Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 19.11.2025 – 15 U 2525/25 Rae e
Titel:

Regress des Rechtsschutzversicherers gegen Rechtsanwalt wegen Verletzung der Beratungspflicht über Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung im Kontext des Diesel-Abgasskandals

Normenketten:
BGB § 280 Abs. 1, § 242, § 675 Abs. 1, § 823 Abs. 2
EG-FGV §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1
VVG § 86
Leitsätze:
1. Der Anwalt verletzt die ihm aus dem Anwaltsvertrag obliegende Beratungspflicht, wenn er den (rechtsschutzversicherten) Mandanten nicht über die Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung aufklärt. Diese Pflicht endet nicht mit der Einleitung der Rechtsverfolgung. Verändert sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe des Verfahrens, muss der Rechtsanwalt seinen Mandanten über eine damit verbundene Verschlechterung der Erfolgsaussichten aufklären. (Rn. 8 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Anscheinsbeweis (zugunsten des Absehens von der Rechtsverfolgung) greift bei bestehendem Deckungsanspruch oder vorliegender Deckungszusage nur ein, wenn die (weitere) Rechtsverfolgung des Mandanten objektiv aussichtslos war. Ist das Kostenrisiko durch eine (versicherungs-)rechtlich einwandfrei herbeigeführte und daher bestandsfeste Deckungszusage weitestgehend ausgeschlossen, können schon ganz geringe Erfolgsaussichten den Mandanten dazu veranlassen, den Rechtsstreit zu führen oder fortzusetzen (Anschluss an BGH BeckRS 2024, 24271). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bereits im Oktober 2020 war durch Urteil des BGH (BeckRS 2020, 19146) höchstrichterlich geklärt, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Diesel-Fahrzeugs keine Schadensersatzansprüche gegen den Fahrzeughersteller zustehen, wenn er sich zum Kauf erst entschieden hat, nachdem der Fahrzeughersteller sein Verhalten geändert hat.  (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
4. Mit dem späteren, auf der Entscheidung des EuGH (BeckRS 2023, 4652) fußenden Grundsatzurteil des BGH (BeckRS 2023, 15117), wonach ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens in Betracht kommen kann, war im Oktober 2020 aus der maßgebenden Sicht ex-ante nicht zu rechnen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beratungspflichtverletzung, Rechtsanwalt, aussichtslose Rechtsverfolgung, Anscheinsbeweis, Deckungszusage, Diesel-Abgasskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, Schadensersatzanspruch
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 10.07.2025 – 30 O 12245/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 32112

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München vom 10.07.2025, Az. 30 O 12245/24, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Es ist beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 6.973,56 € festzusetzen.
3. Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Berufung der Beklagten erscheint unbegründet. Die Prüfung der Berufung durch den Senat hat weder ergeben, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO beruht, noch dass die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen würden, § 513 Abs. 1 ZPO. Das Landgericht hat der Klage zu Recht überwiegend stattgegeben. Das Ersturteil hält den Angriffen der Berufung stand.
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Die Klägerin kann Ersatz der von ihr erstatteten Kosten des Vorprozesses aus gemäß § 86 Abs. 1 VVG übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin von der Beklagten verlangen (§ 280 Abs. 1, § 675 Abs. 1 BGB).
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1. Im Umfang des Zahlungsbegehrens sind unter dem Gesichtspunkt der Rechtsanwaltshaftung in Betracht kommende Schadensersatzansprüche der Versicherungsnehmerin gegen die Beklagte auf die Klägerin übergegangen. Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG geht ein dem Versicherungsnehmer gegen einen Dritten zustehender Ersatzanspruch auf den Versicherer über, soweit dieser den Schaden ersetzt. Die Voraussetzungen für den Anspruchsübergang sind vorliegend erfüllt. Dies wird ersichtlich auch seitens der Beklagten nicht in Frage gestellt.
4
2. Die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche durch die Klägerin aus übergegangenem Recht verstößt nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Dabei soll nicht verkannt werden, dass das Schadensabwicklungsunternehmen der Klägerin ausweislich des Schreibens vom 15.12.2020 (Anlage B4) die Deckungsanfrage geprüft und die nunmehr zur Begründung der Regressansprüche dargelegte Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung erkannt hatte. Aus welchem Grund es im weiteren Verlauf trotzdem zur Gewährung von Deckungsschutz gekommen ist, erschließt sich nach dem beiderseitigen Parteivorbringen nicht. Die Klägerin ist hierdurch jedenfalls nicht an der Geltendmachung der Schadensersatzansprüche gehindert, da sie aus dem Versicherungsverhältnis nur gegenüber der Versicherungsnehmerin und nicht auch gegenüber der Beklagten verpflichtet ist und der gesetzliche Forderungsübergang nach § 86 VVG nichts daran ändert, dass es allein dem Rechtsanwalt obliegt, seine Tätigkeit so auszurichten, dass der Mandant nicht geschädigt wird (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021 – ZR 165/19, NJW 2021, 3324, Rn. 23). Einen Rückgriff auf § 242 BGB hält der Bundesgerichtshof nicht für erforderlich, um den notwendigen Interessenausgleich in diesem Zusammenhang zu bewirken (BGH aaO). Für die Begleichung der Abschlusskostennote vom 25.04.2023 in Kenntnis der Aussichtslosigkeit kann insoweit nichts anderes gelten als für die Gewährung von Deckungsschutz in entsprechender Kenntnis.
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3. Die Beklagte hat die ihr gegenüber der Versicherungsnehmerin nach dem Anwaltsvertrag obliegende Beratungspflicht verletzt, indem sie diese nicht über die Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung gegen die Fahrzeugherstellerin aufgeklärt hat.
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a) Dabei ist von folgenden in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen auszugehen:
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Soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, ist der Rechtsanwalt grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Beratung des Auftraggebers verpflichtet. Unkundige muss er über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und vor Irrtümern bewahren. In den Grenzen des Mandats hat er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021 aaO Rn. 27 mwN). Ziel der anwaltlichen Rechtsberatung ist es danach, dem Mandanten eigenverantwortliche, sachgerechte (Grund-)Entscheidungen („Weichenstellungen”) in seiner Rechtsangelegenheit zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 16.09.2021 aaO Rn. 28).
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Auch im Blick auf die Erfolgsaussichten eines in Aussicht genommenen Rechtsstreits geht es darum, den Mandanten in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich seine Rechte und Interessen zu wahren und eine Fehlentscheidung in seinen rechtlichen Angelegenheiten vermeiden zu können. Aufgrund der Beratung muss der Mandant in der Lage sein, Chancen und Risiken des Rechtsstreits selbst abzuwägen. Hierzu reicht es nicht, die mit der Erhebung einer Klage verbundenen Risiken zu benennen. Der Rechtsanwalt muss auch das ungefähre Ausmaß der Risiken abschätzen und dem Mandanten das Ergebnis mitteilen. Ist danach eine Klage praktisch aussichtslos, muss der Rechtsanwalt dies klar herausstellen. Er darf sich nicht mit dem Hinweis begnügen, die Erfolgsaussichten seien offen. Vielmehr kann der Rechtsanwalt nach den gegebenen Umständen gehalten sein, von der beabsichtigten Rechtsverfolgung ausdrücklich abzuraten (BGH aaO Rn. 29 mwN). In welchem Maße der Rechtsanwalt zu Risikohinweisen verpflichtet ist, richtet sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Beratung, insbesondere auch nach der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der jeweils aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung kommt für die Erfüllung der dem Rechtsanwalt obliegenden vertraglichen Aufgaben überragende Bedeutung zu. Deshalb hat er seine Hinweise, Belehrungen und Empfehlungen in der Regel danach auszurichten, dies sogar dann, wenn er die Rechtsprechung für unzutreffend hält (BGH aaO Rn. 30 mwN).
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Die Pflicht des Rechtsanwalts, den Mandanten über die Erfolgsaussichten eines in Aussicht genommenen Rechtsstreits aufzuklären, endet nicht mit dessen Einleitung. Verändert sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe des Verfahrens, muss der Rechtsanwalt seinen Mandanten über eine damit verbundene Verschlechterung der Erfolgsaussichten aufklären. Nur so erhält der Mandant die Möglichkeit, die ursprünglich getroffene Entscheidung zu hinterfragen und die Chancen und Risiken der laufenden Rechtsverfolgung auf der Grundlage der veränderten Lage neu zu bewerten. Auch hier kann der Rechtsanwalt nach den gegebenen Umständen gehalten sein, von einer Fortführung der Rechtsverfolgung abzuraten. Dies kommt etwa in Betracht, wenn eine zu Beginn des Rechtsstreits noch ungeklärte Rechtsfrage in einem Parallelverfahren höchstrichterlich geklärt wird und danach das Rechtsschutzbegehren des Mandanten keine Aussicht auf Erfolg mehr hat (BGH aaO Rn. 31).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Landgericht zu Recht eine Beratungspflichtverletzung der Beklagten angenommen. Die beabsichtigte Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen des Kaufs eines mit dem Dieselmotor EA189 ausgestatteten Fahrzeugs war auch aus Sicht des Senats von Anfang aussichtslos, da die Versicherungsnehmerin das Fahrzeug erst im April 2017 erworben hatte und für diese Fallkonstellation bereits bei Mandatierung der Beklagten im Oktober 2020 und erst recht im Zeitpunkt der Klageeinreichung am 16.04.2021 höchstrichterlich geklärt war, dass der V. AG als Fahrzeugherstellerin ein sittenwidriges Verhalten gegenüber diesen Käufern unter keinem Gesichtspunkt vorzuwerfen ist und Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht bestehen. Da eine Schadensersatzklage hiernach praktisch aussichtslos war, hätte die Beklagte der Versicherungsnehmerin von dem Vorhaben, Ansprüche gegen die Fahrzeugherstellerin zu verfolgen, ausdrücklich abraten müssen. Das klägerische Vorbringen im vorliegenden Regressprozess hält der Senat für ausreichend, um dem Gericht eine dahingehende Einschätzung zu ermöglichen.
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aa) Bei Übernahme des Mandats im Oktober 2020 hatte sich die Risikoaufklärung nach dem zu diesem Zeitpunkt bereits ergangenen einschlägigen Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30.07.2020 – ZR 5/20 zu richten, das zu dem mit einer Umschaltlogik versehenen Dieselmotor EA189 ergangen war und dieselbe Fahrzeugherstellerin betraf. Darin hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich und unmissverständlich entschieden, dass Käufern, die sich erst für einen Kauf entschieden haben, nachdem die Fahrzeugherstellerin ihr Verhalten durch die von ihr ab 22.09.2015 ergriffenen Maßnahmen geändert hatte, nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt wurde (BGH, Urteil vom 30.07.2020 aaO Rn. 38). Zu diesen Käufern gehört in Anbetracht des Kaufdatums 25.04.2017 auch die Versicherungsnehmerin. Mit dem Urteil hat der Bundesgerichtshof die Frage des Bestehens von Schadensersatzansprüchen in der vorliegenden Fallgestaltung höchstrichterlich geklärt aus Anlass der bis dahin uneinheitlichen obergerichtlichen Rechtsprechung, welche im Urteil zitiert wird (BGH aaO mwN). Das Urteil vom 30.07.2020 (BGH aaO) hat im Zeitpunkt der Mandatierung der Beklagten im Oktober 2020 die geltende höchstrichterliche Rechtsprechung bestimmt, welcher nach den oben genannten Grundsätzen für die Erfüllung der der Beklagten obliegenden vertraglichen Aufgaben überragende Bedeutung zukommt und an der die Rechtsanwälte der Beklagten deshalb ihre Hinweise, Belehrungen und Empfehlungen gegenüber der Versicherungsnehmerin auszurichten hatten, auch wenn sie die Rechtsprechung für unzutreffend hielten und ihre Meinung auf abweichende Urteile einzelner Instanzgerichte stützen konnten.
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Von den in der Berufungsbegründung herangezogenen Entscheidungen traf dies für den maßgeblichen Zeitraum zwischen der Verkündung des Urteils vom 30.07.2020 (BGH aaO) und der Mandatierung im Oktober 2020 ohnehin nur auf die Urteile des Landgerichts Mönchengladbach vom 14.08.2020 – 11 O 432/19 und des Landgerichts Krefeld vom 19.08.2020 – 2 O 541/19 zu. Die zusprechende Entscheidung des Landgerichts Mönchengladbach ist ausdrücklich in Unkenntnis der Urteilsgründe des Bundesgerichtshofs vom 30.07.2020 ergangen. Die Entscheidung des Landgerichts Krefeld wird mit einem – hier nicht vorliegenden – Neuwagenkauf unmittelbar bei der Fahrzeugherstellerin begründet. Damit ändern die abweichenden Entscheidungen beider Landgerichte nichts daran, dass die geltende höchstrichterliche Rechtsprechung vom 30.07.2020 (BGH aaO) der Beklagten bei pflichtgemäßer Beratung zu Mandatsbeginn hätte Anlass geben müssen, der Versicherungsnehmerin von einer Inanspruchnahme der Fahrzeugherstellerin abzuraten mit der Begründung, dass das Rechtsschutzbegehren – wie höchstrichterlich geklärt – aufgrund des Fahrzeugkaufs erst im April 2017 keine Aussicht auf Erfolg hat.
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bb) Im Vorfeld der Klageeinreichung vom 16.04.2021 war die Beklagte erst recht gehalten, die Versicherungsnehmerin auf die unverändert fehlenden Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung hinzuweisen, da die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung zur fehlenden Sittenwidrigkeit gegenüber Käufern eines nach dem 22.09.2015 erworbenen Fahrzeugs mit einem Dieselmotor EA189 in der Zwischenzeit bestätigt und unter Einbeziehung des Software-Updates fortentwickelt worden war.
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(1) Mit Beschluss vom 09.03.2021 – ZR 889/20 hat der Bundesgerichtshof daran festgehalten, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit angesichts der von der beklagten Fahrzeugherstellerin ab dem 22.09.2015 ergriffenen Maßnahmen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht gerechtfertigt ist (BGH aaO Rn. 15). Dabei hat sich der Bundesgerichtshof auch mit dem weiteren, das Software-Update betreffenden Vorwurf des damaligen Klägers – die Fahrzeugherstellerin hätte ihre Bemühungen, den gesetzwidrigen Zustand zu beseitigen, lediglich vorgespiegelt, eine Täuschung durch eine andere ersetzt und damit ihr verwerfliches Verhalten nur in veränderter Weise fortgesetzt – befasst, den Vorwurf aber nicht für durchgreifend erachtet, um die Bedeutung der ergriffenen Maßnahmen für das Ergebnis der Sittenwidrigkeitsprüfung zu relativieren (BGH aaO Rn. 23). Nichts anderes hat die Beklagte als anwaltliche Vertreterin der Versicherungsnehmerin im Vorprozess geltend gemacht. Ausweislich ihres hiesigen Berufungsvorbringens hat sie die Klage auch auf die (fortgesetzte) Täuschung der V. AG durch das aufgespielte Update gestützt, mit dem eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung implementiert worden sei und mit dem die V. AG wahrheitswidrig suggeriert habe, dass sämtliche unzulässigen Abschalteinrichtungen entfernt seien (BB S. 1 = Bl. 20 d. Berufungsakte). Dass sich auch unter diesem Gesichtspunkt ein sittenwidriges Verhalten gegenüber der Versicherungsnehmerin aufgrund ihres Fahrzeugkaufs erst im April 2017 nicht begründen lässt, war vor der Klageeinreichung vom 16.04.2021 durch den zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 09.03.2021 (BGH aaO) höchstrichterlich geklärt.
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(2) Aufgrund der höchstrichterlichen Klärung konnte sich die Beklagte auf die vorangegangenen Urteile des Oberlandesgerichts Köln vom 18.12.2020 – 20 U 288/19 und des Oberlandesgerichts Hamm vom 19.01.2021 – 19 U 1304/19 nicht mehr berufen, um die vermeintliche Erfolgsaussicht der einzureichenden Schadensersatzklage zu rechtfertigen. Dass das Oberlandesgericht Düsseldorf die streitgegenständliche Fallkonstellation Anfang des Jahres 2023 abweichend von der geltenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entschieden hätte, ist für den Senat nicht ersichtlich; das auszugsweise wiedergegebene Urteil vom 13.01.2023 – I-7 U 261/21 scheint nicht veröffentlicht zu sein und wird von der Beklagten auch nicht vorgelegt. Ungeachtet dessen war mit einem dahingehenden Urteil im Vorfeld der Klageeinreichung vom 16.04.2021 nicht zu rechnen, sodass die Beklagte die Erfolgsaussicht des Rechtsschutzbegehrens aus der gebotenen ex ante-Sicht anhand der höchstrichterlichen Vorgaben gemäß Beschluss vom 09.03.2021 (BGH aaO) zu beurteilen hatte.
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(3) Der nachträgliche Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) betreffend das – hier nicht streitgegenständliche – Fahrzeugmodell VW EOS mit der Bezeichnung „Entfernung der unzulässigen Abschalteinrichtung bzw. erhöhte Emissionswerte auch nach Durchführung der Aktion 23R7“ wurde ausweislich der auf der Homepage des KBA geführten Rückrufdatenbank am 14.09.2020 veröffentlicht. Dies entspricht ausweislich des Ersturteils im Vorprozess (Anlage K1) auch dem dortigen Klagevorbringen. Nachdem ein entsprechender Rückruf in Bezug auf das Fahrzeug der Versicherungsnehmerin vom Typ VW Passat gerade nicht ergangen war und allein der Umstand, dass in beiden Fahrzeugtypen der Dieselmotor EA189 verbaut war, einen Rückruf auch nicht erwarten ließ, vermochte die Beklagte auch insoweit eine neuerliche Täuschung des KBA im Rahmen der am 16.04.2021 eingereichten Klage nicht dazulegen.
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(4) Auch in Bezug auf die weiter behauptete Zykluserkennung war nach den Vorgaben des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 09.03.2021 zu berücksichtigen, dass vor dem Hintergrund, dass das KBA – nach Beanstandung der Umschaltlogik als unzulässige Abschalteinrichtung und Anordnung zur Herstellung eines vorschriftsmäßigen Zustandes – die von der Fahrzeugherstellerin hierzu entwickelte technische Lösung in Form des Software-Updates genehmigt hat und sie aufgefordert hat, das Update aufzuspielen, Anhaltspunkte hätten dargetan werden müssen, dass sich das KBA ein weiteres Mal über die Arbeitsweise des für den Motor EA189 entwickelten Emissionskontrollsystems im Irrtum befunden hätte (BGH aaO Rn. 24). Dass die Beklagte im Rahmen der am 16.04.2021 eingereichten Klage entsprechende Anhaltspunkte in Bezug auf die behauptete Zykluserkennung aufzeigen konnte, ergibt sich aus ihrem Vorbringen nicht.
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cc) Die Schadensersatzklage der Versicherungsnehmerin konnte mit Aussicht auf Erfolg auch nicht auf § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 gestützt werden.
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(1) Dahingehende Ansprüche von Fahrzeugkäufern hat der Bundesgerichtshof bereits im Urteil vom 30.07.2020 (BGH aaO Rn. 10 ff.) unabhängig vom Zeitpunkt des Fahrzeugkaufs mit ausführlicher Begründung verneint und insbesondere auch ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH für nicht veranlasst gehalten, da die Rechtslage sowohl im Hinblick auf §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV als auch im Hinblick auf Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 von vorneherein eindeutig sei („acte claire“, BGH aaO Rn. 16). Damit war die Rechtslage auch für diese Anspruchsgrundlage höchstrichterlich geklärt zum Nachteil der betroffenen Fahrzeugkäufer. Dies hatte für die Beklagte zur Folge, dass sich ihre Risikoaufklärung der Versicherungsnehmerin bei Mandatsübernahme im Oktober 2020 und im Vorfeld der Klageeinreichung vom 16.04.2021 hiernach zu richten hatte.
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(2) Mit dem späteren, nach rechtskräftigem Abschluss des Vorprozesses ergangenen Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21 zum sog. Differenzschadensersatz war aus der maßgeblichen ex ante-Sicht der Beklagten im Zeitpunkt der gebotenen Beratung nicht zu rechnen. Dem Grundsatzurteil vom 26.06.2023 lag die Entscheidung des EuGH vom 21.03.2023 – C-100/21 zugrunde, der wiederum die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 02.06.2022 vorausgegangen waren.
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Nach Maßgabe des kürzlich ergangenen Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 08.09.2025 – 2 BvR 1760/22 ist davon auszugehen, dass sich bereits mit Veröffentlichung der Schlussanträge des Generalanwalts im Vorabentscheidungsverfahren C-100/21 am 02.06.2022 abzeichnete, dass die nationale Rechtslage in Bezug auf Schadensersatzansprüche von Käufern eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs anders bewertet werden könnte. Spätestens aber durch die nachfolgende Veröffentlichung der Pressemitteilung Nr. 104/2022 des Bundesgerichtshofs am 01.07.2022 lagen zureichende Anhaltspunkte dafür vor, wonach wieder Zweifel über die Beantwortung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage bestanden. Nach dem Inhalt der unmissverständlich formulierten Pressemitteilung musste sich den Fachgerichten aufdrängen, dass die ausstehende Entscheidung des Bundesgerichtshofs die einschlägige Rechtslage anders beurteilen könnte (BVerfG aaO Rn. 23 bei juris). Die Rechtsfrage, ob die Vorschriften der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sowie Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 „Schutzgesetze“ im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellen, war zu diesem Zeitpunkt erneut klärungsbedürftig geworden (BVerfG aaO Rn 22).
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Nachdem das Bundesverfassungsgericht auf die Schlussanträge des Generalanwalts und die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs abstellt und hierin ungeachtet bereits ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung maßgebliche neue Umstände sieht, nach denen „wieder“ Zweifel bestanden bzw. die Rechtsfrage „erneut“ klärungsbedürftig geworden ist, lassen sich nicht schon die zum Vorabentscheidungsverfahren C-100/21 führende Vorlage des Landgerichts Ravensburg vom 12.02.2021 – 2 O 393/20 oder frühere EuGH-Vorlagen anderer Landgerichte als ausschlaggebend ansehen, um die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung nach Maßgabe der bis dahin geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung in Frage zu stellen. Die in der Berufungsbegründung zitierte obergerichtliche Rechtsprechung zur fehlenden Aussichtslosigkeit in Parallelverfahren (KG Berlin, Beschluss vom 18.09.2025 – 7 U 40/25; OLG Celle, Hinweisbeschluss vom 05.09.2025 – 3 U 163/24; OLG Frankfurt, Urteil vom 28.08.2024 – 3 U 193/23, NJW-RR 2025, 311 zum Darlehenswiderruf) gibt dem Senat keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Die Entscheidungen des Kammergerichts und des Oberlandesgerichts Celle sind offenbar nicht veröffentlicht und werden von der Beklagten auch nicht vorgelegt. Für den Senat sind insoweit schon die zugrundeliegenden Tatsachenfeststellungen nicht ersichtlich und lässt sich daher die Vergleichbarkeit mit der vorliegenden Fallgestaltung nicht abschließend beurteilen. Dem (veröffentlichten) Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt lag ohnehin eine andere Fallgestaltung zugrunde. Ungeachtet dessen ist entscheidend zu berücksichtigen, dass die für die Einschätzung des erkennenden Senats maßgeblichen Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts gemäß Beschluss vom 08.09.2025 (BVerfG aaO) keinen Eingang in die zitierte obergerichtliche Rechtsprechung finden konnten. Ausweislich der Pressemitteilung Nr. 100/2025 des Bundesverfassungsgerichts vom 06.11.2025 wurde der Beschluss vom 08.09.2025 (BVerfG aaO) erst am 06.11.2025 veröffentlicht.
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4. Mit Recht ist das Landgericht ferner aufgrund der Vermutung beratungsgerechten Verhaltens davon ausgegangen, dass die Versicherungsnehmerin von der Rechtsverfolgung Abstand genommen hätte, wenn sie pflichtgemäß über die fehlenden Erfolgsaussichten aufgeklärt worden wäre.
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a) Hierzu hat der Bundesgerichtshof folgende Grundsätze aufgestellt:
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Die Frage, wie sich der Mandant bei vertragsgerechter Belehrung durch den rechtlichen Berater verhalten hätte, zählt zur haftungsausfüllenden Kausalität, die der Anspruchsteller nach dem Maßstab des § 287 ZPO zu beweisen hat. Zu Gunsten des Anspruchstellers ist jedoch zu vermuten, der Mandant wäre bei pflichtgemäßer Beratung den Hinweisen des Rechtsanwalts gefolgt, sofern im Falle sachgerechter Aufklärung aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegen hätte. Eine solche Vermutung kommt hingegen nicht in Betracht, wenn nicht nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit bestanden hätte, sondern nach pflichtgemäßer Beratung verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht gekommen wären, die unterschiedliche Vorteile und Risiken in sich geborgen hätten. Greift die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens ein, so liegt hierin keine Beweislastumkehr, sondern ein Anscheinsbeweis, der durch den Nachweis von Tatsachen entkräftet werden kann, die für ein atypisches Verhalten des Mandanten im Falle pflichtgemäßer Beratung sprechen (BGH, Urteil vom 16.09.2021 aaO Rn. 36; vom 16.05.2024 – ZR 38/23, NJW 2024, 3290, Rn. 16 jeweils mwN).
26
Mit Urteil vom 16.09.2021 hat der Bundesgerichtshof Grundsätze zum Eingreifen des Anscheinsbeweises im Falle pflichtwidriger Beratung über die Erfolgsaussichten eines rechtlichen Vorgehens bei bestehendem Deckungsanspruch aus einer Rechtsschutzversicherung oder bereits vorliegender Deckungszusage entwickelt (BGH aaO Rn. 37 ff.). In diesem Fall greift der Anscheinsbeweis [zugunsten des Absehens von der Rechtsverfolgung] nur ein, wenn die (weitere) Rechtsverfolgung des Mandanten objektiv aussichtslos war; ist das Kostenrisiko durch eine (versicherungs-)rechtlich einwandfrei herbeigeführte und daher bestandsfeste Deckungszusage weitestgehend ausgeschlossen, können schon ganz geringe Erfolgsaussichten den Mandanten dazu veranlassen, den Rechtsstreit zu führen oder fortzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 16.05.2024 aaO Rn. 17).
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Der Anscheinsbeweis setzt voraus, dass ein Sachverhalt feststeht, auf dessen Grundlage die Schlussfolgerung gerechtfertigt ist, dass der Mandant bei zutreffender Beratung von einer Rechtsverfolgung abgesehen hätte. Ausgangspunkt ist die allgemeine Lebenserfahrung. Dies kann angesichts der Interessen eines rechtsschutzversicherten Mandanten, mit Hilfe seiner Rechtsschutzversicherung von Kostenrisiken befreit zu werden, erst dann bejaht werden, wenn das Ergebnis der rechtlichen Beurteilung in jeder Hinsicht unzweifelhaft ist. Die Annahme der Aussichtslosigkeit unterliegt hohen Anforderungen. Die Rechtsverfolgung muss aus der maßgeblichen Sicht ex ante aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen objektiv aussichtslos gewesen sein. Dies kommt etwa in Betracht, wenn eine streitentscheidende Rechtsfrage höchstrichterlich abschließend geklärt ist. Regelmäßig ist dies dann der Fall, wenn eine einschlägige Entscheidung ergangen ist. Auch dann können aber im Schrifttum geäußerte Bedenken, mit denen sich die Rechtsprechung noch nicht auseinandergesetzt hat, Veranlassung zu der Annahme geben, die Rechtsprechung werde noch einmal überdacht. Die niemals auszuschließende Möglichkeit einer zugunsten des Mandanten ergehenden Fehlentscheidung vermag die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung indes nicht auszuschließen (BGH, Urteil vom 16.09.2021 aaO Rn. 40; vom 16.05.2024 aaO Rn. 18 f.).
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Geht es um die Beurteilung materiell-rechtlicher Fragen, muss klar sein, welcher Sachverhalt der rechtlichen Beurteilung im jeweils maßgeblichen Zeitpunkt der Beratung zugrunde zu legen ist. Fehlt es an einer höchstrichterlichen Klärung, muss sich der Sachverhalt zudem derart unter Rechtsvorschriften subsumieren lassen, dass das Ergebnis einer Auslegung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zweifelhaft sein kann. Eine Rechtsverfolgung kann auch in tatsächlicher Hinsicht objektiv aussichtslos sein. Das kommt in Betracht, wenn der dem Mandanten ohne jeden Zweifel obliegenden Darlegungs- und Beweislast offenkundig nicht genügt werden kann (BGH, Urteil vom 16.05.2024 aaO Rn. 20).
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b) Den vorstehenden Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung gerecht.
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Vorliegend sind die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises bei einwandfrei erteilter Deckungszusage aufgrund einer höchstrichterlich geklärten Rechtslage (vgl. BGH, Urteil vom 16.05.2024 aaO Rn. 22) gegeben. Nach den obigen Ausführungen war durch die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 30.07.2020 und 09.03.2021 (BGH aaO) die Frage des Nichtbestehens deliktischer Schadensersatzansprüche gegen die V. AG wegen des Kaufs eines mit dem Dieselmotor EA189 ausgestatteten Fahrzeugs nach dem 22.09.2015 höchstrichterlich abschließend geklärt. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Beratung der Versicherungsnehmerin bei Mandatsübernahme im Oktober 2020 und vor der Klageeinreichung vom 16.04.2021 war die Rechtslage damit klar. Erst mit der späteren Veröffentlichung der Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022 und der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 01.07.2022 zeichnete sich eine mögliche abweichende Beurteilung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab. Aufgrund dieser neuen Umstände kamen – entsprechend dem in der Pressemitteilung enthaltenen Hinweis – auch mögliche Konsequenzen der ausstehenden Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 für das nationale Haftungsrecht in Betracht (vgl. BVerfG aaO Rn. 23). Hiermit war zuvor nicht zu rechnen, nachdem der Bundesgerichtshof die Rechtslage gerade auch im Hinblick auf Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 als von vorneherein eindeutig geklärt angesehen hatte (BGH, Urteil vom 30.07.2020 aaO Rn. 16). Da die Versicherungsnehmerin hiernach nicht auf eine geringe Erfolgsaussicht für den Fall, dass der EuGH der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs widerspricht, hinzuweisen war, scheidet auch eine Erschütterung des Anscheinsbeweises unter diesem Gesichtspunkt aus. Diesbezüglich kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Entscheidung der Versicherungsnehmerin durch die Aussicht, ihre Selbstbeteiligung von 300,00 € bei auch nur geringem Teilerfolg im Vorprozess erstattet zu bekommen, beeinflusst worden wäre. Bei Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung bestand gerade keine Aussicht auf einen geringen Teilerfolg im Vorprozess. In dem Fall reicht auch eine bestandskräftige Deckungszusage für den Ausschluss des Anscheinsbeweises nicht aus, da eine aussichtslose Rechtsverfolgung nicht im Interesse eines vernünftig urteilenden Mandanten liegt, sondern allein dem (Gebühren-)Interesse des Rechtsanwalts dient und ein vernünftig urteilender Mandant den Deckungsanspruch gegen seine Rechtsschutzversicherung hierzu nicht einsetzen wird (BGH, Urteil vom 16.09.2021 aaO Rn. 39).
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5. Die Versicherungsnehmerin hat Anspruch auf Ersatz des ihr durch die Pflichtverletzung der Beklagten entstandenen Schadens. Dieser Anspruch ist auf die Klägerin übergegangen.
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a) Die Schadensberechnung richtet sich nach §§ 249 ff. BGB. Der zu ersetzende Schaden ist durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen Vermögenslage zu ermitteln, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre (Differenzhypothese). In tatsächlicher Hinsicht war die Versicherungsnehmerin aufgrund ihres Unterliegens im Vorprozess zur Tragung der Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge verpflichtet. Da es ohne die Pflichtverletzung nicht zur Durchführung des Vorprozesses gekommen wäre, sind der Versicherungsnehmerin die Kosten des Vorprozesses zu ersetzen. Hiervon umfasst sind nach dem unwidersprochen gebliebenen Klagevorbringen die Gerichtskosten des erstinstanzlichen Verfahrens (798,00 €) und des Berufungsverfahrens (827,00 €), die Anwaltskosten der Beklagten für die Prozessvertretung der Versicherungsnehmerin (3.060,32 €) sowie die der Prozessgegnerin erstatteten Anwaltskosten (2.838,14 €). Insgesamt ergibt sich hieraus ein Kostenschaden in Höhe von 7.523,46 €. Im Umfang ihres Zahlungsbegehrens von 7.223,46 € nach Maßgabe einer Selbstbeteiligung von 300,00 € hat die Klägerin der Versicherungsnehmerin den Schaden ersetzt, indem sie diese von den Kosten des Vorprozesses freigestellt hat (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021 aaO Rn. 21).
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b) Über die Frage, ob die pflichtgemäße Aufklärung der Versicherungsnehmerin über die fehlenden Erfolgsaussichten in einem Erstberatungsgespräch angezeigt gewesen wäre und insoweit eine Erstberatungsgebühr gemäß § 34 RVG ausgelöst hätte, die das Landgericht in Höhe von 249,90 € (190,00 € zzgl. Auslagenpauschale und USt) von der zuzusprechenden Klageforderung in Abzug gebracht hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden, da die Beklagte als Berufungsführerin hierdurch nicht beschwert ist und das Berufungsgericht an einer Abänderung des Ersturteils zu ihrem Nachteil gehindert ist.
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6. Der auf die Klägerin übergegangene Schadensersatzanspruch ist aus den zutreffenden Gründen des Ersturteils nicht verjährt. Da erst mit dem im Vorprozess ergangenen Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 22.02.2022 (Anlage K2 = B1; im Ersturteil ist versehentlich das Datum des erstinstanzlichen Urteils angegeben) endgültig feststand, dass der Versicherungsnehmerin aufgrund ihres Unterliegens keine Kostenerstattungsansprüche gegen die Prozessgegnerin zustehen, begann die Verjährungsfrist nicht vor Ablauf des 31.12.2022. Die Einschätzung des Schadensabwicklungsunternehmens der Klägerin vom 15.12.2020 (Anlage B4) begründet keinen früheren Verjährungsbeginn, da es zu diesem Zeitpunkt sowohl an der Anspruchsentstehung als auch an Kenntnis bzw. Kennenmüssen der anspruchsbegründenden Umstände (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB) fehlt, denn die als Schaden geltend gemachten Kosten des Vorprozesses sind erst durch die spätere Einreichung der Schadensersatzklage am 16.04.2021 entstanden. Die Erhebung der am 25.09.2024 eingereichten und am 31.10.2024 zugestellten Regressklage hat zur Verjährungshemmung geführt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).
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Da die Berufung nach alledem keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
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Ebenso wenig ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zum Zwecke der Zulassung der Revision geboten. Die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen mangels über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung der Rechtssache nicht vor. Auch wenn für die vorliegende Fallkonstellation eines Fahrzeugkaufs nach dem 22.09.2015 in Bezug auf den Dieselmotor EA189 weitere Regressklagen von Rechtsschutzversicherern gegen Rechtsanwaltsgesellschaften anhängig sind, handelt es sich gerade auch im Hinblick auf die Beurteilung der Aussichtslosigkeit zum jeweiligen Beratungszeitpunkt um eine Einzelfallentscheidung, die sich nicht ohne weiteres auf etwaige Parallelverfahren übertragen lässt. Der Einbeziehung der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in die Beurteilung der Aussichtslosigkeit stehen die von der Beklagten herangezogenen früheren Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte nicht entgegen. Ungeachtet dessen würde der Umstand, dass der gleiche Sachverhalt von zwei Gerichten unterschiedlich beurteilt wird, noch keine Revisionszulassung wegen Divergenz gebieten. Hinzukommen müsste, dass dieser Beurteilung sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zugrunde liegen (BGH, Beschluss vom 09.07.2007 – ZR 95/06, NJW-RR 2007, 1676, Rn. 2 mwN). Dies ist hier nicht der Fall.