Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 20.11.2025 – 206 StRR 374/25
Titel:

Verfahrenshindernisse im Verfahren nach § 346 Abs. 2 StPO und Voraussetzungen eines wirksamen Strafantrages

Normenketten:
StPO§ 158 Abs. 2, § 260 Abs. 3, § 346 Abs. 2
StGB § 194 Abs. 1
Leitsätze:
1. Verfahrenshindernisse sind im Fall einer fristgerecht eingelegten Revision auch im Verfahren gemäß § 346 Abs. 2 StPO zu beachten und führen im Falle ihres Vorliegens zu einer Verfahrenseinstellung durch das Revisionsgericht. (Rn. 8) (red. LS Alexander Kalomiris)
2. § 158 Abs. 2 StPO in der seit dem 17. Juli 2024 geltenden Fassung verlangt keine bestimmte Form des Strafantrages mehr, so dass Zweifel am Erklärungswillen des Antragstellers auch durch eine telefonische Nachfrage der polizeilichen Sachbearbeiterin geklärt werden können, sofern damit die Identität des Antragstellers und sein Verfolgungswille feststehen. (Rn. 9 – 10) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Verfahrenshindernis, Verfahrenseinstellung, Entscheidung des Revisionsgerichts, Strafantrag, Form des Strafantrags, Formerfordernisse, Telefonische Nachfrage, Verfolgungswille
Vorinstanzen:
LG Ingolstadt, Beschluss vom 05.07.2025 – 1 4 NBs 38 Js 20705/24
LG Ingolstadt, Beschluss vom 25.07.2025 – 1 4 NBs 38 Js 20705/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 31535

Tenor

1. Der Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichtes gegen den Beschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 5. Juli 2025 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Hilfsantrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Revisionsbegründungsfrist wird als unzulässig verworfen.

Gründe

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1. Der Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichtes nach § 346 Abs. 2 S. 1 StPO ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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a) Der Antrag ist zulässig.
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Das Landgericht hat mit Beschluss vom 5. Juli 2025 die Revision des Angeklagten gegen das Urteil vom 22. Mai 2025 gem. § 346 Abs. 1 StPO verworfen, weil die Revision nicht in der gem. § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Form begründet wurde. Der Beschluss wurde dem Angeklagten am 11. Juli 2025 zugestellt; sein Antrag ging am 16. Juli 2025, mithin binnen der Wochenfrist des § 346 Abs. 2 S. 1 StPO beim Landgericht ein.
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b) Der Antrag ist jedoch unbegründet.
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aa) Das Landgericht hat die am 27. Mai 2025 fristgerecht mit eigenem Schriftsatz eingelegte Revision des Angeklagten gegen das Urteil vom 22. Mai 2025 rechtsfehlerfrei gemäß § 346 Abs. 1 StPO verworfen, weil die Revisionsanträge nicht in der Form des § 345 Abs. 2 StPO (durch Schriftsatz des Verteidigers, eines Rechtsanwaltes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle) angebracht wurden. Die Revisionsbegründungsfrist begann (wie im angefochtenen Beschluss zutreffend dargelegt) mit der Zustellung des Urteils an den Angeklagten am 4. Juni 2025 und endete am 4. Juli 2025. Die vom Angeklagten selbst verfasste und unterzeichnete Revisionseinlegungs- und Revisionsbegründungsschrift, eingegangen am 3. Juli 2025, entsprach nicht der Form des § 345 Abs. 2 StPO; eine weitere (formgerechte) Revisionsbegründung ist nicht eingegangen. Soweit der Angeklagte beantragt, ihn vom Formerfordernis des § 345 Abs. 2 StPO auszunehmen, da es ihm nicht gelungen sei, einen Rechtsanwalt zu finden, der die Revision begründen könne, und da er selbst dazu in der Lage sei, kann dem nach dem unzweideutig entgegenstehenden Wortlaut des Gesetzes nicht gefolgt werden.
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Verfassungsrechtliche Bedenken stehen der Wirksamkeit dieses Formerfordernisses nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht entgegen, da damit die Revisionsgerichte vor einer Überlastung durch unsachgemäßes Vorbringen Rechtsunkundiger bewahrt werden sollen; zugleich soll damit vermieden werden, dass Rechtsmittel rechtsunkundiger Angeklagter schon von vornherein an Formfehlern oder sonstigen Mängeln scheitern (ständige Rechtsprechung, z.B. BVerfG, B. v. 11. November 2001, 2 BvR 1471/01, BeckRS 2001, 23284, Rn. 11/12 m. w. N.)
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Auch aus Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK ergibt sich keine Berechtigung, das Rechtsmittel selbst zu begründen, weil die Frage, in welchem Umfang eigene Verteidigungsrechte gewährt werden, in den Spielraum der Konventionsstaaten fällt (vgl. Lohse/Jakobs in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl., Art. 6 MRK Rdn. 90 m. w. N.) und der deutsche Gesetzgeber hiervon in § 345 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht hat.
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bb) Ein Verfahrenshindernis, welches auch im Verfahren gem. § 346 StPO vom Revisionsgericht zu beachten wäre, und welches – läge es vor – zur Verfahrenseinstellung führen würde (BGH, B. v. 9. November 1960, 4 StR 407/60, juris; BGH, B. v. 27. Oktober 1970, 5 StR 347/70, juris, Rn. 10), ist vorliegend nicht ersichtlich. Ein wirksamer Strafantrag gem. § 194 Abs. 1 S. 1 StGB liegt vielmehr vor.
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Der vom Angeklagten am 2. Oktober 2024 als „hirnloses Arschloch“ beleidigte Bundestagsabgeordnete hat am 10. Oktober 2024 eine „Erklärung zum Strafantrag“ unterzeichnet, welche am 11. Oktober 2024 bei der Polizei einging. Zwar hat der Geschädigte es auf dem Formblatt unterlassen, das dafür vorgesehene Feld „Strafantrag“ / „Strafantrags-Verzicht“ / „Strafantrags-Vorbehalt“ zu markieren; der daher bestehende Zweifel an seinem Erklärungswillen wurde jedoch durch eine telefonische Nachfrage der polizeilichen Sachbearbeiterin am 16. Oktober 2024 dahingehend geklärt, dass der Geschädigte Strafantrag stellen wollte.
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Da § 158 Abs. 2 StPO in der seit dem 17. Juli 2024 geltenden Fassung keine bestimmte Form eines Strafantrages mehr verlangt und sowohl die Identität des Antragstellers als auch sein Verfolgungswille durch das vorstehend beschriebene Procedere geklärt sind, besteht kein Zweifel an der wirksamen Strafantragstellung.
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2. Der mit Schriftsatz des Angeklagten vom 12. November 2025, eingegangen beim Bayerischen Obersten Landesgericht am 13. November 2025, hilfsweise gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand „gegen die Versäumung der formwirksamen Revisionsbegründung“ ist unzulässig.
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a) Der Angeklagte hat bereits nicht glaubhaft gemacht, an einer formgerechten Begründung seiner Revision gehindert gewesen zu sein, § 45 Abs. 2 S. 1 StPO.
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aa) Soweit er vorträgt, „alle von ihm kontaktierten Rechtsanwälte“ hätten es „sonderbarerweise“ abgelehnt, die Revision zu begründen, macht er dies lediglich mit einer rechtsanwaltlichen Kostenrechnung vom 2. Juni 2025 über eine stattgehabte „Beratung wegen Revisionseinlegung“ und eine ablehnende rechtsanwaltliche E-Mail vom 30. Juni 2025 glaubhaft. Weitere Versuche, von allein im Oberlandesgerichtsbezirk München zugelassenen über 22.000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten eine oder einen mit der Revisionsbegründung zu beauftragen, trägt der Angeklagte selbst nicht vor. Da er überdies in einem „Nachtrag“ zu seiner Revisionsbegründung selbst vorträgt, er habe sich erst „kurz vor Abgabefrist“ entschlossen, die Revision zu begründen, kann von einer Glaubhaftmachung eines sein Verschulden ausschließenden Hindernisses nicht die Rede sein.
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bb) Hinzu kommt, dass der Angeklagte, ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 22. Mai 2025 über das Rechtsmittel der Revision mündlich und schriftlich belehrt wurde, mithin von der Möglichkeit einer Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle wusste. Soweit er (wiederum ohne Glaubhaftmachung) vorträgt, er sei auf diese Möglichkeit von sämtlichen kontaktierten (welchen?) Rechtsanwälten nicht hingewiesen worden, sagt dies über seine persönliche Unkenntnis von der Begründungsmöglichkeit zu Protokoll nichts aus, zumal er bereits seinen Einspruch gegen den Strafbefehl und seine Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil zu Protokoll der jeweiligen Geschäftsstelle (wirksam) eingelegt hatte.
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b) Aus vorgenannten Gründen, ist der Wiedereinsetzungsantrag überdies unbegründet. Hinzu kommt, dass die versäumte formgerechte Revisionsbegründung nach wie vor nicht nachgeholt wurde und es an jeglicher Mitteilung des Angeklagten über den Fortbestand oder den Wegfall des Hindernisses fehlt (§ 45 Abs. 2 S. 2 StPO).
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3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 346 Rn. 12).