Titel:
Verkehrssicherungspflichtverletzung, Verkehrssicherungspflichten, Verkehrssicherungspflichtigen, Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, Feststellungsinteresse, Gefahrenstelle, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Elektronischer Rechtsverkehr, Sitzungsniederschrift, Ermittlungsakte, Sichtfahrgebot, Ergebnis der Beweisaufnahme, Streitwertentscheidung, Unfallbedingtheit, Mitverschulden des Klägers, Sorgfaltspflicht, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Ansprüche aus unerlaubter Handlung
Schlagworte:
Verkehrssicherungspflicht, Schadensersatz, Mitverschulden, Amtshaftung, Unfall, Radweg, Gefahrenstelle
Fundstelle:
BeckRS 2025, 3212
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger 70 % des materiellen und immateriellen Schadens aus dem Schadensfall vom 17.10.2022 auf der … zu ersetzen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 30 % und die Beklagte 70 % zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 20.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Feststellung von (Amtshaftungs-)Ansprüchen gegen die Beklagte aus einer behaupteten Verkehrssicherungspflichtverletzung mit der Folge eines Verkehrsunfalls.
2
Der streitgegenständliche Unfall ereignete sich am 17.10.2022 auf dem Fahrradweg entlang der A. Straße in W. . Die Beklagte ist für die Unterhaltung und Verkehrssicherung des Fahrradweges zuständig.
3
Die Beklagte veranlasste die Neuerrichtung eines Buswartehäuschens in der A. Straße in W. . Hierfür wurde zunächst ein Betonfundament durch die beauftragte Baufirma … errichtet. Nach Fertigstellung des Fundaments war das Betonfundament und die Baustelle nicht mehr durch eine Absperrung abgesichert. Zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfalls war das Betonfundament und der Radweg durch Laub bedeckt.
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Aufgrund dieses Unfalls erlitt der Kläger eine mehrfragmentäre geringgradig dislozierte Skapulafraktur rechts, mit Beteiligung der glenohumeralen Gelenkfläche sowie eine mehrfragmentäre Rippenserienfraktur rechts, die Costae I-VII betreffend.
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Der Kläger behauptet, das Betonfundament habe als scharfkantige Stufe in den angrenzenden Geh- und Radweg hineingeragt und sei zum Schadenszeitpunkt zusätzlich mit Herbstlaub bedeckt gewesen. Infolge dieser Umstände und insbesondere aufgrund der fehlenden Absicherung sei der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt mit seinem Fahrrad den Radweg benutzte, gegen das Fundament gestoßen, wodurch er zu Boden gestürzt sei. Er leide nach wie vor unter den Folgen der hierbei erlittenen Verletzungen.
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Mit hiesiger Klage wird daher die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz gegenüber dem Kläger aufgrund des streitgegenständlichen Unfallereignisses vom 17.10.2022 geltend gemacht. Der Kläger meint, es liege eine Verkehrssicherungspflichtverletzung vor, da das Betonfundament nicht abgesichert worden sei. Die Beklagte habe daher den unfallbedingt entstandenen Schaden zu ersetzen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Schadensfall vom 17.10.2022 auf der A. Straße, Abschnitt 100 km 2.350, in ... W. zu ersetzen.
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Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte trägt vor, das Betonfundament befinde sich neben der A. Straße und rage nicht in den Radweg, jedenfalls sei dieses für einen durchschnittlich aufmerksamen Fahrradfahrer aufgrund des Farbunterschiedes bereits aus mehr als 100 m Entfernung erkennbar gewesen. Der Kläger sei zu schnell gefahren oder habe infolge Unaufmerksamkeit zu spät reagiert.
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Die Beklagte ist der Ansicht, keine Verkehrssicherungspflicht verletzt zu haben. Außerdem bestehe kein Feststellungsinteresse des Klägers, da die Schadensentwicklung bereits komplett abgeschlossen sei.
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Das Gericht hat den Kläger informatorisch angehört. Diesbezüglich wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21.08.2024 (Bl. 31 ff. d.A.) Bezug genommen. Das Gericht hat ferner Beweis erhoben durch uneidliche Einvernahme der Zeugen … und … in der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2024. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2024 (Bl. 56 ff. d.A.) Bezug genommen. Außerdem wurde die Ermittlungsakte der Polizeiinspektion C. , Az. … beigezogen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf das sonstige schriftsätzliche Vorbringen der Parteien nebst Anlagen sowie ihre Erklärungen zu gerichtlichem Protokoll und den sonstigen Akteninhalt.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
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Der Kläger hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 70 % gegen die Beklagte.
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Das Landgericht Coburg ist örtlich und sachlich zuständig.
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Die ausschließliche sachliche Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich aus § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG (vgl. Pabst, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2022, § 71 GVG Rn. 8).
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Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 32 ZPO.
II. Feststellungsinteresse
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Der Kläger hat ein hinreichendes Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO, da der Umfang des möglichen unfallbedingten Schadens noch nicht abschließend feststellbar ist, insbesondere aufgrund des Verletzungsbildes befinden sich die unfallbedingten Verletzungsfolgen gegeben falls noch in Entwicklung. Damit ist der tatsächliche Schaden noch nicht bezifferbar.
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Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 70 % gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG, Art. 2, Art. 9 Abs. 5 BayStrWG verlangen.
I. Haftungsbegründender Tatbestand
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Die Beklagte haftet aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG, Art. 9 Abs. 5 BayStrWG für die Verkehrssicherungspflichtverletzungen ihrer Bediensteten bei der Sicherung von Gefahrstellen.
1. Verkehrssicherungspflicht der Beklagten
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a) Vorliegend trägt die Beklagte als Gemeinde für den streitgegenständlichen Fahrradweg, welcher unstreitig in ihrem Gemeindegebiet liegt, die Straßenbaulast. Sie ist als Straßenbaulastträger gemäß Art. 42 BayStrWG der Verkehrssicherungspflichtige.
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b) Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht beruht auf dem Rechtsgrundsatz, dass derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, verpflichtet ist, die ihm zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, die zur Abwendung der daraus Dritten drohenden Gefahren notwendig sind (BGH, Urt. v. 18.12.1972, III ZR 121/70, BGHZ 60, 54 = juris Rn. 2; BayVGH, Beschl. v. 15.02.2012, 8 ZB 11.591, BayVBl. 2012, 504 Rn. 14). Die Straßenverkehrssicherungspflicht ist nur ein Unterfall der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht für öffentliche Verkehrsflächen. Inhalt der Straßenverkehrssicherungspflicht ist es, soweit zumutbar, den Verkehr auf der Straße möglichst gefahrlos zu gestalten, insbesondere Verkehrsteilnehmer vor unvermuteten, aus der Beschaffenheit der Straße sich ergebenden und bei zweckgerechter Benutzung des Verkehrsweges nicht ohne weiteres erkennbaren Gefahrenstellen zu sichern oder zumindest zu warnen (OLG Dresden, Urt. v. 20.12.2000, 6 U 1889/00, NVwZ-RR 2001, 354). Die Konsequenz der hoheitlichen Ausgestaltung der Verkehrssicherungspflicht besteht darin, dass die öffentlich-rechtliche Körperschaft, die für die Eröffnung des Verkehrs verantwortlich ist, dafür haftungsrechtlich einzustehen hat, dass die Benutzung der Straße frei von Gefahren vor sich gehen kann, die von der Beschaffenheit der Straße herrühren (Häußler, in: Zeitler, BayStrWG, 32. EL Januar 2023, Art. 9, Rn. 12). Weiterhin richten sich Ausmaß und Art der Sicherung einer Gefahrenstelle nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art und dem Stadium des Bauvorhabens, Art und Umfang des Verkehrs sowie nach Ausmaß und Art der von einer Baustelle ausgehenden Gefahr und nach der Erkennbarkeit der Gefahr (König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 45 StVO Rn. 46).
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c) Der Kläger erklärte im Rahmen seiner informatorischen Anhörung, dass er an diesem Tag die A. Straße hinuntergefahren sei und dann nach links auf den Radweg abgebogen sei. Es habe sich dort wegen der Bäume viel Laub auf dem Boden befunden, weshalb er abgebremst habe und vorsichtiger gefahren sei. Er sei dann an der Kante hängen geblieben, welche aufgrund des Laubes und des tiefen Sonnenstandes nicht erkennbar gewesen sei. Seine Geschwindigkeit habe vielleich 10 bis 15 km/h betragen, da er aufgrund des Laubes abgebremst habe. An den Sturz selbst habe er keine konkreten Erinnerungen mehr.
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d) Der Zeuge … gab im Rahmen seiner Aussage an, dass die Errichtung des Betonfundamentes im Zeitraum 01. bis 07. September 2022 stattgefunden habe. Während dieser Zeit sei die Baustelle durch die Baufirma mit Bauzäunen abgesichert gewesen. Zudem seien Warnschilder aufgestellt gewesen. Nach Ende der Arbeiten seien die Absicherungen entfernt worden und es sei eine Mitteilung an das Bauamt erfolgt, dass die Arbeiten erledigt seien. Das Bushäuschen sollte danach durch eine andere Firma aufgestellt werden.
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Die Angaben des Zeugen … wurden zudem durch die Aussage des Zeugen … bestätigt. Dieser gab an, dass die Errichtung des Fundaments an die Firma … vergeben worden sei. Die Arbeiten hätten sodann Anfang September begonnen und seien am 08. oder 09. September fertig gestellt gewesen. Aufgrund einer Lieferverzögerung sei das Bushäuschen erst Mitte bis Ende Oktober aufgestellt worden. Eine Absicherung der Stelle in der Zwischenzeit, also zwischen Fertigstellung des Fundamentes und dem Aufstellen des Bushäuschens, sei kein Thema gewesen.
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Die Aussagen der Zeugen sind glaubhaft. Beide Zeugen schilderte den Sachverhalt zusammenhängend und ohne Widersprüche. Sie waren des Weiteren bemüht, sich an die genauen Vorgänge zu erinnern und weitergehende Detailfragen zu beantworten. Die Aussagen der beiden Zeugen stimmen zudem in den wesentlichen Gesichtspunkten überein. Das Gericht ist demnach von der Glaubwürdigkeit der Zeugen überzeugt.
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e) Auch die Lichtbilder der Lichtbildtafel der beigezogenen polizeilichen Ermittlungsakte zeigen, dass die Gefahrstelle zum Zeitpunkt des Unfallereignisses mit Laub bedeckt war. Ferner ist die Kante des Fundaments zwischen dem Laub erkennbar. Auf Lichtbild 1 der Lichtbildtafel, welches die Fahrtrichtung des Klägers zeigt, ist zudem ersichtlich, dass jedenfalls von der gegenüberliegenden Straßenseite das Betonfundament nicht erkennbar war.
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f) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Zustand der Verkehrsfläche im Bereich des sich neben dem Radweg befindlichen Betonfundaments eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle darstellt.
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In diesem Bereich liegt eine asphaltierte Verkehrsfläche vor, welche im Bereich der Bushaltestelle zu einem Betonfundament wechselt und aufgrund der Abschüssigkeit jedenfalls an der zum Radweg hin gelegenen Seite eine erhebliche Kante aufweist (s. Lichtbild 4 der der Lichtbildtafel der beigezogenen polizeilichen Ermittlungsakte). Zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfalls, war das später dort aufgestellte Buswartehäuschen noch nicht errichtet, die Haltestelle also lediglich anhand des Farbunterschiedes erkennbar.
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Diese Kante kann einen Sturz eines Radfahrers herbeiführen, wenn das Vorderrad des Fahrrades in einem so ungünstigen Winkel auf die Abbruchkante trifft, dass das Vorderrad daran abgleitet, und hierdurch bedingt das Fahrrad instabil wird oder der Geradeauslauf unmöglich wird. Der Zustand der dortigen Verkehrsoberfläche verlangt von dem Radfahrer daher an dieser Stelle ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit.
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Dieses einzuhalten wird jedoch dadurch erschwert, da an dieser Stelle gegebenenfalls vor dem Auffahren auf den Radweg eine Überquerung der Straße erforderlich ist, sodass unmittelbar vor dem Passieren der Gefahrstelle die Aufmerksamkeit des Fahrradfahrers auf den kreuzenden und vorfahrtsberechtigten Verkehr gerichtet ist. Dies verdeutlicht auch Lichtbild 1 der Lichtbildtafel der beigezogenen polizeilichen Ermittlungsakte, welches die Fahrtrichtung des Klägers zeigt.
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Wie ebenfalls auf den Lichtbildern und insbesondere auf Lichtbild 1 sowie 2 der Lichtbildtafel der beigezogenen polizeilichen Ermittlungsakte ersichtlich, ist die Betonkante bei Annäherung zwar erkennbar, dies aber jedenfalls erst aus einer kurzen Entfernung. Hinzukommt, dass zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfalls, die Betonfläche durch Laub bedeckt war, sodass die Erkennbarkeit erheblich erschwert wird. Dass auch ein Radfahrer entsprechend § 3 Abs. 1 S. 2 StVO seine Fahrgeschwindigkeit den Sichtverhältnissen anpassen muss, und nur so schnell fahren darf, dass er die vor ihm liegende Strecke übersehen kann, um auf Unvorhergesehenes reagieren zu können, entlastet die Beklagte nicht. Denn erfahrungsgemäß halten sich Radfahrer nicht unbedingt an diese Vorgaben. Das aber ist wiederum nicht so außergewöhnlich, sodass die Beklagte dies in ihre Überlegungen hätte einstellen und mit einem häufig zu beobachtenden Fehlverhalten hätte rechnen müssen (OLG Hamm, Urteil vom 15. September 1998 – 9 U 110/98).
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g) Damit liegt unter Zugrundelegung der oben dargestellten Anforderungen eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten vor. Die Beklagte hätte die Gefahrenstelle beseitigen, bzw. ausreichend absichern, zumindest aber in ausreichendem Abstand vor der Gefahrenstelle auf diese besonders hinweisen müssen.
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Dass es nach dem Vortrag der Beklagten an der entsprechenden Stelle im gesamten Zeitraum der Bauarbeiten betreffend die Errichtung des Buswartehäuschens nicht zu einem weiteren Unfall gekommen sei, lässt die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch Unterlassen des Aufstellens von Warnschildern oder einer Absicherung des Gefahrenbereichs nicht entfallen. Da es sich jedenfalls um eine potentielle Gefahrenstelle handelt, hätten Radfahrer, welche den dort befindlichen Radweg benutzen, zumindest durch ein Gefahrenzeichen dazu angehalten werden müssen, sich der Gefahrstelle mit erhöhter Aufmerksamkeit und äußerster Vorsicht zu nähern.
2. Haftungsbegründende Kausalität
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Die Pflichtverletzung ist weiterhin für die Rechtsgutsverletzung des Klägers ursächlich. Darlegungs- und beweispflichtig ist insoweit der Anspruchsteller.
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Nach der Lebenserfahrung gibt es eine tatsächliche Vermutung bzw. tatsächliche Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und der Rechtsgutsverletzung (vgl. BGH, Urteil v. 04.03.2004, Az. III ZR 225/03). Das Gericht geht davon aus, dass es bei einer Absicherung der Gefahrstelle oder jedenfalls eines Warnhinweises auf diese nicht zu einem Sturz des Klägers mit dem Fahrrad gekommen wäre. Der Beklagten ist es nicht gelungen nachzuweisen, dass die Rechtsgutsverletzung trotz dieser Vermutungsregel nicht auf die Verkehrssicherungspflichtverletzung zurückzuführen ist.
3. Verschulden der Beklagten
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Aufgrund vorgenannter Erwägungen ist von einem der Beklagten zurechenbaren Verschulden ihrer Mitarbeiter hinsichtlich des Unterlassens erforderlicher Absicherungsmaßnahmen auszugehen.
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Ein Amtsträger handelt fahrlässig, wenn er bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt hätte voraussehen müssen, dass er seiner Amtspflicht zuwider handelt.
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Zu der grundlegenden Sorgfaltspflicht bei der Errichtung neuer baulicher Anlagen im Bereich öffentlicher Verkehrsflächen gehört die Absicherung von baubedingten Gefahrenstellen. Mit der Nichtbeachtung dieser Sicherungspflicht verstießen die Mitarbeiter der Beklagten gegen diese Sorgfaltspflicht und handelten fahrlässig.
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Zwar liegen trotz der durchgeführten Beweisaufnahme keine Angaben dazu vor, wann die Beklagte Kenntnis von der Gefahrenstelle aufgrund der Fertigstellung des Betonfundaments erhalten hat. Bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung wird bei einer feststehenden Verletzung der äußeren Sorgfalt aber entweder die Verletzung der inneren Sorgfalt indiziert oder es spricht ein Anscheinsbeweis für die Verletzung der inneren Sorgfalt (BGH RuS 2012, 460). Entlastende Umstände hat die Beklagte nicht vorgetragen.
II. Haftungsausfüllender Tatbestand
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Den Kläger trifft allerdings ein Eigenverschulden bzw. ein Mitverschulden, das als Quote gemäß § 254 BGB zu berücksichtigen ist.
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Die Benutzung des mit Laub bedeckten Radweges erfordert vom Nutzer erhöhte Aufmerksamkeit und die Beachtung des Sichtfahrgebots.
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Ausweislich der Lichtbildtafel der beigezogenen polizeilichen Ermittlungsakte war die Gefahrenstelle jedenfalls aus einer kurzen Entfernung erkennbar. Der Kläger hätte daher bei Einhaltung einer an den Untergrund angepassten Geschwindigkeit vor der Gefahrenstelle, die Kante noch rechtzeitig wahrnehmen und sodann noch anhalten oder Ausweichen können. Auch unter Berücksichtigung der von dem Kläger angegebenen Fahrgeschwindigkeit von etwa 10 bis 15 km/h ist davon auszugehen, dass der Kläger bei Aufbietung der erforderlichen Aufmerksamkeit den Sturz hätte vermeiden können.
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Das Sichtfahrgebot erfüllt nur seinen Zweck, wenn der Radfahrer die vor ihm liegende Fahrstrecke stets aufmerksam beobachtet. Ist er von seiner Umgebung abgelenkt oder erfordert der befahrene Weg stete Aufmerksamkeit, etwa deswegen, weil er, wie hier, mit Laub bedeckt ist, dann muss der Radfahrer dem dadurch Rechnung tragen, dass er seine Geschwindigkeit noch weiter reduziert. Der bei Einhaltung der Geschwindigkeit auf Sicht vorausschauende Blick nach vorn ermöglicht rechtzeitig das Erkennen der Gefahrenstelle. Das erfordert keinen Tunnelblick auf die Gefahrenstelle, sondern erlaubt gleichzeitig die Wahrnehmung des Randgeschehens. Hat der Kläger sich an diese Vorgaben gehalten, dann ist die unterbliebene Reaktion auf die Asphaltkante der mangelnden Aufmerksamkeit des Klägers geschuldet.
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Das unfallursächliche Mitverschulden des Klägers ist gegenüber der Verletzung der Verkehrssicherungspflichten durch den Beklagten jedoch nicht gleichwertig. Hier ist ein Geschehensablauf eingetreten, dem das Sichtfahrgebot gerade entgegenwirken will. Demgegenüber ist die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht seitens der Beklagten, durch die die Gefahrenlage erst überhaupt geschaffen worden ist, von erheblichem Gewicht. Angesichts dessen hält es das Gericht für angemessen, das Eigenverschulden bzw. Mitverschulden des Klägers mit 30 % zu bewerten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO sowie die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
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Die Streitwertentscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 3, 5 ZPO i.V.m. § 48 GKG.