Inhalt

LG Traunstein, Endurteil v. 20.11.2025 – 8 O 1048/20
Titel:

Wiederbeschaffungswert, Widerklage, Auskunftsanspruch, Sachverständigengutachten, Auskunftserteilung, Entschädigungsbetrag, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Gerichtlich bestellter Sachverständiger, Basiszinssatz, Entlastungsbeweis, Verschulden des Halters, Nutzungsausfall, Streitwertfestsetzung, Schadensfeststellung, Örtliche Zuständigkeit, Schadenszeitpunkt, Beweisbeschlüsse, Beschädigung, Instandhaltungsmaßnahmen, Schriftsätze

Schlagworte:
Klage, Widerklage, Schadensersatzanspruch, Beweisaufnahme, Sachverständigengutachten, Entlastungsbeweis, Zinsansprüche
Fundstelle:
BeckRS 2025, 31768

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 42.300,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 7.540,00 seit dem 24.02.2020, aus 2.440,00 seit dem 02.03.2020, aus 15.440,00 seit dem 30.03.2020, aus 9.880,00 € seit dem 14.04.2020 und aus 7.000,00 € seit dem 16.04.2020 sowie weitere 21.850,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 28.830,00 seit dem 27.07.2020 und aus 3.020,00 € seit dem 31.07.2020 sowie weitere 6.032,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.10.2020 so- wie weitere 5.960,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.870,00 € seit dem 02.01.2021 und aus 2.090,00 € seit dem 02.02.2021 zu zahlen.
2. Die Widerklage wird abgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 90.372,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen Beschädigungen an den Radständen ihrer Eisenbahn-Güterwagen geltend, die Beklagte begehrt widerklagend Auskunftserteilung über die von Klägerin vorgenommenen Instandhaltungsmaßnahmen betreffend die streitgegenständlichen Güterwagen.
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Die Klägerin ist ein gewerblicher Vermieter und Halter von Eisenbahn-Güterwagen. Die Beklagte ist ein im Bereich der Güterbeförderung tätiges Eisenbahn-Verkehrsunternehmen (EVU) und hat im Zeitraum vom 01.05.2019 bis 15.12.2019 Güterwagen der Klägerin mit den Wagen-Endnummern 444-8, 154-5, 411-7, 157-8, 399-4, 418-2, 520-2, 154-5, 330-9, 209-5, 237-6, 358-0, 208-7, 351-5, 321-8, 296-2, 220-2, 440-6, 156-0, 399-4, 360-6, 351-5, 462-0, 526-2, 259-0, 458-8, 237-6, 214-5, 252-5, 245-9, 219-4, 392-9, 299-6, 203-8, 273-1, 429-9, 207-9, 424-0, 200-4, 152-9, 518-9, 324-2, 151-1, 221-0, 269-9, 478-6, 158-6, 444-8, 435-6, 272-3 sowie 391-1, die diese an die M ... vermietet hatte, befördert.
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Zwischen den Parteien finden die Bestimmungen des Allgemeinen Vertrags für die Verwendung von Güterwagen (AVV) Anwendung.
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Dieser enthält in der vorliegend maßgeblichen Fassung vom 01.01.2019 (abrufbar unter https://gcubureau.org/wp-content/uploads/Contract/2019/20190101_GCU_FULL_DE%20v2.pdf und auszugsweise vorgelegt als Anlage K2) unter anderem die folgenden Regelungen:
„Artikel 7: Technische Zulassung und Instandhaltung der Wagen
7.1 Der Halter hat dafür zu sorgen, dass seine Wagen den zum Zeitpunkt der Zulassung geltenden nationalen und internationalen Gesetzen und Vorschriften technisch zugelassen sind und während ihrer Einsatzzeit technisch zugelassen bleiben.
7.2 Der Halter hat dafür zu sorgen, dass seine Wagen entsprechend den geltenden Ge- setzen, Vorschriften und verbindlichen Normen instand gehalten werden. Er hat insbesondere eine zertifizierte für die Instandhaltung zuständige Stelle (ECM) zu bestimmen und sicherzustellen, dass die ECM alle ihr obliegenden Aufgaben erledigt. Der Halter stellt den verwendenden EVU auf Verlangen unverzüglich verlässliche Informationen über Instandhaltung (einschließlich Instandhaltungsunterlagen und Instandhaltungsnachweis) und Betriebsbeschränkungen zur Verfügung, die für den sicheren Betrieb notwendig und ausreichend sind. Für die Zwecke dieses Vertrages und gegenüber den übrigen Vertragsparteien wird der Halter als die ECM für seine Wagen angesehen und hat deren Verantwortlichkeiten.
7.3 Der Halter gestattet den EVU, alle erforderlichen Kontrollen, insbesondere die in Anlage 9 vorgesehenen, an seinen Wagen vorzunehmen.
7.4 Der Halter muss den Eisenbahnverkehrsunternehmen rechtzeitig die für den sicheren Eisenbahnbetrieb nötigen Informationen seiner Wagen in elektronischer Form bereitstellen.
Artikel 18: Schadensfeststellung
18.1 Wird die Beschädigung eines Wagens oder der Verlust bzw. die Beschädigung von am Wagen angeschriebenen losen Wagenbestandteilen von einem EVU entdeckt oder vermutet oder vom Halter behauptet, so hat das EVU die Art der Beschädigung oder des Verlustes und, soweit möglich, die Ursache des Schadens sowie den Zeitpunkt sei – nes Entstehens unverzüglich und nach Möglichkeit in Gegenwart des Halters in einem Schadensprotokoll (Anlage 4) festzuhalten.
18.2 Kann der Wagen trotz der Beschädigung bzw. des Verlusts von Teilen weiterhin ge- nutzt werden, so kann auf die Anwesenheit des Halters bei den Feststellungen verzichtet werden.
18.3 Dem Halter ist unverzüglich eine Kopie des Schadensprotokolls zu übermitteln.
18.4 Wenn der Halter die Feststellungen im Schadensprotokoll nicht anerkennt, kann er verlangen, dass Art, Ursache und Ausmaß des Schadens von einem durch die Vertrags- parteien oder durch ein Gericht bestellten Sachverständigen festgestellt werden. Das Ver- fahren richtet sich nach dem Recht des Staates, in dem die Feststellung erfolgt.
18.5 Kann der Wagen aufgrund seiner Beschädigung bzw. des Verlusts von Teilen nicht weiterbefördert oder -verwendet werden, übermittelt das EVU ferner dem Halter unverzüglich zumindest folgende Angaben:
- Wagennummer
- Zustand des Wagens (beladen oder leer)
- Datum und Ort der Aussetzung
- Aussetzungsgrund
- Angabe der bearbeitenden Stelle
- voraussichtliche Dauer der Nichtverfügbarkeit des Wagens (bis zu sechs Werktagen; mehr als sechs Werktage).
Artikel 22: Haftung des verwendenden EVU
22.1 Das EVU, in dessen Gewahrsam sich ein Wagen befindet, haftet dem Halter für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung des Wagens oder seiner Bestandteile entstanden ist, sofern es nicht beweist, dass der Schaden nicht durch sein Verschulden verursacht worden ist.
22.2 Ein Verschulden des EVU liegt insbesondere dann nicht vor, wenn es beweist, dass einer der folgenden Gründe gegeben ist:
- Umstände, welche das EVU nicht vermeiden und deren Folgen es nicht abwenden konnte
- Verschulden eines Dritten
- mangelnde Instandhaltung durch den Halter, wenn das EVU nachweist, dass es den Wagen fehlerlos betrieben und überwacht hat
- Verschulden des Halters.
Bei Mitverschulden des EVU wird der Schaden von den Verantwortlichen gemäß ihrem jeweiligen Anteil an der Schadensentstehung getragen. Ein Halter kann sich nicht auf den versteckten Mangel eines eigenen Wagens berufen, um zu beweisen, dass er den Schaden nicht verschuldet hat.
22.3 Das EVU haftet nicht
- für Verlust und Beschädigung loser Bestandteile, die an den Wagenlängsseiten nicht an- geschrieben sind
- für Verlust und Beschädigung von Zubehör (Abfüllschläuche, Werkzeuge etc.) sofern ihm nicht Verschulden nachgewiesen wird.
22.4 Zur Erleichterung der Schadensabwicklung und um dem normalen Verschleiß der Güterwagen, der Qualität ihrer Instandhaltung und ihrer Verwendung durch Dritte Rech- nung zu tragen, wird der Schadenskatalog für Güterwagen gemäß Anlage 12 wie folgt an- gewendet:
- Schäden, die dem Halter zugeordnet sind, werden vom Halter getragen; unabhängig davon ist der Halter berechtigt, bei Schäden, die den Betrag von 850 EUR übersteigen, ein EVU in Regress zu nehmen, wenn er dem EVU ein Verschulden an dem Schaden nachweisen kann,
- Schäden, die den EVU zugeordnet sind und den Betrag von 850 EUR nicht übersteigen, werden vom verwendenden EVU getragen,
- Schäden, die den EVU zugeordnet sind und den Betrag von 850 EUR übersteigen, werden nach Artikel 22.1 abgewickelt
Artikel 23: Entschädigungsbetrag
23.1 Im Falle des Verlustes des Wagens oder seiner Bestandteile wird der Entschädi- gungsbetrag gemäß Anlage 5 berechnet.
23.2 Bei Beschädigung des Wagens oder seiner Bestandteile ist die Entschädigung auf die Instandsetzungskosten beschränkt. Ersatz für den Nutzungsausfall wird nach Artikel 13.3 und Ersatz für den Betriebswertverlust bei beschädigtem Radsatz nach Anlage 6, Teil II, gewährt. Werden für Instandsetzungsarbeiten Ersatzteile beim Halter angefordert, so wird der Nutzungsausfall zwischen dem Tag der Anforderung und dem Tag des Eintreffens der Teile unterbrochen. Die Gesamtentschädigung (für Nutzungsausfall und für Reprofilierung eines Radsatzes) kann nicht höher sein als der Betrag, der im Falle des Verlustes des Wagens zu zahlen wäre.
Anlage 5 zum AVV in der Fassung vom 01.01.2019 enthält auszugsweise die folgenden Bestim- mungen:
I. Entschädigung
Die Entschädigung des Schadens (Verlust oder Beschädigung) eines Güterwagens erfolgt nach Zeitwert des Güterwagens und wird nach einem der beiden folgenden Grundsätze, dessen Wahl dem Halter überlassen bleibt, berechnet:
Entweder
A. konkrete Zeitwertberechnung mit Nachweis des tatsächlichen Schadens oder
B. pauschalierte Zeitwertberechnung
A. Konkrete Zeitwertberechnung
Der Halter hat den Zeitwert konkret anzugeben und mit einem Nachweis zu belegen.
B. Pauschalierte Zeitwertberechnung:
1. Berechnung des Wiederbeschaffungswerts
Der Wiederbeschaffungswert ist der Durchschnittswert eines gleichartigen oder vergleichbaren, neuen Güterwagens im Zeitpunkt des Schadens (Verlust oder Beschädigung). Der Halter hat den Wiederbeschaffungswert mit einem Nachweis zu belegen.
2. Berechnung der Entschädigung
2.1. Der Entschädigungsbetrag gemäß Art. 19.2 AVV oder Art. 20.3 AVV errechnet sich aus den folgenden Ziffern 2.2 oder 2.3; hinzukommt ein pauschaler Betrag aus Ziffer 2.4.
2.2 Vom Wiederbeschaffungswert gemäß Punkt B 1 sind zunächst linear 4% je Betriebsjahr, jedoch höchstens 80% des Wiederbeschaffungswerts, abzuziehen (Entschädigungsbe- trag, Variante 1). Bei der Berechnung des Betriebsjahres gelten Baujahr und Jahr des Verlustes oder der Beschädigung des Güterwagens als ein einziges Betriebsjahr.
2.3. Sollte sich der Halter dafür entscheiden, den Güterwagen zu behalten, so reduziert sich der aus Ziffer 2.2 errechnete Entschädigungsbetrag um 10% (Entschädigungsbetrag, Variante 2). Für die Rücklieferung dieses Güterwagens an den Halter kann der Halter die tatsächlichen Transportkosten gegen Nachweis in voller Höhe, höchstens jedoch 10% des sich aus Ziffer 2.3 errechneten Entschädigungsbetrags (Variante 2) an das haftende EVU verrechnen.
2.4. Dem sich aus Ziffer 2.2 oder Ziffer 2.3 errechneten Entschädigungsbetrag ist ein weiterer pauschaler Betrag von 2.000 € (Schadensermittlungskosten des Halters) hinzuzu- rechnen
II. Verfahren bei der Entschädigung (…)
2. Beschädigung
Der Halter legt dem EVU eine Rechnung vor, die den Grundsätzen des Punkt I zu ent – sprechen hat. Auf der Rechnung hat der Halter ausdrücklich schriftlich zu erklären, ob er den Güterwagen dem EVU zum Zwecke der Verschrottung überlässt oder ob er ihn be- halten will. Diese Entscheidung ist für das EVU bindend. (…)
Anlage 6 zum AVV in der Fassung vom 01.01.2019 lautet auszugsweise wie folgt:
II. ENTSCHÄDIGUNG FÜR DIE REPROFILIERUNG VON RADSÄTZEN
Für die Reprofilierung eines durch Verschulden des EVU beschädigten Radsatzes ist dem Halter, gegen Vorlage einer Rechnung mit entsprechenden Belegen, eine pauschale Entschädigung in Höhe von 350 EUR zu zahlen, welche den durch die Reprofilierung entstandenen Betriebswertverlust (Reduzierung des Laufkreisdurchmessers) berücksichtigt Anlage 12 zum AVV in der Fassung vom 01.01.2019 enthält eine tabellarische Auflistung verschiedener Schadensbilder, für die die Haftung entweder dem Halter oder dem EVU zugeordnet wird.“
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Auf Seite 2 der Anlage 12 ist dabei die folgende Auflistung enthalten:
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Im Zeitraum vom 14.07.2019 bis 19.12.2019, namentlich am 14.07.2019, 18.07.2019, 19.08.2019, 24.08.2019, 09.09.2019, 02.10.2019, 06.10.2019, 16.10.2019, 23.10.2019, 31.10.2019, 01.11.2019, 02.11.2019, 15.11.2019, 18.11.2019, 19.11.2019, 27.11.2019, 28.11.2019, 30.11.2019 und 19.12.2019, übersandte die Beklagte an die Klägerin gemäß Art. 18.3 AVV Kopien von Schadensprotokollen, in denen jeweils „Flachstellen größer 60 mm“ an den Radsätzen der klägerischen Güterwagen vermerkt wurden. Bezugnehmend auf diese Schadensprotokolle und unter Beifügung weiterer Unterlagen, unter anderem Radsatzerfassungsblätter und Bremsprotokolle der Firma LTH W1. GmbH sowie gebuchte Rechnungen der Schienenfahrzeugbau W2. GmbH, stellte die Klägerin der Beklagten mit den als Anlage K 3 bis K 27, K 36 bis K48, K50 bis K51, K 53 bis K56, K 64 bis K 68 sowie K 70 bis K71 vorgelegten Rechnungen Aufarbeitungskosten in Höhe von insgesamt 86.142,00 € in Rechnung.
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Eine Bezahlung durch die Beklagte erfolgte nicht; vielmehr wies sie die an sie gerichteten Rechnungen in mehreren Schreiben an die Klägerin zurück (Anlagen K 1a bis K1c, K 35, K 49, K 63 und K69).
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Die Klägerin meint, die Beklagte hafte gemäß Art. 22. 1 AVV für die Beschädigungen an den Radsätzen der klägerischen Güterwagen in der geltend gemachten Höhe, da diese festgestellt worden seien, als die Wagen sich im Gewahrsam der Beklagten befunden haben. Um eine Haftung abzuwenden, müsse die Beklagte gemäß Art. 22.2 AVV beweisen, dass die Schäden nicht durch ihr Verschulden verursacht worden seien. Der von der Beklagten erhobene Einwand, die geltend gemachten Radsatzschäden seien auf eine defekte Bremsanlage bzw. Verschleiß zurückzuführen, weshalb ein Halterschaden gemäß Anlage 12 zum AVV vorliege, treffe nicht zu und werde durch die den jeweiligen Rechnungen beigefügten Bremsprotokolle widerlegt. Es sei zu vermuten, dass die Flachstellen dadurch entstanden seien, dass die Beklagte vergessen habe, vor der Abfahrt die Feststellbremsen der Wagen zu lösen.
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Mit Schriftsatz vom 22.06.2020 (Bl. 18/21 d.A.) verkündete die Klägerin der M ... GmbH den Streit. Die Zustellung der Streitverkündungsschrift erfolgte ausweislich PZU am 26.06.2020 (zu Bl. 22 d.A.). Zwischen der Klägerin und der Streitverkündeten ist am Landgericht Stendal unter dem Aktenzeichen 31 O 19/20 ein Rechtsstreit anhängig, der ebenfalls Ersatzansprüche der Klägerin wegen Flachstellen an Radsätzen baugleicher Wagen zum Gegenstand hat. Im hiesigen Verfahren machte die Klägerin ursprünglich lediglich die sich aus den als Anlagen K3 bis K27 vor- gelegten Rechnungen ergebenden Kosten klageweise geltend (Bl. 1/9 d.A.). Mit Schriftsätzen vom 16.09.2020 (Bl. 58/72 d.A.), vom 09.12.2020 (Bl. 93/96 d.A.) und vom 12.07.2021 (Bl. 154/162 d.A.) erweiterte sie die Klage sodann um die sich aus den als Anlagen K 36 bis K48, K50 bis K51, K 53 bis K56, K 64 bis K 68 und K 70 bis K71 vorgelegten Rechnungen ergebenden Be- träge. Mit Schriftsatz vom 19.09.2021 (Bl. 174/182 d.A.) stellte die Klägerin für den Fall, dass das Gericht von einer schlüssigen Darlegung eines Entlastungsgrundes nach Art. 22.2 AVV durch die Beklagte ausgehen sollte, einen Hilfs-Auskunftsantrag.
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Die Klägerin beantragt zuletzt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 42.300,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 7.540,00 seit dem 24.02.2020, aus 2.440,00 seit dem 02.03.2020, aus 15.440,00 seit dem 30.03.2020, aus 9.880,00 € seit dem 14.04.2020 und aus 7.000,00 € seit dem 16.04.2020 sowie weitere 21.850,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 28.830,00 seit dem 27.07.2020 und aus 3.020,00 € seit dem 31.07.2020 sowie weitere 6.032,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.10.2020 sowie weitere 5.960,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.870,00 € seit dem 02.01.2021 und aus 2.090,00 € seit dem 02.02.2021 zu zahlen.
Hilfsweise:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zum Betrieb der Wagen aus der Zeit vom 01.05.2019 bis 15.12.2019 zu erteilen durch Übermittlung von Informationen über betriebliche Störungen, die zugrunde gelegenen Fahrpläne sowie durch Übermittlung der PZB-Daten und -Auswertungen, aus denen sich insbesondere Informationen ergeben über Zwangsbremsungen, Bremsparameter der jeweils verwendeten Lokomotive sowie Einstellungen der Bremsart, dies bezogen auf die in den von der Klägerin als Anlagen K3-K27, K36-K48, K50-K51, K53-K56, K64-K68 so- wie K70-K71 vorgelegten Rechnungen bezeichneten Wagen mit den Wagen-End- nummern 444-8, 154-5, 411-7, 157-8, 399-4, 418-2, 520-2, 154-5, 330-9, 209-5, 237-6, 358-0, 208-7, 351-5, 321-8, 296-2, 220-2, 440-6, 156-0, 399-4, 360-6, 351-5, 462-0, 526-2, 259-0, 458-8, 237-6, 214-5, 252-5, 245-9, 219-4, 392-9, 299-6, 203-8, 273-1, 429-9, 207-9, 424-0, 200-4, 152-9, 518-9, 324-2, 151-1, 221-0, 269-9, 478-6, 158-6, 444-8, 435-6, 272-3 sowie 391-1.
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Die Beklagte beantragt:
Klageabweisung.
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Widerklagend beantragt die Beklagte:
1. Die Klägerin wird verurteilt, der Beklagten Auskunft darüber zu erteilen,
(1) welche vom Eisenbahn-Bundesamt zu welchem Zeitpunkt gem. § 7g AEG zugelassene Instandhaltungsstelle i.S.d. § 4a Abs. 1 AEG die streitgegenständlichen Güterwagen mit den Wagennummern 37 80 455 8 444-8, 37 80 455 6 154-5, 37 80 455 8 411-7, 37 80 455 6 157-8, 37 80 455 8 399-4, 37 80 455 8 418-2, 37 80 455 8 520-2, 37 80 455 6 154-5, 37 80 455 8 330-9, 37 80 455 8 209-5, 37 80 455 8 237-6, 37 80 455 8 358-0, 37 80 455 8 208-7, 37 80 455 8 351-5, 37 80 455 8 321-8, 37 80 455 8 296-2, 37 80 455 8 220-2, 37 80 455 8 440-6, 37 80 455 6 156-0, 37 80 455 8 399-4, 37 80 455 8 360-6, 37 80 455 8 351-5, 37 80 455 8 462-0, 37 80 455 8 526-2, 37 80 455 8 259-0 zu welchen Zeit- punkten nach welchen Anforderungen, Intervallen und Laufleistungen sowie nach welchem Instandhaltungsplan gem. Anhang III Ziff. 8 b) Verordnung (EU) 445/2011 und aufgrund welchen Instandhaltungssystems instandgehalten hat;
(2) aufgrund welcher Anforderungen die Klägerin diese Instandhaltungsstelle auditiert und mit welchen Instandhaltungsmanagementfunktionen gem. Art. 4 Verordnung (EU) 445/2011 beauftragt hat;
(3) wann die Klägerin die Instandhaltungsstelle im Jahr 2019 in welcher Weise mit welchen Ergebnissen überwacht und überprüft hat;
(4) welche Instandhaltungsmaßnahmen gem. Anhang III Ziff. 8 b) Verordnung (EU) 445/2011 an den streitgegenständlichen und im Widerklageantrag Ziff. 1. (1) be- nannten Güterwagen durchgeführt und welche Aufzeichnungen und Instandhaltungsunterlagen über diese Instandhaltungsmaßnahmen erstellt worden sind;
(5) wann die Klägerin die von der Instandhaltungsstelle durchgeführten Instand- haltungsmaßnahmen mit welchen Ergebnissen überwacht und überprüft hat;
(6) aus welchen Gründen und nach welchen Laufleistungen sowie nach welchem Instandhaltungsplan gem. Anhang III Ziff. 8 b) Verordnung (EU) 445/2011 Instandhaltungsmaßnahmen an den im Widerklageantrag Ziff. 1. (1) benannten Güterwagen erfolgten, welcher Fuhrpark-Instandhaltungsmanager jeweils aufgrund welcher Instandhaltungsdokumente über die Außerbetriebnahme und Wiederinbetriebnahme der Güterwagen entschieden hat und wann die Klägerin diese Instandhaltungsarbeiten in welcher Weise und mit welchem Ergebnis überwacht und überprüft hat.
2. Die Klägerin wird verpflichtet, die gemäß § 4a Abs. 3 Satz 1 und Abs. 6 AEG i.V.m. Verordnung (EU) 445/2011 erforderlichen Aufzeichnungen und Instandhaltungsunterlagen zum Nachweis der ordnungsgemäßen Instandhaltung der im Klageantrag Ziff. 1. (1) benannten Güterwagen vorzulegen, insbesondere die gem. Anhang III Ziff. II 7. Verordnung (EU) 445/2011 vorgeschriebenen folgenden Dokumente:
(1) Unterlagen bezüglich der Entwicklung, Bewertung, Validierung und Genehmigung einer im Verlauf der Instandhaltung vorgenommenen Ersetzung;
(2) Fahrzeugkonfiguration, einschließlich, aber nicht beschränkt auf sicherheitsrelevante Komponenten;
(3) Aufzeichnungen zur durchgeführten Instandhaltung;
(4) Ergebnisse von Untersuchungen über die Auswertung von Erfahrungen;
(5) alle aufeinander folgenden Fassungen der Instandhaltungsakte einschließlich der Risikobewertung
(6) Berichte zur Kompetenz und Beaufsichtigung der Instandhaltungserbringung und des Fuhrpark-Instandhaltungsmanagements
(7) technische Informationen, die zur Unterstützung der Halter, Eisenbahnunter- nehmen und Infrastrukturbetreiber bereitzustellen sind.
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Die Klägerin beantragt:
Widerklageabweisung.
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Die Beklagte trägt vor, die Klägerin verkenne die Systematik der Haftungsregelungen in Art. 22 AVV und die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Art. 22.4 AVV i.V.m. Anlage 12 zum AVV gehe als speziellere Norm dem von der Klägerin herangezogenen Art. 22.1 AVV vor. Dementsprechend sei zunächst von der Klägerin darzulegen und zu beweisen, ob die von ihr behaupteten Schäden nach Anlage 12 zum AVV dem Halter oder aber dem EVU zugeordnet sind und – im letzteren Falle – über Art. 22.1 AVV abgewickelt werden könnten. Die Beklagte sei für die Flachstellen an den Radsätzen der klägerischen Güter- wagen nicht verantwortlich; deren Ursache liege vielmehr darin, dass die Klägerin ihre Güterwagen auf sog. „Flüsterbremssohlen“ (LL-Sohlen) umgerüstet habe, ohne die übrigen Bremsbauteile an diese Umrüstung und die an den Wagen angeschriebenen Bremskräfte anzupassen. Der mit der Widerklage geltend gemachte Auskunftsanspruch ergebe sich aus Art. 7.2 AVV.
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Die Klägerin meint, die Auskunftswiderklage sei mangels Vorliegens des erforderlichen Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig. Die verlangten Auskünfte stünden zudem in keinerlei Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Schadensverursachung. Der Auskunftsanspruch aus Art. 7.2 AVV beziehe sich zudem auf die Phase der Wagenübernahme durch das EVU und setze voraus, dass dieses dem Halter gegenüber berechtigte Zweifel an der Verkehrssicherheit äußere.
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Die Kammer hat am 07.10.2021 und am 03.07.2025 mündlich verhandelt. Nach erfolgtem Hin- weis zur Beweislastverteilung vom 04.07.2022 (Bl. 248/249 d.A.) hat die Kammer mit Beweisbeschlusses vom 08.08.2022 (Bl. 257/260 d.A., berichtigt durch Beschluss vom 18.08.2022, Bl. 260a/260c d.A.), ergänzt durch Beschluss vom 05.10.2022 (Bl. 283/285 d.A.), die Erholung eines Sachverständigengutachtens durch den Sachverständigen Dr. ... angeordnet, welches am 29.09.2023 vorgelegt wurde (Bl. 323/333 d.A.). Mit weiterem Beweisbeschluss vom 24.11.2023 (Bl. 366/368 d.A.) wurde der Sachverständige mit der Anfertigung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens beauftragt, welches am 26.04.2024 bei Gericht einging (Bl. 384 d.A.). Für die Einzelheiten und zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Sitzungsniederschriften (Bl. 196/198 d.A. und Bl. 478/481 d.A.)., die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet. Die Widerklage ist zulässig, aber unbegründet.
I.  Klage
1. Zulässigkeit der Klage
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Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Traunstein gemäß §§ 71 Abs. 1, 23 ZPO sachlich und gemäß §§ 12, 17 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig.
2. Begründetheit der Klage
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Die Klage ist auch begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Schadensersatzansprüche zu. Über den hilfsweise geltend gemachten Auskunftsanspruch war mangels Bedingungseintritts nicht zu entscheiden.
2.1 Anspruch dem Grunde nach
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Zur Systematik der im AVV enthaltenen Haftungsregelungen wird zunächst auf die Ausführungen im Hinweis der Kammer vom 04.07.2022 (Bl. 248/249 d.A.) Bezug genommen.
21
Der Klägerin stehen die geltend gemachten Schadensersatzansprüche dem Grunde nach zu, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer feststeht, dass die streitgegenständlichen Schäden gemäß Art. 22.4 AVV i.V.m. Anlage 12 zum AVV der Sphäre der Beklagten zuzuordnen sind und es dieser nicht gelungen ist, sich gemäß Art. 22. 1, 22.2 AVV zu entlasten.
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2.1.1 Die Kammer stützt ihre Überzeugung dabei auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. ... in dessen Gutachten vom 29.09.2023, denen zufolge die Bremseinrichtungen an den Wagen der Klägerin zum Schadenszeitpunkt i.S.d. Anlage 12 zum AVV „in Ordnung“ waren mit der Folge, dass die in den Schadensprotokollen der Beklagten bezeichneten Flachstellen an den Radsätzen der klägerischen Wagen dem EVU, mithin der Beklagten, zuzuordnen sind.
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2.1.1.1 Der Sachverständige führt in seinem Gutachten aus, dass eine schadhafte Bremsanlage zwar im Einzelfall als Schadensursache grundsätzlich in Betracht kommen könne. Im vorliegenden Fall sei dies in Anbetracht der Vielzahl der betroffenen Fahrzeuge jedoch auszuschließen. Der klägerischen Behauptung, wonach die Bremseinrichtungen zum Schadenszeitpunkt i.S.d. Anlage 12 zum AVV in Ordnung gewesen seien, der Umbau der Bremsen bzw. die Abrüstung der Wagen sachgerecht erfolgt sei und die Bremsen sowohl im leeren, als auch im beladenen Zustand fehlerfrei funktionierten, sei daher zuzustimmen. Der Einwand der Beklagtenpartei, die von der Klägerin vorgelegten Bremsprotokolle seien nicht (ausreichend) aussagekräftig, treffe demgegenüber nicht zu. Die Protokolle entsprächen den einschlägigen VPI- oder UIC-Richtlinien und seien von zertifizierten Werkstätten ausgestellt worden. Auch deuteten die in den Protokollen festgehaltenen Zahlenwerte für Tast- und Bremszylinderdrücke sowie für die Bremsaufbau- und Bremslösezeiten auf eine fachmännische Durchführung hin. Auch beeinträchtige der Umstand, dass zwischen der Schadensfeststellung und der Bremsprüfung teilweise ein Zeitraum von mehreren Wochen lag, die Aussagekraft der Protokolle nicht. Wartungsrückstände führten in der Praxis regel- mäßig zu kleineren Wirkungsgraden im Bremsgestänge und somit zu geringeren Bremskräften, wodurch auch das Risiko des Auftretens von Flachstellen minimiert werde. Dem klägerischen Vortrag betreffend die am Wagen angeschriebene Bremskraft könne vom Sachverständigen gefolgt werden. Entgegen der Behauptung der Beklagten habe die von der Klägerin vorgenommene Umrüstung auf LL-Sohlen zudem ohne weitere technische Maßnahmen am Wagen erfolgen dürfen. Unzutreffend sei auch die Behauptung der Beklagten, wonach die Radlaufflächen durch LL-Sohlen stärker erhitzten und es dadurch vermehrt zu Schäden in Form von Flachstellen und Abbröckelungen käme. Die Erhitzung von Rädern sei eine natürliche Folge des Bremsprozesses und stehe in keinem Zusammenhang mit der beobachteten Flachstellenproblematik. Auch die übrigen von der Beklagten im Zusammenhang mit der LL-Sohlen-Umrüstung aufgestellten Behauptungen seien nicht nachvollziehbar und entbehrten einer technischen Grundlage.
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2.1.1.2 Die Auffassung der Beklagtenpartei, wonach das Gutachten des Sachverständigen vom 29.09.2023 nicht nachvollziehbar und unvollständig und aus diesem Grunde unzureichend und mangelhaft sei, teilt die Kammer nicht. Die von der Beklagten erhobenen Bedenken bzw. Einwände, die sich insbesondere auf fehlende Fundstellen bzw. Quellenangaben bezogen, konnten aus hiesiger Sicht im Rahmen des am 26.04.2024 vorgelegten Ergänzungsgutachtens, in welchem der Sachverständige zu dem im Schriftsatz vom 14.11.2023 (Bl. 324/361 d.A.) enthaltenen Fragenkatalog der Beklagten ausführlich Stellung nimmt, nachträglich ausgeräumt werden. Auch an der fachlichen Eignung des Sachverständigen hat die Kammer keine Zweifel. Dessen Einschätzung, wonach die Bremseinrichtung der klägerischen Wagen zum Schadenszeitpunkt i.S.d. Anlage 12 zum AVV „in Ordnung“ war, deckt sich im Übrigen auch mit dem Ergebnis, zu dem der Sachverständige ... in seinem als Anlage K92 vorgelegten Gutachten vom 20.03.2024, das im von der Klägerin gegen die Streitverkündete geführten Verfahren 31 O 19/29 am Landgericht Stendal erholt wurde, gelangt ist.
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2.1.2 Einen Entlastungsbeweis gemäß Art. 22.1 AVV hat die Beklagte nicht geführt, insbesondere sind die von ihr als Anlagen B 16 und B 18 vorgelegten Stellungnahmen des Dipl.-Ing. Prof. Dr. ... vom 10.09.2025 bzw. vom 23.09.2025, die sich auf den als Anlage B 15 vorgelegten Abschlussbericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle über die Entgleisung eines Güterzuges im Gotthard-Basistunnel vom 10.08.2023 in Faido beziehen, nicht dazu geeignet, ein fehlendes Verschulden der Beklagten nachzuweisen. Der Verfasser führt darin zwar aus, dass nach seiner Einschätzung „von Dr. ... der Einfluss der Temperatur nicht ausreichend berücksichtigt“ worden sei (Anlage B 16 a.E.) bzw. dass es bei der Verwendung von LL-Sohlen zu „Hot Spots“ kommen könne und deren Entstehen „das Auftreten von Ausbröckelungen und in weiterer Folge von Flachstellen begünstigt“. Ein Beweis dafür, dass der Schaden nicht durch das Verschulden der Beklagten verursacht worden ist, wird dadurch aber nicht erbracht.
2.2 Anspruch der Höhe nach
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Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche sind auch der Höhe nach gerechtfertigt. Ausgangspunkt hierfür bildet Art. 23. 2 AAV i.V.m. Anlagen 5 und 6 zum AVV.
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Soweit der Beklagten in den vorgelegten Rechnungen konkrete Aufarbeitungskosten für die in den jeweils beigefügten Schadensprotokollen beschriebenen Beschädigungen in Rechnung gestellt werden, so lässt sich deren Zusammensetzung jeweils aus den ebenfalls beigefügten weiteren Unterlagen, namentlich aus den an die Klägerin gerichteten Rechnungen der Schienenfahrzeugbau ...GmbH, ersehen. Dass diese Rechnungen ihrerseits durch die Klägerin beglichen wurden, ergibt sich aus den den Rechnungen der Klägerin ebenfalls jeweils als Anlage bei- gegebenen Überweisungsprotokollen sowie ferner aus den auf den meisten der Rechnungen enthaltenen Buchungsvermerken.
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Soweit die Klägerin der Beklagten in den vorgelegten Rechnungen pro beschädigtem Radsatz daneben Reprofilierungskosten in Höhe von 350,00 € in Rechnung stellt, so handelt es sich hier- bei jeweils um den unter Ziffer II. der Anlage 6 zum AVV geregelten Pauschalbetrag.
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Durch die Beifügung der sich jeweils aus Schadensprotokoll, Bremsprotokoll, Radsatzerfassungsblatt, Rechnung der Schienenfahrzeugbau ... GmbH sowie Überweisungsprotokoll bestehenden Anlagen zu jeder der von ihr ausgestellten Rechnungen ist die Klägerin schließlich auch der sich aus Anlagen 5 und 6 zum AVV ergebenden Nachweis- bzw. Belegpflicht nach- gekommen. Jedenfalls in der Zusammenschau mit den in der Klageschrift und im Schriftsatz vom 07.01.2021 (Bl. 97/11 d.A.) enthaltenen erläuternden Ausführungen zur Zusammensetzung der Schadensbeträge unter Bezugnahme auf die vorgenannten Unterlagen hat die Klägerin – anders als die Beklagte meint – auch ihrer Substantiierungspflicht in hinreichendem Maße Genüge getan.
2.3 Nebenforderungen
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Die Zinsansprüche ergeben sich aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB.
II.  Widerklage
1. Zulässigkeit der Widerklage
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Die Widerklage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Traunstein auch für diese sachlich und örtlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich dabei aus § 33 Abs. 1 ZPO, die sachliche Zuständigkeit ist nach allgemeiner Meinung unabhängig vom Wert der Widerklage bereits dann gegeben, wenn die Klage zuständigkeitshalber beim Landgericht anhängig ist (vgl. OLG München, Beschl. v. 10.6.2008 – 31 AR 53/08, BeckRS 2008, 42093 Rn. 5).
2. Begründetheit der Widerklage
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Die Widerklage ist jedoch unbegründet, weil der Beklagten der geltend gemachten Auskunftsanspruch gegen die Klägerin aus Art. 7.2 AVV nicht zusteht. Die Kammer teilt insoweit die Auffassung der Klagepartei, wonach der vorgenannte Anspruch nur in der Phase der Übernahme der Wagen durch das EVU besteht und zudem voraussetzt, dass dieses nach der von ihm durchzuführenden Kontrolle dem Halter gegenüber Zweifel an der Verkehrssicherheit äußert. Dies folgt zum einen bereits aus dem Wortlaut der Regelung („Informationen, (…) die für den sicheren Be- trieb notwendig (…) sind“), zum anderen aus einem Umkehrschluss aus Art. 7.3 AVV, der auf Anlage 9 zum AVV verweist, in der die Untersuchungspflichten des EVU bei Übernahme von Wagen zur Beförderung geregelt sind, sowie aus einer Zusammenschau mit Art. 11 AVV, demzufolge das EVU Wagen dann zurückweisen und ihre Beförderung ablehnen kann, wenn „der Zustand des Wagens nicht den technischen und Instandhaltungsvorschriften sowie den geltenden Verladerichtlinien entspricht“ oder „andere substantielle Gründe den sicheren Betrieb der Wagen gefährden können“, wobei „diese Gründe dem Halter mitzuteilen sind“ (vgl. Wilting/Langenkamp, Der AVV in der anwaltlichen und gerichtlichen Praxis, RdTW 2021, 82, 88 f.). Nachdem die Be- klagte nach der Übernahme der Wagen der Klägerin unstreitig keine substantiellen, den sicheren Betrieb gefährdenden Gründe mitgeteilt hat, kann sie ihr Auskunftsbegehren nach dem Gesagten nicht auf Art. 7.2 AAV stützen. Weitere Anspruchsgrundlagen sind weder vorgetragen, noch er- sichtlich.
III.  Nebenentscheidungen
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung erfolgte gemäß §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO und § 45 Abs. 1 S. 1 GKG, wobei auf die Klage 86.142,00 € und auf die Widerklage 4.230,00 € entfallen.