Inhalt

Anwaltsgerichtshof München, Urteil v. 25.11.2025 – BayAGH III - 4 - 20/21
Titel:

Widerruf der Rechtsanwaltszulassung einer Rechtsanwaltsgesellschaft wegen Übertragung von Geschäftsanteilen an einen nicht zur Anwaltschaft zugelassenen Finanzinvestor

Normenketten:
GG Art. 9, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3
BRAO § 59a Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 59b, § 59c, § 59e Abs. 2, § 59f Abs. 3, Abs. 4, § 59h Abs. 3 (idF bis zum 1.8.2022)
DienstleistungsRL Art. 15 Abs. 2 lit. c, Abs. 3
Leitsätze:
1. Gem. § 59h Abs. 3 BRAO aF ist die Zulassung zu widerrufen, wenn die Rechtsanwaltsgesellschaft nicht mehr die Voraussetzungen gemäß § 59e BRAO aF erfüllt. Dies ist der Fall bei einer Übertragung der Geschäftsanteile im Umfang einer Mehrheitsbeteiligung auf eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung österreichischen Rechts, die sich als Finanzinvestor an der Rechtsanwaltsgesellschaft beteiligen möchte. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Vorschrift mit dem Inhalt der § 59a, § 59e BRAO aF, wonach es unzulässig ist, dass Geschäftsanteile an einer Rechtsanwaltsgesellschaft auf einen reinen Finanzinvestor übertragen werden, der nicht die Absicht hat, in der Gesellschaft eine in dieser Regelung bezeichnete berufliche Tätigkeit auszuüben, und die bei Zuwiderhandlung den Widerruf der Zulassung der betreffenden Rechtsanwaltsgesellschaft zur Rechtsanwaltschaft vorsieht (Fremdbeteiligungsverbot), ist mit Unionsrecht vereinbar. (Rn. 66) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das in § 59a, § 59e BRAO aF normierte Fremdbeteiligungsverbot ist mit Art. 12 GG  vereinbar. (Rn. 68 – 79) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsanwaltsgesellschaft, Übertragung Gesellschaftsanteile, Kapitalgesellschaft, Finanzinvestor, nicht zur Anwaltschaft zugelassene Kapitalgesellschaft, Unabhängigkeit der Geschäftsführung, Ausübung des Stimmrechts, Fremdbeteiligungsverbot, Kapitalverkehrsfreiheit, Widerruf der Zulassung
Vorinstanz:
Anwaltsgerichtshof München, Beschluss vom 20.04.2023 – BayAGH III-4-20/21
Fundstelle:
BeckRS 2025, 32150

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages für die Beklagte vorläufig vollstreckbar.
4. Die Berufung gegen das Urteil wird zugelassen.
5. Der Streitwert wird für das Verfahren auf 50.000,- € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin ist eine Rechtsanwaltsgesellschaft, die in Form einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG) betrieben wird. Bei der Unternehmergesellschaft handelt es sich um eine Kapitalgesellschaft, für die die Regeln der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbHG) gelten, jedoch das Mindeststammkapital hinter dem an sich vorgesehenen Betrag von 25.000 € zurückbleibt. Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter dieses Unternehmens war ursprünglich der Beigeladene zu 2. Die Gesellschaft wurde durch Vertrag vom 30.01.2020 gegründet, am 16.07.2020 im Handelsregister des Amtsgerichts Traunstein eingetragen und aufgrund Bescheides der Beklagten vom 28.07.2020 am 06.08.2020 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Sie hat ihren Sitz in ….
2
Durch Abtretungsvertrag vom 31.03.2021 wurden 51 der 100 Geschäftsanteile vom Beigeladenen zu 2. an die Beigeladene zu 1., eine GmbH Österreichischen Rechts, veräußert. Gleichzeitig wurde die Satzung der UG geändert, um die Übertragung von Geschäftsanteilen an eine nicht zur Anwaltschaft zugelassene Kapitalgesellschaft zu ermöglichen und die Unabhängigkeit der Geschäftsführung, die zugelassenen Anwälten vorbehalten bleibt, zu gewährleisten. Die maßgeblichen Bestimmungen der Satzung haben nun folgenden Wortlaut:
„§ 2 Gegenstand des Unternehmens
(1) Gegenstand des Unternehmens ist die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten einschließlich der Rechtsberatung durch Übernahme von Anwaltsaufträgen, die nur durch in den Diensten der Gesellschaft stehende, zugelassene Rechtsanwälte unabhängig, weisungsfrei und eigenverantwortlich unter Beachtung ihres Berufsrechts ausgeführt werden. Die Gesellschaft schafft dazu die erforderlichen personellen, sachlichen und räumlichen Voraussetzungen und tätigt die damit verbundenen Geschäfte; sie unterhält insbesondere die nach dem Berufsrecht der Rechtsanwälte vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung.
(2) Die Gesellschaft darf wirksamen Ge- und Verboten der Bundesrechtsanwaltsordnung sowie des sonstigen Berufsrechts der Rechtsanwälte nicht zuwiderhandeln, sie darf insbesondere die für sie tätigen Rechtsanwälte in der Freiheit ihrer Berufsausübung nicht beeinträchtigen. Der Gesellschaft ist Werbung nur in den berufsrechtlichen Grenzen erlaubt. Handels- und Bankgeschäfte sowie sonstige gewerbliche Tätigkeiten sind der Gesellschaft nicht gestattet.
§ 8 Übertragung von Geschäftsanteilen
Die Übertragung von Geschäftsanteilen sowie Teilen von Geschäftsanteilen ist nur mit schriftlicher Zustimmung der Gesellschafterversammlung wirksam. Die Zustimmung wird durch Gesellschafterbeschluss erteilt, der einer Mehrheit von 75 % der stimmberechtigten Stimmen bedarf.
§ 9 Geschäftsführung und Vertretung
(1) Die Geschäfte der Gesellschaft werden ausschließlich von Rechtsanwälten nach Maßgabe der Gesetze, der einschlägigen Berufsordnungen und dieser Satzung verantwortlich geführt. Sie hat einen oder mehrere Geschäftsführer. Die Gesellschaft unterhält an ihrem Sitz eine Kanzlei, in der verantwortlich mindestens ein geschäftsführender Rechtsanwalt tätig ist, für den die Kanzlei den Mittelpunkt seiner Tätigkeit darstellt.
(2) Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, vertritt dieser die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, wird die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer gemeinschaftlich oder durch einen Geschäftsführer in Gemeinschaft mit einem Prokuristen vertreten.
(4) Die Geschäftsführer üben ihren Beruf als Rechtsanwalt unabhängig und eigenverantwortlich aus. Einflussnahmen der Gesellschafter, der Gesellschafterversammlung oder anderer Geschäftsführer auf die Berufsausübung der Geschäftsführer, etwa durch Weisungen, vertragliche Bindungen oder die Androhung oder Zufügung von Nachteilen (z.B. Abberufung nach § 46 Nr. 5 GmbHG oder Maßregeln nach § 46 Nr. 6 GmbHG), sind insoweit unzulässig. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die konkrete Annahme, Ablehnung und Führung eines Mandats der Gesellschaft. Die Geschäftsführer dürfen durch die Gesellschafter, die Gesellschafterversammlung oder die anderen Geschäftsführer ferner nicht darin beeinträchtigt werden, ihren Beruf als Rechtsanwalt jederzeit im Einklang mit ihren Berufspflichten (insb. nach der Bundesrechtsanwaltsordnung und der Berufsordnung für Rechtsanwälte) ausüben zu können. Die Abberufung eines Geschäftsführers bedarf, außer im Fall einer Abberufung aus wichtigem Grund, eines einstimmigen Gesellschafterbeschlusses.
Die Gesellschafter verpflichten sich – auch wenn sie selbst nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sind –, bei der Ausübung ihrer Rechte als Gesellschafter stets so zu handeln, dass ihr eigenes Verhalten sowie das dadurch bewirkte Verhalten der Gesellschaft mit dem Berufsrecht der Rechtsanwälte (insb. Bundesrechtsanwaltsordnung und Berufsordnung der Rechtsanwälte) in Einklang steht. Die Geschäftsführer beraten die Gesellschafter bei Fragen, die sich aus dem Berufsrecht ergeben.
(5) Zu Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten können nur Rechtsanwälte bestellt werden. Für Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte gilt Abs. 4 entsprechend; die Weisungsbefugnis der Geschäftsführer gegenüber dem Prokuristen bzw. Handlungsbevollmächtigten aus einem Dienst-, Arbeits- oder Auftragsverhältnis bleibt unberührt.
§ 11 Beschlussfassung
(1) Beschlüsse der Gesellschafter werden mit einfacher Mehrheit gefasst, soweit das Gesetz oder diese Satzung nicht eine andere Mehrheit vorschreiben. Jeder Geschäftsanteil gewährt eine Stimme. Beschlüsse, die gegen § 9 Abs. 4 oder 5 verstossen, sind unzulässig.
§ 13 Ausübung des Auskunfts- und Einsichtsrechts nach § 51 a GmbHG
Die Geschäftsführer, Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten haben ihre anwaltliche Pflicht zur Verschwiegenheit so weit wie möglich auch gegenüber der Gesellschafterversammlung und jedem Gesellschafter, mit dem sie nicht beruflich zusammenarbeiten und der nicht seinerseits einer strafbewehrten Verschwiegenheitspflicht unterliegt, zu wahren. Soweit ein Gesellschafter Einsicht in Unterlagen oder Auskunft über Sachverhalte verlangt, die der anwaltlichen Verschwiegenheit unterliegen, muss er sich durch einen – auch ihm gegenüber – gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichteten Berufsgeheimnisträger (z.B. Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) vertreten lassen. Die Gesellschafter sind im Hinblick auf die Einsichtnahme oder Auskunft von Sachverhalten, die der anwaltlichen Verschwiegenheit unterliegen, selbst direkt und unmittelbar durch diesen Gesellschaftsvertrag nach § 203 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StGB zur Verschwiegenheit verpflichtet. In jedem Fall muss sich der Gesellschafter, bevor er unmittelbar selbst durch Einsichtnahme oder Auskunft Kenntnis von Sachverhalten erlangen kann, die der anwaltlichen Verschwiegenheit unterliegen, selbst nach § 203 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StGB durch den zuständigen Geschäftsführer zur Verschwiegenheit verpflichten lassen. Abweichend von § 51 a Abs. 2 S. 2 GmbHG bedarf die Verweigerung der Auskunft oder Einsicht keines Gesellschafterbeschlusses.
§ 17 Satzungsänderungen; Auflösung; Anzeigepflichten
(1) Beschlüsse über Änderungen dieser Satzung und über die Auflösung der Gesellschaft sind nur gültig, wenn sie in einer ordnungsgemäß einberufenen und beschlussfähigen Gesellschafterversammlung mit einer Mehrheit von 75 % der abgegebenen Stimmen gefasst werden. Änderungen von § 9 Abs. 4 und 5 sowie § 13 dieses Gesellschaftsvertrags bedürfen der Einstimmigkeit.
(2) Jede Änderung der Satzung, der Gesellschafter oder in der Person der Vertretungsberechtigten, jeder Beschluss über die Einzelvertretungsberechtigung von Geschäftsführern sowie die Errichtung oder Auflösung von Zweigniederlassungen sind der zuständigen Rechtsanwaltskammer unverzüglich unter Beifügung der erforderlichen Nachweise anzuzeigen.“
3
Die Satzungsänderung und die Übertragung der Geschäftsanteile wurden am 06.04.2021 im Handelsregister des Amtsgerichts Traunstein eingetragen.
4
Mit Schreiben vom 09.04.2021 und 09.05.2021 teilte die Klägerin der Beklagten die Änderung der Satzung und die Übertragung von 51 der 100 Geschäftsanteile an die Beigeladene zu 1. mit.
5
Mit Schreiben vom 19.05.2021 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Übertragung der Geschäftsanteile an die Beigeladene zu 1. gemäß §§ 59 e, 59 a BRAO a.F. unzulässig sei und daher der Klägerin die Zulassung zur Anwaltschaft zu widerrufen sei, sofern es bei der Übertragung der Geschäftsanteile bleibe.
6
Die Klägerin teilte der Beklagten mit Schreiben vom 26.05.2021 mit, dass es bei der Übertragung der Geschäftsanteile bleiben solle. Sie bat um den Erlass eines Bescheides.
7
Am 01.07.2021 fasste das Präsidium der Beklagten den Beschluss, die Zulassung der Klägerin zu widerrufen. Durch Bescheid vom 09.11.2021 wurde die Zulassung der Klägerin widerrufen. Der Bescheid ist gestützt auf § 59 h Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 59 e Abs. 1 S. 1 BRAO (a.F.). Nach diesen Vorschriften ist es unzulässig, dass ein Geschäftsanteil auf eine Person übertragen wird, die kein Berufsträger im Sinne von § 59 a BRAO (a.F.) bzw. Arzt oder Apotheker ist. Ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten gemäß Art. 49, 63 AEUV bzw. Art. 15 Dienstleistungsrichtlinie liege hierin nicht, da Art. 25 Abs. 1 S. 2 lit. a der Dienstleistungsrichtlinie für gebundene Berufe entsprechende Einschränkungen zulasse. Es liege eine Regelung der Berufsausübung vor, die mit Art 12 GG vereinbar sei, wie die Beklagte bereits im Schreiben vom 19.05.2021 ausgeführt hatte. Im Übrigen sei die Beklagte an die §§ 59 h, 59 e BRAO (a.F.) gebunden, ohne dass ihr insoweit eine Normprüfungs- und Verwerfungskompetenz zustehe. Der Bescheid wurde am 11.11.2021 der Klägerin zugestellt.
8
Gegen den Bescheid richtet sich die Klage vom 26.11.2021, eingegangen beim Bayerischen Anwaltsgerichtshof am gleichen Tag. Mit der Klage rügt die Klägerin, dass sie durch den Widerruf der Zulassung in ihren Rechten verletzt werde. Zwar entspreche der Widerruf der Zulassung den §§ 59 h Abs. 3 S. 1, 59 e Abs. 1 S. 1 BRAO (a.F.), da die Beigeladene zu 1. kein Berufsträger im Sinn von § 59 a BRAO (a.F.) sei. Der Bescheid sei gleichwohl rechtswidrig, da diese Bestimmungen gegen höherrangiges Verfassungsrecht und höherrangiges EU-Recht verstießen.
9
Insbesondere würden durch den Widerruf der Zulassung das Recht der Klägerin auf Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV), das Recht der Beigeladenen zu 1. auf Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV), die Rechte der Klägerin aus Art. 15 Dienstleistungsrichtlinie und die Rechte der Klägerin und der Beigeladenen aus Art. 15, 16 EU-Grundrechtecharta verletzt. Die Klägerin regte an, dass der Senat ein Vorabentscheidungsersuchen gem. Art 267 AEUV an den EuGH richtet.
10
Dem ist die Beklagte entgegengetreten. Ein Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig, da ein konstruierter Fall vorliege. Die Klägerin habe selbst keine anwaltliche Tätigkeit entfaltet. In Anbetracht der Höhe des Stammkapitals von 100 € sei dies auch nicht zu erwarten. Die Beiladung sei unzulässig, da die Beigeladene durch das nationale Berufsrecht nicht gebunden sei. Der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit sei nicht betroffen. Auf die Niederlassungsfreiheit könne sich die Klägerin nicht berufen, da insoweit ein rein nationaler Sachverhalt vorliege. Im Übrigen seien die Beschränkungen gemäß §§ 59 h, 59 a, 59 c-f BRAO (a.F.) durch Art. 65 AEUV sowie Art. 15 Abs. 2c, 3 der Dienstleistungsrichtlinie gerechtfertigt.
11
Der Senat hat durch Beschluss vom 21.12.2022 die Beigeladenen zu 1. und 2., da durch das Verfahren auch ihre Rechte betroffen sind, beigeladen.
12
In der mündlichen Verhandlung vom 20.04.2023 wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Die Klägerin stellte den Antrag aus dem Schriftsatz vom 26.11.2021. Die Beklagte beantragte die Klage abzuweisen.
13
Durch Beschluss vom 20.04.2023 wurde das Verfahren ausgesetzt. Es wurde dem EuGH zur Vorabentscheidung über die in dem Beschluss genannten Fragen vorgelegt. Das Verfahren wurde unter dem Az. C-295/23 vor dem EuGH geführt. Der EuGH hat durch Beschluss vom 19.03.2024 die Entscheidung in diesem Verfahren an die Große Kammer verwiesen. In dem Verfahren haben sich die Klägerin, die Beklagte, sowie die deutsche, die spanische, die französische, die kroatische, die österreichische, die slowenische Regierung sowie die Kommission geäußert.
14
Der Generalanwalt hat am 04.07.2024 vorgeschlagen, das Vorabentscheidungsersuchen des BayAGH vom 20.04.2023 zu verbescheiden wie folgt:
„Art. 15 der Richtlinie 2006/123/EG des europäischen Parlaments und des Rats vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, deren Bestimmungen
1.
Den Angehörigen bestimmter Berufe gestatten, sich als Gesellschafter an einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu beteiligen, während Angehörige anderer Berufe davon ausgeschlossen sind, die objektiv auch die Kriterien erfüllen könnten, auf deren Grundlage die Beteiligung Angehöriger der zuerst genannten Berufe gestattet wird;
2.
allgemein und ohne nähere Konkretisierung vorschreiben, dass Rechtsanwälte und die Angehörigen anderer Berufe, die sich als Gesellschafter beteiligen dürfen, in der Gesellschaft beruflich tätig sind;
3.
zulassen, dass Personen, die keine Rechtsanwälte sind, einen Prozentsatz des Kapitals und der Stimmrechte halten, der ausreicht, um diesen Personen einen bedeutenden unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss, der die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte bei der Verteidigung ihrer Mandanten gefährden kann, auf die Bildung des Willens der Gesellschaft zu gewähren.“
15
Hinsichtich Ziff. 3 liegt eine offenbare Unrichtigkeit vor, da es um die Frage ging, ob eine nationale Vorschrift mit Art 15 der Dienstleistungsrichtlinie vereinbar ist, die eine solche Mehrheits – Beteiligung berufsfremder Mitglieder der Gesellschaft gerade nicht zuließ.
16
Die große Kammer hat durch Urteil 20.12.2024 über das Vorabentscheidungsersuchen entschieden. Sie ist den Anträgen des Generalanwalts nicht gefolgt. Der Urteilstenor lautet:
„Art. 15 Abs. 2 Buchst. c und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 12.Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt und Art 63 AEUV
sind dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, nach der es unzulässig ist, dass Geschäftsanteile an einer Rechtsanwaltsgesellschaft auf einen reinen Finanzinvestor übertragen werden, der nicht die Absicht hat, in der Gesellschaft eine in dieser Regelung bezeichnete berufliche Tätigkeit auszuüben, und die bei Zuwiderhandlung den Widerruf der Zulassung der betreffenden Rechtsanwaltsgesellschaft zur Rechtsanwaltschaft vorsieht.“
17
Die Klägerin macht weiterhin geltend, dass die Beschränkungen gem. § 59 h Abs. 3 S. 1 i.V.m. §§ 59 e Abs. 1, 59 a Abs. 1 BRAO in der bis 31.7.2022 geltenden Fassung verfassungswidrig seien. Durch das Fremdbeteiligungsverbot werde in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Klägerin eingegriffen. Auch die Gründungsgesellschafter sowie die Mehrheitsgesellschafterin der Klägerin würden durch diese Bestimmungen in diesem Grundrecht beeinträchtigt. Darüber hinaus würden die Gründungsgesellschafter sowie die Mehrheitsgesellschafterin auch in ihrem Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit gem. Art 9 GG verletzt.
18
Auch die Klägerin unterfalle dem persönlichen Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht sei seinem Wesen nach auch auf die Klägerin als juristische Person des Privatrechts anwendbar. Durch das Fremdbeteiligungsverbot werde auch sachlich in den Schutzbereich von Art 12 Abs. 1 GG eingegriffen. Es werde ihr verwehrt, durch die Beschaffung von Eigenkapital anwaltliche Dienstleistungen anzubieten. Durch die Voraussetzung, dass alle Gesellschafter ihren Beruf in der Rechtsanwaltsgesellschaft ausüben, werde die Organisationsfreiheit der Klägerin beschränkt. Sie könne keine rein kapitalmäßig beteiligten Gesellschafter aufnehmen. Ein weiterer Eingriff in die Organisationsfreiheit liege in der Stimmrechtsregelung des § 59 e Abs. 2 BRAO i.d.F. v. 14.1.2014. Durch diese Regelung würden Gesellschafter, die keinen Beruf gemäß Abs. 1 Satz 1 ausüben, von der Ausübung des Stimmrechts ausgeschlossen.
19
Neben der Klägerin werde aber auch der Gründungsgesellschafter, Herr Rechtsanwalt …, durch den Widerruf der Zulassung der Klägerin in seinen Grundrechten der Berufsfreiheit (Art 12 Abs. 1 GG) und der Vereinigungsfreiheit (Art 9 GG) verletzt. Ein Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit durch das Fremdbeteiligungsverbot liege darin, dass dem Gründungsgesellschafter hierdurch der Zugang zu wichtigen Finanzierungsquellen verschlossen werde. Ohne den Zugang zu Eigenkapital von professionellen Investoren habe er nicht die Möglichkeit, die typischerweise hohen Entwicklungskosten für eine Software zu finanzieren, die die IT gestützte Bearbeitung einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle auch bei geringen Einzelstreitwerten wirtschaftlich ermögliche. Da nach § 27 S. 1 BORA und § 59 e Abs. 3 BRAO Dritte am wirtschaftlichen Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit nicht beteiligt werden dürften, komme die Aufnahme wirtschaftlichen Eigenkapitals außerhalb gesellschaftsrechtlicher Beteiligungsformen nicht in Betracht.
20
Aufgrund Art. 9 Abs. 1 GG stehe es jedermann zu, Gesellschaften nach Maßgabe der allgemeinen Bestimmungen zur gemeinsamen Berufsausübung zu gründen. Durch §§ 59 c BRAO sei erstmals das Grundrecht der Rechtsanwälte, sich zur Ausübung ihres Berufs in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft zu vereinen, eingeschränkt worden. Das Recht der Vereinigungsfreiheit werde vorbehaltlos gewährleistet. Es habe allgemeiner Meinung entsprochen, dass anwaltliche Dienstleistungen auch durch ein Unternehmen in Form einer Kapitalgesellschaft erbracht werden könne. Insoweit seien lediglich auf überkommenem Standesrecht gründende Vorbehalte geltend gemacht worden, die, wie das BVerfG ausgeführt habe, keine gesetzliche Grundlage hatten. Indem der Kreis der möglichen Gesellschafter beschränkt worden sei, werde dieses Recht nunmehr erstmals durch das Zusammenwirken von § 59 c BRAO a.F. und § 59 e BRAO a.F. erheblich beschränkt.
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Kollidierende Rechtsgüter von verfassungsrechtlichen Rang, die das Fremdbeteiligungsverbot rechtfertigen würden, bestünden nicht.
22
Schließlich werde auch die Mehrheitsgesellschafterin in ihren Grundrechten aus der Berufsfreiheit (Art 12 Abs. 1 GG) und der Vereinigungsfreiheit (Art 9 Abs. 1 GG) verletzt. Diese Grundrechte stünden auch der Mehrheitsgesellschafterin als Juristischer Person des Privatrechts zu. Gem. Art 18 AEUV seien die inländischen Gesellschaften gewährten Grundrechte auch auf Gesellschaften mit Sitz im europäischen Ausland zu erstrecken, wenn sie im Inland eine Geschäftstätigkeit ausüben. Andernfalls läge eine unzulässige Diskriminierung aufgrund ihres Sitzes im Ausland vor.
23
§ 59 e Abs. 1 BRAO a.F. greife in die Berufsfreiheit der Mehrheitsgesellschafterin ein. Die Berufsfreiheit umfasse die Investitionsfreiheit. Vor allem eine Gesellschaft, die als Finanzinvestor tätig sei, müsse frei darüber entscheiden können, in welcher Form für welchen Zweck sie Kapital zur Verfügung stelle.
24
Darüber hinaus greife diese Vorschrift auch in das Recht der Mehrheitsgesellschafterin auf Vereinigungsfreiheit ein. Dieses Recht umfasse die Freiheit, mit anderen Personen zur Erreichung wirtschaftlicher Ziele eine Gesellschaft zu gründen. Es werde durch das Fremdbeteiligungsverbot beeinträchtigt.
25
Diese Grundrechtseinschränkungen seien nicht gerechtfertigt.
26
Zwar dienten die Vorschriften einem legitimen Zweck. Die unabhängige Berufsausübung der Anwälte solle gesichert werden. Weiterhin dienten die Vorschriften dem Zweck, auf die Einhaltung der Berufspflichten durch die für eine Rechtsanwaltsgesellschaft tätigen Personen mitzuwirken.
27
Das Fremdbeteiligungsverbot sei jedoch unverhältnismäßig. Die Unabhängigkeit der Berufsausübung durch die für die Rechtsanwaltsgesellschaft tätigen Anwälte werde bereits ausreichend durch § 59 f BRAO a.F. gesichert. Die Vorschrift enthalte ein weitgehendes Verbot der Einflussnahme der Gesellschafter auf die Tätigkeit der Geschäftsführer einer Rechtsanwaltsgesellschaft. Dadurch würden die Geschäftsführer vergleichbar dem Vorstand einer Aktiengesellschaft gegen Einflüsse der Gesellschafter abgeschirmt. Die Unabhängigkeit der Geschäftsführer werde durch weitergehende Vorschriften in der Satzung der Klägerin abgebildet und gesichert. Den Gesellschaftern würden demnach nur Grundlagenentscheidungen und Kontrollaufgaben vorbehalten. Die Satzung sei durch die Kammer im Rahmen des Zulassungsverfahrens daraufhin zu überprüfen, ob sie die Unabhängigkeit der Geschäftsführer bei der Ausübung ihrer anwaltlichen Tätigkeit sicherstelle. Die Geschäftsführer seien aus berufsrechtlichen Gründen verpflichtet, Eingriffe in ihre Unabhängigkeit durch die Gesellschafter abzuwehren. Hierzu seien sie aufgrund des Berufsrechts auch in der Lage. Die Kammer können im Übrigen sowohl aufsichtsrechtlich als auch wettbewerbsrechtlich die Unabhängigkeit der Geschäftsführer bei der Ausübung ihrer anwaltlichen Tätigkeit gegen die Gesellschaft durchsetzen.
28
Das Fremdbeteiligungsverbot sei auch im engeren Sinn unverhältnismäßig. Der Zusatznutzen des Fremdbeteiligungsverbots rechtfertige die hiermit verbundenen Einschränkungen nicht. Die Beklagte verkenne bereits, dass es nicht um die Unabhängigkeit des Handelns der Klägerin, sondern des persönlichen Handelns der Geschäftsführer geht.
29
Die Gewinnerwartung nicht anwaltlich handelnder Kapitalgeber rechtfertige das Fremdbeteiligungsverbot nicht. Das Interesse eines Kapitalgebers an dem wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft sei unabhängig von dem von ihm ausgeübten Beruf. Daher habe der Gesetzgeber durch die Reform der BRAO durch die Einführung der Berufsausübungsgesellschaft die Beteiligung an einer rechtsberatenden Gesellschaft für einen sehr viel größeren Personenkreis ermöglicht.
30
Es sei auch nicht zu erwarten, dass aus wirtschaftlichen Gründen ein Rechtsanwalt bei der Ausübung seines Berufs im Verhältnis zu einem Finanzinvestor in eine größere Abhängigkeit gerate, als dies gegenüber einem externen Kapitalgeber der Fall sei.
31
Das Fremdbeteiligungsverbot sei auch deswegen unverhältnismäßig, weil der anwaltlich tätige Geschäftsführer gegenüber anderen in der Gesellschaft tätigen Kapitalgebern, in gleicher Weise in Abhängigkeit geraten könne. Das Gesetz sehe für den Umfang der Tätigkeit weiterer Gesellschafter keine quantitativen und qualitativen Mindestanforderungen vor. Das in § 59 e BRAO a.F. vorgesehene Tätigkeitsgebot sei daher aufsichtsrechtlich nicht durchsetzbar. Vielmehr besteht die Möglichkeit, dass ein Mitgesellschafter, der die Anforderungen gem. §§ 59 a, 59 e BRAO a.F. erfülle, nur in ganz untergeordnetem Umfang für die Gesellschaft tatsächlich tätig werde, während sich sein Hauptbeitrag ähnlich einem Finanzinvestor in der Zurverfügungstellung von Kapital erschöpfe.
32
Dass die Regelung unverhältnismäßig sei, ergebe sich aber auch daraus, dass der Gesetzgeber keinerlei Schutz gegen persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeiten unterschiedlichster Art, denen ein Berufsträger bei der Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit ausgesetzt sein könne, und die die Unabhängigkeit in mindestens gleicher Weise gefährden, vorsehe.
33
Das Fremdbeteiligungsverbot verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, soweit es zur Wahrung der Geradlinigkeit der anwaltlichen Tätigkeit durch Vermeidung von Interessenkonflikten dienen solle. Aufgrund der genannten Regelungen in der Satzung der Klägerin sowie des Einflussnahmeverbots gem. § 59 f BRAO a.F. könnten auch bei Beteiligung eines Finanzinvestors Interessenkonflikte vermieden werden. Insbesondere dürfe dieser auf die Entscheidung zur Übernahme eines Mandats und zur Ausführung dieses Mandats keinen Einfluss nehmen.
34
Schließlich werde das Vertrauen in die Verschwiegenheit des Anwalts auch dann nicht gefährdet, wenn das Fremdbeteiligungsverbot aufgehoben werde. Bereits aufgrund der gesetzlichen Vorschriften sei das Gebot der Verschwiegenheit auch in Bezug auf den Gesellschafter umfassend geschützt. Grundsätzlich dürfe der Anwalt Informationen, die er aufgrund des Mandats erhalten habe, nicht an die Gesellschafter weitergeben. Soweit diese im Rahmen der ihnen verbliebenen Kontrollaufgaben und Entscheidungskompetenzen Informationen erhielten, seien sie aufgrund ihrer organschaftlichen Stellung in der Gesellschaft ebenfalls zur Verschwiegenheit verpflichtet. Durch die vorgesehenen Bestimmungen in der Satzung werde dieser Schutz verstärkt.
35
Die Beklagte verteidigt den angegriffenen Beschluss. Die §§ 59 a, 59 e BRAO a.F. seien verfassungskonform. Eine Vorlage gemäß Art. 100 Grundgesetz sei im Übrigen nur zulässig, wenn das Gericht nicht nur Zweifel an der Verfassungskonformität dieser Vorschriften habe, sondern davon überzeugt sei, dass diese gegen vorrangiges Verfassungsrecht verstießen.
36
Das Fremdbeteiligungsverbot finde in der gesteigerten Renditeerwartung eines Finanzinvestors seine Rechtfertigung. Zeichne sich für diesen ab, dass der Kapitaleinsatz nicht die gewünschte Rendite erbringe, könne er dieses jederzeit abziehen. Bei einem Investment in Form von Venture Capital sei der Druck besonders hoch. Aufgrund des hohen Risikos erwarte der Investor hier mindestens eine Rendite von 10 %.
37
Die Unabhängigkeit der Anwaltschaft, die Geradlinigkeit und die Sicherung der Rechtspflege seien legitime Ziele, die der Gesetzgeber mit dem Fremdbeteiligungsverbot verfolge. Das Fremdbeteiligungsverbot sei auch geeignet, diese Ziele zu erreichen. Insoweit komme dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu. Das Handeln des Gesetzgebers sei durch diese erst dann nicht mehr gedeckt, wenn die Erwägungen des Gesetzgebers vernünftigerweise an keinem zulässigen Maßstab für sein Handeln gemessen werden könnten.
38
Das Einflussnahmeverbot gem. § 59 f BRAO a.F. sei nicht ausreichend, um die Unabhängigkeit für das anwaltliche Handeln der Geschäftsführer zu sichern. Zurecht habe der Gesetzgeber diese daher zusätzlich durch das Fremdbeteiligungsverbot gem. § 59 e BRAO a.F. geschützt. Insbesondere sei nicht geklärt, wie die Rechtsprechung die Auswirkungen der Einschränkungen gem. § 59 f BRAO a.F. auf die Rechte als Gesellschafter gem. § 37 GmbHG beurteilen werde.
39
Auch die Aufsicht durch die Kammer sei nicht ausreichend, um die Unabhängigkeit der anwaltlichen Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftern zu gewährleisten. Das Satzungsrecht gem. § 33 BORA werde durch die vorrangigen gesetzlichen Vorschriften, insbesondere § 37 GmbHG verdrängt. Darüber hinaus schütze die Kammeraufsicht auch nicht gegen den mit der Ausübung wirtschaftlicher Macht durch einen Finanzinvestor verbundenen Druck.
40
Das Fremdbeteiligungsverbot sei auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Die Beteiligung von Personen, die einen Beruf gemäß § 59 a BRAO a.F. ausübten bzw. als Arzt oder Apotheker tätig seien, sei nicht mit dem Einfluss vergleichbar, den ein Finanzinvestor auf die Gesellschaft ausüben könne und wolle.
41
Durch das Tätigkeitsgebot werde sichergestellt, dass sich mittelbar auch andere Berufsträger an das für Anwälte geltende Berufsrecht halten müssten. Ein solcher Druck könne auf eine lediglich als Finanzinvestor beteiligte Person nicht ausgeübt werden.
42
Auch das Ziel der Geradlinigkeit spreche für das Fremdbeteiligungsverbot. Vergleichbare Verbote, wie sie für Anwälte hinsichtlich der Wahrnehmung widerstreitender Interessen gelten, bestünden auch für die Angehörigen der in § 59 a BRAO a.F. genannten Berufe sowie Ärzte und Apotheker.
43
Entgegen der Auffassung der Klägerin sei das Vertrauen in die anwaltliche Verschwiegenheit nicht in gleicher Weise gewahrt, wenn es juristischen Personen des Privatrechts mit Sitz im Ausland ermöglicht würde, sich an einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu beteiligen. Bei internationalen Sachverhalten bestünden komplexe und für den Rechtsverkehr nicht überschaubare Regelungen für die anwaltliche Zusammenarbeit und die damit verbundene Verschwiegenheit. Der Schutz des Berufsgeheimnisses gelte für einen Finanzinvestor nicht.
44
Die Mehrheitsgesellschafterin werde in ihrem Recht aus Art. 9 GG durch die Rücknahme der Zulassung nicht verletzt. Das Recht mit dem Gründungsgesellschafter eine Gesellschaft zu gründen bzw. sich an dieser zu beteiligen und damit zur gemeinsamen wirtschaftlichen Betätigung zu vereinigen, werde hierdurch nicht tangiert. Lediglich die Berufsausübung der durch die Vereinigung geschaffenen Gesellschaft werde durch §§ 59 e, 59 a BRAO a.F. gewissen Beschränkungen unterworfen.
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Unabhängig davon gehe die Regelung der Berufsausübung der Vereinigungsfreiheit nach Grundsätzen der Spezialität im vorliegenden Fall vor. Daher sei entscheidend, inwieweit gem. Art 12 GG die Tätigkeit der Klägerin bzw. des Gründungsgesellschafters und der Mehrheitsgesellschafterin Berufsausübungsregelung unterworfen werden können. Allein der Umstand, dass sich die Mehrheitsgesellschafterin mit dem Gründungsgesellschafter zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit vereinigt habe, vermöge zugunsten der Mehrheitsgesellschafterin den Schutzbereich der Tätigkeit nicht zu erweitern. Vielmehr seien auch bei der Vereinigungsfreiheit die nach Art. 12 GG zulässigen Schranken zu beachten.
46
Die Klägerin entgegnet, die Unterscheidung zwischen der Tätigkeit eines Finanzinvestors und eines Anwalts als Organ der Rechtspflege sei unbehelflich. Auch der Anwalt sei bei der Frage, ob er ein Mandat übernehme und wie er es ausführe, in den Grenzen des Berufsrechts frei und nicht dem Gemeinwohl verpflichtet. Ein struktureller Interessenwiderstreit zwischen den beruflichen Pflichten des Anwalts und den Verpflichtungen des Anwalts gegenüber dem Finanzinvestor bestehe daher nicht.
47
Das Bundesverfassungsgericht habe auch bei der Zusammenarbeit eines Anwalts mit einem Arzt den Schutz der Unabhängigkeit des Anwalts nicht auf die untergesetzliche Vorschrift gem. § 33 BORA, die den Arzt nicht bindet, gestützt.
48
Schließlich sähen auch die Vorschriften im Ausland einen ausreichenden Schutz von Berufsgeheimnissen vor.
49
Mit Schriftsatz vom 10.11.2025 hat die Klägerin die Klage zurückgenommen.
50
Mit Schriftsatz vom 17.11.2025 hat die Beklagte der Klagerücknahme nicht zugesimmt. Sie bestehe auf einer Entscheidung in der Sache. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 10.11.2025 und vom 17.11.2025 verwiesen
51
Der Senat hat mit den erschienenen Beteiligten am 25.11.2025 die Sach- und Rechtslage erörtert. Die Beklagte hat den mit der Klage angefochtenen Bescheid wegen Widerruf der Zulassung der Klägerin verteidigt. Sie hält §§ 59 h, 59 e, 59 a BRAO a.F. für verfassungsgemäß.
52
Für die Klägerin ist zum Termin am 25.11.2025 niemand erschienen. Sie hat schriftsätzlich eine Entscheidung gem. § 102 VwGO beantragt. Die Beteiligten wurden in der Ladung darauf hingewiesen, dass gem. § 102 VwGO eine Entscheidung in der Sache auch dann ergehen kann, wenn ein Beteiligter nicht zum Termin erscheint.
II.
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Die Klage ist zulässig aber nicht begründet.
54
Der BayAGH ist sachlich und örtlich zuständig. Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 112 a Abs. 1 BRAO, die örtliche aus § 112 b BRAO. Der angefochtene Bescheid vom 09.11.2021 wurde im Bezirk des BayAGH durch die Rechtsanwaltskammer München erlassen.
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Der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bedurfte es nicht (§ 112 c BRAO, § 68 VwGO, Art 12 Abs. 2 BayAGVwGO).
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Die Klagerücknahme ist nicht wirksam geworden (§ 92 VwGO, § 112 c BRAO). Erfolgt die Klagerücknahme, nachdem bereits die Anträge in der mündlichen Verhandlung gestellt wurden, bedarf sie zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Beklagten.
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Die Klägerin hatte in der mündlichen Verhandlung vom 20.04.2023 die Anträge aus der Klageschrift gestellt. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 17.11.2025 der Klagerücknahme widersprochen.
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Der Bescheid vom 09.11.2021 ist formell und materiell rechtmäßig. Maßgeblich sind die bei Erlass des angefochtenen Bescheides geltenden Vorschriften, mithin die §§ 59 a, 59 e, 59 f, 59 h BRAO in der am 09.11.2021 geltenden Fassung (im folgenden: BRAO a.F.). Dies wird von den Beteiligten auch nicht bezweifelt.
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1. Die Beklagte ist für den Widerruf der Zulassung gem. § 33 BRAO sachlich und örtlich zuständig. Sie hat mit Schreiben vom 19.05.2021 die Klägerin angehört, ihr mitgeteilt, dass die Übertragung der Geschäftsanteile an die Beigeladene zu 1 gem. §§ 59 e, 59 a BRAO a.F. unzulässig sei und daher beabsichtigt sei, die Zulassung der Klägerin zur Anwaltschaft zu widerrufen, sofern es bei der Übertragung der Geschäftsanteile auf die Beigeladene zu 1 bleibe. Hierzu hat die Klägerin Stellung genommen und mitgeteilt, dass es bei der Übertragung der Geschäftsanteile auf die Beigeladene zu 1 bleiben solle. Gleichzeitig bat sie um den Erlass einer rechtsmittelfähigen Entscheidung. Diese ist durch Bescheid vom 09.11.2021 ergangen. Der Bescheid ist begründet. Er wurde der Klägerin am 11.11.2021 zugestellt.
60
2.a) Der Bescheid des materiell rechtmäßig. Gem. § 59 h Abs. 3 BRAO a.F. ist die Zulassung zu widerrufen, wenn die Rechtsanwaltsgesellschaft nicht mehr die Voraussetzungen gem. § 59 e BRAO a.F. erfüllt. Dies ist aufgrund der Übertragung der Geschäftsanteile im Umfang einer Mehrheitsbeteiligung auf die Beigeladene zu 1) der Fall. Gemäß § 59e Abs. 1 BRAO a.F. können Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft nur Rechtsanwälte und Angehörige der in § 59 a Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BRAO a.F. sowie aufgrund Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 12.01.2016 – 1 BvL 6/13 Ärzte und Apotheker sein. Die Beigeladene zu 1) gehört nicht zu diesem Personenkreis. Es handelt sich um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung österreichischen Rechts, die sich als Finanzinvestor an der Klägerin beteiligen möchte.
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Gem. § 59 e Abs. 1 S. 2 BRAO a.F. müssen Gesellschafter in der Rechtsanwaltsgesellschaft eine Tätigkeit im Sinn von § 59 a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BRAO a.F. bzw. als Arzt oder Apotheker ausüben. Die Beigeladene zu 1) kann und darf für die Klägerin keine solche Tätigkeit ausüben.
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Gem. § 59 e Abs. 2 BRAO a.F. muss die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte Rechtsanwälten zustehen. Dies ist bei der Klägerin durch Übertragung von 51 der 100 Gesellschaftsanteile auf die Beigeladene zu 1 nicht mehr der Fall. Der als Rechtsanwalt zugelassene Beigeladene zu 2 hält nur noch eine Minderheitsbeteiligung an der Klägerin. Die Beigeladene zu 1 ist nach der nun geltenden Fassung der Satzung der Klägerin stimmberechtigt. Sie ist lediglich gem. § 9 Abs. 4 der Satzung im Verhältnis zu den Geschäftsführern bei der Ausübung ihrer Rechte als Gesellschafterin beschränkt. Da die Beigeladene zu 1 stimmberechtigt ist, erfüllt die Klägerin auch die Voraussetzungen gemäß
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§ 59 Abs. 2 S. 1 BRAO a.F. nicht. Zwar hat das BVerfG festgestellt, dass diese Vorschrift verfassungswidrig sei, soweit sie auch Patentanwälte betreffe (BVerfG NJW 2014, 613). Hierauf kann sich die Klägerin aber nicht berufen, da die Beigeladene zu 1) auch nicht als Patentanwältin tätig ist.
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Gem. § 59 h Abs. 3 BRAO a.F. steht der Beklagten hinsichtlich des Widerrufs kein Ermessen zu. Vielmehr ist die Zulassung zu widerrufen, wenn die Rechtsanwaltsgesellschaft die Voraussetzungen gem. § 59 e BRAO nicht mehr erfüllt.
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b) Dass auf dieser Grundlage der Widerruf der Zulassung zurecht erfolgt ist, zieht die Klägerin nicht in Zweifel. Sie meint jedoch, dass §§ 59 a, 59e BRAO a.F. gegen Unionsrecht und höherrangiges Verfassungsrecht verstießen.
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Ein Verstoß gegen Unionsrecht liegt nicht vor. Vielmehr hat der EuGH durch Urteil vom 19.12.2024 C-295/23 festgestellt, dass eine Vorschrift mit dem Inhalt der §§ 59 a, 59 e BRAO a.F. mit Unionsrecht vereinbar sei. Hieran ist der Senat gebunden. Erwirkt das Gericht eines Mitgliedstaates im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens eine Entscheidung des EuGH zur Auslegung von EU-Recht, ist es an die von diesem gefundene Antwort der Vorlagefrage gebunden und hat sie dem weiteren Verfahren zugrunde zu legen (EuGH, Urt. v. 14.12.2000 – C 446/98 Rn. 49, DVBl 2001, 445).
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Die Vorschriften verstoßen aber auch nicht gegen höherrangiges Verfassungsrecht.
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c) Die Vorschriften sind mit Art. 12 GG vereinbar.
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Auch die Klägerin wird durch das Grundrecht der Berufsfreiheit geschützt. Gemäß Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Dies ist bei einer Regelung über die Zulässigkeit der Beteiligung und der Stimmrechtsausübung an einer Gesellschaft, die anwaltliche Dienstleistungen erbringen soll, der Fall. Diese kann den Schutz der Berufsfreiheit für sich in Anspruch nehmen, soweit sie eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausübt, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise einer juristischen wie einer natürlichen Person offensteht (BVerfG NJW 2014, 613).
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Auf den Schutz gem. Art 12 Abs. 1 GG kann sich auch die Beigeladene zu 1 berufen. Als Finanzinvestorin will auch sie eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausüben, indem sie sich an der Klägerin als Mehrheitsgesellschafterin beteiligt. Dem Schutz durch Art. 12 GG steht nicht entgegen, dass es sich bei der Klägerin um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach österreichischem Recht handelt. Aufgrund der Kapitalverkehrsfreiheit und der Niederlassungsfreiheit kann sie sich gemäß Art 18 AEUV in gleicher Weise auf den Schutz durch inländische Grundrechte berufen wie eine juristische Person des Privatrechts mit Sitz im Inland, wenn sie – wie es vorliegend der Fall ist – in Ausübung der Kapitalverkehrsfreiheit handelt (BVerfGE 129, 78).
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Schließlich kann sich auch der Beigeladene zu 2 auf den Schutz gemäß Art. 12 GG berufen. In den Schutzbereich der Berufsfreiheit fällt auch die Entscheidung, inwieweit eine natürliche Person ihre berufliche Tätigkeit durch die Beschaffung von Fremdkapital oder durch die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft und Beschaffung von Eigenkapital finanzieren möchte (vgl. die Nachweise in Dreier/Wollenschläger GG, 4. Aufl. 2023 Art 12 Rn. 92).
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Gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG kann die Berufsausübung durch Gesetz geregelt werden. §§ 59 c, 59 e, 59 a BRAO a.F. enthalten solche Vorschriften, indem die berufliche Zusammenarbeit in Form einer Rechtsanwaltsgesellschaft geregelt wird. Solche Regelungen müssen geeignet erforderlich und verhältnismäßig sein, um ein von der Verfassung gebilligtes Ziel zu erreichen. Eine Berufsausübungsregelung kann dabei durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls legitimiert werden. Sie darf den Betroffenen nicht übermäßig belasten, muss angemessen sein, Eingriffszweck und Eingriffsintensität müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen und die Grenze der Zumutbarkeit muss noch gewahrt sein (Jarrass/Pieroth GG, 18. Aufl. 2024 Art 12 Rn. 48 m.w.N.).
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Das Fremdbeteiligungsverbot wird diesen Anforderungen gerecht.
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Der Schutz der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit ist ein hohes verfassungsrechtliches Gut (BVerfG NJW 2014, 613). Der Schutz des Rechtsanwalts, der als Geschäftsführer oder gemäß § 59 f Abs. 3 BRAO a.F. für die Rechtsanwaltsgesellschaft tätig wird, durch § 59 f Abs. 4 BRAO a.F. allein ist nicht ausreichend. Diese Vorschrift untersagt es zwar, dass Gesellschafter auf die Tätigkeit des Rechtsanwalts namentlich durch Weisungen oder vertragliche Bindungen Einfluss nehmen. Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht das Fremdbeteiligungsverbot gem. § 59 e Abs. 1 BRAO a.F. nicht allein aus diesem Grund für verfassungswidrig gehalten. Es hat für die Beteiligung eines Patentanwalts an einer Rechtsanwaltsgesellschaft mit entsprechendem Stimmrecht gem. § 59 e Abs. 2 BRAO a.F. lediglich deswegen eine Ausnahme von dem Stimmrechtsverbot gefordert, weil die Tätigkeit eines Rechtsanwalts und eines Patentanwalts sehr ähnlich seien und vergleichbaren berufsrechtlichen Beschränkungen unterliegen (BVerfG NJW 2014, 613). Mit ähnlichen Überlegungen hatte das Bundesverfassungsgericht auch eine Ausnahme hinsichtlich der Ausübung gemeinsamer beruflicher Tätigkeiten durch Anwälte und Ärzte bzw. Apotheker im Hinblick auf das Verbot der Zusammenarbeit gemäß § 59 a BRAO a.F. gefordert (BVerfG NJW 2016, 700). Auf einen Finanzinvestor lassen sich diese Überlegungen nicht übertragen. Über den Einsatz von Kapital und die damit verbundenen Aufgaben als Gesellschafter geht dessen Tätigkeit für die Rechtsanwaltsgesellschaft nicht hinaus. Er unterliegt damit insbesondere nicht vergleichbaren beruflichen Beschränkungen wie der Anwalt bei der Ausübung seiner Tätigkeit. Es ist daher von der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers gedeckt, die Unabhängigkeit der anwaltlichen Berufsausübung im Rahmen einer Rechtsanwaltsgesellschaft dadurch zu schützen, dass sich Personen, die solchen Beschränkungen nicht unterliegen, sondern mit der Beteiligung rein finanzielle Interessen verfolgen, an einer solchen Gesellschaft in der Form der Kapitalgesellschaft nicht beteiligen können.
75
§ 59 f Abs. 3 BRAO a.F. ist aber auch deswegen nicht allein ausreichend, die Unabhängigkeit des Anwalts vor der Einflussnahme durch einen Finanzinvestor zu schützen, weil die Abgrenzung zu § 37 GmbHG insoweit unklar ist. Zwar ergibt sich aus dieser Vorschrift eindeutig – noch verstärkt durch die Satzung der Klägerin – dass die Gesellschafter auf die Tätigkeit des Anwalts nicht unmittelbar durch Weisungen Einfluss nehmen dürfen. Unklar ist aber, inwieweit diese mittelbar, beispielsweise über Investitionsentscheidungen, Entscheidungen den Standort der Gesellschaft zu verlegen, die Entscheidung, Kanzleien zu öffnen oder zu schließen oder auch die Kapitalausstattung der Gesellschaft zu verändern, Einfluss auf die Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit nehmen können und dürfen.
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Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, dass die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts auch durch vielfältige andere wirtschaftliche und persönliche Zwänge gefährdet sein kann. Dies mag im Einzelfall zwar zutreffen. Dieser Gesichtspunkt führt aber nicht dazu, dass die Vermeidung eines weiteren Risikos für die Unabhängigkeit der Tätigkeit des Anwalts durch das Fremdbeteiligungsverbot unverhältnismäßig würde. Darüber hinaus sind die Risiken auch kaum vergleichbar. So sind für einen Darlehensgeber die Rechte und Pflichten einschließlich der Möglichkeit, das Darlehen zu kündigen, durch den Darlehensvertrag abschließend und vorhersehbar geregelt. Investitionsentscheidungen unterliegen dem gegenüber dem wirtschaftlichen Ermessen des Investors, das lediglich durch die gesellschaftsrechtlichen Regelungen der Kapitalerhaltung gebunden wird. Der Finanzinvestor ist darüber hinaus berechtigt, seine Beteiligung frei zu veräußern oder auch zu beleihen, und mittelbar über die Gesellschafterstruktur Einfluss auf die Geschäftsführung für die Gesellschaft zu nehmen.
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Auch der Verweis auf die Befugnisse der Beklagten im Rahmen der Aufsicht über die berufliche Tätigkeit der Klägerin rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Insbesondere die Möglichkeiten der mittelbaren Einflussnahme entziehen sich der berufsaufsichtsrechtlichen Kontrolle. Darüber hinaus bestehen, worauf die Beklagte zu Recht hinweist, erhebliche Unsicherheiten, ob Verstöße gegen Vorschriften, die die Unabhängigkeit der anwaltlichen Tätigkeit garantieren sollen, überhaupt zur Kenntnis der Beklagten gelangen. Schließlich ist zu beachten, dass der aufsichtsrechtlichen Kontrolle der Beklagten lediglich das Verhalten der Klägerin und der für diese tätigen anwaltlichen Berufsträger, nicht aber das des Finanzinvestors unterliegt.
78
Das Verbot der Fremdbeteiligung ist geeignet und verhältnismäßig, um das ebenfalls verfassungsrechtlich legitimierte Ziel der Geradlinigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zu schützen. Dieses verbietet es dem Anwalt, widerstreitende Interessen wahrzunehmen. Vergleichbare Verbote gelten auch für die Berufsträger gem. § 59 a BRAO a.F. sowie Ärzte und Apotheker. Es ist daher nicht widersprüchlich, wenn das Gesetz dem Anwalt mit Trägern dieser Berufe die Zusammenarbeit, auch in Form einer Kapitalgesellschaft, gestattet (BGH NJW 2016, 700). Der Finanzinvestor unterliegt solchen Bindungen nicht. Dieser kann sein Renditeinteresse auch dann versuchen zu verwirklichen, wenn es im Widerspruch zum Interesse der durch die Rechtsanwaltsgesellschaft vertretenen Mandanten steht. Es ist daher verhältnismäßig, wenn der Gesetzgeber sein Gestaltungsermessen dahingehend ausübt, solche Beteiligungen zu verbieten.
79
Das Verbot der Fremdbeteiligung ist schließlich auch durch den Schutz der Vertraulichkeit der anwaltlichen Tätigkeit gerechtfertigt. Auch insoweit ist zu beachten, dass Berufsträger im Sinn von § 59 a BRAO a.F. sowie Ärzte und Apotheker vergleichbaren Verpflichtung zur beruflichen Verschwiegenheit unterliegen und für diese vergleichbare Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote existieren wie für den Anwalt bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit. Für den Finanzinvestor existieren demgegenüber keine vergleichbar strengen Vorschriften, insbesondere wenn es sich um eine juristische Person mit Sitz im Ausland handelt. Es mag zwar zutreffen, dass im Einzelfall ein vergleichbares Schutzniveau erreicht werden kann, beispielsweise auch durch die Ausgestaltung der Satzung. Diese Möglichkeit allein führt aber nicht dazu, dass die Entscheidung des Gesetzgebers, den Schutz der Vertraulichkeit durch ein generelles Fremdbeteiligungsverbot zu gewährleisten, unverhältnismäßig wäre.
80
d) §§ 59 e, 59 a, 59 h BRAO a.F. sind schließlich auch mit Artikel 9 GG vereinbar. Sie verhindern nicht, dass sich die Beigeladenen zu 1) und 2) zum Zweck der Ausübung einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit in Form einer Handelsgesellschaft vereinigen. Sie regeln lediglich die Ausübung der beruflichen Tätigkeit durch die Beigeladenen zu 1 und 2. Art 12 GG erweist sich daher als gegenüber Art 9 GG spezielleres Grundrecht. Allein aufgrund der Vereinigungsfreiheit können hinsichtlich der Berufsausübung die Beigeladenen zu 1) und 2) keine Freiheiten für sich in Anspruch nehmen, die ihnen aufgrund von Art. 12 GG nicht zustehen würden, wenn sie sich nicht zu gemeinsamer Berufsausübung verbunden hätten.
III.
81
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112 c BRAO, § 154 VwGO.
82
Der Streitwert ergibt sich aus § 194 Abs. 2 BRAO.
83
Die Regelung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, § 709 ZPO. Die Zulassung der Berufung beruht auf §§ 112 c BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Im Schrifttum werden erhebliche Zweifel daran geäußert, ob das Fremdbeteiligungsverbot gem § 59 e BRAO a.F. verfassungskonform ist (vgl. z.B. Kleine-Cosack, BRAO, 8. Aufl. 2020, § 59 e Rn. 20, 21). Eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage liegt noch nicht vor.
IV.
84
Gegen das Endurteil ist das Rechtsmittel der Berufung zulässig (§ 112 e BRAO).
85
Diese ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Anwaltsgerichtshof
Hausanschrift: Prielmayerstraße 5, 8..0335 München
einzureichen, § 112 e BRAO, 124 a Abs. 2 VwGO.
86
Die Berufung muss das angefochtene Urteil zu bezeichnen. (§§ 112 e BRAO, 124 a Abs. 2 VwGO). Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
87
Jeder Beteiligte muss sich, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinn des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigtem vertreten lassen.
88
Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe des Vorstehenden zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.
89
Die Berufung ist in den Fällen des § 124 a Abs 2 VwGO innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen.
90
Die Begründung ist bei dem Bundesgerichtshof, Hausanschrift: Herrenstraße 45 a, 7..6133 Karlsruhe
Postanschrift: 6125 Karlsruhe
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.