Titel:
Popularklage gegen außer Kraft getretene Corona-Bestimmungen
Normenketten:
BV Art. 98 S. 4
VfGHG Art. 55 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 27. August 2025 über die Popularklage des Herrn H. T. in H. u .a. (Rn. 1)
2. auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit. (Rn. 1)
3. des Bayerischen Infektionsschutzgesetzes (BayIfSG) vom 25. März 2020 (GVBl S. 174, BayRS 212-3-G),. (Rn. 1)
4. der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. (Rn. 1)
5. (2. BayIfSMV) vom 16. April 2020 (GVBl S. 214, BayMBl Nr. 205, BayRS 2126-1-5-G), die zuletzt durch Verordnung vom 28. April 2020 (GVBl S. 254, BayMBl Nr. 225) geändert worden ist,. (Rn. 1)
6. der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (3. BayIfSMV) vom 1. Mai 2020 (BayMBl Nr. 239, BayRS 2126-1-7-G), die zuletzt durch § 1 der Verordnung vom 7. Mai 2020 (BayMBl Nr. 247) geändert worden ist,. (Rn. 1)
7. der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 5. Mai 2020 (BayMBl Nr. 240, ber. Nr. 245, BayRS 2126-1-8-G), die zuletzt durch Verordnung vom 20. Mai 2020 (BayMBl Nr. 287) geändert worden ist, 5. der Fünften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. (Rn. 1)
8. (5. BayIfSMV) vom 29. Mai 2020 (BayMBl Nr. 304, BayRS 2126-1-9-G), die zuletzt durch Verordnung vom 16. Juni 2020 (BayMBl Nr. 338) geändert worden ist,. (Rn. 1)
9. der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) vom 19. Juni 2020 (BayMBl Nr. 348, BayRS 2126-1-10-G), die zuletzt durch § 1 der Verordnung vom 22. September 2020 (BayMBl Nr. 535) geändert worden ist,. (Rn. 1)
10. der Einreise-Quarantäneverordnung (EQV) vom 15. Juni 2020 (BayMBl Nr. 335, BayRS 2126-1-6-G), die zuletzt durch § 5 b der Verordnung vom 5. November 2020 (BayMBl Nr. 630) geändert worden ist,. (Rn. 1)
11. der Siebten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. (Rn. 1)
12. (7. BayIfSMV) vom 1. Oktober 2020 (BayMBl Nr. 562, BayRS 2126-1-11-G), die zuletzt durch § 1 der Verordnung vom 22. Oktober 2020 (BayMBl Nr. 601) geändert worden ist. (Rn. 1)
13. Zur Unzulässigkeit einer Popularklage gegen das Bayerische Infektionsschutzgesetz, mehrere Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen und die Einreise-Quarantäneverordnung vom 15. Juni 2020, weil kein objektives Interesse mehr an der Feststellung besteht, ob die angegriffenen, sämtlich außer Kraft getretenen Rechtsvorschriften mit der Bayerischen Verfassung vereinbar waren. (Rn. 1)
1. Der bayerische Normgeber, der aufgrund einer bundesrechtlichen Ermächtigung tätig wird, setzt Landesrecht und bleibt in den Bereichen, in denen das Bundesrecht ihm Entscheidungsfreiheit belässt, an die Bayerische Verfassung gebunden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die verfassungsgerichtliche Popularklage ist ein objektives Verfahren. Daher begründet nicht jede mögliche noch andauernde Rechtswirkung zum Nachteil Einzelner automatisch ein objektives Interesse an der Kontrolle von außer Kraft getretenem Recht im Rahmen einer Popularklage. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Grundrechte als Institution betroffen sind, etwa weil es um eine Vielzahl nicht abgeschlossener Fälle und nicht nur um einzelne Verfahren geht, in denen die Betroffenen auf Individualrechtsschutz zu verweisen sind. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Da nach einem Beschluss der Bayerischen Staatsregierung am 5.11.2024 Ordnungswidrigkeiten wegen Verstößen gegen die Corona-Rechtsvorschriften nicht mehr verfolgt werden und die bei den Verfolgungsbehörden anhängigen Verfahren eingestellt werden sollen, sind insoweit andauernde Rechtswirkungen für künftige Behörden- und Gerichtsentscheidungen auszuschließen. Ein objektives Feststellungsinteresse an einer Entscheidung im Popularklageverfahren gegen außer Kraft getretene Corona-Vorschriften kann deshalb hieraus nicht mehr abgeleitet werden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Coronavirus, außer Kraft getretene Rechtsvorschriften, Popularklage, Feststellungsinteresse, objektives Beanstandungsverfahren
Fundstellen:
BayVBl 2025, 843
BeckRS 2025, 31455
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Entscheidungsgründe
1
Die Antragsteller wenden sich mit ihrer am 24. April 2020 erhobenen und später mehrfach erweiterten Popularklage gegen zahlreiche Vorschriften, die der bayerische Gesetz- und Verordnungsgeber im Zeitraum von März bis Oktober 2020 zur Eindämmung der Corona-Pandemie erlassen hatte.
2
Im Einzelnen greifen sie folgende Gesetze und Verordnungen (die Verordnungen auch in während der Laufzeit geänderten Fassungen) an:
- das Bayerische Infektionsschutzgesetz (BayIfSG) vom 25. März 2020 (GVBl S. 174, BayRS 212-3-G), das mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft getreten ist,
- die Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 16. April 2020 (GVBl S. 214, BayMBl Nr. 205, BayRS 2126-1-5-G), die zuletzt durch Verordnung vom 28. April 2020 (GVBl S. 254, BayMBl Nr. 225) geändert worden und mit Ablauf des 3. Mai 2020 außer Kraft getreten ist,
- die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (3. BayIfSMV) vom 1. Mai 2020 (BayMBl Nr. 239, BayRS 2126-1-7-G), die zuletzt durch § 1 der Verordnung vom 7. Mai 2020 (BayMBl Nr. 247) geändert worden und mit Ablauf des 10. Mai 2020 außer Kraft getreten ist,
- die Vierte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 5. Mai 2020 (BayMBl Nr. 240, ber. Nr. 245, BayRS 2126-1-8-G), die zuletzt durch Verordnung vom 20. Mai 2020 (BayMBl Nr. 287) geändert worden und mit Ablauf des 29. Mai 2020 außer Kraft getreten ist,
- die Fünfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (5. BayIfSMV) vom 29. Mai 2020 (BayMBl Nr. 304, BayRS 2126-1-9-G), die zuletzt durch Verordnung vom 16. Juni 2020 (BayMBl Nr. 338) geändert worden und mit Ablauf des 21. Juni 2020 außer Kraft getreten ist,
- die Sechste Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) vom 19. Juni 2020 (BayMBl Nr. 348, BayRS 2126-1-10-G), die zuletzt durch § 1 der Verordnung vom 22. September 2020 (BayMBl Nr. 535) geändert worden und mit Ablauf des 3. Oktober 2020 außer Kraft getreten ist,
- die Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (Einreise-Quarantäneverordnung – EQV) vom 15. Juni 2020 (BayMBl Nr. 335, BayRS 2126-1-6-G), die zuletzt durch § 5 b der Verordnung vom 5. November 2020 (BayMBl Nr. 630) geändert worden und mit Ablauf des 8. November 2020 außer Kraft getreten ist,
- die Siebte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (7. BayIfSMV) vom 1. Oktober 2020 (BayMBl Nr. 562, BayRS 2126-1-11-G), die zuletzt durch § 1 der Verordnung vom 22. Oktober 2020 (BayMBl Nr. 601) geändert worden und mit Ablauf des 1. November 2020 außer Kraft getreten ist.
3
Die angegriffenen Verordnungen hatte das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege auf der Grundlage von § 32 Satz 1 (und bezüglich der Einreise-Quarantäne-Verordnung in Verbindung mit weiteren Vorschriften) des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Verbindung mit § 9 Nr. 5 der Delegationsverordnung (DelV) in der jeweiligen damals geltenden Fassung erlassen.
4
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit drei Urteilen vom 6. Oktober 2022 (20 N 20.794 – juris, BayVBl 2023, 224, GVBl 2023 S. 32; 20 N 20.853 – juris, GVBl 2024 S. 49, bestätigt durch BVerwG vom 15.2.2024 – 3 CN 18.22 – juris; 20 N 20.1023 – juris, GVBl 2024 S. 47, bestätigt durch BVerwG vom 15.2.2024 NVwZ 2024, 1174) festgestellt, dass § 2 Abs. 1, 4 und 5 2. BayIfSMV sowie § 4 Abs. 1 3. BayIfSMV wegen Verstoßes gegen das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot bzw. gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unwirksam waren.
5
1. Die Antragsteller machen geltend, das Bayerische Infektionsschutzgesetz und die angegriffenen Verordnungen verletzten im Ganzen und mit einzelnen ihrer Bestimmungen aus formellen sowie materiellen Gründen verschiedene Grundrechte und objektive Rechtssätze der Bayerischen Verfassung. Insbesondere würden die Grundrechte der Versammlungsfreiheit (Art. 113 BV), der Religionsfreiheit (Art. 107 Abs. 1 und 2 BV), der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Berufsfreiheit (Art. 101 BV), des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 118 Abs. 1 BV), der Ehe und Familie (Art. 124 Abs. 1 BV) und der Wissenschaftsfreiheit (Art. 108 BV) verletzt.
6
Das Bayerische Infektionsschutzgesetz sei schon nicht verfassungsmäßig zustande gekommen. Denn bei der Beschlussfassung im Landtag sei entgegen Art. 23 Abs. 2 BV nicht die Mehrheit seiner Mitglieder anwesend gewesen. Schon deshalb liege ein Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit vor. Zudem verletze das Gesetz das Konnexitätsprinzip und hätte nicht ohne die nach Art. 83 Abs. 7 BV erforderliche Anhörung der kommunalen Spitzenverbände erlassen werden dürfen. Darüber hinaus sei das gesamte Gesetz unausführbar, weil es die zuständige Behörde nicht in verfassungskonformer Weise bestimme. Art. 1 BayIfSG, wonach die Befugnisse des Gesetzes nur Anwendung finden, sobald die Staatsregierung den Gesundheitsnotstand festgestellt hat, verstoße gegen das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip sowie den Grundsatz der Gewaltenteilung, gegen das Verbot der Übertragung des Gesetzgebungsrechts und das Bestimmtheitsgebot. Im Übrigen fehle dem Freistaat Bayern die Gesetzgebungskompetenz für die geregelten Materien. Schließlich führten auch die einzelnen Eingriffsbefugnisse zu schweren, nicht gerechtfertigten Grundrechtseingriffen.
7
Mit Blick auf die Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen rügen die Antragsteller, sie seien unter Verstoß gegen die Notstandsregelung (Art. 48 BV), das Konnexitätsprinzip (Art. 83 Abs. 3 BV) und die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, zustande gekommen. Deshalb sei es ausnahmsweise zulässig, die Verordnungen insgesamt anzugreifen. Ferner sei das Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 BV verletzt. Aber auch inhaltlich seien die landesweit geltenden Verbote, Gebote und Beschränkungen angesichts der Entwicklung der COVID-19-Erkrankungen, die vor allem ältere und erheblich vorerkrankte Personen gefährdeten, nicht mehr verhältnismäßig und gegenüber der großen Mehrheit der Gesunden nicht zu rechtfertigen. Das gelte auch hinsichtlich der Einreise-Quarantäneverordnung. Insoweit rügen die Antragsteller insbesondere eine Verletzung der Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 101 BV), der Freiheit der Person (Art. 102 BV) bzw. der Freizügigkeit (Art. 109 BV) und der Grundrechte vor Gericht (Art. 104 Abs. 1 BV). Die durch die Regelungen der Einreise-Quarantäneverordnung normierten Verpflichtungen seien unverhältnismäßig. Außerdem dürfe in das Grundrecht der Freiheit der Person nur durch formelles Gesetz, nicht jedoch durch eine Rechtsverordnung eingegriffen werden. Die §§ 28 und 32 IfSG, auf die der Erlass dieser Verordnung gestützt worden sei, seien mit Art. 19 Abs. 1 Satz 2 bzw. Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Zudem werden Verstöße gegen Art. 83 Abs. 3, 6 und 7 BV sowie gegen das Bestimmtheitsgebot und das Transparenzgebot geltend gemacht.
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2. Die Bayerische Staatsregierung hält die Popularklage im Wesentlichen für unzulässig, im Übrigen für unbegründet.
9
Der Bayerische Landtag hat sich nur hinsichtlich des Bayerischen Infektionsschutzgesetzes am Verfahren beteiligt. Er hält die Popularklage insoweit für unbegründet.
10
3. Die Antragsteller haben im vorliegenden Verfahren zu ihrer Popularklage verschiedene Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, zu denen insgesamt fünf Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ergangen sind. Mit Entscheidung vom 8. Juni 2020 (VerfGHE 73, 103) hat der Verfassungsgerichtshof den Vollzug des § 21 Nr. 7 5. BayIfSMV insoweit vorläufig ausgesetzt, als sich diese Ordnungswidrigkeitenvorschrift über Verweisungen auf § 1 Abs. 1 5. BayIfSMV bezog; im Übrigen hat er den zugrunde liegenden, gegen Vorschriften der Fünften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung gerichteten Antrag abgewiesen. Die weiteren Anträge auf vorläufige Außervollzugsetzung hat er mit Entscheidungen vom 8. Mai 2020 (VerfGHE 73, 80 – Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung), 15. Mai 2020 (VerfGHE 73, 99 – Vierte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung), 3. Juli 2020 (VerfGHE 73, 134 – Bayerisches Infektionsschutzgesetz und Vorschriften der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung) und vom 12. August 2020 (VerfGHE 73, 214 – Einreise-Quarantäneverordnung und Vorschriften der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung; nachfolgend BVerfG vom 13.9.2022 BayVBl 2023,11) abgewiesen. Auf die Sachverhaltsdarstellungen der Entscheidungen wird ergänzend Bezug genommen.
11
Die Popularklage, die sich ausschließlich gegen nicht mehr geltendes Recht richtet, ist insgesamt unzulässig geworden, weil es inzwischen mangels objektiven Feststellungsinteresses an einem zulässigen Antragsgegenstand fehlt. Ob oder inwieweit der Antrag in zulässiger Weise erhoben worden ist, kann dahinstehen.
12
1. Sowohl bei dem Bayerischen Infektionsschutzgesetz als auch bei den weiter angegriffenen Verordnungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie handelt es sich um Rechtsvorschriften des bayerischen Landesrechts, deren Verfassungswidrigkeit jedermann durch Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof (Popularklage) geltend machen kann (Art. 98 Satz 4 BV und Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG). Dem steht nicht entgegen, dass die Verordnungen auf einer bundesrechtlichen Ermächtigung beruhten. Denn der bayerische Normgeber, der aufgrund einer bundesrechtlichen Ermächtigung tätig wird, setzt Landesrecht und bleibt in den Bereichen, in denen das Bundesrecht ihm Entscheidungsfreiheit belässt, an die Bayerische Verfassung gebunden (vgl. VerfGH vom 27.9.2023 BayVBl 2024, 78 Rn. 34 zur 4. BayIfSMV). Die angegriffenen Rechtsvorschriften sind jedoch kein zulässiger Prüfungsgegenstand im Popularklageverfahren mehr.
13
Der Verfassungsgerichtshof hat bei der Prüfung, ob eine Rechtsvorschrift verfassungswidrig ist, seiner Beurteilung grundsätzlich den Rechtszustand im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Außer Kraft getretene Rechtsvorschriften unterliegen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle nur dann, wenn noch ein objektives Interesse an der Feststellung besteht, ob sie mit der Bayerischen Verfassung vereinbar waren. Der Verfassungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein solches Interesse insbesondere dann bestehen kann, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Rechtsnorm noch rechtliche Wirkungen entfalten kann, weil sie für künftige (z. B. gerichtliche) Entscheidungen noch rechtlich relevant ist (vgl. VerfGH vom 30.8.2017 VerfGHE 70, 162 Rn. 75; vom 20.8.2019 VerfGHE 72, 157 Rn. 18; vom 7.12.2021 VerfGHE 74, 265 Rn. 41; vom 14.6.2023 - Vf. 15-VII-18 – juris Rn. 51; BayVBl 2024, 78 Rn. 36, jeweils m. w. N.; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 98 Satz 4 Rn. 14; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 98 Rn. 23). Ein objektives Interesse wird hingegen nicht allein dadurch begründet, dass die außer Kraft getretenen Vorschriften schwerwiegende Grundrechtseingriffe bewirkt haben oder ihre Geltungsdauer zu kurz war, um ein Popularklageverfahren in der Hauptsache durchzuführen (VerfGH BayVBl 2024, 78 Rn. 36; vom 18.12.2024 – Vf. 15-VII-17 – juris Rn. 28; vom 28.1.2025 – Vf. 2-VII-19 – juris Rn. 9).
14
Denn die Popularklage nach Art. 98 Satz 4 BV, die an die Antragsberechtigung geringe Anforderungen stellt (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG: „jedermann“) und keiner Fristbindung unterliegt, dient nicht in erster Linie dem Schutz der verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen, der unter Umständen auch bei überholten Grundrechtseingriffen nachträglichen – subjektiven – gerichtlichen Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren beanspruchen kann (vgl. BVerfG vom 3.3.2004 BVerfGE 110, 77/85 ff.; zur nachträglichen gerichtlichen Klärung in einem Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO vgl. BVerwG vom 22.11.2022 NVwZ 2023, 1000 Rn. 12 ff.). Die verfassungsgerichtliche Popularklage ist vielmehr – anders als die Verfassungsbeschwerde nach Art. 120 BV zum Schutz der eigenen Grundrechte – ein objektives Verfahren (vgl. VerfGHE 74, 265 Rn. 42; VerfGH vom 14.6.2023 – Vf. 15-VII-18 – juris Rn. 54 und 58; BayVBl 2024, 78 Rn. 36 m. w. N.; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 98 Rn. 8). Der Verfassungsgerichtshof soll im Popularklageverfahren über die Geltung der angegriffenen Norm entscheiden, nicht über konkrete Anwendungsfälle. Daher ist die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nicht in dem Sinn zu verstehen, dass jede mögliche noch andauernde Rechtswirkung zum Nachteil Einzelner automatisch ein objektives Interesse an der Kontrolle von außer Kraft getretenem Recht im Rahmen einer Popularklage begründet. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Grundrechte als Institution betroffen sind, etwa weil es um eine Vielzahl nicht abgeschlossener Fälle und nicht nur um einzelne Verfahren geht, in denen die Betroffenen auf Individualrechtsschutz zu verweisen sind (vgl. VerfGH vom 14.6.2023 – Vf. 15-VII-18 – juris Rn. 58; vom 18.12.2024 – Vf. 15-VII-17 – juris Rn. 28; vgl. auch VerfGH vom 13.3.2025 – Vf. 5-VIII-18 u. a. – juris Rn. 71 zur Verfahrenseinstellung nach Erledigterklärung).
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2. Danach ist die Popularklage insgesamt unzulässig. Es besteht kein objektives Interesse an einer nachträglichen verfassungsgerichtlichen Kontrolle des Bayerischen Infektionsschutzgesetzes und der angegriffenen Verordnungen, die alle außer Kraft getreten sind.
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a) Das erforderliche objektive Feststellungsinteresse fehlt zunächst, soweit sich die Popularklage gegen das Bayerische Infektionsschutzgesetz richtet.
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Das gilt mit Blick auf die durch Art. 9 a Abs. 2 BayIfSG in das Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz (GLKrWG) eingefügte Regelung, wonach die am 29. März 2020 im Zuge der allgemeinen Gemeinde- und Landkreiswahlen erforderlich gewordenen Stichwahlen ausschließlich als Briefwahlen durchzuführen waren (vgl. Art. 60 a GLKrWG) schon deshalb, weil der Verfassungsgerichtshof diese Rechtsvorschrift bereits in einem früheren Verfahren geprüft und ihre Verfassungsmäßigkeit festgestellt hat (VerfGH vom 28.9.2021 VerfGHE 74, 245 Rn. 37 ff.). Damit ist die Rechtslage insoweit geklärt. Eine erneute – wiederholende – Popularklage wäre nach ständiger Rechtsprechung nur dann zulässig, wenn ein grundlegender Wandel der Lebensverhältnisse oder der allgemeinen Rechtsauffassung eingetreten wäre oder wenn neue rechtliche Gesichtspunkte oder neue, in der früheren Entscheidung noch nicht gewürdigte Tatsachen geltend gemacht würden (VerfGH vom 21.12.2023 BayVBl 2024, 227 Rn. 14 m. w. N.). Das ist nicht der Fall.
18
Von den übrigen Vorschriften des Bayerischen Infektionsschutzgesetzes können schon während seiner Geltungsdauer keine grundrechtsrelevanten Rechtswirkungen ausgegangen sein, die noch fortwirken und ein Feststellungsinteresse begründen könnten. Dies hat der Verfassungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 28. September 2021 ausführlich dargelegt (vgl. VerfGHE 74, 245 Rn. 33 ff.). Denn die in diesem Gesetz enthaltenen Eingriffsbefugnisse wurden nicht „aktiviert“, weil die Staatsregierung während der gesamten Geltungsdauer des Gesetzes das Vorliegen eines Gesundheitsnotstands nicht festgestellt hatte (vgl. Art. 1 BayIfSG).
19
b) Ein objektives Feststellungsinteresse fehlt ferner, soweit sich die Popularklage gegen Vorschriften richtet, deren Unwirksamkeit der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in den oben unter I. genannten Entscheidungen im fachgerichtlichen Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO rechtskräftig und allgemein verbindlich festgestellt hat (vgl. VerfGH vom 1.7.2025 – Vf. 19-VII-20 – juris Rn. 24).
20
c) Hinsichtlich der übrigen mit der Popularklage angegriffenen Verordnungsbestimmungen ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass zu ihnen noch immer in relevantem Ausmaß behördliche oder gerichtliche Verfahren anhängig wären, für die es auf ihre Verfassungsmäßigkeit ankäme.
21
Insbesondere können die beanstandeten Rechtsvorschriften – anders als noch bei der mit Entscheidung vom 27. September 2023 inhaltlich geprüften allgemeinen Maskenpflicht nach §§ 8 und 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 4. BayIfSMV (VerfGH BayVBl 2024, 78 Rn. 37) – keine Rechtswirkungen mehr für eine Vielzahl noch nicht rechtskräftig abgeschlossener Ordnungswidrigkeitenverfahren entfalten. Denn nach einem per Pressemitteilung veröffentlichten Beschluss der Bayerischen Staatsregierung vom 5. November 2024 werden Ordnungswidrigkeiten wegen Verstößen gegen Corona-Rechtsvorschriften nicht mehr weiterverfolgt. Vielmehr sollen bei den zuständigen Verfolgungsbehörden anhängige Verfahren eingestellt werden und die Staatsanwaltschaften bei den Gerichten die Einstellung dort noch anhängiger Verfahren anregen. Bei bereits rechtskräftigen Bußgeldbescheiden findet keine weitere Vollstreckung statt, noch ausstehende Geldbußen werden erlassen (https://www.bayern.de/bericht-aus-der-kabinettssitzung-vom-5-november2024/). Damit sind insoweit noch andauernde Rechtswirkungen für künftige Behörden- oder Gerichtsentscheidungen auszuschließen. Etwaige Folgewirkungen einer verfassungsgerichtlichen Nichtigerklärung auf vollständig abgeschlossene Ordnungswidrigkeitenverfahren müssen in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben (vgl. näher VerfGH vom 2.7.2025 – Vf. 12-VII-20 – juris Rn. 13). Dass die angegriffenen Vorschriften möglicherweise den Gegenstand einer noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen fachgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. Art. 4 Satz 1 AGVwGO bilden, begründet bereits wegen der unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe kein objektives Interesse an einer Entscheidung im Popularklageverfahren nach Art. 98 Satz 4 BV, Art. 55 VfGHG (VerfGH BayVBl 2024, 78 Rn. 37).
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Für sonstige andauernde rechtliche Wirkungen nach dem Außerkrafttreten oder ein objektives Interesse aus anderen Gründen ist nichts ersichtlich. Das gilt umso mehr, als die beanstandeten Corona-Schutzmaßnahmen auf einer bundesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage beruhten und deshalb von vornherein nur einer eingeschränkten Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof unterliegen (vgl. VerfGH BayVBl 2024, 78 Rn. 45 ff., 69).
23
Ein fortbestehendes Feststellungsinteresse kann auch nicht mit der allgemeinen Erwägung begründet werden, im Fall einer erneuten Pandemie müsse wiederum mit vergleichbaren Beschränkungen auf infektionsschutzrechtlicher Grundlage gerechnet werden. Wie die im Verlauf der Corona-Pandemie zu beobachtende Dynamik des Infektionsgeschehens zeigt, die in wiederholten Präzisierungen der bundesgesetzlichen Vorgaben und in zahlreichen Neufassungen der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen ihren Niederschlag gefunden hat, ließe sich das Ergebnis der verfassungsrechtlichen Überprüfung von Grundrechtsbeschränkungen, die in einem länger zurückliegenden Zeitraum gegolten haben, nicht auf mögliche künftige Pandemielagen übertragen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der wissenschaftliche Erkenntnisstand zur Gefährlichkeit und zu den Verbreitungswegen eines bestimmten Virus wie auch zur Wirksamkeit von Schutzvorkehrungen fortlaufend weiterentwickelt, sodass die Prüfung der Vertretbarkeit und Verhältnismäßigkeit konkreter Vorsorgemaßnahmen immer nur mit Blick auf die jeweils aktuellen Umstände erfolgen kann.
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Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).