Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 01.09.2025 – W 7 S 25.1175
Titel:

Nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis, Wegfall der ehelichen Lebensgemeinschaft, Beweislast für das Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft, Verfahrensduldung - verneint, Anordnung sofortige Vollziehung, Hilfsantrag

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
VwGO § 123 Abs. 1
AufenthG § 7 Abs. 2 S. 2
AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
Schlagworte:
Nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis, Wegfall der ehelichen Lebensgemeinschaft, Beweislast für das Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft, Verfahrensduldung - verneint, Anordnung sofortige Vollziehung, Hilfsantrag
Fundstelle:
BeckRS 2025, 30912

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. Juli 2025, mit dem die Geltungsdauer seiner Aufenthaltserlaubnis nachträglich auf den Tag der Bekanntgabe des Bescheids befristet und ihm u.a. die Abschiebung in sein Heimatland angedroht wurde.
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1. Der am … … 2003 in D …, Türkei, geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger und Kurde sunnitischen Glaubens. Er reiste nach eigenen Angaben am 5. September 2022 ohne Visum auf dem Landweg ins Bundesgebiet ein.
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Sein Asylantrag vom 13. Dezember 2022 wurde mit Bescheid vom 23. August 2023 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Auch der Eilantrag und die Klage gegen diesen Bescheid wurden vom Verwaltungsgericht M … mit Beschluss vom 23. Oktober 2023 abgelehnt und mit Urteil vom 13. März 2024 abgewiesen.
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Am 21. September 2023 ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG stellen. Zur Begründung wurde angegeben, der Antragsteller habe am 13. September 2023 die deutsche Staatsangehörige Frau J. geheiratet. Eine Kopie der Eheurkunde wurde dem Antrag beigelegt.
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Nach erfolgter schriftlicher Anhörung wurde mit Bescheid vom 10. April 2024 der Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Auf seine Klage und Eilantrag vom 17. April 2024 hiergegen zum Verwaltungsgericht M … erklärte die hiesige Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 16. Mai 2024, sie räume dem Antragsteller ein Jahr zur Absolvierung des erforderlichen A1-Sprachkurses ein, sie verzichte auf ein etwaiges Visumverfahren und stellte eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bei Vorliegen des A1-Sprachzertifikats in Aussicht. Nach Umzug des Antragstellers nach A … im April 2024 war die ausländerrechtliche Zuständigkeit während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens auf die Ausländerbehörde der hiesigen Antragsgegnerin übergegangen. Nach Annahme des Vergleichsvorschlags wurden Klage sowie Eilantrag wieder zurückgenommen, sodass die Verfahren mit Beschlüssen vom 21. Mai 2024 eingestellt wurden.
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In der Folge wurde ein A1-Sprachzertifikat vom 3. Juli 2024 vorgelegt, sodass dem Antragsteller am 8. August 2024 ein Aufenthaltstitel nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG für drei Jahre erteilt wurde.
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2. Zum 1. Februar 2025 meldete der Antragsteller sich ohne seine Ehefrau in die K.-straße ... in A … um. Mit Schreiben der Antragsgegnerin jeweils vom 7. Februar 2025 wurden der Antragsteller und seine Ehefrau um Stellungnahme hierzu gebeten.
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Mit Schreiben vom 25. Februar 2025 ließ die Ehefrau des Antragstellers durch einen Bevollmächtigten mitteilen, dass es zutreffend sei, dass die Eheleute getrennt lebten und keine eheliche Lebensgemeinschaft mehr bestehe. Das Schreiben an den Antragsteller kam unzustellbar zurück.
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Mit Schreiben vom 18. März 2025, welches am 20. März 2025 per Postzustellungsurkunde zugestellt wurde, wurde der Antragsteller über die beabsichtigte nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer seiner Aufenthaltserlaubnis gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Kenntnis gesetzt, da die eheliche Lebensgemeinschaft mit Frau J. nicht mehr bestehe.
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Am 14. April 2025 ging laut Aktenvermerk beim Jobcenter der Antragsgegnerin eine Mitteilung der Ehefrau des Antragstellers ein, dass sie wieder zusammen wohnen würden. Am 25. Juni 2025 folgte laut Aktenvermerk eine Mitteilung, dass keine eheliche Lebensgemeinschaft mehr bestehe, trotz gemeinsamer Wohnung.
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Mit einem Schreiben, beim Jobcenter der Antragsgegnerin am 26. Juni 2025 eingegangen, teilte die Ehefrau des Antragstellers mit, sie sei am 1. April 2025 in die K.-straße ... in A … eingezogen. Es sei klarzustellen, dass sie mit dem Antragsteller aus wirtschaftlichen Gründen nur noch eine Wohngemeinschaft bilde. Eine Ehegemeinschaft bestehe zwischen ihnen nicht mehr.
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3. Mit Bescheid vom 1. Juli 2025, dem Antragsteller am 8. Juli 2025 zugestellt, wurde die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis Nr. … nachträglich auf den Tag der Bekanntgabe des Bescheids befristet (Ziffer 1). Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheids wurde angeordnet (Ziffer 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, seine Aufenthaltserlaubnis Nr. … unverzüglich an die Ausländerbehörde herauszugeben (Ziffer 3). Der Antragsteller wurde weiter aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland und das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und der anderen Schengen-Staaten innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf bzw. der zu seiner Übernahme verpflichtet ist, angedroht (Ziffer 4). Für den Fall einer Abschiebung wurde gegen den Antragsteller ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet, das auf die Dauer von zwei Jahren befristet wurde, wobei die Frist am Tag der Abschiebung zu laufen beginne (Ziffer 5). Für die Entscheidung wurden keine Gebühren erhoben und Auslagen nicht geltend gemacht. Die Kosten einer Abschiebung habe der Antragsteller zu tragen (Ziffer 6).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, die vorliegende Aufenthaltserlaubnis sei entsprechend § 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zum Zwecke der ehelichen Lebensgemeinschaft erteilt worden. Ein Anspruch nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug scheide bereits deshalb aus, weil allein das formale Band der Ehe nicht ausreiche, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zugunsten des ausländischen Ehegatten abzuleiten. Erforderlich sei der Wille beider Ehegatten zur Herstellung bzw. Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet. Sei eine für die Erteilung, die Verlängerung oder die Bestimmung der Geltungsdauer wesentliche Voraussetzung entfallen, so könne eine Frist auch nachträglich verkürzt werden gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG.
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Im vorliegenden Fall sei der beidseitige Wille zur Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr gegeben. Die erneute Aussage der Ehefrau diesbezüglich, auch nach der erneuten Zusammenführung der beiden Wohnungen, insbesondere durch ihr Schreiben, das am 26. Juni 2025 beim Jobcenter eingegangen sei, bestätige dies.
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Da die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers noch bis 7. August 2027 und damit noch verhältnismäßig lange gültig sei, erscheine eine nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer auch im pflichtgemäßen Ermessen. Insbesondere sei in diesem Zuge auf den beantragten Leistungsbezug beim Jobcenter der Antragsgegnerin hinzuweisen. Der Antragsteller könnte mithilfe der noch bis August 2027 gültigen Aufenthaltserlaubnis Leistungen beziehen, auf die er nur mit einem materiell-rechtlichen Aufenthaltsrecht einen Anspruch habe. Abgesehen von der gescheiterten Ehe mit Frau J. sei keine Verwurzelung des Antragstellers infolge fortgeschrittener beruflicher und sozialer Integration während seines circa dreijährigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland erkennbar.
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheids wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Antragsteller seit April 2025 Sozialleistungen zur Deckung seines Unterhaltsbedarfs, Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II durch das Jobcenter, beziehe. Es könne nicht angehen, dass Personen, deren Aufenthaltserlaubnisse aufgrund nachträglich eingetretener Rechtswidrigkeit durch Entfallen der Erteilungsvoraussetzungen nachträglich zeitlich verkürzt wurden, sich aufgrund möglicherweise jahrelang währender gerichtlicher Verfahren jedoch weiterhin im Bundesgebiet aufhielten und dabei weiterhin staatliche Transferleistungen bezögen, wodurch öffentliche Kassen weiterhin erheblich belastet werden würden.
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Die Pflicht zur Herausgabe des Aufenthaltstitels ergebe sich aus § 48 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Im Ausländerzentralregister werde die nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels zwar eingetragen werden. Da es sich hierbei jedoch um eine Datenbank handle, die auf das Bundesgebiet beschränkt sei, d.h. insbesondere andere Schengen-Staaten nicht darauf zugreifen könnten, sei es um Missbrauchsgefahr zu vermeiden, unbedingt erforderlich, den sodann nicht mehr existenten Aufenthaltstitel einzuziehen. Die Vorgehensweise entspreche pflichtgemäßem Ermessen, da das öffentliche Interesse das private Interesse am Besitz einer ungültig gewordenen Aufenthaltserlaubnis überwiege.
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Die Ausreisepflicht ergebe sich aus §§ 51 Abs. 1 Nr. 1, 50 Abs. 1 AufenthG. Die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht richte sich nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Die Ausreisefrist von 30 Tagen nach Bekanntgabe sei vorliegend angemessen. Im vorliegenden Fall seien keine Gründe ersichtlich, die eine längere Frist erforderlich machten; entsprechende Tatsachen seien weder vorgetragen worden noch ergäben sie sich aufgrund der Aktenlage. Abschiebungshindernisse oder Duldungsgründe seien derzeit nicht ersichtlich und seien auch nicht geltend gemacht worden.
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Hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sei berücksichtigt worden, dass ein rechtmäßiger Aufenthalt des Antragstellers erst ab der Ersterteilung des Aufenthaltstitels am 8. August 2024 vorgelegen habe. Eine vollumfängliche Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse sei dem Antragsteller nicht gelungen. Während des Aufenthalts habe der Betroffene zudem staatliche Transferleistungen in Anspruch genommen und damit die öffentlichen Kassen belastet. Diese Aspekte würden zu Ungunsten des Betroffenen gesehen. Zu Gunsten des Antragstellers werde bei der Bemessung der Frist gewürdigt, dass er während seines Aufenthalts – abgesehen von der illegalen Einreise als Asylsuchender – weder gegen aufenthaltsrechtliche noch gegen strafrechtliche Bestimmungen verstoßen habe. Hinsichtlich etwaiger Personen, zu denen der Antragsteller während seines Aufenthalts im Bundesgebiet Verbindungen aufgebaut habe, könne darauf verwiesen werden, den Kontakt telefonisch oder schriftlich über moderne Kommunikationsmittel vom Ausland aus aufrechtzuerhalten.
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4. Am 22. Juli 2025 ließ der Antragsteller im Verfahren W 7 K 25. … Klage erheben. Im vorliegenden Verfahren beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. wiederherzustellen,
hilfsweise die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von der Abschiebung des Klägers bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage vorläufig abzusehen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG lägen nicht vor. Der Kläger habe nämlich weiterhin einen Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Der Kläger und seine Ehefrau würden gemeinsam in der K.straße ... in A … leben. Die eheliche Lebensgemeinschaft bestehe nach wie vor.
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Es wurde eine schriftliche Erklärung der Ehefrau des Antragstellers vom 21. Juli 2025 vorgelegt, wonach das Schreiben, das am 26. Juni 2025 beim Jobcenter einging, missverstanden worden sei. Sie und ihr Ehemann würden gemeinsam wohnen, er arbeite in einem Minijob. In jeder Ehe gebe es gute Zeiten wie schlechte. Sie wolle ihren Mann bei sich haben. Sie würden eine zukünftige gemeinsame Familie planen. Sie liebe ihn und habe sich für ihn entschieden.
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5. Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sowie den Hilfsantrag nach § 123 VwGO abzulehnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass es sich bei der Aussage von Frau J. um eine Gefälligkeitsleistung handle, da Frau J. erst im Juni 2025 beim Jobcenter eindeutig angegeben habe, keine eheliche Lebensgemeinschaft mehr mit dem Antragsteller zu führen. Hinzu komme, dass sich der Antragsteller bereits am 1. Februar 2025 in eine andere Wohnung umgemeldet habe. Diese habe er ohne seine Ehefrau bezogen. Der Rechtsanwalt von Frau J. habe mit Schreiben vom 25. Februar 2025 bestätigt, dass die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr bestehe. Solange die Aussagen der Ehefrau des Antragstellers derart viele Unstimmigkeiten hervorriefen, müsse davon ausgegangen werden, dass die zuletzt getätigte Aussage gegenüber der Verfahrensbevollmächtigten nur zu Papier gegeben worden sei, um aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu verhindern. Somit handle es sich hierbei aus objektiver Sicht um eine Gefälligkeitsleistung.
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6. Der Bevollmächtigte des Antragstellers erwiderte hierauf mit Schreiben vom 12. August 2025, die Eheleute würden weiterhin in einem gemeinsamen Haushalt leben und es bestehe nach wie vor eine gefestigte eheliche Lebensgemeinschaft. Es sei zwar in der Anfangsphase der Beziehung wiederholt zu zeitweisen Trennungen und Versöhnungen gekommen, wie sie in vielen Partnerschaften vorkämen. Ebenso habe es wie in jeder zwischenmenschlichen Beziehung gelegentliche Streitigkeiten gegeben, die jedoch nicht zum dauerhaften Ende der Partnerschaft geführt hätten. Derzeit würden der Antragsteller und seine Ehefrau eine stabile und auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft führen, in der sie sich im Alltag gegenseitig unterstützen und sämtliche wesentlichen Lebensbereiche miteinander teilen würden. Dem Schreiben wurden zwei Lichtbilder beigefügt, die jeweils den Antragsteller mit seiner Ehefrau zeigen.
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7. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte (auch im Verfahren W 7 K 25. …) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg. Sowohl der Haupt- als auch der Hilfsantrag sind, soweit zulässig, unbegründet.
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1. Der Hauptantrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. wiederherzustellen, ist überwiegend zulässig, aber unbegründet.
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1.1 Der Antrag ist statthaft, soweit er sich gegen Ziffer 1 (nachträgliche Verkürzung), Ziffer 4 (Abschiebungsandrohung) und Ziffer 5 (Einreise- und Aufenthaltsverbot) richtet. Nachdem die Antragsgegnerin mit Ziffer 2 die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheids vom 1. Juli 2025 angeordnet hat, ist hinsichtlich Ziffer 1 ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft. Hinsichtlich der Ziffern 4 und 5 des Bescheids ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft, da die Klage gegen die Abschiebungsandrohung als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots für den Fall einer Abschiebung keine aufschiebende Wirkung entfaltet, vgl. Art. 21a Satz 1 BayVwZVG, § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG. Hinsichtlich Ziffer 3 des Bescheids (Herausgabe Aufenthaltstitel) entfaltet die Klage mangels Erwähnung in § 84 Abs. 1 AufenthG aufschiebende Wirkung. Hinsichtlich Ziffer 2 und Ziffer 6 des Bescheids (Kosten) liegen schon keine Verwaltungsakte i.S.d. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG vor, sodass weder Hauptsache- noch Eilantrag hier statthaft sind.
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1.2 Soweit der Antrag zulässig ist, ist er unbegründet.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall eines gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung ganz oder teilweise anordnen bzw. im Fall der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ganz oder teilweise wiederherstellen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, welche Interessen höher zu bewerten sind, diejenigen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder diejenigen, die für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sprechen. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als ein wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (vgl. Gersdorf in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2024, § 80 Rn. 187 m.w.N.). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als rechtmäßig und besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung, bleibt der Antrag erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen die sofortige Vollziehung sprechenden Interessen statt.
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Dies zugrunde gelegt, fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung zu Ungunsten des Antragstellers aus, da er im Hinblick auf die im vorliegenden Verfahren gegenständlichen Verfügungen des Bescheids der Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren voraussichtlich unterliegen wird. Bei der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderlichen Abwägung überwiegt daher das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Suspensivinteresse des Antragstellers.
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1.2.1 Zunächst erfüllt die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung die notwendigen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Diese muss auf den konkreten Fall abstellen und darf sich nicht in formelhaften Erwägungen erschöpfen (BayVGH, B.v. 30.10.2009 – 7 CS 09.2606 – juris Rn. 17). Die Begründungspflicht soll der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie dazu veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, warum ausnahmsweise von dem gesetzlichen Normalfall der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO abgewichen werden soll (vgl. Gersdorf in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2024, § 80 Rn. 86, 109). Diesen Anforderungen genügen die behördlichen Ausführungen. Auch in materieller Hinsicht ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht zu beanstanden. Es besteht vorliegend ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids, das über das für den Erlass der Verfügungen selbst erforderliche Interesse hinausgeht.
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Die Antragsgegnerin hat im Hinblick auf Ziffer 1 des Bescheids zutreffend ausgeführt und darauf abgestellt, dass es aufgrund des Bezugs von Sozialleistungen durch den Antragsteller nicht hingenommen werden könne, den Ausgang eines länger andauernden Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Die ausführliche Begründung mit dem Ergebnis, dass vorliegend das öffentliche Interesse an einer sofortigen Beendigung des Aufenthalts und damit das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheids überwiegt, ist nicht zu beanstanden.
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1.2.2 Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Antragsgegnerin, die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers nachträglich zu verkürzen. Der Antragsteller hat im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht hinreichend glaubhaft dargelegt, dass die eheliche Lebensgemeinschaft zu seiner Ehefrau tatsächlich (wieder) besteht.
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Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann die Behörde, wenn eine für die Erteilung, die Verlängerung oder die Bestimmung der Geltungsdauer wesentliche Voraussetzung entfallen ist, die Frist einer Aufenthaltserlaubnis auch nachträglich verkürzen.
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§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG hat als Zweck die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zum Schutz von Ehe und Familie, vgl. § 27 Abs. 1 AufenthG. Voraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist, dass eine Ehe wirksam geschlossen wurde und nach wie vor besteht (Tewocht in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 1.4.2025, § 28 AufenthG Rn. 10). Der formale Bestand der Ehe steht vorliegend nicht in Frage. Es genügt jedoch nicht, wenn lediglich formal-rechtlich eine Ehe besteht. Die Eheleute müssen eine eheliche Lebensgemeinschaft führen wollen (Tewocht a.a.O., Rn. 12).
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Es kommt darauf an, dass die Eheleute in einer die persönliche Verbundenheit zum Ausdruck bringenden Beistandsgemeinschaft leben (HessVGH, B.v. 16.1.2007 – 7 TG 2879.06 – NVwZ-RR 2007, 491). Diese eheliche Lebensgemeinschaft, die sich nach außen im Regelfall in einer gemeinsamen Lebensführung, also in dem erkennbaren Bemühen dokumentiert, die alltäglichen Dinge des Lebens miteinander in organisatorischer, emotionaler und geistiger Verbundenheit zu bewältigen, dreht sich im Idealfall um einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt und wird daher regelmäßig in einer von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Wohnung gelebt (Tewocht in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 1.4.2025, § 27 AufenthG Rn. 44). Liegen die Voraussetzungen einer dauerhaften Trennung i.S.d. § 1566 Abs. 1 BGB vor, besteht keine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen den Eheleuten. Auch dann, wenn die persönlichen Beziehungen erkennbar und ohne Aussicht auf Versöhnung beendet wurden, liegt keine familiäre Lebensgemeinschaft mehr vor (Tewocht a.a.O., Rn. 36). Maßgeblich ist der nachweisbar betätigte Wille, mit der Partnerin bzw. dem Partner als wesentlicher Bezugsperson ein gemeinsames Leben zu führen. Ob dieser Wille vorliegt und praktiziert wird, ist allerdings eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. Dieser Wille muss bei beiden Eheleuten bestehen (BVerwG, B.v. 22.5.2013 – 1 B 25.12 – BeckRS 2013, 52673). Die Beweislast für das Bestehen dieses Herstellungswillens als einer inneren Tatsache trägt der Ausländer (vgl. BVerwG, U.v. 30.3.2010 – 1 C 7.09 – BeckRS 2010, 49429; OVG Saarl, B.v. 21.12.2021 – 2 B 257.21 – BeckRS 2021, 40110; HessVGH, B.v. 16.1.2007 – 7 TG 2879.06 – NVwZ-RR 2007, 491). So kann es auch bei bestehender häuslicher Gemeinschaft an der erforderlichen inneren Verbundenheit der Eheleute fehlen (vgl. OVG Saarl, B.v. 21.12.2021 – 2 B 257.21 – BeckRS 2021, 40110).
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Maßgeblicher Zeitpunkt ist vorliegend der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung und nicht etwa derjenige der Behördenentscheidung, sodass eingetretene Änderungen nach Erlass des Bescheids vom 1. Juli 2025 im hiesigen Verfahren zu berücksichtigen sind. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, dass die ursprüngliche Befristung der gegenständlichen Aufenthaltserlaubnis zum Entscheidungszeitpunkt noch nicht abgelaufen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2011 – 10 CS 11.432 – BeckRS 2011, 53689 Rn. 30; VGH BW, U.v. 15.7.2009 – 13 S 2372/08 – EZAR NF 98 Nr. 39).
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Vorliegend war erster Anlass für Zweifel am Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft im Verwaltungsverfahren der Auszug und die Ummeldung des Antragstellers ohne seine Ehefrau in die K.-straße ... in A … Ein Schreiben des Rechtsanwalts der Ehefrau vom 25. Februar bestätigte auf Nachfrage der Antragsgegnerin, dass die Eheleute getrennt lebten und keine eheliche Lebensgemeinschaft mehr bestehe. Laut Schreiben der Ehefrau, welches am 26. Juni 2025 beim Jobcenter der Antragsgegnerin einging, sei sie am 1. April 2025 in die neue Wohnung des Antragstellers eingezogen. Mit selbigem Schreiben stellte sie jedoch auch ausdrücklich klar, dass sie mit dem Antragsteller „aus wirtschaftlichen Gründen nur noch eine Wohngemeinschaft bilde“. Eine Ehegemeinschaft bestehe zwischen dem Antragsteller und ihr nicht mehr.
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Aus diesem Kontext schließt das Gericht, dass der Einzug zum 1. April 2025 bereits lediglich aus wirtschaftlichen Gründen erfolgte und keine Versöhnung des Ehepaars und Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft nach dem Auszug im Februar 2025 bedeutete. Angesichts des kurzen zeitlichen Abstands zwischen dem Schreiben vom 26. Juni 2025 und der Erklärung der Ehefrau vom 21. Juli 2025 geht das Gericht vor diesem Hintergrund bei der eine eheliche Lebensgemeinschaft beschreibenden Erklärung von einer prozesstaktischen Erklärung aus Gefälligkeit für den Antragsteller aus. Auch die zwei vorgelegten Fotos ohne jeglichen zeitlichen Kontext vermögen nicht den Bestand einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu belegen. Es wurden keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen, dass der Einzug der Ehefrau beim Kläger im April 2025 aus anderen als wirtschaftlichen Gründen erfolgte oder unter welchen Umständen nach dem Schreiben an das Jobcenter der Antragsgegnerin wieder eine Versöhnung der Eheleute stattgefunden haben soll. Das pauschale Vorbringen der Bevollmächtigten des Antragstellers im Schreiben vom 12. August 2025, es sei in der Anfangsphase der Beziehung wiederholt zu zeitweisen Trennungen und Versöhnungen gekommen und es habe gelegentliche Streitigkeiten gegeben, die jedoch nicht zum dauerhaften Ende der Partnerschaft führten, derzeit würden der Antragsteller und seine Ehefrau aber eine stabile und auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft führen, reicht angesichts der Beweislast des Antragstellers (s.o.) hinsichtlich des Bestehens einer ehelichen Lebensgemeinschaft nicht aus. Der Vortrag setzt sich insbesondere in keiner Weise mit den ausdrücklichen Erklärungen der Ehefrau zum Nichtbestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft in der durchaus nahen Vergangenheit auseinander.
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Auch sind vorliegend hinsichtlich der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Ermessensausübung keinerlei Fehler ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat hinreichend das Interesse des Antragstellers, bis zum Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet zu bleiben, gegen das Interesse an der Beendigung eines materiell rechtswidrig gewordenen Aufenthalts unter Zugrundelegung der noch relativ langen ursprünglichen Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis, dem beantragten Leistungsbezug durch den Antragsteller sowie vor dem Hintergrund von Art. 8 Abs. 1 EMRK abgewogen.
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1.2.3 In Bezug auf die übrigen im vorliegenden Verfahren gegenständlichen Ziffern 4 (Abschiebungsandrohung mit Ausreisefrist) und 5 (Einreise- und Aufenthaltsverbot) bestehen ebenfalls keine Bedenken.
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2. Der Hilfsantrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von der Abschiebung des Klägers bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage vorläufig abzusehen, ist zulässig, aber ebenfalls unbegründet.
45
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf eine Verfahrensduldung aus § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (vgl. zum Rechtsinstitut der Verfahrensduldung: BayVGH, B.v. 10.1.2022 – 19 CE 21.2652 – juris Rn. 10 ff.). Die grundrechtliche Rechtsschutzgarantie kann zu einem Anspruch auf Verfahrensduldung auch hinsichtlich behördlicher oder gerichtlicher Verfahren über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis führen. Dafür muss eine mehr als nur fern liegende Aussicht auf das beanspruchte Aufenthaltsrecht bestehen (vgl. Bruns/Hocks in Hofmann, NK-AuslR, 3. Aufl. 2023, AufenthG, § 60a Rn. 43). Ein sicherungsfähiger Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, insbesondere nach § 31 AufenthG oder ARB 1/80, besteht aktuell jedoch nicht. Insofern wird auf die Begründung des Bescheids Bezug genommen, die sich das Gericht zu eigen macht, § 117 Abs. 5 VwGO analog.
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3. Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.1.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025.