Titel:
Vergabeverfahren, Nachprüfungsantrag, Restabbrucharbeiten, Ausschreibungspflicht, Wiederholungsgefahr, Rechtsverletzung
Schlagworte:
Vergabeverfahren, Nachprüfungsantrag, Restabbrucharbeiten, Ausschreibungspflicht, Wiederholungsgefahr, Rechtsverletzung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 30991
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin durch die Beauftragung der Firma R. mit dem Nachtrag über die Restabbrucharbeiten im Bauvorhaben „…“ in ihren Rechten verletzt wurde.
2. Die Vergabestelle trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
4. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt x….,- € Auslagen sind nicht angefallen.
Die Vergabestelle ist von der Zahlung der Gebühr befreit.
Tatbestand
1
1. Die VSt schrieb mit Auftragsbekanntmachung vom … (TED: …), Vergabenummer …) europaweit Abbrucharbeiten aus. Die Vergabe an die Firma P. erfolgte am xx.xx…..
2
Die VSt schrieb zudem europaweit Baumeisterarbeiten aus. Der Vertragsschluss erfolgte am xx.xx…. an die Firma R.. Die Zuschlagsbekanntmachung erfolgte am xx.xx…. (…, Veröffentlichungsnummer: …).
3
2. Mit Schreiben vom 23.05.2024 kündigte die VSt der P., die für die Abbrucharbeiten beauftragt war.
4
3. Mit Auskunftsersuchen vom 16.08.2024 baten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt die VSt um Bestätigung, dass die Restleistungen als eigenständiges Los ausgeschrieben würden werden. Die ASt habe aus der Lokalpresse erfahren, dass es bei dem Projekt … vertragliche Schwierigkeiten mit der für die Abbruchleistungen ursprünglich beauftragen Baufirma gebe und im nächsten Bau- und Werkausschuss eine Vergabe der ausstehenden und nicht mehr erbrachten Leistungen an eine andere Firma im Zuge einer Ersatzvornahme vorgesehen sei.
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4. Mit Schreiben vom 20.08.2024 antwortete die VSt auf das Auskunftsersuchen der ASt und teilte mit, dass keine Ausschreibungspflicht bestehen würde.
6
5. Mit Schreiben vom 23.08.2024 rügten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt die Vergabe der Restleistungen der Rückbauarbeiten.
7
6. Mit Schreiben vom 28.08.2024 half die VSt der Rüge nicht ab.
8
Gemäß § 3 Abs. 1 VgV sei bei der Schätzung des Auftragswerts vom voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer auszugehen. Schon begrifflich könnten bereits vollendete Leistungen nicht mehr unter „vorgesehene“ Leistungen fallen. Für die Kostenschätzung sei auf die Einleitung eines Vergabeverfahrens abzustellen und habe sich am konkreten Beschaffungsbedarf auszurichten. Seien Teile eines Auftrags bereits abschließend abgearbeitet, so bestünde diesbezüglich kein Bedarf mehr. Gegenstand der Auftragswertschätzung seien daher lediglich die ausstehenden Restleistungen.
9
Eine Auftragsänderung sei gerechtfertigt. Die VSt sehe eine Änderung aufgrund unvorhersehbarer Umstände im Sinne des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB als gegeben an. § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB finde auf den vorliegenden Sachverhalt keine Anwendung, da der Anwendungsbereich nur für Änderungen während der Vertragslaufzeit eröffnet sei. Darüber hinaus ändere sich der Gesamtcharakter des Vertrags nicht. Die Beauftragung der Restleistungen stelle lediglich eine minimale Erweiterung des Ursprungsauftrags dar.
10
7. Am 29.08.2024 wurde eine Auftragsänderung europaweit bekanntgemacht (TED: …). Aus der Bekanntmachung geht hervor, dass die Firma R. im Wege von Nachträgen die Abbrucharbeiten mit Nachunternehmer ausführt.
11
8. Mit Schriftsatz vom 12.09.2024 stellten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt einen Antrag auf Nachprüfung und beantragen:
1. ein Nachprüfungsverfahren gemäß § 160 Abs. 1 GWB über die Vergabe der Abbrucharbeiten im Bauvorhaben „…“ einzuleiten;
2. die Unwirksamkeit des zwischen der Antragsgegnerin und Beizuladenden geschlossenen Vertrags über Abbrucharbeiten im Bauvorhaben „…“ festzustellen;
3. der Antragsgegnerin aufzugeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht ein rechtskonformes Vergabeverfahren einzuleiten, mit der Möglichkeit für die Antragstellerin sich zu beteiligen;
4. die Vergabeakte beizuziehen und der Antragstellerin unverzüglich Akteneinsicht zu gewähren;
5. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären;
6. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.
12
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig.
13
Die streitgegenständlichen Restleistungen der Abbrucharbeiten seien ein öffentlicher Bauauftrag i.S.d. § 103 Abs. 3 GWB und der Schwellenwert sei überschritten. Der Auftragswert für die noch verbleibenden Abbrucharbeiten würde zwar isoliert betrachtet unterhalb des EU-Schwellenwertes liegen. Die Abbrucharbeiten seien aber mit den Kosten der weiteren Bauleistungen des Bauvorhabens zu addieren, insofern sei der Wert des gesamten Bauvorhabens mit geschätzten xx Millionen Euro maßgeblich, §§ 3 Abs. 6, Abs. 7 VgV. Entgegen der Auffassung der VSt sei die Kostenschätzung für Restarbeiten nach einer Kündigung nicht isoliert vom Altauftrag zu betrachten. Im Rahmen der Ausschreibung von Restarbeiten sei auf den funktionalen Zusammenhang abzustellen, § 3 Abs. 1 VgV. Es sei somit bei der Bestimmung des Auftragswerts von „Restarbeiten“ auch der Altauftrag zu berücksichtigen.
14
Die VSt könne sich für den Verzicht auf eine europaweite Ausschreibung auch nicht auf das sog. 20% Kontingent des § 3 Abs. 9 VgV berufen. Die VSt sei nicht berechtigt, das streitgegenständliche Los „Abbrucharbeiten“ nachträglich dem 20% Kontingent zuzuordnen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Schätzung des Auftragswertes und die Zuordnung eines Loses oder mehrere Lose zum 20% Kontingent sei der Zeitpunkt der Einleitung des ersten Vergabeverfahrens. Es gelte der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung.
15
Die ASt sei antragsbefugt, § 160 Abs. 2 GWB. Durch die de facto Vergabe sei sie in ihren Rechten verletzt, sie hätte bei einer europaweiten Ausschreibung ein Angebot eingereicht.
16
Ihr Interesse am Auftrag sei durch die Rügen und den Nachprüfungsantrag dokumentiert.
17
Die ASt sei ihrer Rügeobliegenheit gem. § 160 Abs. 3 GWB nachgekommen.
18
Der Nachprüfungsantrag sei begründet.
19
Die VSt habe von einer Ausschreibung der streitgegenständlichen Abbrucharbeiten unzulässig abgesehen. Es würden keine Ausnahmetatbestände vorliegen, die eine Direktvergabe rechtfertigen könnten. Der geschlossene Vertrag sei unwirksam und neu auszuschreiben.
20
Der Vertrag sei mangels vorheriger Auftragsbekanntmachung vergaberechtswidrig geschlossen worden und unwirksam, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB.
21
Das Absehen von einer Bekanntmachung könne nicht auf das sog. 20% Prozent Kontingent nach § 3 Abs. 9 VgV gestützt werden.
22
Auch würden die Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 3a Abs. 3 VOB/A nicht vorliegen. Insbesondere könne sich die VSt nicht auf das Vorliegen besonderer Dringlichkeit nach § 3a Abs. 3 Nr. 4 EU VOB/A berufen. Zum einen sei die Dringlichkeit durch die Entziehung des Auftrags selbst durch die VSt verursacht worden. Zum anderen sei nicht ersichtlich, dass selbst verkürzte Fristen (§§ 10a EU, 10b EU, 10c EU VOB/A) nicht hätten eingehalten werden können. Andere Ausnahmetatbestände des § 3a Abs. 3 Nr. 4 EU VOB/A seien nicht ersichtlich.
23
Die VSt sei gemäß § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB verpflichtet, ein neues Vergabeverfahren durchzuführen, wenn ein neuer Auftragnehmer den bestehenden Auftragnehmer ersetze. Eine Kündigung wie hier stelle ein „Ersetzen“ dar. Bei einem Auftragnehmerwechsel nach Kündigung handle es sich um eine wesentliche Auftragsänderung im Sinne des § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB. Der explizit normierte Ausnahmetestbestand des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GWB sei nicht erfüllt. Die Erfüllung des § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB habe zur Folge, dass kein Raum für die Ausnahmetatbestände des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB gegeben sei. Der Ausnahmetatbestand des § 132 Abs. 3 GWB sei auch nicht einschlägig.
24
9. Mit Schriftsatz vom 19.09.2024 erwiderten die Verfahrensbevollmächtigten der VSt.
25
Die Abbrucharbeiten seien seit Montag, den 16.09.2024, abgeschlossen, so dass sich die Anträge 1 und 3 des Nachprüfungsantrags erledigt hätten.
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Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet, das Vorgehen der VSt sei zulässig gewesen.
27
Gemäß § 30 Abs. 2 KommHV-Doppik i.V.m. der Bekanntmachung zur Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich (IMBek), Ziffer 1.2.8, sei eine beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb bei der Vergabe von Bauaufträgen aktuell abweichend von § 3a Abs. 2 Nr. 1 VOB/A ohne weitere Einzelbegründung bis zu einer Wertgrenze von 1 Mio. Euro netto je Gewerk zulässig. Diese Wertgrenze sei bei den Restleistungen nicht erreicht. Des Weiteren verwies die VSt auf ihre Rechtsausführungen im Schreiben vom 28.09.2024.
28
Ergänzend wurde darauf hingewiesen, dass die Beauftragung und zügige Weiterführung der Arbeiten im essentiellen Interesse des kollektiven Gemeinwohls gewesen sei, da zum einen die … Nutzung des erforderlichen Neubaugebäudeteils an der … schneller sichergestellt habe werden müssen und zum anderen die zügige Weiterführung der Arbeiten auch im Hinblick auf eine sparsame und wirtschaftliche Mittelverwendung gemäß dem zwingend zu beachtenden Haushaltsrecht dringend geboten gewesen sei. Im Übrigen sei auch der Gesamtcharakter der Leistung nicht geändert worden.
29
10. Mit Schriftsatz vom 26.09.2024 nahmen die Verfahrensbevollmächtigten der ASt Stellung und erklärten die Anträge zu Ziffer 1 und 3 für erledigt. Die ASt beantragt nunmehr:
1. festzustellen, dass der zwischen der Antragsgegnerin und Beizuladenden geschlossene Vertrag über Abbrucharbeiten im Bauvorhaben „…“ vergaberechtswidrig geschlossen und die Antragstellerin dadurch in ihren bietereigenen Rechten verletzt worden ist,
2. die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären und
3. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden notwendigen Aufwendungen aufzuerlegen.
30
Der Fortsetzungsfeststellungsantrag sei zulässig.
31
Der Nachprüfungsantrag in seiner ursprünglichen Form sei statthaft gewesen. Das Nachprüfungsverfahren habe sich nach Erhebung des Nachprüfungsantrags „in sonstiger Weise“ im Sinne des § 168 Abs. 2 S. 2 GWB erledigt. Die streitgegenständlichen Bauarbeiten seien mittlerweile abgeschlossen, wodurch eine Ausschreibung der Restleistungen nicht mehr möglich sei.
32
Aus Sicht der ASt bestehe eine Wiederholungsgefahr und damit ein besonderes Feststellungsinteresse. Die VSt habe sich gegenüber der ASt wiederholt vergaberechtswidrig verhalten und einen Auftrag ohne vorherige Ausschreibung durchgeführt.
33
Die ASt habe in einem anderen Vergabeverfahren bereits einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung stellen müssen. Mit Beschluss vom 27.05.2024 habe das Landgericht … der VSt untersagt, ohne vorheriges förmliches Vergabeverfahren den Zuschlag auf das Angebot eines Wettbewerbers zu erteilen. In diesem Verfahren habe die ASt die VSt nach Ausspruch der Kündigung auf ihre Pflicht hingewiesen, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht, ausstehende Arbeiten in einem gesonderten Vergabeverfahren ausschreiben zu müssen. Auch habe die VSt die Vollendung der noch offenen Leistungen durch ein Drittunternehmen vorab angekündigt. Die VSt habe somit bereits zum zweiten Mal in kürzester Zeit trotz mehrfacher Erinnerung durch die ASt davon abgesehen, Restleistungen nach ausgesprochener Kündigung auszuschreiben. Aus Sicht der ASt bestehe somit die konkrete Gefahr, dass die Antragsgegnerin auch zukünftig noch offene Restleistungen nach einer Kündigung vergibt, ohne diese öffentlich auszuschreiben.
34
Der Fortsetzungsfeststellungsantrag sei auch begründet.
35
Der ursprüngliche Nachprüfungsantrag sei begründet gewesen. Die VSt habe vergaberechtswidrig davon abgesehen, die streitgegenständlichen Restarbeiten europaweit auszuschreiben.
36
Es würden keine Ausnahmetatbestände vorliegen, die eine Direktvergabe rechtfertigen. Dem stehe auch nicht der Einwand der VSt mit der Ausnahme nach § 30 Abs. 2 KommHV-Doppik i.V.m. der Bekanntmachung zur Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich (IMBek) entgegen. Diese Ausnahme finde nur auf Vergaben von Aufträgen unterhalb des EUSchwellenwertes Anwendung. Mit einem Gesamtvolumen von mehr xx Millionen Euro überschreite das Bauvorhaben den geltenden Schwellenwert. Für die Zwecke der Schwellenwertberechnung seien die Rückbauarbeiten mit den Kosten der weiteren Bauleistungen des Bauvorhabens zu addieren.
37
Im Übrigen wiederholte die ASt, dass auch der Einwand der besonderen Dringlichkeit nach § 3a Abs. 3 Nr. 4 EU VOB/A nicht greife.
38
11. Mit Schriftsatz vom 01.10.2024 erwiderte die VSt.
39
Hinsichtlich des Vortrags der ASt zur Wiederholungsgefahr ergänzte die VSt, dass gegen die einstweilige Verfügung vom 27.05.2024 Widerspruch eingelegt worden sei. Die VSt habe weder angekündigt noch vorgehabt, die Restleistungen ohne Berücksichtigung des Vergaberechts zu beauftragen. In der mündlichen Verhandlung habe der Vertreter der ASt den Rechtsstreit für erledigt erklärt, nachdem von ihm unstreitig gestellt worden sei, dass die VSt die betroffenen Leistungen ausschreiben werden. Die VSt habe dieser Erledigterklärung nicht zugestimmt. Im Urteil des Landgerichts vom 30.07.2024 sei die Erledigung des Rechtsstreits festgestellt und die Kosten der VSt auferlegt worden. Das Berufungsverfahren laufe derzeit noch. Eine Wiederholungsgefahr lasse sich allein mit dem Beschluss des Landgerichts bzw. mit dem dahinterstehenden Sachverhalt nicht begründen, da in diesem Fall kein Auftrag ohne vorherige Ausschreibung vergeben worden sei bzw. vergeben werden sollte.
40
12. Mit Schriftsatz vom 08.10.2024 wiederholten und vertieften die Verfahrensbevollmächtigten der ASt ihre bisherige Rechtsauffassung.
41
Es drohe eine konkrete Wiederholungsgefahr. Dies werde durch das Verhalten der VSt eindrucksvoll bestätigt. Die VSt versuche das Ausmaß der Rechtsverletzungen zu relativieren. Das Landgericht habe bereits eine Kostenentscheidung zu Lasten der VSt erlassen, nachdem das Verfahren aufgrund der Erledigung beendet worden sei. Diese Entscheidung zeige auf, wer die Verantwortung trage. Auch im vorliegenden Verfahren habe sich die VSt rechtswidrig dazu entschieden, auf eine ordnungsgemäße Ausschreibung der Restleistungen zu verzichten. In beiden Verfahren habe die ASt die VSt wiederholt und eindringlich auf ihre Pflicht zur Ausschreibung hingewiesen. Die VSt habe jedoch sehenden Auges gehandelt und den Vergabeverstoß zumindest billigend in Kauf genommen.
42
13. Mit Schriftsatz vom 21.10.2024 wiederholte und vertiefte die VSt ihre bisherige Rechtsauffassung. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht. Eine vermeintliche Absicht bzw. drohende Gefahr der Direktvergabe, die zu dem Erlass der einstweiligen Verfügung geführt habe, habe zu keinem Zeitpunkt bestanden, weshalb es auch keinen schwerwiegenden Vergabeverstoß gegeben habe.
43
14. Die Verfahrensbeteiligten haben am 30.09.2024 und 01.10.2024 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
44
15. Im Übrigen wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf die Verfahrensakte der Vergabekammer und die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, Bezug genommen.
Gründe
45
Die erkennende Vergabekammer konnte gemäß § 166 Abs. 1 S. 3 GWB ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Verfahrensbeteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt haben.
46
Eine Beiladung des beauftragten Drittunternehmens war im vorliegenden Fall nicht (mehr) erforderlich, da dessen Interessen durch die Entscheidung der Vergabekammer nicht schwerwiegend berührt werden, vgl. § 162 Satz 1 GWB. Die ASt hat nach Eintritt der Erledigung ihren Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Auftrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht mehr weiterverfolgt.
47
Der Nachprüfungsantrag in Gestalt des Fortsetzungsfeststellungsantrages nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB ist zulässig und begründet.
48
1. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist zulässig.
49
a) Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist statthaft, nachdem sich das Nachprüfungsverfahren „in sonstiger Weise“ im Sinne von § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB erledigt und die ASt ihren ursprünglichen Nachprüfungsantrag entsprechend umgestellt hat.
50
Aufgrund des zwischenzeitlich erfolgten Abschlusses der streitgegenständlichen Restabbrucharbeiten besteht für die VSt kein Beschaffungsbedarf mehr, wodurch eine Erledigung im Sinne von § 168 Abs. Satz 2 GWB eingetreten ist.
51
b) Weitere ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung für den Feststellungsantrag ist das Vorliegen eines besonderen Feststellungsinteresses. Das notwendige Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes gemäß vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern. Ein solches Feststellungsinteresse kann gegeben sein, wenn der Antrag der Vorbereitung einer Schadensersatzforderung dient, eine hinreichend konkrete, an objektiven Anhaltspunkten festzumachende Wiederholungsgefahr besteht oder die Feststellung zur Rehabilitierung des Bieters erforderlich ist, weil der angegriffenen Entscheidung ein diskriminierender Charakter zukommt. Das Feststellungsinteresse ist mit der Umstellung der ursprünglichen Anträge auf den Feststellungsantrag explizit zu begründen (vgl. OLG Düsseldorf, B.v. 30.06.2021 – Verg 43/20).
52
Die ASt hat ihr Feststellungsinteresse mit einer drohenden konkreten Wiederholungsgefahr aufgrund des bisherigen Verhaltens der VSt begründet. Die ASt trägt vor, dass sich die VSt gegenüber der ASt wiederholt vergaberechtswidrig verhalten habe und einen Auftrag ohne vorherige Ausschreibung durchgeführt habe. Hierzu verweist die ASt auf ein Verfahren vor dem Landgericht … in dem die ASt die VSt nach Ausspruch der Kündigung ebenfalls auf ihre Pflicht hingewiesen habe, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht, ausstehende Arbeiten in einem gesonderten Vergabeverfahren ausschreiben zu müssen. Auch dort habe die VSt die Vollendung der noch offenen Leistungen durch ein Drittunternehmen vorab angekündigt. Mit Beschluss vom 27.05.2024 sei der VSt untersagt worden, ohne vorheriges förmliches Vergabeverfahren den Zuschlag auf das Angebot eines Wettbewerbers zu erteilen. Im Urteil des Landgerichts vom 30.07.2024 sei die Erledigung des Rechtsstreits festgestellt worden und die Kosten der VSt auferlegt worden. Die VSt habe somit bereits zum zweiten Mal in kürzester Zeit trotz mehrfacher Erinnerung durch die ASt davon abgesehen, Restleistungen nach ausgesprochener Kündigung auszuschreiben. Aus Sicht der ASt bestehe somit die konkrete Gefahr, dass die VSt auch zukünftig noch offene Restleistungen nach einer Kündigung vergibt, ohne diese öffentlich auszuschreiben.
53
Eine Wiederholungsgefahr wird als gegeben angesehen, wenn anzunehmen ist, dass der Auftraggeber in gleich gelagerten Fällen die als vergaberechtswidrig beanstandete Handlung erneut vornehmen wird (vgl. VK Südbayern, B. v. 28.02.2023, 3194.Z3-3_01-22-41).
54
Nach Auffassung der Vergabekammer ist dies vorliegend der Fall. Die VSt hat im streitgegenständlichen Nachprüfungsverfahren das eigene Vorgehen weiter in der Sache als rechtmäßig verteidigt und auch gegen die oben genannte Entscheidung des Landgerichts Beschwerde vor dem Oberlandesgericht eingelegt. Nach dem Vorbringen der VSt liegt es nahe, dass diese auch künftig die Position einnehmen wird, in gleichgelagerten Fallkonstellationen nicht zu europaweiten Ausschreibungen verpflichtet zu sein, so dass die Gefahr einer Wiederholung besteht.
55
c) Unabhängig von der Frage, ob die Zulässigkeit des Feststellungsantrages auch die Zulässigkeit des ursprünglichen Nachprüfungsantrages voraussetzt (vgl. Nowak in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 168 GWB, Rn. 36 m.w.N.; Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 168 GWB, Rn. 136; a.A. Beck VergabeR/Antweiler, 3. Aufl. 2017, § 168 GWB, Rn. 63 m.w.N), war der ursprüngliche Nachprüfungsantrag zulässig.
56
aa) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfungsverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
57
bb) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB.
58
cc) Bei den streitgegenständlichen Restleistungen der Abbrucharbeiten handelt es sich um einen öffentlichen Bauauftrag im Sinne von § 103 Abs. 3 GWB.
59
dd) Der Auftragswert übersteigt den maßgeblichen Schwellenwert nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 der RL 2014/24/EU.
60
Für die Frage, ob der Schwellenwert erreicht wird, ist auf den voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer abzustellen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 EU VOB/A i.V.m. § 3 Abs. 1 VgV). Isoliert betrachtet liegt hier der Auftragswert der ausstehenden Restleistungen unterhalb des geltenden Schwellenwertes. Entgegen der Rechtsauffassung der VSt sind vorliegend Gegenstand der Auftragswertschätzung jedoch nicht lediglich die ausstehenden Restleistungen. Bei Kündigung des Altauftrags und neuer Vergabe der noch nicht fertiggestellten oder nur mangelhaft erbrachten Leistungen ist für den nach § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert auf den gekündigten Altauftrag abzustellen (vgl. OLG Frankfurt, B. v. 07.06.2022, 11 Verg 12/21).
61
Ungeachtet dessen, dass sich die VSt nicht ausdrücklich auf § 3 Abs. 9 VgV berufen hat, führt die ASt zutreffend aus, dass diese Vorschrift mit der Folge, dass für die Frage einer Schwellenwertüberschreitung allein auf den Auftragswert der Restabbrucharbeiten abzustellen wäre, vorliegend nicht in Betracht kommt. Nach § 3 Abs. 9 VgV kann der öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe einzelner Lose zwar von § 3 Abs. 7 Satz 3 VgV abweichen, wenn der geschätzte Nettowert des betreffenden Loses bei Bauleistungen unter 1 Million Euro liegt und die Summe der Nettowerte dieser Lose 20 Prozent des Gesamtwerts aller Lose nicht übersteigt. Der Auftraggeber muss jedoch die Lose, die unter die 20 ProzentGrenze fallen sollen, bei Einleitung des Vergabeverfahrens festlegen und diese Festlegung dokumentieren. Eine nachträgliche Änderung der Loszuteilung ist durch die Selbstbindung des Auftraggebers nicht mehr möglich (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 11.12.2019, VII-Verg 53/18).
62
ee) Die ASt ist antragsbefugt. Antragsbefugt ist nach § 160 Abs. 2 GWB jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, eine Verletzung in eigenen, bieterschützenden Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB geltend macht und einen dadurch entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Ein Interesse am Auftrag im Sinne von § 160 Abs. 2 GWB liegt grundsätzlich immer dann vor, wenn sich der Bieter an der Ausschreibung beteiligt und ein ernst zu nehmendes Angebot abgegeben hat (Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 160 GWB Rn. 43). lm vorliegenden Vergabeverfahren hat die ASt zwar kein Angebot abgegeben. Dies hindert aber nicht ihr Interesse am Auftrag. Unternehmen, die keinen Teilnahmeantrag oder kein Angebot abgegeben haben, aber substantiiert rügen, gerade hieran durch vergaberechtswidriges Verhalten der Vergabestelle gehindert worden zu sein, sind insoweit grundsätzlich antragsbefugt (vgl. BayObLG, B.v. 04.02.2003 – Verg 31/02). Für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ist insoweit die schlüssige Behauptung der Rechtsverletzung erforderlich, aber regelmäßig auch ausreichend (BGH, B.v. 26.09.2006 – X ZB 14/06). Ob der Rechtsverstoß tatsächlich vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit. Die ASt hat vorliegend schlüssig behauptet, dass sie kein Angebot abgeben konnte, weil die VSt keine europaweite Ausschreibung durchgeführt hat. Daraus folgt ferner ein der ASt drohender Schaden wegen fehlender Zuschlagsmöglichkeit.
63
ff) Es steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB entgegen, da gemäß § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB bei einem Feststellungsantrag nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB keine Rügeobliegenheit besteht.
64
gg) Die Fristen des § 135 Abs. 2 GWB zur Anbringung des Nachprüfungsantrags – 30 Kalendertage nach der Information der Bieter durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrags und nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss – sind durch den Nachprüfungsantrag vom 12.09.2024 gewahrt.
65
hh) Der bereits erteilte Zuschlag steht der Statthaftigkeit des Nachprüfungsverfahrens nicht entgegen im Sinne von § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB, da der Nachprüfungsantrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des öffentlichen Auftrags gemäß § 135 GWB gerichtet ist (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 12.06.2019 – VII-Verg 54/18).
66
2. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist begründet.
67
Nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB stellt die Vergabekammer fest, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat. Mit der Beauftragung eines Drittunternehmens im Wege eines Nachtrags über die Restabbrucharbeiten ohne Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens hat die VSt die ASt in ihrem Recht aus § 97 Abs. 6 GWB auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren verletzt.
68
a) Entgegen der Rechtsauffassung der VSt kann sich diese vorliegend nicht auf § 30 Abs. 2 KommHV-Doppik i.V.m. der Bekanntmachung zur Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich (IMBek) berufen. Gemäß der genannten Bekanntmachung wird dort die Vergabe von Aufträgen geregelt, soweit nicht Bundesrecht vorgeht. Vorliegend findet allerdings für die streitgegenständliche Leistung der 4. Teil des Gesetzes gegenWettbewerbsbeschränkungen Anwendung, mithin vorrangiges Bundesrecht.
69
b) Im vorliegenden Fall findet die Vorschrift § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB Anwendung, infolgedessen der Anwendungsbereich des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB nicht eröffnet ist.
70
Gemäß § 132 Abs. 1 Satz 1 GWB erfordern wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit ein neues Vergabeverfahren. Nach § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB liegt eine wesentliche Änderung insbesondere vor, wenn ein neuer Auftragnehmer den Auftragnehmer in anderen als den in § 132 Absatz 2 Satz 1 Nr. 4 GWB vorgesehenen Fällen ersetzt. Entgegen der Rechtsauffassung der VSt handelt es sich trotz der erfolgten Kündigung des Altauftrags um einen Fall der Ersetzung des Auftragnehmers während der Vertragslaufzeit (vgl. BayObLG, B. v. 21.02.2024, Verg 5/12).
71
Nach der Systematik des § 132 GWB kann in einem solchen Fall der Auftragnehmer ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens nur unter den Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GWB ersetzt werden. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4. GWB liegen hier jedoch nicht vor.
72
Damit ist im vorliegenden Fall § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB nicht anwendbar (vgl. BayObLG, B. v. 21.02.2024, Verg 5/12).
73
Ebenso ist § 132 Abs. 3 GWB nicht einschlägig. Die Beauftragung des Drittunternehmens im Wege von Nachträgen mit Nachunternehmereinsatz stellt eine Änderung des Gesamtcharakters des Auftrags dar (vgl. VK Südbayern, B. v. 28.02.2023, 3194.Z3-3_0122-41).
74
Die streitgegenständlichen Restabbrucharbeiten hätten daher auch nach der Kündigung des ursprünglichen Auftragnehmers erneut öffentlich ausgeschrieben werden müssen.
75
c) Im Übrigen kommt – wie die ASt zutreffend ausgeführt hat – insbesondere § 3a Abs. 3 Nr. 4 EU VOB/A nicht in Betracht. Ungeachtet dessen, dass diese Vorschrift lediglich die Wahl der Verfahrensart betrifft, liegen deren Voraussetzungen nicht vor. Eine äußerste Dringlichkeit der Leistung aus zwingenden Gründen infolge von Ereignissen, die die VSt nicht verursacht hat und nicht voraussehen konnte, so dass selbst die Fristen in § 10a EU, § 10b EU, § 10c EU VOB/A nicht eingehalten werden können, ist vorliegend nicht gegeben. Eine zügige Weiterführung der Arbeiten zur schnelleren Sicherstellung der … Nutzung des Neubaugebäudeteils an der … sowie eine sparsame und wirtschaftliche Mittelverwendung gemäß dem Haushaltsrecht genügen hierfür nicht.
76
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
77
a) Die VSt trägt die Verfahrenskosten, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen ist, § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB.
78
b) Die Kostenerstattung gegenüber der ASt ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
79
c) Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für die ASt notwendig (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG). Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, so dass es der ASt nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen.
80
d) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und Abs. 3 GWB festzusetzen. Da die ASt kein Angebot abgegeben hat, errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes nach der hilfsweisen Heranziehung der Bruttonachtragsvereinbarung der VSt und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwandes der Vergabekammer eine Gebühr in Höhe von x….,-- € .
81
Da ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte und keine Beiladung erfolgte, wird die Gebühr jeweils um …,-- € auf x….,-- € reduziert.
82
e) Die VSt ist gemäß § 182 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (in der am 14.08.2013 geltenden Fassung) von der Zahlung der Gebühr befreit.
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Sofern der Kostenvorschuss in Höhe von 2.500,- € von der ASt einbezahlt wurde, wird dieser nach Bestandskraft dieses Beschlusses an die ASt zurücküberwiesen.