Inhalt

AG München, Beschluss v. 17.07.2025 – 1507 IN 2383/22
Titel:

Insolvenzverfahren, Schuldnerantrag, fiktives Einkommen, Teilzeittätigkeit, Stellungnahme, Glaubhaftmachung, persönliche Verhältnisse

Schlagworte:
Insolvenzverfahren, Schuldnerantrag, fiktives Einkommen, Teilzeittätigkeit, Stellungnahme, Glaubhaftmachung, persönliche Verhältnisse
Fundstelle:
BeckRS 2025, 31068

Tenor

Der Betrag, der den Bezügen des selbstständig tätigen Schuldners aus dem fiktiven Dienstverhältnis aus § 295a Abs. 1 Satz 1 InsO entspricht wird gemäß § 295a Abs. 2 InsO in Verbindung mit § 4 Satz 1 InsO, §§ 850 ff. ZPO auf monatlich, brutto EUR ... festgestellt.
Der Betrag ist gemäß § 295a Abs. 1 Satz 2 InsO kalenderjährlich bis zum 31. Januar des Folgejahres an den Insolvenzverwalter zu zahlen.

Gründe

1
Der Antrag des Schuldnervertreters vom 28.02.2025 auf Feststellung des pfändbaren Betrags gemäß § 295a Abs. 2 InsO ist am 28.02.2025 bei Gericht eingegangen. Es wird beantragt, festzustellen, dass der Betrag von monatlich brutto EUR ... den Bezügen aus dem nach § 295a Abs. 1 InsO zugrunde zu legenden angemessenen Dienstverhältnis entspricht sowie hilfsweise die Feststellung des Betrags gem. § 295a Abs. 2 InsO, der den Bezügen aus dem nach § 295a Abs. 1 InsO zugrunde zu legenden angemessenen Dienstverhältnis entspricht. In der Begründung des Schuldnerantrags wird ausgeführt, dass der Schuldner aufgrund Betreuungs- und Unterhaltspflichten gegenüber seinen beiden jüngsten Kindern einen Erwerbstätigenumfang von 22 Wochenarbeitsstunden nachkommen kann. Anhand des berechneten Mittelwerts im Gehaltsvergleich (destatis.de) eines Rechtsanwalts ergibt sich ein monatliches Bruttoeinkommen von etwa EUR ... (Anlagen zu Bl. 133/136 d. A.), was ein entsprechendes Teilzeiteinkommen von EUR ... entspricht.
2
Mit Stellungnahme des Insolvenzverwalters vom 19.03.2025 werden Bedenken geäußert, dass im konkreten Fall ein fiktives Einkommen von monatlich lediglich brutto EUR ... den Bezügen aus dem nach § 295a Abs. 1 InsO zugrunde legenden angemessenen Dienstverhältnis entspricht. Herr ... ist derzeit als Rechtsanwalt, Unternehmensberater, Fremdgeschäftsführer, geschäftsführender Gesellschafter, Lehrbeauftragter und ehrenamtlicher Rettungsassistent tätig. Als Rechtsanwalt ist Herr ... auf das Vergaberecht spezialisiert, ist langjähriger Leiter der ... und Gründungspartner einer überregional tätigen renommierten unabhängigen Wirtschaftskanzlei mit Standorten in B., D., E., F., H., M. und S., mit internationalen Büros in der ganzen Welt. Neben der anwaltlichen Tätigkeit ist Herr ... als Lehrbeauftragter an der Hochschule ... tätig. Herr ... ist zudem geschäftsführender Alleingesellschafter der ... GmbH und Fremdgeschäftsführer der ... Beteiligung GmbH, für die er jeweils beratend tätig ist. Von ... bis ... war Herr ... Mitglied des D. B. Gesundheitliche Einschränkungen des Schuldners sind diesseits nicht bekannt. Von Seiten des Insolvenzverwalters wird von einem fiktiven Jahreseinkommen bei Vollzeittätigkeit von mindestens EUR ... EUR ausgegangen.
3
Mit gerichtlichem Hinweisschreiben wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass eine ausreichende Glaubhaftmachung nach § 298 Abs. 2 S. 2 InsO nicht gegeben und der Antrag daher unzulässig ist. Dem gerichtlichen Hinweisschreiben nach reicht es nicht aus, dass allein ein durch Mittelwert geschätzter Bruttomonatsverdienst zur Bestimmung Höhe der Bezüge aus einem fiktiv eingehenden, angemessenen Dienstverhältnis herangezogen werden kann. Die angemessene Art des Dienstverhältnisses ist nach den konkreten persönlichen Verhältnissen des Schuldners zu bestimmen (Ahrens, NZI 2021, 57, 65). Unter anderem ist der Schuldner als Rechtsanwalt auf das Vergaberecht spezialisiert, ist langjähriger Leiter der ... und Gründungspartner einer überregional tätigen renommierten unabhängigen Wirtschaftskanzlei. An dieser Stelle wird auf die Stellungnahme des Insolvenzverwalters v. 19.03.2025 S. 3 verwiesen. Dabei kann aber aus Sicht des Gerichts die Recherche unter https://www.destatis.de durchaus als erster Anhaltspunkt für die Bestimmung des Betrags nach § 295a Abs. 2 S. 1 InsO in Betracht kommen. Das Gericht wies den Antragsteller jedoch darauf hin, den auf den hiesigen Insolvenzschuldner abzustellenden Betrag aus dem nach § 295 Abs. 1 InsO zugrunde zu legenden Dienstverhältnis anhand des Mittelwerts mit entsprechenden Zu- und Abschlägen glaubhaft darzustellen.
4
Mit Schreiben vom 28.03.2025 nimmt der Antragsteller auf die Stellungnahme des Insolvenzverwalters vom 19.03.2025 zu den Fähigkeiten und deren Glaubhaftmachung hinsichtlich der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Vergaberecht entsprechend Bezug. Bei der Bemessung der Bezüge aus § 295a Abs. 2 InsO ist konkret auf die Umstände des hiesigen Insolvenzschuldners und seiner persönlichen Situation abzustellen.
5
Das Gericht hat mit dem Schreiben vom 15.04.2025 die Beteiligten im Anhörungsverfahren nach § 295a Abs. 2 Satz 2 InsO Gelegenheit gegeben, eine Stellungnahme zum Schuldnerantrag abzugeben. Mit Schreiben vom 05.05.2025 und 14.05.2025 ging eine Stellungnahme der ... ein, in der den Feststellungen des Insolvenzverwalters im Ergebnis beigepflichtet wird.
I.
6
Der Antrag des Schuldners nach § 35 Abs. 2 Satz 2 iVm. § 295a Abs. 2 InsO im laufenden Insolvenzverfahren vor Einleitung des Restschuldbefreiungsverfahrens nach § 286ff. InsO ist zulässig.
II.
7
Die Bezüge des selbstständig tätigen Schuldners aus dem fiktiven Dienstverhältnis aus § 295a Abs. 1 Satz 1 InsO wird unter Berücksichtigung der Teilzeittätigkeit des Schuldners (22 Stunden pro Woche) gemäß § 295a Abs. 2 InsO in Verbindung mit den §§ 850 ff. ZPO auf monatlich, brutto EUR ... festgestellt.
8
Das Gericht bestimmt nur den Betrag des fiktiven Brutto-Einkommens (AG München, Beschluss vom 4. Februar 2022 – 1509 IK 1052/21; ZInsO 2022, 1505). Die Entscheidung des Gerichts richtet sich nach dem Kriterium der Angemessenheit (Kexel in: Graf-Schlicker, InsO, 6. Auflage 2022, § 295a InsO, Rn. 13). Maßgeblich ist dabei ein fiktives Einkommen aus einem angemessenen, nicht notwendigerweise der selbstständigen Tätigkeit entsprechenden Dienstverhältnis, welches dem Schuldner nach seiner Ausbildung und seinem beruflichen Werdegang möglich gewesen wäre (BGH, Beschluss vom 17.01.2013 IX ZB 98/11; NZI 2013, 189 Rn. 21). „Angemessen“ kann nur eine objektiv mögliche Beschäftigung sein (BGH, Urteil vom 12.10.2023 IX ZR 162/22; NZI 2024, 124). Ausgangspunkt der gerichtlichen Feststellung nach § 295a Abs. 2 InsO kann die Recherche unter https://www.destatis.de sein. Im Rahmen der weiteren Bewertung der Glaubhaftmachung kann anhand von Zuschlägen, ausgehend von dem Vergleichseinkommen von Rechtsanwälten, die besondere Expertise des Schuldners sowie seiner Spezifizierung als Rechtsanwalt für Vergaberecht berücksichtigt werden. Durch die gezielte Begründung von „Zuschlags- bzw. Abschlagstatbeständen“ ist die gerichtliche Entscheidungsfindung eines angemessenen, festzustellenden Betrages nach § 295a Abs. 2 InsO leichter nachvollziehbar. Insofern, dass der Antrag nach § 295a Abs. 2 InsO lediglich den oberen Rahmen des Gehaltsvergleichs (6.686,00 EUR, Vollzeitgehalt) annimmt, ist die besondere Expertise des Schuldners als Rechtsanwalt auf dem Rechtsgebiet des Vergaberechts nicht ausreichend berücksichtigt worden. Ebenso unberücksichtigt ist bei Annahme des oberen Rahmens des Gehaltsvergleichs das Gehalt als geschäftsführender Alleingesellschafter der ... GmbH und als Fremdgeschäftsführer der ... Beteiligung GmbH. Gemäß der Stellungnahme des Insolvenzgläubigers, der ... vom 05.05.2025 bezog der Schuldner gemäß öffentlicher Quellen (www.bundestag.de/webarchiv, www.abgeordnetenwatch.de) in den Jahren seiner Vollzeittätigkeit als Bundestagsabgeordneter von ... bis ... parallele Einnahmen neben der Bundestagsdiäten von durchschnittlich EUR ... pro Monat. Ebenso geht der Insolvenzverwalter in seiner Stellungnahme vom 19.03.2025 von einem Mindestjahreseinkommen von brutto, EUR ... aus. Es ist daher davon auszugehen, dass der Schuldner zumindest ansatzweise an die durchschnittliche Höhe seiner Nebeneinkünfte, während seines Bundestagsmandats von rund EUR ... bei Vollzeittätigkeit anknüpfen kann. Die vom Schuldnervertreter mit Stellungnahme vom 28.03.2025 herangetragenen Zweifel des zu erwirtschaftenden Jahresbetrags von brutto, EUR ... tragen nicht mindernd auf die Feststellung des angemessenen Betrags nach § 295a Abs. 2 InsO bei. Die Gefahr des Verlustes der anwaltlichen Zulassung sowie zukünftige Änderungen bei der Teilzeittätigkeit aufgrund des veränderten Betreuungsbedarfs der Kinder des Schuldners können als theoretische Hypothese nicht im Rahmen der Angemessenheit des festzusetzenden Betrags nach § 295a Abs. 2 InsO berücksichtigt werden. Bei Änderungen des in der hiesigen Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverhaltes ist der Schuldner berechtigt, weitere Feststellungsanträge nach § 295a Abs. 2 InsO zu stellen (Wenzel in: Prütting/Bork/Jacoby, KPB-Kommentar zur Insolvenzordnung, 103. Lieferung 03.2025, § 295a InsO, Rn. 15). Es ist daher bei der Festsetzung der angemessenen Bezüge aus dem fiktiven Dienstverhältnis in Vollzeittätigkeit ein Betrag in Höhe von brutto, EUR ... heranzuziehen. Unbestritten ist, dass der Schuldner aufgrund persönlicher Umstände hinsichtlich der Betreuung seiner Kinder nur eine wöchentliche Arbeitszeit von 22 Stunden pro Woche leisten kann. Dies ist im Rahmen des Feststellungsverfahrens nach § 295a Abs. 2 InsO zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 1.3.2018 IX ZB 32/17; NZI 2018, 359).