Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 14.11.2025 – 206 StRR 368/25
Titel:

Urkundeneigenschaft einer als Email-Anhang versandten Bilddatei

Normenkette:
StGB § 267 Abs. 1, § 269 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bei einem anwaltlichen Bestätigungsschreiben ist eine Unterschrift (oder ein die Unterschrift ersetzender Zusatz wie „gez. Rechtsanwalt“) üblich und zu erwarten, so dass ein Schreiben ohne eine solche – wie hier – als bloßer Urkundenentwurf erscheint, der nicht dem Urkundsbegriff des § 267 StGB unterfällt. Weder das Herstellen noch das Gebrauchmachen von einem solchen Schreiben verwirklicht den Straftatbestand des § 267 Abs. 1 StGB. (Rn. 6 – 9) (red. LS Alexander Kalomiris)
2. Dokumente, die nicht als Originalurkunden mit der dadurch verkörperten Garantiefunktion erscheinen, sondern erkennbar als nicht mit den für eine entsprechende Urkunde typischen Authentizitätsmerkmalen versehene Kopien einer vermeintlichen Urkunde, werden auch von § 269 StGB nicht erfasst.Bei E-Mail-Anhängen ist entscheidend, ob sie als originärer Erklärungsträger in Erscheinung treten sollen, oder ob sie lediglich als sekundärer Beleg für die Existenz einer eingescannten Papierurkunde fungieren und damit aus dem Anwendungsbereich des § 269 StGB herausfallen. (Rn. 10 – 12) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
anwaltliches Bestätigungsschreiben, Unterschrift, Urkunde, eingescannte Papierurkunde, Email-Anhang, Garantiefunktion, Kopie, Originalurkunde, Bilddatei, unechte Urkunde, Urkundenfälschung, Fälschung beweiserheblicher Daten
Vorinstanzen:
LG Augsburg, Urteil vom 24.06.2025 – 2 NBs 306 Js 139935/23
AG Augsburg, Urteil vom 15.10.2024 – 8 Ds 306 Js 139935/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 31145

Tenor

I. Auf die Revision der Angeklagten werden die Urteile des Amtsgerichts Augsburg vom 15. Oktober 2024 und des Landgerichts Augsburg vom 24. Juni 2025 aufgehoben.
II. Die Angeklagte wird freigesprochen.
III. Die Kosten des Verfahrens und die der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht Augsburg hat die Angeklagte mit Urteil vom 15. Oktober 2024 wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 8 Monaten verurteilt.
2
Auf die Berufung der Angeklagten hat das Landgericht Augsburg mit Urteil vom 24. Juni 2025 das Urteil des Amtsgerichts dahingehend abgeändert, dass die Angeklagte wegen Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt wird. Der Verurteilung wegen Urkundenfälschung hat die Kammer zugrunde gelegt, dass die Angeklagte am 4. Oktober 2023 „unter Verwendung“ eines an sie gerichteten Schreibens einer Rechtsanwaltskanzlei in Augsburg „auf ihrem PC ein neues Schreiben mit dem Layout des Kanzleischreibens“ fertigte, um es zum Nachweis ihrer Bonität im Rahmen der Kreditvergabe bei einer Bank zu verwenden. Das Schreiben weist die Angeklagte als Adressatin aus und enthält den Briefkopf der Anwaltskanzlei. Es enthält weder eine Anrede noch eine Grußformel. Eine Unterschrift über den den Text abschließenden Worten „A. B. Rechtsanwalt“ befindet sich auf dem Schreiben nicht. Dieses Schreiben druckte die Angeklagte später aus, fotografierte es und übermittelte die Bilddatei per WA und Email an den Zeugen C. Den Tatbestand des (versuchten) Betruges hat das Berufungsgericht nicht verwirklicht gesehen, weil sich ein Vermögensschaden oder ein darauf gerichteter Vorsatz der Angeklagten bei der Versendung des vorgenannten Schreibens nicht feststellen lasse.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit der Revision, die sie mit der nicht weiter ausgeführten Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet.
4
Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt mit Stellungnahme vom 23. Oktober 2025, die Revision der Angeklagten mit der Maßgabe als unbegründet zu verwerfen, dass sie der Fälschung beweiserheblicher Daten nach § 269 Abs. 1 StGB schuldig sei. Nur dieser Tatbestand sei verwirklicht, nicht dagegen der des § 267 Abs. 1 StGB.
II.
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Die zulässige Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und führt zu ihrem Freispruch (§ 354 Abs. 1 StPO), weil der vom Landgericht festgestellte Sachverhalt keinen Straftatbestand verwirklicht.
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1. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft eine Strafbarkeit der Angeklagten nach § 267 Abs. 1 StGB angenommen, wie auch die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend erkannt hat.
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a) Urkunden im Sinne von § 267 Abs. 1 StGB sind verkörperte Erklärungen, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt sind, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen lassen (st. Rspr., vgl. bereits BGH, Urteil vom 19.02.1953, 3 StR 896/52, BGHSt 4, 60, 61). Einer bloßen Fotokopie ist, sofern sie nach außen als Reproduktion erscheint, mangels Beweiseignung sowie Erkennbarkeit des Ausstellers demgegenüber kein Urkundencharakter beizumessen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2011, 2 StR 428/10, juris Rdn. 10 m. w. N.). Entsprechendes gilt für Ausdrucke von fotografierten oder gescannten Dokumenten. Auch sie stellen nicht ohne weiteres unechte oder gefälschte Urkunden dar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27.01.2010, 5 StR 488/09, juris Rdn. 8, und vom 09.03.2011 aaO; BayObLG, Urteil vom 29.02.1988, RReg. 5 St 251/87, NJW 1989, 2553, 2554; Zieschang in: Leipziger Kommentar zum StGB (LK), 13. Aufl., § 267 Rdn. 128 m. w. N.). Zwar kann im Wege computertechnischer Maßnahmen wie der Veränderung eingescannter Dokumente eine (unechte) Urkunde hergestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 27.01.2010 aaO Rdn. 8; BGH, Beschluss vom 28.07.1999, 5 StR 684/98, juris). Dafür muss die Reproduktion jedoch den Anschein einer von einem bestimmten Aussteller herrührenden Gedankenäußerung vermitteln, also einer Originalurkunde so ähnlich sein, dass die Möglichkeit einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann (BGH, Beschluss vom 27.01.2010 aaO Rdn. 8; BayObLG vom 29.02.1988 aaO). Welche Anforderungen hieran bestehen, richtet sich nach der Art der Urkunde: sie muss die typischen Authentizitätsmerkmale aufweisen, die eine solche Urkunde prägen (BGH, Beschluss vom 27.01.2010 aaO Rdn. 9; OLG Celle, Urteil vom 15.12.2023, 1 ORs 2/23, juris Rdn. 43). Zu diesen kann auch die Unterschrift gehören (vgl. BGH, Urteil vom 13.05.1983, 3 StR 18/83, juris Rdn. 12).
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b) Auf dieser Grundlage begründen die Feststellungen des landgerichtlichen Urteils keine Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift insoweit zutreffend ausgeführt hat, ist bei einem anwaltlichen Bestätigungsschreiben eine Unterschrift (oder ein die Unterschrift ersetzender Zusatz wie „gez. Rechtsanwalt“) üblich und zu erwarten, so dass ein Schreiben ohne eine solche – wie hier – als bloßer Urkundenentwurf erscheint, der nicht dem Urkundsbegriff des § 267 StGB unterfällt. Weder das Herstellen noch das Gebrauchmachen von einem solchen Schreiben verwirklicht den Straftatbestand des § 267 Abs. 1 StGB.
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Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass den Feststellungen des Landgerichts auch nicht entnommen werden kann, ob die Angeklagte ein Originalschreiben des Rechtsanwaltes oder nur den Scan eines solchen verändert hat (vgl. zur Bedeutung dieses Umstandes BGH, Beschluss vom 14.03.2024, 2 StR 192/23, juris Rdn. 27f.).
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2. Anders als die Generalstaatsanwaltschaft meint, kommt jedoch auch eine Strafbarkeit nach § 269 StGB nicht in Betracht.
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a) § 269 StGB wurde ausweislich der Gesetzesbegründung geschaffen, um eine Strafbarkeitslücke zu schließen, „die darin besteht, dass nicht sichtbar oder zumindest nicht unmittelbar lesbar gespeicherte Daten mangels visueller Erkennbarkeit strafrechtlich nicht von dem Urkundenbegriff erfasst werden, obwohl sie – ebenso wie Urkunden – zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt sind und zur Täuschung im Rechtsverkehr verwendet werden können“; als Beispiele werden elektronisch geführte Konten oder Register genannt (BT-Drs. 10/318, S. 12). Damit sollte aber keine grundsätzliche Ausweitung des strafrechtlichen Schutzes im Bereich der Verwendung von Reproduktionen von Urkunden verbunden sein (vgl. ausführlich OLG Hamburg, Beschluss vom 07.08.2018, 2 Rev 74/18, juris Rdn. 11 ff.; BGH, Beschluss vom 13.05.2003, 3 StR 128/03, juris Rdn. 10; OLG Celle vom 15.12.2023 aaO Rdn. 42). Dokumente, die nicht als Originalurkunden mit der dadurch verkörperten Garantiefunktion erscheinen, sondern erkennbar als nicht mit den für eine entsprechende Urkunde typischen Authentizitätsmerkmalen versehene Kopien einer vermeintlichen Urkunde, werden daher auch von § 269 StGB nicht erfasst (OLG Hamburg vom 07.08.2018 aaO Rdn. 18ff.; BGH vom 27.01.2010 aaO Rdn. 13; BGH vom 14.03.2024 aaO Rdn. 17). Eine Ausnahme gilt nur, sofern das Dokument den Eindruck hervorruft, das Original zu sein (OLG Hamburg vom 07.08.2018 aaO Rdn. 20). Im Hinblick auf E-Mail-Anhänge differenziert die ganz überwiegende Meinung demgemäß danach, ob sie als originärer Erklärungsträger in Erscheinung treten sollen, oder ob sie lediglich als sekundärer Beleg für die Existenz einer eingescannten Papierurkunde fungieren und damit aus dem Anwendungsbereich des § 269 StGB herausfallen (vgl. OLG Celle vom 15.12.2023 aaO Rdn. 42f.; LK/Zieschang aaO § 269 Rdn. 24; Erb in: Münchener Kommentar zum StGB, 5. Aufl., § 269 Rdn. 33 – je m. w. N.; so wohl auch BGH, Beschluss vom 23.05.2017, 4 StR 141/17, BeckRS 2017, 113600, Rdn. 9).
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b) Hier liegt demnach kein nach § 269 StGB strafbares Handeln vor, weil die Angeklagte nach den Feststellungen (lediglich) die Photographie (Bilddatei) einer Papierurkunde weitergeleitet hat, so dass diese Bilddatei offensichtlich nicht die originale Erklärung, sondern nur die Dokumentation einer in Papierform vorhandenen Erklärung sein sollte. Dies übersieht die Generalstaatsanwaltschaft.
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3. Wie das Berufungsgericht (insofern zutreffend) dargelegt hat, sind die Voraussetzungen für eine Verurteilung der Angeklagten wegen Betruges oder versuchten Betruges nicht gegeben (UA S. 17/18). Auch der Tatbestand des § 265b Abs. 1 Nr. 1b StGB ist nicht verwirklicht, weil es sich um einen Privatkredit handelte (vgl. Fischer, StGB, 72. Aufl., § 265b Rdn. 2).
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Schließlich käme – auch nach etwaiger Nachholung der hierzu erforderlichen Feststellungen über das Vorstellungsbild der Angeklagten bei Vornahme der Tatbehandlung – auch ein versuchtes Delikt nach §§ 267, 269 StGB nicht in Betracht. Selbst wenn die Angeklagte angenommen haben sollte, das von ihr hergestellte Schreiben und die Bilddatei hiervon seien bereits taugliche Tatobjekte, stellt dies einen Irrtum über die Reichweite einer strafrechtlichen Norm dar. Dieser „umgekehrte Verbotsirrtum“ bliebe als Wahndelikt straflos (vgl. Fischer aaO § 22 Rdn. 49 m. w. N.; zu einem ähnlichen Fall vgl. BGH, Urteil vom 01.07.1959, 2 StR 191,50; NJW 1959, 2173,2174).
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4. Da somit auszuschließen ist, dass eine erneute Hauptverhandlung weitere oder neue Feststellungen zu erbringen vermag, die eine Strafbarkeit der Angeklagten begründen könnten, sind das angefochtene Urteil und das Ersturteil insoweit aufzuheben und die Angeklagte freizusprechen (§ 353 Abs. 1, § 354 Abs. 1 StPO).
III.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 465 Abs. 1 Satz 1, § 467 Abs. 1, § 473 Abs. 3 StPO.