Inhalt

OLG München, Endurteil v. 10.11.2025 – 33 U 1573/24 e
Titel:

Pflichtteilsanspruch, Pflichtteilsergänzung, Wertermittlung, Quotennießbrauch, fiktiver Nachlass, Schenkung, Stufenklage

Normenkette:
BGB § 2314, § 2325
Leitsätze:
1. Werden Gesellschaftsanteile unter Vorbehalt eines Quotennießbrauchs unentgeltlich übertragen, hindert dies den Beginn der Abschmelzungsfrist im Sinne des § 2325 BGB, wenn eine wirtschaftliche Ausgliederung aus dem Vermögen des Übergebers nicht erfolgt (Anschluss an BGH, Urteil vom 27.04.1994, IV ZR 132/93, NJW 1994, 1791). Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn sich der Übergeber einen Quotennießbrauch in Höhe von 95% an den Gesellschaftsanteilen vorbehält.
2. Der Pflichtteilsberechtigte kann als Ausfluss des Niederstwertprinzips verlangen, dass eine vom Erblasser verschenkte Immobilie zu den Stichtagen des Schenkungsvollzugs und des Erbfalls bewertet wird, um den maßgeblichen Wert für die Bezifferung seines Pflichtteilsergänzungsanspruches zu ermitteln. 
Schlagworte:
Pflichtteilsanspruch, Pflichtteilsergänzung, Wertermittlung, Quotennießbrauch, fiktiver Nachlass, Schenkung, Stufenklage
Vorinstanz:
LG München I, Teilurteil vom 02.04.2024 – 3 O 14224/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 32343

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Teilurteil des Landgerichts München I vom 02.04.2024, Az. 3 O 14224/23, in Ziffer 1 abgeändert und – teilweise zur Klarstellung – wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, Wertermittlungsgutachten eines Sachverständigen vorzulegen bezüglich der Immobilie S.-straße in …, zum Stichtag 08.10.2023, bezüglich der Immobilie Z.-straße in …, zu den Stichtagen 23.04.2020 und 08.10.2022, sowie bezüglich der Gesellschaftsanteile an der … GmbH & Co. KG zu den Stichtagen 31.12.2008 und 08.10.2022.
Im Übrigen wird die Klage auf der Wertermittlungsstufe abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 18.000,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Kläger verfolgen im Wege der Stufenklage Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche.
2
Die Kläger sind zu jeweils 1/12 pflichtteilsberechtigt nach der am 08.10.2022 verstorbenen Erblasserin, deren Alleinerbe der Beklagte ist. Der Ehemann der Erblasserin ist am 12.01.2019 vorverstorben.
3
Mit Teil-Anerkenntnisurteil vom 06.02.2024 hat das Landgericht den Beklagten zur Auskunft über den Bestand des Nachlasses der Erblasserin durch Vorlage eines notariell aufgenommenen Nachlassverzeichnisses verurteilt. Nunmehr haben die Kläger vor dem Landgericht die Wertermittlung hinsichtlich des folgenden Grundbesitzes begehrt:
- hälftiger Miteigentumsanteil der Erblasserin an der Immobile S.-straße in …,
- Immobilie Z.-straße in …, die die Erblasserin mit notarieller Urkunde vom 05.04.2020 auf den Beklagten sowie dessen Tochter übertragen hat, wobei der Eigentumsübergang am 23.04.2020 in das Grundbuch eingetragen wurde,
- Immobilien H.-straße in …, die zum Betriebsvermögen der am 28.11.2008 gegründeten … GmbH & Co. KG (im Folgenden: die Gesellschaft) gehören, und an der die Erblasserin als Kommanditistin zu 50% beteiligt war. Die übrigen 50% standen im Eigentum des vorverstorbenen Ehemanns der Erblasserin.
4
Die Erblasserin und ihr Ehemann hatten mit notarieller Urkunde vom 17.12.2008 jeweils 47,5% ihrer Gesellschaftsanteile auf den Beklagten übertragen, der somit insgesamt eine Beteiligung in Höhe von 95% erhielt. Unter Ziffer VII der vorgenannten Urkunde haben sich die Übergeber einen Quotennießbrauch an den übertragen Gesellschaftsanteilen vorbehalten und folgende Regelung getroffen:
„Jeder Übergeber behält sich den Quotennießbrauch an dem übertragenen Gesellschaftsanteil auf seine Lebensdauer mit der Folge vor, dass 95% aller entnahmefähigen Gewinne dem Nießbraucher zustehen, während auf den Erwerber 5% der entnahmefähigen Gewinne entfallen. Dagegen gebühren außerordentliche Erträge im vollen Umfang dem Erwerber, so dass der Nießbraucher daran nicht beteiligt ist. Für die Stimmrechte an dem nießbrauchsbelasteten Gesellschaftsanteil gelten die gesetzlichen Bestimmungen. Danach übt der Nießbraucher das Stimmrecht bei den Beschlüssen über die laufenden Angelegenheiten der Gesellschaft und die zur Sicherung seines Fruchtziehungsrechtes notwendigen Kontroll- und Informationsrechte aus. Bei außerordentlichen Angelegenheiten gebührt das Stimmrecht allein dem Gesellschafter. Darüber hinaus stehen dem Gesellschafter alle gesetzlichen Kontroll- und Informationsrechte zu.
Im Falle der Veräußerung des nießbrauchsbelasteten Gesellschaftsanteils oder von wesentlichen Betriebsgrundlagen der Gesellschaft setzt sich der Nießbrauch am Surrogat des Nießbrauchers fort. Nach dem Ableben eines der Ehegatten ... steht dem Überlebenden ein inhaltsgleiches Nießbrauchsrecht auf seine Lebensdauer am Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters zu.“
5
Unter Ziff VI. des Übertragungsvertrags „Widerruf der Schenkung“ sind Rückübertragungsrechte der Übergeber festgehalten, etwa für den Fall der Veräußerung ohne Übergeberzustimmung.
6
Soweit die Kläger Wertermittlung für die Immobilie in der Z.-straße bzw. H.-straße (bzw. der Gesellschaftsanteile) verlangt haben, richtet sich ihr Antrag darauf, dass die Werte einerseits zum Zeitpunkt des Vollzugs der von ihnen insoweit behaupteten Schenkungen und andererseits zum Zeitpunkt des Erbfalls erfolgen solle.
7
Der Beklagte hat erstinstanzlich insbesondere einen Wertermittlungsanspruch bezüglich der H.-straße wegen behaupteten Ablaufs der 10-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB in Abrede gestellt.
8
Das Landgericht hat den Beklagten mit Teilurteil vom 02.04.2024 antragsgemäß zur Vorlage von Wertgutachten verurteilt, die durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erstellt worden sind.
9
Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Er meint, eine Wertermittlung zu zwei unterschiedlichen Stichtagen komme nicht in Betracht, gemäß § 2311 BGB sei nur der Zeitpunkt des Erbfalls maßgeblich. Die Immobilien in der H.-straße seien schon deswegen nicht zu bewerten, weil sie nicht den Gegenstand der Übertragung bildeten, vielmehr seien die Gesellschaftsanteile übertragen worden. Im Übrigen sei die Übertragung im Jahre 2008 erfolgt, so dass die Frist des § 2325 Abs. 3 BGB abgelaufen sei und Pflichtteilsergänzungsansprüche schon deshalb nicht mehr bestünden. Auch habe es sich nicht um eine Schenkung gehandelt.
10
Der Beklagte beantragt im Berufungsverfahren:
Das Teilurteil des Landgerichts München I vom 02.04.2024, Az. 3 O 14224/23, wird abgeändert und die Klage abgewiesen.
Hilfsweise
Das Teilurteil vom 02.04.2024 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
11
Die Kläger verteidigen das angefochtene Teilurteil und beantragen die Zurückweisung der Berufung. Mit Schriftsatz vom 17.06.2025 haben sie erklärt, aus dem angefochtenen Urteil keine Rechte insoweit herzuleiten, als der zu beauftragende Sachverständige öffentlich bestellt und vereidigt sein müsse. Darüber hinaus haben sie vorsorglich eine Bewertung der Gesellschaftsanteile beantragt.
12
Der Senat hat am 11.06.2025 einen Hinweisbeschluss erlassen, auf den Bezug genommen wird und am 13.10.2025 mündlich verhandelt. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
II.
13
1. Die Berufung des Beklagten ist lediglich insoweit erfolgreich, als die Kläger keinen Anspruch darauf haben, dass die begehrten Wertermittlungsgutachten von einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen angefertigt werden. Maßgeblich für die Frage, wer ein Wertermittlungsgutachten im Sinne des § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB erarbeiten kann, ist allein die Sachkunde des beauftragten Sachverständigen, für die wiederum der Beklagte die Beweislast trägt.
14
2. Die Berufung bleibt ohne Erfolg, soweit sich der Beklagte gegen die Verurteilung zur Vorlage von Wertermittlungsgutachten betreffend die Immobilien S.- und Z.-straße sowie der Gesellschaftsanteile (Miethäuser in der H.-straße) wendet. Insoweit haben die Kläger einen Anspruch auf Vorlage von Sachverständigengutachten gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB.
15
a) Die Kläger sind pflichtteilsberechtigt gemäß § 2303 Abs. 1 BGB, da sie als Enkel der Erblasserin Abkömmlinge im Sinne der Vorschrift sind. Der Beklagte hat die Erblasserin beerbt und ist deswegen Schuldner des Pflichtteils- bzw. Pflichtteilsergänzungsanspruchs. Das wird von der Berufung nicht angegriffen.
16
b) Auch die weiteren Voraussetzungen des § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB liegen vor.
17
aa) Die Verurteilung des Beklagten zur Wertermittlung hinsichtlich des Grundstücks in der S.-straße, das sich zur Zeit des Erbfalls im Eigentum der Erblasserin befand, wird von der Berufung nicht angegriffen.
18
bb) Soweit sich die Berufung gegen die Verurteilung zur Wertermittlung hinsichtlich der Immobilie in der Z.-straße bzw. der Gesellschaftsanteile wendet, erschüttert die Berufungsbegründung die angefochtene Entscheidung nicht.
19
Beide Grundstücke bzw. die Gesellschaftsanteile gehören zum fiktiven Nachlass, denn es handelt sich um Gegenstände, die die Erblasserin zu Lebzeiten unentgeltlich auf den Beklagten bzw. auf Dritte übertragen hat.
20
(1) Soweit das Landgericht den Beklagten zur Wertermittlung hinsichtlich des Grundstücks in der Z.-straße verurteilt hat, zieht die Berufung die Zugehörigkeit dieses Gegenstandes zum fiktiven Nachlass nicht in Zweifel.
21
(2) Aber auch die mit notariellem Vertrag vom 17.12.2008 auf den Beklagten übertragenen Anteile der Gesellschaft gehören zum fiktiven Nachlass, da insoweit eine Schenkung an den Beklagten vorliegt. Dafür spricht bereits der Wortlaut der notariellen Urkunde vom 17.12.2008, in der unter Ziffer II. ausdrücklich geregelt wurde, dass die Übertragung „unentgeltlich im Wege der vorweggenommenen Erbfolge“ erfolgt. Insoweit besteht zwischen den Vertragsparteien die Vermutung, dass der Inhalt ihrer Willenserklärungen vollständig und richtig wiedergegeben worden ist. Der Einwand des Beklagten, seine Arbeitsleistung stelle eine Gegenleistung dar, widerlegt dies nicht. Selbst wenn man diesen Vortrag aus dem Schriftsatz vom 31.07.2025 entgegen § 531 Abs. 2 ZPO zulassen würde, wäre er ungeeignet, die Unentgeltlichkeit des Geschäfts zu widerlegen, denn die – hier unterstellt – aufgewendete Arbeitskraft ist keine Gegenleistung für die Aufnahme in die Gesellschaft (vgl. dazu Grüneberg/Weidlich, BGB, 84. Aufl. 2025, § 2325 Rn. 14). Vielmehr wurden dem Beklagten die Gesellschaftsanteile übertragen und ob er in der Gesellschaft tätig werden würde, stand in seinem Belieben; aus dem Vertrag folgt diese Pflicht jedenfalls nicht. Hinzu kommt, dass die Gesellschaft erst am 28.11.2008 und damit erst kurz vor der Übertragung gegründet worden war, was ausschließt, dass bereits wesentliche Arbeitsleistungen erbracht worden wären.
22
(3) Die Frist des § 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB begann hinsichtlich der Gesellschaftsanteile erst mit dem Erbfall zu laufen, da der Quotennießbrauch, den sich die Erblasserin und ihr Ehemann durch den notariellen Vertrag einräumen ließen, den Fristbeginn im Sinne des § 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB hindert.
23
(i) Der Fristbeginn des § 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB wird nach überwiegender Ansicht trotz einer Übertragung des Eigentums auch dann gehindert, wenn der Erblasser den verschenkten Gegenstand auf Grund vorbehaltener dinglicher Rechte im Wesentlichen weiter nutzt (BGH, Urteil vom 27.04.1994, IV ZR 132/93, NJW 1994, 1791; BeckOK BGB/Müller-Engels, 75. Ed. 01.05.2025, § 2325 Rn. 54).
24
Das gilt jedenfalls für einen bei der Übergabe vorbehaltenen Nießbrauch (BGH, Urteil vom 27.04.1994, IV ZR 132/93, NJW 1994, 1791) oder ein vorbehaltenes dingliches Wohnungsrecht, wenn es den nahezu vollständigen Ausschluss des Erbwerbers von der Nutzung der Immobilie ermöglicht (Senat, 33 U 5525/21; NJW-RR 2022, 1164).
25
Das vollumfassende Nießbrauchsrecht verhindert den Fristbeginn, unabhängig davon, ob es sich um ein Grundstück oder um Gesellschaftsanteile handelt (Winkler, ZEV 2005, 89; Schlitt/Müller-Engels, PflichtteilsR-HdB/Schlitt, 3. Aufl. 2024, § 6 Rn. 41).
26
(ii) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze musste die Erblasserin im vorliegenden Fall aufgrund des vorbehaltenen Quotennießbrauchs (an 47,5% der von ihr übertragenen 50% der Anteile) auf den Genuss der übergebenen Gesellschaftsanteile nicht verzichten (Genussverzichtstheorie). Eine wirtschaftliche Ausgliederung aus ihrem Vermögen erfolgte nicht, da der Beklagte lediglich 2,5% und damit einen vernachlässigbaren Anteil der Gesellschaftsanteile zur freien Verfügung erhalten hat. Verbleiben 95% der entnahmefähigen Gewinne beim Übergeber, liegt eine wirtschaftliche Ausgliederung nicht vor.
27
(iii) Die dagegen seitens der Berufung vorgebrachten Einwände greifen nicht durch. Der Umstand, dass außerordentliche Erträge beim Beklagten verbleiben sollten, rechtfertigt keine andere Betrachtung. Bei den hier betroffenen Mietshäusern wäre nur der bei einer Veräußerung erzielte Erlös als außerordentlicher Ertrag vorstellbar. An diesem Erlös (oder aber an damit angeschafften Ersatzgegenständen) aber setzte sich der Nießbrauch entsprechend der vertraglichen Vereinbarung vom 17.12.2008 fort (Anlage K 8, S. 6), so dass der Beklagte zu keinem Zeitpunkt freie Mittel erlangen konnte, auf die die Erblasserin keinen Zugriff gehabt hätte. Zudem behielt die Erblasserin das Stimmrecht in der Gesellschaft, so dass sie, wie vor der Übertragung, alle wesentlichen Entscheidungen im laufenden Geschäftsbetrieb selbst treffen konnte.
28
cc) Auch auf der Rechtsfolgenseite erweist sich die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der Verurteilung zur Wertermittlung zu zwei unterschiedlichen Stichtagen als zutreffend.
29
(1) Soweit sich der Beklagte gegen die Entscheidung des Erstgerichts mit der Begründung wendet, aus § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB ergebe sich (lediglich) ein Anspruch auf Wertermittlung und Feststellung des Wertes des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls (Berufungsbegründung, S. 2), verhilft das seiner Berufung nicht zum Erfolg.
30
(i) Der Bestand des Nachlasses im Sinne des § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich aus der Differenz von Aktiv- und Passivbestand (MüKoBGB/Lange, 9. Aufl. 2022, § 2311 Rn. 4). Das in der Vorschrift zum Ausdruck kommende Stichtagsprinzip gilt für den Bestand der Aktiva zum Zeitpunkt des Erbfalls (Staudinger/Herzog, BGB, Neubearbeitung 2021, § 2311 Rn. 10; Burandt/Rojahn/Horn, 4. Aufl. 2022, BGB, § 2311 Rn. 6).
31
(ii) Vermögensgegenstände, die zur Zeit des Erbfalls bereits aus dem Vermögen des Erblassers ausgegliedert waren, zählen nicht zum Bestand des Nachlasses und spielen deswegen für die Pflichtteilsberechnung keine Rolle. Soweit sie gegebenenfalls für Pflichtteilsergänzungsansprüche maßgeblich sind, lassen sich für die hier zu entscheidende Frage aus § 2311 BGB keine Schlüsse ziehen.
32
(2) Aus dem im Rahmen der § 2325 BGB zu beachtenden Niederstwertprinzip ergibt sich, dass die Bewertung zu zwei Stichtagen zu erfolgen hat.
33
(i) Im Rahmen der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs kommen nicht verbrauchbare Sache mit ihrem Wert zur Zeit des Erbfalls in Ansatz; bei einer zwischenzeitlichen Wertsteigerung jedoch nur mit dem Wert zur Zeit der Schenkung, d. h. des Schenkungsvollzugs (sog. Niederstwertprinzip) (MüKoBGB/Lange, § 2325 Rn. 61).
34
Der Wertermittlungsanspruch soll den Pflichtteilsberechtigten befähigen zu berechnen, ob und in welcher Höhe er einen Pflichtteilsanspruch einschließlich eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs hat (Burandt/Rojahn/ Horn, 4. Aufl. 2022, BGB, § 2314 Rn. 1).
35
(ii) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Wertermittlungsanspruch bei einer nicht verbrauchbaren Sache auf die Ermittlung des Niederstwertes (s.o.) gerichtet, was voraussetzt, dass der Wert der hier in Rede stehenden Gesellschaftsanteile/Immobilien zu beiden Stichtagen (Schenkungsvollzug/Erbfall) ermittelt wird, da nur so Gewissheit über den für die Berechnung der Pflichtteilsergänzungsansprüche maßgeblichen Wert erlangt wird.
36
(iii) Soweit im Schrifttum eingewendet wird, der Pflichtteilsberechtigte könne ein Gutachten nur bezogen auf den Stichtag des Erbfalls verlangen, denn er sei für die Werthöhe im Zeitpunkt des Erbfalls in einem den Wertermittlungsanspruch rechtfertigenden Beweisnotstand, so dass der etwaig niedrigere Wert zum Zeitpunkt des Schenkungsvollzugs gegebenenfalls vom Erben einzuwenden und zu beweisen sei (Staudinger/Herzog, BGB, § 2314 Rn. 287), überzeugt dies nicht.
37
Denn diese Ansicht übersieht, dass sie damit dem Pflichtteilsberechtigten ein erhebliches Kostenrisiko aufbürdet, das durch die Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche des § 2314 Abs. 1 BGB gerade ausgeräumt bzw. gemindert werden soll. Würde der Pflichtteilsberechtigte auf der Zahlungsstufe seine Ansprüche auf der Grundlage eines (allein) zum Stichtag des Erbfalls erstatteten Gutachtens geltend machen, müsste er damit rechnen, dass der Erbe erfolgreich einen geringeren Wert zur Zeit der Schenkung einwendet. In Höhe der Differenz wäre die Klage des Pflichtteilsberechtigten erfolglos und er müsste gemäß § 92 ZPO anteilig die Kosten des Rechtsstreits tragen – dies angesichts steigender Immobilienpreise sehenden Auges. Das würde seinen Wertermittlungsanspruch und damit sein Pflichtteilsrecht erheblich entwerten bzw. dessen Durchsetzung erschweren.
38
Deswegen hat der Pflichtteilsberechtigte bei nicht verbrauchbaren Sachen, die zum fiktiven Nachlass gehören, einen Anspruch auf Ermittlung des Wertes des Gegenstandes nach dem Niederstwertprinzip, so dass im Ergebnis eine Bewertung zu zwei Stichtagen zu erfolgen hat.
39
dd) Hinsichtlich der Immobilien in der H.-straße ist hier der Wert der Gesellschaftsanteile zu ermitteln. Aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls stellt dies keine sachliche Änderung des Klageantrags dar bzw. treten auch die Kläger diesem Vorgehen bei. Der Bundesgerichtshof hat in einem Fall, in dem zwei Wohnungen den einzigen Vermögensgegenstand einer vermögensverwaltenden Gesellschaft bildeten, entschieden, dass ein Anspruch auf Wertermittlung hinsichtlich der Gesellschaftsanteile bestehen kann, der sich auf den Wert der beiden Wohnungen als jeweils einzigem Vermögensgegenstand der Gesellschaften konkretisiert (BGH, Urteil vom 03.06.2020, IV ZR 16/19, NJW 2020, 2396). Die Kläger haben unwidersprochen vorgetragen und auch die Berufungsbegründung räumt ein, dass das Gesellschaftsvermögen der Gesellschaft auch hier seit jeher allein aus den beiden Immobilien besteht.
III.
40
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 ZPO. Soweit der Beklagte in der Berufung hinsichtlich der Frage der öffentlichen Bestellung und Beeidigung des Sachverständigen obsiegt, liegen die Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 ZPO vor, so dass ein kostenrechtliches Obsiegen ausscheidet.
41
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
42
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.