Inhalt

BayObLG, Urteil v. 13.10.2025 – 203 StRR 352/25
Titel:

Strafaussetzung zur Bewährung, Revision, Rechtsfolgenentscheidung, Legalprognose, Persönlichkeitsentwicklung, Therapieeinrichtung, Vorstrafen

Normenketten:
StPO § 344
StGB § 56
Leitsätze:
1. Auch ohne ausdrückliche Erklärung kann sich eine Beschränkung der Revision aus der Begründungsschrift ergeben. Von der Staatsanwaltschaft wird verlangt, die Revision so zu rechtfertigen, dass klar ersichtlich ist, in welchen Ausführungen des angefochtenen Urteils sie eine Rechtsverletzung erblickt.
2. Eine unzutreffende Wertung der Konkurrenzverhältnisse durch das Tatgericht steht in der Regel der Wirksamkeit einer Beschränkung nicht entgegen.
3. Der Aspekt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung in einer Therapieeinrichtung gut eingebunden sei und dort eine Aufarbeitung der bisherigen Taten erfolgen würde, vermag eine günstige Legalprognose nicht zu stützen.
Schlagworte:
Strafaussetzung zur Bewährung, Revision, Rechtsfolgenentscheidung, Legalprognose, Persönlichkeitsentwicklung, Therapieeinrichtung, Vorstrafen
Vorinstanz:
AG Neustadt a.d. Aisch, Urteil vom 13.02.2025 – 7 Ds 259 Js 34099/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 31231

Tenor

I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch vom 13. Februar 2025 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen Strafrichter des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Das Amtsgericht Neustadt a.d. Aisch hat den Angeklagten am 13. Februar 2025 wegen gefährlicher Körperverletzung und Nachstellung in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, mit Nötigung und mit Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz in 193 tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt und die Vollstreckung der festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen die Rechtsfolgenentscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Sprungrevision, die sich ihrem Inhalt nach ausschließlich mit der Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung befasst. Die Generalstaatsanwaltschaft München vertritt die Revision der Staatsanwaltschaft und beantragt die Aufhebung des Urteils hinsichtlich der Strafaussetzung zur Bewährung und die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Sie ist der Rechtsauffassung, dass die Revision wirksam auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt worden ist.
II.
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Die Revision der Staatsanwaltschaft ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 333, 335 Abs. 1 StPO statthaft und entsprechend §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.
III.
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Die Revision ist wirksam auf den Ausspruch der Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung beschränkt worden.
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1. Grundsätzlich kann die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung isoliert angefochten werden (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 3. Juni 1971 – 1 StR 189/71 –, BGHSt 24, 164-166, juris Rn. 2; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 344 Rn. 12 m.w.N.). Das Rechtsmittelgericht kann und darf diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2019 – 5 StR 206/19 –, BGHSt 64, 209-217, juris Rn. 16).
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2. Zwar hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Antrag keine ausdrückliche Beschränkung innerhalb des von ihr angefochtenen Rechtsfolgenausspruchs erklärt. Jedoch wird nach gefestigter Rechtsprechung von der Staatsanwaltschaft verlangt, die Revision stets so zu rechtfertigen, dass klar ersichtlich ist, in welchen Ausführungen des angefochtenen Urteils sie eine Rechtsverletzung erblickt (BGH, Urteil vom 5. November 2024 – 5 StR 599/23 –, juris Rn. 25; BGH, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 90/14 –, juris Rn. 7 und 8). Indem die Staatsanwaltschaft in der Revisionsbegründung ausschließlich die Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung angegriffen hat, ist der Umfang der Anfechtung hinreichend deutlich mit dem oben dargestellten Ziel bestimmt.
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3. Materiell ist die entsprechende Beschränkung wirksam, wenn die erstinstanzlichen Feststellungen derart vollständig und widerspruchsfrei sind, dass sie eine ausreichende Grundlage für die Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB bieten (st. Rspr., vgl. Senat, Urteil vom 19. Februar 2024 – 203 StRR 571/23 –, juris Rn. 3 m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Die zu den einzelnen Taten und den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten getroffenen tatsächlichen Feststellungen bilden eine ausreichende Basis, um die Entscheidung des Amtsgerichts auf Rechtsfehler zu überprüfen.
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4. Die unzutreffende Wertung der Konkurrenzverhältnisse durch das Erstgericht steht – wie auch sonstige, selbst offenkundige Subsumtionsfehler (vgl. dazu BGH, Urteil vom 5. Mai 2022 – 3 StR 412/21 –, juris Rn. 21) – der Wirksamkeit einer Beschränkung nicht entgegen (BayObLG, Beschluss vom 26. Februar 2020 – 202 StRR 4/20 –, juris Rn. 5 m.w.N. zu § 318 StPO). Ein Ausnahmefall, dass bei richtiger Rechtsanwendung ein Freispruch hätte erfolgen müssen, liegt hier bezogen auf beide tatmehrheitlich verurteilte Tatkomplexe nicht vor.
IV.
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Die Entscheidung des Amtsgerichts, die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
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1. Eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr wird gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Nach Absatz 2 S. 1 der Vorschrift kann das Gericht unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der insoweit anzustellenden Gesamtwürdigung, insbesondere der in § 56 Abs. 1 S. 2 StGB genannten Umstände, kommt dem Tatgericht ein weiter Bewertungsspielraum zu; dessen Entscheidung ist daher vom Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 28. März 2018 – 2 StR 516/17- und vom 12. Mai 2021 – 5 StR 120/20-, jeweils juris; Senat, Urteil vom 19. Februar 2024 – 203 StRR 571/23 –, juris Rn. 7). Auch ein Bewährungsbruch schließt eine günstige Kriminalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB nicht von vornherein aus (BGH, Urteil vom 14. April 2022 – 5 StR 313/21 –, juris Rn. 23 m.w.N.; Senat a.a.O. Rn. 7). Bei Straftätern, die in der Vergangenheit bereits eine längere Freiheitsstrafe verbüßt haben oder vorsätzliche Straftaten in der Bewährungszeit begehen, kommt es für die Annahme einer günstigen Legalprognose darauf an, ob sich in den Lebensverhältnissen des Angeklagten nach der Begehung der Taten Änderungen ergeben haben, die den Schluss zulassen, dass die Ursachen für die bisherige Delinquenz beseitigt sind (Senat a.a.O. Rn. 7; BayObLG, Urteil vom 15. September 2023 – 202 StRR 47/23 –, juris Rn. 5).
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2. Die Ausführungen des Strafrichters für seine Erwartung, der nach den Feststellungen nicht unerheblich und auch einschlägig vorbestrafte, unter laufender Bewährung stehende, strafvollzugserfahrene und an einer Impulsstörung leidende Angeklagte werde sich nunmehr schon allein die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen (§ 56 Abs. 1 S. 1 StGB), genügen den Anforderungen der Rechtsprechung nicht. Die vom Tatrichter erkannte positive Persönlichkeitsentwicklung bilden die Urteilsgründe nicht ab. Es fehlt bereits an einer nachvollziehbaren Darstellung der früheren Lebensumstände und der Auslöser für die vormals begangenen Taten. Der Aspekt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung in einer Therapieeinrichtung gut eingebunden gewesen sei und dort eine Aufarbeitung der bisherigen Taten erfolgen würde, vermag eine günstige Legalprognose nicht zu stützen. Insoweit mangelt es an den unerlässlichen Feststellungen zum Inhalt der Behandlung und zu deren Verlauf. Nach der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung könnte eine Therapie auch nur dann eine positive Prognose rechtfertigen, wenn eine solche erfolgreich abgeschlossen wäre, nicht aber, wenn der Eintritt des erhofften Behandlungserfolgs im maßgeblichen Zeitpunkt des Endes der Hauptverhandlung noch völlig ungewiss ist; dies gilt auch dann, wenn aus der Sicht des Tatrichters gute Gründe dafür sprechen, dass die Therapie zukünftig eine positive Veränderung bei dem Angeklagten bewirken könnte (vgl. Senat, Urteil vom 19. Februar 2024 a.a.O. Rn. 8; BayObLG, Urteil vom 2. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22 –, juris Rn. 10; OLG Bamberg, Urteil vom 12. November 2013 – 3 Ss 106/13 –, juris; KG Berlin, Urteil vom 5. Oktober 2007 – (4) 1 Ss 307/07 (191/07) –, juris Rn. 6). Die räumliche Entfernung zu der Geschädigten ist ebenfalls kein Umstand, der eine günstige Prognose mittragen könnte. Maßgeblich ist nach § 56 Abs. 1 S. 1 StGB die Wahrscheinlichkeit künftig straffreien Verhaltens, der Blick auf die Aussichten durfte nicht auf ein einzelnes Opfer verengt werden. Das Geständnis des Angeklagten in der Hauptverhandlung ließe zwar den Schluss auf ein nach § 56 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 StGB beachtliches Bemühen um eine Wiedergutmachung gegenüber der zuletzt Geschädigten zu, den Ausführungen des Tatgerichts erschließt sich jedoch nicht, wie damit auch die Ursachen für die bisherige breitgefächerte Delinquenz in Wegfall geraten sein könnten. Da das angefochtene Urteil die Annahme einer günstigen Legalprognose nicht belegt, kommt es nicht mehr darauf an, dass sich der Tatrichter auch mit den weiteren Voraussetzungen der Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung, nämlich den Regelungen des § 56 Abs. 2 und 3 StGB, nicht hinreichend auseinandergesetzt hat.
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3. Das angefochtene Urteil unterliegt daher mit den Feststellungen im tenorierten Umfang der Aufhebung.