Titel:
Entschädigungsansprüche aus Enteignung, Richterliche Rechtsfortbildung, Enteignungsgleicher Eingriff, Aufopferungsansprüche, Amtspflichtverletzung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Verwaltungsgerichte, Ausgleichsanspruch, Gleichbehandlungsgrundsatz, Betriebsuntersagung, Entschädigungspflichtiger, Enteignender Eingriff, Elektronischer Rechtsverkehr, Einstweiliger Rechtsschutz, Feststellungsantrag, Einschätzungsprärogative, Vorrang des Primärrechtsschutzes, Ausschlusswirkung, Vertretbarkeitskontrolle, Gleichheitsgrundsatz
Schlagworte:
Klageabweisung, Entschädigungsanspruch, Betriebsschließung, Infektionsschutzmaßnahmen, Gleichbehandlungsgrundsatz, Primärrechtsschutz, Sonderopfer
Fundstelle:
BeckRS 2025, 31340
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 42.062.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Amtshaftungsansprüche sowie Ansprüche aus enteignungsgleichem, hilfsweise enteignendem Eingriff bzw. Art. 11 Abs. 1 BayLStVG i.V.m. Art. 87 BayPAG wegen von der Beklagten im Rahmen der Covid -19 Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 angeordneten Betriebsschließungen und betrieblichen Einschränkungen.
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Die Klägerin ist die ... der ... mit Sitz in ... , zu welcher die in Deutschland tätigen Handelsunternehmen ... (nachfolgende ...) und die ... (nachfolgend: ...) gehören.
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Die Klägerin macht mit dieser Klage als ... die ihr von diesen beiden Konzerngesellschaften abgetretenen Ansprüche auf Ersatz von Verlusten geltend, die diesen infolge von vom beklagten Land angeordneten Geschäftsschließungen und -beschränkungen während der Covid 19 – Pandemie im Zeitraum vom 16.03.2020 – 19.04.2020 (im Weiteren: „Lockdown I“) und 16.12.2020 bis 22.04.2021 („Lockdown II“) entstanden sein sollen.
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Im einzelnen handelte es sich um folgende Regelungen:
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Mit Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege sowie für Familie, Arbeit und Soziales (StMGP) vom 16. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 143), geändert durch Bekanntmachung vom 17. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 148), wurde mit Wirkung zum 18. März 2020 auf Grundlage des § 28 Abs. 1 Satz 2 a.F. des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) zeitlich befristet bis einschließlich 30. März 2020 die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art untersagt (Nr. 5 in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. März 2020). Hiervon ausgenommen waren der Lebensmittelhandel, Getränkemärkte, Banken, Apotheken, Drogerien, Sanitätshäuser, Optiker, Hörgeräteakustiker, Filialen der DP AG, Tierbedarf, Bau- und Gartenmärkte, Tankstellen, Reinigungen und der Online-Handel. Die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden waren ermächtigt, auf Antrag Ausnahmegenehmigungen für andere für die Versorgung der Bevölkerung unbedingt notwendige Geschäfte zu erteilen. Die verfahrensgegenständliche Regelung lautet wörtlich:
„4. Untersagt wird die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art. Hiervon ausgenommen sind der Lebensmittelhandel, Getränkemärkte, Banken, Apotheken, Drogerien, Sanitätshäuser, Optiker, Hörgeräteakustiker, Filialen der DP AG, Tierbedarf, Bau- und Gartenmärkte, Tankstellen, Reinigungen und der Online-Handel. Die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden können auf Antrag Ausnahmegenehmigungen für andere für die Versorgung der Bevölkerung unbedingt notwendige Geschäfte erteilen, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist. Die Öffnung von Einkaufszentren und Kaufhäusern ist nur für die in Ziffer 4 genannten Ausnahmen erlaubt.
5. Ist zur Versorgung der Bevölkerung mit existenziellen Gütern eine Öffnung nach Ziffer 4 gestattet, so sind die Öffnungszeiten abweichend von § 3 LadSchIG: a) an Werktagen von 6.00 bis 22.00 Uhr b) an Sonn- und Feiertagen von 12.00 bis 18.00 Uhr.“
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In der Begründung der Allgemeinverfügung wurde unter Verweis darauf, dass die WHO am 11. März 2020 das Ausbruchsgeschehen des Coronavirus (SARS-CoV-2) als Pandemie bewertete, ausgeführt, es bestehe weltweit, deutschlandweit und bayernweit eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation mit einer starken Zunahme der Fallzahlen innerhalb weniger Tage. Auch in Bayern zeigten sich vermehrt Erkrankungsfälle in allen Regierungsbezirken. Es handele sich um eine sehr infektiöse Erkrankung mit teils schweren oder tödlichen Krankheitsverläufen, insbesondere bei älteren Menschen und solchen mit Vorerkrankungen, gegen die weder eine Impfung noch eine spezifische Therapie verfügbar sei. Es müssten alle Maßnahmen ergriffen werden, um die Ausbreitung zu verlangsamen, damit die Belastung für das Gesundheitswesen reduziert und die medizinische Versorgung sichergestellt werden könne. Es gehe dabei auch um die Entkopplung der Coronawelle von der noch anhaltenden Influenzawelle. Eine Verlangsamung der Ausbreitung diene der Vermeidung der Überlastung der medizinischen Versorgungssysteme. Die zeitlich befristete Regelung sei verhältnismäßig und trage dem Vorrang des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung Rechnung.
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Die Schließung des Einzelhandels sei erforderlich, da sonst über die dortigen Kontakte eine Weiterverbreitung des Virus erfolge. Unter Abwägung der Sicherstellung der Versorgung einerseits und der Infektionsrisiken andererseits seien Ausnahmen für bestimmte Bereiche des Einzelhandels genannt und den Kreisverwaltungsbehörden das Recht eingeräumt, weitere Ausnahmen zu erteilen (vgl. zum Volltext mit Begründung BayMBL 20202 Nr. 143, vorgelegt als Anlage K3).
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Die o.g. Allgemeinverfügung wurde mit Wirkung zum 31.03.2020 durch die „Bayerische Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona – Pandemie (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung)“ vom 27.03.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 158, vorgelegt als Anlage K4) abgelöst. Unter Verweis auf § 32 IfSG i.V.m. § 9 Nr. 5 der Delegationsverordnung in der Fassung vom 13.01.2020 sowie § 28 Abs. 1 IfSG a.F. regelte das beklagte Land, dort unter § 2 Abs. 4 folgendes:
„§ 2 Betriebsuntersagungen
(4) Untersagt ist die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art. Hiervon ausgenommen sind der Lebensmittelhandel, Getränkemärkte, Banken, Apotheken, Drogerien, Sanitätshäuser, Optiker, Hörgeräteakustiker, Filialen der DP AG, Tierbedarf, Tankstellen, Reinigungen und der Online-Handel. Die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden können auf Antrag Ausnahmegenehmigungen für andere, für die Versorgung der Bevölkerung unbedingt notwendige Geschäfte erteilen, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist. Die Öffnung von Einkaufszentren und Kaufhäusern ist nur erlaubt, soweit die in Satz 2 genannten Ausnahmen betroffen sind.“
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Im Zeitraum vom 20.4.2020 – 03.05.2020 waren in § 2 Abs. 4 weitere Ausnahmen aufgenommen, unter anderem für Ladenlokale mit Flächen unter 800 m², was auch die meisten Filialen der Klägerin betraf, weswegen Verluste aus diesem Zeitraum nicht geltend gemacht werden.
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Zunächst blieben die Unternehmen der Klägerin untätig, da der Lockdown I nur für 2 Wochen angekündigt war. Als der Lockdown sukzessive verlängert wurde, beantragten ... und ... hiergegen keine Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, weil sie davon ausgingen, dass die von anderen Unternehmen eingeleiteten Eilverfahren eine rechtliche Klärung bringen würden.
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Am 16.12.2020 trat die 11. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) in Kraft. Sie stützte sich auf den neu eingeführten § 28a IfSG, der als Maßstab für die von den Ländern zu ergreifenden Schutzmaßnahmen die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Corona Virus „Sars Cov 2“ je 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen (sog. 7-Tage-Inzidenz) vorgab, wobei bei einer Überschreitung von 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern breit angelegte und ab 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern umfassende Schutzmaßnahmen ergriffen werden sollten. Bundesrechtliche Vorgaben hinsichtlich konkreter Maßnahmen im Einzelfall gab es für die Länder nicht.
§ 12 der 11. BayIfSMV in der Fassung von 16.12.2020 bis 10.01.2021 enthielt folgende Regelung:
„Die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr und zugehörige Abholdienste sind untersagt. Ausgenommen sind der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Baby Fachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, der Verkauf von Presseartikeln, Tierbedarf und Futtermittel, der Verkauf von Weihnachtsbäumen und sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte sowie der Großhandel (…)“.
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Für nach Satz 2 zulässigerweise geöffnete Betriebe und den Großhandel sah die Regelung zudem einen Mindestabstand zwischen den Kunden von 1,5 m, eine Höchstzahl von Kunden pro m², eine Maskenpflicht und die Ausarbeitung eines Schutz- und Hygienekonzepts vor.
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Die Beklagte gab zur Begründung an, Ziel der Untersagungen hinsichtlich des Einzelhandels sei eine Eindämmung des Infektionsgeschehens durch Flankierung der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Gerade im Bereich des Einzelhandels komme es zu zahlreichen zufälligen Kontakten unterschiedlichster Personen. Eine Nachverfolgbarkeit von Kontaktpersonen sei unter diesen Rahmenbedingungen kaum möglich. Die Schließung von Ladengeschäften mit Ausnahmen führe zu einer Vermeidung zahlreicher zufälliger Kontakte und trage dazu bei, die Infektionsdynamik einzugrenzen.
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Die 11. bayerische Infektionsschutzmaßnahmen Verordnung vom 15.12.2020 wurde in der Folge mehrfach geändert. So wurde zwischen 11.01.2021 und 17.01.2021 die Abholung vorbestellter Waren in Ladengeschäften in Form des “click & collect“ erlaubt; ab dem 15.02.2021 war der Betrieb von Pfandleihhäusern gestattet, ab dem 24.02.2021 wurde die Liste der privilegierten Einzelhändler um Blumenfachgeschäfte, Gartenmärkte, Gärtnereien, Baumschulen und Baumärkte erweitert. Ab 28.02.2021 durften wieder Dienstleistungen von Friseuren und (in eingeschränktem Umfang) von Kosmetikstudios angeboten werden. Die 11.
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Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung trat am 7.3.2021 außer Kraft.
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Am 08.03.2021 trat die 12. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 05.03.2021 in Kraft. § 12 Abs. 1 enthielt folgende Regelung:
„In Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen eine 7-Tage-Inzidenz von 100 überschritten wird, ist die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr für Handels-, Dienstleistungs- und Handwerksgewerbe untersagt. Ausgenommen sind der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, TV Fachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Pfandleihhäuser, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, Blumenfachgeschäfte, Gartenmärkte, Gärtnereien, Baumschulen, Baumärkte, der Verkauf von Presseartikeln, Versicherungsbüros, Buchhandlungen, Tierbedarf und Futtermittel und sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte sowie der Großhandel. Der Verkauf von Waren, die über das übliche Sortiment des jeweiligen Geschäfts hinausgehen ist untersagt (…)“.
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Für die nach Satz 2 zulässigerweise geöffneten Betriebe und den Großhandel galten weitere Einschränkungen in Gestalt von Mindestabständen, Beschränkungen der Kundenanzahl im Ladengeschäft, FFP 2 – Maskenpflicht in und vor den Verkaufsräumen sowie die Pflicht zur Erstellung von Schutz- und Hygienekonzepten.
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Vorgesehen war ferner abweichend von Satz 1 die Abholung vorbestellter Ware in Ladengeschäften.
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Bei einer Inzidenz zwischen 50 und 100 bestand zusätzlich die Möglichkeit der Öffnung von Ladengeschäften für einzelne Kunden nach vorheriger Terminbuchung für einen fest begrenzten Zeitraum (“click & meet“). Bei einer 7-Tage-Inzidenz von unter 50 war abweichend die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr entsprechend Satz 4 (beschränkte Kundenzahl, Hygienekonzept, Maskenpflicht) zulässig. Die Möglichkeiten für „click & meet“ bzw. für eine Öffnung waren nur äußerst vereinzelt gegeben, da im fraglichen Zeitraum die 7-Tages-Inzidenz stets über 50 und ab 19. März über 100 lag.
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Durch die „Verordnung zur Änderung der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung“ vom 09.04.2021 (BayMBI. 2021 Nr. 261) wurde § 12 Abs. 1 neu gefasst. In Satz 1 wurde der 7-Tages-Inzidenz-Grenzwert von 100 auf 50 abgesenkt.
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Weiter wurde die Generalklausel der „sonstigen für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfte“ gestrichen und Absatz 1 Satz 2 dahingehend neu gefasst, dass Blumenfachgeschäfte, Gartenmärkte, Gärtnereien, Baumschulen, Baumärkte und Buchhandlungen nicht länger dem privilegierten Einzelhandel zugerechnet wurden. Zur Begründung wurde angegeben, dass Regel-/ Ausnahmeverhältnis müsse klarer gefasst werden, damit nicht über die ausdrücklich geregelten Fälle hinaus ungeregelte Bezugsfälle geschaffen werden und damit eine schleichende, vom Verordnungsgeber nicht beabsichtigte Ausweitung der inzidenzunabhängig geöffneten Ladengeschäfte stattfindet. Ferner wurde die Möglichkeit geschaffen, bei einer Inzidenz zwischen 100 und 200 Kunden nach voriger Terminbuchung einzulassen, sofern sie einen höchstens 24 Stunden alten POC-Antigentest oder Selbsttest vorlegen.
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Da die 7-Tages-Inzidenz in Bayern im Zeitraum vom 08.03.2021 bis zum 22.04.2021 stets über dem Wert von 50 und ab dem 19.03.2021 über dem Wert von 100 lag, konnten ... und ... nur unter den zusätzlich verschärften Vorgaben des § 12 Abs. 1 Satz 7 Nr. 3 ein „click& meet“ anbieten. Hierfür musste der Kunde vor Einlass einen Nachweis über ein negatives Ergebnis eines vor höchstens 24 Stunden vor dem Termin vorgenommenen POC-Antigentests oder Selbsttests oder eines vor höchstens 48 Stunden vorgenommenen PCR-Tests vorlegen.
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Am 21.04.2021 beschloss der Bundestag eine Änderung des IfSG (die sogenannte „Bundesnotbremse“). Diese Änderung trat am 23.04.2021 in Kraft, weswegen ab diesem Zeitpunkt von der Klägerin keine Entschädigungsansprüche gegen den Beklagten geltend gemacht werden.
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Am 22.02.2021 reichten ... und ... einen Normenkontroll-Eilantrag beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit dem Ziel ein, § 12 Abs. 1 der BayIfSmV in der damals gerade in Kraft befindlichen 11. Fassung für unwirksam zu erklären. Ferner wurde die Außervollzugsetzung im Wege einer einstweiligen Anordnung beantragt. Der Antrag bleibt erfolglos (Az. 20 NE 21.549 und NE 21.548, nicht veröffentlicht).
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Die Klägerin behauptet, sie sei von den o.g. Regelungen in Folge des Geschäftsmodells von ... und ... in besonderem Maß betroffen gewesen.
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Das Geschäftsmodell von ... bestehe in der Nahversorgung der Bevölkerung mit einem verlässlichen Dauersortiment in Filialgeschäften vor Ort zu extrem günstigen Preisen („Discounter“). Die günstigen Preise würden vor allem durch eine optimierte Beschaffung der Produkte in großen Mengen und zeitlich weit im Voraus (regelmäßig 6 – 9 Monate) erreicht. Es gebe z.B. keine nennenswerte eigene Lagerhaltung und die Filialleiter hätten auch keine eigene Sortimentsverantwortung für Nachbestellungsvorgänge. Die Zentrallogistik sei eine reine Durchschublogistik, in der die Waren nach Eingang einer Qualitätskontrolle unterzogen und unmittelbar für den Versand in die Filialen kommissioniert würden. Das Sortiment bestehe im Wesentlichen aus einem Dauersortiment mit Gegenständen des Drogeriebedarfs, Lebensmitteln (z.B. Getränke, Süßigkeiten, Chips und andere Snacks), Haushaltswaren, Tierbedarf, Schreib- und Bastelwaren, Werkzeug- und Gartenbedarf, Dekoration, Kosmetik und Spielwaren. Das Sortiment werde durch saisonale Angebote (Karneval, Ostern, Frühling/Sommer, Schulbeginn, Halloween, Advent/Weihnachten, Winter) ergänzt.
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Auch bei ... gebe es keine nennenswerte eigenen Lagerhaltung. Die Filialen erhielten ihre Waren wie bei ... im zentral gesteuerten Nachschubsystem und nähmen keine Bestellungen vor. Das Sortiment bestehe zu rund 40% aus Textilien (Damen, Herren, Kinder) mit im Wesentlichen Basic-Sortimenten und verhältnismäßig geringem „Fashion“-Anteil. Die übrigen rund 60% des Sortiments bestünden aus nahezu allen Produktgruppen des Haushaltsbedarfs (Haushaltswaren, Garten, Deko, Reisegepäck, Taschen, Schul-/ Bürobedarf, Elektrokleingeräte, Party, Badezimmer-Accessoires, Drogerie- und Kosmetik, Kurzwaren, Strick- und Häkelzubehör, Heimtextilien, Getränke, Süßigkeiten, Chips – etc.).
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Besondere Zielgruppe beider Unternehmen seien Menschen mit niedrigem Einkommen. Eine alternative, wenn auch teurere Einkaufsmöglichkeit für die Kunden von ... und ... seien Teilbereiche des Sortiments in Lebensmittelmärkten sowie die großen Verbrauchermärkte wie etwa ... oder ... .
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Schon nach damaligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sei unklar gewesen, warum allein auf der Basis eines Inzidenzwerts schematisch Schließungsmaßnahmen verhängt werden sollten, obgleich noch nicht einmal klar war, wo überhaupt die Infektionen stattfinden. Das Verhängen von behördlichen Maßnahmen allein wegen eines Inzidenzwerts sei epidemiologisch nicht zu rechtfertigen gewesen, selbst im Lebensmittelhandel habe es keine dokumentierten Ausbrüche oder gar „Super-Spreader-Events“ gegeben.
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Dementsprechend habe auch das RKI in seiner Veröffentlichung „Strategie und Handreichung zur Entwicklung von Stufenkonzepten“ (vorgelegt als Anlage K9) bereits am 18.02.2021 ausgeführt, dass das Infektionsrisiko im Einzelhandel niedrig, der Anteil am gesamten Transmissionsgeschehen niedrig und der direkte public health Einfluss (auf die Rate schwerer Erkrankungen und Todesfälle) niedrig bzw. nur indirekt sei.
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Insgesamt habe bei den Verordnungsgebern entsprechend dem Beschluss der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidentin und Ministerpräsidenten vom 03.03.2021 ein Kenntnisstand bestanden, nach dem noch nicht erwiesen war, dass Kontakt im Rahmen des Einkaufs im Einzelhandel zu relevanten Ansteckungszahlen führe, es kein relevantes Problem unzureichender Kapazitäten im Bereich der Intensivbetten gegeben habe und für einen Großteil der Infektionen nicht einmal erwiesen gewesen sei, was überhaupt der Ursprung des Infektionsgeschehens sei.
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Die Klägerin behauptet des weiteren, es sei zur Verringerung des Infektionsrisikos epidemiologisch unsinnig, sogar kontraproduktiv gewesen, die Filialen ihrer Handelsunternehmen zu schließen und gleichzeitig weiterhin den Vertrieb von „non-food-Produkten“ (mit Einschränkungen) im Lebensmittelhandel zu erlauben. Es werde zwar nicht grundsätzlich in Abrede gestellt, dass das generelle Schließen von allen Einzelhandelsgeschäften und allen anderen Orten des Zusammentreffens von Personen möglicherweise geeignet wäre, die Krankheitsentwicklung zumindest vorübergehend zu dämpfen. Die teilweise Schließung des nonfood-Einzelhandels bei gleichzeitiger Offenhaltung des privilegierten Einzelhandels sei hingegen epidemiologisch nicht begründbar. Denn zum einen gebe es keine wissenschaftliche Untersuchung der Frage, ob die diskriminierende Differenzierung zwischen Lebensmittelgeschäften mit non-food-Angebot und Geschäften wie denen der klägerischen Unternehmen epidemiologisch sinnvoll sei. Durch die Privilegierung des Lebensmittelhandels bei gleichzeitiger Schließung der Filialen der Klägerin seien zwei Personengruppen, nämlich Lebensmitteleinkäufer und Personen, die non-food-Produkte erwerben wollten, risikoerhöhend in Geschäften des Lebensmitteleinzelhandels konzentriert worden. Personen hätten non-foodProdukte im Lebensmitteleinzelhandel erworben, die sie ansonsten bei der Klägerin eingekauft hätten. Die Maßnahme hätte nicht tatsächlich zu Kontaktbeschränkungen geführt, sondern zu einer Konzentration der Kunden bei den privilegierten Vertreibern. Eine Kontaktreduzierung wäre durch eine Offenhaltung möglichst vieler Verkaufsflächen besser zu erreichen gewesen, weswegen ein Offenhalten des non-food-Handels die sinnvollere Vorgehensweise gewesen wäre. Soweit im Rahmen des „click & meet“ pro Kunde eine bestimmte Fläche freigehalten werden musste, seien die diesbezüglichen Differenzierungen zwischen dem privilegierten und dem nicht privilegierten Handel sachlich nicht begründbar gewesen (vgl. Klageschrift Rn. 523, Bl. 165 d.A.).
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Außerdem habe die Vorgehensweise zu Wettbewerbsverzerrungen geführt; denn der Klägerin aufgrund des Lockdowns entgangene Umsätze seien nicht zeitlich in eine Zeit dann wieder bestehenden allgemeinen Wettbewerbs nach hinten verschoben worden, sondern stattdessen einseitig zu Gunsten des privilegierten Handels umallokiert worden.
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Der Anteil der non-food-Artikel in den Werbeprospekten des Lebensmittelhandels habe sich während des Lockdown II fortlaufend erhöht. Supermärkte hätten dadurch Umsatzzuwächse verzeichnet. Das massive Umsatzwachstum des Lebensmitteleinzelhandels beruhe im Wesentlichen darauf, dass der Handel und Umsatz mit non-food-Artikeln von den geschlossenen non-food-Betrieben zum geöffneten privilegierten Lebensmitteleinzelhandel und anderen privilegierten Einzelhändlern verschoben wurde. Unternehmen wie ... und ..., ... ,..., ..., ... und ... hätten ihre non-food-Sortiment massiv ausgeweitet.
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Mit Nichtwissen werde bestritten, dass dies von den Behörden des Beklagten jemals kontrolliert und gegebenenfalls durchgesetzt worden wäre; insoweit bestehe ein strukturelles Vollzugsdefizit der Coronaschutzverordnungen.
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Diese Benachteiligung der Unternehmen ... und ... sei durch die Einführung von „click & collect“ bzw. „click & meet“ nicht behoben worden, weil diese Vertriebsmöglichkeit, ebenso wie der Online-Handel, angesichts des niedrigpreisigen Sortiments und der spezifischen Kundenstruktur von ... und ... keine wirtschaftliche Vertriebsmöglichkeit eröffnet hätten. Auch sei das Sortiment von ... und ... in der Breite nicht onlinefähig, der Onlinevertrieb sowie die damit einhergehenden Preissteigerungen würden von den Kunden nicht akzeptiert.
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Durch die Lockdownmaßnahmen hätten die Branchen Textilien, Bekleidung und Schuhe im Vergleich zu Haushaltsgeräten, Möbeln und Baumärkten erhebliche Umsatzeinbußen hinzunehmen gehabt. Bei Textilien, Bekleidung und Schuhen habe es Umsatzeinbrüche von deutlich über 50, sogar bis zu 70% gegeben, gerade dies vertreibe aber zum Beispiel ... schwerpunktmäßig. Die Umsätze der durch die Maßnahme des beklagten Landes sowie anderer Bundesländer geschlossenen Einzelhändler seien nicht ersatzlos entfallen, sondern hätten sich lediglich in den privilegierten Einzelhandel sowie den Onlinehandel verschoben. Die dort verfügbaren Waren seien weiter stark, wenn nicht gar stärker nachgefragt worden. Durch die Filialschließungen im Frühjahr 2020 und insgesamt seit Dezember 2020 habe sich die Bestellung neuer Waren erheblich reduziert, Eingänge bereits bestellter Ware hätten verschoben und mit Lieferanten über verlängerte Zahlungsziele verhandelt werden müssen. Bei jedem Lockdown habe es noch Monate lang regelmäßigen Warenzulauf gegeben, der nicht habe abverkauft werden können.
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Auch die Sortimentszusammensetzung hätten die Unternehmen aufgrund der akuten Notsituation nicht mehr anpassen können. Die richtige Zusammensetzung habe sich erst etliche Monate nach dem zweiten Lockdown wieder eingestellt. Darüber hinaus habe die Klägerin einen Vertrauensverlust der Warenlieferanten und weiteren Geschäftspartner erlitten. Im Ergebnis habe ... zusätzliche Lagerflächen anmieten müssen. Im gesamten Bereich der Logistik der Unternehmen habe das Hilfsinstrument der Kurzarbeit kaum genutzt werden können.
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Auch nach den Lockdowns hätten nachteilige Folgewirkungen bestanden. Der Sortimentmix sei nicht mehr passend gewesen. Hohe Warenbestände hätten weiterhin Lager- und Handlingkosten verursacht. Vorgesehene Investitionen hätten gestoppt oder verzögert werden müssen. Die Spätfolgen dauerten bis heute an.
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Infolge der Betriebsschließungen bzw. Betriebseinschränkungen hätten ... und ... Umsatzverluste erlitten, es seien zudem Folgekosten für Logistik/Handling, Rechtsberatung und Finanzierungsmehrkosten entstanden. Deswegen berechnete die Klägerin zunächst für ... einen (vorprozessual an die Klägerin abgetretenen) Entschädigungsanspruch (zusammengesetzt aus Umsatzverlusten abzüglich des durchschnittlichen Wareneinsatzes und sonstiger ersparter Kosten – etwa für Miete, Personal, Logistik und Nebenkosten sowie zuzüglich Folgekosten; vgl. Aufstellung Anlage K 35) wie folgt:
„- aufgrund des Lockdowns I auf
- aufgrund des Lockdowns II auf
d. h. in Summe inklusive Folgekosten i.H.v. EUR 523.000,00 EUR 29.718.000,00 (sic).“
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Der ursprünglich ... entstandene, von dieser an die Klägerin vorprozessual abgetretene, auf selber Basis berechnete Entschädigungsanspruch belaufe sich
- aufgrund des Lockdowns I auf
- aufgrund des Lockdowns II auf
EUR 10.876.000,00 d. h. in Summe inklusive Folgekosten i.H.v. EUR 207.000,00 auf EUR 13.925.000,00 (vgl. Aufstellung Anlage K36).
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Die Klägerin ist der Ansicht, es liege eine nicht begründbare Ungleichbehandlung der ... - und ... -Filialen gegenüber dem privilegierten Einzelhandel vor. Anders als in anderen Branchen, die alle gleichermaßen von Betriebsschließungen betroffen gewesen seien, würden diese ohne sachlichen Grund gegenüber der Konkurrenz benachteiligt, hierin liege ein entschädigungspflichtiges Sonderopfer. Der Anspruch ergebe sich aus enteignungsgleichem Eingriff, hilfsweise aus enteignendem Eingriff.
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Der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff beruhe auf einem rechtswidrigen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 GG in Gestalt des Schutzes des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs; auch ein Eingriff in die Berufsfreiheit des Art. 12 GG liege vor. Die Auswirkungen der Eingriffe seien einer zeitweisen Enteignung gleichgekommen, da es den Unternehmen untersagt war, ihre Geschäftsbetriebe und ihre sachlichen Betriebsmittel und angemieteten Filialen in der einzig in Betracht kommenden Art und Weise zu nutzen. Dies begründe die enteignende Wirkung. Denn der Unternehmensorganismus sei in Gänze auf Einzelhandel im Filialbetrieb ausgerichtet, aber praktisch nicht mehr nutzbar gewesen. Ein Nachholkauf sei angesichts der Produktstruktur der verkauften Ware nicht möglich.
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Der Eingriff in die Eigentumsfreiheit sei rechtswidrig gewesen, weil relevantes Tatsachenmaterial nicht hinreichend ermittelt und nicht alle zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft worden seien. Beurteilungen maßgeblicher Fachbehörden seien außer Acht gelassen, wissenschaftliche Studien nicht eingeholt worden. Man habe nicht beachtet, dass man mit den Schließungen und Beschränkungen keine infektiologisch relevanten Kontakte vermeide.
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Insbesondere stehe das Vorgehen des Beklagten im Widerspruch zur Einschätzung des RKI s. Dieses habe nach Stand vom 18.02.2021 den Anteil des Einzelhandels am Gesamtinfektionsgeschehen als niedrig ausgewiesen. Soweit das beklagte Land die Aufrechterhaltung eines funktionierenden Gesundheitssystems in Gestalt verfügbarer intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten gewährleisten wollte und dies als Begründung der streitgegenständlichen Rechtsverordnungen aufführt, sei von einer unzutreffenden und unzureichend ermittelten Tatsachengrundlage ausgegangen worden, dies zumal die Ermittlung der Zahl der gemeldeten Intensivbetten nicht kritisch hinterfragt worden sei; insoweit hätten für die Krankenhäuser Fehlanreize in Richtung auf die Angabe einer höheren Belegungsquote bestanden. Zudem sei allein die 7- Tage-Meldeinzidenz kein ausreichender Anknüpfungspunkt für eine Epidemielage.
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Es sei außerdem nicht klar genug erkennbar, was genau Ziel der Regelung gewesen sei. Die Eingriffe seien für die Zielerreichung nicht geeignet, sondern sogar kontraproduktiv gewesen, zumal da der Einkaufsvorgang in ihren Filialen infolge der Schutzmaßnahmen faktisch kontaktlos ablaufe und die Frequenz der Kunden niedrig im Verhältnis zur Fläche sei.
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Es existiere keine wissenschaftliche Evidenz, dass die Betriebsschließungen und Beschränkungen erforderlich gewesen wären, um den Infektionsschutz zu fördern, da vom Einzelhandel nur ein niedriges Infektionsrisiko ausgehe.
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Durch die Konzentration der Kunden auf den Lebensmittelhandel mit langen Aufenthaltszeiten im Bereich der Bedientheken und Kassen hätte sich die Infektionsgefahr erhöht.
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Die Eingriffe seien daher auch nicht verhältnismäßig im engeren Sinn gewesen.
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Die Eingriffe verstießen auch gegen das Gebot der Sach- und Systemgerechtigkeit des Art. 3 GG. Denn die Marktteilnehmer der Einzelhandelsbranchen seien ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedlich behandelt worden. Der Begriff des Lebensmittelhandels sei bereits in seiner Reichweite unklar. Das Ziel einer Kontaktreduzierung sei einseitig nur zulasten der reinen nonfood-Sortimente verfolgt worden, während der privilegierte Einzelhandel insoweit nicht belastet wurde, sondern von den staatlichen Eingriffen zulasten der Kläger in erheblichem Maße profitiert habe. Verboten worden sei nie der Vertrieb bestimmter Sortimente, sondern es sei nur bestimmten Grundrechtsträgern der Vertrieb dieser Sortimente untersagt gewesen, zumal solchen, die auf kein anderes Sortiment ausweichen konnten. Die Differenzierung sei ausschließlich nach der Art der Ladengeschäfte und nicht nach der Art der verkauften Ware erfolgt. Dies ergebe sich auch aus den jeweiligen „frequently asked questions“ (FAQ) des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, in denen von einer Abgrenzung nach Branchen die Rede sei. Im übrigen seien die FAQ auch nicht rechtsverbindlich.
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Großflächige Verbrauchermärkte mit entsprechender Sogwirkung seien durchgehend geöffnet geblieben. Auch in diesen Märkten hätte man die Waren-Sortimente unproblematisch trennen können, etwa durch Absperrungen. Denn es sei technisch nicht zu aufwendig, das Lebensmittelangebot vom anderen Sortiment so zu trennen, dass nur Lebensmittel erworben werden könnten.
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Im Lockdown II seien ab dem 16.12.2020 ohne nachvollziehbare Begründung auch Babyfachmärkte geöffnet worden, ebenso Blumenfachgeschäfte, Gartenmärkte, Gärtnereien und Baumschulen sowie Buchhandlungen.
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Es bestehe auch keine sachliche Rechtfertigung dafür, bei „click & meet“ im Vergleich zum privilegierten Einzelhandel schärfere Vorgaben für die zulässige Kundendichte zu machen.
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Der rechtswidrige Eingriff sei auch nicht durch ordnungsgemäße Kompensation der Schäden
„abgefangen“ worden. Denn eine Inhalts- und Schrankenbestimmung müsse eine Ausgleichsregelung enthalten, wenn sie ansonsten nicht den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit und des Gleichheitssatzes entspricht.
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Die Annahme eines Sonderopfers ergebe sich indiziell zum einen aus der Rechtswidrigkeit der Regelungen, zum anderen aber auch aus der Art der Ausgestaltung der Regelung zulasten der unternehmerischen Tätigkeit der Klägerin. Aufgrund der besonderen Kombination von Sortiment, Kundenstruktur und Vertriebsorganisation hätten sich die Eingriffe gravierender ausgewirkt als bei anderen von den Regelungen betroffenen Wettbewerbern.
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Aufgrund der Verfassungswidrigkeit der Regelungen wären diese in jedem Fall entschädigungspflichtig aufzuheben gewesen.
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Der Beklagte könne sich auch nicht erfolgreich darauf berufen, dass der Schaden bei rechtmäßigem Alternativverhalten (d.h. bei Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes) ebenso eingetreten wäre. Die Einlassung des Beklagten dahingehend, dass es auch dann nicht zur Öffnungen der Filialen der Klägerin, sondern vielmehr zu weitergehenden Beschränkungen der non-food-Sortimente des Einzelhandels gekommen wäre, sei spekulativ und lebensfremd. Denn auch während der Lockdowns habe weiterhin die Notwendigkeit der Versorgung der Bevölkerung mit non-food-Waren des täglichen oder jedenfalls wiederkehrenden Bedarfs bestanden. Eine Komplettschließung des non-food-Einzelhandels wäre daher keine realistische Option gewesen. Zumindest trage das beklagte Land die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Schaden bei den Unternehmen der Klägerin auch bei rechtmäßigem Verhalten der Beklagtenseite eingetreten wäre.
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Es bestehe des weiteren ein Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff, welcher entgegen der Ansicht des dritten Zivilsenats (BGH, Urteil vom 17. März 2022 – III ZR 79/21 –) nicht durch die Entschädigungsregelungen des IfSG verdrängt sei. Denn nach der Gesetzesbegründung ersetzten die Entschädigungsregelungen des IfSG nur den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Aufopferungsanspruch, dem damit insoweit keine lückenschließende Funktion mehr zukomme; weitergehende Ansprüche aus Amtshaftung blieben unberührt. Der allgemeine Aufopferungsanspruch werde für hoheitliche Eingriffe in nicht vermögenswerte Rechtsgüter der Bürger gewährt, um die es vorliegend nicht gehe.
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Soweit der BGH seine „Verdrängungstheorie“ darauf stütze, dass sich aus dem Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs keine Ansprüche zur Bewältigung eines Globalphänomens wie beim Auftritt massenhafter Schäden ableiten ließen, weil diese Rechtsprechung nur für einzelfallbezogene Eigentumsbeeinträchtigungen entwickelt worden sei, stehe dies einem Anspruch der Klägerin deswegen nicht entgegen, weil deren Unternehmen aufgrund ihrer sehr besonderen Produkt- und Zielkundenausrichtung in äußerst gravierender Weise benachteiligt gewesen seien.
60
Die Klägerin beantragte mit Klageerhebung zunächst:
1. Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin EUR 41.962.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin über den unter Ziffer 1. ausgeurteilten Betrag hinaus eine angemessene Entschädigung für sämtliche weitergehenden materiellen und immateriellen Schäden zu zahlen, welche der ..., und der ..., durch die Schließungsanordnungen und Beschränkungen des Kundenverkehrs
a) in der Zeit vom 16.03.2020 bis zum 30.03.2020 auf Grundlage der „Allgemeinverfügung zum Vollzug des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) Vollzug des Ladenschlussgesetzes (LadSchlG)“ vom 16.03.2020
b) in der Zeit vom 31.03.2020 bis zum 20.04.2020 auf Grundlage der „Bayerische Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung)“ des beklagten Landes in der jeweils geltenden Fassung, sowie
c) in der Zeit vom 16.12.2020 bis zum 23.04.2021 auf Grundlage der „Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung“ des beklagten Landes in der jeweils geltenden Fassung
61
Mit Schriftsatz vom 20.09.2024 (Bl. 332 f.) wurde der Klageantrag in Ziffer 1) auf der Basis von korrigierenden Berechnungen im Rahmen einer von der Klägerin in Auftrag gegebenen gutachterlichen Stellungnahme der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ... auf einen Betrag von 41.240.000 € reduziert und die Klage hinsichtlich der ursprünglichen, darüber hinausgehenden Entschädigungsansprüche zurückgenommen.
62
Der Beklagte beantragt
63
Der Beklagte trägt vor, die in den beanstandeten Allgemeinverfügungen bzw. Rechtsverordnungen vorgenommenen Betriebsschließungen seien zur Eindämmung der Covid 19 Pandemie geeignet, erforderlich und verhältnismäßig gewesen. Die Entscheidungen seien auch auf ausreichender Tatsachengrundlage getroffen worden.
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Bestritten werde, dass die Kunden der klägerischen Warenhäuser auf alternative Einkaufsmöglichkeiten ausgewichen seien; denn diese seien aufgrund der teureren Preise mit dem Niedrigpreissegment der klägerischen Unternehmungen nicht vergleichbar und damit für deren Kunden nicht attraktiv.
65
Der Beklagte bestreitet zudem, dass es infolge der Besonderheiten des Geschäftsbetriebs der klägerischen Unternehmen zu massiven Verschiebungen bei den Warenflüssen gekommen sei, die immer noch bestünden, ebenso die von der Klägerin geltend gemachten besonderen Schwierigkeiten beim Onlinehandel und bei click & meet, insbesondere im Hinblick auf ihre Kundenstruktur, ihr Handelskonzept und ihr Preissegment.
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Die Regelungen seien nicht unklar gewesen; Kaufhäuser hätten während des Lockdowns I ihre Lebensmittelabteilungen nur bei Schließung der übrigen off-house-Bereiche öffnen können. Bei Mischbetrieben wie Lebensmittelgeschäften mit non-food-Sortiment habe das Schwerpunktprinzip gegolten, d.h. diese durften insgesamt öffnen und das gesamte Sortiment zum Verkauf anbieten, wenn der Schwerpunkt der Tätigkeit im erlaubten Bereich gelegen habe.
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Dieses sog. Schwerpunktprinzip sei zwar in der Allgemeinverfügung vom 16.03.2020 und der (1.) BayIfSMV nicht ausdrücklich festgeschrieben gewesen, habe sich aber aus der jeweils gültigen Fassung der hierzu in den FAQ des StMGP veröffentlichten Positivliste ergeben. Es sei insofern auf die Privilegierung des Sortiments abgestellt worden und nicht auf die Art der Ladengeschäfte.
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Der Betrieb entsprechender Abteilungen sei im Übrigen vom Beklagten untersagt worden.
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Insofern sei auch nie unklar gewesen, was zum Lebensmittelhandel gehöre und was nicht. Vollzugsprobleme habe es nicht gegeben. Die Regelungen waren nach Auffassung des beklagten Landes wie folgt zu verstehen:
Während des „Lockdowns II“, also in der Zeit vom16.12.2020 bis einschließlich 22.04.2021, war für nach der jeweiligen Fassung des § 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV bzw. des § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV zulässigerweise geöffnete Geschäfte ausdrücklich geregelt, dass der Verkauf von Waren, die über das übliche Sortiment des jeweiligen Geschäftes hinausgingen, untersagt war (§ 12 Abs. 1 Satz 3 11. BayIfSMV bzw. § 12 Abs. 1 Satz 3 12. BayIfSMV). Dagegen war keine gesonderte Regelung mehr für Kaufhäuser enthalten, sondern nur mehr für Einkaufszentren (§ 12 Abs. 1 Satz 5 11. BayIfSMV bzw. § 12 Abs. 1 Satz 5 12. BayIfSMV). Für Mischbetriebe – worunter grundsätzlich auch Kaufhäuser fielen – galt jedoch wiederum das oben dargestellte sog. Schwerpunktprinzip, welches sich auch für die Zeit vom 16.12.2020 bis einschließlich 22.04.2021 nicht ausdrücklich aus der jeweiligen Fassung des § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV bzw. § 12 Abs. 1 12. BayIfSMV, sondern aus der jeweils gültigen Fassung der hierzu in den FAQ des StMGP veröffentlichten Positivliste ergab. Für Großbetriebsformen – worunter u.a. SB-Warenhäuser fielen – war in den Fassungen der o.g. Positivliste vom 16.12. und 21.12.2020 sowie vom 10.01. und 15.01.2021 jedoch eine Ausnahme von der Mischbetriebsregelung vorgesehen. Diese galt für Großbetriebsformen nicht, wenn nicht erlaubte Sortimente in eigenen, gut abgrenzbaren Abteilungen des Betriebs angeboten wurden. Diese Abteilungen waren vollständig zu schließen, jedoch konnten gut abgrenzbare Lebensmittelabteilungen geöffnet bleiben.
In den späteren Fassungen der im relevanten Zeitraum bis 22.04.2021 veröffentlichten Positivlisten war die Sonderausnahme von der Mischbetriebsregelung für Großbetriebsformen nicht mehr enthalten, so dass für die weitere Geltungsdauer der 11. BayIfSMV und die 12. BayIfSMV bis 22. April 2021 die dargestellte Mischbetriebsregelung auch auf Großbetriebsformen anwendbar war. Für diesen Zeitraum durften diese daher insgesamt öffnen und das gesamte Sortiment zum Verkauf anbieten, wenn der Schwerpunkt der Tätigkeit im erlaubten Bereich lag. Lag der Schwerpunkt der Tätigkeit dagegen im nicht erlaubten Bereich, durfte ausschließlich der erlaubte Teil weiterverkauft werden.
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Die Einhaltung der genannten Vorschriften sei durch Kontrollen der für den Vollzug des IfSG zuständigen Kreisverwaltungsbehörden sowie der Polizei sichergestellt worden (§ 65 S. 1 ZustV). Soweit die Klägerin meint, dass Discounter und andere ihre Privilegierung missbraucht hätten, um weiteres Sortiment anzubieten, habe die Beklagte dem durch Überwachungsmaßnahmen gegengesteuert.
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Nicht nachvollziehbar und falsch sei die Annahme der Klagepartei, bei Öffnung des gesamten Einzelhandels wären die Infektionszahlen insgesamt niedriger gewesen. Zum einen hätten sich nicht alle Kunden der nicht geöffneten Kaufhäuser in die privilegierten Geschäfte begeben, sodass schon die Prämisse falsch sei, dass sich dieselbe Anzahl von Kunden durch die Regulierung auf wenige privilegierte Ladengeschäfte verteilt und sich dort die Konzentration der Kundenkontakte erhöht habe. Ferner hätte eine unbeschränkte Öffnung im Einzelhandel auch nicht zu Kontaktverringerungen durch verminderte Konzentrationen in den Ladengeschäften beigetragen, sondern vielmehr die Kontaktmöglichkeiten erhöht, indem die Fläche hierfür angeboten wird. Denn viele und große Verkaufsflächen zögen auch deutlich mehr Kundschaft an. Während der beiden Lockdowns seien hingegen wegen des entsprechend geringeren Warenangebots deutlich weniger Kunden unterwegs gewesen; die Kunden hätten auf den Konsum verzichtet oder seien auf den Onlinehandel ausgewichen und hätten so die Kontakte insgesamt reduziert.
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Bei einer hypothetisch rechtskonformen Ausgestaltung der Coronaschutzverordnungen hätten die Filialen der Klägerin ebenfalls schließen müssen, da das beklagte Land dann dem privilegierten Einzelhandel den Verkauf von non-food, die auch ... und ... führen, untersagt hätte.
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Der Beklagte ist der Ansicht, der Schutzbereich des enteignungsgleichen Eingriffs sei nicht eröffnet, soweit dadurch durch Art. 14 GG geschützte Rechtspositionen der Zedenten betroffen seien. Es sei bereits zweifelhaft, ob die Beschränkungen der gewerblichen Tätigkeit überhaupt in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG eingreifen. Im Ergebnis sei die Situation der Klägerin, die pandemiebedingt für einen Zeitraum von wenigen Wochen bzw. Monaten Eingriffen und Einschränkungen in der Ausübung ihres gewohnten Geschäftsmodells ausgesetzt gewesen sei, nicht am Schutzbereich des Art. 14 Grundgesetz zu messen. Dies gelte auch insbesondere insoweit, als die Klägerin rügt, dass sie aufgrund ihrer Kundenstruktur keine Onlinebestellungen durchführen könne. Denn dies sei eine Auswirkung der spezifischen Ausgestaltung des Kundenstamms der Klägerin. Eine Rechtsordnung könne nicht auf jeden einzelnen Betrieb und dessen konkrete Ausgestaltung Rücksicht nehmen. Wenige Wochen dauernde Erschwernisse in Betriebsabläufe seien trotz ihrer unstreitig vorhandenen wirtschaftlichen Auswirkungen keine rechtlich relevanten Eingriffe. Das gelte auch dann, wenn man unterstelle, dass es durch die Schließung des non-food-Einzelhandels im privilegierten Einzelhandel ein geringes Umsatzplus und einen geringen Zusatzzuwachs gegeben haben sollte. Möglicherweise seien kontaktintensive Bereiche des Wirtschaftslebens durch die Möglichkeit einer Pandemie und darauf antwortende staatliche Infektionsschutzmaßnahmen „vorgeprägt“ und hätten damit auch länger andauernde Schutzmaßnahmen hinzunehmen. Insoweit seien mögliche Umsatzeinbußen der Unternehmen der Klägerin auch nicht zwingend auf die Untersagung zurückzuführen mit der Folge, dass diese staatlichem Handeln zugerechnet werden könnten; vielmehr habe sich die Gefahr der Pandemie realisiert.
74
Auch habe der BGH bislang stets eine Haftung für legislatives und weitestgehend auch für normatives Unrecht abgelehnt. Ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff bestehe deswegen nicht, weil dieses Institut nicht bei legislativem Unrecht eingreife und die vom BGH zur Ablehnung der Haftung für legislatives Unrecht entwickelte Argumentation im vorliegenden Fall auch auf untergesetzliche Regelungen anzuwenden sei; die Anwendbarkeit der Grundsätze sowohl des enteignungsgleichen wie auch des enteignenden Eingriffs widerspreche im vorliegenden Fall dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der die grundlegenden Entscheidungen über die Verwendung staatlicher Mittel, die zum Kern der parlamentarischen Rechte in einer Demokratie gehören, dem Haushaltsgesetzgeber übertragen habe. Diesem würde die freie Entscheidungskompetenz aus der Hand genommen. Für die Auswirkung auf den Entscheidungsspielraum des parlamentarischen Gesetzgebers sei es dabei unerheblich, welche Rechtsform der als entschädigungspflichtig angesehene staatliche Akt habe. Die Gewährung von Ausgleichsansprüchen durch die Zivilgerichte würde hier im Ergebnis darauf hinauslaufen, dass das den hoheitlichen Eingriff betreffende Gesetz kraft Richterrecht um eine Klausel für Ausgleichsleistungen ergänzt wird. Eine solche Befugnis stehe der Judikative nicht zu.
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Im Ergebnis seien Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt der Artikel 14 und 12 GG entschädigungslos hinzunehmen.
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Die Maßnahmen seien überdies nicht rechtswidrig gewesen. Sie hätten einem legitimen Zweck gedient, nämlich dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen und dem Erhalt der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems.
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Sie hätten auch auf ausreichenden und vertretbar bewerteten Erkenntnissen beruht. Anhand der vorliegenden Erkenntnisse, unter Berücksichtigung der Gesetzgebungsverfahren (u.a. auch zur „Bundesnotbremse“, der Beobachtung der gesamten Diskussion, durch Anhörung von Sachverständigen und Beobachtung der öffentlichen Diskussion habe der Beklagte für seine Entscheidungen alle relevanten Fakten zusammengetragen. Zu berücksichtigen sei insoweit, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse, auf die die Maßnahmen gestützt werden, die Eingriffe in Grundrechte bewirken, fortlaufend gewonnen, aufbereitet und auch korrigiert werden können und müssten. Der Gesetzgeber habe mit der Aufgabenzuweisung an das RKI (RKI) nach § 4 Abs. 1 IfSG institutionell dafür Sorge getragen, dass die zur Beurteilung von Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten benötigten Informationen erhoben und evaluiert worden seien. Das RKI habe die Gesundheitsgefahren aufgrund der epidemischen Lage noch im Lagebericht vom 22.04.2021 als sehr hoch eingeschätzt. Die damaligen Erkenntnisse gestatteten nach einhelliger Auffassung der sachkundigen Dritten keine eindeutigen Aussagen zur exakten Wirksamkeit verschiedener Schutzmaßnahmen. Der Normgeber müsse im Übrigen nicht erst dann tätig werden, wenn die Tatsachengrundlage für eine beabsichtigte Regelung in der Wissenschaft übereinstimmend als gesichert bewertet werde. Dies sei auch Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung zur „Bundesnotbremse“ gewesen.
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§ 12 Abs. 1 der 11. und 12. BayIfMV sei verhältnismäßig. Für die Eignung zum Schutz vor der unbegrenzten Ausbreitung des Coronavirus sei es nicht erforderlich, dass der Erfolg gesichert erscheine, es genüge die Möglichkeit der Zweckerreichung. Mit der Einstufung als Katalogmaßnahme gemäß § 28 Abs. 1 Nummer 14 IfSG habe der Gesetzgeber die Schließung des Einzelhandels als grundsätzlich geeignet typisiert. Denn das Schließen des Einzelhandels sei insbesondere dazu geeignet gewesen, das Zusammenkommen von Menschen dort zu verhindern und drohende Infektionsketten zu unterbrechen, wo es, wie auch im stationären Einzelhandel, zu Kontakten komme; dies gelte auch dann, wenn die Infektionsgefahr im Einzelhandel im Vergleich zu anderen Orten unterdurchschnittlich hoch sei.
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In Bezug auf die Erforderlichkeit der Schutzmaßnahme bestehe eine Einschätzungsprärogative des Normgebers. Die Ergebnisse der Prognose müssten einleuchtend begründet und plausibel sein. In der Begründung zur 11. BayfsMV habe der Verordnungsgeber nachvollziehbar dargelegt, dass sich das Infektionsgeschehen trotz der vorangegangenen 8., 9. und 10. Maßnahmenverordnung vor allem seit Anfang Dezember 2020 erheblich zugespitzt habe. Gerade im Ladengeschäft komme es erfahrungsgemäß zu zahlreichen zufälligen Kontakten unterschiedlichster Personen. Die Schließung von Ladengeschäften könne daher die Infektionsdynamik eingrenzen.
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Dem Verordnungsgeber stehe ebenso wie dem Normgeber im Falle von prognostischen Entscheidungen ein Spielraum für die Beurteilung sowohl der Eignung als auch der Erforderlichkeit und Angemessenheit zu, zweifelsfreie empirische Nachweise der Wirkung oder der Wirksamkeit der Maßnahmen seien dabei nicht zwingend vorausgesetzt.
81
Die gesetzgeberische Prognose über die Wirkung der Maßnahmen unterliege lediglich einer verfassungsgerichtlichen Vertretbarkeitskontrolle. Für den Verordnungsgeber könne insoweit nichts anderes gelten, auch dessen Einschätzungsspielraum sei nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar.
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Die Maßnahmen seien auch geeignet gewesen. Damit die Maßnahmen des Schutzkonzepts insgesamt ineinandergreifen und in der Fläche funktionieren, habe auch der non-foodEinzelhandel geschlossen werden müssen.
83
Das Abstellen auf Inzidenz als Grundlage der Entscheidung sei nicht überschießend, sondern sachgerecht. § 28 IfSG sei nach Inkrafttreten im November 2020 kontinuierlich geändert und angepasst worden. Allein, dass bei fortschreitender Pandemie sich auch Konzepte weiterentwickelten, spreche nicht dafür, dass frühere Konzepte nicht vertretbar gewesen seien.
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Die Schutzmaßnahmen seien auch angemessen gewesen. Sie seien übergangsweise im Hinblick auf die gesellschaftliche Situation veranlasst gewesen und müssten im Rahmen dieser besonderen Situation bewertet werden, auch in Abwägung zum Gesundheitsschutz. Der Wesenskern der Eigentumsfreiheit sei nicht betroffen, eine wirtschaftliche Entfaltung sei nur kurzfristig nicht unbeschränkt möglich gewesen. Zudem habe der Beklagte freiwillig finanzielle Hilfen angeboten.
85
Die Maßnahmen verstießen auch nicht gegen das in Art. 3 GG verankerte Gebot der Folgerichtigkeit und Systemgerechtigkeit. Denn der Verordnungsgeber sei nach § 28 Abs. 6 Satz 2 und 3 IfSG gehalten gewesen, die soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung der zu regelnden Sachverhalte zu berücksichtigen. Dem habe er durch seine Ausnahmeregelungen auch entsprochen. Bei der Ausrichtung der Lockerung der Schutzmaßnahmen orientiere sich der Gesetzgeber nicht allein am epidemiologischen Gefahrengrad, sondern auch an bestimmten Aspekten des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens, welche bei Lockerungen mehr oder weniger bedacht und gewichtet werden könnten. Eine sachwidrige Ungleichbehandlung liege daher auch nicht in der Privilegierung von Blumenfachgeschäften, Gärtnereien, Baumschulen oder Friseuren. Diesbezüglich habe ein Versorgungsinteresse in der Bevölkerung bestanden, das unter Abwägung der infektionshygienischen Risiken in diesen Sparten des Einzelhandels überwogen habe.
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Auch die 12. BayIfSMV verstoße nicht gegen Art. 3 GG. Denn die Regelungen hinsichtlich der Inzidenzen, der Hygienemaßnahmen, der PCR-Tests und der Abholung vorbestellter Waren in Ladengeschäften sei grundsätzlich für alle Ladengeschäfte mit Kundenverkehr gleich gewesen. Eine Privilegierung von Ladengeschäften zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs habe nur noch oberhalb einer Inzidenz von 200 bestanden. Damit sei einem im Vergleich zur Lage der vorangegangenen Lockerungen wieder deutlich bedrohlicheren Infektionsgeschehen Rechnung getragen worden.
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Die unterschiedliche Behandlung von Lebensmittelgeschäften sei dadurch gerechtfertigt, dass für die allgemeine Bevölkerung ein regelmäßiges Bedürfnis bestehe, ad hoc und ohne weitere Maßnahmen Lebensmittel erwerben zu können.
88
Im Übrigen seien die angegriffenen Regelungen der 11. und 12. BayIfSMV zu keinem Zeitpunkt von der Rechtsprechung bezogen auf die Anordnungen der Betriebsschließungen in § 12 Abs. 1 Satz 1 für rechtswidrig angesehen worden. Das Bundesverfassungsgericht habe vielmehr eine Verfassungsbeschwerde hierzu nicht zur Entscheidung angenommen, nachdem der BayVGH einen Eilantrag abgelehnt hatte. Hierzu wäre ein Hauptsacheverfahren nach § 47 Abs. 1 Nr.2 VwGO in Verbindung mit Art. 5 BayAGVwGO, Antrag auf verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle, einzuleiten gewesen, zumal dieser auch gegen eine bereits aufgehobenen Norm zulässig sei, die aufgrund kurzfristiger Geltung angelegt war und wegen Zeitablaufs außer Kraft getreten ist.
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Die Begrifflichkeiten, insbesondere des Lebensmittelhandels, seien auch nicht zu unbestimmt gewesen. Der Verordnungsgeber habe vielmehr durchaus auf die Sortimentsbezogenheit der betroffenen Unternehmen reagiert und insbesondere nicht Unternehmen mit Lebensmittelabteilungen grundsätzlich hinsichtlich aller angebotenen Waren privilegiert, sondern in beiden Lockdowns differenzierter Regelungen nach dem Schwerpunktprinzip beschlossen.
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Soweit man (entgegen dieser Ansicht) einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot annehmen würde, bestünde im übrigen kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verstoß und den durch die Betriebsschließungen entstandenen Umsatzverlusten. Wäre die Verordnung nämlich gleichheitswidrig gewesen, wäre eine gerichtliche Korrektur dieser Entscheidung dahingehend, dass das Verbot wegen des Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz aufgehoben wird, keineswegs zwingend. Diese käme nur dann in Betracht gekommen, wenn das normative Ermessen des Verordnungsgebers rechtmäßig nur in einem bestimmten Sinne ausgeübt werden könnte und sich mit Sicherheit annehmen lasse, dass der Verordnungsgeber bei Problembewusstsein den Anforderungen des Gleichbehandlungsgebots gerade in diesem Sinne Rechnung tragen würde.
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Im vorliegenden Fall hätte der Verordnungsgeber im Falle einer Außervollzugsetzung des § 12 der 11. oder 12. BayIfSMV nicht weitere Ausnahmen für zahlreiche Einzelhändler aufgenommen oder den Einzelhandel komplett freigegeben. Dies wäre infektionsschutzrechtlich unvertretbar gewesen. Allenfalls wären bestimmte Ausnahmen und / oder der Auffangtatbestand für die sonstigen, für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfte gestrichen worden.
92
Die Frage, ob eine Behörde den Verwaltungsakt bei ordnungsgemäßer Ausübung des ihr zustehenden Ermessens rechtmäßig hätte erlassen können, betreffe nicht den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens, sondern bereits die vorgelagerte Frage des Kausalzusammenhangs zwischen der Amtspflichtverletzung und dem Schaden, für die der Antragsteller die Darlegungs- und Beweislast trage.
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Die Kammer hat am 23.10.2024 mündlich zur Sache verhandelt. Hinsichtlich des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung so wie auf die Schriftsätze der Parteivertreter inklusive Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
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I. Die Klage ist zulässig. Die Zuständigkeit des Landgerichts München I ergibt sich aus §§ 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG, § 18 ZPO. Die Zulässigkeit erstreckt sich auch auf den Feststellungsantrag. Insoweit hat die Klägerin ihren nur sehr kursorischen schriftsätzlichen Vortrag dahingehend, dass sich die Betriebsschließungen und Betriebsbeschränkungen auch in Zukunft vermögensmindernd auswirken können, in der mündlichen Verhandlung durch den Hinweis ergänzt, dass ihre Unternehmen der Möglichkeit einer Rückforderung von pandemiebedingten Mietnachlässen ausgesetzt sein könnten, sodass das Vorliegen eines rechtlichen Interesses an alsbaldiger Feststellung möglicher Entschädigungsansprüche gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zumindest hinsichtlich materieller Entschädigungsansprüche ausreichend dargelegt ist.
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II. In der Sache erweist sich die Klage jedoch als unbegründet. Der Klagepartei steht der geltend gemachte Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
1. Ansprüche auf gesetzlich geregelter Grundlage
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Die grundsätzlich vorrangig gegenüber den auf richterliche Rechtsfortbildung beruhenden Instituten des enteignenden und enteignungsgleichen Eingriffs zu prüfenden gesetzlich geregelte Anspruchsgrundlagen für den Ersatz von Schäden aufgrund staatlicher infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen erfassen die vorliegend geltend gemachten Schäden nicht. Diese ergeben sich weder aus dem Infektionsschutzgesetz (dazu Ziffer 1.1) noch aus § 87 Abs. 1 PAG i.V.m. Art. 11 LStVG (dazu Ziffer 1.2) oder aus dem allgemeinen Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG. (dazu Ziffer 1.3).
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1.1. Der Gesetzgeber hat die staatliche Entschädigungspflicht für infektionsschutzrechtliche Maßnahmen im Grundsatz abschließend im Infektionsschutzgesetz geregelt. Die vorgesehenen Entschädigungsregelungen etwa des § 56 Abs. 1 IfSG (betreffend Verluste infolge von Berufsausübungsverboten für Ausscheider, Ansteckungsverdächtige, Krankheitsverdächtige oder sonstige Träger von Krankheitserregern im Sinne des § 31 Satz 2 IfSG) sind von vornherein nicht einschlägig für Dritte, die nicht zum Kreis der in § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Personen gehören, welche aber aufgrund von Betriebsuntersagungen auf der Basis von Landesverordnungen nach § 32 IfSG in Verbindung mit § 28 IfSG materielle Einbußen erlitten haben. Denn die entsprechenden Betriebsuntersagungen richten sich nicht an bestimmte Personen als infektionsschutzrechtliche Störer, sondern sie ergehen gegenüber einer Vielzahl unbestimmter Personen (BGH, Urt. v. 17.03.2022 – III ZR 79/21 Rn. 19; BeckOGK BGB/Dörr, 01.04.2023, BGB § 839 Rn. 1062; Shirvani DVBl 2021, 158 [159]). Auch eine Entschädigung aufgrund verfassungskonformer Auslegung des § 56 Abs. 1 IfSG kommt nicht in Betracht, denn dieser werden Grenzen durch den Wortlaut und den Gesetzeszweck gezogen (siehe hierzu BGH aaO. Rn. 21). Gleiches gilt für den Anspruch aus § 65 Absatz 1 IfSG. Danach ist eine Entschädigung in Geld zu leisten, soweit aufgrund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 IfSG Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht worden ist. Da § 65 IfSG auf die Vorschriften aus dem 4. Abschnitt des IfSG Bezug nimmt, umfasst die Entschädigung nur Maßnahmen, die zum Zweck der Verhütung übertragbarer Krankheiten getroffen wurden, nicht aber Maßnahmen zu deren Bekämpfung (BGH, aaO. Rn. 24 ff; BeckOK InfSchR/Kruse, 16. Ed. 08.04.2023, IfSG § 65 Rn. 9 IfSG § 65 Rn. 9; Tholl, Staatshaftung und Corona, Rn. 42). Vorliegend wurden jedoch sowohl die Allgemeinverfügung als auch die danach folgenden Verordnungen auf §§ 28 Abs. 1 und 32 IfSG gestützt. Die Maßnahmen wurden durch die Bundesländer erst angeordnet, nachdem bereits die WHO am 11.03.2020 den Covid-19-Ausbruch zu einer Pandemie erklärt hat. Mit Stand vom 11.03.2020 gab es in Bayern bereits 366 bestätigte SARS-CoV-2-Fälle und deutschlandweit insgesamt 1.567 bestätigte SARS-CoV-2-Fälle (https://edoc.rki.de/bitstream/h& le/176904/6507/11_2020_DOI_6535.pdf?sequence=1& isA llowed=y). Die Behörden handelten damit nicht präventiv im Vorfeld einer drohenden Pandemie, sondern haben Maßnahmen zur Krankheitsbekämpfung getroffen (so auch Schmidt/Winter/Thürk, Covid-19, 3. Aufl. 2021, § 22 Rn. 29). Daher ist § 65 Abs. 1 IfSG seinem Wortlaut nach nicht anwendbar.
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Ein Anspruch der Klagepartei auf Zahlung von Entschädigung aus einer analogen Anwendungung der § 56 und § 65 IfSG besteht nicht, da es insoweit an einer planwidrigen Regelungslücke bzw. an einer Wertungsgleichheit der Sachverhalte fehlt. Aus der Entstehungsgeschichte der Entschädigungstatbestände des Infektionsschutzgesetzes sowie aus der Gesetzgebungstätigkeit während der Corona – Pandemie ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber übersehen haben könnte, für auf § 28 Abs. 1
100
IfSG gestützte infektionsschutzrechtliche Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit keine Entschädigung vorgesehen zu haben. Den entsprechenden Regelungen liegt vielmehr das Konzept einer punktuellen Entschädigungsgewährung zugrunde. Der Gesetzgeber hat mit den Bestimmungen der §§ 56, 65 IfSG ein plangemäß vollständiges Entschädigungsregime geschaffen, das bewusst nur bestimmte Beeinträchtigungskonstellationen erfassen sollte (siehe hierzu ausführlich: BGH Urteil v. 17.03.2022 – III ZR 79/21, Rn. 40 ff.)
101
1.2 Der Klägerin steht auch kein Zahlungsanspruch aus § 87 Abs. 1 PAG i.V.m. Art. 11 LStVG zu. Ein Anspruch nach dieser Norm ist schon aufgrund fehlender Tatbestandsvoraussetzungen nicht gegeben. Eine Voraussetzung des Art. § 87 Abs. 1 PAG i.V.m. Art. 11 LStVG ist nämlich, dass die Polizei oder die im jeweiligen Gesetz bezeichnete Ordnungsbehörde die Maßnahme getroffen hat (Tholl, Staatshaftung und Corona, Rn. 73).
102
Infolge der Entpolizeilichung der Verwaltung gilt das PAG nur für die staatliche Vollzugspolizei (BeckOK PolR Bayern/Unterreitmeier, 22. Ed. 15.4.2023, LStVG Art. 11 Rn. 1). Art. 6 LStVG bezeichnet als Sicherheitsbehörden die Gemeinden, Landratsämter, Regierungen und das Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration. Vorliegend hat jedoch keine Sicherheitsbehörde i.S.d. LStVG gehandelt, sondern das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. Die betroffene Maßnahme beruht auf § 28 IfSG. Hinzu kommt, dass eine Sperrwirkung aufgrund der abschließenden Sonderreglungen des IfSG besteht. Da der Gesetzgeber mit den Bestimmungen der §§ 56, 65 IfSG bewusst ein nur bestimmte Beeinträchtigungskonstellationen erfassendes, gerade in dieser Beschränkung aber als planmäßig vollständig gedachtes Entschädigungsregime geschaffen hat, ist bereits nach der Spezialitätsregel kein Raum mehr für die Anwendung der Entschädigungsregelungen des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts. Als spezialgesetzliche Vorschriften der Gefahrenabwehr haben die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes Anwendungsvorrang und entfalten eine Sperrwirkung gegenüber den Regelungen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts (BGH, aaO. Rn. 52, BeckOGK BGB/Dörr, 01.04.2023, BGB § 839 Rn. 1075; Cornils, Entschädigung für Corona-Schutzmaßnahmen, II 3; s. auch LG Hannover NJW-RR 2020, 1226 Rn. 54 ff.; BeckRS 2020, 3484 Rn. 67 ff.).
103
1.3 Darüber hinaus besteht auch kein Entschädigungsanspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG. § 839 BGB regelt die Haftung von Personen, die bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes eine Pflicht verletzen.
104
Der Erlass der hier in Rede stehenden Allgemeinverfügung und Rechtsverordnung kann bereits keine der Klägerin gegenüber bestehende Amtspflicht verletzt haben. Denn insoweit fehlt es an der Drittbezogenheit. Ob der Geschädigte dabei Dritter ist, bestimmt sich danach, ob die Amtspflicht – wenn auch nicht notwendig allein, so doch gegebenenfalls neben der Erfüllung allgemeiner Interessen und öffentlicher Zweck – auch den Sinn hat, gerade sein Interesse wahrzunehmen (Tholl, Staatshaftung und Corona, Rn. 101). Dies ist vorliegend jedoch zu verneinen. Denn der Verordnungsgeber hat ausschließlich Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit wahrgenommen. Daran ändert auch die individuelle Betroffenheit der Klägerin nichts, denn das allein macht sie nicht zu „Dritten“ im Sinne der Vorschrift (siehe ebenso: BGH, aaO. Rn. 64 ff). Im Hinblick auf die behauptete Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung, die im Zeitraum 16.03.2020 bis 31.03.2020 galt (Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege sowie für Familie, Arbeit und Soziales (StMGP) vom 16. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 143), geändert durch Bekanntmachung vom 17. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 148)), fehlt es bzgl. eines Anspruchs nach § 839 BGB, Art. 34 GG schon an einer rechtswidrigen Amtspflichtverletzung. Zudem wäre ein Anspruch nach § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Insoweit kann auf die nachstehenden Ausführungen (Ziffern. 2.2.1 und 2.2.2) Bezug genommen werden, die entsprechend gelten.
105
2. Der Klägerin steht auch kein Zahlungsanspruch aus dem Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs oder des enteignungsgleichen Eingriffs zu.
106
Im Folgenden werden zunächst deren Anspruchsvoraussetzungen allgemein dargelegt (Ziffer 2.1.) und in der Folge differenziert nach den Maßnahmen des Lockdown I (ZIffer 2.2 und 2.3) sowie des Lockdowns II (Ziffer 2.4 und 2.5) erörtert.
2.1 Anwendungsvoraussetzungen der Ansprüche aus enteignungsgleichem und enteinendem Eingriff
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Die Ansprüche aus enteignendem Eingriff und des enteignungsgleichen Eingriffs sind gesetzlich nicht geregelt. Sie basieren vielmehr auf dem – vormals in §§ 74 f. des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten positiv-rechtlich normierten – allgemeinen Aufopferungsgedanken und entspringen richterrechtlicher Rechtsfortbildung (BGH, Urteil vom 10.12.1987 – III ZR 220/86, NJW 1988, 478, 479; Eibenstein, NVwZ, 2020, 930, 933).
108
Ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff setzt voraus, dass rechtswidrig in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition von hoheitlicher Hand unmittelbar eingegriffen wird, die hoheitliche Maßnahme also unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums herbeiführt, und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt wird (BGH, Urteil vom 11.01.2007 – III ZR 302/05, NJW 2007, 830, 833 mwN).
109
Eine Haftung aus enteignendem Eingriff kommt hingegen in Betracht, wenn eine an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahme bei einem Betroffenen zu – meist atypischen und unvorhergesehen – Nachteilen führt, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen (BGH, Urteil vom 19.01.2006 – III ZR 121/05, NVwZ 2006, 1086 mwN).
110
Rechtlich problematisch erscheint hinsichtlich beider Lockdownperioden die Frage der Anwendbarkeit des Instituts des enteignungsgleichen Eingriffs auf rechtswidrige untergesetzliche Regelungen.
111
Die öffentliche Hand haftet im Grundsatz nicht für die nachteilige Auswirkungen eines verfassungswidrigen formellen Gesetzes. Diese Haftungsbeschränkung betrifft jedoch nur verfassungswidrige formelle Gesetze und darauf gestützte Maßnahmen, nicht aber die Haftung für (rechtswidrige) untergesetzliche Maßnahmen, die aufgrund rechtswirksamer Gesetze ergangen sind. Insoweit bildet das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs die geeignete Grundlage für eine Staatshaftung für rechtswidirige untergesetzliche Normen, die an eigenen, nicht auf ein Parlamentsgesetz zurückgehenden Nichtigkeitsgründen leiden (vgl. BGH, Urteil v. 07.06.1990, III ZR 74/88). Es ist deswegen anerkannt, dass das Haftungsinstitut des enteignungsgleichen Eingriffs auch für Eingriffe durch Rechtsverordnungen und Satzungen, welche der vollziehenden Gewalt zuzuzählen sind, zur Anwendung kommen kann (BGHZ 111, 349 (352f., NJW 1990, 3260)). Anderes lässt sich auch nicht aus der Entscheidung des 3. Zivilsenats vom 17.03.2022 (III ZR 89/21) ableiten. Denn soweit der BGH dort ausführt, dass Entschädigungsansprüche wegen enteignungsgleichen Eingriffs nicht für Fälle legislativen Unrechts gelten, „in denen durch eine rechtswidrige bzw. verfassungswidrige gesetzliche Norm oder auf ihrer Grundlage durch Verwaltungsakt oder eine untergesetzliche Norm in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition eingegriffen wird“, werden Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff wegen rechtswidriger untergesetzlicher Regelungen, die auf rechtmäßigen formellen Gesetzen beruhen, nicht ausgeschlossen. Zutreffend weist die Klagepartei insoweit darauf hin, dass auch die vom BGH aaO. angeführten Bezugsfälle rechtswidrige formelle Gesetze betrafen.
112
Dass, wie der Beklagte offenbar meint, neben dem Institut des enteignenden Eingriffs auch das Haftungsinstitut des enteignungsgleichen Eingriffs im Falle massenhaft auftretender Schäden keine zulässige Anspruchsgrundlage bilden kann, lässt sich aus der hierzu zitierten Entscheidung zum Waldsterben (BGH, Urteil vom 10. Dezember 1987 – III ZR 220/86 –, BGHZ 102, 350-368) zwar nicht ableiten, da es dort um lediglich mittelbare Folgen (gesetzlich zugelassener) Emissionen ging. Auch die Entscheidung BGH, Urteil vom 10. Februar 2005 – III ZR 330/04 – bezieht sich lediglich auf den (rechtmäßigen) enteignenden Eingriff, ebenso wie die Entscheidungen des LG Köln, Urteil vom 12. Januar 2021 – 5 O 215/20 – und des LG Hannover, Urteil vom 9. Juli 2020 – 8 O 2/20 -. Für diese Auffassung spricht indes, dass es im Hinblick auf die weitreichenden Folgen für die Staatsfinanzen und die freie Entscheidungskompetenz des Haushaltsgesetzgebers grundsätzlich keinen Unterschied macht, ob diese durch ein rechtswidriges formelles Gesetz oder durch eine rechtswidrige Rechtsverordnung (die auf Basis eines rechtmäßigen Gesetzes erlassen wurde) herbeigeführt werden.
113
Letztlich kann diese Frage im Ergebnis offenbleiben, weil sämtliche Regelungen rechtmäßig waren.
2.2 Entschädigungsansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff im „Lockdown I:“
114
Entschädigungsansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff scheitern bereits am Vorrang des Primärrechtsschutzes (hierzu 2.2.1). Zudem waren die Regelungen nicht rechtswidrig (hierzu 2.2.2). Soweit sie wegen des Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot rechtswidrig gewesen wären, war dieser Verstoß für die Verluste der Klägerin nicht kausal (hierzu 2.2.3).
2.2.1. Vorrang des Primärrechtsschutzes
115
Selbst wenn man unterstellt, dass durch die Regelungen des Lockdowns I in rechtswidriger Weise in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen der klägerischen Unternehmen eingegriffen worden ist, sind Entschädigungsansprüche insoweit bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin gegen die Allgemeinverfügung zum Vollzug des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), und Vollzug des Ladenschlussgesetzes (LadSchlG) vom 16.03.2020 und die Betriebsschließung auf Grundlage von § 2 BayIfSMV vom 27.03.2020 nicht rechtlich vorgegangen ist. Auch im Rahmen der durch die richterliche Rechtsfortbildung entwickelten Institute des enteignungsgleichen Eingriffsgriffs gilt nämlich der Vorrang des Primärrechtsschutzes (vgl. Papier/Shirvani Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2024, § 839 Rn. 62); dies bedeutet, dass der Geschädigte bei begründeten Zweifeln an der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme die zulässigen primären Rechtsbehelfe ergreifen muss, um den Schaden abzuwenden. Ein Entschädigungsanspruch ist regelmäßig für diejenigen Nachteile ausgeschlossen, die durch die primären Rechtsbehelfe hätten vermieden werden können, wenn eine zumutbare Aktivierung dieser Rechtsbehelfe unterblieben und dies dem Betroffenen im Sinne eines “Verschuldens in eigenen Angelegenheiten“ vorwerfbar ist. Auf die Frage, ob zur Untermauerung dieser Grundsätze mit dem BGH auf den Rechtsgedanken des § 254 BGB Bezug zu nehmen ist oder ob mit dem Bundesverfassungsgericht auf eine entsprechende Anwendung des § 839 Abs. 3 BGB abzustellen ist, kommt es für den vorliegenden Fall im Ergebnis nicht an (Vgl. BVerfG NJW 2000, 1402; s. zur Diskussion auch Dürig/Herzog/Scholz/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 810 mwN). Denn die unterbliebene Ergreifung von Pimärrechtsschutzmaßnahmen führt vorliegend in beiden Fällen zum vollständigen Entfallen der Entschädigungspflicht. Die Klägerin hat es nämlich, wie sie selbst darlegt, bewusst, also sehenden Auges, unterlassen, gegen die Betriebsuntersagung mit Mitteln des einstweiligen Rechtsschutzes vorzugehen. Sie selbst gibt dazu an, es sei ihr zunächst lediglich deswegen nicht geboten erschienen, weil sie von einem höchstens zweiwöchigen Lockdown ausgegangen sei; im weiteren Verlauf erschien es ihr vorzugswürdig, Entscheidungen im Parallelverfahren abzuwarten.
116
Alle Erwägungen, auf die die Klägerin nunmehr die Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung stützt, waren zu diesem Zeitpunkt schon bekannt bzw. erkennbar. Sowohl die Besonderheiten in der klägerischen Vertriebsstruktur und die hieraus resultierend dargelegten besonders nachteiligen Auswirkungen der Betriebsschließung als auch die unterschiedliche Behandlung des non-food-Sortiments des Lebensmittelhandels waren von vornherein absehbar, sodass die Klägerin unmittelbar Rechtsschutzmaßnahmen hiergegen hätte ergreifen können und müssen. Sie hat es damit in vorwerfbarer Weise unterlassen, den Rechtsweg zu beschreiten.
117
Dies wäre der Klägerin zumutbar gewesen.
118
Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit sind die Erfolgsaussichten des gerichtlichen Verfahrens zu berücksichtigen, was im Einzelfall dazu führen kann, dass nicht alle theoretisch möglichen Rechtsbehelfe ergriffen werden müssen (vgl. BGHZ 92, 34 (50 f.) = NJW 1984, 2516). Zumindest die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes wäre von der Klägerin insoweit angesichts der durch die angeordnete vollständige Betriebsuntersagung zu erwartenden hohen Verluste in jedem Fall zumutbar gewesen. Die Ergreifung von Eilrechtsschutzmaßnahmen war auch prinzipiell aus ex ante Sicht geeignet, den Eintritt der Verluste zu verhindern. Für die Frage der Kausalität kommt es insoweit nicht darauf an, wie die Verwaltungsgerichte im Parallelverfahren letztlich tatsächlich entschieden haben oder nach Auffassung der Kammer hätten entscheiden müssen, sondern alleine darauf, ob der Rechtsbehelf tatsächlich (aus ex ante Perspektive) Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (vgl. Papier/Shirvani Münchener Kommentar aaO § 839 Rn. 405; BGH NJW 1986, 1924 (1925); BeckRS 1987, 31069595; vgl. auch Engelhardt VersR 1989, 1221 (1223).). Das insoweit zumindest gewisse Erfolgsaussichten bestanden, zeigt alleine schon die von der Klägerin herbeigeführte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes. Insoweit durfte die Klägerin die Ergreifung gerichtlicher Schritte nicht unterlassen bzw. bis zur Entscheidung in Bezugsverfahren zurückstellen; denn damit hat sie eine rechtliche Überprüfung der von ihr gerügten Fehlerhaftigkeit der Allgemeinverfügung und der BayIfSMV vom 27.03.2020 durch die bayerischen Verwaltungsgerichte, insbesondere auch eine Berücksichtigung der von ihr betonten besonders erschwerenden Umstände für die klägerischen Unternehmen ... und ... , bewusst unmöglich gemacht. Sowohl nach dem Rechtsgedanken des § 254 BGB als auch nach den Grundsätzen des § 839 Abs. 3 BGB entfällt damit eine Entschädigungspflicht aus enteignungsgleichem Eingriff für den Zeitraum des Lockdowns I in vollem Umfang.
2.2.2. Fehlende Rechtswidrigkeit der angegriffenen Regelungen
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Selbst wenn man entgegen den vorangehenden Ausführungen davon ausginge, dass unterlassene Primärrechtsschutzmaßnahmen hier nicht zum Ausfall der Entschädigungspflicht führen, besteht kein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff für die Phase des Lockdowns I, weil die Allgemeinverfügung zum Vollzug des Infektionsschutzgesetzes vom 16.03.2020, Ziffern 4 und 5, bzw. die Regelungen des § 2 Abs. 4 und 5 der BayIfSMV vom 27.03. 2020 nicht rechtswidrig waren.
120
(1) Im Erlasszeitpunkt bestand für die angegriffenen Regelungen des Lockdowns I eine ausreichend gesicherte Tatsachengrundlage.
121
Die gesetzgeberische Prognose über die Wirkung der Maßnahmen unterliegt lediglich einer verfassungsrechtlichen Vertretbarkeitskontrolle. Dem Verordnungsgeber steht insoweit ebenso wie dem Normgeber im Falle von prognostischen Entscheidungen ein Spielraum für die Beurteilung sowohl der Eignung als auch der Erforderlichkeit und Angemessenheit zu. Zweifelsfreie empirische Nachweise der Wirkung der Maßnahmen sind dabei nicht zwingend vorausgesetzt. Auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof hob wiederholt die Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers hervor, die angesichts der unsicheren Erkenntnislage für die Bewertung der Gefahrenlage und Ausgestaltung des Schutzkonzepts zuzugestehen ist. Die Einschätzung und die Prognose der dem einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren sind rechtlich nur darauf zu überprüfen, ob sie auf einer hinreichend gesicherten Grundlage beruhen. Je nach Eigenart und Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter und der Möglichkeiten des Gesetzgebers, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, kann die verfassungsgerichtliche Kontrolle dabei von der bloßen Evidenzüber eine Vertretbarkeitskontrolle bis zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen. Sind wegen der Unwägbarkeiten der wissenschaftlichen Erkenntnislage die Möglichkeiten des Gesetzgebers begrenzt, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, genügt es, wenn er sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung der ihm verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten orientiert. Dieser Spielraum gründet auf der dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber vom Grundgesetz zugewiesenen Verantwortung dafür, Konflikte zwischen hoch- und höchstrangiger Interessen trotz ungewisser Lage zu entscheiden (vgl. u.a. BayVerfGH, Entscheidung vom 28.01.2022 – Az.: Vf. 65-VII-21 –; BVerfG 1 BvR 781/21, RN., 171ff.) .
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Aus den täglichen Lageberichten des RKI s (“RKI“, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Archiv_Maerz.html) geht hervor, dass im Zeitraum der Geltungsdauer der Allgemeinverfügung ein Anstieg laborbestätigter Infektionen in Deutschland von 8198 (Lagebericht des RKI vom 18. März 2020) auf 57.298 (Lagebericht des RKI vom 30. März 2020) zu verzeichnen war. In diesem Zeitraum stieg die Zahl der in Deutschland registrierten an COVID-19 verstorbenen Personen von 12 auf 455 an. Es handelte sich nach Einschätzung des RKI weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation mit zum Teil schweren, auch tödlichen Krankheitsverläufen. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung wurde im Lagebericht vom 16. März 2020 zunächst insgesamt noch als mäßig, ab dem 18. März 2020 insgesamt als hoch eingestuft. Die Belastung des Gesundheitswesens wurde abhängig von der regionalen Verbreitung der Infektionen, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (Isolierung, Quarantäne, soziale Distanzierung) als möglicherweise örtlich sehr hoch eingeschätzt. Bei der vom RKI ermittelten geographischen Verteilung der Fälle lag Bayern während des Geltungszeitraums der Allgemeinverfügung neben BadenWürttemberg und Nordrhein-Westfalen deutschlandweit vorne. Im Lagebericht vom 30. März 2020 ist Bayern als das Bundesland mit den meisten bestätigten COVID19-Fällen ausgewiesen. Laut der Begründung der Allgemeinverfügung waren Infektionen mit SARS-CoV-2 bei Erlass der Verfügung bereits bayernweit in allen Regierungsbezirken zu verzeichnen.
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Die Risikoeinschätzung der ECDC vom 12. März 2020 (abzurufen unter: https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/rapid-risk-assessment-novelcoronavirus-disease-2019-covid-19-p& emic-increased) erkannte angesichts der weltweit und europaweit raschen Ausbreitung, deren Tempo zunahm, einen Bedarf an sofortigen gezielten Maßnahmen. Die Geschwindigkeit, mit der COVID-19 nationale Epidemien verursachen könne, sobald die Übertragung innerhalb der Gemeinschaft festgestellt sei, zeige, dass es in einigen Wochen oder sogar Tagen wahrscheinlich sei, dass ähnliche Situationen wie in China und Italien in anderen Ländern der EU zu beobachten seien. Es gebe keine Impfstoffe und wenig Beweise für die Wirksamkeit potentieller therapeutischer Wirkstoffe. Darüber hinaus gebe es vermutlich keine bereits bestehende Immunität in der Bevölkerung gegen das neuartige Coronavirus, sodass anzunehmen sei, dass jeder in der Bevölkerung anfällig sei. Das Risiko, dass die Kapazitäten des Gesundheitssystems in den kommenden Wochen überschritten würden, werde als hoch angesehen. Die Situation entwickle sich sehr schnell und ein rascher, proaktiver und umfassender Ansatz sei unerlässlich, um die Übertragung zu verzögern, da die Eindämmung der Übertragung auf lokale Epidemien nicht mehr als machbar erachtet werde.
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(2) Auch der Einwand der Klägerin, es liege ein Ermessensfehlgebrauch oder Ermessensmissbrauch vor, weil der Beklagte den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt und nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachen in seine Prüfung einbezogen habe, bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.
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Zwar hat der Beklagte insbesondere hinsichtlich des Lockdowns I allenfalls kursorisch dargelegt, auf welche Quellen er sich beim Erlass der Allgemeinverfügung und der nachfolgenden Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnung vom 27.03.2020 gestützt hat; die streitgegenständliche Ermessensentscheidungen lassen sich jedoch unter Heranziehung ihrer Begründung in der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung und allgemein verfügbarer Quellen hinreichend nachvollziehen. Für eine „Unterlegung und Validierung“ „sämtlicher, sorgfältig zusammenzustellender Umstände“ mit „externer Expertise“, wie sie offenbar den Vorstellungen der Klagepartei entspricht, wäre nach Überzeugung der Kammer im Übrigen angesichts der pandemischen Notlage auch gar keine Zeit gewesen; das Gericht geht vielmehr davon aus, dass sich der Beklagte insbesondere von der Lageeinschätzung des RKI hat leiten lassen, deren Wortwahl sich in der Begründung der Allgemeinverfügung wiederfindet, und auch die Einschätzungen der ECDC und der WHO zugrunde gelegt hat. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte die Allgemeinverfügung ohne hinreichende wissenschaftliche Grundlage quasi „ins Blaue hinein“ getroffen und daher willkürlich gehandelt haben könnte, sieht die Kammer nicht (vgl. zur Tatsachengrundlage der Allgemeinverfügung insgesamt: VG München, Urteil vom 16. November 2022 – M 26b K 20.1221 –).
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Soweit die Klägerin mit Nichtwissen bestreitet, dass der Beklagte von ihm zitierte wissenschaftliche Entscheidungen zur Kenntnis genommen bzw. in seine Prognoseentscheidungen einbezogen hat, und dies damit begründet, dass die entsprechenden Stellungnahmen zum Zeitpunkt des Lockdowns I nicht vorlagen, vermag dies insbesondere hinsichtlich der Lageberichte des RKI nicht zu überzeugen. Denn wie aus dem Beschluss des BayVGH im Eilverfahren 20 CS 20.611 vom 30.3.2020 unter Rn. 21 ersichtlich ist, waren auch seinerzeit die aktuellen Situationsberichte des RKI allgemein verfügbar.
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Die Rüge, der Erlass der Regelungen sei auf der Basis einer nicht ausreichend gesicherten Tatsachengrundlage erfolgt, geht für den Zeitraum des Lockdowns I im übrigen auch deshalb fehl, weil das Sars-Cov-2 -Virus (im folgenden: Coronavirus) gerichtsbekannt weltweit erstmalig im Spätherbst 2019 in Wuhan/China aufgetreten ist und die ersten Ansteckungsfälle in Deutschland erst am 27. Januar 2020 diagnostiziert wurden. Vor diesem Hintergrund konnten im Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverfügung bzw. der bayerischen InfektionsschutzmaßnahmenVerordnung im März 2020 gesicherte, detaillierte wissenschaftliche Erkenntnisse über das Verbreitungspotenzial im Einzelhandel und die Wirksamkeit einzelner sortimentsbezogener Schließungsmaßnahmen allein schon deswegen nicht berücksichtigt werden, weil die hierfür erforderlichen empirischen Daten noch gar nicht wissenschaftlich erhoben waren, und zu diesem Zeitpunkt auch noch gar nicht hätten erhoben, geschweige denn ausgewertet werden können. Dass es aber prinzipiell auch im Einzelhandel zu Ansteckungen kommen kann, stand und steht außer Zweifel und wird letztlich auch von der Klägerin zugestanden. Einzubeziehen ist insoweit nicht nur das Ansteckungspotential im Laden selbst, sondern auch auf dem Weg dorthin, insbesondere in öffentlichen Verkehrsmitteln. Im Spätwinter und Frühjahr 2020 standen noch nicht einmal in ausreichendem Umfang FFP2 – Masken zur Verfügung, um der Bevölkerung zumindest einen gewissen Schutz vor Ansteckung zu bieten (vgl. www.tagesschau.de/inl& /corona-masken-bestellungen100.html). Aus Sicht der Verwaltungsbehörden bestand zum damaligen Zeitpunkt gerichtsbekannt eine sich zuspitzende pandemischen Notlage aufgrund eines neuen und bis dato unbekannten, durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus. Es darf in dem Zusammenhang daran erinnert werden, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverfügung im italienischen Bergamo bereits Armeelaster benötigt wurden, um ausreichende Kapazitäten für den Abtransport der an Sars -Cov 2 Verstorbenen sicherzustellen (vgl. www.tagesschau.de/ausl& /europa/italien-bergamo-corona-ausbruch-101.html).
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Eine solche Situation galt es um jeden Preis zu vermeiden; das Ansteckungsrisiko möglichst weitgehend einzudämmen, in dem vermeidbare Kontakte insbesondere zwischen einander unbekannten Menschen soweit als irgend möglich reduziert werden, war insofern oberstes Handlungsgebot einer zuvorderst dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit der Bevölkerung verpflichteten Verwaltung. Auch wenn die Datenlage seinerzeit im Einzelnen noch unsicher gewesen sein mag, war der Beklagte in Anbetracht der Dringlichkeit einer Entscheidung zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter nicht gehalten, zunächst fachwissenschaftliche Datengrundlagen zu schaffen, um die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen im Vorfeld im einzelnen zu evaluieren. Hierzu hätte auch gar nicht die Zeit bestanden.
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(3) Die Regelungen im „Lockdown I“ waren auch nicht zu unbestimmt.
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Insbesondere trifft der Vortrag der Klägerin, aufgrund einer nicht ausreichend präzisen Regelung sei es großen Verbrauchermärkten möglich gewesen, ihr nonfood-Sortiment uneingeschränkt weiter zu verkaufen, in dieser pauschalen Form nicht zu. Der Beklagte hat insoweit überzeugend dargelegt, dass sich aus den Regelungen mitnichten ergibt, dass Kaufhäuser, die Lebensmittelabteilungen hatten, insgesamt geöffnet waren und ihr gesamtes Sortiment verkaufen konnten. Das war weder zulässig noch ist es durchgeführt worden. Während des Lockdowns I, also in der Zeit vom 18.03.2020 bis einschließlich 19.04.2020, bestimmte zunächst Nr. 5 Satz 4 der Allgemeinverfügung vom 16. März 2020 in der Fassung vom 17. März 2020 und anschließend § 2 Abs. 4 Satz 4 (1.) BayIfSMV, dass die Öffnung von Einkaufszentren und Kaufhäusern nur erlaubt war, soweit die in den Bestimmungen genannten Ausnahmen (Nr. 5 Satz 2 der Allgemeinverfügung vom 16.03.2020 in der Fassung vom 17.03.2020 zw. § 2 Abs. 4 Satz 2 [1] BayIfSMV) betroffen waren. Diese Bestimmungen ermöglichten es, dass Kaufhäuser die Lebensmittelabteilung bei Schließung der übrigen Offhouse-Bereiche öffnen konnten. Im Übrigen galt bei Mischbetrieben, wie Lebensmittelgeschäften mit non-food-Sortiment, das sog. Schwerpunktprinzip, d.h. diese durften insgesamt öffnen und das gesamte Sortiment zum Verkauf anbieten, wenn der Schwerpunkt der Tätigkeit im erlaubten Bereich lag. Lag der Schwerpunkt der Tätigkeit dagegen im nicht erlaubten Bereich, durfte ausschließlich der erlaubte Teil des Sortiments weiterverkauft werden. Der Beklagte hat im Übrigen den Betrieb entsprechender Abteilungen untersagt.
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Zwar war dieses „Schwerpunktprinzip“ in der Allgemeinverfügung vom 16.03.2020 und der (1.) BayIfSMV nicht ausdrücklich festgeschrieben, es ergab sich aber aus der jeweils gültigen Fassung der hierzu in den FAQ des StMGP veröffentlichten Positivliste. Dass es in dieser Hinsicht nennenswerte Zweifels- oder Streitfälle gegeben hätte, welche Geschäfte unter welchen Voraussetzungen öffnen oder einzelne Sortimente vertreiben dürfen, hat die Klägerin weder plausibel dargelegt, noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich. In diesem Zusammenhang spielt auch die Frage der „Rechtsverbindlichkeit“ der „FAQ“ als solcher keine Rolle. Diese dienen dazu, dem Verordnungsadressaten Auslegungskriterien an die Hand zu geben, wie die Regelung zu verstehen ist, und können und sollen daher zur Auslegung der Norm herangezogen werden. Sie entfalten daher insofern immer indirekt über die Auslegung der Verordnung bzw. Allgemeinverfügung selbst eine rechtliche Wirkung. Rechtswidrigkeitsbegründende begriffliche Unschärfen ergeben sich auch nicht, soweit in Ziffer 4 S. 3 der Allgemeinverfügung von „unbedingt für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Geschäften“ sowie in (Ziffer 5 Satz 1 der Allgemeinverfügung) von der „Versorgung der Bevölkerung mit existenziellen Gütern“ die Rede ist. Insbesondere trifft der Vorwurf, diese (vermeintlichen) begrifflichen Unschärfen hätten in der Folge dazu geführt, dass es Unternehmen mit einem signifikanten, wenngleich gar nicht notwendigerweise überwiegenden Lebensmittelanteil wie zum Beispiel ..., ..., ..., ... , ... oder den klassischen „Tante-Emma-Läden“ möglich gewesen sei, sich auf den Standpunkt zu stellen, weiter öffnen zu dürfen und ihr gesamtes Sortiment zu verkaufen, nicht zu. Die Allgemeinverfügung spricht in Ziffer 4 Satz 1 für Ladengeschäfte des Einzelhandels ein generelles Verbot aus; Satz 2 enthält einen präzise geregelten Ausnahmekatalog, unter anderem für den Lebensmittelhandel, der nach dem Schwerpunktprinzip definiert ist. Satz 3 dehnt diesen Ausnahmekatalog auf „andere für die Versorgung der Bevölkerung unbedingt notwendige Geschäfte“ aus, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Ausnahmekatalog des Satzes 2 naturgemäß angesichts der großen Varianzbreite möglicher existenzieller Güter kaum abschließbar sein kann, und sieht insoweit die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung auf Antrag vor. Satz 3 bezieht sich dabei schon dem Wortlaut nach explizit nicht auf den Lebensmittelhandel (“andere“). Dies bedeutet, dass die Möglichkeit einer Aufnahme in den Ausnahmekatalog auf Antrag nur denjenigen „unbedingt für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Geschäften“ vorbehalten bleiben sollte, die schon begrifflich nicht unter (schwerpunktmäßig definierten) Lebensmittelhandel fallen. Die Frage, welche Geschäfte unbedingt zur Versorgung der Bevölkerung notwendig sind, hat daher begrifflich nichts mit dem Anteil von Lebensmitteln an deren Sortiment zu tun. Denn die Möglichkeit einer Ausnahme auf Antrag bei epidemiologischen Vertretbarkeit soll gerade den Betrieb von unbedingt erforderlichen Geschäften ermöglichen, die nicht überwiegend Lebensmittel vertreiben. Auf die Frage, ob diese, wie die klägerischen Unternehmen, so gut wie gar keine Lebensmittel vertreiben oder aber einen signifikanten, wenn auch nicht überwiegenden Anteil an Lebensmittel veräußern, kommt es für die Eröffnung der Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung auf Antrag daher gar nicht an. Diese Möglichkeit einer Beantragung einer Ausnahme hätten die klägerischen Unternehmen genauso gehabt wie die von der Klägerin bezeichneten Konkurrenten Marktkauf, Familia, Edeka, ... , ... oder die klassischen TanteEmma-Läden, weil es im Zusammenhang mit dieser Ausnahmeregelung nur darauf ankommt, ob in diesen Geschäften im non-food-Bereich Produkte verkauft werden, die unbedingt für die Versorgung der Bevölkerung notwendig sind, und nicht darauf, wie weit der Anteil der Lebensmittel unter 50% liegt. Die klägerische Behauptung, durch die begriffliche Unschärfe werde auch Geschäften mit einem signifikanten, wenn auch nicht notwendig überwiegenden Lebensmittelanteil der Verkauf des gesamten Sortiments gestattet, geht daher in zweierlei Hinsicht fehlt: zum einen kommt es wie dargelegt, hinsichtlich der behaupteten „begrifflichen Unschärfe“ gerade nicht auf den prozentualen Anteil an Lebensmitteln an, zum anderen stand die Möglichkeit einer Ausnahme auf Antrag grundsätzlich allen Unternehmen offen, auch ... und ... ; dass diese diesen Weg, soweit ersichtlich, gar nicht erst beschritten haben, mag daran liegen, dass sich unbedingt für die Versorgung der Bevölkerung notwendige non-food-Produkte in deren Sortiment möglicherweise nicht oder jedenfalls nicht in nennenswertem Umfang finden.
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Auch die Regelung in Ziffer 5 Satz 1, wonach in Abweichung von § 3 LadSchlG verlängerte Öffnungszeiten gestattet sind, soweit zur Versorgung der Bevölkerung mit existenziellen Gütern eine Öffnung nach Ziffer 4 gestattet wird, bringt keine relevante zusätzliche begriffliche Unschärfe mit sich. Denn sie bezieht sich schon dem Wortlaut nach nur auf die bestehenden Ausnahmen nach Ziffer 4, welche unter der Voraussetzung einer weiteren Eingrenzung auf „existenzielle“ Güter länger geöffnet haben dürfen. Die begriffliche Unterscheidung zwischen lediglich „unbedingt notwendigen Geschäften“ und „existenziellen Gütern“ ist nur für die Frage der Abweichung vom Ladenschlussgesetz relevant und kann daher ... und ... , welche schon nicht unter die Ausnahmeregelungen in Ziffer 4 fallen und damit einer kompletten Betriebsschließungen unterliegen, gar nicht betreffen.
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(4) Soweit sich die Klage auf eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1GG stützt, erscheint bereits zweifelhaft, ob eine auf § 28 IfSG gestützte Betriebsschließung überhaupt einen Eingriff in dessen Schutzbereich begründen kann. Für das Bundesseuchengesetz hatte das Bundesverfassungsgericht diese Frage nämlich bisher ausdrücklich offengelassen (vgl. BVerfGE 57, 107) und auch für das IfSG nicht abschließend beantwortet (vgl. 1 BvR 1073/21). Denn das im Fachrecht als sonstiges Recht gemäß § 823 Abs. 1 BGB anerkannte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb begründet nicht automatisch einen Eigentumsschutz nach Art. 14 Grundgesetz (vgl. BVerfGE 143, 246 <331 f. Rn. 240> m.w.N.; 155, 238 <274 Rn. 86>). Insoweit ist auch noch gar nicht abschließend entschieden, ob längerfristige existenzgefährdenden Maßnahmen zum Gesundheitsschutz möglicherweise das Grundrecht aus Art. 14 GG berühren können. Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet objektbezogene Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen, nicht jedoch bloße Chancen und Verdienstmöglichkeiten, also das erworbene Ergebnis von Betätigung. Art. 12 GG schützt demgegenüber den individuellen Erwerb und die Freiheit der individuellen Leistungstätigkeit. Unter enteignungsrechtlichen Gesichtspunkten sind nur solche Nachteile und Beeinträchtigungen bedeutsam, die den Eigentümer in seiner Rechtsposition treffen. Ein enteignender Tatbestand ist nicht schon dann gegeben, wenn eine Maßnahme der öffentlichen Hand irgendwelche dem Eigentümer nachteiligen Auswirkungen hat, sondern erst dann, wenn der Eigentümer in seiner aus seinem Eigentum sich ergebenden Rechtsposition betroffen und beeinträchtigt worden ist. Das BVerfG lässt in ständiger Rechtsprechung offen, ob für die Möglichkeit, mit einem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb Verdienst zu erzielen, die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 gilt. Eingriffe, die betriebsbezogen sind, liegen grundsätzlich nur vor, wenn sie Grundlagen des Betriebs bedrohen, den Funktionszusammenhang der Betriebsmittel auf längere Zeit aufheben oder die Tätigkeit des Inhabers als solche infrage stellen. Voraussetzung ist damit, dass in die Substanz des Betriebes eingegriffen wird. Diese Substanz ist nur berührt, wenn in die den Betrieb darstellende Sach- und Rechtsgesamtheit als solche, d.h. in den Betrieb als wirtschaftlichen Organismus eingegriffen und damit das ungestörte Funktionieren dieses Organismus unterbunden oder beeinträchtigt wird, der Eigentümer also daran gehindert wird, von dem Gewerbebetrieb als der von ihm aufgebauten und aufrechterhaltenen Organisation sachlicher und persönlicher Mittel den bestimmungsgemäßen Gebrauch zu machen. Auf künftige Chancen und Erwerbsmöglichkeit erstreckt sich der Schutz nicht. Die Eigentumsfreiheit des Artikels 14 GG ist vorliegend im Rahmen des Lockdowns I nach Auffassung der Kammer allein deswegen nicht berührt, da dieses Grundrecht das erworbene, nicht aber die Erwerbsbetätigung schützt und die zeitliche Dauer der Maßnahmen auch nicht geeignet war, die Filialen der Klägerin in ihrer wirtschaftlichen Existenz ernsthaft zu gefährden. Dass Letzteres der Fall gewesen wäre, ist nämlich weder ausreichend vorgetragen noch sonst ersichtlich, weil sich die angegriffene Betriebsschließung lediglich über einen Zeitraum von knapp 5 Wochen (von 16.03.2020 – 19.04.2020) erstreckte; dass insoweit nicht von einer existenziellen Gefährdung auszugehen ist, lässt sich bereits allein aus dem Umstand ersehen, dass die Klägerin es nicht für erforderlich gehalten hat, einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen (zur Reichweite des Schutzbereichs des Art. 14 Grundgesetz im Rahmen kurzfristiger Betriebsschließungen vgl. VG München, Beschluss vom 20. März 2020 – M 26 E 20.1209; für Maßnahmen auf der Grundlage der Allgemeinverfügung einen Eingriff verneinend: VG München, Urteil vom 16. November 2022 – M 26b K 20.1221 –, Rz. 67) .
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(5) Letztlich kommt es hierauf nicht entscheidend an, da entsprechende Eingriffe jedenfalls rechtmäßig waren. Denn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 IfSG für den Erlass der notwendigen Schutzmaßnahmen lagen vor, die Regelungen der Allgemeinverfügung sowie der InfektionsschutzmaßnahmenVerordnung hielten sich in dessen Rahmen und die zeitlich befristete flächendeckende Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels war auch verhältnismäßig. Zudem lag kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vor.
135
Einschlägige Rechtsgrundlage war § 28 Abs. 1 Satz 1, S. 2 IfSG (zu dessen Verfassungsmäßigkeit, an der die Kammer keinerlei Zweifel hat, vgl. VG München, Urteil vom 16. November 2022 – M 26b K 20.1221). Dessen Voraussetzungen lagen vor. Es wurden in Bayern in Bezug auf die vom Coronavirus SARS-CoV-2 verursachte Krankheit COVID-19 im maßgeblichen Zeitraum Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt. Bei COVID-19 handelt es sich um eine übertragbare Krankheit (§ 2 Nr. 3 IfSG), die im Sinne von § 2 Nr. 3a IfSG als bedrohlich zu qualifizieren ist, weil sie auf Grund klinisch schwerer Verlaufsformen und ihrer Ausbreitungsweise eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit verursachen kann (vgl. BayVGH, U.v. 4.10.2022 – 20 N 20.767 – Rn. 56 ff.). Davon durfte der Beklagte auf Grundlage der Einschätzung des Robert KochInstituts (RKI) und des European Center für Disease Prevention & Control (ECDC) vom 12. März 2020 ausgehen (vgl. hierzu VG München aaO.)
136
Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Absatz ein Satz 1 IfSG erfüllt, so hat die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen. Ein Entschließungsermessen hinsichtlich des „Ob“ des Einschreitens steht ihr dabei nicht zu. Im Hinblick auf die Wahl der Mittel („Wie“) ist ein Auswahlermessen eröffnet, welches insbesondere durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt wird.
137
Im vorliegenden Fall kommt dem Beklagten im Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr ein weiter Ermessensspielraum zu, da zum damaligen Zeitpunkt auf unsicherer Entscheidungsgrundlage eine dringliche Entscheidung geboten war. Sind wegen Unwägbarkeiten der Erkenntnislage die Möglichkeiten begrenzt, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung darauf, ob die handelnde Behörde eine sachgerechte und vertretbare Beurteilung der ihr verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten vorgenommen hat. Bei den zur Gefahrenabwehr erforderlichen prognostischen Entscheidungen kann die Beurteilung der Ermessensentscheidung nicht nach der tatsächlichen späteren Entwicklung, sondern lediglich danach erfolgen, ob aus die Behörde aus ihrer damaligen Sicht (ex ante) auf Grundlage der verfügbaren Erkenntnisse davon ausgehen durfte, dass die Prognose sachgerecht und vertretbar war. Allerdings hat die Behörde in einem solchen Fall die getroffenen Schutzmaßnahmen regelmäßig zu überprüfen bzw. zeitlich zu befristen, damit sich Unklarheiten nicht einseitig zu Lasten der Betroffenen auswirken (VG München aaO., vgl. Gerhard, IfSG, 6. Aufl. 2022, § 28 Rn. 19 ff.; BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 – juris Rn. 171,186 zum Normerlass durch die Exekutive; B.v. 13.5.2020 – 1 BvR 1021/20 – juris Rn. 10 zur Bundesnotbremse).
138
Daran gemessen sind Ermessensfehler nicht ersichtlich.
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Die unter Nr. 4 und 5. der Allgemeinverfügung und in § 2 der BayIfSMV vom 27.03.2020 angeordnete Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels genügt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist auch ansonsten ohne Ermessensfehler ergangen:
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Die Anordnung verfolgte einen legitimen Zweck.
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Die angeordneten Schutzmaßnahmen dienten laut der Begründung der Allgemeinverfügung dem Zweck, die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARSCoV-2 zu verlangsamen, damit die Belastung für das Gesundheitswesen reduziert und die medizinische Versorgung sichergestellt werden konnte. Es sollte eine zeitliche und räumliche Verlangsamung der Ausbreitung von COVID-19 und eine Entkopplung von der gleichzeitig anhaltenden Influenzawelle erreicht werden, um eine Überlastung der medizinischen Versorgungssysteme zu vermeiden und damit der vorrangigen Gesundheitssicherheit der Bevölkerung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) Rechnung zu tragen. Dabei gehörte die streitgegenständliche Einzelanordnung zu einem Maßnahmenpaket, das neben den in der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung mit Wirkung zum 18. März 2020 angeordneten Maßnahmen (Verbot von Veranstaltungen und Versammlungen, Schließung von Freizeiteinrichtungen, Gastronomie und Einzelhandel, Beschränkung von
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Dienstleistungen) auch weitere Maßnahmen umfasste, nämlich die mit Wirkung zum 16. März 2020 angeordnete Schließung von Schulen und anderen Kinderbetreuungseinrichtungen (Allgemeinverfügung vom 13. März 2020) sowie die zum 21. März 2020 angeordneten Ausgangsbeschränkungen (Allgemeinverfügung vom 20. März 2020 bzw. Verordnung vom 24. März 2020). All diese Maßnahmen dienten dem übergeordneten Ziel, zwischenmenschliche Kontakte auf ein notwendiges Mindestmaß zu beschränken (soziale Distanzierung).
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Zur Erreichung dieses Zwecks war die Schließung von Ladengeschäften des Einzelhandels, die nicht für die Versorgung der Bevölkerung unbedingt notwendig waren, geeignet. Ein Mittel ist bereits dann geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Es ist nicht erforderlich, dass der Erfolg in jedem Einzelfall auch tatsächlich erreicht wird; die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (BVerfG, B.v. 10.4.1997 – 2 BvL 45/92 – juris Rn. 61; BayVGH, B.v. 7.9.2020 - 20 NE 20.1981 – juris Rn. 34; st Rspr. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 –, BVerfGE 159, 223-355, Rn. 185). Es liegt auf der Hand, dass die Schließung von Einzelhandelsgeschäften als Teil des Maßnahmenpakets „Lockdown“ in diesem Sinne geeignet war, die weitere Verbreitung des Corona – Virus einzudämmen und die Verbreitungsgeschwindigkeit zu verlangsamen. Sie trägt zur Vermeidung nicht unbedingt notwendiger Kontakte bei, indem Begegnungen von Kunden und Verkaufspersonal verhindert und die Menschen davon abgehalten werden, stark frequentierte Innenstadtbereiche aufzusuchen. Je weniger zwischenmenschliche Kontakte stattfinden, desto weniger Möglichkeiten werden eröffnet, das Virus zu übertragen. Auch das RKI, dessen fachlicher Einschätzung im Bereich des IfSG nach dem Willen des Gesetzgebers besonderes Gewicht zukommt (vgl. § 4 IfSG), und die ECDC nannten die soziale Distanzierung, zu der die Schließung von Ladengeschäften als Teil des Maßnahmenpakets Lockdown gehört, als Gegenmaßnahme zur Vermeidung der Überlastung des Gesundheitswesens (Lagebericht des RKI vom 18.3.2020, Risikobeurteilung des ECDC vom 12.3.2020).
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Im Übrigen hat auch der Sachverständigenausschuss des Bundesministeriums für Gesundheit zur Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik nach § 5 Abs. 9 IfSG in seinem Bericht vom 30. Juni 2022 zur Wirksamkeit von Lockdown-Maßnahmen ausgeführt: Aufgrund der biologischen und physikalischen Plausibilität gebe es keinen Zweifel, dass die Reduktion enger physischer Kontakte zur Reduktion von Infektionen führe. Gerade zu Beginn einer Pandemie sei es sinnvoll, die Übertragung in der Bevölkerung, so weit es gehe, zu reduzieren und den Gesundheitssystemen den dringend benötigten Spielraum zu verschaffen. Wenn erst wenige Menschen infiziert seien, wirkten Lockdown – Maßnahmen deutlich stärker. (Bericht des Sachverständigenausschusses nach § 5 Abs. 9 IfSG vom 30.6.2022, S. 74; abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/s/ sachverstaendigenausschuss-infektionsschutzgesetz.html).
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Der Einwand des Klägers, es sei nicht ausreichend nachgewiesen, dass der Betrieb der Filialen von ... und ... in messbarem Umfang zur Verbreitung des Coronavirus beitrügen, verfängt nicht, da es bei der Ladenschließung als Teil des Gesamtpakets Lockdown nicht um die Verhinderung einzelner Infektionen geht, sondern um das Herunterfahren des öffentlichen und privaten Lebens und die Reduzierung nicht unbedingt erforderlicher Kontakte insgesamt (vgl. VG München aaO). Bei Pandemiebekämpfungsmaßnahmen, die im Rahmen von Schutzkonzepten ergehen, müssen gesamtgesellschaftliche Abwägungen überprüft werden. Dabei steht die Verhältnismäßigkeitsprüfung nahezu immer vor dem Problem, dass nicht genau beziffert werden kann, in welcher Höhe welche Einzelmaßnahme das Infektionsgeschehen reduzieren wird. Gemessen werden kann häufig lediglich die kombinierte Gesamtwirkung aller Maßnahmen des Schutzkonzepts. Dies führt dazu, dass auf der Ebene der Geeignetheit nur gefragt werden kann, ob das Gesamtkonzept geeignet ist, das verfolgte Gesamtziel (etwa die Reduktion der Übertragungen in einer bestimmten Höhe) zu erreichen (vgl. Kießling in: Kahl/ Ludwigs, Handbuch des Verwaltungsrechts Band, 1. Auflage 2024, 1. Verhältnismäßigkeitsprüfung). Mit anderen Worten: die Frage, ob die verfahrensgegenständliche Schließung der Filialen von ... und ... zur Pandemie Bekämpfung geeignet war, ist nicht anhand der Anzahl der (letztlich niemals genau ermittelbaren) tatsächlich hierdurch vermiedenen Ansteckungsfälle zu beurteilen, sondern daran, ob diese Betriebsschließungen im Rahmen des infektionsschutzrechtlichen Gesamtkonzepts sinnvoll erschienen. Dies ist nach Überzeugung der Kammer selbst unter Berücksichtigung des Umstands der Fall, dass Kunden von ... und ... ihren Bedarf an non-food-Artikeln während der Betriebsschließung (teilweise) durch den Einkauf in privilegierten, von den Ausnahmeregelungen erfassten Betrieben etwa des Lebensmittelhandels decken konnten. Zum einen entfällt zunächst das Ansteckungspotenzial derjenigen Kunden, die während der Betriebsschließung auf den Erwerb entsprechender non-foodProdukte gänzlich verzichtet haben. Zum anderen eröffnete die verfahrensgegenständliche Regelung den Kunden von ... und ... aber auch die Möglichkeit, ihren Bedarf an non-food-Artikeln (zumindest partiell) anlässlich eines ohnehin absolut unvermeidlichen, zwingend erforderlichen Einkaufs existenzieller Güter (wie etwa von Lebensmitteln) zu decken. Selbst diejenigen Kunden, die ihren Bedarf an bestimmten non-food-Artikeln während des Geltungszeitraums der Betriebsschließungen nicht zurückstellen konnten oder wollten, waren durch die Betriebsschließungen der Filialen der Klägerin angehalten, die Zahl ihrer Ladenbesuche reduzieren, indem sie non-food-Artikel aus Anlass des Kaufs von Lebensmitteln erwarben und dafür nicht extra ein weiteres Geschäft (etwa eine Filiale von ... oder ... ) gingen. Zwar mag der Klägerin zugestanden werden, dass nicht alle Kunden, die während der Pandemie etwa in einem Lebensmitteldiscounter non-food-Produkte erworben haben, dies auch (immer) mit dem Kauf von Lebensmitteln oder sonstigen existenziellen Gütern verbunden haben. Grundlage für die Frage, ob eine Betriebsschließung zur Verhinderung von Ansteckungen geeignet ist, muss jedoch auf das Verhalten eines vernünftigen, auf weitgehende Ansteckungsverhinderung fokussierten Konsumenten abgestellt werden; dieser wird Einkaufsvorgänge, soweit irgendwie möglich, konzentrieren und daher in aller Regel nicht – wie die Klägerin unterstellt – einen Lebensmitteldiscounter nicht extra ausschließlich zum Erwerb von non-food-Produkten besuchen, sondern diesen Einkauf vielmehr mit dem unvermeidbaren Kauf von Lebensmitteln verbinden.
146
Die Annahme der Klägerin, infolge der Schließungen der Filialen von ... und ... sei es im Lebensmittelhandel zu einer derart gesteigerten Kundenkonzentration gekommen, dass die Schließung von vornherein nicht zur Ansteckungsreduzierung geeignet, ja so kontraproduktiv gewesen sei, ist daher bereits in ihrem Ansatz verfehlt.
147
Die streitgegenständliche Maßnahme war auch erforderlich. Aufgrund der im März 2020 verfügbaren Erkenntnislage durfte der Beklagte davon ausgehen, dass ein milderes, aber gleich wirksames Mittel zur Eindämmung bzw. Verlangsamung der Ausbreitung des Corona – Virus nicht in Betracht kam. Dabei ist auch im Rahmen der Prüfungsebene der Erforderlichkeit auf das Schutzkonzept insgesamt und nicht auf Einzelmaßnahmen abzustellen. Denn auch hier kann das Schutzkonzept wiederum nur begrenzt mit anderen denkbaren Schutzkonzepten verglichen werden. Dies gilt zunächst für Konzepte, die einen anderen Regelungsansatz verfolgen, etwa eine stärkere Abschirmung von Risikogruppen (vgl. BVerfGE 159,335, Rn 131) und ggf. nicht nur auf eingreifende Maßnahmen, sondern verstärkt auf die Gewährung von Leistungs- und Aufklärungsansprüchen setzen. Auch, dass Belastungen auch auf andere hätten verteilt werden können, wird an dieser Stelle nicht berücksichtigt (BVerfGE aaO. Rn. 209ff.). Und selbst wenn man annimmt, dass ein Schutzkonzept nicht erforderlich ist, wenn es Übertragungen in größerer Anzahl als anvisiert reduzieren würde und es gleichzeitig ein Schutzkonzept gäbe, das mit weniger Maßnahmen die anvisierte Höhe erreichen würde, bliebe offen, welche Maßnahme aus dem Bündel gestrichen werden müsste (vgl. zum Abstellen auf das Gesamtkonzept im Rahmen der Erforderlichkeit Kießling aaO).
148
Sowohl RKI als auch ECDC erachteten in den oben zitierten Risikobewertungen Maßnahmen der sozialen Distanzierung für erforderlich. Demnach war wegen des schnellen Anstiegs der Fälle sofortiges gezieltes Handeln geboten. Da sofortiges und effektives Handeln geboten war, ist im Übrigen auch nicht zu beanstanden, dass der Beklagte die Beschränkung auf den Schutz von besonders gefährdeten Personen oder die Einhaltung von Hygienekonzepten oder Zutrittsbeschränkungen nicht als milderes Mittel in Betracht gezogen hat. Hygienekonzepte – auch in Kombination mit Beschränkungen der Kundenzahl im Verkaufsraum – sind nach allgemeiner Lebenserfahrung grundsätzlich weniger wirksam als die Vermeidung von Kontakten, weil sie keinen 100prozentigen Schutz vermitteln und stets fehleranfällig sind, etwa wenn zum Beispiel Schutzmasken nicht vorschriftsmäßig getragen werden.
149
Abgesehen davon waren in der Anfangsphase der Pandemie Desinfektionsmittel, Trennscheiben und Schutzmasken nicht allgemein verfügbar bzw. vorrangig für medizinisches Personal vorzuhalten (vgl. zum Ganzen VG München aaO.). Das Ziel, nicht unbedingt notwendige Kontakte zu vermeiden und ein Herunterfahren des öffentlichen Lebens zu erreichen, wäre weniger effektiv zu verfolgen gewesen, hätte man die Öffnung der Filialen der Klägerin erlaubt. Dies gilt, wie bereits im Rahmen des Geeignetheitskriteriums dargelegt, auch vor dem Hintergrund der Gestattung des Vertriebs von Mischsortimenten, etwa im Lebensmittelhandel.
150
Die Schließung der Ladengeschäfte des Einzelhandels war auch angemessen und der damit erfolgt verfolgte Zweck stand nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs.
151
Allein auf dieser Ebene ist es zulässig, Einzelmaßnahmen aus dem aus dem Gesamtschutzkonzept der Regelung herauszulösen und ihre Verhältnismäßigkeit jeweils unabhängig voneinander zu überprüfen (vgl. Kießling aaO.). Auf diese Weise könnten Maßnahmen, die aufgrund eines krassen Missverhältnisses zwischen ihrem Beitrag zur Zielerreichung und der Belastung für die Betroffenen als unangemessen aus dem Konzept herausstechen, herausgefiltert werden (Kießling aaO.; D. Murswiek, NVwZ-Extra 5/2021, 1 (14)).
152
Ausgangspunkt für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ist das Gebot einer effektiven Gefahrenabwehr. Dabei haben Betroffene umso schwerer wiegende Grundrechtseingriffe hinzunehmen, je gewichtiger das zu schützende Rechtsgut und je höher die Wahrscheinlichkeit eines potentiellen Schadenseintritts ist.
153
Durch die auf wenige Wochen befristete Untersagung der Öffnung der Ladengeschäfte wurden die Betriebe der Klägerin zwar zumindest in ihrer Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) erheblich eingeschränkt. Der Berufsausübungsfreiheit des Klägers gegenüberzustellen ist das Recht auf körperlichen Unversehrtheit der Bevölkerung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), das zu schützen der Staat verpflichtet ist. Der Beklagte durfte davon ausgehen, dass angesichts der exponentiell ansteigenden Infektionszahlen in allen Regierungsbezirken Bayerns mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems bestand. Sowohl RKI als auch ECDC schätzten das Gefährdungsrisiko für die Gesundheit der Bevölkerung als hoch und die Situation als äußerst dynamisch und ernst ein. Das neuartige Virus SARS-CoV-2 hatte sich weltweit, deutschlandweit und bayernweit binnen kurzer Zeit ausgebreitet und war in der Lage, schwere und tödliche Krankheitsverläufe zu verursachen, gegen die es weder eine Impfung noch eine spezifische Therapie gab. Die getroffenen Maßnahmen dienten dem Zweck, den steilen Anstieg der Infektionskurve abzuflachen, um die Infektionswelle in die Länge zu strecken und damit eine Überlastung des Gesundheitssystems (Ärzte, Krankenhäuser, Gesundheitsverwaltung) zu verhindern und Menschenleben zu retten. Das ECDC hatte bereits am 12. März 2020 davor gewarnt, dass sich innerhalb kurzer Zeit die Gefahr einer ähnlichen Situation wie in Italien oder China auch in anderen EUMitgliedstaaten einstellen könne, sobald es zu einer Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung eines Landes komme. Angesichts dieser fachlich gestützten und nicht zu beanstandenden Gefahrenprognose durfte der Beklagte dem hochrangigen Schutzgut „Leben und Gesundheit der Bevölkerung“ zeitlich befristet den Vorrang vor der Berufsausübungsfreiheit (und im übrigen auch, soweit man einen Eingriff in den Schutzbereich bejaht, der Eigentumsfreiheit) der Klägerin einräumen (vgl. ebenso VG München aaO.). Denn der Eingriff war zeitlich befristet und diente dem insoweit als höherwertig einzuordnenden Ziel des Schutzes der Bevölkerung vor den schwerwiegenden Gesundheitsgefahren durch ein neuartiges, hochansteckendes und insbesondere für vulnerable Gruppen potentiell lebensgefährliches Virus. Eingriffsmildernd sind auch die von Bund und Ländern aufgelegten Soforthilfen zu bewerten. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, telefonisch oder online mit Kunden in Kontakt zu treten und Geschäfte ohne persönlichen Kontakt abzuwickeln, auch wenn der Klägerin insoweit zuzugestehen ist, dass dies für ihre Filialen insbesondere auch angesichts von deren Betriebsstrukturen – zumal in der Kürze der Zeit – nicht ohne weiteres möglich gewesen sein dürfte.
154
Auch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) durch die streitgegenständlichen Anordnungen liegt nicht vor. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich gleiches gleich und wesentlich ungleiches ungleich zu behandeln. Differenzierende Regelungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angemessen sind (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 24. März 2015 – 1 BvR 2880/11 –, juris, Rn. 38 f., m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 8 C 6.15 –, juris, Rn. 76). Sachliche Differenzierungsgründe können sich dabei nicht nur aus dem Infektionsschutz ergeben, sondern auch aus gewichtigen Belangen des Gemeinwohls. Dies zugrunde gelegt haben die Einwände der Klägerin keinen Erfolg.
155
Denn die Klägerin verkennt den Anknüpfungspunkt für die verfahrensgegenständliche Differenzierung. Maßgeblich ist insoweit nämlich nicht, in wieweit sich die Produktsortimente von ... und ... einerseits und privilegierten Betrieben wie etwa Lebensmitteldiscountern andererseits unterscheiden, insbesondere, welche Sortimentsüberschneidungen es insoweit gibt, ob also Gegenstände wie etwa Feuerzeuge hier wie dort verkauft werden. Abzustellen ist vielmehr auf das Ansteckungspotenzial, dem Kunden beim Erwerb der entsprechenden non-food-Produkte ausgesetzt sind bzw. wären. Insoweit unterscheidet sich nämlich der Kauf eines non-food-Produkts bei ... oder ... vom Kauf desselben Produkts in einem Lebensmitteldiscounter ganz maßgeblich dadurch, dass es zum nahezu unvermeidbaren Basisansteckungsrisiko fast jeden Bürgers gehört, den Lebensmittelhandel aufsuchen zu müssen, und sich dieses Basisansteckungsrisiko allenfalls in zu vernachlässigende Weise erhöht, wenn er bei dieser Gelegenheit zusätzlich ein non-food-Produkt erwirbt. Im Gegensatz dazu schafft der Besuch in einer ... zum Zweck des Erwerbs desselben Produkts ein absolut vermeidbares Zusatzrisiko. Die Behauptung der Klägerin, die Zahl der Kundenkontakte könnte durch die Bereitstellung größerer Einkaufsflächen im Falle der Öffnung ihrer Läden entzerrt werden und wäre demgegenüber infolge der Maßnahmen des Beklagten durch die Konzentration im Einzelhandel erhöht, verkennt wie dargelegt, dass die große Mehrzahl der Kunden versuchen wird, die Deckung ihres Konsumbedarfs durch möglichst wenige Erwerbsvorgänge (inklusive des hierfür erforderlichen Anfahrtswegs) mit in der Folge möglichst wenigen unterschiedlichen Personenkontakten zu erreichen, und deswegen non-food-Produkte anlässlich des Einkaufs von Lebensmitteln und nicht im Rahmen eines zusätzlichen Einkaufsvorgangs erledigen wird. Die Annahme der Klägerin, dass es bei Offenhaltung ihrer Läden weniger Infektionen gegeben hätte, beruht auf der Fehlannahme, dass die durch die Schließung der Filialen von ... und ... verhinderten Kundenkontakte mit einer entsprechenden Erhöhung der Anzahl der Kundenkontakte im Lebensmittelhandel korrespondieren. Sprich: diese klägerischen Überlegungen wären nur dann richtig, wenn jeder Kunde, der am Erwerb eines Produkts in den Filialen der Klägerin gehindert ist, sich a) deswegen in den Lebensmittelhandel begibt, um dort b) ausschließlich das entsprechende Produkt zu kaufen. Denn nur dann wäre anzunehmen, dass es infolge der Regelungen der Beklagten zu einem erhöhten Ansteckungsrisiko im privilegierten Handel kommt. Insoweit blendet die Klägerin die Möglichkeit eines vollständigen Konsumverzichts ebenso aus wie die Option des ansteckungsminimierenden Erwerbs von non-foodProdukten aus Anlass eines sowieso unvermeidbaren Lebensmittelkaufs. Die Kammer verkennt zwar nicht, dass wissenschaftliches und direkte Vergleichsstudien für beide Szenarien soweit ersichtlich nicht vorliegen (wobei im Übrigen auch schwer vorstellbar ist, wie die empirische Tatsachengrundlage für eine derartige Studie hergestellt werden sollte); nichtsdestotrotz ist die Kammer aufgrund der vorangegangenen Ausführungen auch ohne entsprechende (wohl auch praktisch gar nicht durchführbare) Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Schließung der Filialen von ... und ... ungeachtet der Gestattung von non-foodSortimenten im privilegierten Einzelhandel das Ansteckungsrisiko reduziert hat, bzw. dass dieses deutlich höher gewesen wäre, wenn die klägerischen Filialen offengeblieben werden. Im Übrigen kommt es, wie bereits dargelegt, aber auch gar nicht drauf darauf an, wie sich die Ansteckungszahlen in dem einen oder anderen Szenario tatsächlich entwickelt haben bzw. hätten; entscheidend ist vielmehr, welche Vorgehensweise das größere Potenzial zur Ansteckungsreduzierung hat, wenn man voraussetzt, dass die Kunden sich vernünftig verhalten. Ein vernünftiger Kunde würde, wie dargelegt, versuchen, sein Einkaufsverhalten zu optimieren, und würde möglichst versuchen, benötigte non-food-Produkte zusammen mit Lebensmitteln zu erwerben, sodass der Erwerb von ersteren (anders als beim Kauf bei ... und ... ) zu keinem oder einem kaum nennenswert gesteigerten vermeidbaren Ansteckungsrisiko führt, während der Kauf eines Produkts in einer offen gehaltenen Filiale der Klägerin immer notwendigerweise zu einem zusätzlichen Ansteckungsrisiko durch weitere vermeidbare Kontakte mit unbekannten Personen führt. Genau dieser Umstand begründet ein hinreichend sachlich gerechtfertigtes Differenzierungskriterium zwischen den klägerischen Filialen und dem privilegierten Einzelhandel, in welchem überwiegend Lebensmittel oder andere ähnlich unverzichtbare Produkte verkauft werden.
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Schließlich beruhen auch die Ausnahmen für bestimmte Geschäfte des Einzelhandels auf angemessenen sachlichen Differenzierungsgründen und erscheinen nicht willkürlich. Es erscheint der Kammer vertretbar, Baumärkte offenzuhalten, um Handwerkern und Privatpersonen die Durchführung notwendiger Reparaturen zu ermöglichen, und Gartencenter nicht zu schließen, um der Saisonalität der Waren und der im Frühjahr beginnenden Pflanzzeit Rechnung zu tragen. Auch die Öffnung von Buchläden war vor dem Hintergrund notwendiger Versorgung mit „geistiger Nahrung“ im sogenannten Lockdown I zu rechtfertigen (so auch VG München aaO.). Zweifel an der Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bestanden auch nach der Rechtsprechung des BayVGH (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 27. April 2020 – 20 NE 20.793 –) allenfalls in sehr begrenztem, hier nicht einschlägigen Umfang, und zwar hinsichtlich der 2. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16.04.2020 insoweit, als nach § 2 Absatz 5 Nr. 1BayIfSMV eine Beschränkung der Verkaufsfläche bei Buchhandlungen und dem großflächigen Fahrradhandel im Gegensatz zu sonstigen großflächigen Einzelhandelsbetrieben nicht vorgesehen war. Verwiesen wurde in dem Zusammenhang auf die besondere Anziehungswirkung von großflächigen Buchhandlungen im großstädtischen Bereich auf das Einkaufspublikum. Im Hinblick auf den Gleichheitssatz sei zudem zu beanstanden, dass nach dem Wortlaut der Verordnung im Fall der Ladenöffnung nur sonstige Einzelhandelsbetriebe eine Begrenzung der Kundenzahl auf einen Kunden je 20 m² sicherstellen müssen, nicht aber die übrigen Einzelhändler, die bereits vor dem 27.04.2020 öffnen durften, sowie Buchhandlungen, Kfz-Handel und Fahrradhandel.
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Der VGH München hat jedoch ausnahmsweise aufgrund der herrschenden Pandemienotlage und der kurzen Geltungsdauer der Einschränkungen bis einschließlich 03.05.2020 davon abgesehen, die Bestimmungen außer Vollzug zu setzen, sondern lediglich die Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG festgestellt. Soweit die insoweit vorgenommenen Differenzierungen vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (im Eilverfahren) problematisiert worden, betrifft dies nicht die verfahrensgegenständlich beanstandeten Differenzierungen. Im Übrigen sind die Regelungen der bayerischen Staatsregierung im Lockdown I von der hierzu vorliegenden Rechtsprechung, soweit ersichtlich unbeanstandet geblieben.
2.2.3. Fehlende Kausalität eines (potentiellen) Gleichbehandlungsvertoßes für den Schaden
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Selbst wenn man entgegen der dargelegten Ansicht der Kammer davon ausgehen würde, dass die Regelungen des Lockdowns I wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 GG rechtswidrig waren, fehlt es an einer Kausalität der die Rechtswidrigkeit begründenden Umstände für den geltend gemachten Schaden. Für diesen ist nämlich nicht die rechtswidrige Ungleichbehandlung als solche, sondern die (für sich betrachtet rechtmäßige) Schließung der klägerischen Filialen ursächlich. Insoweit trägt das beklagte Land nämlich – aus Sicht der Kammer überzeugend – vor, dass die Schließung der Läden der Klägerin auch dann angeordnet worden wäre, wenn er seinerzeit davon ausgegangen wäre, dass bei gleichzeitiger Gestattung des Weitervertriebs von non-food-Produkten im privilegierten Einzelhandel eine rechtswidrige Ungleichbehandlung vorliegt. Denn unter diesen Voraussetzungen hätte der Beklagte auch dem privilegierten Einzelhandel den Verkauf von non-food-Produkten untersagt. Soweit die Klagepartei dies bestreitet und meint, bei einem richtigen Ermessensgebrauch hätten die Läden von ... und ... offen bleiben müssen, jedenfalls aber trage die Beklagte die Darlegungs – und Beweislast für das Alternativszenario, verkennt sie, dass insoweit kein Fall einer hypothetischen Reserveursache vorliegt (für die der Beklagte in der Tat darlegungs- und beweisbelastet wäre), sondern es vielmehr um die Frage geht, ob – und in welcher Höhe – sich der unterstellte Ermessensfehler überhaupt kausal auf den entstandenen Schaden ausgewirkt hat. Denn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Ermessensfehler und einem Schaden besteht nur insoweit, als feststeht, dass bei rechtmäßigen Ermessensgebrauch der Schaden nicht eingetreten wäre (BGH Urteil vom 15.08.2019 – III ZR 18/19). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Fehler nicht in der Schließung der Geschäfte der Klägerin als solcher liegt, sondern in der Offenhaltung der Geschäfte der Konkurrenz. Nur insoweit wäre die Entscheidung rechtswidrig gewesen und allenfalls insoweit könnten Entschädigungsansprüche entstanden sein. Denn Fehler in der Ermessensausübung könne nicht dazu führen, dass Vermögensschäden zu kompensieren sind, welche auch ohne diesen Fehler entstanden wären. Die Umsatzverluste während der Betriebsschließung können allenfalls dann geltend gemacht werden, wenn man von einer Ermessensreduzierung auf Null dahingehen ausgehen müsste, die klägerischen Geschäfte offen zu halten, weil die Schließung des gesamten non-food-Handels unvertretbar ist. Hierbei handelt es sich allerdings um eine Rechts- und nicht um eine Tatsachenfrage. Eine solche Ermessensreduzierung auf Null sieht die Kammer jedoch explizit nicht. Denn dies würde bedeuten, allein im Hinblick auf die Vermeidung von (unterstellt gleichheitswidrigen) Wettbewerbsverzerrungen ein erhebliches Lebens- und Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung in Kauf nehmen zu müssen. Mit anderen Worten: Soweit man davon ausgeht, dass die gewählte Regelung der Betriebsschließungen bei Offenhaltung des Mischsortiments im privilegierten Einzelhandel aus Gründen der Gleichbehandlung ausscheidet, ergibt sich hieraus im Hinblick auf die Bedeutung des Gesundheits- und Lebensschutz nicht nur eine Berechtigung, sondern sogar eine Verpflichtung des Verordnungsgebers, den Vertrieb von non-foodProdukten komplett zu untersagen, auch wenn dies den privilegierten Betrieben im Hinblick auf die bereits dargelegte allenfalls geringfügige Steigerung des Infektionsrisikos durch das Angebot eines Mischsortiments im privilegierten Einzelhandel wahrscheinlich schwer vermittelbar und mit weiteren Verlusten im Handel und Einschränkungen für die Verbraucher verbunden gewesen wäre. Dies wiederum hätte zur Folge gehabt, dass die während der Betriebsschließung entstandenen Umsatzausfälle der Klagepartei und auch die durch die Schließung veranlassen Folgekosten in selben Umfang entstanden wären. Weitergehende kausal auf die – unterstellte – Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Beklagten zurückzuführende Entschädigungsansprüche bestünden dann allenfalls insoweit, als durch die kurze Phase der Offenhaltung des privilegierten Einzelhandels Wettbewerbsvorteile entstanden sind, die sich für ... und ... nach der Wiedereröffnung umsatzmindernd ausgewirkt haben, zB, weil die Kunden, die während der Betriebsschließung Produkte im privilegierten Einzelhandel erworben haben, den entsprechenden Einkauf nach der Wiedereröffnung nicht mehr in den Filialen der Klägerin tätigten. Allerdings trägt die Klägerin hierzu selbst vor, dass ihre Kunden den in dem Zeitraum unterlassenen Konsum in aller Regel nicht „nachholen“; der Vortrag der Klägerin zu den dargelegten möglichen Wettbewerbsnachteilen ist im Übrigen nicht ausreichend substantiiert, als dass die Kammer hieraus – und sei es auch nur im Wege der Schätzung – nachvollziehen könnte, ob und in welcher Höhe Umsatzverluste infolge dieses kurzzeitigen Wettbewerbsnachteils eingetreten sind. Zum einen betreffen die diesbezüglichen Ausführungen den Lockdown II, zum anderen beschränken sie sich im Wesentlichen auf Ausführungen dazu, dass die privilegierten Einzelhandelsunternehmen den Anteil der Werbung für Ihre non-food-Produkte während der Betriebsschließungen erhöht haben. Hieraus folgt aber weder mit hinreichender Sicherheit, dass seitens der Konkurrenten auch tatsächlich deswegen höhere Umsätze erzielt wurden, noch lässt sich daraus ableiten, dass sich die Erzielung dieser höheren Umsätze in entsprechenden (nachfolgenden) Verlusten der klägerischen Unternehmen niederschlägt. Eine gezielte Erweiterung des non-food-Sortiments von Selbstbedienungswarenhäusern und Discountern, aber auch der Vollsortimenter, schon während des Lockdowns I hat die Klagepartei bei näherer Betrachtung gar nicht behauptet. Sie wurde im Übrigen seitens des Beklagten für beide verfahrensgegenständlichen Zeiträume insgesamt bestritten; nach den aus Sicht der Kammer überzeugenden Darlegungen des Beklagten wären die Behörden im Übrigen hiergegen vorgegangen.
159
Nicht entscheidungsrelevant ist in diesem Zusammenhang im Übrigen die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Verwaltungsgerichte im Hinblick auf einen bejahten Gleichheitsverstoß die Möglichkeit gehabt hätten, selbst die Wiedereröffnung der klägerischen Läden anzuordnen. Diesbezüglich kann auf die Entscheidung des BayVGH vom 21.12.2021 Bezug genommen werden, wonach ein Gleichheitsverstoß alleine noch nicht zwingend zur Aufhebung eines – für sich genommen ja möglicherweise zulässigen – Verbotes führen muss; Letzteres kann allenfalls dann der Fall sein, wenn das Verhältnis von repressiven Verboten und Befreiungen derart in Schieflage gerät, dass das repressive Verbot an sich infrage gestellt wird. Das ist vorliegend nach der Überzeugung der Kammer nicht der Fall.
2.3. Entschädigungsansprüche aus enteignendem Eingriff im Lockdown I:
160
Ansprüchen aus enteignendem Eingriff steht zwar nicht der Vorrang des Primärrechtsschutzes entgegen, weil ein solcher gegenüber rechtmäßigen Maßnahmen nicht besteht. Allerdings scheitert ein Anspruch an dem Umstand, dass das richterrechtlich entwickelte Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs nur auf einzelfallbezogene Eigentumsbeeinträchtigungen angewandt werden kann und keine geeignete Grundlage darstellt, um massenhaft auftretende Schäden auszugleichen. Insoweit kann auf die überzeugenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 17.03.2022 – III ZR, 79/21, dort Rn. 59 ff. Bezug genommen werden:
„Es stünde in einem offenen Widerspruch zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung, wenn die Gerichte – gestützt auf das richterrechtliche Institut des enteignenden Eingriffs – im Zusammenhang mit einer Pandemiebekämpfung massenhafte und großvolumige Entschädigungen zusprechen würden. Durch die hier in Rede stehenden Betriebsschließungen und Betriebsbeschränkungen im Bereich der Gastronomie und des Beherbergungsgewerbes wurde zwar unmittelbar in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen. Bei diesen nach § 28 I IfSG i.V.m. § 32 IfSG getroffenen infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen handelt es sich indessen um den Vollzug von Inhalts- und Schrankenbestimmungen i.S.d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. Begrenzungen der Eigentümerbefugnisse, die die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich bringen, sind als Ausfluss der Sozialgebundenheit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen (BeckOGK BGB/Dörr, BGB § 839 Rn. 1083 ff., 1248 ff.). Inhalts- und Schrankenbestimmungen, die für sich genommen unzumutbar wären, können ausnahmsweise mit Art. 14 Abs. 1 GG im Einklang stehen, wenn sie vom Gesetzgeber mit Ausgleichsmaßnahmen versehen werden (BVerfGE 100, 226 [244] = NZM 1999, 812 = NJW 1999, 2877). Sie bedürfen jedoch immer einer gesetzlichen Grundlage. Dies gilt insbesondere, auch mit Rücksicht auf das Budgetrecht des Parlaments, soweit kompensatorische Entschädigungsansprüche begründet werden sollen. Bei Inhalts- und Schrankenbestimmungen ist daher kein Raum für eine Entschädigung ohne gesetzliche Grundlage (BVerfGE 100, 226 [245] = NZM 1999, 812 = NJW 1999, 2877). Dementsprechend hat der Senat im Waldschädenurteil vom 10.12.1987 (BGHZ 102, 350 [361 ff.] = NJW 1988, 478) ausgesprochen, dass die Gerichte nur dann Entschädigungsansprüche oder Ausgleichsleistungen im Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zuerkennen können, wenn das Gesetz eine entsprechende Regelung enthält. Er hat dies u.a. damit begründet, dass die Zubilligung von Entschädigungs- und Ausgleichsansprüchen gegen den Staat für die durch das Waldsterben geschädigten Waldbesitzer weitreichende Folgen für die Staatsfinanzen haben könne. Das lege es nahe, die Zubilligung solcher Ansprüche entsprechend dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip der Entscheidung des Parlamentsgesetzgebers vorzubehalten.
Diese Erwägungen gelten für die Beurteilung von Entschädigungsansprüchen für Betroffene von infektionsschutzrechtlichen Betriebsschließungen und ähnlichen Schutzmaßnahmen wegen ihrer außergewöhnlichen wirtschaftlichen Tragweite in besonderem Maße (BeckOGK BGB/Dörr, BGB § 839 Rn. 1086). Letztlich würde die Gewährung von Ansprüchen für Vermögenseinbußen durch flächendeckende Infektionsschutzmaßnahmen wie Betriebsschließungen oder -beschränkungen im Ergebnis darauf hinauslaufen, das Infektionsschutzgesetz kraft Richterrechts in unzulässiger Weise um eine Klausel für Ausgleichsleistungen im Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zu ergänzen.“
161
Die gegen diese höchstrichterliche Rechtsprechung vorgebrachten Einwendungen der Klagepartei überzeugen nicht.
162
Soweit die Klägerin meint, die vom BGH angenommene Ausschlusswirkung der Regelungen des Infektionsschutzgesetzes ließen sich aus der Gesetzesbegründung nicht ableiten, weil ausweislich der Gesetzesbegründung zum 12. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes (BTDrucksache 14/2530, Bl. 87, vergleiche Anlage K 34) den im 12. Abschnitt getroffenen Entschädigungsregelungen eine abschließende Funktion nur hinsichtlich des allgemeinen Aufopferungsanspruchs zukäme, weitergehende Ansprüche aus Amtshaftung hingegen unberührt blieben, trifft zwar zu, dass der „allgemeine Aufopferungsanspruch“ sich im Grundsatz nur auf nicht vermögenswerte Rechtsgüter bezieht. Die Gesetzesbegründung kann indes nicht dahingehend verstanden werden, dass sich die Ausschlusswirkung nur auf Eingriffe in nicht vermögenswerte Rechtsgüter bezieht. Dies ergibt sich systematisch bereits daraus, dass die Regelungen des 12. Abschnitts des Infektionsschutzgesetzes, denen die Ausschlusswirkung zukommen soll, und auf die die von der Klagepartei zitierte Gesetzesbegründung rekurriert, gerade vermögenswerte Rechtsgüter betreffen. Denn sie beziehen sich ausschließlich auf Entschädigungen für Vermögensverluste. Soweit in der Gesetzesbegründung auf nicht ausgeschlossene weitergehende Ansprüche aus Amtshaftung rekurriert wird, können damit also nur Ansprüche wegen rechtswidrigen Verwaltungshandeln, etwa nach § 839 Abs. 1 BGB oder aus enteignungsgleichem Eingriff, gemeint sein.
163
Soweit die Klagepartei meint, insofern, als der BGH das Infektionsschutzgesetz deswegen für abschließend halte, weil die Zulassung von Ansprüchen aus enteignendem Eingriff der Notwendigkeit der Bewältigung eines Globalphänomens mit dem Auftritt massenhafter Schäden nicht gerecht werde, treffe diese Begründung verfahrensgegenständlich deswegen nicht zu, weil ihre Unternehmen durch die Betriebsschließungen aufgrund der sehr besonderen Produkt- und Zielkunden Ausrichtung in äußerst gravierender Weise benachteiligt gewesen seien, überzeugt auch dies nicht. Denn dies bezieht sich allenfalls auf die Frage, ob ein entschädigungspflichtiges Sonderopfer vorliegt, vermag die grundlegenden Bedenken des BGH (unter der bereits zitierten Instanzrechtsprechung) gegen die Anwendbarkeit des Instituts des enteignenden Eingriffs in Bezug auf global auftretende massenhaft Schäden indes nicht zu entkräften.
164
Hinzu kommt, dass die Vertriebsstruktur der klägerischen Unternehmen nach Überzeugung der Kammer die Annahme eines Sonderopfers mit der Folge eines ausnahmsweise über die gesetzlichen im Infektionsschutzgesetz geregelten Entschädigungsansprüche hinausgehenden Anspruchs auch nicht rechtfertigen kann. Denn anders als beim enteignungsgleichen Eingriff, bei welchem das Sonderopfer wegen der Rechtswidrigkeit des Eingriffs indiziert ist (BGHZ 32, 208, 212), bedarf bei rechtmäßigen Eingriffen die Annahme eines entschädigungspflichtigen Sonderopfers einer besonderen Begründung (BGH NJW 2013, 1736). Ein Ersatzanspruch ist in diesen Fällen nur dann gegeben, wenn die Einwirkungen die Sozialbindungsschwelle überschreiten, also im Verhältnis zu anderen ebenfalls betroffenen Personen eine besondere „Schwere“ aufweisen oder im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen einen Gleichheitsverstoß bewirken (BGH aaO). Für die Beurteilung, ob diese Schwelle überschritten ist, soll entscheidend sein, wo nach dem vernünftigen Urteil aller billig und gerecht Denkenden die Opfergrenze liegt (BGH NJW 1955, 1109, 1110), bzw. wo die Grenze dessen liegt, was eine Gemeinschaft, die ihre verfassungsmäßige Ordnung in einem sozialen Rechtsstaat gefunden hat, dem Einzelnen entschädigungslos zumuten kann und will (BGH NJW 2013, 1736 Rn. 8).
165
Ein solches Sonderopfer liegt hier auch unter besonderer Berücksichtigung der Vertriebsstrukturen der Unternehmen der Klagepartei nicht vor. Die während der CoronaPandemie getroffenen Maßnahmen betrafen nämlich nicht nur einzelne Betriebe oder Betriebsarten, vielmehr waren sie Teil eines ganzen Gesamtkonzepts von Schutzmaßnahmen, welches nach seiner Grundkonzeption nahezu das gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftsleben erfasste. Es lässt sich vor diesem Hintergrund nicht erkennen, wieso die Schließungen oder beschränkungen eines bestimmten Betriebs im Verhältnis zu anderen ebenfalls betroffenen Betrieben eine besondere „Schwere“ aufgewiesen oder im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen einen Gleichheitsverstoß bewirkt haben sollen. Bei Anlegung des von der höchstrichterlichen Rechtsprechung skizzierten Maßstabes an die im Rahmen der CoronaPandemie erfolgten Betriebsschließungen sowie -beschränkungen ergeben sich deshalb regelmäßig keine Anhaltspunkte für die Annahme eines entschädigungspflichtigen Sonderopfers (vgl. Gerhardt in Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 6. Aufl. 2022, § 56 IfSG Rz. 51). Zwar mag es zutreffen, dass die Vertriebsstrukturen der klägerischen Unternehmen besonders anfällig für unvorhergesehene, pandemiebedingte Betriebsschließungen sind. Zum einen sind die klägerischen Unternehmen jedoch nicht die einzigen von den Schließungsmaßnahmen betroffenen Unternehmen mit einer entsprechenden Vertriebsstruktur, wie z.B. sehr kurzfristigen gelieferten, saisonabhängigen Sortimenten; vor ähnlichen Herausforderungen dürfte (u.a.) die gesamte Textilbranche gestellt gewesen sein, insbesondere im Niedrigpreissegment. Zum anderen ist die dargelegte besondere wirtschaftliche Betroffenheit von pandemiebedingten Betriebsschließungen Folge von unternehmerischen Entscheidungen der Betriebe der Klagepartei und damit grundsätzlich ihrer Risikosphäre zuzuschreiben. Denn dass das beschriebene Vertriebskonzept für plötzliche Betriebsschließungen etwa in Folge von Infektionsschutzmaßnahmen ganz besonders anfällig ist, war für jedes wirtschaftlich vorausschauend handelnde Unternehmen im Grundsatz bereits vor der Pandemie absehbar.
166
Soweit sich die Unternehmen der Klagepartei entschieden haben, (mutmaßlich) im Interesse der Preissenkung ihre Vertriebsstrukturen und Lieferketten möglichst zur verschlanken, etwa keine Lagerräume vorzuhalten und ein Sortiment anzubieten, das sich im Hinblick auf dessen Zusammensetzung und die Kundenstruktur nicht besonders gut für den Onlinehandel oder Maßnahmen wie „click & meet“ oder „click & collect“ eignet, waren die sich hieraus ergebenden spezifischen Risiken im Hinblick auf eine Pandemie vorhersehbar und rechtfertigen deswegen nicht die Annahme eines Sonderopfers.
167
Soweit eine Entschädigungspflicht von der Rechtsprechung auch in Fällen anerkannt wird, in denen die Sozialbindungsschwelle überschritten ist, weil sich Maßnahmen nach Art und Dauer besonders einschneidend oder existenzbedrohend auswirken (vgl. BGH NJW 1980, 2703, 2704 zur Entschädigung für Beeinträchtigungen eines Gewerbebetriebes durch eine Straßenuntertunnelung), trifft auch dies für den vorliegenden Fall nicht zu. Ob derartige Auswirkungen vorliegen, kann nur im konkreten Einzelfall beurteilt werden. In jedem Fall bei der Beurteilung zu berücksichtigen sind dabei insbesondere staatliche Hilfsmaßnahmen, etwa durch Darlehen, Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, Wirtschaftsfördermaßnahmen, Steuerstundungen oder -senkungen und dergleichen. Im Rahmen der Corona – Pandemie gab es bundes- und landesweit eine Vielzahl derartiger Maßnahmen, teils auch auf kommunaler Ebene (z. B. Ausweitung der Außenschankflächen), so dass die ergriffenen Maßnahmen in aller Regel nicht die für eine Existenzgefährdung erforderliche Eingriffsintensität erreicht haben (vgl. Zum Ganzen Gerhardt in Gerhardt, Infektionsschutzgesetz 6. Aufl. 2022, § 56 IfSG Rz. 51). Eine dergestalt existenzbedrohende Wirkung der zeitlich begrenzten und durch eine Vielzahl von staatlichen Ausgleichszahlungen abgefederten Betriebsschließungen ist weder ausreichend vorgetragen noch ersichtlich. Die Maßnahmen des Lockdown I dauerten hierfür auch schlicht nicht lang genug.
2.4 Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff während des Lockdowns II
168
Hinsichtlich der Betriebsschließung während des „Lockdowns II“ gelten die oben genannten Erwägungen weitestgehend entsprechend. Zwar greift insoweit nicht der Vorrang des Primärrechtsschutzes, weil die Klägerin unbestritten erfolglos Eilrechtsschutz beantragt hat; ein Normenkontrollantrag im Hauptsacheverfahren wäre zwar auch nach Außerkrafttreten der angegriffenen Verordnungen grundsätzlich noch zulässig gewesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Januar 2024 – 3 BN 2/23), dies wäre jedoch nicht mehr geeignet gewesen, die verfahrensgegenständlichen Schäden zu verhindern. Ein Entschädigungsanspruch scheidet insoweit nach Auffassung der Kammer jedoch aus, weil die 11. und die 12. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnung rechtmäßig waren.
169
Dies ergibt sich zum einen aus der hierzu ergangenen Rechtsprechung, insbesondere im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, die nachfolgend unter Ziffer 2.4.1. dargestellt wird; zum anderen aus den weitgehend analog heranzuziehenden Erwägungen zum Lockdown I; insoweit wird unter Ziffer 2.4.2. lediglich auf die Besonderheiten während des Lockdowns II Bezug genommen.
2.4.1. Rezeption in der Rechtsprechung:
Sowohl die Maßnahmen der 11. als auch der 12. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen Verordnung waren Gegenstand zahlreicher (erfolgloser) Eilrechtsschutzanträge zum BayVGH wie auch zum BayVerfGH.
So ergingen zur 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnung beispielsweise folgende Entscheidungen: BayVerfGH: Vf. 96-Vii-20 Entscheidung vom 3012.2020;
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 15. Februar 2021 – 20 NE 21.406 –; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 23. Februar 2021 – 20 NE 21.367 –, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 25. Februar 2021 – 20 NE 21.475 –, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 25. Februar 2021 – 20 NE 21.460 –, juris;
170
Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Problematik der Gleichbehandlung der angebotenen Sortimente ist zur 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen Verordnung insbesondere auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 25. Februar 2021 – 20 NE 21.460 –, (dort Rz. 30) hinzuweisen:
„Soweit der Einzelhandel der Versorgung der Bevölkerung mit Waren des täglichen Bedarfs dient, unterscheidet er sich von Einzelhandelsbetrieben, deren Sortiment schwerpunktmäßig nicht auf solche Güter ausgerichtet ist. Dass in Supermärkten teilweise auch Textilwaren angeboten werden, ändert daran nichts. Das Abstellen auf den Schwerpunkt des jeweiligen Sortiments ist als generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelung (vgl. nur BayVerfGH, E.v. 16.11.2020 – Vf. 90-VII-20 – juris Rn. 32) voraussichtlich nicht sachwidrig, zumal der Verordnungsgeber eine Ausweitung solcher „Nebensortimente“ in § 12 Abs. 1 Satz 3 11. BayIfSMV untersagt hat.“
171
Für die 12. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnung kann exemplarisch auf folgende Entscheidungen hingewiesen werden: Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 22. März 2021 – Vf. 23-VII-21 –; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 31. März 2021 – 20 NE 21.540 –; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 21. April 2021 – 20 NE 21.1068 –, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 16. April 2021 – 20 NE 21.925 –,. Keine der Entscheidungen führte zur Aufhebung der Regelungen.
172
Die anderslautende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, Beschluss vom 9. März 2021,2 B 58/21 wurde vom Bundesverwaltungsgericht nicht gehalten (Urteil vom 15.09.2022, Az. 3 CN 2.21 Abdruck der Entscheidung ist vorgelegt als Anlage K45). Zwar weist die Klägerin insoweit zu Recht darauf hin, dass das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung abgeändert, sondern das Verfahren an das OVG des Saarlandes zurückverwiesen hat; hieraus folgt jedoch nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht die Erwägungen des OVG Saarbrücken im Ergebnis geteilt hätte; es hielt sie allenfalls bei entsprechender gerichtlicher Begründung, an der es aus höchstrichterlicher Sicht fehlte, für potentiell vertretbar.
173
Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OVG des Saarlandes bestanden zeitweise auch Bedenken des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bzgl. der Änderungsverordnung vom 24. Februar 2021, und zwar im Hinblick auf die zahlreichen Ausnahmetatbestände in Kombination mit dem offenen Auffangtatbestand des § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV, weil durch die Zahl der zusätzlich geschaffenen Bezugsquellen insgesamt die Abgrenzung deutlich erschwert wurde, mit der Folge, dass Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht prinzipiell verneint wurden (vgl. etwa Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 16. März 2021 – 20 NE 21.712 – für einen Tatoo-Studio etwa im Hinblick auf die Gleichbehandlung mit Friseuren); Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 18. März 2021 – 20 NE 21.579 –,(für Textilhandel) juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 17. März 2021 – 20 NE 21.605 –, juris; für Möbelgeschäfte; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 17. März 2021 – 20 NE 21.603 – für Möbelgeschäfte).
174
Diese Entscheidungen spiegeln das grundsätzliche Dilemma des Verordnungsgebers wider, in einer sich konstant und rasant wandelnden pandemischen Lage allgemeinverbindliche abstrakte Regelungen für eine unüberschaubare Vielzahl von Branchen unterschiedlichster Prägung zu finden und dabei dem Schutz der Bevölkerung vor Ansteckungsrisiko einerseits und den berechtigten (auch: wirtschaftlichen) Interessen und Besonderheiten der einzelnen Branchen und Branchenzweige andererseits ausreichend Rechnung zu tragen, zumal jede einzelne in einen Ausnahmekatalog aufgenommene Branche hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes weitergehende Streitfelder eröffnet, wie etwa die Thematik der Vergleichbarkeit von Friseuren und Tattoo-Studios anschaulich zeigt. Auch eine exakte Abgrenzung und Gleichbehandlung aller Branchen im Hinblick auf deren Sortimente dürfte nicht darstellbar sein. Hierfür eine absolut gerechte, jedem einzelnen Belang vollständig Rechnung tragende Lösung zu finden, würde die Anforderungen an den Verordnungsgeber überspannen und diesen vor eine nahezu unlösbare Aufgabe stellen. Deswegen ist es vor diesem Hintergrund Aufgabe der Verwaltungsgerichte, namentlich im Bereich des Eilrechtsschutzes, dem Verordnungsgeber Hinweise auf mögliche Schwachstellen der Regelungen zu geben, ohne dass damit gleich die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Regelungen verbunden wäre, geschweige denn, dass diese im Rahmen einer einstweiligen Anordnung aufgehoben werden müssten. Die Bedenken, mit denen sich die bayerischen Gerichte trugen, betrafen im übrigen nicht die spezifische Frage der klägerseits gerügten sortimentsbezogenen Differenzierung, sondern wie dargelegt die Weite des RegelAusnahmeverhältnisses im Allgemeinen. Indes wurde das Regel-Ausnahmeverhältnis mit der Änderungsverordnung vom 09.04.2021 (BayMBL 2021 Nr. 261) klarer gefasst, womit eine verstärkte Rechtssicherheit erreicht und verhindert wurde, dass eine „schleichende“ und vom Verordnungsgeber nicht beabsichtigte Ausweitung der inzidenzunabhängig geöffneten Ladengeschäfte auf weitere Branchen (z.B. Schuhgeschäfte), stattfindet. Vor diesem Hintergrund hat der bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 21.04.2021 (Az.: 20 NE 21.1068; Rz: 42 ff.) insbesondere festgestellt, dass ein offensichtlicher Verstoß der 12. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnung gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht vorliegt.
175
Die letztgenannte Entscheidung ist für den vorliegenden Fall insbesondere insoweit wegweisend, als ein Gleichheitsverstoß explizit auch insofern verneint wird, als das Sortiment des privilegierten Lebensmitteleinzelhandels nicht auf Lebensmittel beschränkt wird. Insoweit sieht der bayerische Verwaltungsgerichtshof in erster Linie ein Vollzugsproblem und stellt hierzu fest:
„Auch ein offensichtlicher Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht erkennbar. Durch die Änderung des § 12 Abs. 1 12. BayIfSMV vom 9. April 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 261) werden die Bedenken, die der Senat im Hinblick auf die Anforderungen der Norm an den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG unter anderem in dem Beschluss vom 7. April 2021 (20 NE 21.868, dieser Entscheidung beigefügt) formuliert hat, zwar nicht ganz ausgeräumt. Mit der Änderungsverordnung vom 9. April 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 261) ist die „Generalklausel“ der „sonstigen für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfte“ in § 12 Abs. 1 12. BayIfSMV entfallen und wird der Kreis der bedarfsnotwendigen Ladengeschäfte auf diejenigen Geschäfte begrenzt, die nach Auffassung des Antragsgegners tatsächlich im engeren Sinn zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs erforderlich sind (Begründung vom 9.4.2021, BayMBl. 2021 Nr. 262, S. 3) . So werden etwa Blumenfachgeschäfte, Gartenmärkte, Gärtnereien, Baumschulen, Baumärkte und Buchhandlungen nicht länger den bedarfsnotwendigen Ladengeschäften, die inzidenzunabhängig geöffnet sind, zugerechnet. Durch die Neufassung soll laut Begründung (BayMBl. 2021 Nr. 262) das Regel-AusnahmeVerhältnis klarer gefasst, verstärkte Rechtssicherheit erreicht und verhindert werden, dass über die ausdrücklich geregelten Fälle hinaus durch die bisherige generalklauselartige Vorschrift ungeregelte Bezugsfälle geschaffen werden und damit eine „schleichende“ und vom Verordnungsgeber nicht beabsichtigte Ausweitung der inzidenzunabhängig geöffneten Ladengeschäfte auf weitere Branchen wie zuletzt die Schuhgeschäfte stattfindet. Auf die Aufnahme von Versicherungsbüros (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.201 – 20 NE 21.391 – BeckRS 2021, 3806) und Angeboten der körpernahen Dienstleistungen (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 20 NE 21.770 – bislang nicht veröffentlicht und daher diesem Beschluss beigefügt), die beide das Kriterium des Alltagserfordernisses aufweisen, in den Katalog der privilegierten Ladengeschäfte mit Kundenverkehr kann mangels Vergleichbarkeit des Unternehmenskonzepts des Textileinzelhandels der Antragstellerin ein Gleichheitsverstoß nicht gestützt werden. Der Verordnungsgeber darf besonders bei Massenerscheinungen generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit vermeintlich verbundenen Härten gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen, solange sich für das insgesamt gefundene Regelungsergebnis ein plausibler sachlicher Grund anführen lässt (BayVGH, B.v. 16.7.2020 – 20 NE 20.1580 – BeckRS 2020, 16913 Rn. 46). Dass der Verordnungsgeber diesen Rahmen vorliegend mit der Folge verlassen hätte, dass sich die Regelung insgesamt als gleichheitswidrig erweist, ist nicht ersichtlich. Teile des Lebensmitteleinzelhandels sind „traditionell“ so ausgerichtet, dass regelmäßig nicht ausschließlich Lebensmittel angeboten werden, sondern auch andere Waren des täglichen und nicht täglichen Bedarfs. Soweit Einzelhandelsbetriebe ihre Sortimente pandemiebedingt umstellen, um in den Genuss von Privilegierungen zu gelangen, tritt die Staatsverwaltung dem mit Schließungsanordnungen entgegen, wie dem Senat aus einer Vielzahl von gerichtlichen Verfahren bekannt ist (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 3 12. BayIfSMV).“
176
Diesen Erwägungen schließt sich die Kammer vollumfänglich an, und zwar auch unbeschadet des Umstandes, dass dortiger Antragsteller ein Unternehmen der Textilbranche war, während die klägerischen Unternehmen ein demgegenüber breiteres Sortiment anbieten. Die Erwägungen gelten hierfür sinngemäß. Auch die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 24. März 2021 – 2 KM 120/21) führen zu keiner anderen Beurteilung; die dort aufgeworfenen Kritikpunkte an der Begründung des Verordnungsgebers hinsichtlich der fehlenden Praktikabilität von Absperrungsmaßnahmen für das Mischsortiment privilegierter Betriebe sind zwar nachvollziehbar; allein dass eine Maßnahme praktikabel umsetzbar ist, bedeutet jedoch noch nicht, dass sie aus Gleichheitserwägungen heraus geboten sein muss. Betroffene Betriebe des Lebensmitteleinzelhandels könnten hiergegen z.B. einwenden, es sei nicht einzusehen, warum sie allein aus Gründen der Wettbewerbsverzerrung ihr Mischsortiment absperren müssen, obwohl dessen Erwerb aus Anlass des Lebensmitteleinkaufs die Infektionsgefahr nicht steigert.
177
Das ein plausibler sachlicher Grund für eine Differenzierung vorliegt, wurde bereits ausführlich dargelegt. Insoweit darf auf die Ausführungen zum „Lockdown I“ verwiesen werden.
178
2.4.2. Auch die übrigen von der Klagepartei vorgetragenen Argumente zur angeblichen Rechtswidrigkeit der 11. und 12. bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnung überzeugen die Kammer nicht.
179
(1) Auch diese Regelungen sind ausreichend begründet und auf hinreichender Tatsachengrundlage ergangen. Insbesondere trifft der Vorwurf der Klagepartei, es sei epidemiologisch nicht zu rechtfertigen, das Verhängen behördlicher Maßnahmen alleine an den Inzidenzwert (also auf die absoluten Fallzahlen ungeachtet ihrer Auswirkungen und Schwere) anzuknüpfen, nicht zu. Vor diesem Hintergrund muss mit Blick auf die von der Klagepartei vorgelegten wissenschaftlichen Stellungnahmen darauf hingewiesen werden, dass der Norm- und Verordnungsgeber sich bei der Bekämpfung einer pandemischen Notlage nicht auf den Standpunkt zurückziehen darf, dass er erst dann tätig werden müsse, wenn die Tatsachengrundlage seine beabsichtigte Regelung in der Wissenschaft übereinstimmend als gesichert bewertet worden ist. Zu den Kritikpunkten der Klägerin ist im einzelnen folgendes auszuführen:
180
Soweit die Klagepartei insoweit auf eine Stellungnahme von Professor ... vom 12.11. 2020 (Anlage K6) rekurriert, der als Einzelsachverständiger zum Entwurf des § 28 a Abs. 3 IfSG in seinerzeit geltender Fassung dahingehend Stellung genommen hat, die alleinige Reduktion der Lageeinschätzung auf einen einzigen Messwert statt auf eine Summe von Faktoren wie die Art und Schwere der Erkrankungen, die Altersverteilung der Fälle, die zeitliche und räumliche Verbreitung von Infektionsketten, die Verteilung von wahrscheinlichen Infektionsquellen, Sterblichkeit etc., sei epidemiologisch nicht begründbar und entspreche nicht dem Stand der verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Das Abstellen auf die Inzidenz als Grundlage der Entscheidung ist nicht überschießend, sondern sachgerecht. Zudem wurde § 28 IfSG nach Inkrafttreten im November 2020 kontinuierlich geändert und angepasst. Soweit bei Fortschreiten der Pandemie auch Konzepte weiterentwickelt wurden, spricht dies nicht dafür, dass frühere Konzepte nicht vertretbar waren. Zwar mag zutreffend sein, dass die im Inzidenzwert wiedergegebenen absoluten Ansteckungszahlen die tatsächliche Gefährdungslage für die Bevölkerung nicht vollständig abbilden, weil dadurch die Entwicklung des regionalen Infektionsgeschehens nicht in seiner Gesamtheit, sondern lediglich in einem ganz bestimmten quantitativen Aspekt erfasst wird. Dies steht der grundsätzlichen Eignung als einem exakt bestimmbaren Abgrenzungskriterium aber nicht entgegen (vgl. Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 22. März 2021 – Vf. 23-VII-21 –; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 16. April 2021 – 10 CS 21.1113 –). Die Kammer sieht daher keinerlei Veranlassung, im Hinblick auf die Festsetzung von Schwellenwerten der 7-Tages-Inzidenz an der Recht- und Verfassungsmäßigkeit des § 28a Abs. 3 IfSG in der Fassung vom 19.11.2020 zu zweifeln (ebenso vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 23. Februar 2021 – 20 NE 21.367 –; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 8. Dezember 2020 – 20 NE 20.2461 –). Auch der BGH hat in seinem Urteil vom 11. April 2024 – III ZR 134/22 – bestätigt, dass die infektionsschutzrechtliche Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG und die Verordnungsermächtigung in § 32 Satz 1 IfSG bis zum 18. November 2020 eine verfassungsgemäße Grundlage für die durch Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen zur Bekämpfung der COVID-19 – Pandemie war, und dass ab dem 19. November 2020 die Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG in § 28a Abs. 1 IfSG durch die Benennung nicht abschließender Regelbeispiele auf verfassungsgemäße Weise konkretisiert worden ist.
181
Soweit sich die Klagepartei auf eine Stellungnahme von Prof. ... vom 24.11.2021 (Anlage K7) bezieht, in welcher dieser feststellt, es sei unterlassen worden, die Effektivität von Maßnahmen aus wissenschaftlicher Sicht zu evaluieren und eine systematische Analyse oder Aufarbeitung von relevanten Ausbruchsuntersuchungen im Einzel- und Lebensmittelhandel in Deutschland vorzulegen, weswegen sich die Wirksamkeit retrospektiv nicht zuverlässig einschätzen lasse, handelt es sich hierbei zum einen um eine Einschätzung, auf die sich der bayerische Verordnungsgeber im verfahrensgegenständlichen Zeitraum des Erlasses der 11. und 12. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung im Winter 2020 bzw. Frühjahr 2021 schon datumsmäßig nicht stützen konnte. Es mag zutreffen, dass ausführlichere begleitende Studien zur Wirksamkeit einzelner Infektionsschutzmaßnahmen im Rahmen der Coronapandemie sinnvoll gewesen wären. Dies kann jedoch allenfalls für die Bekämpfung zukünftiger Pandemien lehrreich sein, die Rechtmäßigkeit seinerzeitige Entscheidungen des Verordnungsgebers im Frühjahr 2021 berührt es indes nicht.
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Auch die Feststellungen des RKI in der Veröffentlichung „Strategie und Handreichung zur Entwicklung von Stufenkonzepten bis Frühjahr 2021“ (vorgelegt als Anlage K9) begründet keine andere Einschätzung. Zwar wird darin das Infektionsrisiko im Einzelhandel als niedrig bezeichnet und auch der Anteil am gesamten Transmissionsgeschehen als „niedrig“ eingeordnet. Dennoch bildet es in der Gesamtstrategie einen Teil aller Maßnahmen, die in Summe, und damit auch im Hinblick auf den Einzelhandel, nicht zu beanstanden sind. Dies gilt um so mehr vor dem Hintergrund, als sich Ansteckungen, die in einem anonymen Umfeld stattfinden, naturgemäß viel weniger leicht einer einzelnen Ansteckungsquelle zuzuordnen sind als etwa solche im Rahmen von Familie oder Beruf. Die festgestellten Ansteckungszahlen variieren naturgemäß nach der Nachverfolgbarkeit im jeweiligen Umfeld. Die Ausführungen der Klägerin zu einem R-Wert-Beitrag von 0,1 im Einzelhandel helfen insoweit nicht weiter. Hierbei handelt es sich um einen rein relativen Wert, der angibt, wie viele Menschen ein Infizierter durchschnittlich ansteckt, wenn ein gewisser Teil der Bevölkerung immun ist oder bestimmte Maßnahmen im Rahmen einer verordneten Massenquarantäne getroffen wurden. Bei einem R – Wert von unter 1 schwächt sich die Pandemie ab. Ein R-Wert von 0,1 bedeutet zwar ein relative geringes, aber keinesfalls vernachlässigenswertes Ansteckungsrisiko, das umso beachtlicher ist, je höher die absoluten Infektionszahlen sind. Dass es im Einzelhandel nicht zu „Super-Spreader-Events“ gekommen ist, erstaunt nicht, ist aber auch nicht entscheidungsrelevant. Die Ansteckung einer großen Anzahl von Personen durch einen einzelnen Infizierten setzt in der Regel zum einen voraus, dass diese Personen sich (wie etwa bei einem Konzert) über einen längeren Zeitraum dicht bei dem Infizierten aufgehalten haben, was im Supermarkt regelmäßig eher nicht der Fall ist; nichtsdestotrotz kann es zu Ansteckungen kommen. Auch sind solche „Superspreaderevents“ im Einzelhandel möglicherweise durchaus vorgekommen und lediglich aufgrund der anonymen Verhältnisse in diesem Setting nicht entdeckt worden.
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Ebensowenig stichhaltig sind die Erläuterungen der Klagepartei zur Aussagekraft des DIVI – Intensivregisters. Es mag sein, dass letztere insoweit vermindert war, als durch das System von Ausgleichszahlungen an Krankenhäuser Fehlanreize und seit November 2020 insbesondere Anreize gesetzt worden sind, zu niedrige Zahlen belegbarer Intensivbetten an das Register zu übermitteln. Nichtsdestotrotz wird die Zahl der verfügbaren Intensivbetten, selbst wenn sie mit Ungenauigkeiten behaftet ist, immer ein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Beurteilung des Schweregrads der pandemischen Lage sein.
184
Hinsichtlich der in der Klageschrift zitierten Erkenntnisse des Landes BadenWürttemberg im Zusammenhang mit der „Begründung zur 6. Verordnung der Landesregierung über Infektion schützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung-Corona Vo) vom 07.03.2021“ darf auf die oben genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen werden. Dieses hat klargestellt, dass Beschränkungen von Kontakten im privaten und öffentlichen Raum im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet waren, den Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu gewährleisten, ferner, dass dies erforderlich und verhältnismäßig waren, und dass die Einschätzung des Gesetzgebers im maßgeblichen Zeitraum auf tragfähigen tatsächlichen Erkenntnissen beruhte. Diese Rechtsprechung lässt sich zwanglos auf die von der Klägerin angegriffenen Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnungen des beklagten Landes übertragen. Zudem weist die beklagte Partei auf Seite 19 der Klageerwiderung, Blatt 232, insoweit zu Recht darauf, dass je nach aktueller Infektionslage durchaus von Land zu Land unterschiedliche Maßstäbe gerechtfertigt sein können und auch in Bayern ab März 2021 keine vollständigen Betriebsschließungen mehr angeordnet worden sind.
185
Soweit das von der Klägerin als Anlage K47 vorgelegte Gutachten von ... feststellt, dass es „keinen Hinweis auf die Notwendigkeit eines unterschiedlichen Vorgehens in Abhängigkeit von dem im Einzelhandel angebotenen Warensortiment“ gebe, weil sich „Infektionen aerogen in Abhängigkeit von Fläche und Raumluft [ausbreiten] und nicht in Abhängigkeit von den angebotenen Waren“ und Ausnahmen theoretisch nur denkbar wären, wenn die Waren selbst in relevanter Form als Infektionsquelle in Frage kämen, wie „z.B. lebende Nerze“ kann diese Feststellung im Hinblick auf die hier aufgeworfenen Fragen nur als unterkomplex bezeichnet werden; zum einen muss eine Ungleichbehandlung nicht „notwendig“ sein, sondern nur auf Basis ausreichender Differenzierungskriterien vertretbar. Zum anderen liegen, wie dargelegt, solche Unterschiede durchaus vor, weil es nicht allein darauf ankommt, ob im privilegierten und nichtprivilegierten Handel gleich ansteckende Produkte verkauft werden, sondern auch auf weitere Aspekte wie das dargelegte infektionsminimierende Einkaufsverhalten, die Vermeidung von Anfahrtswegen etc. in Abhängigkeit von den angebotenen Waren.
186
Äußerungen des seinerzeitigen Bundesgesundheitsministers ... vom September 2020 über die angeblich fehlende Erforderlichkeit von Betriebsschließungen im Einzelhandel auf der Basis des damaligen Wissensstandes – mit welchen die Klägerin begründet, warum sie Bestellungen im üblichen Umfang mit üblichem Vorlauf veranlasst hat – sagen über deren Notenwendigkeit angesichts einer völlig veränderten Infektionslage ab Dezember 2021 rein gar nichts aus; erst recht nicht vermögen sie Entschädigungsansprüche eines Landesverordnungsgebers zu begründen.
187
Insgesamt ist, wie bereits dargelegt, dem Beklagten in der Frage der Tatsachenevaluierung insoweit zuzustimmen, als sie unter Verweis auf das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 19.11.2021, Az. 1 BvR 781/21) darauf hinweist, dass der sachlich fundierte Umgang mit einer neuartigen globalen Pandemie gerade davon geprägt ist, dass wissenschaftliche Erkenntnisse, auf die Maßnahmen gestützt werden, die Eingriffe in Grundrechte bewirken, fortlaufend gewonnen, aufbereitet und korrigiert werden. Hierfür hat der Gesetzgeber mit der Aufgabenzuweisung an das RKI nach § 4 Abs. 1 IfSG im Grundsatz institutionell Sorge getragen.
188
(2) Die Regelungen in § 12 der 11. und 12. Bayerische InfektionsschutzmaßnahmenVerordnung war hinreichend bestimmt. Hierzu kann auf die Ausführungen der Beklagtenpartei in der Klageerwiderung vom 10.05.2024, Seite 11 f. Blatt 224/225 d. A. Bezug genommen werden.
189
(3) Die Maßnahmen der 11. und 12. Bayerischen InfektionsschutzmaßnahmenVerordnung im Lockdown II verfolgten einen legitimen Zweck, nämlich den Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen und dem Erhalt der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems. Die Abstellung auf die 7-Tage-Inzidenz von 50 bzw. 35 entsprach der Vorgabe von § 28 a Abs. 3 des IfSG in damals gültiger Fassung.
190
(4) Im Bezug auf die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Schutzmaßnahme besteht wie bereits dargelegt eine Einschätzungsprärogative des Norm- bzw. Verordnungsgebers. Die Ergebnisse der Prognose müssen einleuchtend begründet und plausibel sein. Dies war vorliegend der Fall.
191
Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der 11. Bayerischen InfektionsschutzmaßnahmenVerordnung hatte sich das bereits auf sehr hohem Niveau befindliche Infektionsgeschehen weiter zugespitzt. Es waren regional 7-TageInzidenzwerte von teilweise über 600 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern zu verzeichnen. Die bisher ergriffenen Maßnahmen hatten keinen Rückgang der Fallzahlen herbeigeführt. Es war weiterhin eine hohe Anzahl von Übertragungen in der Bevölkerung zu beobachten und ein erneuter deutlicher Anstieg der Fallzahl zeichnete sich ab. Ziel des Lockdown II, war es, eine 7-Tage-Inzidenz von höchstens 50 zu erreichen, ein Schwellenwert, bei dem eine Nachverfolgung von Kontaktpersonen durch die Gesundheitsämter noch gewährleistet werden kann, und der in § 28 Abs. 3 Satz 5, 9 und 10 IfSG als Orientierungswert für die Abgrenzung zwischen „breit angelegten Schutzmaßnahmen“ und „umfassenden Schutzmaßnahmen“ gesetzlich verankert wurde. Neben dem Grad der Belastung auch der Krankenhäuser stieg die Zahl der Todesfälle weiter an. Seit Anfang Dezember 2020 überschritt die Zahl der Verstorbenen gleich mehrmals den höchsten Stand vom 15.04.2020, der 104 Todesfälle betrug. Am 15.12.2020 wurden 126 Todesfälle binnen 24 Stunden, die bislang höchste Zahl an Verstorbenen, erreicht. Eine ausreichende Entspannung der Infektionslage ist auch in der Folgezeit bis zum Ende des „Lockdowns II“ nicht eingetreten. Der bayerische Verwaltungsgerichtshof hat hierzu in seiner Entscheidung noch am 21.04.2021 im Beschluss Aktenzeichen 20 NE 21.1068, Rz. 28 ff. folgendes festgestellt:
„Die von der Antragstellerin angegriffene Regelung in § 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV steht mit der Ermächtigungsgrundlage der § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG in Einklang, weil ihre Voraussetzungen vorliegen (aa.), und erweist sich bei summarischer Prüfung nicht als offensichtlich unverhältnismäßig (bb.). Auch ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot liegt voraussichtlich nicht vor (cc.) (…)
aa) Die Anzahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (Inzidenz) betrug am 18. April 2021 bundesweit 162 und in Bayern 185. Wegen der Überschreitung des Schwellenwertes von 50 sind nach § 28a Abs. 3 Satz 4 und 5 IfSG umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Die 7-Tages-Inzidenz für ganz Deutschland steigt seit Mitte Februar 2021 stark an und liegt deutlich über 100/100.000 Einwohner. Das Geschehen ist nicht regional begrenzt, die Anzahl der Landkreise mit einer 7-Tages-Inzidenz über 100/100.000 Einwohner nimmt seit Mitte Februar 2021 deutlich zu. Der 7-Tage-R-Wert liegt weiterhin über 1. Etwa seit Mitte März hat sich der Anstieg der Fallzahlen beschleunigt. Nach einem vorübergehenden Rückgang der Fallzahlen über die Osterfeiertage setzt sich der starke Anstieg der Fallzahlen fort. Die COVID-19-Fallzahlen stiegen in den letzten Wochen in allen Altersgruppen wieder an, besonders stark jedoch in jüngeren Altersgruppen. Auch bei den über 80-Jährigen hat sich der wochenlang abnehmende Trend nicht fortgesetzt. Beim Großteil der Fälle ist der Infektionsort nicht bekannt. COVID-19-bedingte Ausbrüche betreffen momentan insbesondere private Haushalte, zunehmend auch Kitas, Schulen und das berufliche Umfeld, während die Anzahl der Ausbrüche in Alters- und Pflegeheimen abgenommen hat. Das RKI schätzt aufgrund der anhaltend hohen Fallzahlen und des aktuell beschleunigten Wiederanstiegs der Inzidenz die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein (vgl. RKI, Lagebericht vom 18.4.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Apr_2021/2021-04-18-de.pdf? blob=publicationFile).
Nach der seit dem 29. März 2021 geltenden Fassung der Norm (BGBl. 2021 I S. 370) sind bei Entscheidungen über Schutzmaßnahmen absehbare Änderungen des Infektionsgeschehens durch ansteckendere, das Gesundheitssystem stärker belastende Virusvarianten zu berücksichtigen (§ 28a Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz). Bei der Prüfung der Aufhebung oder Einschränkung der Schutzmaßnahmen nach den Sätzen 9 bis 11 sind insbesondere auch die Anzahl der gegen COVID-19 geimpften Personen und die zeitabhängige Reproduktionszahl zu berücksichtigen (§ 28a Abs. 3 Satz 11 IfSG) (…).
bb) Bei den Betriebsschließungen nach § 28a Abs. 1 Nr. 14, Abs. 3 Satz 5 und Satz 10 IfSG handelt es sich grundsätzlich um kraft Gesetzes geeignete und erforderliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Dem liegt die Risikoeinschätzung des Bundesgesetzgebers zu Grunde, dass es in Betrieben, Gewerben und im Einzel- oder Großhandel zu einer Vielzahl von Kontakten kommt, welche das Risiko der massenhaften Übertragung des Sars-CoV-2-Virus mit sich bringt.
Die von der Antragstellerin gegen die Bewertung der Gefahrenlage erhobenen Einwendungen, insbesondere zur 7-Tage-Inzidenz als geeignetes Anknüpfungskriterium greifen nicht durch. Das maßgebliche Abstellen auf die Inzidenzwerte von 35 bzw. 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tage ist inzwischen durch den Gesetzgeber vorgegeben (vgl. § 28a Abs. 3 Satz 4 IfSG). Zweifel an deren (wissenschaftlicher) Aussagekraft bei der Normanwendung stellen sich jedenfalls im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht mehr (vgl. nur Sieckmann/Kessal-Wulf in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, § 100 Rn. 8 ff.).“
192
Dieser Beurteilung schließt sich die Kammer an. Insoweit waren die vom Verordnungsgeber angeordneten Betriebsschließungen erforderlich, mildere gleich geeignete Mittel waren nicht ersichtlich, zumal nachdem mit Beschluss des Deutschen Bundestages vom 18.11.2020 (BT Drucksache 19/24387) und am 26.03.2021 (BTDrucksache 19/27196; BGBl. 2021 Teil I Nr.12, Bl. 397) jeweils der Fortbestand einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 IfSG festgestellt worden war. Die Feststellung des Verordnungsgebers, dass die bestehenden Infektionszahlen zu hoch sind, war ausreichend, um die ergriffenen Maßnahmen fortzuführen bzw. noch nicht zu lockern. Die gesetzgeberischen Vorgaben zur Ergreifung umfassender Schutzmaßnahmen bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte sind rechtlich nicht zu beanstanden. In der Begründung zur 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnung hatte der Verordnungsgeber zudem nachvollziehbar dargelegt, dass sich das Infektionsgeschehen trotz der vorangegangenen Maßnahmen vor allem seit Anfang Dezember 2020 erheblich zugespitzt hatte. Gerade im Ladengeschäft komme es erfahrungsgemäß zu zahlreichen zufälligen Kontakten unterschiedlicher Personen. Die Schließung von Ladengeschäften könne daher die Infektionsdynamik eingrenzen. Insoweit hat auch das RKI im Lagebericht vom 10.12.2020 angeregt, wegen hoher Inzidenz zu dieser Zeit die sozialen Kontakte außerhalb des eigenen Haushalts auf ein Minimum zu reduzieren und alle Geschäfte bis auf diejenigen des täglichen Bedarfs komplett zu schließen. Auch die Annahme einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BayVerfGH Vf. 96-VII-20 Rn. 29). Denn auch insoweit steht dem Verordnungsgeber ebenso wie den Normgeber im Falle von prognostischen Entscheidungen ein Spielraum für die Beurteilung sowohl der Eignung als auch der Erforderlichkeit und Angemessenheit einzelner Infektionsschutzmaßnahmen zu, wobei zweifelsfreie empirische Nachweise der Wirkung und Wirksamkeit der Maßnahmen nicht zwingend vorausgesetzt sind. Für den Verordnungsgeber kann insoweit nichts anderes gelten, auch dessen Einschätzungsspielraum ist nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat wiederholt die Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers hervorgehoben, die angesichts der unsicheren Erkenntnislage für die Bewertung der Gefahrenlage und Ausgestaltung des Schutzkonzepts zuzugestehen ist (vgl. u.a. BayVerfGH, Entscheidung vom 28.01.2022 – Az.: Vf. 65VII-21 – juris.
193
(5) die Maßnahmen waren auch angemessen und nicht unverhältnismäßig im engeren Sinn. Hierzu führt der bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 21 4. 2021 (20 NE 21.1068, Rz. 38 ff.) weitergehend aus:
„Der Senat geht nach wie vor davon aus, dass die Betriebsschließungen mit der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag kraft Gesetzes eine grundsätzlich zur Bekämpfung der Coronavirus-Krankheit-2019 geeignete und erforderliche Infektionsschutzmaßnahme sind. Davon ist der Gesetzgeber durch den Erlass des mit Artikel 1 des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) eingefügten § 28a IfSG ausgegangen und hat dies mit dem Gesetz zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen vom 29. März 2021 (BGBl. I S. 370) bestätigt. Zwar sind die dadurch eingeräumten Befugnisse der Infektionsschutzbehörden und damit vor allem des Verordnungsgebers nach § 32 IfSG, Untersagungs- und Beschränkungsmaßnahmen für ganze Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie allgemeine Verhaltenspflichten für jedermann zur Bekämpfung von COVID19 zu erlassen, zum Teil sehr weitgehend und in die Grundrechte der Betroffenen tief eingreifend. Auf der anderen Seite muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese Befugnisse allein auf das Ereignis der Corona-Pandemie zugeschnitten sind und jedenfalls flächendeckend nur für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag erlassen werden können. Dadurch hat der Bundestag eine Gefährdungseinschätzung durch die Corona-Pandemie, welche sowohl Gefahrenabwehrelemente als auch Gefahrenprognoseelemente (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 28.6.2004 – 6 C 21.03 – BeckRS 2004, 25030) enthält, zum Ausdruck gebracht, welche grundsätzlich solch einschneidende Maßnahmen voraussichtlich rechtfertigen kann. Dass der Bundestag hier seinen weiten Gestaltungsspielraum bei der Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflichten gegenüber Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 12.5.2020 – 1 BvR 1027/20 – NVwZ 2020, 1823 – juris Rn. 6) überschritten hätte, ist nicht ersichtlich.
Die Einwendung der Antragstellerin, die Infektionsgefahr im Einzelhandel sei nachgewiesen unterdurchschnittlich, sodass die Schließung von Einzelhandelsbetrieben nicht erforderlich sei, um das Infektionsgeschehen einzudämmen, greift nicht durch. Zwar können auch Hygienekonzepte zu einer Reduzierung von Ansteckungen mit SARS-CoV-2 beitragen. In der derzeitigen Phase der Pandemie, die weiterhin von einem stark diffusen Ausbruchsgeschehen geprägt ist und in der in vielen Fällen das Infektionsumfeld nicht ermittelt werden kann (vgl. auch Begründung vom 9.4.2021, BayMBl. 2021 Nr. 262 S. 2), ist die Prognose des Verordnungsgebers, dass die bestehenden Infektionszahlen zu hoch sind, um die ergriffenen Maßnahmen zu lockern, unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Vorgaben zur Ergreifung umfassender Schutzmaßnahmen bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (§ 28a Abs. 3 Satz 5 IfSG) rechtlich nicht zu beanstanden.
Auch gegen die Angemessenheit der weitreichenden Betriebsschließungen im Einzelhandel bestehen derzeit keine durchgreifenden Bedenken. Dabei verkennt der Senat nicht, dass diese nicht zuletzt wegen ihrer Dauer zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Einbußen der Betreiber führen und damit deren Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG schwer beeinträchtigen und ggf. im Einzelfall – mit zunehmender Dauer – auch in die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) eingreifen können. Angesichts des sich zuletzt wieder deutlich verstärkenden Infektionsgeschehens sowie der gravierenden Auswirkungen im Fall einer (konkret drohenden) Überlastung des Gesundheitssystems stehen die mit den Maßnahmen verbundenen Einschränkungen für die Grundrechte der Antragstellerin, auf die sie sich beruft (Art. 12 Abs. 1 GG), gegenwärtig nicht offensichtlich außer Verhältnis zu Gewicht und Dringlichkeit der die Maßnahmen rechtfertigenden Gründe. Betriebsschließungen aufgrund § 28a Abs. 1 Nr. 12, 13 und 14 IfSG führen im Regelfall noch nicht zu einem Eingriff in die Substanz der geschlossenen Betriebe und damit auch nicht zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 Abs. 1 GG) oder des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Auch Letzteres schützt nur den konkreten Bestand an Rechten und Gütern und keine bloßen Umsatz- und Gewinnchancen; es geht nicht über die Gewährleistung des Art. 12 Abs. 1 GG hinaus (vgl. BVerfG, U.v. 6.12.2016 – 1 BvR 2821/11 u.a. – BVerfGE 143, 246 – juris Rn. 240). Bei der Beurteilung der Eingriffsintensität und der Frage, ob eine Norm einen eigentumsrelevanten Eingriff in die Substanz eines Gewerbebetriebs i.S.d. Art. 14 Abs. 1 GG begründet (vgl. auch Winter/Thürk in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 18 Rn. 48), sind insbesondere die Dauer der Maßnahme und die Auswirkungen auf die betroffenen Betriebe zu beurteilen. Auch wenn die seit 2. November 2020 anhaltende Betriebsschließung von Ladengeschäften diese wirtschaftlich hart trifft, vermag der Senat gegenwärtig noch keinen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG von einem solchen Ausmaß erkennen, der nur durch einen durch den Gesetzgeber vorab normierten finanziellen Ausgleich verhältnismäßig sein könnte. Eine genaue Bewertung dieser Frage ist angesichts der Komplexität der Materie schwierig. Im Grundsatz stellt sich aber auch die Frage, ob kontaktintensive Bereiche des Wirtschaftslebens nicht ohnehin durch die Möglichkeit einer Pandemie und darauf antwortenden staatlichen Infektionsschutzmaßnahmen vorgeprägt sind und damit auch länger andauernde Schutzmaßnahmen hinzunehmen haben.“
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Eine Abwägung zwischen dem betroffenen Schutzgut der freien wirtschaftlichen Betätigung aus Art. 12 Abs. 1 GG und gegebenenfalls auch dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG) gegenüber dem Schutzgut von Leben und Gesundheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt für den Zeitraum der Geltung der 11. und 12. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnung somit, dass die dort geregelten Betriebsschließungen und ihre Folgewirkungen für die klägerischen Betriebe im Hinblick auf die in diesem Zeitraum steigenden Infektionszahlen hinter den Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zurücktreten müssen.
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(6) Auch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Die branchenspezifischen Privilegierungen von einzelner Einzelhandelssparten wie zum Beispiel der Apotheken, Baby-Fachmärkte, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Reinigungs- und Waschsalons oder Reformhäuser, die einen spezifisch gesundheitsbezogenen Bedarf einzelner Bevölkerungsgruppen decken, der speziell auf die Erhaltung von Mobilität ausgerichteten Betriebe wie der Tankstellen, KfzWerkstätten, Fahrradwerkstätten, weiterhin eine Differenzierung für Betriebe des Finanz- und Versicherungsbereichs wie der Banken und Sparkassen, Pfandleihhäuser und des Brief- und Versandhandels in Anbetracht von deren wirtschaftlicher Bedeutung für die Bevölkerung und dem zu erwartenden niedrigen Kundenaufkommen, sowie der Blumenfachgeschäfte, Gartenmärkten Baumschulen, Weihnachtsbaumverkauf und Baumärkten im Hinblick auf deren spezifisch saisonbedingten Warenabsatz, insbesondere im Frühjahr, sowie nicht zuletzt von Buchhandlungen, dem Verkauf von Presseartikeln und TV Fachmärkten im Hinblick auf den Informationsbedarf der Bevölkerung, sind gerechtfertigt. Die Regelungen verstoßen auch nicht insoweit gegen das Gleichbehandlungsgebot, als privilegierte Betriebe insbesondere im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels ihr Sortiment nicht auf Lebensmittel beschränken müssen. Denn insoweit lag, wie bereits ausführlich dargelegt, ein ausreichender sachlicher Differenzierungsgrund vor. Zur Begründung kann auf die Ausführungen zum Lockdown I sowie exemplarisch auch auf die insoweit bereits unter Ziffer 2.4.1. zitierte Entscheidung des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs 20 NE 21.1068 vom 21.04. 2021, dort Rz. 43, Bezug genommen werden. Auch sich hieraus ergebende – zeitlich beschränkte – Wettbewerbsverzerrungen sind hinzunehmen, zumal die beklagte Partei nachvollziehbar dargelegt hat, dass versucht wurde, Sortimentsverschiebungen zulasten der klägerischen Unternehmungen durch entsprechende Kontrollen entgegenzutreten. Ein diesbezügliches Vollzugsdefizit wurde seitens der Klägerin nicht ausreichend dargelegt und ist im Übrigen auch nicht ersichtlich.
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Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass die Konzepte von „click & meet“ sowie click & collect“ sowie der Onlinehandel für die Klägerin keine ausreichend sinnvolle Kompensationsmöglichkeit geboten haben mögen. Denn dies ist, wie dargelegt, Bestandteil des klägerischen Vertriebsstrategien und damit eines selbst gewählten Risikoprofils. Auch teilweise geringfügig unterschiedliche Regelungen für die zulässige Kundendichte beim „click & meet“ bestanden in nicht gleichheitsrelevantem Umfang und waren im Übrigen im Hinblick auf die Bedeutung der jeweiligen Branchen für die Versorgung der Bevölkerung vertretbar.
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2.5. Hinsichtlich des enteignenden Eingriffs kann im wesentlichen auf die Ausführung zum Lockdown I Bezug genommen werden. Der Lockdown II dauert zwar länger, war jedoch durch zusätzliche erleichternde Maßnahmen flankiert, zudem wurde der Klägerin insofern auch kein nicht mehr hinzunehmendes Sonderopfer auferlegt.
3. Ansprüche wegen Vorliegens einer ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung
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Ebenso wenig kann der Klägerin unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der sogenannten ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung des Eigentums eine Entschädigung zuerkannt werden. Diesbezüglich kann auf die Ausführungen des 3. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 17. März 2022 – III ZR 79/21 –, Rz. 61) Bezug genommen werden; demnach
„kann der Gesetzgeber bei der Regelung von Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG unter dem Gesichtspunkt der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung ausnahmsweise verpflichtet sein, Ausgleichsregelungen vorzusehen, um eine unzumutbare Belastung des Eigentümers zu verhindern (dazu eingehend Shirvani, NVwZ 2020, 1457). Es erscheint allerdings bereits sehr zweifelhaft, ob dieses Rechtsinstitut geeignet ist, auf Pandemielagen sachgerecht im Sinne einer gerechten Lastenverteilung zu reagieren. Die Rechtsfigur ist bislang vor allem auf Härtefälle zulasten einzelner Eigentümer angewandt worden, während es im Rahmen einer Pandemie um eine unkalkulierbare Vielzahl von Betroffenen geht. In solchen Fällen ist kaum vorstellbar, dass das Gesetz bereits im Vorhinein die Voraussetzungen und den Umfang eines Entschädigungsanspruchs anhand klar definierter Maßstäbe festlegt, die den Anspruch für die Berechtigten und die Behörden berechenbar machen. Unmöglich kann der Gesetzgeber des Infektionsschutzgesetzes in der Vorausschau auf irgendwelche hypothetischen Seuchenereignisse die jeweils angemessene Entschädigung für die jeweilige unzumutbare Maßnahme planen und in eine Entschädigungsregelung fassen, zumal eine unkalkulierbare, die öffentlichen Haushalte potentiell überfordernde Geldleistungsverpflichtung grundrechtlich nicht geboten sein kann (…). Gesetzestechnisch praktikabel und im Hinblick auf die Bedeutung des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG eventuell geboten wäre allenfalls eine Generalklausel, die im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei längerfristigen und existenzgefährdenden Maßnahmen im Einzelfall eine existenzsichernde, nicht im freien Belieben des Gesetzgebers stehende Entschädigung gewährt (vgl. BVerfGE 57, 107, 117).
Hilfeleistungen für von einer Pandemie schwer getroffene Wirtschaftsbereiche sind keine Aufgabe der Staatshaftung. Vielmehr folgt aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dass die staatliche Gemeinschaft Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis treffen.
Hieraus folgt zunächst nur die Pflicht zu einem innerstaatlichen Ausgleich, dessen nähere Gestaltung weitgehend dem Gesetzgeber überlassen ist. Erst eine solche gesetzliche Regelung kann konkrete Ausgleichsansprüche der einzelnen Geschädigten begründen (vgl. BVerfGE 27, 253, 283 zum Ausgleich von Besatzungsschäden). Dieser sozialstaatlichen Verpflichtung kann der Staat zum Beispiel dadurch nachkommen, dass er – wie im Fall der COVID-19-Pandemie geschehen – haushaltsrechtlich durch die Parlamente abgesicherte Adhoc-Hilfsprogramme auflegt („Corona-Hilfen“), die die gebotene Beweglichkeit aufweisen und eine lageangemessene Reaktion (z.B. durch kurzfristige existenzsichernde Unterstützungszahlungen an betroffene Unternehmen) erlauben (vgl. LG Hannover, Urteil vom 20. November 2020 aaO Rn. 132 ff; siehe auch Itzel, MDR 2021, 649 Rn. 33, 37, 39 ff).
(…) Selbst wenn man hier unterstellt, dass die in Rede stehenden infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen den Kläger unzumutbar belasten, wäre es im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung nicht zulässig, ihm einen Ausgleichsanspruch kraft Richterrechts unter dem Gesichtspunkt der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung zu gewähren (Senatsurteil vom 10. Dezember 1987 aaO S. 359 f).“
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4. Mangels Hauptforderung, besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen.
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5. Da Ansprüche auf Entschädigung nicht bestehen, ist auch der Feststellungsantrag der Klägerin zurückzuweisen. Insoweit ergeben sich im Übrigen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, woraus sich „immaterielle Schäden“ der Klägerin ergeben sollen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 S. 1, 2 ZPO.
202
Für die Bemessung des Streitwerts war der klägerische Zahlungsantrag maßgebend, §§ 63, 48 GKG, 3 ZPO. Der Streitwert des Feststellungsantrags wurde entsprechend dem klägerischen Antrag auf 100.000 € festgesetzt.