschädigung zu gewähren ist, es sei denn, dem Zeugen ist durch seine Heranziehung ersichtlich kein Nachteil entstanden. Für eine Entschädigung nach § 20 JVEG ist es nicht erforderlich, dass dem Berechtigten geldwerte Vorteile entgehen. Gemäß § 20 letzter Halbsatz JVEG besteht eine widerlegbare gesetzliche Vermutung dahingehend, dass ein Nachteil erstanden ist.
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Da nicht ersichtlich ist, dass dem Bf kein Nachteil entstanden ist und damit die gesetzliche Vermutung des § 20 JVEG widerlegt und eine Entschädigung nach § 20 JVEG ausgeschlossen wäre, ist dem Bf eine Entschädigung für Zeitversäumnis zu gewähren. Die Entschädigung nach § 20 JVEG wird nach Stunden gewährt. Die Dauer der zu entschädigenden Zeit ergibt sich aus § 19 Abs. 2 JVEG. Danach ist gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 JVEG die gesamte Dauer der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten zu berücksichtigen. Die Berechnung eines Betrages von 28,- Euro ist ausgehend von einer plausiblen Dauer der Heranziehung von insgesamt acht Stunden nicht zu beanstanden. Gegen diese Festsetzung hatte sich der Bf auch ausdrücklich nicht gewendet.
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bb.) Der Bf hat eine Erstattung von Fahrtkosten nach § 5 JVEG nicht geltend gemacht. Ihm war auf seinen Antrag bereits vorab vom SG eine Fahrkarte zur Verfügung gestellt worden. Ein weiterer Entschädigungsanspruch kommt nicht in Betracht.
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c.) Das SG ist zu Unrecht in einem zweiten Schritt zu dem Ergebnis gekommen, die Entschädigung sei auf 0,00 Euro festzusetzen, da der Anspruch des Bf durch die Aufrechnungserklärung der Kostenbeamtin vom 07.04.2021 erloschen sei. Eine im Rahmen der Festsetzung der Entschädigung durch gerichtlichen Beschluss nach § 4 Abs. 1 JVEG vorzunehmende Kürzung des Entschädigungsanspruchs, die sich alleine aus den Regelungen des JVEG ergeben könnte, ist nicht ersichtlich.
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Das SG hatte in dem mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss ausgeführt, der Anspruch des Bf sei durch die Aufrechnungserklärung der Kostenbeamtin vom 07.04.2021 erloschen. Die Voraussetzungen der Aufrechnung nach §§ 387ff. BGB seien gegeben. Die Aufrechnung sei daher zulässig und wirksam. Infolge der wirksamen Aufrechnung sei die Entschädigung des Bf für seine Heranziehung am 09.12.2020 im Verfahren auf 0,00 Euro festzusetzen. Die Kostenbeamtin hatte insofern in ihrem Schreiben vom 07.04.2021 nach VV 19.1.1 zu Art. 70 BayHO die Aufrechnung der Forderung der Staatskasse aufgrund einer PKH-Rückforderung in dem Verfahren S 51 AS 28/14 (Rechnung vom 14.06.2018 über 537,29 Euro) gegen den Anspruch des Bf, erklärt und den auszuzahlenden Entschädigungsanspruch auf 0,00 Euro festgesetzt.
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Eine Kürzung einer beantragten Entschädigung nach den Regelungen des JVEG auf 0,00 Euro könnte sich aber nur dann ergeben, wenn der Bf nicht Anspruchsberechtigter wäre, wenn die Voraussetzungen des § 191 SGG nicht vorliegen würden, es beispielsweise an der Anordnung des persönlichen Erscheinens fehlen würde, wenn der Bf die Frist zur Geltendmachung der Entschädigung nicht eingehalten hätte oder wenn kein Entschädigungstatbestand nach § 19 JVEG erfüllt wäre. Ein solcher Sachverhalt ist vorliegend aber unstreitig nicht gegeben.
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Das SG hat vielmehr die von der Kostenbeamtin aus eigener Entschließung im Rahmen der Feststellung des Entschädigungsanspruchs erklärten Aufrechnung für zulässig und wirksam erachtet und hat aufgrund der von der Kostenbeamtin vorgenommenen Aufrechnung ein Erlöschen des Entschädigungsanspruchs an- und eine Reduzierung des zuvor errechneten Entschädigungsbetrags auf 0,00 Euro vorgenommen.
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Mit dieser Kürzung ist das SG über die ihm im Rahmen der Festsetzung der Entschädigung durch gerichtlichen Beschluss gemäß § 4 Abs. 1 JVEG zustehende Kompetenz zur Prüfung der Bestimmungen des JVEG hinausgegangen. Die von ihm vorgenommene Kürzung ist nicht Gegenstand des Antragsverfahrens auf Festsetzung der Entschädigung durch gerichtlichen Beschluss gemäß § 4 Abs. 1 JVEG. Zwar stellt die Festsetzung durch gerichtlichen Beschluss gemäß § 4 Abs. 1 JVEG keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Ermittlung der Entschädigung oder Vergütung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Sie kann aber offensichtlich ausschließlich die Festsetzung einer Entschädigung nach den Regelungen des JVEG umfassen. Die Möglichkeit einer Verrechnung im Wege der Aufrechnung mit Forderungen der Staatskasse aus anderen Verfahren bzw. deren rechtsvernichtende Wirkung sind im JVEG gerade nicht geregelt.
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Die Möglichkeit einer Aufrechnung von Forderungen der Staatskasse mit Zahlungsansprüchen ist vielmehr in den Verwaltungsvorschriften der BayHO (VV-BayHO) geregelt und dort der Kasse bzw. Zahlstelle zugeordnet. Die Bestimmungen in Art. 70 BayHO, nach dem Zahlungen nur von Kassen und Zahlstellen angenommen und geleistet werden dürfen, und die Anordnung der Zahlung u.a. durch ermächtigte Dienststellen erteilt werden muss, setzen eine organisatorische Trennung der Anordnung von der Ausführung der Zahlung und damit die Unterscheidung und Trennung von Verwaltungs- und Kassenaufgaben sowie die Zuweisung der beiden Aufgabenbereiche an verschiedene Stellen voraus (vgl. Haferkorn/Michl-Wolfrum, Bayerisches Haushaltsrecht, 111. AL Juli 2018, Art. 70 S. 39). Die Zahlung von berechneten und angewiesenen Entschädigungen erfolgt durch die zuständige Kasse oder Zahlstelle (vgl. Jahnke/Pflüger, JVEG Kommentar 28. Auflage 2021, § 2 Rn. 7), hier die Staatsoberkasse in Landshut. Aus den VV zu Art. 70 BayHO ergeben sich als mögliche Zahlungswege neben Überweisungen (a.) und Lastschriftverfahren (b.) u.a. auch Verrechnungen (Ziffer 16 e). Verrechnungen im Wege der Aufrechnung sind in Ziffer 19.1 VV-BayHO geregelt. Danach ist, wenn die Kasse oder Zahlstelle eine Auszahlung an einen Empfangsberechtigten zu leisten hat, gegen den sie eine fällige Forderung hat, gegen den Anspruch des Empfangsberechtigten auf den auszuzahlenden Betrag aufzurechnen, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind (Ziffer 19.1.1).
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Keinesfalls konnte vor diesem Hintergrund das SG im Rahmen der Festsetzung der Entschädigung durch gerichtlichen Beschluss nach § 4 Abs. 1 JVEG selbst eine dem Bereich der Kassenaufgaben zuzuordnende Verrechnung im Wege einer Aufrechnung vornehmen und damit den selbst berechneten Entschädigungsanspruch entsprechend vermindern und auf 0,00 Euro festsetzen.
39
Auch konnte das SG nicht im Rahmen seiner Festsetzung der Entschädigung feststellen, dass der Anspruch des Bf aufgrund einer zulässigen und wirksamen Aufrechnung der Kostenbeamtin erloschen sei.
40
Selbst wenn – vor dem Hintergrund, dass es sich, wie oben ausgeführt, bei der Festsetzung der Entschädigung durch die Kostenbeamten lediglich um eine vorläufige Regelung handelt, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird – die von der Kostenbeamtin im Rahmen der von ihr vorgenommenen Festsetzung der Entschädigung abgegebene Aufrechnungserklärung überhaupt noch Bestand gehabt hätte und damit vom SG berücksichtigt hätte werden können, hätte das SG im Rahmen der gerichtlichen Festsetzung der Entschädigung die Aufrechnung nicht als zulässig und wirksam berücksichtigen dürfen.
41
Zum einen konnte im Hinblick auf das in Art. 70 BayHO gesetzlich normierte Prinzip der Aufgabentrennung und die oben zitierten für die Verwaltung bindenden Verwaltungsvorschriften das SG nicht feststellen, dass die Kostenbeamtin im Rahmen ihrer Festsetzung der Entschädigung des Bf nach dem JVEG eine Verrechnung im Wege der Aufrechnung vornehmen konnte. Im Übrigen konnte das SG das Vorliegen einer Aufrechnungslage im Sinne der Ziffer 19.1.1 VV-BayHO, nach dem, wenn die Kasse oder Zahlstelle eine Auszahlung an einen Empfangsberechtigten zu leisten hat, gegen den sie eine fällige Forderung hat, gegen den Anspruch des Empfangsberechtigten auf den auszuzahlenden Betrag aufzurechnen, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind (Ziffer 19.1.1), zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung der Kostenbeamtin mit Schreiben vom 07.04.2021 nicht feststellen. Denn – vor dem Hintergrund, dass, wie oben ausgeführt, es sich bei der Festsetzung durch die Kostenbeamten lediglich um eine vorläufige Regelung handelt, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird – stand jedenfalls aufgrund des Verfahrens nach § 4 Abs. 1 JVEG zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung ein Entschädigungsanspruch des Bf in Höhe von 28,- Euro, den die Kasse an den Bf hätte auszahlen müssen, einer etwaigen Gegenforderung nicht entgegen.
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Nach allem ist das SG in dem mit der Beschwerde angegriffenen Beschluss zu Unrecht im Rahmen der Festsetzung der Entschädigung durch gerichtlichen Beschluss gemäß § 4 Abs. 1 JVEG zu dem Ergebnis gekommen, der Anspruch des Bf sei durch die Aufrechnungserklärung der Kostenbeamtin vom 07.04.2021 erloschen.
43
Ob der mit vorliegendem Beschluss des Senats festgesetzte Entschädigungsanspruch in Höhe von 28,- Euro mit einer ggf. bestehenden Forderung der Staatskasse im Wege der Aufrechnung verrechnet werden könnte, ob also die Voraussetzungen einer Aufrechnung nach den §§ 398 ff BGB vorliegen könnten, ist weder Gegenstand einer Festsetzung der Entschädigung durch gerichtlichen Beschluss gemäß § 4 Abs. 1 JVEG, noch war dies im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu prüfen.
44
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
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Er ergeht gebührenfrei; Kosten sind nicht zu erstatten (§ 4 Abs. 8 JVEG).