Titel:
Internationale Zuständigkeit, Geheimhaltungsvereinbarung, Verweisungsbeschluss, Geschäftsbeziehung, Herausgabeanspruch, Widerklage, Zuständigkeitsbestimmung
Schlagworte:
Internationale Zuständigkeit, Geheimhaltungsvereinbarung, Verweisungsbeschluss, Geschäftsbeziehung, Herausgabeanspruch, Widerklage, Zuständigkeitsbestimmung
Vorinstanz:
LG München I vom -- – 40 O 3924/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 31962
Tenor
Örtlich zuständig ist das Landgericht Cottbus.
Gründe
1
Die Klägerin, eine Gesellschaft mit Sitz in Liechtenstein, fordert von der Beklagten die Herausgabe von vier Elektroheizern sowie Zahlung von 1.489,00 € für eine der Beklagten zur Verfügung gestellte Prüfleitung. Die Beklagte verlangt widerklagend 13.066,74 €.
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Die Klägerin hat Klage vor dem Amtsgericht München erhoben. Ihr Unternehmensgegenstand sei die Entwicklung, die Produktion und der Vertrieb patentierter Produkte zur Energiegewinnung und -einsparung, sogenannter … Anlagen. Die in Cottbus ansässige Beklagte unterhalte einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb und sei von der Klägerin mit dem Umbau solcher Anlagen im Januar 2022 beauftragt worden. Die von den Parteien am 27. Januar 2022 unterzeichnete „Geheimhaltungsvereinbarung“ enthält folgende Regelungen:
Die offenbarende Partei [die Klägerin] legt der empfangenden Partei [der Beklagten] vertrauliche Informationen über eine elektrische Anlage im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der empfangenden Partei offen […] Deshalb, unter Berücksichtigung der Bedingungen und Konditionen wie im Folgenden dargelegt, verpflichtet sich die empfangende Partei, wie folgt:
„1. Diese Vereinbarung erstreckt sich auf alle vertraulichen Informationen, die von der offenbarenden Partei, oder in deren Auftrag Handelnden, der empfangenden Partei zur Kenntnis gebracht wurden und in Zukunft gebracht werden oder in der Zusammenarbeit entstehen.
2.,Vertrauliche Informationenʹ, wie in dieser Vereinbarung, ist jede und alle von der offenbarenden Partei offenbarte technische und nicht-technische Information unabhängig von der Form, den Eigentumsverhältnissen oder der Vertrauenssetzung durch die offenbarende Partei und umfassen ohne Einschränkung:“
I. Entdeckungen, Ideen, Konzepte, Zeichnungen, Erfindungen, Knowhow, Techniken, Analysen, Prozessdaten, Schaltpläne und Verfahren,
II. Informationen über Forschung, Entwicklung, Vertriebsvereinbarungen, Preise und Kosten, Lieferanten und Kunden und andere Geschäftsdaten, Verhandlungen oder Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien, die Existenz von diesem Vertrag und alle Gespräche zwischen den Parteien, die diesen Vertrag betreffen.
6. Alle vertraulichen Informationen und Materialien, die an die empfangende Partei durch die offenbarende Partei erbracht werden, sind Eigentum der offenbarenden Partei …
7. Auf Wunsch der offenbarenden Partei muss die empfangende Partei umgehend […] alle Dokumente, Materialien, im Bau befindliche oder fertig gestellte ausgelieferte Anlagen oder Medien, die von den vertraulichen Informationen eingeschlossen sind, einschließlich aller Kopien, Notizen, Zusammenfassungen und Abstracts davon an die offenbarende Partei. [sic] …
11. Die Parteien vereinbaren hinsichtlich sämtlicher Rechtsbeziehungen aus dieser Vereinbarung die Anwendung deutschen Rechts […]
12. Die Parteien vereinbaren, dass der ausschließliche Gerichtsstand München ist, insoweit verzichten die Parteien auf das Recht, diesen Gerichtsstand anzufechten.“
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Die Klägerin behauptet, sie habe der Beklagten leihweise und zu Testzwecken im März und Mai 2022 insgesamt vier Elektroheizer überlassen, die die Klägerin zuvor von der … GmbH, einer Gesellschafterin der Klägerin, für 71,39 € netto erworben habe. Des Weiteren habe die Klägerin der Beklagten im August 2022 eine zuvor zum Preis von 1.489,00 € netto erworbene Prüfleitung ebenfalls leihweise und zu Testzwecken überlassen. Die Klägerin habe die Beklagte nach je gesonderter Absprache mit dem Umbau beauftragt. Nach der Beendigung der geschäftlichen Beziehungen verlange die Klägerin nunmehr die Herausgabe der Elektroheizer und der Prüfleitung beziehungsweise Kostenerstattung. Das Amtsgericht München sei jedenfalls bis zur Erhebung der Widerklage sachlich und örtlich zuständig gewesen. Nach Ziffer 12 der Geheimhaltungsvereinbarung sei ausschließlicher Gerichtsstand München. Streitgegenständlich seien die aus Ziffer 7 der Geheimhaltungsvereinbarung abgeleiteten Ansprüche der Klägerin. Nach Ziffer 6 beziehe sich die Geheimhaltungsvereinbarung auch auf Materialien, die der Beklagten von der Klägerin zur Verfügung gestellt worden seien.
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Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage und verlangt im Wege der Widerklage Zahlung von 13.066,74 €. Die ihr übergebenen Geräte seien ihr Eigentum geworden; sonst hätte sie die Elektroheizer selbst erworben und der Klägerin in Rechnung gestellt. Die Prüfleitung habe die Beklagte selbst vom Zulieferer gekauft; die Kosten seien der Klägerin in Rechnung gestellt und von dieser auch beglichen worden. Grundlage der Geschäftsbeziehung sei ein von der Klägerin rund ein halbes Jahr nach der Geheimhaltungsvereinbarung angefertigter Letter of Intent gewesen; auf dessen Grundlage seien Rahmenverträge geschlossen und die Beklagte mit Dienstleistungen beauftragt worden. Die Beklagte erbringe ihre Dienstleistungen immer nur unter Beachtung ihrer, auf der Homepage veröffentlichten, Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Nach deren Ziffer 20 wäre die Beklagte unter ihrem Geschäftssitz zu verklagen. Die Klägerin habe im Januar 2023 der Beklagten mitgeteilt, dass diese keine weiteren Anlagen herstellen solle. Die Beklagte habe daraufhin gegenüber der Klägerin nur noch die Komponenten abgerechnet, die sie bereits beschafft habe. Die Rechnung vom 24. Januar 2023 belaufe sich auf (mit der Widerklage geltend gemachte) 13.066,74 €; die Klägerin habe die Bezahlung verweigert und den Vertrag gekündigt. Das Amtsgericht München sei weder „instanziell“ noch örtlich zuständig. Die Geheimhaltungsvereinbarung beziehe sich auf den Umgang mit vertraulichen Informationen über eine elektrische Anlage; darum gehe es im vorliegenden Rechtsstreit nicht. Die Elektroheizer und die Prüfleitung seien keine Bestandteile der elektrischen Anlagen, die die Beklagte für die Klägerin gebaut habe und keine vertraulichen Informationen. Es gehe nur um „banale“ Elektroheizer und eine Prüfleitung.
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Das Amtsgericht München hat mit Verfügung vom 15. November 2024 die Parteien darauf hingewiesen, dass nach Erhebung der Widerklage die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts überschritten sei. Auch eine örtliche Zuständigkeit sei nicht ersichtlich; sie ergebe sich jedenfalls nicht aus der vorgelegten Geheimhaltungsvereinbarung, da diese nicht Gegenstand des Rechtsstreits sei. Die Beklagte beantragte daraufhin die Verweisung an das Landgericht Cottbus, die Klägerin eine Verweisung an das Landgericht München I und nur hilfsweise an das Landgericht Cottbus. Mit den Parteien formlos bekannt gegebenem Beschluss vom 5. Dezember 2024 erklärte sich das Amtsgericht München für sachlich und örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht Cottbus. Eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I komme nicht in Betracht. Da es beim vorliegenden Rechtsstreit nicht um vertrauliche Informationen über eine elektrische Anlage gehe, greife die Gerichtsstandsvereinbarung in der Geheimhaltungsvereinbarung nicht.
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Das Landgericht Cottbus wies die Parteien mit Verfügung vom 18. Februar 2025 darauf hin, dass Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit bestünden. Die Parteien hätten eine Geheimhaltungsvereinbarung mit einer nach § 38 Abs. 1 ZPO zulässigen Gerichtsstandvereinbarung getroffen. Diese regle nach dem objektiven Empfängerhorizont eine ausschließliche Zuständigkeit im Landgerichtsbezirk München. Sie ziele erkennbar auf alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag ab und sei nicht etwa nur auf einen abgrenzbaren Teil beschränkt. Zudem sei diese dahin auszulegen, dass neben vertraglichen auch alle konkurrierenden Ansprüche in den Grenzen des Streitgegenstands umfasst sein sollten. Der Verweisungsbeschluss sei willkürlich; das Amtsgericht habe offensichtlich übersehen, dass die Parteien die Gerichtsstandsvereinbarung ausschließlich ausgestaltet hätten. Daraufhin beantragte die Klägerin die Verweisung an das Landgericht München I. Die Beklagte führte aus, die Entscheidung des Amtsgerichts München sei nicht willkürlich, es gehe zutreffend davon aus, dass die Geheimhaltungsvereinbarung nicht anwendbar sei. Mit den Parteien formlos übermitteltem Beschluss vom 11. März 2025 erklärte sich das Landgericht Cottbus für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht München I. Es wiederholte hierzu im Wesentlichen die Argumentation aus dem Hinweis vom 18. Februar 2025. Die Beklagte führte in einem an das Landgericht Cottbus adressierten Schriftsatz vom 16. März 2025 aus, der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München sei für das Landgericht Cottbus bindend; dessen Weiterverweisung sei hingegen willkürlich. Das Landgericht München I sei an diese Verweisung nicht gebunden und örtlich unzuständig. Sie beantrage, den Rechtsstreit an das Landgericht Cottbus zurückzuverweisen, gegebenenfalls durch Einholung einer Entscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO.
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Das Landgericht München I erließ am 28. April 2025 eine den Parteien formlos übermittelte Verfügung. Das Amtsgericht München habe sich mit der Frage, ob die Gerichtsstandsvereinbarung aus der Geheimhaltungsvereinbarung zum Tragen komme, auseinandergesetzt. Inwieweit dann von einer willkürlichen Verweisung durch das Amtsgericht München ausgegangen werden könne, erschließe sich nicht. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Cottbus sei nach § 281 Abs. 2 Satz 1 ZPO prinzipiell für die Parteien unanfechtbar. In Ausnahmefällen, wie etwa bei willkürlicher Verweisung, sei hingegen die Anfechtung durch Beschwerde zu bejahen. Das Landgericht Cottbus habe offensichtlich die in dem Schreiben der Beklagten vom 16. März 2025 enthaltene Beschwerde übersehen. Die Übernahme des Verfahrens bleibe daher vorbehalten. Die Akte werde an das Landgericht Cottbus zurück übersandt mit dem Ersuchen, der Beschwerde abzuhelfen oder sie dem dann zuständigen Beschwerdegericht vorzulegen.
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Das Landgericht Cottbus erließ am 1. Juli 2025 einen, den Parteien formlos mitgeteilten, Beschluss, wonach „[d]er Beschwerde der Beklagten vom 16.03.2025 … nicht abgeholfen“ werde. Das Amtsgericht München habe sich nur rudimentär mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Gerichtsstandsvereinbarung aus der Geheimhaltungsvereinbarung zum Tragen komme. Es habe die von der Beklagten erhobene Widerklage und die Tatsache, dass die Parteien wirksam eine ausschließliche Zuständigkeit im Landgerichtsbezirk München vereinbart haben dürften, gänzlich unberücksichtigt gelassen. Dies stelle sich als willkürlich dar. Mit Verfügung vom selben Tag legte das Landgericht Cottbus dem „für die Entscheidung über die Beschwerde zuständigen Oberlandesgericht München“ die Akten vor.
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Das Oberlandesgericht München hob mit Beschluss vom 4. August 2025 die Vorlageverfügung auf und gab die Akten dem Landgericht Cottbus zurück. Der Schriftsatz der Beklagten vom 16. März 2025 enthalte keine Beschwerde. Für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 ZPO sei das Bayerische Oberste Landesgericht zuständig.
10
Am 19. August 2025 hat das Landgericht Cottbus verfügt: „Beschluss v. 01.07. mit Akten an das zuständige Bayerische Oberste Landesgericht zur Entscheidung über die Beschwerde“. Mit Verfügung vom 4. Oktober 2025 hat das Landgericht Cottbus klargestellt, dass eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 2 ZPO erstrebt werde. Die Klägerin hat im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nur geäußert, sie halte das Bayerische Oberste Landesgericht insoweit für zuständig. Die Beklagte hat ausgeführt, die Herausgabe der Heizlüfter und der Prüfleitung habe nichts mit der Geheimhaltungsvereinbarung zu tun. Nichts anderes gelte für die mit der Widerklage geforderte Bezahlung von handelsüblichen Komponenten, die die Beklagte auftragsgemäß erworben habe. Die Widerklage sei auch konnex, da sämtliche Ansprüche des Rechtsstreits jeweils aus der Beendigung des Vertrags zwischen den Parteien resultierten. Die Beklagte habe bis zur Bezahlung ihrer Rechnung von ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht und rechne nun vorsorglich hilfsweise mit einem erstrangigen Teilbetrag der Widerklageforderung gegen die Zahlungsklage auf.
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Örtlich zuständig ist das Landgericht Cottbus.
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1. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO liegen vor.
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a) Die deutschen Gerichte sind für das Verfahren international zuständig (vgl. hierzu BayObLG, Beschluss vom 10. März 2025, 101 AR 5/25e, juris Rn. 16; Beschluss vom 16. August 2024, 101 AR 103/24e, juris Rn. 24).
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aa) Die internationale Zuständigkeit für die Klage ergibt sich jedenfalls aus Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, da die Beklagte ihren Wohnsitz in Deutschland hat. Dass die Klägerin ihren Sitz im Fürstentum Liechtenstein hat, steht dem nicht entgegen. Das Fürstentum Liechtenstein ist weder Mitgliedstaat im Sinne der Brüssel Ia-VO, noch hat es das Lugano-Übereinkommen oder die Haager Übereinkommen ratifiziert; auch gibt es keine zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und Deutschland abgeschlossenen, vorrangigen völkerrechtlichen Verträge zum Verfahrensrecht (Mähr in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 69. EL März 2025, „Liechtenstein“). Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO findet aber auch Anwendung, wenn, wie vorliegend, ein in einem Drittstaat ansässiger Kläger einen in einem Mitgliedstaat wohnenden Beklagten in diesem Mitgliedstaat verklagt (EuGH, Urt. v. 17. März 2016, C-175/15, EuZW 2016, 558 Rn. 20; Nordmeier in Thomas/Putzo, ZPO, 46. Aufl. 2025, Vorb. Art. 1 EuGVVO Rn. 20 f.; Stadler/Krüger in Musielak/Voit, ZPO, 22. Aufl 2025, Art. 4 EuGVVO Rn.2) .
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bb) Für die Widerklage ergibt sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte jedenfalls aus § 33 ZPO.
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(1) Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO findet keine Anwendung, da diese Vorschrift ausdrücklich voraussetzt, dass der Widerbeklagte den Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats hat. Eine entsprechende Anwendung auf den Fall, dass ein in einem Drittstaat ansässiger Widerbeklagter von einem in einem Mitgliedsstaat der Brüssel Ia-VO ansässigen Widerkläger in Anspruch genommen wird, ist aufgrund der vom Europäischen Gerichtshof betonten engen und restriktiven Auslegung der besonderen Zuständigkeitsvorschriften der Verordnung abzulehnen (Paulus in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 8 EuGVVO Rn. 70; Thode in BeckOK ZPO, 58. Ed. 1. September 2025, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rn. 51; Garber/Neumayr in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2022, Art. 8 EuGVVO Rn. 63; vgl. zur Auslegung EuGH, Urt. v. 11. April 2013, C-645/11, IPrax 2014, 167 Rn. 52 ff.; Urt. v. 27. Oktober 1998, C-51/97, IPrax 2000, 210 Rn. 16; für eine analoge Anwendung: Gottwald in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, Brüssel Ia-VO Art. 8 Rn. 26; Schlosser in Schlosser/Hess, EU-Zivilprozessrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rn. 9; offen: Nordmeier in Thomas/Putzo, ZPO, Art. 8 EuGVVO Rn. 8). Maßgeblich ist mangels Anwendbarkeit des Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO vielmehr § 33 ZPO (Paulus, a. a. O.; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, § 33 Rn. 31; Patzina/Windau in Münchener Kommentar zur ZPO, 7. Aufl. 2025, § 33 Rn. 67).
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(2) Die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 ZPO sind erfüllt. Der nötige Zusammenhang von Gegenanspruch und Klage liegt vor, wenn zwischen den beiderseitigen Ansprüchen eine rechtliche Verbindung besteht, wobei der Begriff weit auszulegen ist; dies ist beispielsweise bei Verträgen im Rahmen einer laufenden Geschäftsbeziehung anzunehmen (BGH, Urt. v. 7. November 2002, VIII ZR 263/00, NJW 2002, 2182 [juris Rn. 19]; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, § 33 Rn. 2; Patzina/Windau in Münchener Kommentar zur ZPO, § 33 Rn. 30).
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Vorliegend standen die Parteien jedenfalls von Januar 2022 bis Ende Januar 2023 in ständiger Geschäftsbeziehung. Nach deren Beendigung machen die Klägerin einerseits und die Beklagte andererseits noch Forderungen geltend, die aus dieser laufenden Geschäftsbeziehung resultieren. Ob die Ansprüche dabei aus einem einheitlichen Rechtsgeschäft oder aus verschiedenen Verträgen im Rahmen der Geschäftsbeziehung der Parteien abgeleitet werden, ist im Rahmen des § 33 ZPO ohne Belang.
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cc) Ob die Parteien mit Ziffer 12 der Geheimhaltungsvereinbarung außer der örtlichen auch die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte vereinbart haben und ob die Geheimhaltungsvereinbarung überhaupt auf den vorliegenden Rechtsstreit anzuwenden ist, kann somit an dieser Stelle dahingestellt bleiben.
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b) Das Landgericht Cottbus hat sich durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 11. März 2025 für örtlich unzuständig erklärt, das Landgericht München I durch die zuständigkeitsverneinende Verfügung vom 28. April 2025. Die (wie hier) jeweils beiden Parteien mitgeteilte und ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12; BayObLG, Beschluss vom 30. August 2023, 102 AR 33/23, juris Rn. 20; Beschluss vom 20. Juli 2023, 101 AR 150/23 e, juris Rn. 11). Ausreichend ist auch eine durch Verfügung des zuständigen Einzelrichters erklärte Ablehnung der Übernahme, wenn sie, wie hier, beiden Parteien bekannt gemacht wird (Roth in Stein, ZPO, 24. Aufl 2024, § 36 Rn. 78; Patzina/Windau in Münchener Kommentar zur ZPO, § 36 Rn. 48; vgl. auch KG, Beschluss vom 25. Februar 2021, 2 AR 7/21, NZBau 2021, 387 Rn. 5). Dass die zuständige Einzelrichterin des Landgerichts München I zudem ausgeführt hat, die Übernahme bleibe vorbehalten, steht der Zuständigkeitsbestimmung nicht entgegen. Der Verfügung vom 28. April 2025 ist eindeutig zu entnehmen, dass das Gericht sich für örtlich unzuständig hält und nur dann zur Bearbeitung des Verfahrens bereit ist, wenn die Zuständigkeit des Landgerichts München I durch ein Obergericht festgestellt würde. Dass das Landgericht München I dabei von einer Beschwerdeentscheidung anstelle einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ausgeht, ist unschädlich.
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c) Zuständig für die Bestimmungsentscheidung ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht, weil die Bezirke der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Landgerichte zu den Zuständigkeitsbereichen unterschiedlicher Oberlandesgerichte (Oberlandesgericht München einerseits, Brandenburgisches Oberlandesgericht andererseits) gehören und das für sie gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle entscheidet das Bayerische Oberste Landesgericht, weil das mit der Rechtssache zuerst befasste Gericht, das Amtsgericht München, in Bayern liegt. Das Amtsgericht München ist an dem aktuell bestehenden Zuständigkeitskonflikt, der das Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nötig macht, noch beteiligt. Dieses Gericht hat sich für unzuständig erklärt und eine Verweisung an das aus seiner Sicht (sachlich und) örtlich zuständige Landgericht Cottbus ausgesprochen. Das Landgericht Cottbus hat diese Zuweisung in örtlicher Hinsicht nicht als bindend hingenommen, was den Zuständigkeitskonflikt zwischen ihm und dem Amtsgericht München beendet hätte (vgl. hierzu BayObLG, Beschluss vom 30. August 2023, 102 AR 33/23, juris Rn. 21; OLG Braunschweig, Beschluss vom 29. Oktober 2013, 1 W 42/13, juris Rn. 7; Beschluss vom 28. Oktober 2003, 1 W 67/03, juris Rn. 8), sondern sich seinerseits für örtlich unzuständig erklärt und die Sache an das Landgericht München I weiterverwiesen. Bei der Entscheidung des Zuständigkeitskonflikts sind die eingetretenen verfahrensrechtlichen Bindungswirkungen zu prüfen, weshalb auch der erste Verweisungsbeschluss (des Amtsgerichts München) in den Blick zu nehmen ist.
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2. Örtlich zuständig ist das Landgericht Cottbus, da der Beschluss des Amtsgerichts München Bindungswirkung entfaltet.
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a) Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO (gegebenenfalls in Verbindung mit § 506 Abs. 2 ZPO) die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Fall eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss, hier des Amtsgerichts München vom 5. Dezember 2024, verwiesen worden ist. Demnach entziehen sich auch ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (BayObLG, Beschluss vom 30. August 2023, 102 AR 33/23, juris Rn. 23; Beschluss vom 20. Juli 2023, 101 AR 150/23 e, juris Rn. 16; Beschluss vom 26. Juli 2022, 102 AR 65/22, juris Rn. 17).
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Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss allerdings dann keine Bindungswirkung zu, wenn dieser schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; BGH NJW-RR 2017, 1213 Rn. 15; BayObLG, Beschluss vom 30. August 2023, 102 AR 33/23, juris Rn. 23; Beschl. 20. Juli 2023, 101 AR 150/23 e, juris Rn. 17). Objektiv willkürlich ist ein Verweisungsbeschluss, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; BayObLG, Beschluss vom 30. August 2023, 102 AR 33/23, juris Rn. 24; Beschluss vom 20. Juli 2023, 101 AR 150/23 e, juris Rn. 17; Beschluss vom 26. Juli 2022, 102 AR 65/22, juris Rn. 18). Dabei genügt es für die Bewertung als willkürlich nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Es bedarf vielmehr zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen (BGH NJW-RR 2015, 1016 Rn. 11 m. w. N.; BayObLG, Beschl. v. 30. August 2023, 102 AR 33/23, juris Rn. 25; Beschluss vom 20. Juli 2023, 101 AR 150/23 e, juris Rn. 17; Beschluss vom 26. Juli 2022, 102 AR 65/22, juris Rn. 18).
25
b) Nach diesem Maßstab ist der Beschluss des Amtsgerichts München vom 5. Dezember 2024 betreffend die örtliche Zuständigkeit nicht als objektiv willkürlich anzusehen und entfaltet daher Bindungswirkung.
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Das Amtsgericht München ist in seinem Hinweis vom 15. November 2024 und in seinem Verweisungsbeschluss davon ausgegangen, dass die Gerichtsstandsvereinbarung in Ziffer 12 der Geheimhaltungsvereinbarung vom Januar 2022 nicht eingreife, weil es in dem Rechtstreit nicht um vertrauliche Informationen über elektrische Anlagen gehe. Dies erscheint zumindest vertretbar. Die Vereinbarung vom 27. Januar 2022 ist als „Geheimhaltungsvereinbarung“ überschrieben. Ausweislich der Präambel legt die Klägerin der Beklagten im Rahmen einer Zusammenarbeit vertrauliche Informationen über eine elektrische Anlage offen. „Daher“ verpflichte sich die Beklagte wie nachfolgend aufgeführt. Daraus lässt sich jedenfalls willkürfrei schließen, dass die Vereinbarung nur dann und insoweit gelten sollte, als tatsächlich übermittelte vertrauliche Informationen im Sinne der Definition in Ziffer 2 inmitten stehen. Nach ihrem eigenen Vortrag verlangt die Klägerin von der Beklagten aber die Herausgabe von vier Elektroheizern sowie die Herausgabe beziehungsweise Bezahlung einer Prüfleitung, die sie selbst von einer anderen Gesellschaft käuflich erworben und sodann der Beklagten leihweise zu Testzwecken überlassen habe. Dass diesbezüglich vertrauliche Informationen von ihr offengelegt worden seien, erscheint eher fernliegend und wird von der Klägerin auch nicht dargetan. Unbehelflich ist ferner der Verweis der Klägerin auf Ziffer 7 der Geheimhaltungsvereinbarung. Danach hat die Beklagte auf Wunsch der Klägerin Dokumente, Materialien, im Bau befindliche oder fertiggestellte Anlagen oder Medien herauszugeben, „die von den vertraulichen Informationen eingeschlossen sind“. Auch dieser Herausgabeanspruch lässt sich zumindest vertretbar dahingehend auslegen, dass er sich auf Gegenstände bezieht, die einen Bezug zu vertraulichen Informationen haben oder diese verkörpern. Auch dies erschließt sich in Bezug auf die von Dritten erworbenen Elektroheizer und die Prüfleitung nicht. Dass diese ein besonderes Wissen der Klägerin verkörperten (etwa nach ihren speziellen Vorgaben vom Verkäufer hergestellt worden wären) behauptet die Klägerin selbst nicht. Die von der Klägerin ebenfalls angeführte Ziffer 6 der Geheimhaltungsvereinbarung betrifft nach dem Wortlaut nur „vertrauliche“ Informationen und Materialien.
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Nichts anderes gilt in Bezug auf die Widerklage. Mit dieser verlangt die Beklagte die Bezahlung von Komponenten, die sie von Dritten gekauft habe im Hinblick auf die von der Klägerin erteilten Aufträge. Auch insoweit ist ein Bezug zu vertraulichen Informationen der Klägerin weder offensichtlich noch von der Klägerin konkret dargetan.
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Ob Ziffer 12 der Geheimhaltungsvereinbarung so auszulegen ist, dass die Parteien damit generell für sämtliche künftigen Aufträge und für alle wechselseitigen Ansprüche, auch soweit sie keinen Bezug zu vertraulichen Informationen aufweisen, einen ausschließlichen Gerichtsstand in München vereinbaren wollten, kann dahingestellt bleiben. Die anderweitige Auslegung durch das Amtsgericht München erscheint jedenfalls vertretbar und damit nicht willkürlich.
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Ausgehend von der Ansicht des Amtsgerichts, dass die Geheimhaltungsvereinbarung nicht einschlägig ist, erscheint die Verweisung der Klage an das Landgericht Cottbus als Gericht am Sitz der Beklagten folgerichtig (vgl. §§ 12, 13 ZPO). Für die Widerklage ergibt sich eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Cottbus dann ohne Weiteres aus § 33 Abs. 1 ZPO (vgl. oben 1] a] bb]).
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c) Damit ist das Landgericht Cottbus an den wirksamen Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München gebunden und somit das örtlich zuständige Gericht. Die von ihm ausgesprochene Weiterverweisung erzeugt bereits deshalb keine verfahrensrechtliche Bindungswirkung (vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. Juni 2023, 102 AR 119/23 e, juris Rn. 29).