Titel:
Vergabeverfahren, Ausschluss, Zertifikate, Leistungsbeschreibung, Nachprüfungsantrag, Unklarheit, Gleichwertigkeit
Schlagworte:
Vergabeverfahren, Ausschluss, Zertifikate, Leistungsbeschreibung, Nachprüfungsantrag, Unklarheit, Gleichwertigkeit
Vorinstanz:
Vergabekammer Ansbach, Beschluss vom 06.06.2025 – RMF-SG21-3194-10-5
Fundstelle:
BeckRS 2025, 32170
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer Nordbayern vom 6. Juni 2025, Az. RMF-SG21-3194-10-5 in den Ziffern 1., 2. und 3. aufgehoben.
2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Stand vor Abgabe der Angebote zurückzuversetzen und unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats fortzuführen.
3. Im Übrigen werden die sofortige Beschwerde und der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.
4. Die Antragstellerin trägt 50% der Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer. Die weiteren 50% dieser Kosten tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene gesamtschuldnerisch. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB tragen die Antragstellerin 50% und die Antragsgegnerin und die Beigeladene jeweils 25%. Alle Verfahrensbeteiligten tragen ihre zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen selbst.
5. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf bis zu […] €.
Gründe
1
Die Antragsgegnerin schrieb mit EU-Bekanntmachung vom 28. November 2024 im offenen Verfahren die Fachraumausstattung der Naturwissenschaften im Rahmen der Sanierungs- und Umbauarbeiten des […] aus. Die Fachraumausstattung umfasst unter anderem die Lieferung und Montage von sieben Deckenversorgungssystemen. Im Laufe des Vergabeverfahrens wurden technische Änderungen im Leistungsverzeichnis vorgenommen, die Gegenstand der Änderungsbekanntmachung vom 19. Dezember 2024 waren.
2
Einziges Zuschlagskriterium war der Preis.
3
Zur Vorlage von Zertifikaten wird in den allgemeinen und technischen Vorbemerkungen des Leistungsverzeichnisses auf Seiten 42 f. der Vergabeunterlagen (Paginierung wie in Anlage ASt 3) Folgendes festgelegt:
„Die Einhaltung und Berücksichtigung aller gültigen Vorschriften, Normen, Richtlinien, Unfallverhütungsvorschriften die zur Einrichtung naturwissenschaftlicher Unterrichtsräume und Arbeitsplätze Anwendung finden, sind verpflichtend. Abweichungen sind nicht zulässig.
Entsprechende Zertifikate sind dem Angebot zwingend beizulegen:
- Nachweis GS/TÜV-Prüfung für angebotene Möbel
- Nachweise für die angebotene Einrichtung
- TÜV/GS (z.B. Versorgungssystem, Laborzellen, Mobiler Abzug) – DVGW"
4
Unter „Vorschriften“ werden auf Seite 44 der Vergabeunterlagen zahlreiche DIN-/EN Vorgaben aufgelistet. Die DIN 30666 wird nicht aufgeführt. Unter „DVGW Vorgaben“ wird u. a. „G 621 Gasanlagen“ genannt.
5
Auf Seite 44 der Vergabeunterlagen wird ferner ausgeführt:
„Alle Möbel und Systeme müssen über ein GS-, CE- und TÜVPrüfzeichen verfügen.“
6
Auf Seite 45 der Vergabeunterlagen heißt es:
„Die Möbel müssen mit dem GS-Sicherheitszeichen versehen sein, sowie eine DVGW- und VDE-Prüfung haben.“
7
Auf Seiten 48 f. der Vergabeunterlagen wird vorgegeben:
„Allgas-Armaturen … alle Gashähne sind vom DVGW geprüft und zugelassen, das Zertifikat ist zwingend vorzulegen.
Gas-Installations-Vorschriften:
… bei der Gasinstallation, der Leitungsführung, den Sicherheitsabsperrorganen und den Absperrhähnen sind die technischen Regeln, Arbeitsblatt G 621 des DVGW, zugrunde zu legen.“
Ausführung immer mit Schmutzfänger. Die DVGW-Zulassung ist zwingend vorzulegen.“
8
Weiter heißt es auf Seite 50 der Vergabeunterlagen:
„Oberflurige Medien-Versorgungssysteme sind GS-, VDEDVGW-Baumustergeprüft und zertifiziert, Betriebsfertige Einheit entsprechend den einschlägigen EN- und DIN-Normen.“
9
Seite 51 der Vergabeunterlagen enthält folgende Vorgabe:
„Die Sicherheitsmagnetventile sind nach gültigen DVGW-Richtlinien einzubauen.“
10
Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben jeweils form- und fristgerecht ein Angebot ab.
11
Mit Schreiben vom 17. Januar 2025 teilte die Beigeladene der Vergabestelle mit, die Antragstellerin habe kein DVGW-Baumusterprüfzertifikat für ihre Medienversorgungssysteme und sei daher vom Vergabeverfahren auszuschließen. Das Arbeitsblatt DVGW G 621 sei verpflichtend anzuwenden; danach müssten anschlussfertig vorgefertigte Laboreinrichtungen nach DIN 30666 geprüft werden.
12
Die Vergabestelle forderte mit Schreiben vom 24. Januar 2025 die Antragstellerin unter anderem auf, einen Nachweis über die DVGW-Baumusterprüfung der Medienversorgungssysteme und Nachweise über GS/TÜV Prüfungen nachzureichen.
13
Die Antragstellerin legte mit Schreiben vom 28. Januar 2025 unter anderem ein Zertifikat der TÜV ... P. Service GmbH (im Folgenden: TÜV) vor, mit dem ihr für das Produkt „[…]“ das GS-Zeichen gemäß § 20 ProdSG zuerkannt worden ist. Nach den Angaben auf dem Zertifikat wurde unter anderem nach „DIN 30666:2022“ geprüft. Ferner hat die Antragstellerin eine DVGW-EU-Baumusterprüfbescheinigung über eine Geschlossenstellungskontrolleinrichtung (Modell […]) vorgelegt. Als Prüfgrundlagen werden die DIN 30666 und DVGW G 621 genannt. Die Antragstellerin führte aus, alle eingebauten, prüfrelevanten Teile besäßen ein Prüfzertifikat. Bei Bauteilen für die Gas- und Wasserinstallation seien dies die DVGW-Zertifikate. Die Prüfung durch den TÜV sei nach DIN 30666 erfolgt. Die DVGW-Zertifizierung sei somit Bestandteil der TÜV/GS-Zertifizierung. Darüber hinaus erfolge eine Dichtheitsprüfung und Belastungsprobe gemäß DVGW/TRGI G 600 und G 621 sowohl der vorinstallierten Einzelsegmente im Werk als auch der Gesamtanlage vor Ort. Dies gewährleiste eine höhere Sicherheit als eine Baumusterprüfung.
14
Mit Vorabinformation vom 4. Februar 2025 teilte die Vergabestelle der Antragstellerin mit, der Zuschlag könne nicht auf ihr Angebot erteilt werden, da es nicht alle in den Vergabeunterlagen gestellten Bedingungen erfülle. Das Angebot werde nach § 16a EU Abs. 5 VOB/A aus der Wertung genommen, da die Nachweise über die geforderten DVGW-Zertifikate nicht vorgelegt worden seien.
15
Mit Schreiben vom 6. Februar 2025 rügte die Antragstellerin, die Vergabestelle habe die Gründe für die Nichtberücksichtigung nicht präzise und verständlich benannt. Insbesondere habe sie nicht benannt, welches geforderte DVGW-Zertifikat nicht vorgelegt worden sei.
16
Die Vergabestelle wies mit Schreiben vom 7. Februar 2025 die Rüge zurück und verwies insbesondere auf die Bieterkommunikation, mit welcher die DVGW-Zertifikate nachgefordert worden seien.
17
Mit Schreiben vom 11. Februar 2025 erhob die Antragstellerin erneut Rüge. Die Baumusterprüfzertifikate seien nicht für das gesamte Versorgungssystem gefordert worden. Die Vergabeunterlagen hätten nur so verstanden werden können, dass die DVGW-Prüfzertifikate nur für die einzelnen Bauteile der Gas- und Wasserversorgung und für das gesamte Versorgungssystem nur ein GS-Prüfzertifikat einzureichen seien.
18
Zudem habe die Antragstellerin mit dem Zertifikat des TÜV ein gleichwertiges Zertifikat vorgelegt, das nach § 7a EU Abs. 5 Nr. 1 VOB/A zu akzeptieren sei.
19
Die Vergabestelle teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 12. Februar 2025 (offenbar irrtümlich datiert auf den 13. Dezember 2024) mit, der Rüge nicht abzuhelfen. Die Antragstellerin sei eindeutig und unmissverständlich aufgefordert worden, ein DVGW-Zertifikat für die ausgeschriebenen Komponenten nachzureichen, sodass die Diskussion, wie ein fachkundiger Bieter die gestellten Anforderungen habe verstehen dürfen, obsolet sei.
20
Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2025, eingegangen am selben Tag, reichte die Antragstellerin bei der Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag ein. Die DVGW-Prüfzertifikate seien nicht für das Versorgungssystem als Ganzes gefordert worden. Es sei unklar, welches DVGW-Prüfverfahren für die Versorgungseinheit die Vergabestelle meine, da die DVGW Cert GmbH Produkte der Gas- und Wasserversorgung prüfe und zertifiziere, nicht jedoch den Medienträger, der diese umgebe. Das vorgelegte Zertifikat des TÜV sei dem DVGW-Baumusterzertifikat gleichwertig. Die DIN 30666 beinhalte das Arbeitsblatt G 621, das ein reines Anwendungswerk sei. Das Arbeitsblatt G 621 betreffe Leitungsanlagen, die vor Ort hergestellt würden und daher nicht Gegenstand einer Baumusterprüfung in einem Prüfinstitut sein könnten. Sicherheitsanforderungen für eine Baumusterprüfung ergäben sich nicht aus dem Arbeitsblatt, sondern aus der DIN 30666. Das Angebot der Beigeladenen sei von der Wertung auszuschließen, da für das GS-Zertifizierungsprojekt des Deckenversorgungssystems vom TÜV weder die DIN VDE 0 100-723:2005 noch die DIN 30666 gemäß Arbeitsblatt G 621 angewandt worden sei. Nach einer Recherche auf der Website der DVGW Cert GmbH verfüge die Beigeladene über kein gültiges DVGW-Zertifikat für das Versorgungssystem.
21
Die Antragstellerin hat im Nachprüfungsverfahren beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin in dem Vergabeverfahren „[…], Fachraumausstattung Naturwissenschaften, […]“ zurückzunehmen und die Prüfung und Wertung der Angebote unter Einbindung des Angebots der Antragstellerin zu wiederholen, hilfsweise das Verfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen.
22
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag auf Durchführung eines Vergabenachprüfungsverfahrens abzuweisen.
23
Die Beigeladene hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
24
Die Antragsgegnerin bringt vor, die Beigeladene habe ein DVGW-Baumusterprüfzertifikat für das Medienversorgungssystem vorgelegt, die Antragstellerin lediglich für eine Dichtheitskontrolleinrichtung. Die von der Antragstellerin vorgelegten TÜV-Zertifikate seien den DVGW-Zertifikaten nicht gleichwertig. Zwar enthalte die TÜV-Bescheinigung auch die Prüfung der Einhaltung des DVGW-Arbeitsblattes G 621 und der DIN 30666, die DVGW-Zertifizierung gehe aber signifikant weiter. Die Zertifizierung durch die DVGW Cert GmbH gebe die Gewissheit, dass die geprüften Produkte und Dienstleistungen den hohen Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Umweltverträglichkeit des DVGW entsprechen. Es müsse berücksichtigt werden, dass es sich bei den Anwendern um Schüler handle. Um ein DVGW-Zertifikat zu erhalten, werde ein umfangreiches Erstaudit und eine Baumuster- bzw. Typprüfung durchgeführt.
25
Die Beigeladene ist der Ansicht, in den technischen Vorbemerkungen der Leistungsbeschreibung sei bei den zu beachtenden technischen Vorschriften das Arbeitsblatt DVGW G 621 aufgeführt, nicht jedoch die DIN 30666. Es sei branchenüblich, DVGW-Anforderungen für ein Gesamtsystem zu verlangen. Nur durch eine Baumusterprüfung und Zertifizierung eines Gesamtsystems könne sichergestellt werden, dass dieses insgesamt sicher sei. Ein System, das den DVGW-Anforderungen entspreche, schütze nicht nur vor Leckagen, sondern auch vor Fehlbedienungen. GS-Zeichen gebe es für solche Deckensysteme nicht. Die TÜV-Prüfung umfasse gerade nicht eine Baumusterzertifizierung des Deckensystems. Gegenstand der Baumusterprüfung der DVGW Cert GmbH seien weitere Anforderungen, insbesondere bezogen auf die Geschlossenstellungskontrolle und Leckageprüfeinrichtung. In Ziffer 8.2.4.1 und 8.2.4.2 des Arbeitsblattes werde zusätzlich zu den Anforderungen nach DIN 30666 verlangt, dass die nachgeschalteten Absperreinrichtungen gegen unbefugtes Schließen zu schützen seien. § 7a EU Abs. 5 Nr. 1 Satz 2 VOB/A betreffe den hier nicht vorliegenden Fall, dass es mehrere Konformitätsbewertungsstellen gebe.
26
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 6. Juni 2025, der Antragstellerin zugestellt am 16. Juni 2025, den Antrag abgelehnt.
27
Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei zulässig. Soweit die Antragstellerin vorbringe, es gebe kein VDE-Baumusterzertifikat, sei sie nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert. Der Bieter könne und müsse prüfen, ob die Leistungsbeschreibung ihm die Angebotserstellung ermögliche. Bestünden bei dem Bieter etwaige Zweifelsfragen, müssten diese durch Nachfrage bei der Vergabestelle geklärt werden.
28
Die Leistungsbeschreibung sei dahingehend auszulegen, dass ein DVGW-Baumusterprüfzertifikat für das Gesamtsystem des oberflurigen Deckenversorgungssystems gefordert werde. Die Antragstellerin könne sich hinsichtlich des von ihr vorgelegten TÜV-Zertifikats nicht auf § 7a EU Abs. 5 Nr. 1 Satz 2 VOB/A berufen. Die Gleichwertigkeit sei durch den Bieter nachzuweisen. Dieser Nachweis sei zu dem Zeitpunkt zu erbringen, zu dem die Vorlage des Zertifikats erfolgen müsse. Aufgrund der Nachforderung nach § 16a EU VOB/A sei auf den Zeitpunkt des Eingangs des Schreibens der Antragstellerin vom 28. Januar 2025 abzustellen. Erforderlich sei, dass die gleichwertige Konformitätsbewertungsstelle akkreditiert sei. Der Nachweis der Gleichwertigkeit müsse auch den Prüfungsgegenstand, die Prüfanforderungen und das Prüfverfahren betreffen. § 7a EU Abs. 5 Nr. 1 VOB/A regle nicht den Fall von Gleichwertigkeitsnachweisen, die nicht nur die Gleichwertigkeit der Bescheinigung, sondern auch die Gleichwertigkeit der technischen Spezifikation betreffen. Der Nachweis der Gleichwertigkeit mit einer bestimmten technischen Spezifikation sei in § 7a EU Abs. 3 VOB/A geregelt. Die vom Bieter vorgelegten Nachweise müssten die Erfüllung der festgelegten Anforderungen tatsächlich belegen. Das Schreiben der Antragstellerin vom 28. Januar 2025 enthalte keine Nachweise oder Darlegungen, weshalb das GS-Zertifikat dem DVGW-Baumusterprüfzertifikat entspreche. Aus dem TÜV-Zertifikat gehe nicht hervor, dass die einzelnen eingebauten, prüfrelevanten Teile ein Prüfzertifikat besäßen. Das Schreiben enthalte auch keine Darlegungen und Nachweise, inwieweit die Prüfgrundlagen des TÜV, insbesondere die DIN 30666, einer Prüfung nach den einschlägigen Vorgaben der DVGW Cert GmbH entsprechen. Dies sei jedoch erforderlich, zumal die Leistungsbeschreibung die Einhaltung der DVGW G 621 vorsehe, die DIN 30666 jedoch nicht erwähne. Auf die späteren Darlegungen der Antragstellerin zu diesem Gesichtspunkt komme es nicht an. Die Anforderung eines DVGW-Baumusterprüfzertifikats könne auch nicht vor dem Hintergrund des § 7a EU Abs. 5 Nr. 2 VOB/A als erfüllt gelten. Hinsichtlich des fehlenden Zugangs und der fehlenden Möglichkeit, die Bescheinigung innerhalb der einschlägigen Fristen einzuholen, müsse eine objektive Unmöglichkeit vorliegen. Hierfür obliege dem Bieter die Darlegungs- und Beweislast. Hierzu habe die Antragstellerin nichts vorgetragen und es sei auch kein Umstand ersichtlich, der diese Tatbestände begründen würde.
29
Gegen den Beschluss der Vergabekammer wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 30. Juni 2025 eingegangenen sofortigen Beschwerde.
30
Die Antragstellerin rügt, die Vergabekammer habe die Vergabeunterlagen unzutreffend dahingehend ausgelegt, dass aus Sicht eines fachkundigen Bieters ein DVGW-Baumusterprüfzertifikat für das Gesamtsystem vorzulegen sei. Eine solche eindeutige Forderung ergebe sich weder aus der Systematik noch aus dem Wortlaut der Leistungsbeschreibung. Selbst wenn ein DVGW-Baumusterprüfzertifikat für das Gesamtsystem hätte vorgelegt werden müssen, hätte die Antragstellerin mit dem von ihr eingereichten Baumusterprüfzertifikat des TÜV eine gleichwertige Bescheinigung eingereicht. Die Vergabekammer stelle an einen solchen Nachweis strengere Anforderungen als in der Vergabeverordnung gefordert seien. Die Ausführungen der Vergabekammer zur Präklusion im Hinblick auf das VDE-Baumusterzertifikat lägen neben der Sache. Der Antragstellerin gehe es nicht darum, einen Ausschluss der Beigeladenen aufgrund des fehlenden VDE-Baumusterzertifikats zu erreichen. Der Ausschluss der Antragstellerin sei auch nicht aufgrund eines fehlenden VDE-Baumusterzertifikats erfolgt. Die Vergabeunterlagen hätten nur so verstanden werden können, dass – wie üblich und auch einzig sinnvoll – nur für die einzelnen (im oberflurigen Medienversorgungssystem enthaltenen) Bauteile der Gas- und Wasserinstallation die (dafür vorgesehenen) DVGW-Prüfzertifikate und für die einzelnen (im oberflurigen Medienversorgungssystem enthaltenen) elektrischen Bauteile die (dafür vorgesehenen) VDE-Prüfzertifikate einzureichen waren. Deshalb sei das gesamte Versorgungssystem auf Seite 42 der Leistungsbeschreibung „nur“ bei der Forderung nach den TÜV/GS Zertifikaten genannt worden und nicht bei den Zertifikaten des DVGW. Da sich aus dem Wortlaut der Anforderung keine Differenzierung ergebe, habe auch die Anforderung nach den DVGW-Baumusterzertifikaten nur so ausgelegt werden können, dass sie sich (sinnhafterweise) auf die einzelnen Bauteile beziehe und nicht auf das Gesamtsystem. Die Vergabekammer berücksichtige nicht, dass auch die Beigeladene kein Zertifikat für das „Oberflurige Medienversorgungssystem“ vorgelegt habe, sondern vielmehr (ebenfalls) nur für die einzelnen Komponenten. Die Antragstellerin habe jedenfalls mit dem Baumusterzertifikat des TÜV ein gleichwertiges Zertifikat vorgelegt. Der TÜV sei eine gleichwertige Konformitätsbewertungsstelle, die akkreditiert sei. Die Baumusterprüfung erfolge nach der DIN 30666, die die Anforderungen des DVGW-Arbeitsblattes G 621 umfasse. Die DIN 30666 sei geschaffen worden, um Prüfgrundlagen für die in dem überarbeiteten DVGW-Arbeitsblatt G 621 definierten Produkte festzulegen. Der Nachweis der Gleichwertigkeit ergebe sich aus dem Zertifikat selbst, da ausgewiesene Prüfgrundlage – wie bei der Prüfung des DVGW – die DIN 30666 sei. Ein Gleichwertigkeitsnachweis werde lediglich in § 7a EU Abs. 3 VOB/A gefordert, nicht jedoch in § 7a EU Abs. 5 VOB/A.
31
Die Antragstellerin beantragt daher,
- 1.
-
den Beschluss der Vergabekammer Nordbayern (RMF-SG21-3194-10-5) vom 06.06.2025 aufzuheben,
- 2.
-
der Antragsgegnerin aufzugeben, den Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin in dem Vergabeverfahren „[…], Fachraumausstattung Naturwissenschaften, […]“ zurückzunehmen und die Prüfung und Wertung der Angebote unter Einbindung des Angebotes der Antragstellerin zu wiederholen,
- 3.
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hilfsweise, das Verfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen,
32
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
33
Die Antragsgegnerin verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer. Diese habe zutreffend festgestellt, dass ein DVGW-Baumusterzertifikat gefordert gewesen sei. Die Antragstellerin habe ein solches nicht vorgelegt und auch nicht den Nachweis geführt, dass die von ihr – verspätet – vorgelegten Zertifikate gleichwertig seien. Auf die bisherigen Ausführungen, die Ausführungen der Beigeladenen und die Entscheidung der Vergabekammer werde Bezug genommen.
34
Die Beigeladene ist der Ansicht, die Vergabekammer habe zutreffend festgestellt, dass die Vorlage eines DVGW-Baumusterzertifikats für das Gesamtsystem gefordert worden sei. Dies ergebe sich aus der Zusammenschau der vorgegebenen einzuhaltenden technischen Regelwerke. In den allgemeinen Vorbemerkungen werde ausdrücklich auf TÜV/GS für Versorgungssysteme, Laborzellen und mobilen Abzug und auf DVGW verwiesen. Das DVGW-Regelwerk stelle bezogen auf das Medium Gas den Stand der Technik dar. Bei der Auslegung sei auch zu berücksichtigen, dass der Freistaat Bayern die Richtlinien zur Sicherheit im Unterricht Stand 21. September 2023 anwende. Diese Richtlinie regle in I.5.2, dass bei der Verwendung der Gasanlagen in den Unterrichtsräumen das DVGW-Arbeitsblatt G 621 als Stand der Technik zu berücksichtigen sei. Die Ansicht der Antragstellerin, es seien nur Nachweise für einzelne Komponenten vorzulegen, sei auch fachlich nicht nachvollziehbar. Die Sicherheit des Gesamtsystems mit Absperr-Prüfeinrichtungen und Anschlüssen sei bei dem konkreten Nutzerkreis maßgeblich für die sichere Nutzung im Unterricht. Hierzu bedürfe es einer Überprüfung des gesamten Systems. Das GS-Zertifikat des TÜV bescheinige die Erfüllung der Voraussetzungen zur Verleihung des GS-Zeichens, mithin die Erfüllung der Sicherheitsanforderungen des § 20 ProdSG. Maßstab der Prüfung sei gemäß § 3 Abs. 2 i. V. m. § 20 Abs. 3 Nr. 1 ProdSG, dass das Produkt bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährde. Es gehe daher um die Produktsicherheit, nicht die Einhaltung technischer Regelwerke, die die Konstruktion usw. betreffen. Die Antragstellerin habe im Schreiben vom 28. Januar 2025 lediglich behauptet, dass im Rahmen der Prüfung des GS-Zertifikats vom TÜV geprüft worden sei, dass die eingebauten Teile Prüfzertifikate besäßen. Die Antragstellerin bestätige weder, dass ihr angebotenes oberfluriges System die DVGW-Anforderungen, insbesondere des Arbeitsblattes G 621, insgesamt erfülle, noch dass das TÜV-Zertifikat für das GS-Prüfzeichen einem DVGW-Baumusterzertifikat gleichwertig sei. Die Bestätigung der Gleichwertigkeit müsse entweder Inhalt des Zertifikats sein oder von der Konformitätsbewertungsstelle abgegeben werden. Die zeitliche Begrenzung der Zulassung eines Gleichwertigkeitsnachweises ergebe sich aus dem vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgebot i. V. m. dem Wettbewerbsgrundsatz.
35
Der Senat hat mit Beschluss vom 11. Juli 2025 die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde einstweilig und mit Beschluss vom 12. August 2025 bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde verlängert.
36
Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2025 Bezug genommen.
37
Auf die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist der Beschluss der Vergabekammer in den Ziffern 1., 2. und 3. aufzuheben und das Vergabeverfahren in den Stand vor Abgabe der Angebote zurückzuversetzen sowie der Antragsgegnerin aufzugeben, das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats fortzuführen. Denn die Leistungsbeschreibung ist unklar und die Ausschreibung leidet daher an einem schwerwiegenden Mangel.
38
1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht nach § 172 Abs. 1 bis Abs. 3 GWB eingelegt und auch im Übrigen zulässig.
39
2. Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig und begründet.
40
a) Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
41
aa) Es liegt ein öffentlicher Auftrag vor, der Bauleistungen i. S. v. § 103 Abs. 3 GWB zum Gegenstand hat und der Auftragswert des Gesamtvorhabens überschreitet den Schwellenwert.
42
bb) Die nach § 160 Abs. 2 GWB erforderliche Antragsbefugnis liegt vor. Die Antragstellerin hat ein Angebot abgegeben und macht die Verletzung ihrer Rechte nach § 97 Abs. 6 GWB durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend. Das Angebot der Antragstellerin ist das preisgünstigste Angebot; der Preis ist das einzige Zuschlagskriterium.
43
cc) Die Antragstellerin ist mit ihrer Rüge, ihr Ausschluss sei vergaberechtswidrig, nicht präkludiert.
44
Der gerügte Vergaberechtsverstoß ist der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin. Diesen hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 6. Februar 2025 und 11. Februar 2025 und damit rechtzeitig nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB gerügt. Die Vergabekammer hat hinsichtlich des Vorbringens der Antragstellerin, es gebe kein VDE-Baumusterzertifikat, Präklusion angenommen. Eine derartige Rüge hat die Antragstellerin jedoch nicht erhoben. Sie hat lediglich im Zusammenhang mit der Auslegung der Vorgabe im Leistungsverzeichnis, „Oberflurige Medien-Versorgungssysteme sind GS-, VDE-DVGW-Baumustergeprüft und zertifiziert“ vorgebracht, ein separates VDE-Baumusterzertifikat für das Versorgungssystem gebe es nicht.
45
b) Der Nachprüfungsantrag ist (nur) im Hilfsantrag begründet, da der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin zwar rechtswidrig ist, aber eine Zuschlagserteilung auf Grundlage der derzeitigen Vergabeunterlagen unzulässig ist.
46
aa) Auch nach Auslegung der Vergabeunterlagen bleibt unklar, ob ein DVGW-Baumusterprüfzertifikat für das Deckenversorgungssystem als Ganzes oder lediglich für einzelne Komponenten des Deckenversorgungssystems gefordert wird und vorzulegen ist. Der Ausschluss der Antragstellerin ist daher rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB.
47
(1) Die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Angebots der Antragstellerin nach § 16a EU Abs. 5 VOB/A liegen nicht vor. Danach ist das Angebot auszuschließen, wenn die nachgeforderten Unterlagen nicht innerhalb der Frist vorgelegt werden. Dahingestellt bleiben kann, ob aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 24. Januar 2025, mit dem sie die Antragstellerin aufgefordert hat, unter anderem einen „Nachweis DVGW-Baumusterprüfung Medienversorgungssystem“ nachzureichen, klar und eindeutig hervorgeht, dass ein DVGW-Baumusterprüfzertifikat für das Deckenversorgungssystem als Ganzes gefordert wird, da die Antragsgegnerin nicht zur Nachforderung berechtigt war. Vom Auftraggeber sind nur Unterlagen nachzufordern, die bereits mit dem Angebot vorzulegen waren, § 16a EU Abs. 1 Satz 2 VOB/A. Für eine Nachforderung ist nur dann Raum, wenn die Unterlagen vorher wirksam verlangt worden sind (Steck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 16a EU VOB/A Rn. 7).
48
(2) Vergabeunterlagen müssen klar und verständlich sein. Aus ihnen muss für die Bieter eindeutig und unmissverständlich hervorgehen, welche Erklärungen von ihnen verlangt werden. Die Vergabestellen trifft insoweit die Verpflichtung, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu formulieren und Widersprüchlichkeiten zu vermeiden (BGH, Urt. v. 15. Januar 2013, X ZR 155/10, NZBau 2013, 319 [juris Rn. 7]; Urt. v. 3. April 2012, X ZR 130/10, VergabeR 2012, 724 [juris Rn. 9]; BayObLG, Beschluss vom 1. August 2024, Verg 19/23, juris Rn. 123). Für die Frage, welcher Erklärungswert dem Inhalt von Vergabeunterlagen zukommt, ist nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, BGHZ 199, 327 [juris Rn. 31]; OLG München, Beschluss vom 8. Juli 2019, Verg 2/19, NZBau 2020, 331 [juris Rn. 72]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. März 2018, Verg 52/17, NZBau 2018, 563 [juris Rn. 53]). Dabei ist auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter, also eines abstrakt bestimmten Adressatenkreises, abzustellen (BGH NZBau 2013, 319 [juris Rn. 7]; VergabeR 2012, 724 [juris Rn. 10]; BayObLG, Beschluss vom 1. August 2024, Verg 19/23, juris Rn. 123 f.). Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe oder die Abgabe eines Teilnahmeantrags erforderliche Fachwissen verfügt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Januar 2022, Verg 23/21, VergabeR 2024, 562 [juris Rn. 47]; NZBau 2018, 563 [juris Rn. 53]). Wie Mitbieter oder -bewerber die Vergabeunterlagen verstanden haben, kann für die normativ zu bestimmende Verständnismöglichkeit des durchschnittlichen Bieters bzw. Bewerbers von indizieller Bedeutung sein (BGH, Urt. v. 10. Juni 2008, X ZR 78/07, NZBau 2008, 592 [juris Rn. 15]; OLG Düsseldorf VergabeR 2024, 562 [juris Rn. 47]; NZBau 2018, 563 [juris Rn. 53]). Bei der Auslegung ist ferner zu berücksichtigen, dass die Vergabeunterlagen eine Einheit bilden und das Verständnis, das die Adressaten sich von bestimmten Passagen bilden, vom Erklärungsgehalt anderer, sachlich damit zusammenhängender Teile beeinflusst werden kann (BGH VergabeR 2012, 724 [juris Rn. 14]). Kommen nach einer Auslegung mehrere Verständnismöglichkeiten in Betracht oder können Unklarheiten oder Widersprüche nicht aufgelöst werden, geht dies zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers. Verstöße gegen unterschiedlich interpretierbare oder missverständliche bzw. mehrdeutige Angaben in den Vergabeunterlagen können somit nicht zum Angebotsausschluss führen (BGH VergabeR 2012, 724 [juris Rn. 11]; BayObLG, Beschluss vom 26. April 2023, Verg 16/22, NZBau 2023, 808 [juris Rn. 75]; OLG Düsseldorf VergabeR 2024, 562 [juris Rn. 48]; OLG München, Beschl. v. 21. April 2017, Verg 1/17, VergabeR 2017, 615 [juris Rn. 64]; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. April 2016, 15 Verg 1/16, NZBau 2016, 449 [juris Rn. 45]). Die fehlende Vergleichbarkeit der Angebote oder Teilnahmeanträge, die eine solche vom Bieter oder Bewerber zunächst nicht erkannte Mehrdeutigkeit zur Folge hätte, würde dazu führen, dass ein Zuschlag nicht erteilt werden dürfte (OLG Düsseldorf VergabeR 2024, 562 [juris Rn. 48]; NZBau 2018, 563 [juris Rn. 54]).
49
(3) Anhand der Vergabeunterlagen lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen, ob ein DVGW-Baumusterprüfzertifikat für das Deckensystem als Ganzes erteilt sein und vorgelegt werden soll oder ob es ausreichend ist, dass DVGW-Zertifikate für die einzelnen Komponenten des Versorgungssystems erteilt sind und vorgelegt werden. Dies bleibt auch nach Auslegung der Unterlagen unklar.
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(a) Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ergibt sich aus der Vorgabe auf Seite 50 der Vergabeunterlagen, „Oberflurige Medien-Versorgungssysteme sind GS-, VDEDVGW-Baumuster geprüft und zertifiziert“, nicht eindeutig, dass das Deckenversorgungssystem als Ganzes DVGWbaumusterzertifiziert sein muss und das Zertifikat vorzulegen ist. Diese Formulierung ist vielmehr mehrdeutig und missverständlich und dieser Mangel kann auch nicht im Wege der Auslegung durch die Bieter behoben werden. Zwar könnte die Formulierung, „Oberflurige Medien-Versorgungssysteme sind […] DVGW-Baumuster geprüft und zertifiziert“, dafür sprechen, dass ein DVGW-Baumusterprüfzertifikat für das System als Ganzes gefordert wird. Denkbar wäre allerdings auch, dass (lediglich) für die im Medienversorgungssystem verbauten Einzelkomponenten die DVGW-Baumusterzertifizierung durch Vorlage von DVGW-Baumusterprüfzertifikaten nachzuweisen ist. Darüber, dass DVGW-Baumusterprüfzertifikate auch für einzelne Bestandteile des Deckenversorgungssystems erteilt werden können und nicht nur für das System als Ganzes, bestand bei der Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat Konsens zwischen der Antragstellerin, der Antragsgegnerin und der Beigeladenen. Für das Verständnis, dass DVGW-Baumusterprüfzertifikate für einzelne Komponenten ausreichend sind, spricht, dass es unstreitig kein VDE-Baumusterprüfzertifikat für das Deckenversorgungssystem als Ganzes gibt. Dahingestellt bleiben kann, ob – wie die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung in Widerspruch zu ihrem schriftsätzlichen Vortrag, es gebe kein GS-Zertifikat für das Deckensystem als Ganzes, vorgebracht hat – die Antragstellerin und die Beigeladene ein GS-Zertifikat für das Deckenversorgungssystem als Ganzes vorgelegt haben. Auch hieraus kann nicht geschlossen werden, dass die Vorgabe für einen durchschnittlichen Bieter so zu verstehen ist, dass immer dann Zertifikate für das Deckensystem als Ganzes vorhanden sein und vorgelegt werden müssen, sofern die Erteilung des entsprechenden Zertifikats für das Gesamtsystem möglich ist. Es liegt vielmehr nahe, dass die Antragstellerin und die Beigeladene alle vorhandenen Zertifikate vorgelegt haben, mögen diese auch nicht gefordert worden sein. Wofür ein DVGW-Baumusterprüfzertifikat erteilt sein und vorgelegt werden muss, ergibt sich auch nicht aus dem Gesamtkontext.
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(b) Daraus, dass bei der Auflistung der dem Angebot zwingend beizulegenden Zertifikate auf Seite 42 der Vergabeunterlagen bei dem Spiegelstrich „TÜV/GS“ in Klammern angeführt wird „z. B. Versorgungssystem“ und bei dem Spiegelstrich „DVGW“ keine weiteren Ausführungen erfolgen, kann weder geschlossen werden, dass für Versorgungssysteme nur ein TÜV-/GS-Zertifikat erforderlich sei, noch, dass hinsichtlich des Medienversorgungssystems ein DVGW-Zertifikat für das System als Ganzes erforderlich und vorzulegen sei. Wofür DVGW-Zertifikate gefordert werden, bleibt vielmehr offen.
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(c) Dies gilt auch für die Nennung des Arbeitsblattes „G 621 Gasanlagen“ auf Seite 44 der Vergabeunterlagen unter „DVGW Vorgaben“. Eine Aussage dazu, für welche Teile das Arbeitsblatt G 621 Gasanlagen Anwendung finden soll, findet sich hier nicht.
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(d) Soweit auf Seite 44 der Vergabeunterlagen ausgeführt wird, alle Möbel und Systeme müssten über ein GS-, CE- und TÜV-Prüfzeichen verfügen und es auf Seite 45 der Vergabeunterlagen heißt, Möbel müssten mit dem GS-Sicherheitszeichen versehen sein sowie eine DVGW- und VDE-Prüfung haben, ist unklar, ob das Medienversorgungssystem unter den Begriff „Systeme“ auf Seite 44 oder unter den Begriff „Möbel“ auf Seite 45 fällt. Gegen das Verständnis, das Deckenversorgungssystem falle als Ganzes unter den Begriff „Möbel“ und die Vorgaben auf Seite 45 seien so zu verstehen, dass ein DVGW- und ein VDE-Zertifikat für das System als Ganzes erteilt sein und vorgelegt werden muss, spricht, dass es unstreitig kein VDE-Zertifikat für das Versorgungssystem als Ganzes gibt (s. oben [a]).
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(e) Die Auslegung der Vergabeunterlagen führt auch unter Berücksichtigung der Ausführungen auf Seiten 48 f. der Vergabeunterlagen zu keinem eindeutigen Ergebnis. Danach sind – wie unter dem Punkt „Allgas-Armaturen“ dargelegt – zwingend für alle Gashähne DVGW-Zertifikate vorzulegen. Unter der unmittelbar anschließenden Überschrift „Gas-Installations-Vorschriften“ ist vorgegeben, bei der Gasinstallation, der Leitungsführung, den Sicherheitsabsperrorganen und den Absperrhähnen seien die „technischen Regeln, Arbeitsblatt G 621 des DVGW, zugrunde zu legen“. Für die Magnetventile heißt es, die Ausführung habe immer mit Schmutzfänger zu erfolgen und die DVGW-Zulassung sei zwingend vorzulegen. Diese Ausführungen könnten von einem verständigen Bieter so verstanden werden, dass (lediglich) für die Gashähne und die Magnetventile DVGW-Zertifikate vorzulegen sind, nicht jedoch für das Deckenversorgungssystem als Ganzes. Die Vorgabe, es seien die technischen Regeln des Arbeitsblattes G 621 des DVGW zugrunde zu legen, besagt nur, dass die Regeln des Arbeitsblattes einzuhalten sind, nicht jedoch, dass ein DVGW-Zertifikat vorhanden sein muss und vorzulegen ist. Dass nicht ausschließlich DVGW-Zertifikate erteilt werden können, wenn Grundlage der Prüfung das DVGW-Arbeitsblatt G 621 ist, ergibt sich aus dem von der Beigeladenen als Anlage BG 3 vorgelegten TÜV-Zertifikat, in dem als Grundlage der Prüfung neben der „DIN 30666:2022-03“ das „DVGW-Arbeitsblatt G 621 (A)“ genannt ist.
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(f) Dahingestellt bleiben kann, ob die Sicherheitsmagnetventile Teil des Deckenversorgungssystems sind, da auch die Vorgabe auf Seite 51 der Vergabeunterlagen, dass die Sicherheitsmagnetventile nach gültigen DVGW-Richtlinien einzubauen sind, nichts über die für das Medienversorgungssystem erteilten und vorzulegenden Zertifikate besagt, sondern lediglich den Einbau der Sicherheitsmagnetventile betrifft.
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(g) Bei dem unter der Position 01.01.0001 des Leistungsverzeichnisses (S. 53 f. der Vergabeunterlagen) genannten „Deckenversorgungssystem mit Anschl.-Schrank“ dürfte es sich zwar um das Deckenversorgungssystem als Gesamtsystem handeln. Auch in dieser Position des Leistungsverzeichnisses wird jedoch nicht klar und eindeutig geregelt, wofür DVGW-Zertifikate erteilt sein und vorgelegt werden müssen. Auf Seiten 53/54 der Vergabeunterlagen wird lediglich die Montage „für Lehrer/Abzug“ und „für Schüler-Bedienfeld“ gemäß DVGW-Arbeitsblatt G 621 (aktuelle Fassung) gefordert. Dass die Montage gemäß den Vorgaben des DVGW-Arbeitsblattes G 621 zu erfolgen hat, besagt jedoch nicht, dass ein DVGW-Baumusterprüfzertifikat für die Montage oder für das System als Ganzes vorhanden sein und vorgelegt werden muss.
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Hinsichtlich der „Installationsarbeiten Deckensystem“ wird auf Seite 55 der Vergabeunterlagen lediglich „betriebfertiges Anschließen Gas innerhalb des Deckensystems incl. Druck-Prüfprotokoll nach DVGW“ gefordert. Ob für das Deckenversorgungssystem als Ganzes oder lediglich Teile hiervon DVGW-Baumusterprüfzertifikate erteilt sein und vorgelegt werden müssen, ergibt sich hieraus nicht.
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(h) Dass die Beigeladene die Vergabeunterlagen dahingehend verstanden hat, es sei ein DVGW-Baumusterprüfzertifikat für das Deckenversorgungssystem als Ganzes vorzulegen, hat unabhängig davon, dass aus einem Angebot nicht auf ein typisches Bieterverständnis geschlossen werden kann, keine indizielle Wirkung für eine derartige Auslegung. Denn nach dem Vorbringen der Antragstellerin mit Schriftsätzen vom 11. März 2025 und 15. September 2025, dem die Antragsgegnerin und die Beigeladene nicht entgegengetreten sind, hat die Beigeladene die Leistungsbeschreibung erstellt.
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bb) Ohne Beseitigung der aufgezeigten Unklarheiten der Vergabeunterlagen ist eine ordnungsgemäße Vergabe nicht möglich. Unklar ist nicht lediglich, wofür DVGW-Baumusterprüfzertifikate vorzulegen sind, sondern auch, ob für das Deckensystem als Ganzes oder nur für Einzelkomponenten DVGW-Baumusterprüfzertifikate erteilt sein müssen. Es liegt damit eine objektiv unklare Leistungsbeschreibung nach § 121 GWB vor, sodass eine Überarbeitung der Vergabeunterlagen erforderlich ist.
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Das Vergabeverfahren ist in den Stand zurückzuversetzen, zu dem sich der Mangel ausgewirkt hat. Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht ist das Vergabeverfahren daher jedenfalls in den Stand vor Abgabe der Angebote zurückzuversetzen und unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats fortzuführen. Erforderlich ist eine Überarbeitung der Vergabeunterlagen, sodass klargestellt wird, welche Anforderungen an das angebotene System und die hierfür vorzulegenden Zertifikate gestellt werden. Die Vergabestelle hat in geeigneter Weise – gegebenenfalls durch eine Korrekturbekanntmachung oder durch eine neue Bekanntmachung – dafür Sorge zu tragen, dass nicht nur die Antragstellerin und die Beigeladene die Gelegenheit zur Abgabe neuer Angebote erhalten.
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3. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie über die zur Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 GWB. Die Antragstellerin, die eine Aufhebung ihres Ausschlusses und eine Wiederholung der Prüfung und Wertung der Angebote unter Einbindung ihres Angebots, hilfsweise die Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Angebotsabgabe, angestrebt hat, bleibt hinter dem Ziel ihres Hauptnachprüfungsantrags zurück. Auch die Antragsgegnerin und die Beigeladene, die sich aktiv auf Seiten der Antragsgegnerin am Verfahren vor der Vergabekammer beteiligt hat, unterliegen teilweise. Der Grad des Obsiegens bzw. Unterliegens der Antragstellerin einerseits und der Antragsgegnerin bzw. der Beigeladenen andererseits erscheint gleichwertig, weswegen die Antragstellerin 50% der Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer zu tragen hat. Die weiteren 50% dieser Kosten tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene gesamtschuldnerisch (§ 182 Abs. 3 Satz 2 GWB). Für die Anordnung einer Kostenerstattung zugunsten einer Seite besteht keine Veranlassung, ebenso wenig bedarf es eines Ausspruchs über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts.
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Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 175 Abs. 2, § 71 GWB. Die Verteilung der gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Eilverfahrens gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB zwischen Antragstellerseite und Antragsgegnerseite entspricht derjenigen des Verfahrens vor der Vergabekammer. Im Verhältnis der Antragsgegnerin und der Beigeladenen hält der Senat eine Verteilung der Kosten des Beschwerdeverfahrens nach Kopfteilen für billig (vgl. BayObLG, Beschluss vom 5. August 2025, Verg 2/25 e, juris Rn. 191; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. November 2020, 11 Verg 12/20, juris Rn. 95 m. w. N.; Losch in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 182 GWB Rn. 41). Die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung bzw. Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen hat jeder Verfahrensbeteiligte selbst zu tragen.
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4. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren ist nach § 50 Abs. 2 GKG festzusetzen. Auszugehen ist dabei vom Bruttowert des Angebots, das die Antragstellerin eingereicht hat, weil sie mit dem Nachprüfungsantrag ihre Chance auf den Auftrag wahren will (BGH, Beschluss vom 18. März 2014, X ZB 12/13 – Bioabfallvergärungsanlage, NZBau 2014, 452 Rn. 7).