Titel:
afghanischer Staatsangehöriger, länderübergreifende Umverteilung von Bayern nach Hamburg, 18-jähriger junger Mann zu seinem Onkel, dem bisherigen Vormund, maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage, volljähriger Asylbewerber, Zugehörigkeit zur Kernfamilie (verneint), humanitäre Gründe (verneint)
Normenketten:
VwGO § 84
VwGO § 113 Abs. 5
AsylG § 51 Abs. 1
AsylG § 26
AsylG § 55 Abs. 1 S. 2
AsylG § 77 Abs. 1 S. 2
Schlagworte:
afghanischer Staatsangehöriger, länderübergreifende Umverteilung von Bayern nach Hamburg, 18-jähriger junger Mann zu seinem Onkel, dem bisherigen Vormund, maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage, volljähriger Asylbewerber, Zugehörigkeit zur Kernfamilie (verneint), humanitäre Gründe (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2025, 30908
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt eine länderübergreifende Umverteilung von Bayern nach Hamburg.
2
1. Der am … … … geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 29. September 2024 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 18. Oktober 2024 einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 27. Juni 2025 als unzulässig abgelehnt wurde. Gegen die Ablehnung des Asylantrags ließ der Kläger am 7. Juli 2025 beim Verwaltungsgericht Hamburg Klage erheben und einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 16. Juli 2025 abgelehnt. Das Klageverfahren (Az. 12 A 4960/25) wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 19. August 2025 an das Verwaltungsgericht Würzburg verwiesen, wo es derzeit unter dem Az. W 2 K 25.34163 anhängig ist.
3
Der Kläger ließ mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 12. Februar 2025 eine länderübergreifende Umverteilung von Bayern nach Hamburg beantragen. Zur Begründung brachten die Klägerbevollmächtigte vor: Der Kläger sei afghanischer Staatsangehöriger und als minderjähriger Flüchtling im Oktober 2024 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er sei am 14. Oktober 2024 vom Jugendamt des Landratsamts S. in Obhut genommen worden und lebe mit Zustimmung des Jugendamtes bei seinem Onkel S. S. in H. . Inzwischen sei der Onkel mit Beschluss des Amtsgerichts Schweinfurt vom 17. Oktober 2024 als Vormund für den Kläger bestellt worden. Der Kläger sei noch in der Wohnunterkunft … …, … … … … gemeldet, lebe aber in häuslicher Gemeinschaft mit seinem Vormund und dessen volljährigen Sohn. Aus den obigen Gründen werde gebeten, den Kläger schnellstmöglich nach Hamburg umzuverteilen.
4
2. Mit Bescheid vom 30. April 2025 lehnte die Behörde für Inneres und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg den Antrag des Klägers auf Umverteilung in den Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde H. ab. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Nach § 51 Abs. 1 AsylG sei einer länderübergreifenden Verteilung Rechnung zu tragen, wenn ein Ausländer nicht oder nicht mehr verpflichtet sei, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, eine Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG bestehe oder aus sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht. Familienangehörige im Sinne des § 26 AsylG seien Ehegatten oder Lebenspartner sowie Eltern und ihre minderjährigen ledigen Kinder. Die Anzahl der Personen, die in H. einen Asylantrag gestellt hätten bzw. beabsichtigten, einen Asylantrag stellen zu wollen, liege erheblich über der Quote, die für das Bundesland Hamburg vorgesehen sei. Die daraus resultierenden Belastungen verwaltungstechnischer, ordnungspolitischer und finanzieller Art seien erheblich und beeinträchtigten die Belange der Freien und Hansestadt Hamburg in starkem Maße. Den privaten Interessen eines Antragstellers könne im vorliegenden Falle kein Gewicht beigemessen werden, das eine andere Entscheidung zulassen würde. Der Antrag werde damit begründet, dass der Kläger zu seinem in H. lebenden Onkel/Vormund ziehen möchte. Daher beabsichtige der Kläger seinen Lebensmittelpunkt nach Hamburg zu verlegen. Eine Umverteilung aus familiären Gründen liege beim Kläger aber nicht vor. Der Onkel falle als Vormund nicht unter den genannten Personenkreis nach § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG. Familie sei „die umfassende Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern“. Nach den Vorschriften des deutschen AufenthG werde der Familiennachzug im Regelfall nur den Mitgliedern der Kernfamilie gewährt. Damit seien der Ehepartner bzw. der eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen ledigen einschließlich der adoptierten Kinder gemeint. Dagegen seien volljährige Kinder oder sonstige Verwandte oder Verschwägerte Angehörige ausgenommen. Familiennachzug komme aufgrund der Volljährigkeit des Klägers nicht in Betracht. Sonstige berücksichtigungsfähige humanitäre Gründe seien weder vorgetragen worden, noch ersichtlich. Zurzeit sei im Fall des Klägers das öffentliche Interesse an einer zügigen und gleichmäßigen Verteilung von Asylbewerbern höher anzusehen, als das private Interesse an einer Umverteilung. Nur in besonderen Einzelfällen, bei denen nachweislich eine nicht zu vertretende Härte durch den Aufenthaltsort entstehe, könne eine Umverteilung ermöglicht werden. Nach Berücksichtigung und Würdigung aller Gesichtspunkte habe nach pflichtgemäßem Ermessen der Ausländerbehörde H. der Antrag abgelehnt werden müssen.
5
3. Am 2. Juni 2025 ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigte gegen den streitgegenständlichen Bescheid, zugestellt am 21. Mai 2025, Klage erheben und beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 30. April 2025 in den Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde H. umzuverteilen.
6
Zur Begründung wurde vorgetragen: Der Kläger sei afghanischer Staatsangehöriger und als minderjähriger Flüchtling im Oktober 2024 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er sei am 14. Oktober 2024 vom Jugendamt des Landratsamts S. in Obhut genommen worden und seit Beginn des Verfahrens aufgrund einer Übereinkunft der zuständigen Jugendämter in häuslicher Gemeinschaft mit seinem Vormund, seinem Onkel S. S. , und dessen volljährigen Sohn in H. . Mit Schreiben vom 12. Februar 2025 habe der Kläger durch die Unterzeichnerin einen Antrag auf länderübergreifende Umverteilung nach Hamburg bei der für den gemeldeten Wohnort des Klägers zuständigen Behörde gestellt. Diese habe mit E-Mail vom 9. April 2025 mitgeteilt, dass eine länderübergreifende Umverteilung nicht möglich und nötig sei. Nach Antragstellung sei der Kläger am 30. April 2025 18 Jahre alt geworden. Die Beklagte habe den Antrag des Klägers mit dem streitgegenständlichen Bescheid abgelehnt. Der Bescheid sei dem Kläger am 21. Mai 2025 bei einem Termin bei der Ausländerbehörde übergeben worden. Ausweislich des Bescheides sei dieser per Postzustellurkunde an die Wohnunterkunft in N. gesendet worden, eine etwaige frühere Zustellung dorthin sei jedoch nicht wirksam erfolgt. Begründet werde die Ablehnung des Umverteilungsantrages damit, dass der Onkel als Vormund nicht unter den Personenkreis des § 26 Abs. 1-3 AsylG fallen würde. Die rechtliche Auffassung der Beklagten sei unrichtig. Der Onkel des Klägers trete als Vormund an die Stelle der Eltern samt aller diesbezüglicher Rechte und Pflichten. Der Asylantrag des Klägers sei war abgelehnt worden, es sei jedoch eine Klage und ein Eilantrag bei dem zuständigen Verwaltungsgericht in H. eingereicht worden. Die Aussichten des Verfahrens stünden sehr gut. Der Kläger sei seitens des Bundesamtes in H. angehört worden, in der Rechtsmittelbelehrungsei das Verwaltungsgericht Hamburg als zuständiges Gericht angegeben worden, so dass selbst das Bundesamt davon ausgehe, dass der Kläger sich in H. aufhalten soll. Sofern die Beklagte vortrage, dass der Kläger sich ohne Erlaubnis in H. aufgehalten habe und deswegen vor dem Bundessamt in H. angehört worden sei, sei dem entgegenzuhalten, dass das minderjährige Kind damals mit Zustimmung des zuständigen Jugendamtes zu seinem Vormund nach Hamburg gezogen sei. Der Kläger sei in H. anzumelden, damit er überhaupt Leistungen erzielen und umgemeldet werden könne. Die aktuelle aussichtslose Lage des Klägers sei nicht nachvollziehbar, zumal die Behörden sich alle einig gewesen seien, dass der Kläger nach Hamburg zu seinem Vormund ziehen solle und eine Umverteilung dazu nicht notwendig sei. Die Jugendämter hätten darüber eine Absprache gehalten und eine freiwillige Übernahme nach § 88a SGB VIII sei bereits erfolgt. Hinzukomme, dass sowohl der Kläger selbst, als auch die Unterzeichnerin den Umverteilungsantrag gestellt hätten, als der Kläger noch minderjährig gewesen sei und einen gesetzlichen Vormund gehabt habe. Sofern sei der Umverteilungsantrag zu diesem Zeitpunkt auch rechtmäßig gewesen. Die Behörden hätten gewartet bis der Kläger volljährig geworden sei und dann den Umverteilungsantrag mit der Begründung abgelehnt, nunmehr sei er volljährig, was nicht rechtmäßig sei.
7
4. Die Behörde für Inneres und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg beantragte,
8
Zur Begründung der Klageerwiderung ist im Wesentlichen ausgeführt: Dass der Kläger vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in H. angehört worden sei, sei allein dem Umstand geschuldet, dass er sich zu diesem Zeitpunkt schon in H. , wenn auch ohne die erforderliche Genehmigung, aufgehalten und diese Adresse dem Bundesamt mitgeteilt habe. Ein Rückschluss darauf, dass der Umzug deshalb gestattet gewesen sei, liege fern. Auch davon, dass sich alle Behörden einig gewesen seien, könne vorliegend nicht die Rede sein. Die Beklagte sei erstmalig mit dem Umverteilungsantrag der Klägervertreterin über den Umzugswunsch informiert worden und habe diesen dann nach eingehender Prüfung mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid abgelehnt. Eine anderslautende Absprache oder Zusicherung gegenüber der Ausländerbehörde Unterfranken, dass keine Umverteilung notwendig bzw. dieser zugestimmt sei, sei nicht erfolgt. Aus dem Asylgesetz ergebe sich auch keine Grundlage dafür, dass eine Entscheidung des aufnehmenden Landes (hier Hamburg) nach § 51 Abs. 2 AsylG entbehrlich wäre. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Umverteilung im Sinne des § 51 AsylG nach Hamburg, da sein Onkel weder zur Familie im Sinne des § 26 AsylG gehöre noch sonstige humanitäre Gründe vorlägen. Der Kläger sei inzwischen volljährig und die Vormundschaft somit kraft Gesetzes beendet. Mit BAMF-Bescheid vom 27. Juni 2025 sei inzwischen der Asylantrag des nun volljährigen Klägers als unzulässig abgelehnt worden. Der Kläger sei aufgefordert worden, innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Der Kläger habe bereits in Griechenland einen Asylantrag gestellt und ihm sei im Rahmen des Asylverfahrens von diesem Mitgliedstaat der EU internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt worden. Der Eilantrag bzgl. des abgelehnten Asylantrages sei inzwischen vom Verwaltungsgericht Hamburg abgelehnt worden. Im Übrigen beziehe sich die Beklagte vollumfänglich auf die angefochtene Ausgangsverfügung vom 30. April 2025.
9
5. Mit Schreiben des Gerichts vom 25. Juli 2025 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung mittels Gerichtsbescheid angehört. Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 29. August 2025 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
11
Über die Klage konnte durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden zuvor zu einer Entscheidung mittels Gerichtsbescheid angehört, § 84 Abs. 1 VwGO. Eine Zustimmung zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist nicht erforderlich. Unabhängig hiervon erklärten sich Beteiligten mit Schreiben vom 25. Juli 2025 bzw. 31. Juli 2025 mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden.
12
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
13
Der Bescheid der Behörde für Inneres und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg vom 30. April 2025 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder einen Anspruch nach § 51 Abs. 1 AsylG auf eine länderübergreifende Verteilung von Bayern nach Hamburg, noch auf Neuverbescheidung seines Antrags (§ 113 Abs. 5 VwGO).
14
1. Nach § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG haben Asylsuchende grundsätzlich keinen Anspruch darauf, ihren Aufenthaltsort frei zu wählen und sich in einem bestimmten Bundesland und innerhalb eines Bundeslandes an einen bestimmten Ort aufzuhalten und dort zu wohnen, weil mit den Regelungen zu Verteilung und Zuweisung dem grundsätzlich besonders gewichtigen öffentlichen Anliegen Rechnung getragen wird, die Lasten, die mit der Aufnahme von Asylbewerbern verbunden sind, gleichmäßig auf die Bundesländer und innerhalb dieser ebenfalls gleichmäßig zu verteilen. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung eine Vorentscheidung getroffen, von der nur aus besonderen Gründen abgewichen werden kann, wenn besondere qualitativ bedeutsame Ansprüche – humanitäre gewichtige Gründe – vorliegen, die eine Abweichung vom gesetzlich vorgesehenen Regelfall gebieten (vgl. Amir-Haere in Huber/Mantel, Aufenthaltsgesetz/Asylgesetz, 4. Aufl. 2025, § 55 Rn. 6; Neundorf in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 44. Edition, Stand: 1.10.2024, § 55 AsylG Rn. 18)
15
2. Gemäß § 51 Abs. 1 AsylG ist jedoch, wenn der Ausländer nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, der Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 – 3 AsylG (Alt. 1) oder sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht (Alt. 2) auch durch länderübergreifende Umverteilung Rechnung zu tragen.
16
2.1. Ein Anspruch des Klägers auf Umverteilung nach Hamburg ergibt sich nicht vor dem Hintergrund der Herstellung einer Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 – 3 AsylG (§ 51 Abs. 1 Alt. 1 AsylG), also von Ehegatten oder Lebenspartnern sowie Eltern und ihren minderjährigen ledigen Kindern.
17
Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Hinblick auf den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Umverteilung nach Hamburg und die hier erhobene Verpflichtungsklage (§ 113 Abs. 5 VwGO; allg. zu Streitigkeiten nach dem AsylG) ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 2 VwGO; zur Klage auf Umverteilung s.a. VG Augsburg, U.v. 23.9.2021 – Au 9 K 21.1538 – BeckRS 2021, 33364 Rn. 21), nicht der Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung oder gar der Stellung des Antrags auf Umverteilung (wie die Klägerbevollmächtigte geltend macht).
18
Zwar lebt der Onkel des Klägers in H. . Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist der am 30. April 2007 geborene Kläger aber volljährig und unterfällt daher nicht dem Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 Alt. 1 AsylG i.V.m. § 26 Abs. 1 – 3 AsylG. Es besteht kein Anspruch volljähriger Familienangehöriger auf Zusammenführung mit den Eltern (vgl. VG Bayreuth, GB vom 31.7.2017 – B 3 K 17.32322 – BeckRS 2017, 129223 Rn. 16; Heusch in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 45. Edition, Stand: 1.7.2025, § 51 AsylG Rn. 7). Des Weiteren handelt es sich bei der Person, zu der der Kläger umverteilt werden möchte, nicht um eine Person seiner Kernfamilie, insbesondere nicht um einen Elternteil i.S.v. § 26 Abs. 3 AsylG, sondern um seinen Onkel, der gerade nicht der Kernfamilie zuzuordnen ist. Auf die von Klägerseite aufgeworfene Frage, ob der Vormund den Eltern gleichzusetzen sei, muss hier nicht eingegangen werden, da zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (s.o.) der Onkel des Klägers nicht mehr dessen Vormund ist, weil die Vormundschaft mit der Volljährigkeit des Klägers geendet hat. Es besteht kein Anspruch auf Zusammenführung mit Verwandten oder Verschwägerten außerhalb der Kernfamilie (vgl. VG Augsburg – U.v. 23.9.2021 – Au 9 K 21.1538 – BeckRS 2021, 33364 Rn. 23; Heusch in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 45. Edition, Stand: 1.7.2025, § 51 AsylG Rn. 7).
19
2.2. Der Kläger hat aber auch keinen sonstigen humanitären Grund von vergleichbarem Gewicht im Sinne von § 51 Abs. 1 Alt. 2 AsylG dargetan, dem durch länderübergreifende Umverteilung Rechnung zu tragen wäre. Insoweit hat der Kläger im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO) solche Gründe vorzutragen und zu belegen (vgl. VG Augsburg – U.v. 23.9.2021 – Au 9 K 21.1538 – BeckRS 2021, 33364 Rn. 24). Derartige Gründe sind weder ersichtlich noch aufgezeigt. Im Einzelnen:
20
Ausnahmen kommen nach § 51 Abs. 1 AsylG, § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG nur bei humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht wie das Zusammenleben der Kernfamilie nach § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG in Betracht. Den Gründen muss ebenso wie dem Schutz der Kernfamilie eine erhöhte Bedeutung zukommen. Da der konkret genannte humanitäre Grund der Herstellung der Haushaltsgemeinschaft der Familie, soweit sie sich auf Ehegatten und das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern bezieht, verfassungsrechtliches Gewicht hat, müssen die unbenannten sonstigen humanitären Gründe im Grundsatz ebenfalls eine verfassungsrechtliche Fundierung aufweisen oder von ähnlichem Gewicht sein. Relevanz kommt insoweit insbesondere der grundrechtlich geschützten Gesundheit zu. Ist etwa der Ausländer aufgrund ernsthafter Krankheit, Schwangerschaft, Alter und/oder Gebrechlichkeit auf die Pflege und Unterstützung eines nicht zur Kernfamilie gehörenden Angehörigen angewiesen, ist dies ein vergleichbar gewichtiger humanitärer Grund. Abhängige erwachsene Asylbewerber mit besonderen Bedürfnissen sind gegebenenfalls bei der Aufnahme gemeinsam mit nahen volljährigen Verwandten unterzubringen, wenn sie nach dem Recht und den Gepflogenheiten des Mitgliedstaates für diesen verantwortlich sind. Bei der Ermessensentscheidung sind jedenfalls die Belange des betroffenen Asylbewerbers zu berücksichtigen. Dabei ist zu beachten, dass ein länderübergreifender Verteilungswunsch Ausnahmecharakter hat. Bleibt das Gewicht der angegebenen Gründe unterhalb der maßgeblichen Schwelle kommt eine länderübergreifende Verteilung nicht in Betracht. Keine Gründe von vergleichbarem Gewicht sind etwa die Beziehung zu einem Bruder, das Erlernen der deutschen Sprache in bestimmter Umgebung oder das Verbleiben im bisherigen sozialen Umfeld. Nicht ausreichend ist auch der Wunsch nach Umzug an einen Ort, an dem sich Personen mit ähnlichem kulturellem Hintergrund und gleicher Sprache aufhalten, zumal es für die Situation von Asylbewerbern nicht untypisch ist, dass für gewöhnlich eine sprach- und kulturfremde Umgebung gewisse psychische und soziale Probleme bereitet. Eine vorübergehende Trennung von Verwandten für die Dauer eines grundsätzlich als vorübergehend konzipierten Asylverfahrens erscheint grundsätzlich zumutbar, soweit ein Asylbewerber infolge seines Gesundheitszustandes auf die Unterstützung und Lebenshilfe durch nahe Verwandte nicht in besonderer Weise angewiesen ist und solange eine Pflege und Behandlung auch am Ort der Zuweisung erfolgen kann (vgl. VG Würzburg, U.v. 31.5.2021 – W 8 K 20.31364 – juris Rn. 32; Heusch in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 45. Edition, Stand: 1.7.2025, § 50 Rn. 17; § 51 Rn. 1 f., 8 ff. und 13; Röder in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 21. Edition, Stand: 1.5.2025, § 50 AsylG Rn. 27 ff.; § 51 AsylG Rn. 14 ff.; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 15. Aufl. 2025, § 50 AsylG Rn. 20 ff., 27 ff.; § 51 AsylG Rn. 3 und 5; Keßler in Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, § 50 AsylG Rn. 26 ff.; § 51 AsylG Rn. 10; Hailbronner in Hailbronner, Ausländerrecht, 140. AL Stand: 1.3.2023, § 51 AsylG Rn. 9 ff; jeweils m.w.N. auch zur Rechtsprechung).
21
Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass beim Kläger humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht, die eine länderübergreifende Verteilung rechtfertigen würden, gegeben sind.
22
Die Beklagte hat zu Recht in der Begründung ihrer ablehnenden Entscheidung darauf hingewiesen, dass von Klägerseite schon keine humanitären Gründe für eine länderübergreifende Verteilung vorgetragen wurden. Tatsächlich hat die Klägerbevollmächtigte den schriftlichen Antrag vom 12. Februar 2025 auf eine länderübergreifende Umverteilung des Klägers von Bayern nach Hamburg ausschließlich mit der familiären Nähe des Klägers zu seinem Onkel begründet: Der Kläger sei als minderjähriger Flüchtling im Oktober 2024 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, sei am 14. Oktober 2024 vom Jugendamt des Landratsamts S. in Obhut genommen worden und lebe mit Zustimmung des Jugendamtes bei seinem Onkel S. S. in H. . Inzwischen sei der Onkel mit Beschluss des Amtsgerichts S. vom 17. Oktober 2024 als Vormund für den Kläger bestellt worden. Der Kläger sei noch in der Wohnunterkunft … … in … gemeldet, lebe aber in häuslicher Gemeinschaft mit seinem Vormund und dessen volljährigen Sohn, so dass aus den obigen Gründen gebeten werde, den Kläger schnellstmöglich nach Hamburg umzuverteilen.
23
Auch aus der Klagebegründung lassen sich keine humanitären Gründe i.S.v. § 51 Abs. 1 Alt. 2 AsylG entnehmen. Soweit dort von der Klägerbevollmächtigten vorgebracht wird, dass sich die Behörden einig gewesen seien, dass der Kläger zu seinem Onkel umverteilt werden solle bzw. sich dort aufhalten dürfe – was von Beklagtenseite in Abrede gestellt wird –, kann dies offensichtlich keinen humanitären Grund von vergleichbarem Gewicht wie das Zusammenleben der Kernfamilie nach § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG darstellen.
24
Insbesondere der Wunsch, in der Nähe des Onkels und des Cousins zu wohnen und sich bei diesen aufzuhalten, ist kein humanitärer Grund von einem vergleichbaren Gewicht, der eine Umverteilung tragen würde. Bleibt aber das Gewicht der Gründe unterhalb der maßgeblichen Schwelle, kommt eine länderübergreifende Verteilung nicht in Betracht, weil es für die Situation der Asylbewerber nicht untypisch ist, dass sie sich in einer sprachfremden Umgebung und einer fremden Kultur mit den damit verbundenen Problemen eingewöhnen und zurechtfinden müssen (vgl. OVG Mannheim, U.v. 2.2.2006 – A 12 S 929/05 – BeckRS 2006, 22120 Rn. 20; VG Würzburg, U.v. 31.5.2021 – W 8 K 20.31364 – juris Rn. 32; Heusch in BeckOK, Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 45. Edition, Stand: 1.7.2025, § 51 AsylG Rn. 10; Hailbronner in Hailbronner, Ausländerrecht, 140. AL Stand: 1.3.2023, § 51 AsylG Rn. 13).
25
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.