Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 20.10.2025 – W 6 S 25.1693
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis, Antrag auf Abänderung eines gerichtlichen Beschlusses, Bindungswirkung eines Beschlusses über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, veränderte Umstände – bejaht, feststehende Nichteignung aufgrund fehlender Thearpiecompliance bei Einnahme von Medizinal-Cannabis

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 7
VwGO § 80b
StVG § 3
FeV § 46
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis, Antrag auf Abänderung eines gerichtlichen Beschlusses, Bindungswirkung eines Beschlusses über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, veränderte Umstände – bejaht, feststehende Nichteignung aufgrund fehlender Thearpiecompliance bei Einnahme von Medizinal-Cannabis
Fundstelle:
BeckRS 2025, 30909

Tenor

I. Der Beschluss vom 25. Oktober 2023 (Az.: W 6 S 23.1420) wird in Ziffer I abgeändert und der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs abgelehnt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Abänderungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Abänderung eines gerichtlichen Beschlusses, mit welchem die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsgegnerin gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis und Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins wiederhergestellt wurde.
2
1. Die Antragsgegnerin war Inhaberin einer Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, L, M und S, welche ihr mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid der Antragstellerin vom 25. August 2023 entzogen wurde. Die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins wurde ausgesprochen und ebenfalls für sofort vollziehbar erklärt.
3
Auf den Inhalt des Bescheides wird im Übrigen verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
4
Hiergegen ließ die Antragsgegnerin am 15. September 2023 Widerspruch einlegen und am 9. Oktober 2023 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs bezüglich der Entziehung der Fahrerlaubnis und Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins beantragen.
5
Am 13. Oktober 2023 gab die Antragsgegnerin ihren Führerschein bei der Antragstellerin ab.
6
Mit Beschluss vom 25. Oktober 2023 (Az.: W 6 S 23.1420) stellte das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins wieder her. Auf die Ausführungen des Beschlusses wird im Einzelnen verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
7
Mit Schreiben vom 26. Oktober 2023 ordnete die Antragstellerin die Beibringung eines prospektiven Drogenkontrollprogramms in Form von Haaranalysen an.
8
Am 30. Oktober 2023 wurde der Antragsgegnerin ihr Führerschein wieder ausgehändigt.
9
Mit Schreiben vom 7. November 2023 änderte die Antragstellerin die Anordnung vom 26. Oktober 2023 in Folge der Mitteilung, dass die Antragsgegnerin gefärbte Haare habe, dahingehend ab, dass Urinscreenings beizubringen seien.
10
Mit Schreiben vom 17. November 2023 forderte die Antragstellerin die Antragsgegnerin zur Vorlage ärztlicher Unterlagen, insbesondere auch im Hinblick auf eine Cannabismedikation, auf.
11
Unter dem 22. Dezember 2023 und 4. Januar 2024 wurden diverse Unterlagen der Antragsgegnerin, unter anderem eine Vielzahl von Rezepten für medizinisches Cannabis sowie entsprechende Rechnungen, vorgelegt. Den Rechnungen ist zu entnehmen, dass das bezogene Cannabis zur Einnahme mittels Verdampfung und Inhalation bestimmt war.
12
Ausweislich eines ärztlichen Attestes der Dr. med. D … vom … … 2023 liegt bei der Antragsgegnerin eine im Jahr 2012 erstmalig diagnostizierte rheumatoide Arthritis (M60.99 G der ICD-10) vor, für welche sie eine Cannabis-Therapie erhält.
13
Mit Schreiben vom 18. Januar 2024 wurde die Antragsgegnerin unter anderem aufgefordert, eine Stellungnahme des erstmals Cannabis verordnenden Arztes vorzulegen.
14
In der Folge legte sie einen fachärztlichen Bericht des Dr. med. A … vom … … 2024 vor, wonach dieser am … … 2021 für die Antragsgegnerin nach einer Untersuchung und Sichtung der medizinischen Befunde einen Cannabisausweis ausgestellt habe, welcher ein medizinisches Dokument sei, das bestätige, dass sie unter einer schwerwiegenden Erkrankung leide, die mit Medizinal-Cannabis erfolgreich behandelt werde und sie das Arzneimittelprivileg beanspruchen könne, da die Standardmedikamente wegen mangelnder Wirkung oder bedenklicher Nebenwirkungen nur noch begrenzt eingesetzt werden könnten. Es seien 1g Cannabisblüten pro Tag verabreicht worden und die Behandlung sei als Dauerbehandlung konzipiert. Kontakt mit dem Arzt bestehe alle ein bis zwei Monate bei guter Adhärenz.
15
Mit Schreiben vom 3. Juni 2024 forderte die Antragstellerin die Antragsgegnerin zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens zur Fahreignungsrelevanz der bestehenden Erkrankungen sowie hinsichtlich der Therapiecompliance bezüglich der Cannabismedikation auf.
16
Die Antragsgegnerin legte am 12. September 2024 ein Gutachten der TÜV T … Fahrzeug GmbH & Co. KG vom … … 2024 (Untersuchungstag) vor, welches zu dem Ergebnis kommt, dass die Antragsgegnerin trotz Vorliegens von Erkrankungen, die nach Nr. 1 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stellen, in der Lage ist, den Anforderungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs der Klassen B, BE, C1, C1E, L, M und S vollständig gerecht zu werden, keine Erkrankung vorliegt, die nach Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stellt, und dass aus verkehrsmedizinischer Sicht eine ausreichende Therapiecompliance vorliegt.
17
Im Rahmen der Begutachtung gab die Antragsgegnerin unter anderem an, sie wiege bis zu 0,5 g Cannabis ab und rauche dieses, da sie keinen Vaporisator habe. Einen solchen könne sie sich nicht leisten, er sei zu teuer. Sie konsumiere in der Regel zweimal, manchmal auch dreimal am Tag, je nach Stärke der Schmerzen.
18
Das Drogenkontrollprogramm wurde seitens des Labors in Folge einer am 22. Mai 2024 nicht erfolgten Probenabgabe abgebrochen.
19
Mit Schreiben vom 11. Oktober 2024 forderte die Antragstellerin die Antragsgegnerin zur Nachbesserung des ärztlichen Gutachtens in Bezug auf die Einnahmeform des Medizinal-Cannabis sowie die Abweichungen zwischen der geschilderten Konsummenge und der verschriebenen Cannabismenge auf.
20
Am 8. Februar 2025 legte die Antragsgegnerin ein korrigiertes Gutachten der TÜV T … Fahrzeug GmbH & Co. KG vom … … 2025 (Erstellungsdatum) vor. Dieses kommt nunmehr zum Ergebnis, dass aus verkehrsmedizinischer Sicht bei der Antragsgegnerin derzeit keine Therapiecompliance vorliegt.
21
Auf die Ausführungen im Gutachten vom 27. Januar 2025 wird im Übrigen verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
22
Die Antragstellerin half dem Widerspruch der Antragsgegnerin in der Folge nicht ab und legte diesen am 21. März 2025 der Regierung von Unterfranken (im Folgenden: Widerspruchsbehörde) zur Entscheidung vor.
23
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2025 – dem Bevollmächtigten der Antragsgegnerin zugestellt am 13. Juni 2025 – hob die Widerspruchsbehörde die Androhung unmittelbaren Zwangs in Ziffer 4 des Bescheides vom 25. August 2023 auf (Nr. 1 des Widerspruchsbescheids) und wies den Widerspruch im Übrigen zurück (Nr. 2). Der Antragsgegnerin wurden die Kosten des Widerspruchsverfahrens auferlegt (Nr. 3) und für den Bescheid eine Gebühr in Höhe von 200,00 EUR sowie Auslagen laut beiliegender Kostenrechnung erhoben (Nr. 4).
24
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Der Widerspruch sei unbegründet, da der Bescheid der Antragstellerin vom 25. August 2023 in der Fassung des Widerspruchsbescheides rechtmäßig sei und die Antragsgegnerin nicht in ihren Rechten verletze. Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis sei § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 und 3 FeV. Danach sei die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweise, was insbesondere gelte, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorlägen. Bei der Antragsgegnerin liege eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis vor. Diese führe nur dann nicht zum Verlust der Fahreignung, wenn die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet sei, das medizinische Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen werde, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen seien, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweise, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtige und nicht zu erwarten sei, dass der/die Betroffene in Situationen, in denen seine/ihre Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt sei, am Straßenverkehr teilnehmen werde. Dieser Kriterienkatalog werde auch durch die Rechtsänderung zum 1. April 2024 im Hinblick auf die Privilegierung von Cannabis-Patienten im Straßenverkehr nicht in Frage gestellt. Dieses Privileg beinhalte nämlich, ohne Bindung an einen generellen THC-Grenzwert bzw. Höchstwert unter dem Einfluss von Cannabis ein Fahrzeug führen zu dürfen und das strenge Trennungsgebot nicht beachten zu müssen. Bei einer Dauerbehandlung mit ärztlich verordnetem Medizinal-Cannabis beurteilten sich die Eignungsmängel auch weiterhin u.a. nach Nr. 9.4 und 9.6 der Anlage 4 zur FeV, da es sich um ein psychoaktiv wirkendes Arzneimittel handele. Eine missbräuchliche Einnahme werde als regelmäßig übermäßiger Gebrauch definiert, wobei ein übermäßiger Gebrauch psychoaktiv wirkender Arzneimittel nicht nur bei einer zu hohen Dosierung des Medikaments, sondern auch bei einer verordnungswidrigen Einnahme vorliege. Es sei darauf hinzuweisen, dass die Antragsgegnerin vor der ersten Verordnung von Cannabis im Jahr 2021 illegal Cannabis besessen und nach eigenen Angaben auch konsumiert habe. Darüber hinaus seien zumindest im Vorfeld der Verordnung neben illegalem Cannabis weitere Drogen (Amphetamin, Ecstasy) konsumiert worden, was in der Regel eine Kontraindikation für die ordnungsgemäße Verordnung von Medizinal-Cannabis darstelle. Hierzu verhalte sich weder der fachärztliche Bericht des erstmals Cannabis verschreibenden Arztes noch das ärztliche Gutachten. Ausweislich des vorgelegten ärztlichen Gutachtens in seiner nachgebesserten Form, welches auch nachvollziehbar und verwertbar sei, liege derzeit keine ausreichende Therapiecompliance vor. Folglich seien auch die Kriterien für das Arzneimittelprivileg nicht vollständig erfüllt. Die Antragsgegnerin habe Medizinal-Cannabis missbräuchlich im Sinne von Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV eingenommen. Am Untersuchungstag habe eine Blutuntersuchung einen aktiven THC-Wert von 15,5 ng/ml und einen THC-COOH-Wert vom 610 ng/ml ergeben. Die Antragsgegnerin nehme für sich in Anspruch, mit solch hohen THC-Werten ein Fahrzeug im Straßenverkehr zu führen. Der Grenzwert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum werde um ein Vielfaches überschritten. Auch liege der Wert von 15,5 ng/ml laut Empfehlungen der interdisziplinären Expertengruppe für die Festlegung eines THC-Grenzwerts im Straßenverkehr im Bereich eines 10-fach erhöhten Unfallrisikos. Auch die Fachgesellschaften DGVM/DGVP werteten in ihrem Positionspapier eine hohe THC-Konzentration von mehr als 8 ng/ml und eine sehr THC-COOH-Konzentration von mehr als 150 ng/ml als Hinweis auf chronischen, hochfrequenten Konsum, der in den Bezug auf das Trennungsvermögen als problematisch einzustufen sei. Es spiele hierbei auch keine Rolle, dass die Antragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt bei einer Fahrt mit einem Kraftfahrzeug angetroffen worden sei, denn aus dem Vorgang werde deutlich, dass sie sehr wohl unter der Medikation mit Cannabis ein Kraftfahrzeug führe und damit das Privileg für sich in Anspruch nehme, sich nicht an dem Grenzwert von 3,5 ng/ml messen lassen zu müssen. Von der Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens habe vorliegend abgesehen werden können, da die Ungeeignetheit der Antragsgegnerin bereits nach Würdigung des ärztlichen Gutachtens feststehe.
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Auf die Begründung des Widerspruchsbescheids wird im Übrigen verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
26
Am 14. Juli 2025 ließ die Antragsgegnerin gegen den Bescheid der Antragstellerin vom 25. August 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juni 2025 im Verfahren W 6 K 25.1130 Klage erheben, über die noch nicht entschieden wurde.
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2. Am 8. Oktober 2025 beantragte die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren, den Beschluss, Az. W 6 S 23.1420, vom 25. Oktober 2023, aufzuheben und die sofortige Vollziehung des Bescheids, Az. …, vom 25. August 2023 wiederherzustellen.
28
Zur Begründung wird unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheides im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Aufhebung des Beschlusses vom 25. Oktober 2023 seien vorliegend gemäß § 80 Abs. 7 VwGO gegeben. Die Umstände im Verfahren hätten sich durch ein vorliegendes negatives Fahreignungsgutachten geändert. Die Antragsgegnerin habe sich wegen der missbräuchlichen Einnahme psychoaktiv wirkender Arzneimittel nach Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Im Fall der Antragsgegnerin liege zum einen eine Einnahme entgegen der Verordnung in Form einer Unterdosierung vor. Zudem habe die Antragsgegnerin selbst im ärztlichen Gutachten angegeben, das verordnete Cannabis entgegen der Verordnung mittels Joint einzunehmen. Die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachten sei nicht angezeigt, da eine solche bei feststehender Nichteignung rechtswidrig sei.
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Die Antragsgegnerin lässt beantragten,
den Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO zurückzuweisen.
30
Zur Begründung wird unter Verweis auf die Klagebegründung im Verfahren W 6 K 25.1130 im Wesentlichen ausgeführt: Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sei die Antragsgegnerin zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet. Nach Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV fehle die Fahreignung bei missbräuchlicher Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln. Diese liege nur bei regelmäßig übermäßigem Gebrauch vor. Ein solcher sei bei der Antragsgegnerin im Hinblick auf Medizinal-Cannabis bereits tatbestandlich nicht gegeben. Die Antragsgegnerin verfüge auch über Trennungsvermögen, wie sich aus den Aussagen im nachgebesserten Fahreignungsgutachten vom 27. Januar 2025 ergebe. Sie habe dort nachvollziehbar angegeben, einige Stunden abzuwarten, ehe sie nach dem Konsum des Medizinal-Cannabis Auto fahre. Es bleibe auch unklar, weshalb die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung bei der Antragsgegnerin rechtswidrig wäre. Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV ergebe, dass die in der Anlage 4 vorgenommenen Bewertungen nur für den Regelfall gälten. Bestünden im Einzelfall in dieser Hinsicht Zweifel, könne eine medizinisch-psychologische Begutachtung angezeigt sein. Es spreche einiges dafür, dass im Falle der Antragsgegnerin eine weitere Aufklärung nach § 13a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV vorzunehmen sei, bevor von einer Nichteignung ausgegangen werden dürfe. Die fehlende Fahreignung stehe gerade nicht fest.
31
In der Klagebegründung des Verfahrens W 6 K 25.1130 wird insbesondere ausgeführt, die Antragstellerin begründe die behauptete Nichteignung der Antragsgegnerin mit der Abweichung von der ärztlich verschriebenen Konsumform. Aus dem nachgebesserten Gutachten vom 27. Januar 2025 ergebe sich allerdings auch, dass sich durch die durchgeführten Analysen nicht beurteilen lasse, inwieweit tatsächlich von einer bestimmungsgemäßen Einnahme auszugehen sei. Es werde ausdrücklich ausgeführt, dass zur Aufklärung dieser Fragen die Durchführung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung notwendig sei, welche bislang nicht stattgefunden habe. Es möge zwar zutreffen, dass die Antragsgegnerin das verordnete Cannabis nicht mit Vaporisator einnehme. Dieser Umstand könne ihr aber nicht entgegengehalten werden, da sie nach eigenen Angaben eine erheblich geringere Menge des Medizinal-Cannabis einnehme bzw. rauche, als ihr verordnet worden sei. Aus diesem Grund liege kein Missbrauch vor.
32
3. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Verfahren W 6 K 25.1130 und W 6 S 23.1420) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
33
Der Antrag hat Erfolg.
34
Bei verständiger Würdigung (§ 122 Abs. 1 VwGO i.Vm. § 88 VwGO) ist der Antrag, den Beschluss, Az. W 6 S 23.1420, vom 25. Oktober 2023 aufzuheben und die sofortige Vollziehung des Bescheids vom 25. August 2023 wiederherzustellen, dahingehend auszulegen, dass die Antragstellerin unter Abänderung der Ziffer I des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 25. Oktober 2023 die Ablehnung des ursprünglich gestellten Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des von der Antragsgegnerin erhobenen Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragstellerin vom 25. August 2023 im Wege eines Antrags nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO begehrt.
35
Der so verstandene Antrag ist zulässig und begründet, da sich aufgrund von im Vergleich zum Ursprungsverfahren veränderter Umstände bei summarischer Prüfung eine abweichende Bewertung der Rechtmäßigkeit der in Rede stehenden Entziehung der Fahrerlaubnis und Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins ergeben hat und mithin die vorzunehmende Interessenabwägung im Hinblick auf die sofortige Vollziehbarkeit der genannten Anordnungen nunmehr zu Lasten der Antragsgegnerin ausfällt.
Im Einzelnen:
36
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist statthaft und im Übrigen zulässig.
37
Insbesondere war die Antragstellerin in Folge der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs mit gerichtlichem Beschluss vom 25. Oktober 2023 trotz der eingetretenen Änderung der Sachlage gehindert, die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins erneut anzuordnen, da dem Beschluss insoweit eine materielle Bindungswirkung zukommt (vgl. nur: Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 125 f. m.w.N.).
38
Hieran ändert auch der Erlass des Widerspruchsbescheids nichts. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs endet, wenn sie – wie hier – nicht durch das Gericht befristet wird, nicht mit Erlass des Widerspruchsbescheids (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.1987 – 1 C 19.85 – juris Rn. 42 ff.; BayVGH, B.v. B.v. 11.12.2020 – 3 CS 20.1407 – juris Rn. 17). Dies ergibt sich schon aus § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn nach dieser Vorschrift endet die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs erst mit Unanfechtbarkeit oder im Falle einer Abweisung der Anfechtungsklage im ersten Rechtszug, drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen die abweisende Entscheidung gegebenen Rechtsmittels. Dies gilt nach § 80b Abs. 1 Satz 2 VwGO auch, wenn – wie hier – die aufschiebende Wirkung durch das Gericht wiederhergestellt wurde.
39
In Folge der fristgerechten Klageerhebung ist der Bescheid der Antragstellerin vom 25. August 2023, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juni 2025, noch nicht unanfechtbar geworden. Über die Klage ist zudem noch nicht entschieden.
40
Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig.
41
2. Der Antrag ist begründet.
42
Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines nach § 80 Abs. 5 VwGO erlassenen Beschlusses wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Voraussetzung hierfür ist, dass sich nach der gerichtlichen Entscheidung eine Veränderung der für die Entscheidung maßgeblichen Sach- oder Rechtslage ergeben hat (vgl. hierzu etwa Kopp/Schenke, VwGO, 30. Aufl. 2024, § 80 Rn. 107). Das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dient dabei nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die vorangegangene Entscheidung – hier der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 25. Oktober 2023 (Az.: W 6 S 23.1420) -formell und materiell richtig ist. Es eröffnet vielmehr die Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen.
43
Prüfungsmaßstab für eine Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO ist auf der Grundlage des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs geboten ist. Bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO sind mithin hinsichtlich der Begründetheit dieselben materiellen Gesichtspunkte maßgebend, wie sie im Falle eines erstmaligen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu gelten hätten (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2011 – 8 VR 2.11; B.v. 25.8.2008 – 2 VR 1.08; B.v. 21.7.1994 – 4 VR 1.94 – jeweils juris).
44
Gemessen hieran ist der Antrag begründet, da aufgrund des nunmehr vorliegenden Fahreignungsgutachtens in seiner nachgebesserten Form vom 27. Januar 2025 veränderte Umstände vorliegen, welche eine abweichende Beurteilung im Hinblick auf die Fahreignung der Antragsgegnerin und mithin der Rechtmäßigkeit der ihr gegenüber ausgesprochenen Fahrerlaubnisentziehung und Verpflichtung zur Ablieferung ihres Führerscheins rechtfertigen und daher bei einer nunmehr vorzunehmenden Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung, welche in Nr. 3 des Bescheides der Antragstellerin vom 25. August 2023 ausgesprochen wurde, das private Interesse der Antragsgegnerin, weiterhin vorläufig von ihrer Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, überwiegt.
45
Dies ergibt sich aus Folgendem:
46
Eine summarische Prüfung, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und auch im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO geboten, aber auch ausreichend ist, ergibt, dass sich unter Berücksichtigung der sich nunmehr darbietenden Umstände die Nrn. 1 und 2 des Bescheides der Antragstellerin vom 25. August 2023, in der Gestalt, die diese durch den Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 10. Juni 2025 erhalten haben, voraussichtlich rechtmäßig sind und die Antragsgegnerin nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).
47
Die Antragsgegnerin hat sich durch die missbräuchliche Einnahme des ihr verschriebenen Medizinal-Cannabis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Insoweit verweist das Gericht zunächst auf die zutreffende Begründung des Widerspruchsbescheides (S. 16 ff.; § 117 Abs. 5 VwGO analog). Das Vorbringen der Antragsgegnerin führt zu keiner abweichenden Sichtweise.
48
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist dem Rechtsgedanken von § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO folgend der ursprüngliche Verwaltungsakt – die Nrn. 1 und 2 des Bescheides der Antragstellerin vom 25. August 2023 – in der Gestalt, die dieser durch den Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 10. Juni 2025 gefunden hat im Hinblick auf die sofortige Vollziehbarkeit. Das Widerspruchsverfahren stellt kein gesondertes Verwaltungsverfahren dar, sondern bildet mit den Ausgangsverfahren eine Einheit. Der Widerspruchsbehörde kommt dabei eine umfassende Kontrollbefugnis zu. Sie hat grundsätzlich die gleiche Entscheidungsbefugnis wie die Ausgangsbehörde und ist zur Änderung, Aufhebung und Ersetzung des Ausgangsbescheides, einschließlich seiner Begründung und Ermessenserwägungen befugt. Dementsprechend ist der gerichtlichen Prüfung der ursprüngliche Verwaltungsakt mit dem Inhalt und der Begründung zugrunde zu legen, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat (vgl. zu alldem ausführlich: BVerwG, U.v. 15.6.2016 – 8 C 5.15 – juris Rn. 22 m.w.N.).
49
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung ist dementsprechend die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides (stRspr.; zuletzt etwa: BVerwG, U.v. 7.4.2022 – 3 C 9.21 – juris Rn. 13; U.v. 11.4.2019 – 3 C 14/17 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 7.9.2023 – 11 CS 23.1298 – juris Rn. 12).
50
Zu diesem Zeitpunkt erweist sich die Entziehung der Fahrerlaubnis, in der Form, die sie durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, bei summarischer Prüfung voraussichtlich als rechtmäßig.
51
Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Bedenken an der Eignung sind nur zu klären, wenn konkrete Tatsachen bekannt geworden sind, die nachvollziehbar den Verdacht rechtfertigen, bei dem/der Betroffenen könne Ungeeignetheit oder eingeschränkte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorliegen. Nicht jeder auf die entfernt liegende Möglichkeit eines Eignungsmangels hindeutende Umstand kann hinreichender Grund für Anforderung eines Gutachtens sein, insbesondere ist eine Gutachtensanordnung ohne belegte Tatsachen aufgrund des bloßen Verdachts rechtswidrig (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2018 – 11 CS 17.1940 – juris Rn. 19; ThürOVG, B.v. 27.10.2021 – 2 EO 64/21 – juris Rn. 22; VG Würzburg, B.v. 22.1.2024 – W 6 S 24.21 – juris Rn. 53).
52
Vorliegend hat die Antragstellerin die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 3. Juni 2024 zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens zur Klärung der Fahreignung im Hinblick auf diverse Erkrankungen der Antragsgegnerin sowie die Therapiecompliance hinsichtlich der Einnahme von Medizinal-Cannabis angeordnet.
53
Die Rechtmäßigkeit der konkreten Beibringungsaufforderung kann dabei dahinstehen, da die Antragsgegnerin das geforderte ärztliche Gutachten vorgelegt hat und dieses als neue Tatsache ungeachtet der Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Gutachtensanordnung von der Fahrerlaubnisbehörde verwertet werden darf (stRspr.; vgl. schon BVerwG, U.v. 28.6.2012 – 3 C 30.11 – juris Rn. 11; U.v. 28.4.2010 – 3 C 2.10 – juris Rn. 19; sowie zuletzt: BayVGH, B.v. 6.8.2024 – 11 ZB 24.562 – juris Rn. 16; B.v. 25.6.2024 – 11 CS 24.811 – juris Rn. 15).
54
Das vorgelegte Fahreignungsgutachten in seiner maßgeblichen nachgebesserten Form vom 27. Januar 2025 kommt zu dem Ergebnis, dass aus verkehrsmedizinischer Sicht aktuell keine ausreichende Therapiecompliance bei der Antragsgegnerin in Bezug auf ihre Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis vorliegt. Das Gutachten entspricht insoweit den Anforderungen des § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anlage 4a Nr. 2 Buchst. a und b an die Nachvollziehbarkeit, Nachprüfbarkeit und Vollständigkeit (vgl. hierzu ausführlich: BayVGH, B.v. 14.9.2022 – 11 CS 22.876 – juris Rn. 19 m.w.N.; VG Würzburg, B.v. 29.4.2024 – W 6 S 24.564 – juris Rn. 54) und ist daher verwertbar.
55
Die Schlussfolgerung der fehlenden Therapiecompliance ist für die Kammer aufgrund der von der Antragsgegnerin im Rahmen des Begutachtungsgesprächs gemachten Angaben und der hierzu durch die Gutachtensstelle eingeholten Stellungnahme der behandelnden Ärztin schlüssig und nachvollziehbar. Aus der Vielzahl der von der Antragsgegnerin im behördlichen Verfahren vorgelegten Apothekenrechnungen (vgl. Bl. 471 ff. der Behördenakte) ergibt sich eine verordnete Einnahmeform des Medizinal-Cannabis durch Verdampfung und Inhalation. Dies wurde von der Antragsgegnerin auch zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt. Im Rahmen der Begutachtung hat sie dann angegeben, das Medizinal-Cannabis zu rauchen, da sie keinen Vaporisator habe, da ein solcher zu teuer sei (Bl. 311 der Behördenakte). Hieraus ergibt sich eine klare Abweichung von der ärztlich vorgeschriebenen Einnahmeform, welche auch nicht mit der behandelnden Ärztin abgesprochen bzw. von dieser verordnet wurde. Vielmehr hat die behandelnde Ärztin auf Nachfrage der Gutachtenstelle angegeben, dass die Abweichung in der Einnahmeform ihr nicht bekannt sei (Bl. 315 der Behördenakte). Schon vor diesem Hintergrund ist die Annahme einer fehlenden Compliance der Antragsgegnerin nachvollziehbar. Dazu kommt, dass sie – ebenfalls ohne Absprache mit der behandelnden Ärztin – die verschriebene Einnahmemenge, ihre eigenen Angaben insoweit als wahr unterstellt, dauerhaft erheblich unterschreitet. Es kann dabei dahinstehen, inwieweit eine missbräuchliche Einnahme psychoaktiv wirkender Arzneimittel im Sinne von Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV vorliegen kann, wenn dauerhaft weniger als die verschriebene Menge eines Arzneimittels eingenommen wird. Denn jedenfalls lässt die eigenmächtige Änderung bzw. Abweichung der Einnahmemenge ohne Absprache mit der behandelnden Ärztin den Schluss auf eine fehlende Therapiecompliance nachvollziehbar und schlüssig erscheinen.
56
Dies zu Grunde gelegt, steht die Nichteignung der Antragsgegnerin zum Führen von Kraftfahrzeugen nunmehr hinreichend sicher fest.
57
Auch nach der Änderung der FeV durch das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) vom 27. März 2024, Kraft seit 1. April 2024 (BGBl. I, Nr. 109) ist die Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis fahrerlaubnisrechtlich an den für Arzneimittel geltenden Nrn. 9.4 und 9.6 der Anlage 4 zur FeV zu messen. Denn Cannabispatienten nehmen für sich auch nach der genannten Rechtsänderung das Privileg in Anspruch, ohne Bindung an einen generellen Höchstwert unter dem Einfluss von Cannabis Fahrzeuge führen zu dürfen und das strenge Trennungsgebot der Nr. 9.2 der Anlage 4 zur FeV nicht beachten zu müssen (vgl. BayVGH, B.v. 4.2.2025 – 11 CS 24.1721 – juris Rn. 54 ff.; VG Würzburg, B.v. 6.5.2025 – W 6 S 25.572 – juris Rn. 76 ff; siehe auch: VG Frankfurt (Oder), B.v. 5.9.2025 – 6 L 526/25 – juris Rn. 7 ff.; VG München, B.v. 22.8.2025 – M 6 S 25.1369 – juris Rn. 58 ff.; Derpa in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 2 StVG Rn. 62b).
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Nach der Rechtslage vor Erlass des CanG führte eine Dauerbehandlung mit Cannabis dann nicht zum Verlust der Fahreignung, wenn die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet war, das Medizinal-Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wurde, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen waren, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufwies, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten war, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (vgl. etwa BayVGH, B.v. 24.2.2025 – 11 C 24.1233 – juris Rn. 36 ff. m.wN.).
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Dieser Kriterienkatalog wird durch die genannte Rechtsänderung nach dem Willen des Gesetzgebers (BT-Drs. 20/8704, S. 156) nicht in Frage gestellt (vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2025 – 11 CS 24.1712 – juris Rn. 32; Derpa, a.a.O., § 2 StVG Rn. 62b). Mit dem CanG wurde jedoch die bisherige Einstufung von Cannabis als Betäubungsmittel aufgrund einer veränderten Risikobewertung geändert, die Position Cannabis in den Anlagen I und III des Betäubungsmittelgesetzes gestrichen und in das neue Konsumcannabisgesetz und das Medizinal-Cannabisgesetz überführt (vgl. BT-Drs. 20/8704, 151 (zu Nr. 6)). Damit ist Cannabis in Form der der Antragsgegnerin verschriebenen Blüten nicht mehr Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes, mit der Folge, dass das in § 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG zum Ausdruck kommende „ultima-ratio“-Prinzip der Verschreibung von Betäubungsmitteln für Cannabis keine Gültigkeit mehr besitzt. § 31 Abs. 6 SGB V, der für einen Versorgungsanspruch mit Medizinal-Cannabis ebenfalls einen Grundsatz der „ultima-ratio“ normiert, führt zu keiner anderen Sichtweise, da diese Vorschrift über die Regelung eines Versorgungsanspruchs gesetzlich Versicherter hinaus keine allgemeine Bestimmung über die Verschreibungsfähigkeit von Cannabis enthält. Das Medizinal-Cannabisgesetz enthält eine dem § 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG entsprechende Regelung nicht (vgl. hierzu: BVerwG, B.v. 8.1.2025 – 3 B 2.24 – juris Rn. 18 f.).
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Unter Anlegung dieser Maßstäbe steht aufgrund der nachvollziehbar festgestellten fehlenden Therapiecompliance der Antragsgegnerin fest, dass diese das verordnete Medizinal-Cannabis nicht zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung einnimmt, was zum Verlust ihrer Fahreignung führt. Insbesondere das Abweichen von der verordneten Konsumform und Dosierung stellt eine missbräuchliche Einnahme im Sinne von Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV dar (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2024 – 11 CS 24.70 – juris Rn. 20; VGH BW, B.v. 25.10.2022 – 13 S 1641/22 – juris Rn. 5).
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Eine weitergehende Aufklärung etwa durch Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bedurfte es nicht bzw. wäre eine solche in Folge der feststehenden Nichteignung unverhältnismäßig und rechtswidrig. Denn dem/der Betroffenen darf nicht mehr an Untersuchungen abverlangt werden als erforderlich. Die medizinisch-psychologische Untersuchung stellt gegenüber einer ärztlichen Untersuchung dabei den stärkeren Eingriff dar, weil sie über rein medizinische Feststellungen hinausgeht und eine Offenlegung der engeren persönlichen Lebenssphäre erfordert, die dem strengeren Schutz vom Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG unterliegt (BVerfG, B.v. 24.6.1993 – 1 BvR 689/92 – juris Rn. 55).
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Insbesondere die Frage der Compliance, sprich der Therapietreue, und in der Folge der Frage der missbräuchlichen Einnahme von Medizinal-Cannabis kann ohne Weiteres im Rahmen eines ärztlichen Gutachtens – wie hier geschehen – erfolgen. Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FeV, wonach ein ärztliches Gutachten anzuordnen ist, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass eine missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln vorliegt. Dies ist Ausdruck des von den Fahrerlaubnisbehörden grundsätzlich zu beachtenden Stufenverhältnisses, wonach die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden kann, wenn dies nach Würdigung des ärztlichen Gutachtens (§ 11 Abs. 2 FeV) oder des Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr (§ 11 Abs. 4 FeV) zusätzlich erforderlich ist. Für ein gestuftes Vorgehen spricht auch die Vorbemerkung 2 der Anlage 4 zur FeV. Danach ist Grundlage der im Rahmen der §§ 11, 13 oder 14 FeV vorzunehmenden Beurteilung, ob im Einzelfall Eignung oder bedingte Eignung vorliegt, in der Regel ein ärztliches Gutachten und nur in besonderen Fällen ein medizinisch-psychologisches Gutachten oder ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr (BayVGH, B.v. 25.8.2020 – 11 ZB 20.1137 – juris Rn. 16; VG Würzburg, B.v. 22.1.2024 – W 6 S 24.21 – juris Rn. 59 ff.; VG Augsburg, B.v. 20.12.2022 – Au 7 S 22.2189 – juris Rn. 67 jeweils m.w.N.).
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Zudem bedurfte es auch nicht der Abklärung nach § 13a FeV, ob die Fahreignung der Antragsgegnerin zusätzlich auch nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV entfallen ist. Denn für Eignungsmängel, die aus dem Gebrauch von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln beruhen, gelten die sich aus Nr. 9.4 und 9.6 der Anlage 4 zur FeV ergebenden spezielleren Anforderung (vgl. VGH BW, 27.9.2023 – 13 S 517/23 – juris Rn. 29; BayVGH, 31.5.2023 – 11 ZB 23.152 – juris Rn. 16; OVG NW, B.v. 5.7.2019 – 16 B 1544/18 – juris Rn. 2; so wohl auch unter Bezugnahme auf die Rechtsänderung nach dem CanG: Derpa, a.a.O., § 2 StVG, Rn. 62b). Dies erscheint auch unter Berücksichtigung der genannten Rechtsänderung sachgerecht, da Cannabispatienten regelmäßig zu Recht für sich in Anspruch nehmen, dass strenge Trennungsgebot aus Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV nicht beachten zu müssen, was auch dafür spricht, dass sich alle Cannabispatienten an den für Arzneimittel geltenden Vorschriften messen lassen müssen.
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Da die Nichteignung der Antragsgegnerin zum Führen von Kraftfahrzeugen nach dem ärztlichen Gutachten feststand, bedurfte es keiner weiteren Aufklärung durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung.
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Die Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung steht nicht im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde, weshalb etwaige hiermit verbundene einschneidende Konsequenzen für die Antragsgegnerin keine Berücksichtigung finden können.
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Die ausgesprochene Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV. Ein Ermessen steht der Behörde auch insoweit nicht zu. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen im Bescheid bzw. dem Widerspruchsbescheid Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).
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Nach alledem erweisen sich die Nrn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides, in der Gestalt, die sie durch den Widerspruchsbescheid erfahren haben, als voraussichtlich rechtmäßig und dem Antrag war insoweit stattzugeben. Da sich die Kammer nicht auf eine bloße Aufhebung bzw. Änderung des Beschlusses beschränken darf, war auch eine Entscheidung über den ursprünglich gestellten Eilantrag zu treffen und dieser abzulehnen (vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 15 C 12.870 – juris Rn. 4). In der Folge lebt die in Nr. 3 des Bescheides der Antragstellerin vom 25. August 2023 angeordnete sofortige Vollziehung wieder auf.
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3. Unter Berücksichtigung der veränderten Umstände war auch bei einer reinen Abwägung der gegenseitigen Interessen kein überwiegendes Interesse der Antragsgegnerin an der weiteren Suspendierung der Entziehung der Fahrerlaubnis und Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins zu erkennen. Es ist nicht verantwortbar, die Antragsgegnerin bis zur eventuellen Bestandskraft der Fahrerlaubnisentziehung am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Es besteht ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sind bzw. als insoweit ungeeignet gelten. Die sicherheitsrechtliche Fahrerlaubnisentziehung ist eine präventive Maßnahme zum Schutz der Sicherheit im Straßenverkehr. Sie mag im Einzelfall einschneidende Folgen für die Lebensführung des Betroffenen haben, jedoch können persönliche Härten für den Antragsteller beim Entzug der Fahrerlaubnis, der als sicherheitsrechtliche Maßnahme im Interesse der Allgemeinheit ergeht, nicht berücksichtigt werden. Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung käme nur dann in Betracht, wenn hinreichend gewichtige Gründe dafürsprächen, dass die Antragsgegnerin nicht bzw. nicht mehr fahrungeeignet ist und sich abschätzen ließe, dass das von ihm ausgehende Gefahrenpotenzial nicht nennenswert über dem des Durchschnitts aller motorisierten Verkehrsteilnehmer liegt. Dafür bestehen keine Anhaltspunkte. Es überwiegen deshalb die öffentlichen Interessen an der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs und das Interesse, die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr wirkungsvoll zu verhindern.
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4. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025. Maßgeblich sind hier die Fahrerlaubnisklassen B und C1E, welche die übrigen Klassen mitumfassen. Für diese ist nach Nr. 46.3 und Nr. 46.5 des Streitwertkatalogs jeweils der Auffangstreitwert anzusetzen und zu addieren (Nr. 1.1.1 des Streitwertkatalogs). Der sich ergebende Streitwert in Höhe von 10.000,00 EUR war nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren und auf 5.000,00 EUR festzusetzen. Der Streitwert bemisst sich auch im vorliegenden Abänderungsverfahren am Interesse der Antragsgegnerin an der Entziehung ihrer Fahrerlaubnis, auch wenn diese den Abänderungsantrag nicht gestellt hat (vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 15 C 12.870 – juris Rn. 5).