Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 12.02.2025 – AN 11 K 24.1073
Titel:

Ausweisung eines Straftäters (Betäubungsmitteldelikte), Drogentherapie, Erstverbüßer, faktischer Inländer, Beschäftigungserlaubnis, Atypik

Normenketten:
AufenthG § 53
AufenthG § 60a Abs. 5b
Schlagworte:
Ausweisung eines Straftäters (Betäubungsmitteldelikte), Drogentherapie, Erstverbüßer, faktischer Inländer, Beschäftigungserlaubnis, Atypik
Fundstelle:
BeckRS 2025, 3145

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet und begehrt die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis.
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Der Kläger ist eigenen Angaben zufolge am … 2000 in …, Jordanien, geboren und am 30. Juli 2001 auf dem Luftweg zusammen mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder aus Jordanien in das Bundesgebiet eingereist. Die Familie des Klägers stellte einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 4. Juni 2002 lehnte das Bundesamt die Anerkennung des Antragstellers als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes hinsichtlich des Iraks vorliegen. Mit Bescheid vom 12. August 2005 widerrief das Bundesamt diese Rechtsstellung und stellte fest, dass beim Antragsteller die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG nicht vorliegen. Mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 21. April 2006 (AN 4 K 05.31162) wurde das Bundesamt verpflichtet festzustellen, dass beim Antragsteller Abschiebungshindernisse im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks vorliegen. Mit Beschluss vom 24. Mai 2006 wurde der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil abgelehnt (23 ZB 06.20535). Das daraufhin mit Bescheid vom 8. Juni 2006 festgestellte Abschiebungsverbot widerrief das Bundesamt mit Bescheid vom 13. April 2021 und stellte zugleich fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vorliegt. Mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 31. Juli 2024 (AN 2 K 21.30379) wies das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach die dagegen erhobene Klage ab.
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Ausweislich der Ausführungen in den Strafurteilen wuchs der Kläger bei seinen Eltern und den fünf Geschwistern in … auf. Die Eltern trennten sich, als er etwa 13 oder 14 Jahre alt war, blieben jedoch beide in … wohnen, sodass die Geschwister in verschiedenen Konstellationen bei den Eltern lebten. Im Sommer 2020 schloss der Antragsteller die Wirtschaftsschule in … mit dem Realschulabschluss ab. Die zugesagte Lehrstelle in einem Hotel konnte der Antragsteller aufgrund der Coronapandemie nicht antreten, um weitere Ausbildungsplätze bemühte er sich nicht. Seit Herbst 2020 finanzierte er seinen Lebensunterhalt überwiegend mit den Einnahmen aus Drogengeschäften, einer geregelten Beschäftigung ging er nicht nach. Seit seinem 15. Lebensjahr konsumierte der Antragsteller Cannabisprodukte, vor seiner Inhaftierung mindestens 5g täglich. Daneben nahm er auch vier bis fünf Mal Metamphetamin, Codein und ca. drei Mal Tilidin ein.
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Der Kläger, für den bislang keine Identitätsdokumente vorliegen, erhielt am 31. Oktober 2007 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG, die zuletzt bis 12. Mai 2021 verlängert wurde. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2023 nahm er den Verlängerungsantrag vom 20. Juni 2022 zurück. Der Kläger erhielt eine von 13. Dezember 2023 bis 12. Juni 2024 gültige Duldungsbescheinigung.
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Der Kläger ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
1. Amtsgericht …, 4.11.2015, gemeinschaftlicher Diebstahl mit Waffen in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz in Tateinheit mit Führen einer verbotenen Waffe, Freizeitjugendarrest, Auflage: 30 Stunden gemeinnützige Arbeit;
2. Amtsgericht …, 23.1.2019, Hehlerei in Tatmehrheit mit Unterschlagung, zwei Wochen Jugendarrest, Auflage: 60 Stunden gemeinnützige Arbeit;
3. Amtsgericht …, 12.10.2020, unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln und vorsätzlicher Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen, Erbringung von Arbeitsleistungen, richterliche Weisung/Auflage: 40 Stunden gemeinnützige Arbeit und fünf Beratungsgespräche bei der Kompetenzagentur GGFA, Jugendarrest wegen Zuwiderhandlung gegen Auflagen: eine Woche;
4. Landgericht …, 9.12.2021, unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten, Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt;
5. Amtsgericht …, 11.1.2023, unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, davon in sechs Fällen in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln, und unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit vorsätzlichem unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln in zwei tateinheitlichen Fällen, unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts … vom 9.12.2021: Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monate, Aufrechterhalten der angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.
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Der Entscheidung des Landgerichts … vom 9. Dezember 2021 lag im Wesentlichen zugrunde, dass der Kläger jedenfalls im Zeitraum von Januar 2021 bis zu seiner Festnahme am 20. März 2021 einen schwunghaften Handel mit Cannabisprodukten im Stadtgebiet … betrieb. So bewahrte er am 14. Januar 2021 in der Wohnung seiner Mutter ( …) mindestens 17 kg Marihuana zum Zweck des gewinnbringenden Weiterverkaufs auf. Er verkaufte dieses Marihuana zu einem Kilogrammpreis von mindestens 3.000 EUR. Am 20. März 2021 führte der Kläger in einem Pkw in … insgesamt 7,928 kg Marihuana bei sich, um es weiterzuverkaufen. Vor dem 21. Januar 2021 bestellte der Kläger insgesamt 126 g Marihuana und 110,10 g Haschisch an seine gemeldete Wohnanschrift in der … in … (Anmerkung: Wohnanschrift des Vaters). Vor dem 12. Februar 2021 bestellte der Kläger 974,30 g Haschisch an seine damalige Adresse, … in …, wobei als Empfänger der Name der Mutter angegeben war.
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Der Entscheidung des Amtsgerichts … vom 11. Januar 2023 lag im Wesentlichen zugrunde, dass der Kläger im Zeitraum vom 24. November 2020 bis zu seiner Festnahme am 20. März 2021 einen schwunghaften Handel mit Cannabis im zweistelligen Kilogrammbereich sowie mit Kokain im Stadtgebiet … und Umgebung betrieb. Am 10. Dezember 2020 kaufte der Kläger in … 1 kg Haschisch, bestehend aus 25 g-Platten, für insgesamt 5.200 EUR, und 1 kg Haschisch für 4.600 EUR und bezahlte bar. Am 22. Dezember 2020 bestellte der Kläger bei einem Chatpartner 1 kg Marihuana und 1 kg Haschisch zu einem Gesamtpreis von 10.340 EUR. Die Bezahlung erfolgte via Bitcoin. Zwischen dem 6. und 15. Januar 2021 kaufte der Kläger mindestens 2,15 kg Marihuana an. Nach dem 3. Februar 2021 kaufte und übernahm der Kläger von einem Chatpartner aus … 7 kg Marihuana zu einem Gesamtpreis von 36.000 EUR. Am 22. Dezember 2021 versandte dieser Chatpartner entsprechend der Bestellung des Klägers 5 kg Cannabis, wobei ein Teil an den Vater in der …, ein anderer Teil an die Mutter des Klägers in der … adressiert war. Am 23. Februar 2021 bestellte der Kläger 5 kg Marihuana und 10 kg Haschisch bei einem Chatpartner aus …, die per Post zugestellt wurden. Am 25. Februar 2021 bestellte der Kläger 10 kg Haschisch und 13 kg Marihuana bei einem Chatpartner aus … Ein Teil der Betäubungsmittel versandte der Chatpartner an die Adresse der Mutter, den anderen Teil an die Adresse des Vaters. Am 1. März 2021 bestellte der Kläger bei einem Chatpartner aus … 500 g Kokain zu einem Grammpreis von 35,50 EUR, das per Post verschickt wurde. Der Kläger verkaufte die erhaltenen Betäubungsmittel jeweils abzüglich eines Eigenkonsumanteils von 1 bzw. 0,5% gewinnbringend weiter. Am 5. März 2021 verkaufte und übergab der Kläger an einer seiner Wohnanschriften in … an einen Chatpartner 10 kg Marihuana.
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Das Amtsgericht … schloss sich in seinem Urteil vom 11. Januar 2023 den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen zur Aufrechterhaltung der Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB an. Beim Kläger liege eine tief verwurzelte innere Disposition vor, berauschende Substanzen im Übermaß zu konsumieren. Er leide an einer manifesten Abhängigkeit von Cannabisprodukten. Auch hinsichtlich Methamphetamin sei ein missbräuchlicher Konsum anzunehmen. Sein Alltag sei bis zu seiner ersten Inhaftierung am 20. März 2021 auf den Suchtmittelkonsum ausgerichtet gewesen, wobei er dadurch sowohl seine familiären Verpflichtungen als auch seine Partnerin vernachlässigte und keinerlei berufliche Perspektiven mehr entwickeln wollte. Es bestehe immer noch eine erhöhte Gefahr, dass er infolge seines Hanges auch zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die bisher erfolgte Therapie von fünf Monaten in der Entziehungsanstalt sei bei einer zu erwartenden Therapiedauer von 18 Monaten noch deutlich zu kurz, um einen erkennbaren Behandlungserfolg feststellen zu können. In der Hauptverhandlung habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass er einen starken Willen dahingehend hat, seine Drogenabhängigkeit behandeln zu lassen. Bei den Taten handele es sich nicht um bloße Gelegenheitstaten, sondern um einen mit einer gewissen Raffinesse und hohem Aufwand durchgeführten Aufbau eines hochkriminellen Netzwerks zum Betreiben eines Rauschgifthandels. Zur Aufrechterhaltung des bisherigen Lebensstils seien weiterhin, bei einer fehlenden Behandlung, massive Straftaten zu befürchten. Bei einer Wohnungsdurchsuchung seien unter dem Bett des Klägers eine Rolex-Uhr und ein Barbetrag von über 80.000 EUR gefunden worden, woraus der Schluss zu ziehen sei, dass der Kläger einen weit über seine Einkommensverhältnisse liegenden Lebensstil zu finanzieren pflegte. Zudem sei mindestens einmal im Laufe des Rauschgifthandels einem Boten ein Barbetrag von 90.000 EUR an den übergeordneten Dealer übergeben worden. Zugunsten des Klägers sei insbesondere sein von deutlicher Reue und Schuldeinsicht getragenes Geständnis zu werten. Zudem handele es sich bei Marihuana um eine weiche und damit weniger gefährliche Droge, die der stark betäubungsmittelabhängige Kläger auch zur Finanzierung seines Eigenkonsums in Umlauf gebracht habe. Zulasten des Klägers wurden die mehreren, und auch einschlägigen, Eintragungen im Bundeszentralregister gewertet. Ebenso wurde berücksichtigt, dass der Kläger in knapp vier Monaten erhebliche Mengen an Rauschmittel in den öffentlichen Verkehr brachte.
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Der Kläger wurde zunächst am 9. März 2022 – nach der Verurteilung vom 9. Dezember 2021 – in einem Bezirkskrankenhaus (zunächst …, später …) aufgenommen. Nach zwischenzeitlicher Untersuchungshaft, beginnend am 11. August 2022, und der Verurteilung vom 11. Januar 2023 wurde der Kläger nach einem Vorwegvollzug von etwa zehn Monaten am 7. Juni 2023 wieder im Bezirkskrankenhaus … aufgenommen.
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Mit Formblatt vom 27. Dezember 2023 beantragte der Kläger eine Zustimmung zur Aufnahme einer unbefristeten Beschäftigung bei der … in …Umgebung ab 15. Januar 2024 im Bereich des Accounting Managements, Vertrieb, Kundenakquise, Kundenbetreuung, Buchhaltung. Nach der ergänzenden E-Mail des Bezirkskrankenhauses … solle der Kläger im Rahmen seines Therapieprogramms eine Arbeit außerhalb der Klinik aufnehmen, um eine konstante Tagesstruktur aufzubauen. Dies sei für eine erfolgreiche Resozialisierung sehr wichtig.
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Nach dem Zwischenbericht des Bezirkskrankenhauses … vom 20. Februar 2024 liegt beim Kläger eine Cannabisabhängigkeit vor. Im Verlauf seines Aufenthalts habe der Kläger seine Abstinenz lückenlos nachweisen können. Es sei ihm jeweils eine rasche Integration in die Patientengruppe gelungen. Im Kontakt mit dem Bezugsteam zeige er sich teils überangepasst, verfalle jedoch auch immer wieder in eine fordernde Haltung, unter anderem als Reaktion auf Wunschversagen. So versuche er auch immer wieder, bestehende Regeln zu diskutieren. Als zentrale Therapieziele habe er Abstinenz und Straffreiheit, schulische/berufliche Weiterentwicklung sowie einen adäquaten Umgang mit Geld genannt. Bei der Auseinandersetzung mit der Biografie habe der Kläger zwar erste Zusammenhänge herstellen können, ein schwankendes Problembewusstsein habe sich aber immer wieder verdeutlicht. Er habe sich überwiegend konstruktiv an der stationsinternen Rückfallvermeidungsgruppe beteiligt. Vereinzelt habe er die Inhalte jedoch wenig ernst genommen und ins Lächerliche gezogen. Am 20. Oktober 2023 habe sich der Kläger bei einem begleiteten Ausgang mehrmals von der Gruppe und aus dem Sichtfeld des Begleitpersonals entfernt. Auf Ansprache habe er sich diskutierfreudig gezeigt. Im Rahmen einer Nachbesprechung habe er sich einsichtig gezeigt und Absprachefähigkeit für weitere Lockerungen zugesichert. Bei der Erarbeitung von verschiedenen, auch destruktiv wirksamen Persönlichkeitsanteilen habe sich der Kläger hinreichend selbstreflektiert und motiviert gezeigt. Am 15. November 2023 sei beobachtet worden, dass sich Patienten ausgehend vom Kläger vermeintlich unbeobachtet etwas zusteckten. Eine Leibesvisitation und Zimmerkontrolle seien ohne Auffälligkeiten geblieben. Der Kläger habe angegeben, dass es sich um Süßigkeiten gehandelt habe, habe aber keine schlüssige Erklärung für die Bemühungen um Heimlichkeit vorgetragen. Am 23. November 2023 seien die Lockerungen der Stufe C2 (unbegleitete Ausgänge außerhalb des Stadtgebiets …) gewährt worden. Am gleichen Tag seien im Wertfach des Klägers 29 Vapes (Einweg-E-Zigarette mit nikotinhaltiger Flüssigkeit) festgestellt worden. Der Kläger habe dazu erklärt, dass er diese von einem Freund ausschließlich für den eigenen Gebrauch erhalten habe und diese bei Ausgänge nutze. Dieser Zweck und die Lagerung in der hohen Zahl blieben fraglich. Der Kläger habe zudem mehrmals seinen Wertfachschlüssel, wie er wusste, verbotenerweise an Mitpatienten gegeben. Der Verdacht auf einen Handel habe nicht erhärtet werden können. Es sei ihm gestattet worden, maximal fünf Vapes zu bevorraten. An vielen Stationsaktivitäten habe sich der Kläger beteiligt und an den komplementären Therapieeinheiten in der Gesamtschau überwiegend zuverlässig und motiviert teilgenommen. Er sei stets um eine positive Außenwirkung bemüht. Es seien gute Grundarbeitsfähigkeiten sowie eine sorgfältige und strukturierte Vorgehensweise erkennbar. Er habe erfolgreich an einem EDVKurs teilgenommen. Im Rahmen der C-Stufe habe er ein selbstständiges Vorgehen bei der Arbeitssuche gezeigt. Er habe einen Arbeitsvertrag erhalten, jedoch sei die beantragte Beschäftigungserlaubnis abgelehnt worden. Als Alternative habe der Kläger zum 15. Januar 2024 bei der Firma ein fünfwöchiges Praktikum begonnen. In seiner Freizeit habe der Kläger viel Zeit mit Familie und seiner Freundin verbracht. Er scheine bemüht, konsumorientierte Aktivitäten zu meiden. Zum zeitlichen Überbrücken und zum Sammeln praktischer Berufserfahrung plane der Kläger die Durchführung verschiedener Praktika. Mit Beginn im September 2024 habe er sich den Einstieg in die Fachoberschule vorgenommen. Am 15. Februar 2024 seien die Lockerungen um Wochenendübernachtungen erweitert worden (Stufe D1). Seit Therapiebeginn sei es zu keinem nachgewiesenen Rückfall in den Suchtmittelkonsum gekommen. Zum jetzigen Zeitpunkt beständen tatsächliche Anhaltspunkte für den Erfolg der Therapie. Um das Behandlungsziel zu erreichen, bedürfe es des Aufbaus eines tragfähigen sozialen Empfangsraums, dessen zentrale Säulen in einer entsprechenden Wohnform und einer sinnvollen Tagesstrukturierung mit Integration in die Arbeitswelt bestehen. Sollten aus ausländerrechtlichen Gründen keine externen Erprobungsmöglichkeiten geschaffen werden können, da etwa keine Arbeitserlaubnis erteilt wird, so werde mit den internen Therapiemöglichkeiten das Behandlungsziel unabhängig von der Mitarbeit absehbar nicht zu erreichen sein.
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Mit Bescheid vom 16. April 2024, dem Bevollmächtigten laut Empfangsbekenntnis am 22. April 2024 zugestellt, wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. 1), ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von sieben Jahren angeordnet (Ziff. 2), die Abschiebung aus der Haft heraus in jeden Staat, der zur Übernahme verpflichtet oder bereit ist – ausgenommen dem Irak – angeordnet; die Abschiebungsanordnung werde auch hinsichtlich des Iraks wirksam, sobald das Abschiebungsverbot rechtskräftig widerrufen worden ist (Ziff. 3), sollte die Abschiebung während Haft nicht möglich sein, wurde die Abschiebung unter Setzung einer Ausreisefrist von 30 Tagen nach der Entlassung in jeden Staat, der zur Übernahme verpflichtet oder bereit ist – ausgenommen dem Irak – angedroht, sobald das Abschiebungsverbot rechtskräftig widerrufen worden ist, werde auch die Abschiebung hinsichtlich des Iraks angedroht (Ziff. 4) und der Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit bei der … abgelehnt (Ziff. 5). Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass sich die Ausweisung auf § 53 Abs. 1 AufenthG stütze. Es würden zum einen generalpräventive Gründe vorliegen. Mit der generalpräventiven Ausweisung werde eine abschreckende Wirkung dahingehend erzielt, dass andere Ausländer von der Begehung gleichartiger Rechtsverstöße abgehalten werden. Für die Abwehr der mit den vom Betroffenen begangenen Straftaten verbundenen Beeinträchtigungen von Belangen der Bundesrepublik bestehe ein überragendes öffentliches Interesse. Es solle anderen Ausländern deutlich vor Augen geführt werden, dass ein Verhalten, wie vom Kläger gezeigt, nicht hingenommen wird und zur Aufenthaltsbeendigung führt. Die Ausweisung stütze sich zum anderen auf spezialpräventive Gründe und verfolge damit die Verhinderung neuer Straftaten und Verstöße gegen die Rechtsordnung im Bundesgebiet durch den Kläger. In Hinblick auf sein bisher gezeigtes Verhalten und seine Persönlichkeit bestehe eine konkrete und begründete Wiederholungsgefahr. Die Gefahren, welche vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, seien schwerwiegend und berührten ein Grundinteresse der Gesellschaft. Der Alltag des Klägers sei vor der Unterbringung in der Entziehungsanstalt einerseits auf den eigenen Suchtmittelkonsum andererseits auf den gewinnbringenden Weiterverkauf von Betäubungsmitteln ausgerichtet gewesen. Die Abhängigkeit von Cannabis sei Auslöser und Anlass für die von ihm begangenen Straftaten gewesen. Nach der Verurteilung vom 11. Januar 2023 habe sich der Kläger ca. fünf Monate im Vorwegvollzug in der JVA … befunden, ehe er am 7. Juni 2023 ins Therapieprogramm im Bezirkskrankenhaus … aufgenommen worden sei – zuvor sei er lediglich aufgrund der vorangegangenen Verurteilung für ca. fünf Monate (vom 9.3.2022 bis 11.8.2022) untergebracht gewesen. Mit einem Abschluss der Entwöhnungstherapie sei laut dem im Strafverfahren eingeholten Sachverständigengutachten nicht vor Dezember 2024 zu rechnen. Mithin sei die Therapie derzeit nicht abgeschlossen. Es sei davon auszugehen, dass die innere Disposition, berauschende Substanzen im Übermaß zu konsumieren, weiterhin bestehe. Im Zwischenbericht des Bezirkskrankenhauses … vom 20. Februar 2024 werde dem Kläger eine gute Führung sowie ein lückenloser Nachweis seiner Abstinenz bescheinigt. Als Therapieziele habe der Kläger Abstinenz und Straffreiheit, schulische/berufliche Weiterentwicklung sowie einen adäquaten Umgang mit Geld benannt. So soll es ihm gelungen sein, Lockerungen bis hin zur Stufe D1 (unbegleitete Ausgänge außerhalb … und Wochenendübernachtungen) zu erreichen. Es sei jedoch festzustellen, dass ein guter Therapieverlauf allein nicht genüge, um künftig von einem drogen- und straffreien Verhalten des Betroffenen auszugehen, welches die Annahme einer Wiederholungsgefahr im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG entfallen lasse. Denn eine erfolgreich abgeschlossene stationäre Therapie erlaube angesichts der erfahrungsgemäß hohen Rückfallquoten noch nicht die Prognose, dass vom Betroffenen keine ordnungsrechtlich relevante Wiederholungsgefahr mehr ausgeht, vielmehr sei eine solche Annahme erst nach drogen- und straffreier Lebensführung über einen längeren Zeitraum gerechtfertigt. Vorliegend wirke sich negativ für den Kläger aus, dass er bereits vor der Verurteilung vom 9. Dezember 2021 aufgrund anderer Verstöße zu Jugendarresten und Ableisten gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden sei. Daraus werde ersichtlich, dass die Verurteilungen bislang keine nachhaltige positive Wirkung auf die Delinquenz des Klägers hatten. Zudem wirke sich besonders negativ aus, dass es sich bei den begangenen Taten nicht um bloße Gelegenheitstaten, sondern um einen mit einer gewissen Raffinesse und hohem Aufwand und Einsatz durchgeführten Aufbau eines hochkriminellen Netzwerks zum Betreiben eines Rauschgifthandels gehandelt habe. Die schon vor der Tat entwickelten Persönlichkeitsmängel würden zur Aufrechterhaltung des bisherigen Lebensstils zukünftig weitere massive Straftaten befürchten lassen. Außerdem wirke sich besonders negativ aus, dass der Kläger in nur knapp vier Monaten erhebliche Mengen an Rauschmittel in den öffentlichen Verkehr gebracht habe. Derzeit sei damit zweifellos von einer hohen Wiederholungsgefahr für die Begehung weiterer Straftaten auszugehen. Bei der Abwägung der Ausweisungs- und Bleibeinteressen sei zu sehen, dass beim Kläger mehrere besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a Buchst. b AufenthG sowie ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG vorlägen. Der Kläger sei wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz mit letztem Urteil des Amtsgerichts … vom 11. Januar 2023 rechtskräftig zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Dieses Ausweisungsinteresse sei auch noch aktuell. Die Verjährungsfristen seien noch nicht abgelaufen und die maßgeblichen Taten nach dem Bundeszentralregistergesetz noch verwertbar. Die Voraussetzungen für ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse erfülle der Kläger nicht, jedoch für ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Die dem Kläger aufgrund des zuerkannten Abschiebungsverbots erteilte Aufenthaltserlaubnis sei am 12. Mai 2021 abgelaufen. Der verspätet gestellte Verlängerungsantrag vom 22. Juni 2022 sei vom Kläger zurückgenommen worden. Im Übrigen sei die Aufenthaltserlaubnis weder verlängerungsfähig gewesen, noch käme eine Neuerteilung in Betracht. Aufgrund der Verurteilungen sei der Ausschlusstatbestand nach § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG erfüllt. Zudem könne selbst im Falle eines Anspruchs gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG kein Aufenthaltstitel mehr erteilt werden. Bei der Interessenabwägung sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger zwar seit mehr als 20 Jahren im Bundesgebiet lebe und bereits im sehr jungen Alter eingereist sei, er aber mangels ausreichender Verwurzelung im Inland kein „faktischer Inländer“ sei. Einer Beschäftigung sei der Kläger nach seinem Schulabschluss nicht nachgegangen. Er habe seinen weit über den eigenen Einkommensverhältnissen liegenden Lebensstil allein durch den Handel mit Betäubungsmitteln finanziert. Der von ihm am 28. Dezember 2023 gestellte Beschäftigungsantrag sei nicht genehmigungsfähig. Insbesondere als Heranwachsender zwischen 18 und 21 Jahren sei es dem Kläger nicht gelungen, sich rechtstreu zu verhalten. Hier sei insbesondere die Verurteilung des Amtsgerichts … vom 11. Januar 2023 und die darin enthaltenen Ausführungen zum Netzwerk zum Betreiben des Rauschgifthandels, der Gesamtwert der umgesetzten Betäubungsmittel und deren Gesamtmenge zu betrachten. Bis zu seiner Inhaftierung am 21. März 2021 habe der Kläger mehrmals Straftaten begangen. Die bisherigen Verurteilungen hätten keine nachhaltige positive Wirkung auf seine Delinquenz gehabt. Die Auswirkungen der Ausweisung auf Familienmitglieder oder sonstige Personen im Bundesgebiet seien gering. Laut der Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses möchte der Kläger nach dem Ende des Maßregelvollzugs wieder zu seiner Mutter ziehen. Nach Aktenlage sei der Betroffene in einer Beziehung. Die bestehenden familiären Bindungen des volljährigen ledigen Betroffenen fielen nicht derartig schwer ins Gewicht, als dass demgegenüber das öffentliche Interesse an der Ausweisung zurückstehen müsste. Diese hätten den Kläger zu keinem Zeitpunkt von der Begehung weiterer Straftaten abhalten können. Das beim Kläger festgestellte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks sei widerrufen worden. Die dagegen erhobene Klage habe aufschiebende Wirkung. Dem werde dadurch Rechnung getragen, dass die Abschiebungsandrohung den Irak als Zielstaat ausnimmt. Mit rechtskräftigem Widerruf des Abschiebungsverbots sei auch die Abschiebung in den Irak möglich. Diese Entscheidung stehe auch mit Art. 6 GG und Art. 8 EMRK in Einklang. Der Kläger habe bislang erst lediglich knapp zehn von voraussichtlich 18 Monaten der Therapie absolviert. Die Therapie sei daher nicht abgeschlossen. Ein Wohlverhalten im geschützten Rahmen der Haft lasse noch nicht mit notwendiger Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel schließen. Selbst nach Abschluss der Therapie könnten Rückfälle nicht ausgeschlossen werden. Ob dem vorgetragenen Willen des Klägers zur Verhaltensänderung tatsächlich Glauben geschenkt werden darf, sei in Anbetracht der erheblichen Rückfallgeschwindigkeit in straffällige Verhaltensweisen zumindest fraglich. Die Stellung als „faktischer Inländer“, worunter der Kläger nicht falle, würde überdies die Ausweisung nicht von vornherein verhindern. Die vorzunehmende Abwägung ginge zulasten des Klägers aus. Der lange Aufenthalt im Bundesgebiet schütze nicht schlechthin vor einer Ausweisung. Zwar bestünden nur geringe Bindungen hinsichtlich des Iraks, jedoch sei der Kläger jung, gesund, arbeitsfähig und im Besitz eines Schulabschlusses. Es sei ihm daher zumutbar, sich in einem anderen Land eine neue Zukunft aufzubauen. Die damit verbundenen Schwierigkeiten habe der Betroffene alleine zu verantworten. Für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit sei zu berücksichtigen, dass Drogendelikten, wie vom Kläger begangen, eine besondere Schwere zugemessen wird. Die Ausweisung des Klägers entspreche auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ein milderes Mittel, das in gleicher Weise geeignet wäre, sei nicht ersichtlich. Die Maßnahme sei auch angemessen. Zwar werde der Erfolg, die Verhinderung weiterer Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klage im Asylverfahren nicht direkt mit der Bekanntgabe des Ausweisungsbescheids erreicht, jedoch werde die Voraussetzung zur Durchführbarkeit einer später möglich werdenden Abschiebung geschaffen. Unter Ausübung des Ermessens werde angesichts der Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten und seines persönlichen Verhaltens die Wirkung der Ausweisung auf sieben Jahre befristet. Der Kläger verfüge über keine besonders schützenswerten Bindungen innerhalb der Bundesrepublik. Von einer Verhaltensänderung des Klägers könne trotz der zurückliegenden Verurteilungen nicht ausgegangen werden, auch wenn er derzeit überwiegend aktiv und motiviert an einer Therapie teilnehme. Die Therapie sei derzeit nicht abgeschlossen. Der Kläger sei gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet, da er keinen Aufenthaltstitel mehr besitze. Die Ausreisepflicht sei gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 und 3 AufenthG vollziehbar. Die Abschiebung erfolge gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG – vorbehaltlich der Vollziehbarkeit – in jeden Staat, der zur Übernahme des Betroffenen verpflichtet oder bereit ist. Aufgrund des anhängigen Asylklageverfahrens sei der Irak derzeit gemäß § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausgenommen. Sollte das Abschiebungsverbot rechtskräftig widerrufen worden sein, sei auch eine Abschiebung in den Irak möglich. Sollte der Kläger aus der Haft vor seiner Abschiebung entlassen werden, so habe er das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen zu verlassen. Falls er nicht freiwillig ausreist, werde ihm die Abschiebung angedroht. Der Antrag des Klägers vom 28. Dezember 2023 auf Erteilung einer Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit bei der … werde abgelehnt. Der Kläger unterliege gemäß § 4a Abs. 4 AufenthG grundsätzlich einem Erwerbstätigkeitsverbot. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 60a Absatz 5b AufenthG lägen vor. Der Aufenthalt des Klägers sei derzeit geduldet. Das Zustimmungserfordernis der Bundesagentur für Arbeit entfalle gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 5 Beschäftigungsverordnung (BeschV). Zwar sei § 60a Absatz 5b AufenthG eine Sollvorschrift, jedoch liege vorliegend eine Ausnahme vom gebundenen Ermessen vor. Der Gesetzgeber habe an verschiedenen Stellen des Aufenthaltsgesetzes zum Ausdruck gebracht, dass Ausländer, gegen die eine Ausweisungsverfügung besteht oder die wegen einer Straftat zu einer gewissen Strafe verurteilt worden sind, nicht von Bleiberechtsregelungen oder Regelungen, die in einem Bleiberecht münden, profitieren sollen. Der Kläger werde ausgewiesen wegen der von ihm begangenen Straftaten und der daraus resultierenden Verurteilungen. Die Ablehnung des Beschäftigungsantrags entspreche auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Entscheidung sei geeignet, um bereits das Entstehen jeglichen Anscheins einer irgendwie gearteten Aufenthaltsverfestigung des Klägers zu verhindern und um die beabsichtigte Aufenthaltsbeendigung konsequent zu betreiben. Eine mit der Erteilung der Beschäftigungserlaubnis verbundene Integration in den Arbeitsmarkt könne in Anbetracht des vorrangigen Ziels der Aufenthaltsbeendigung und des Schutzes der Allgemeinheit vor der Begehung von Straftaten nicht erfolgen. Ein milderes Mittel sei nicht ersichtlich. Die Ablehnung des Antrags sei auch angemessen, da insbesondere vor dem Hintergrund der Generalprävention der Zweck erreicht werde, da Ausländer, die eine Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit beantragen, nicht eine niedrige Hemmschwelle zur Begehung von Straftaten haben, da sie keine Antragsablehnung befürchten müssen. Ebenso scheide die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis im pflichtgemäßen Ermessen nach §§ 4a Abs. 4, 42 Abs. 4 Nr. 2 AufenthG i.V.m. §§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 32 BeschV aus. Die Ermessensausübung könne hierbei zu keiner anderen Bewertung führen als im Rahmen des § 60 Abs. 5b AufenthG.
13
Mit Schriftsatz vom 21. Mai 2024, bei Gericht eingegangen am 22. Mai 2024, ließ der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 16. April 2024 erheben und einen Prozesskostenhilfeantrag stellen. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass der vorliegenden Bewertung des Verhaltens des Klägers in der Therapiemaßnahme, die deutlich überwiegend positiv sei, keine Beachtung geschenkt werde. Aus ihr ergebe sich in einem regulierten Umfeld sowie unter Betreuung und Angebot von Therapie ein angemessener, gewaltferner und gesellschaftlich adäquater Umgang mit Mithäftlingen und Personal. Es wäre auch einzustellen gewesen, dass es sich bei der derzeitigen Jugendfreiheitsstrafe um den ersten Hafteindruck dieser Art für den Kläger handele. Das zuletzt erstinstanzlich erkennende Gericht habe ausdrücklich Reifeverzögerungen beim Kläger hervorgehoben. Es sei davon auszugehen, dass die Hafterfahrung auf den Kläger positive Auswirkungen habe. Hinsichtlich des Bleibeinteresses nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG sei zumindest zu berücksichtigen, dass der Verlängerung des Aufenthaltstitels des Klägers lediglich die hier streitgegenständliche behördliche Entscheidung entgegenstehe. Zudem streite für den Kläger ganz erheblich seine Stellung als „faktischer Inländer“. Er erfülle diese Position im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 16.7.2002 – 1 C 8/02 – BVerwGE 116, 378, juris Rn 2). Beim Kläger sei zu beachten, dass er nahezu sein komplettes Leben in Deutschland verbracht habe. Er kenne keine andere Heimat. Seine vollständige Sozialisierung habe er hier erfahren und er wolle eine Ausbildung aufnehmen. Ebenso würden sich alle sozialen Bezugspersonen des Klägers in Deutschland befinden, insbesondere seine Familie mit Eltern und Geschwistern, sowie seine Verlobte. Der Kläger spreche ausschließlich Deutsch, eine soziale, wirtschaftliche oder persönliche Anbindung an ein etwaiges Land der Herkunft sei weitgehend ausgeschlossen. Neben der zu erwartenden sozialen Isolation sei auch auf wirtschaftlicher Grundlage davon auszugehen, dass dem Kläger die Integration unmöglich wäre. Seine Ausbildung sei allein ausgerichtet am deutschen Arbeitsmarkt. Soweit der Kläger gegen hier geltende Regeln verstoßen habe, habe er dies aufgrund seiner rein deutschen Sozialisation getan. Es sei auch gerade deutschen Behörden und zuständigen Stellen nicht gelungen, diese Sozialisation des Klägers in positivere Bahnen als bisher zu lenken. Seine jetzigen Fortschritte in der Resozialisierung zu unterbrechen, würde dem Anspruch des deutschen Strafvollzugssystems widersprechen. Die Behörde habe im Rahmen der Festsetzung der Einreisesperre auf sieben Jahre die Rolle des Klägers als Individuum nicht ausreichend gewürdigt. Er sei faktischer Inländer, der nach Jugendstrafrecht verurteilt worden sei. Nennenswerte Integrationsaussichten oder Anknüpfungspunkte im Zielland der Ausweisung gebe es nicht. Eine erheblich geringere – wenn überhaupt – Einreisesperre wäre angemessen gewesen. Die Ziffern 3 und 4 des Bescheids seien zu unbestimmt. Dies betreffe die Bedingung des Eintritts der Wirksamkeit, sobald das Abschiebungsverbot rechtskräftig widerrufen worden sei, und die Bestimmung eines Ziellandes. Außerdem sei im Bescheid ständig die Rede von „Haft“. Der Kläger befinde sich jedoch in einer Entziehungsanstalt. Diese Einrichtungen würden nicht den Charakter einer Haft aufweisen. Die Klage richte sich ebenso gegen die in Ziffer 5 ausgesprochene Ablehnung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, obwohl diese Erwerbstätigkeit im Rahmen der Therapie befürwortet werde. Es sei wohl damit zu rechnen, dass der Kläger nach seiner Anhörung zum Erlass zeitnah entlassen werde. Es ständen sogar ab September 2024 schon Ausbildungsplätze zur Verfügung.
14
Der Kläger beantragt,
1.
Der Bescheid vom 16. April 2024 wird insgesamt aufgehoben.
2.
Dem Kläger wird die beantragte Erlaubnis zur Ausübung der Erwerbstätigkeit bei der … erteilt.
15
Der Beklagte beantragt
16
Klageabweisung.
17
Unter Verweis auf die streitgegenständliche Entscheidung führte die zunächst zuständige Ausländerbehörde ergänzend aus, dass die Therapie des Klägers ausweislich des Zwischenberichts des Bezirkskrankenhauses … vom 20. Februar 2024 nicht abgeschlossen sei. Der positive Therapiebericht des Bezirkskrankenhauses habe bei der Prognoseentscheidung im Rahmen der Spezialprävention ausreichend Würdigung erfahren. Insbesondere aufgrund des festgestellten Hangs des Klägers, berauschende Substanzen im Übermaß zu konsumieren, könne von einer fehlenden Wiederholungsgefahr erst nach straf- und drogenfreier Lebensführung über einen längeren Zeitraum ausgegangen werden. Dass es sich bei der derzeitigen Jugendfreiheitsstrafe um den ersten Hafteindruck dieser Art handelt, verkenne die Ausländerbehörde keineswegs. Art und Ausmaß der den Verurteilungen zugrundeliegenden Straftaten sowie die an den Tag gelegte kriminelle Energie würden jedoch überwiegend keine jugendtypische Delinquenz aufweisen. Dass der Kläger nach Jugendstrafrecht zu verurteilen war, ändere hieran nichts. Sicherlich habe der Kläger während der nun zwölf Monate andauernden Therapie Fortschritte machen können. Jedoch sei die Ausländerbehörde der Überzeugung, dass zu diesem Zeitpunkt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könne, dass die erheblichen Persönlichkeitsmängel, welche neben der Suchterkrankung ursächlich für die begangenen Straftaten gewesen seien, soweit behoben sind, um eine grundlegende persönliche Wandlung des Klägers im Sinne einer Abkehr von seiner kriminellen Vergangenheit bejahen zu können. Dagegen spreche zudem die ausweislich des Bundeszentralregisters zu attestierende erhebliche Rückfallgeschwindigkeit in straffällige Verhaltensmuster. Dass der Verlängerung des Aufenthaltstitels lediglich die hier streitgegenständliche Entscheidung entgegenstehe, treffe nicht zu. Die durch die zu erfolgende Ausweisung entstehenden Schwierigkeiten, wie beispielsweise der Aufbau einer neuen Zukunft in einem anderen Land, habe der Kläger alleine zu verantworten. Die Ausführungen des Bevollmächtigten zur vermeintlichen Stellung des Klägers als „faktischer Inländer“ gingen fehl. Der Sachverhalt des vom Bevollmächtigten herangezogenen Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juli 2022 sei nicht mit dem vorliegenden vergleichbar, da es sich vorliegend schon nicht um die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis gehe und auch nicht um eine Ermessensentscheidung. Zudem sei der Kläger nicht mehr minderjährig. Im Übrigen habe die Ausländerbehörde dem langen Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet angemessen Rechnung getragen. Dass die Freiheitsstrafe des Klägers im Rahmen der Unterbringung einer Entziehungsanstalt vollzogen wird, schließe die Verwendung des Terminus „Haft“ nicht aus. Jedenfalls werde die Anordnung hierdurch keinesfalls rechtswidrig.
18
Mit Schreiben vom 24. Mai 2024 beteiligte sich die Regierung von Mittelfranken als Vertreter des öffentlichen Interesses an dem Verfahren.
19
Mit E-Mail vom 16. Mai 2024 führte … vom Bezirkskrankenhaus … aus, dass der Kläger inzwischen die letzte Stufe des Therapieprogramms erreicht habe. Er befinde sich derzeit im Probewohnen im Haushalt seiner Mutter in … Es fänden weiterhin Drogenscreenings statt. Die Erlaubnis zur gewünschten sozialversicherungspflichtigen Arbeit sei nicht erteilt worden. Der Kläger absolviere einige Praktika für eine Tagesstruktur und gehe einer ehrenamtlichen Tätigkeit nach. Auch in der Serienbeurlaubung scheine der Kläger in der Lage zu sein, sich den Anforderungen im Maßregelvollzug anzupassen. Bei weiterem positiven Verlauf werde die Therapeutin bei Gericht die Entlassung aus dem Maßregelvollzug und die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung beantragen.
20
Nach einer Aktennotiz vom 8. Oktober 2024 befindet sich der Kläger weiterhin im Probewohnen bei seiner Mutter in … und ist weiterhin im Bezirkskrankenhaus … eingebunden.
21
Die bedingte Entlassung werde derzeit vom Amtsgericht … geprüft.
22
Am 11. Oktober 2024 stellte die damals zuständige Ausländerbehörde den Antrag auf Durchführung eines Passersatzbeschaffungsverfahrens für das Land Irak für den Kläger.
23
Mit Bescheid vom 14. Oktober 2024 wurde die vom Kläger beantragte Duldung abgelehnt. Die dagegen erhobene Klage ist noch rechtshängig (AN 11 K 24.2733), der entsprechende Eilantrag wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 5. Februar 2025 abgelehnt (AN 11 E 24.2732).
24
Mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2024 teilte die vormals zuständige Ausländerbehörde mit, dass der Beklagte zum 19. Dezember 2024 die ausländerrechtliche Zuständigkeit übernommen habe. Der Klägerbevollmächtigte erklärte sodann mit Schriftsatz vom 20. Januar 2025, dass das Verfahren gegen den nunmehrigen Beklagten geführt werden soll.
25
Der Beklagte übermittelte eine Kurzmitteilung der Kriminalpolizeiinspektion … – … vom 30. Dezember 2024, wonach ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger und seinen Bruder wegen Handels mit Marihuana in nicht geringer Menge anhängig ist. Dem Kläger wird im Wesentlichen zur Last gelegt, dass er in … ( …) 1 kg Marihuana von einem anderweitig Beschuldigten entgegengenommen hat und dann ins Anwesen seines Bruders ( …) verbracht hat.
26
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
27
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
28
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens bei der dabei vom Gericht anzustellenden vorläufigen Prüfung nicht überspannt werden, eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung genügt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 166 Rn. 26). Es reicht bereits aus, wenn sich die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen darstellen (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2009 – 19 C 09.1723 – juris Rn. 2).
29
Der Kläger hat bislang – trotz entsprechender Ankündigung – keine Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen unter Verwendung der amtlichen Vordrucke nach § 117 Abs. 2 – 4 ZPO gemacht, so dass für das Gericht nicht feststellbar ist, ob er die Kosten der Prozessführung bestreiten könnte. Aber selbst wenn der Kläger dazu nicht in der Lage sein sollte, bietet jedenfalls die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
30
Nach der im Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass die Klage sowohl hinsichtlich der Ausweisung samt Annexentscheidungen als auch hinsichtlich der begehrten Beschäftigungserlaubnis unbegründet ist. Der angefochtene Bescheid vom 16. April 2024 stellt sich voraussichtlich als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO.
I.
31
Die gegen die Ausweisung samt Annexentscheidungen zulässig erhobene Klage erweist sich nach summarischer Prüfung als unbegründet. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung sowie der Befristungsentscheidung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 16; U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 37).
32
1. Die in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte formell rechtmäßige Ausweisung des Klägers dürfte sich auch als materiell rechtmäßig erweisen.
33
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dabei sind nach § 53 Abs. 2 AufenthG bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei dieser Beurteilung müssen die Behörden sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, wahren (vgl. EuGH, U.v. 22.12.2010 – C-303/08 – juris Rn. 60; EuGH, U.v. 8.12.2011 – C-371/08 – juris Rn. 82). Dabei sind auch nach der Ausweisungsverfügung eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 – C-467/02 – juris Rn. 47; EuGH, U.v. 8.12.2011 – C-371/08 – juris Rn. 84).
34
Der Aufenthalt des Klägers gefährdet nach summarischer Prüfung die öffentliche Sicherheit und Ordnung und die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt und ein Verstoß gegen höherrangige Vorschriften nicht vorliegt.
35
a) Der Aufenthalt des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 53 Abs. 1 AufenthG wohl in generalpräventiver Hinsicht.
36
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 12. Juli 2018 entschieden, dass sich auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Recht mit generalpräventiven Gründen ein Ausweisungsinteresse begründen lässt (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 16). Der Generalprävention liegt der Gedanke zugrunde, dass vom weiteren Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen kann, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Falle des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen. Es besteht daher ein öffentliches Interesse, eine verhaltenssteuernde Wirkung bei anderen Ausländern zu erreichen (vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 12.10.2020 – 10 B 20.1795 – juris Rn. 33 ff.). Bei der generalpräventiven Aufenthaltsbeendigung ist besonders sorgfältig das Gewicht der mit ihr verfolgten im öffentlichen Interesse liegenden Ziele zu ermitteln. Hierzu gehört auch für die Verwaltungsgerichte eine genaue Kenntnisnahme und Würdigung des der Aufenthaltsbeendigung zugrundeliegenden Tatgeschehens und seiner strafgerichtlichen Bewertung (vgl. BVerfG, B.v. 21.3.1985 – 2 BvR 1642/83 – juris Rn. 24). Erforderlich ist, dass die Ausweisung an Straftaten anknüpft, in Bezug auf welche sich eine generalpräventive Wirkung erzielen lässt, andere Ausländer somit von Taten ähnlicher Art und Schwere abgehalten werden (vgl. BVerwG, U.v. 3.5.1973 – I C 33.72 – juris Rn. 34; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 53 AufenthG Rn. 64; Fleuß in Kluth/ Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.10.2024, § 53 AufenthG Rn. 31).
37
Der Kläger fällt nicht unter die in § 53 Abs. 3, 3a und 4 AufenthG bezeichneten Personengruppen, deren Ausweisung allein nach den dort genannten spezialpräventiven, nicht generalpräventiven, Maßstäben zulässig ist (vgl. BT-Drs. 18/4097, 49). Selbst wenn der Kläger als „faktischer Inländer“ anzusehen ist, so ist eine generalpräventive Ausweisung deswegen nicht bereits dem Grunde nach ausgeschlossen, sondern es bedarf in diesem Fall einer sorgfältigen Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im konkreten Einzelfall, bei der gegebenenfalls auch der Grad einer Verwurzelung des Klägers im Bundesgebiet und einer damit einhergehenden Entwurzelung im Herkunftsland angemessen zu berücksichtigen ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.2.2024 – 19 ZB 22.2483 – juris Rn. 18).
38
Es dürfte vorliegend ein generalpräventives Ausweisungsinteresse daran bestehen, andere Ausländer von der Begehung von Straftaten, insbesondere von Betäubungsmitteldelikten, abzuhalten.
39
Ausweislich der Strafurteile vom 9. Dezember 2021 und 11. Januar 2023 betrieb der Kläger einen schwunghaften Handel mit Betäubungsmitteln, insbesondere mit Marihuana, Haschisch und Kokain. Dieses Verhalten weist keine besonderen singulären Züge auf, so dass die Ausweisung, die an dieses Verhalten anknüpft, sich nach allgemeiner Lebenserfahrung als geeignet herausstellt, andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (vgl. BayVGH, B.v.19.2.2024 – 19 ZB 22.2483 – juris Rn. 20). Insbesondere lag keine Affekt-, Hang- oder Leidenschaftstat vor, denen ein rationales Verhalten nicht zugrunde liegt (vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.10.2024, § 53 AufenthG Rn. 32). Die Tatsituation als solche kann sich problemlos wiederholen.
40
Das generalpräventive Ausweisungsinteresse dürfte im Falle des Klägers auch noch aktuell sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung verliert und ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr herangezogen werden kann. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 23) für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt (§ 78a StGB), eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 10 ZB 20.666 – juris Rn. 8). Bei abgeurteilten Straftaten bilden zudem die Tilgungsfristen des § 46 BZRG eine absolute Obergrenze, weil nach deren Ablauf die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nach § 51 BZRG nicht mehr vorgehalten werden dürfen (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 23).
41
Gemessen daran ist das Ausweisungsinteresse wohl noch aktuell. Die Verjährungsfrist für die vom Kläger begangenen Betäubungsmitteldelikte nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB beträgt zwanzig Jahre, da eine Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr (bis 15 Jahre, § 38 Abs. 2 StGB) angedroht wird. Zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ist daher noch lange nicht einmal die untere Grenze erreicht und Aktualität damit gegeben.
42
b) Der Aufenthalt des Klägers gefährdet wohl die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 53 Abs. 1 AufenthG auch in spezialpräventiver Hinsicht. Der Kläger hat schwerwiegende Straftaten begangen, deren konkrete Wiederholungsgefahr nach summarischer Prüfung droht, sodass sein Verhalten gegenwärtig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt.
43
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der Schutzgüter eintreten wird (BR-Drs. 642/14, S. 55).
44
Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31; B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris; U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34).
45
Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Gericht nach summarischer Prüfung zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu der Überzeugung gelangt, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger erneut die öffentliche Sicherheit durch vergleichbare Straftaten beeinträchtigen wird.
46
Der Kläger wurde zuletzt mit Urteil des Amtsgerichts … vom 11. Januar 2023 wegen der Begehung von Betäubungsmitteldelikten unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts … vom 9. Dezember 2021 zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde aufrechterhalten.
47
Hier ist zunächst die hohe verhängte Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten zu sehen.
48
Was die Prognose der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im Hinblick auf Drogenstraftaten angeht, ist des Weiteren festzuhalten, dass Betäubungsmitteldelikte zu den schweren, Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten gehören (vgl. Art. 83 Abs. 1 Unterabschnitt 2 AEUV) (BayVGH, B.v. 1.12.2022 – 19 ZB 22.1538 – juris Rn. 35). Die Folgen, insbesondere für junge Menschen, können äußerst gravierend sein. In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13.12 – juris Rn. 12 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH und des EGMR; vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2019 – 10 ZB 18.2272 – juris Rn. 7). Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein „großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit“ (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 – Rs. C-149/09, „Tsakouridis“ – NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach klargestellt, dass er bei der Verurteilung eines Ausländers wegen eines Betäubungsmitteldelikts – wie hier vorliegend – in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen von Drogen auf die Bevölkerung Verständnis dafür hat, dass die Vertragsstaaten in Bezug auf diejenigen, die zur Verbreitung dieser Plage beitragen, entschlossen durchgreifen (vgl. EuGH, U.v. 30.11.1999 – Nr. 3437-97 „Baghli“ – NVwZ 2000, 1401, U.v. 17.4.2013 – Nr. 52853/99‚ “Yilmaz“ – NJW 2004, 2147). Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, welche in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang einnehmen. Rauschgiftkonsum bedroht diese Schutzgüter der Abnehmer in hohem Maße und trägt dazu bei, dass deren soziale Beziehungen zerbrechen und ihre Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, welche ferner auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 19 ZB 20.2139 – juris Rn. 32; B.v. 14.3.2013 – 19 ZB 12.1877 und B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 8). Bei der Bewertung der Gefährlichkeit eines im Zusammenhang mit dem Handel mit Marihuana strafrechtlich verurteilten Ausländers sind überdies die neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den insbesondere Jugendlichen durch den Konsum drohenden gesundheitlichen Schäden in den Blick zu nehmen (vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2022 – 19 ZB 22.129 – juris Rn. 32; B.v. 1.12.2022 – 19 ZB 22.1538 – juris Rn. 35). Bezüglich der Grundrechte Leib, Leben und körperliche Unversehrtheit besteht zudem eine Schutzpflicht des Staates (Rixen in Sachs, Grundgesetz, 10. Auflage 2024, Art. 2 Rn. 188 ff.). In Anbetracht dieser Umstände sprechen gegen den Kläger daher auch die Schwere der konkreten Straftaten und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts.
49
Ausweislich der Strafurteile vom 9. Dezember 2021 und 11. Januar 2023 betrieb der Kläger einen schwungvollen Handel mit Betäubungsmitteln, insbesondere mit Marihuana, Haschisch und Kokain. Die kriminelle Energie, die er hierfür an den Tag legte, war von beträchtlichem Gewicht und geht über eine herkömmliche Beschaffungskriminalität weit hinaus. Er ging strukturiert und organisiert vor. Er verwendete als Lieferadresse sowohl die Adresse seines Vaters als auch seiner Mutter, bezahlte in bar und via Bitcoin und fuhr zur Übergabe auch bis nach … Er hatte ein hochkriminelles Netzwerk aufgebaut, mit dessen Hilfe er innerhalb von nur etwa vier Monaten Rauschgiftmengen im hohen zweistelligem Kilogrammbereich umsetzte und entsprechend hohe Einnahmen generierte.
50
Zwar sind Cannabis und nichtsynthetisches THC seit 1. April 2024 rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel i.S.d. Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) eingestuft. Der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zu nicht-medizinischen Zwecken ist unabhängig von dem konkreten THCGehalt und Herkunft straffrei (§ 3 Abs. 1 Konsumcannabisgesetz – KCanG). Der Handel bleibt jedoch strafbar, insbesondere auch der gewerbsmäßige Handel (vgl. § 34 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 1 Nr. 4, § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG). Zudem stellt jedenfalls Kokain eine harte Droge mit sehr hohem, vor allem psychischem, Abhängigkeitspotential dar. Nach dem Rausch verfallen die Kokainkonsumenten häufig in Depressionen. Bei vorbelasteten Personen sind zudem Selbstmordversuche beobachtet worden. Ein längerfristiger Konsum von Kokain kann zu völligem körperlichen und geistigen Verfall (Auszehrung) sowie zu sozialem Niedergang führen (vgl. Möllers in Möllers, Wörterbuch der Polizei, 3. Auflage 2018, Kokain, 5.).
51
Der Annahme einer Wiederholungsgefahr steht hier auch nicht entgegen, dass gegen den Kläger das erste Mal eine Freiheitsstrafe vollzogen wird. Eine Wiederholungsgefahr kann nämlich bereits nach der erstmaligen Begehung einer Straftat anzunehmen sein (vgl. BVerfG, B.v. 1.3.2000 – 2 BvR 2120/99 – juris Rn. 17 m.w.N.; BVerwG, B.v. 4.11.1999 – 1 B 74/99 – juris Rn. 4 m.w.N.). Zwar gehen die Straf- und Verwaltungsgerichte davon aus, dass die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördern und die Gefahr eines neuen Straffälligwerdens mindern kann (vgl. BayVGH, U.v. 20.3.2008 – 10 BV 07.1856 – juris Rn. 23 m.w.N.), es müssen aber Anhaltspunkte dafür ersichtlich sein, dass ihn die Verbüßung der Freiheitsstrafe auch tatsächlich nachhaltig beeindruckt, er sich mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandersetzt und es zu einem nachhaltigen Einstellungswandel gekommen ist, dass also ein positiver Einfluss der Strafhaft auf die Persönlichkeitsentwicklung festzustellen ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn. 12). Insbesondere bei eingeschliffenen Verhaltensmustern kann verlangt werden, dass der Ausländer sich außerhalb des Justizvollzugs über einen längeren Zeitraum bewährt und durch gesetzeskonformes Verhalten gezeigt hat, dass er auch ohne den Druck des Strafvollzugs in Krisensituationen in der Lage ist, nicht erneut straffällig (z.B. gewalttätig) zu werden (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn. 15; Katzer in BeckOK, Migrations- und Integrationsrecht, Stand: 1.7.2024, § 53 Rn. 20). Aus den Berichten des Bezirkskrankenhauses … vom 20. Februar und 16. Mai 2024 geht zwar eine grundsätzlich positive Entwicklung des Klägers hervor, insbesondere in Hinblick auf Suchtmittelabstinenz und gewährte Lockerungsstufen. Eine nachhaltig positive Änderung seiner Persönlichkeit lässt sich den Berichten jedoch nicht entnehmen, vor allem fällt auf, dass der Kläger augenscheinlich sich bewusst nicht an alle Regeln hält (Weitergabe seines Wertfachschlüssels). Hinzukommt, dass der Kläger im derzeitigem Maßregelvollzug weiterhin in einem strengen Regelungsregime eingebunden ist – auch wenn er sich derzeit schon im Probewohnen befindet. Der Maßregelvollzug übt derzeit auf den Kläger einen beträchtlichen Druck in Richtung Wohlverhalten und Gesetzestreue aus, so dass aus seinem momentanen Verhalten nicht auf einen nachhaltigen Persönlichkeitswandel geschlossen werden kann. Auch der Bevollmächtigte geht in seinem schriftsätzlichen Vorbringen davon aus, dass in einem regulierten Umfeld und unter Therapieangebot der Umgang des Klägers gewaltfern und gesellschaftlich adäquat sei. Damit dürfte eine wesentliche Grundlage für das Wohlverhalten in der Betreuung des Klägers liegen.
52
Nach ständiger Rechtsprechung kann außerdem bei Straftaten, die wie beim Kläger ihre Ursache in einer Suchterkrankung haben, von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange eine entsprechende Therapie nicht (vollständig) erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht ist, insbesondere indem der Betreffende sich außerhalb des Straf- oder Maßregelvollzugs bewährt hat (vgl. BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 B 14.1613 – juris Rn. 32; B.v. 2.2.2022 – 10 ZBB 21.3030 – juris Rn. 3). Der Ausländer hat dabei auch keinen Anspruch darauf, dass über seine Ausweisung erst entschieden wird, wenn ihm zuvor Gelegenheit gegeben worden ist, seine (Drogen-)Therapie abzuschließen (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 11.6.2020 – 11 N 55.19 – juris Rn. 18). Gemessen hieran ist vorliegend zwar insbesondere zu würdigen, dass der Kläger ausweislich der genannten Stellungnahmen des Bezirksklinikums bislang keinen Suchtmittelrückfall hatte, Abstinenz und Straffreiheit als Therapieziele genannt und die letzte Stufe des Therapieprogramms erreicht hat, jedoch ist die Therapie nach Aktenlage derzeit nicht erfolgreich abgeschlossen, so dass der Kläger keine Möglichkeit hatte, sich außerhalb des Maßregel- bzw. Strafvollzugs zu bewähren. Hinzukommt, dass es laut der Stellungnahme des Bezirksklinikums … vom 20. Februar 2024 zum Erreichen des Behandlungsziels des Aufbaus eines tragfähigen sozialen Empfangsraums bedarf. Der Kläger hat als sozialen Empfangsraum nach Aktenlage den gleichen wie bei der Tatbegehung, insbesondere wohnt er derzeit probeweise bei seiner Mutter, die ihn nicht von der Begehung der Straftaten abhalten konnte und in deren Wohnung der Kläger Betäubungsmittel im mehrstelligen Kilogrammbereich im Empfang nahm. Ein tragfähiger Empfangsraum, der ihn unterstützen kann, nicht erneut straffällig zu werden, kann hier nicht gesehen werden. Auch bräuchte es für einen erfolgreichen Therapieabschluss nach der genannten Stellungnahme des Bezirksklinikums … eine sinnvolle Tagesstrukturierung des Klägers, insbesondere mit Arbeitsmöglichkeiten. Bislang ist dem Kläger das Aufnehmen einer Beschäftigung untersagt. Sollte der Kläger, wofür keine Nachweise vorgelegt wurden, die Möglichkeit der Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit und von Praktika wahrgenommen haben, so ergibt sich daraus keine sinnvolle und nachhaltige Tagesstrukturierung, da typischerweise diese Tätigkeiten nur stundenweise und/oder für einen kurzen Zeitraum ausgeübt werden.
53
Zwar ist es im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung nicht ausreichend, wenn die Gerichte von der Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz in jedem Fall ohne Weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr schließen (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 19). Im vorliegenden Fall ist demgegenüber unter Berücksichtigung der sehr hohen Menge gehandelter Drogen, der organisierten Begehungsweise und der dabei zum Ausdruck kommenden hohen kriminellen Energie eine Gefährdung höchster Rechtsgüter zu befürchten (vgl. auch BayVGH, B.v. 1.12.2022 – 19 ZB 22.1538 – juris Rn. 41). Außerdem ist zu werten, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt aus den Betäubungsmittelgeschäften bestritt, er einen weit über seinen persönlichen Verhältnissen liegenden Lebensstil pflegte und bislang nicht im Erwerbsleben eingebunden war.
54
Es besteht nach alledem nach summarischer Prüfung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger vergleichbare Straftaten begehen wird. Eine Zäsur im Lebensbereich des Klägers, die zu einem Entfallen der Wiederholungsgefahr führen könnte, ist nicht ersichtlich.
55
c) Unter Berücksichtigung aller Umstände und nach Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG) mit dem privaten Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) des Klägers kommt die Kammer nach summarischer Prüfung zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers sein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und die Ausweisung auch nicht gegen höherrangige Normen verstößt.
56
Voraussetzung für eine Ausweisung bei einer bestehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den weiteren Aufenthalt des Ausländers ist gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Dieser Grundsatz des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch § 54 und § 55 AufenthG weitere Konkretisierungen. Einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen wird von vornherein ein spezifisches bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen. Bei der Abwägung des Interesses an der Ausreise mit den Bleibeinteressen sind darüber hinaus die in § 53 Abs. 2 AufenthG aufgeführten Umstände (näher dazu etwa BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 24 f.) in die wertende Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Hiernach sind bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
57
aa) Der Kläger verwirklichte nach summarischer Prüfung ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da er wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt wurde. Darüber hinaus liegt auch ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b AufenthG vor, da er wegen einer Straftat nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde.
58
bb) Diesem Ausweisungsinteresse steht wohl kein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse oder schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1, 2 AufenthG gegenüber. Der Kläger verfügt insbesondere im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über keinen Aufenthaltstitel mehr, nachdem seine letzte Aufenthaltserlaubnis nur bis 12. Mai 2021 gültig war. Für das Bestehen eines (besonders) schwerwiegenden Bleibeinteresses nach § 55 AufenthG kommt es auf den tatsächlichen Besitz des jeweiligen Aufenthaltstitels an (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2017 – 19 CS 16.2376 – juris Rn. 13). Dem Kläger könnte wohl auch selbst bei einer entsprechenden Antragstellung schon mangels Erfüllen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG (insbesondere Erfüllen der Passpflicht, geklärte Identität, gesicherter Lebensunterhalt und fehlendes Ausweisungsinteresse) kein Aufenthaltstitel erteilt werden.
59
cc) In der nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG gebotenen Gesamtabwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteresse unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles dürfte das öffentliche Ausweisungsinteresse das private Bleibeinteresse des Klägers überwiegen.
60
Der Kläger ist in einem Alter von nur wenigen Monaten ins Bundesgebiet eingereist und hält sich seit mehr als 23 Jahren hier auf. Er verfügte über die meiste Zeit über eine Aufenthaltserlaubnis. Der Kläger ist in Deutschland zur Schule gegangen, so dass wohl davon auszugehen sein dürfte, dass er die deutsche Sprache gut beherrscht. Die Eltern und Geschwister leben auch hier. Diese intensiven Bindungen zum Bundesgebiet fallen erheblich ins Gewicht. Ob man den Kläger dabei als sog. „faktischen Inländer“ bezeichnet oder nicht, ist unerheblich, da in jedem Fall selbst für faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot besteht (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 16). Der Begriff „faktischer Inländer“ ist nicht einheitlich definiert, sondern in der Rechtsprechung unterschiedlich umschrieben; das Bundesverwaltungsgericht stellt auf „im Bundesgebiet geborene und aufgewachsene Kinder, deren Eltern sich hier erlaubt aufhalten,“ ab (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2002 – 1 C 8/02 – BVerwGE 116, 378), das Bundesverfassungsgericht umschreibt den Begriff mit „hier geborene bzw. als Kleinkinder nach Deutschland gekommene Ausländer“ (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016, a.a.O.). Auch die Bezeichnung eines Ausländers als „faktischer Inländer“ entbindet nicht davon, die im jeweiligen Einzelfall gegebenen Merkmale der Verwurzelung zu prüfen. Im Rahmen der Ermittlung der privaten Belange ist in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Das Gewicht der familiären Bindungen des Klägers wird dadurch gemindert, dass er als erwachsener Mann grundsätzlich nicht mehr auf die Fürsorge und Unterstützung seiner Familie angewiesen ist, sondern ein eigenständiges Leben führen kann. Den Kontakt mit seinen Familienangehörigen kann der Kläger auch aus dem Ausland mittels Kommunikationsmitteln aufrechterhalten. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Person umgekehrt auf die tatsächliche Unterstützung durch den Kläger im Bundesgebiet angewiesen ist. Eine schützenswerte Partnerschaft wurde nicht belegt. Der Kläger ist ledig und kinderlos. Ihm ist es bislang nicht gelungen, sich wirtschaftlich zu integrieren. Zwar kann er einen Schulabschluss vorweisen, jedoch hat der Kläger weder eine Berufsausbildung abgeschlossen noch ist er ausweislich der Akten jemals einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgegangen, sondern bestritt seinen Lebensunterhalt aus dem Betäubungsmittelhandel. Die Kammer verkennt nicht, dass es für den Kläger möglicherweise insbesondere aufgrund der vorgebrachten ausschließlichen deutschen Sprachkenntnisse und der mangelnden persönlichen Anknüpfungspunkte möglicherweise mit hohen Anstrengungen verbunden sein wird, sich insbesondere im Irak zu integrieren, jedoch hat der Kläger durch den erfolgreichen Abschluss der Wirtschaftsschule gezeigt, dass er fähig ist, Lernerfolge zu erzielen. Aufgrund seines Alters von nur 24 Jahren ist selbst das Erlernen einer bislang – wie vorgebracht – unbekannten Sprache und das Einfinden und Integrieren in das bisher wohl eher unbekannte Wirtschaftsleben im Irak dem Kläger zumutbar. Es spricht zudem viel dafür, dass der Kläger, der mit seinen Geschwistern bei seinen beiden aus dem Irak stammenden Eltern aufwuchs, zumindest über Grundkenntnisse der dortigen Sprache und Kultur verfügt.
61
Wägt man nun die besonders schützenswerten Belange des Klägers, insbesondere seine Stellung als Ausländer, der schon als Kleinkind in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, mit den von ihm wiederholt begangenen Straftaten ab, kommt die Kammer nach summarischer Prüfung zu dem Ergebnis, dass die begangenen Straftaten und die damit verbundene konkrete, nicht ausgeräumte erhebliche Rückfallgefahr und die damit verbundene Gefahr für bedeutende Rechtsgüter die Bindungen des Klägers im Bundesgebiet überwiegen. Zwar lebt der Kläger fast sein ganzes Leben im Bundesgebiet und auch seine Familie lebt hier, gleichwohl ist ihm eine Integration in die Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland angesichts der Vielzahl der von ihm begangenen Straftaten in keiner Weise geglückt. Er ist seit seiner Jugend immer wieder straffällig geworden, die verhängten (Jugend-)Strafen konnten ihn jedoch nicht von der Begehung massiver werdender Straftaten abhalten. Der Kläger hat zwar einen Schulabschluss erreicht, aber nicht einmal eine Ausbildung begonnen und sich somit in keiner Weise wirtschaftlich integriert. Weder seine Familie noch sonstige Bezugspersonen konnten ihn davon abhalten, Drogen zu konsumieren und Betäubungsmittel im großen Stil zu handeln.
62
d) Die Ausweisung dürfte sich auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1, Abs. 2 EMRK und Art. 7 GrCH als verhältnismäßig erweisen.
63
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind insbesondere die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, das Alter des Ausländers bei Begehung dieser Taten, die Dauer des Aufenthalts in dem Land, das der Ausländer verlassen soll, die seit Begehung der Straftaten vergangene Zeit und das seitdem gezeigte Verhalten des Ausländers, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation und gegebenenfalls die Dauer einer Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen, Kinder des Ausländers und deren Alter, das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere auch die Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggf. abgeschoben werden soll, die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits als Kriterien heranzuziehen (vgl. EGMR, U.v. 25.3.2010 – Mutlag/ Bundesrepublik Nr. 40601/05 – InfAuslR 2010, 325; U.v. 13.10.2011 – Trabelsi/ Bundesrepublik Nr. 41548/06 – juris Rn. 54). Der Kläger hat zwar wohl keinerlei oder kaum familiäre Anknüpfungspunkte im Irak und spricht die dortige Sprache nach eigenem Vortrag nicht, jedoch sind angesichts der enormen Straffälligkeit des Klägers, der nicht abgeschlossenen Drogentherapie und der fehlenden wirtschaftlichen Integration im Bundesgebiet diese für den Kläger möglicherweise empfindlichen Folgen seiner Ausweisung hinzunehmen. Der erwachsene Kläger kann auch aus dem Ausland mit seinen Familienangehörigen Kontakt halten. Weder ist er auf deren Fürsorge und Hilfe angewiesen, noch sind seine Familienangehörigen auf ihn angewiesen. Auch wenn der Kläger momentan augenscheinlich therapiemotiviert ist, ist seine Ausweisung insbesondere angesichts der von ihm begangenen massiven Straftaten und der nach wie vor bestehenden Drogenproblematik verhältnismäßig.
64
2. Das auf sieben Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig.
65
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist im Falle der Ausweisung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Dies hat zur Folge, dass das Gericht die Länge der Frist grundsätzlich nur in dem durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Rahmen überprüfen darf. Eine Verkürzung der Dauer der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot durch das Gericht selbst kommt also nur in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. In allen anderen Fällen ist zwar die Entscheidung der Verwaltungsbehörde aufzuheben, jedoch muss das Gericht der Verwaltungsbehörde Gelegenheit geben, ihr Ermessen rechtsfehlerfrei auszuüben (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 47; U.v. 12.7.2016 – 10 BV 14.1818 – juris Rn. 59 m.w.N.).
66
Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf einer prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zu Grunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag, wie lange also die Gefahr besteht, dass der Ausländer weitere Straftaten oder andere Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung begehen wird, wobei die Umstände des Einzelfalles anhand des Gewichts des Ausweisungsgrundes zu berücksichtigen sind. In einem zweiten Schritt ist die so ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK zu überprüfen und gegebenenfalls zu verkürzen. Dieses normative Korrektiv bietet den Ausländerbehörden und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 14.12 – juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 25.8.2015 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56; BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 50).
67
Nach diesen Maßstäben ist die mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Frist von sieben Jahren gerichtlich wohl nicht zu beanstanden. In die Ermessensentscheidung wurde durch die Behörde zu Recht insbesondere eingestellt, dass der Kläger als erwachsener, lediger und kinderloser Mann keine besonders schützenswerten Bindungen im Bundesgebiet hat, seine massive Straffälligkeit und die noch nicht abgeschlossene Drogentherapie. Durchgreifende Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
68
3. Die Abschiebungsanordnung, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung dürften auf §§ 50, 58 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Nr. 1, 59 AufenthG zu stützen sein. Die in Ziffern 3 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Bedingung des rechtskräftigen Widerrufs des Abschiebungsverbots ist mit der rechtskräftig gewordenen Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 31. Juli 2024 im Verfahren AN 2 K 21.30379 eingetreten. Es liegt damit im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts eine Abschiebungsandrohung unter Nennung eines konkreten Ziellands, dem Irak, vor, so dass vorliegend nicht geklärt werden braucht, ob § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach in der Androhung der Staat bezeichnet werden soll, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, lediglich Ordnungscharakter hat oder ein subjektives Recht des Abzuschiebenden begründet (vgl. Zimmerer in Decker/Bader/ Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand: 1.7.2024, § 59 AufenthG, Rn. 14). Der Eintritt der Bedingung ist nach Auffassung der Kammer auch hinreichend bestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, da klar erkennbar ist, unter welchen Voraussetzungen die Rechtsfolge eintritt (vgl. U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Aufl. 2023, § 37, Rn. 27). Maßgeblich ist eindeutig der rechtskräftige Widerruf des dem Kläger zuerkannten Abschiebeverbots. Dass die Behörde den Terminus „Haft“ in den Ziffer 3 und 4 des Bescheids verwendet, obwohl sich der Kläger schon zum Zeitpunkt des Erlasses im Maßregelvollzug und nicht mehr im Strafvollzug befand, ist nach Auffassung der Kammer unschädlich. Dies schon alleine deswegen, da nach § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ein sonstiger öffentlicher Gewahrsam der Haft gleichgesetzt ist, soweit die Maßnahme richterlich angeordnet ist (vgl. Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 58 Rn. 28). Die Unterbringung des Klägers in der Entziehungsanstalt erfolgte aufgrund des Strafurteils vom 11. Januar 2023, ihr lag damit eine richterliche Anordnung zu Grunde.
II.
69
Nach summarischer Prüfung hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis bzw. ermessensfehlerfreie Verbescheidung nach §§ 4a Abs. 4, 60a Abs. 5b AufenthG oder aus § 4a Abs. 4, 42 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG i.V.m. §§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 32 BeschV.
70
Im Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag ist der Kläger kein geduldeter Ausländer nach § 60 Abs. 5b AufenthG, da die letzte ihm erteilte Duldung nur bis 12. Juni 2024 gültig und sein auf Erteilung einer Duldung gerichteter Eilantrag erfolglos war (VG Ansbach, B.v. 5.2.2025 – AN 11 E 24.2732). Damit ist schon aus diesem Grund nach summarischer Prüfung die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis ausgeschlossen.
71
Selbst wenn man – obwohl der Kläger bislang keine Erklärung zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nach § 117 Abs. 2 ZPO abgegeben hat und daher keine Entscheidungsreife eingetreten ist – zu seinen Gunsten als maßgeblichen Zeitpunkt auf die Antragstellung abstellt, so dürfte sich nach summarischer Prüfung auch kein entsprechender Anspruch ergeben.
72
Nach §§ 4a Abs. 4, 60a Abs. 5b Satz 1 AufenthG soll einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zulässig ist Zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis (28.12.2023) war der Kläger geduldet. Seine Duldung wies eine Gültigkeit vom 13. Dezember 2023 bis 12. Juni 2024 auf. Aufgrund seines langjährigen erlaubten bzw. geduldeten ununterbrochenen Aufenthalts in Deutschland war eine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BeschV nicht nötig. Konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nach § 60a Abs. 5b Satz 2 AufenthG standen nicht bevor, damit lagen wohl die Voraussetzungen des § 60a Abs. 5b Satz 1 AufenthG vor, wonach die Beschäftigungserlaubnis gemäß des intendierten Ermessens erteilt werden soll. Ein Ausschlussgrund nach § 60a Abs. 6 AufenthG dürfte auch nicht bestanden haben. Jedoch verbleibt den Ausländerbehörden die Möglichkeit, im Rahmen des § 60a Abs. 5b AufenthG bei Vorliegen eines atypischen Sachverhalts die Erlaubnis zu verweigern (vgl. OVG Berlin-Bbg., B.v. 12.11.2024 – OVG 3 S 42/24 – juris Rn. 3 unter Verweis auf BT-Drs. 20/10090, S. 17). Die Frage, ob im Rahmen von Soll-Vorschriften ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, bei dem der Verwaltung ein Rechtsfolgenermessen eröffnet ist, unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 1 C 31/14 – juris Rn. 21).
73
Eine Atypik, die ein Abweichen vom Regelfall des § 60a Abs. 5b Satz 1 AufenthG rechtfertigt, ergibt sich vorliegend nach summarischer Prüfung aus den besonderen Umständen des Einzelfalles, aufgrund derer der Kläger nicht dem gesetzgeberischen Leitbild eines geduldeten Ausländers im Sinne von § 60a Abs. 5b Satz 1 AufenthG entsprach. Vom Kläger, dessen zuerkanntes Abschiebungsverbot rechtskräftig widerrufen wurde und dessen Identität nicht geklärt ist, ging (und geht) in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Der Kläger wurde im massiven Umfang im Bereich der Betäubungsmitteldelikte straffällig, handelte in einem organisierten Netzwerk, war selbst abhängig, ging zu keinem Zeitpunkt einer geregelten Arbeit nach, obwohl er einen Schulabschluss hatte und sicherte seinen über seinen Verhältnissen liegenden Lebensstil über den Betäubungsmittelhandel. Die angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und die dort begonnene Therapie zeigten zwar positive Entwicklungen auf, waren aber nicht erfolgreich abgeschlossen. Der Kläger stand bei der Antragstellung unter einem immensen Wohlverhaltensdruck.
74
Die Behörde durfte damit wohl von einem atypischen Fall ausgehen, so dass kein Fall des intendierten Ermessens nach § 60b Abs. 5b AufenthG vorlag und über die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis nach § 4a Abs. 4, 42 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG i.V.m. §§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 32 BeschV im Ermessen zu entscheiden war (vgl. VG Augsburg, U.v. 27.3.2024 – Au 6 K 24.122 – juris Rn. 25). Nach § 114 VwGO beachtliche Ermessensfehler sind hier nach summarischer Prüfung jedoch nicht ersichtlich. Es wurde zu Recht ausgeführt, dass in diesem Zusammenhang die Ermessensausübung bei Vorliegen eines atypischen Falls nach § 60b Abs. 5b AufenthG zu keinem abweichenden Ergebnis führen kann.
III.
75
Damit besteht auch keine Grundlage für eine Beiordnung des benannten Rechtsanwalts gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 ZPO.