Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 03.11.2025 – 203 StObWs 391/25
Titel:

Strafgefangener, Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, Rechtsbeschwerdegericht, Strafvollstreckungskammer, Ausführung, Lebenstüchtigkeit, Verfahrensrüge, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Nichtannahmebeschluß, Beschwerdeführer, Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Schädliche Auswirkungen, Beschlüsse, Freiheitsentzug, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Berechtigtes Interesse, Kostenentscheidung, Festsetzung des Gegenstandswertes, Senatsbeschluß, Verletzung der Aufklärungspflicht

Normenketten:
StVollzG § 11
BayStVollzG Art. 13 Abs. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Auch einem zu lebenslanger Haft Verurteilten kann eine Ausführung zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit nicht grundsätzlich verwehrt werden.
2. Die Festsetzung des Termins steht grundsätzlich im Ermessen der Anstalt. Diese hat in ihre Entscheidung mit einzustellen, dass es dem Interesse des Gefangenen, vor den schädlichen Folgen aus der langjährigen Inhaftierung bewahrt zu werden und seine Lebenstüchtigkeit im Falle der Entlassung aus der Haft zu behalten, dient, mehrere Ausführungen im Kalenderjahr verteilt zu erhalten.
3. Die Modalitäten der Ausführung des Strafgefangenen bestimmt die Anstaltsleitung. Der Gefangene hat insoweit Anspruch auf einen fehlerfreien Ermessensgebrauch.
Schlagworte:
Rechtsbeschwerde, Strafvollstreckungskammer, Ausführung von Strafgefangenen, Ermessensentscheidung, Resozialisierung, Sicherungsmaßnahmen
Vorinstanz:
AG Straubing vom -- – SR StVK 734/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 31228

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing vom 2. September 2025 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen dem Beschwerdeführer zur Last.
3. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 500.- Euro festgesetzt.

Gründe

A.
1
Mit seiner auf formelle und materielle Rügen gestützten Rechtsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen einen Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing vom 2. September 2025, in dem diese den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG zurückgewiesen hat. Mit Schreiben vom 13. Juni 2025 hatte der zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilte Strafgefangene bei der Strafvollstreckungskammer beantragt festzustellen, dass es rechtswidrig gewesen sei, ihn trotz Antragstellung am 23. Dezember 2024 erst am 11. Juni 2025 auszuführen und ihn dabei von drei Bediensteten bewachen zu lassen. Während der Antragsteller die Auffassung vertritt, dass ihm als langjährig inhaftierten Strafgefangenen mit Blick auf frühere Versäumnisse der Vollzugsanstalt ein Anspruch auf eine Ausführung in personalreduzierter Begleitung zeitnah zu seinem Antrag zugestanden hätte, ist die Strafvollstreckungskammer in dem angefochtenen Beschluss zu dem Ergebnis gekommen, dass die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt (JVA) S. nicht zu beanstanden und der Antrag auf gerichtliche Entscheidung unbegründet sei. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
B
2
Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist gemäß Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig. Die Rechtsbeschwerde bietet Anlass, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Gegen die Zulässigkeit des Feststellungsantrags bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Die Statthaftigkeit einer allgemeinen Feststellungsklage im Strafvollzugsverfahren ist zur Schließung ansonsten bestehender Rechtsschutzlücken anerkannt (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2024 – 203 StObWs 471/24 –, juris Rn. 5), etwa wenn sich – wie hier – eine Maßnahme vor der möglichen Erhebung eines Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrags auf gerichtliche Entscheidung bereits erledigt hat. Der Zulässigkeit steht auch § 112 Abs. 1 StVollzG nicht entgegen. Nach der Aktenlage bestehen keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller der Termin und die Details der Ausgestaltung der Ausführung schriftlich mitgeteilt worden wären. Die Strafvollstreckungskammer durfte von einem berechtigten Interesse des Strafgefangenen, die Rechtswidrigkeit einer verspäteten Ausführung und deren Ausgestaltung feststellen zu lassen, ausgehen. Der Antragsteller hat eine Verletzung seines Grundrechts auf Resozialisierung gemäß Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG hinreichend geltend gemacht.
C
3
Die Rechtsbeschwerde erweist sich als unbegründet.
4
I. Die formellen Rügen versagen.
5
1. Die Verfahrensrüge, mit der der Beschwerdeführer eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO i.V.m. § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG) geltend macht, ist entgegen § 118 Abs. 2 S. 2 StVollzG nicht hinreichend ausgeführt und damit nicht zulässig erhoben. Nach der genannten Vorschrift ist eine Verfahrensrüge nur dann in zulässiger Form erhoben, wenn die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden. Diese Angaben müssen so genau und vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Beschwerdebegründung ohne Rückgriff auf die Akten und sonstige Unterlagen prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 26. Januar 2023 – 203 StObWs 502/22 –, juris Rn. 6). Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt regelmäßig voraus, dass der Beschwerdeführer bestimmte Tatsachen, deren Aufklärung das Gericht unterlassen hat, sowie die Beweismittel, derer sich der Tatrichter hätte bedienen sollen, benennt; ferner bedarf es der Darlegung, welche Umstände das Gericht zu der vermissten Beweiserhebung hätten drängen müssen und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre (st. Rspr., vgl. Senat a.a.O. Rn. 6).
6
Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht gerecht. Soweit er rügt, die Strafvollstreckungskammer wäre aufgrund ihrer Aufklärungspflicht gehalten gewesen, zu prüfen, wie viele Gefangene wann und warum ausgeführt worden wären, lässt sich seinem Vortrag keine bestimmte Behauptung einer Beweistatsache und keine Angabe eines Beweismittels entnehmen. Die Rüge wäre zudem unbegründet. Für die Frage, ob die Terminsbestimmung und die Anzahl der begleitenden Beamten im konkreten Fall rechtmäßig waren, kam es auf die Zahl weiterer Ausführungen anderer Gefangener im Kalenderjahr nicht maßgeblich an. Die Strafvollstreckungskammer war daher nicht gehalten, die vom Antragsteller vermissten Daten aufzuklären.
7
2. Die Verfahrensrüge, mit der der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör geltend macht, ist jedenfalls unbegründet. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet in gerichtlichen Verfahren, den Einzelnen, vor einer Entscheidung, die ihre Rechte betreffen, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (st. Rspr., vgl. BVerfGE 9, 89 <96>; 89, 28 <35>; 107, 395 <410>). Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt so auch vor Überraschungsentscheidungen (vgl. BVerfGE 107, 395 <410>; BVerfGK 19, 377 <381>). Er verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 42, 364 <367 f.>; 105, 279 <311>). Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings nur dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 25, 137 <141 f.>; 86, 133 <145 f.>). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (vgl. BVerfGE 40, 101 <104>; 47, 182 <187>). Die Gerichte sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen (vgl. BVerfGE 13, 132 <149>; 42, 364 <368>). Deshalb müssen, wenn das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen soll, im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 27, 248 <252>; 47, 182 <187 f.>). Solche Umstände können insbesondere dann vorliegen, wenn das Gericht wesentliche, das Kernvorbringen eines Beteiligten darstellende Tatsachen unberücksichtigt lässt. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in der Begründung der Entscheidung nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert ist (vgl. BVerfGE 86, 133 <146>; BVerfGK 6, 334 <340>; 10, 41 <46>; 20, 53 <57 f.>; zu allem BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. August 2025 – 1 BvR 810/25 –, juris Rn. 32). Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nur Erfolg haben, wenn die angefochtene gerichtliche Entscheidung auf einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beruht. Das ist der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung der beschwerdeführenden Person das Gericht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts oder in einem wesentlichen Punkt zu einer anderen Würdigung veranlasst oder im Ganzen zu einer anderen, ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte (st. Rspr., vgl. BVerfGE 7, 239 <241>; 89, 381 <392 f.>; 112, 185 <206>; zu allem BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. August 2025 a.a.O. Rn. 33).
8
Der Senat kann hier ausschließen, dass sich die vom Beschwerdeführer behaupteten früheren Versäumnisse der Vollzugsanstalt bei Lockerungsentscheidungen, die behaupteten Ministeriumsvorgaben zur Fesselung im Jahr 2019 und zur allgemeinen Begrenzung der Anzahl der Ausführungen und die vom Beschwerdeführer erwirkten gerichtlichen Feststellungen der Rechtswidrigkeit gesondert ergangener Anordnungen der Anstalt bezüglich der Kleidung, der Fesselung und der Durchsuchung anlässlich früherer Ausführungen hier als entscheidungserheblich dargestellt hätten. Diesem Vorbringen kommt für die rechtliche Überprüfung des Termins der Ausführung und der Anzahl der Begleitpersonen keine Relevanz zu.
9
II. Der Sachrüge bleibt der Erfolg versagt. Die Strafvollstreckungskammer ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ermessensentscheidungen der Vollzugsanstalt nicht zu beanstanden sind.
10
1. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist nicht der auf der Grundlage des Antrags vom 23. Dezember 2024 schriftlich ergangene, vom Antragsteller nicht angefochtene Ablehnungsbescheid der Vollzugsanstalt vom 20. Februar 2025, sondern alleine die – mündliche – Festlegung des Termins mit Entscheidung vom 12. März 2025 nebst der Bestimmung der Modalitäten der Ausführung auf der Grundlage des erneuerten Antrags vom 21. Februar 2025 und der Bewilligung dieses Antrags am 27. Februar 2025.
11
2. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 BayStVollzG kann als Lockerung des Vollzugs angeordnet werden, dass Gefangene für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht Vollzugsbediensteter (Ausführung) verlassen dürfen.
12
3. Bei langjährig im Vollzug befindlichen Personen verpflichtet das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG den Staat, aktiv den schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken und ihre Lebenstüchtigkeit zu erhalten und zu festigen (st. Rspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2021 – 2 BvR 866/20; BVerfGE 45, 187 <238>; 64, 261 <277>; 98, 169 <200>; 109, 133 <150 f.>). Das Resozialisierungsinteresse richtet sich nicht nur darauf, vor schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges im Rahmen des Möglichen bewahrt zu werden, sondern auch auf die Rahmenbedingungen, die einer Bewährung und Wiedereingliederung förderlich sind (st. Rspr., vgl. BVerfGE 35, 202 <235 f.>; 36, 174 <188>; 45, 187 <238 f.>; 64, 261 <272 f.>). Solchen Zielen dienen mit Zustimmung des Gefangenen angeordnete Vollzugslockerungen und insbesondere auch Ausführungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2021 – 2 BvR 866/20 –, juris Rn. 22 ff.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. November 2019 – 2 BvR 2267/18 –, Rn. 18; BVerfGE 64, 261 <273>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2010 – 2 BvR 729/08 –, Rn. 32). Das Interesse des Gefangenen, vor den schädlichen Folgen aus der langjährigen Inhaftierung bewahrt zu werden und seine Lebenstüchtigkeit im Falle der Entlassung aus der Haft zu behalten, hat ein umso höheres Gewicht, je länger die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bereits andauert (vgl. BVerfGE 64, 261 <272 f.>; 70, 297 <315>). Dabei greift das Gebot, die Lebenstüchtigkeit des Gefangenen zu erhalten und zu festigen, nicht erst dann ein, wenn er bereits Anzeichen einer haftbedingten Depravation aufweist (BVerfGK 19, 157 <165>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2019 – 2 BvR 681/19 –, Rn. 17). Bei langjährig Inhaftierten kann daher, auch wenn eine konkrete Entlassungsperspektive sich noch nicht abzeichnet und weitergehenden Lockerungen eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr entgegensteht, geboten sein, Lockerungen in Gestalt von Ausführungen dadurch zu ermöglichen, dass die Justizvollzugsanstalt einer von ihr angenommenen Flucht- oder Missbrauchsgefahr durch geeignete Sicherheitsvorkehrungen entgegenwirkt (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. September 2008 – 2 BvR 719/08 –, Rn. 3, und vom 5. August 2010 – 2 BvR 729/08 –, Rn. 32; und Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2019 – 2 BvR 681/19 –, Rn. 19; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 8. März 2024 – 2 BvR 1480/23 –, juris; Senat, Beschluss vom 26. Januar 2023 – 203 StObWs 502/22 –, juris Rn. 17; Senat, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 203 StObWs 569/21 –, juris; zu den Bedenken Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl. § 11 Rn. 11a).
13
4. Auch einem zu lebenslanger Haft Verurteilten kann eine Ausführung zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit nicht grundsätzlich verwehrt werden (Senat, Beschluss vom 26. Januar 2023 – 203 StObWs 502/22 –, juris Rn. 17; Senat, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 203 StObWs 569/21 –, juris Rn. 19 ff.; BayObLG, Beschluss vom 3. November 2021 – 204 StObWs 436/21 –, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 13. Dezember 2022 – 3 Ws 403/22 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 09. Januar 2020 – III-1 Vollz (Ws) 582 und 583/19-, juris; Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier/Laubenthal/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl. 2024, Kap. E Rn. 136d; BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 22. Ed. 1.4.2025, BayStVollzG Art. 13 Rn. 25; Harrendorf/Ullenbruch in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl. 2020, 10. Kapitel Vollzugsöffnende Maßnahmen C II Rn. 6; BeckOK Strafvollzug Bund/Setton, 28. Ed. 1.8.2025, StVollzG § 11 Rn. 4; Burkhardt in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 8. Aufl., Teil II § 41 Rn. 4).
14
5. Die Anstalt darf die Ausführung nicht allein wegen Personalknappheit verweigern, falls diese nach den oben dargestellten Vorgaben zum Erhalt und zur Festigung der Lebenstüchtigkeit erforderlich ist (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 26. Januar 2023 a.a.O. Rn. 19). Der Staat darf Rechtsansprüche Gefangener nicht nach Belieben dadurch verkürzen, dass er die Anstalten nicht derart ausstattet, wie es zur Wahrung der Rechte der Gefangenen erforderlich wäre. Die Grundrechte setzen insofern auch Maßstäbe für die notwendige Beschaffenheit staatlicher Einrichtungen (Harrendorf/Ullenbruch a.a.O. 10. Kap. C II Rn. 8).
15
6. Eine auf die Vollzugsdauer bezogene Mindestanzahl von Ausführungen hat das Bundesverfassungsgericht indes nicht festgelegt (Senat a.a.O. Rn. 27). Mit zunehmender Vollzugsdauer sind einem Strafgefangenen häufigere Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit und zur Vermeidung von Haftschäden zu gewähren (Senat a.a.O. Rn. 25). Die Frequenz der ohne weitere Vorbedingungen aus Resozialisierungsgründen zu gewährenden Ausführungen ist abstrakt so zu bemessen, dass der Gefahr von Schädigungen wirksam entgegen gewirkt werden kann. Darauf, ob bereits eine Schädigung eingetreten oder im Einzelfall zu befürchten ist, kommt es nicht an (Senat a.a.O. Rn. 25).
16
7. Nach diesen Vorgaben weist die Bestimmung des Termins für die Ausführung keinen Ermessensfehler auf.
17
a. Der Strafgefangene hat nach den oben dargelegten Grundsätzen keinen Anspruch auf einen bestimmten Termin zur Ausführung zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit. Auch eine bestimmte Zeitspanne, innerhalb der die Ausführung nach dem Eingang des Antrags bei der Anstalt zu erfolgen hätte, ist nicht vorgegeben. Vielmehr steht die Festsetzung des Termins im Ermessen der Anstalt (BayObLG, Beschluss vom 20. Februar 2025 – 204 StObWs 578/24 –, juris Rn. 16). Diese hat in ihre Entscheidung mit einzustellen, dass es dem Interesse des Gefangenen, vor den schädlichen Folgen aus der langjährigen Inhaftierung bewahrt zu werden und seine Lebenstüchtigkeit im Falle der Entlassung aus der Haft zu behalten, dient, mehrere Ausführungen im Kalenderjahr verteilt zu erhalten.
18
b. Danach sind die Erwägungen der JVA S. nicht zu beanstanden.
19
aa. Die Vollzugsbehörde hat eine hinreichende tatsächliche Grundlage für ihre Entscheidung geschaffen und die für die Bestimmung des Termins maßgeblichen Umstände bedacht. Der Antragsteller war zuvor am 23. Dezember 2024 und im Anschluss an seine Antragstellung erneut am 29. April 2025 ausgeführt worden. Eine zusätzliche Ausführung des Strafgefangenen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit in der Zeitspanne zwischen dem 23. Dezember 2024 bis zum 11. Juni 2025 war mit Blick auf die Intervalle zwischen den bereits absolvierten Außenkontakten nicht geboten. Die Lockerung im Juni gewährleistete zudem, dass die verbleibende Zeitspanne weitere Ausführungen im Kalenderjahr zuließ.
20
bb. Mit seinem Vortrag, er hätte den Antrag für die verfahrensgegenständliche Ausführung bereits am 23. Dezember 2024 gestellt, die Vollzugsanstalt hätte die Gewährung der Lockerung ohne sachlichen Grund bis zum Juni 2025 hinausgezögert, zeigt der Strafgefangene keinen Rechtsfehler auf. Denn er übergeht, dass die Vollzugsanstalt den Antrag vom 23. Dezember 2024 mit schriftlichem Bescheid vom 20. Februar 2025 zunächst abgelehnt und anschließend am 27. Februar 2025 die Ausführung bewilligt hatte.
21
cc. Der Umstand, dass es sich bei der Ausführung des Gefangenen am 29. April 2025 um die Nachholung einer im Jahr 2020 versäumten Ausführung handelte, führt nicht dazu, dass diese Maßnahme bei der Frage, in welchem zeitlichen Abstand dem Antragsteller eine weitere Ausführung im Jahr 2025 zu gewähren sei, nicht berücksichtigt werden dürfte. Vielmehr war auch diese Ausführung grundsätzlich geeignet, den schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges im Jahr 2025 entgegenzuwirken (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Januar 2023 a.a.O. Rn. 29).
22
dd. Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers bestehen keine grundsätzlichen Bedenken, wenn die Anstalt bei der Frage, wann eine Ausführung durchgeführt wird, auch den Personalbedarf, den Aspekt der Gleichbehandlung der Gefangenen und den organisatorischen Aufwand mit berücksichtigt (vgl. Senat a.a.O. Rn. 32; Arloth/Krä a.a.O. § 11 Rn. 12). Auch langjährig inhaftierte Strafgefangene können nämlich nicht die Aufwendung unbegrenzter personeller und sonstiger Ressourcen verlangen, um Beschränkungen ihrer grundrechtlichen Freiheiten zu vermeiden (Senat a.a.O. Rn. 32; Harrendorf/Ullenbruch a.a.O. 10. Kap. C II Rn. 8). Im Rahmen von Lockerungsentscheidungen spielt auch eine Rolle, dass die Ausführung eines Langzeitverwahrten stets, um ihren therapeutischen und regenerierenden Zweck erfüllen zu können, einer gewissen Vorbereitung, einer gewissen Dauer und in der Regel auch einer vollzuglichen Nachbereitung bedarf (Senat a.a.O. Rn. 32). Die JVA hat zudem dargelegt, welche Maßnahmen geeignet sind, der Flucht- oder Missbrauchsgefahr zu begegnen.
23
8. Mit seinem Vortrag zur Anzahl der begleitenden Beamten zeigt der Beschwerdeführer ebenfalls keinen Rechtsfehler auf.
24
a. Die Modalitäten der Ausführung des Strafgefangenen, insbesondere die gebotenen Sicherungsmaßnahmen, bestimmt die Anstaltsleitung (Harrendorf/Ullenbruch a.a.O. 10. Kap. C II Rn. 7; Setton a.a.O. § 11 Rn. 6). Der Gefangene hat insoweit Anspruch auf einen fehlerfreien Ermessensgebrauch (Setton a.a.O.). Die Ausgestaltung der Ausführung einschließlich der Anordnung der nach Art. 16 Abs. 1 BayStVollzG erforderlichen Weisungen hat sich an den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere an dem für erforderlich erachteten Sicherungsbedürfnis und den berechtigten Interessen des Gefangenen zu orientieren; der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist zu beachten (OLG Hamm, Beschluss vom 25. März 2024 – III-1 Vollz 526/23 –, juris Rn. 22; KG Berlin, Beschluss vom 12. März 2025 – 2 Ws 3/25 Vollz –, juris Rn. 8; Setton a.a.O. § 11 Rn. 6). Das Sicherungsniveau darf nicht zu weiterer Ausgrenzung des Strafgefangenen führen und damit die erwarteten positiven Auswirkungen der Ausführung in ihr Gegenteil verkehren (Senat, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 203 StObWs 569/21 –, juris Rn. 49).
25
b. Die Schwere der dem Strafvollzug zugrundeliegenden Straftat und das Auftreten des Strafgefangenen im Vollzug rechtfertigen die Begleitung durch drei Beamte in ziviler Kleidung. Die auch bei einer Ausführung zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit vorgesehene Aufsicht durch im Regelfall mehrere Bedienstete hat gerade den Sinn, einer Flucht- und Missbrauchsgefahr entgegenzuwirken (OLG Hamm, Beschluss vom 22. August 2019 – III-1 Vollz (Ws) 461/19 –, juris Rn. 8). Der Einwand des ungefesselt in ziviler Kleidung ausgeführten Beschwerdeführers, die drei Personen hätten sich abwechselnd einzeln auch etwas weiter von ihm entfernt, ist nicht geeignet, die Anzahl der Begleiter für die verfahrensgegenständliche Ausführung im Nachhinein in Frage zu stellen. Zum einen kann ein erfahrener Beamter, sollte eine Ausnahmesituation auftreten, auch aus einer gewissen Entfernung heraus agieren und eingreifen, zum anderen ist eine Zurückhaltung der Beamten der Erprobung des Strafgefangenen, der Vertrauensbildung und damit der Resozialisierung förderlich. Die vom Antragsteller geschilderten Bedingungen früherer Ausführungen zu anderen Zwecken in anderen Bezugsrahmen führen nicht zu einem gebundenen Anspruch auf die Einhaltung dieser Modalitäten unter abweichenden Gegebenheiten.
D.
26
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 StVollzG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf §§ 60, 52 Abs. 1 GKG. Der Senat hält einen Wert von 500.- Euro im Rechtsbeschwerdeverfahren für angemessen.