Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 24.09.2025 – AN 11 K 23.1508
Titel:

Verlust des Rechts auf Freizügigkeit, Abreißen der Integrationsbande, Betäubungsmittelkriminalität, Betäubungsmittelabhängigkeit, Therapie

Normenketten:
FreizügG/EU § 6 Abs. 4
FreizügG/EU § 6 Abs. 5
Schlagworte:
Verlust des Rechts auf Freizügigkeit, Abreißen der Integrationsbande, Betäubungsmittelkriminalität, Betäubungsmittelabhängigkeit, Therapie
Fundstelle:
BeckRS 2025, 30345

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe de festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleiche Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich insbesondere gegen die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Freizügigkeit.
2
Nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts … vom 2. Dezember 2022 ist der ledige und kinderlose Kläger italienischer Staatsangehöriger und am … 1959 in …Italien geboren. Er wuchs in geregelten Verhältnissen zusammen mit einer älteren Schwester bei seinen Eltern auf und wanderte mit seiner Familie nach Deutschland aus, als er etwa neun Jahre alt war. In Deutschland beendete er die Hauptschule nach der neunten Klasse ohne Abschluss, den er später in Italien nachholte. Nach einem Aufenthalt im Bezirksklinikum wurde er 1990 nach Italien abgeschoben. 1995 reiste er entgegen des bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbots wieder in das Bundesgebiet ein. Infolge dieser unerlaubten Wiedereinreise wurde er inhaftiert, für sechs Monate im Bezirksklinikum untergebracht und schließlich erneut nach Italien abgeschoben. Die erneute Einreise ins Bundesgebiet erfolgte im März 2002. Seit diesem Zeitpunkt lebt der Kläger – mit Haftunterbrechungen – durchgehend im Stadtgebiet der Beklagten. Er arbeitete im Bundesgebiet insbesondere als Kellner und Kraftfahrer, infolge von Arbeitslosigkeit lebte er aber auch (teilweise) von staatlichen Transferleistungen. Er hat Schulden in Höhe von 10.000 EUR und leidet an Arthrose und rheumatischen Beschwerden.
3
Der Kläger, dem am 19. September 2017 eine Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht ausgestellt wurde, ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs vom 9. Juni 2023 wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
1. Amtsgericht …, 30. September 1983, Vergehen des unerlaubten Betäubungsmittelhandels, 40 Tagessätze Geldstrafe;
2. Amtsgericht …, 14. Januar 1988, unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln, zehn Tagessätze Geldstrafe;
3. Landgericht …, 23. Oktober 1989, Vergehen der gefährlichen Körperverletzung, Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus;
4. Amtsgericht …, 9. September 2008,
Betrug, 20 Tagessätze Geldstrafe;
5. Amtsgericht …, 8. Oktober 2013, abgeändert im Rechtsfolgenausspruch durch Urteil des Landgerichts … vom 15. April 2014, Gefährliche Körperverletzung, drei Jahre Freiheitsstrafe, Freiheitsstrafe nach Teilverbüßung zur Bewährung ausgesetzt bis 1. Mai 2021, Bewährungshelfer bestellt, Bewährungszeit verlängert bis 1. November 2021, Strafaussetzung widerrufen, Strafvollstreckung erledigt am 28. Juni 2020, Führungsaufsicht bis 21. Oktober 2025;
6. Amtsgericht …, 25. Januar 2018, Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, 40 Tagessätze Geldstrafe;
7. Amtsgericht …, 26. September 2019,
Bedrohung, fünf Monate Freiheitsstrafe;
8. Landgericht …, 2. Dezember 2022,
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei tatmehrheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in Tatmehrheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sechs Jahre drei Monate Freiheitsstrafe, Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.
4
Der Verurteilung vom 8. Oktober 2013 bzw. 15. April 2014 (Nr. 5) lag im Wesentlichen zugrunde, dass der Kläger den Geschädigten mit einem Messer in den rechten Oberbauch gestochen hat. Die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe wurde nach einer Teilverbüßung mit einer Bewährungsfrist von vier Jahren ausgesetzt (LG …, B.v. 27.4.2017). Diese Bewährungszeit wurde um sechs Monate verlängert (LG …, B.v. 15.3.2018), da der Kläger während der Bewährungszeit erneut straffällig geworden war. Die Strafaussetzung wurde schließlich widerrufen (LG …, B.v. 20.11.2019), weil der Kläger während der Bewährungszeit eine neue vorsätzliche Straftat begangen hatte (abgeurteilt mit Urteil des Amtsgerichts … vom 26.9.2019, Nr. 7). Nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe wurde der Kläger mit Beschluss des Landgerichts … vom 18. August 2020 insbesondere angewiesen, keine Waffen zu besitzen und sich psychotherapeutisch und/oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen. Bei ihm liege eine deutliche Gewaltproblematik vor. Führungsaufsicht bis 21. Oktober 2025 wurde angeordnet.
5
Der Verurteilung vom 26. September 2019 (Nr. 7) lag im Wesentlichen zugrunde, dass der Kläger gegenüber dem Geschädigten ein gegen ihn gerichtetes vorsätzliches Tötungsdelikt angekündigt hat. Das Strafgericht setzte die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe insbesondere deshalb nicht zur Bewährung aus, da es im Kläger einen Bewährungsversager sah. Die Strafe wurde vom 6. November 2019 bis 22. Oktober 2020 vollstreckt.
6
Der Verurteilung vom 2. Dezember 2022 (Nr. 8) lag im Wesentlichen zugrunde, dass der Kläger jedenfalls im Zeitraum von August bis September 2021 von einem anderweitig Verurteilten bei mindestens zwei Gelegenheiten jeweils 250 Gramm Marihuana zu Grammpreisen von mindestens 5,00 EUR bezog, das er in der Folgezeit abzüglich eines Eigenkonsumanteils von 50% gewinnbringend zum Preis von mindestens 10,00 EUR pro Gramm an seine Abnehmer weiterveräußerte. Zudem fuhr der Kläger am 27. September 2021 den anderweitig Verurteilten G. mit einem Pkw von … nach …, wo G., wie der Kläger wusste, vom anderweitig Verfolgten F. 100 Gramm Kokain für den gewinnbringenden Weiterverkauf übernahm. Am 28. September 2021 fuhr der Kläger den G. wieder zurück nach …, wo G., wie der Kläger wusste, das Kokain gewinnbringend weiterveräußerte. Am 15. Dezember 2021 bewahrte der Kläger in seiner Wohnung in … 251,27 Gramm Marihuana, 61 Gramm Haschisch und 2,98 Gramm Kokain auf, wobei diese Mengen – mit Ausnahme einer Menge von mindestens 125,6 Gramm Marihuana, welche zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war – dem Eigenkonsum dienten. Zur gleichen Zeit bewahrte der Kläger in seiner Wohnung ein zur Verletzung von Personen geeignetes und hierfür von ihm auch bestimmtes arretierbares Klappmesser mit einer Klingenlänge von zehn Zentimetern auf. Das zugeklappte Messer lag griffbereit auf dem Couchtisch. In zwei Meter Entfernung versteckte der Kläger eine Teilmenge von 197,57 Gramm Marihuana in einem Fernsehschrank. Der Kläger konnte das Klappmesser mit einem Handgriff erreichen und umgehend, innerhalb von zwei bis drei Sekunden, öffnen und zum Einsatz bringen. Zum Drogenkonsum ist im Urteil ausgeführt, dass der Kläger etwa zwölf Zigaretten am Tag raucht und keinen Alkohol trinkt. Illegale Betäubungsmittel konsumierte er erstmals in Form von Cannabisprodukten (Marihuana und Haschisch) im Alter von ca. 15 Jahren. Es stellte sich ein regelmäßiger Konsum ein, der sich bis zum 15. Dezember 2021 (Durchsuchung der Wohnung) auf etwa 4 Gramm Marihuana pro Tag steigerte. Zusätzlich konsumierte der Kläger beim Feiern ein- bis zweimal im Monat Kokain in geringen Mengen. Auch Amphetamin und Methamphetamin probierte der Kläger, ohne dass sich jedoch ein gelegentlicher oder regelmäßiger Konsum einstellte. Bei der Strafzumessung sah die Strafkammer insbesondere zugunsten des Klägers, dass er selbst betäubungsmittelabhängig ist und die Taten auch beging, um seine eigene Betäubungsmittelabhängigkeit zu finanzieren oder zumindest die Bezugsquelle zu sichern. Zudem handelt es sich bei Marihuana um eine „weiche Droge“. Zulasten des Klägers wertete die Kammer die bereits mehrfachen – zum Teil einschlägigen – Vorstrafen, dass der Kläger im Tatzeitraum unter Führungsaufsicht stand, dass es sich bei Kokain um eine „harte Droge“ handelt und dass der Kläger einen wesentlichen Beitrag zur Tat des anderweitig Verurteilten G. geleistet hatte. Die Kammer ordnete die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt an, insbesondere aufgrund einer beim Kläger bestehenden manifesten Cannabisabhängigkeit und des bestehenden Zusammenhangs zwischen dem Hang des Klägers, berauschende Mittel im Übermaß zu konsumieren, und der abgeurteilten Straftaten. Die voraussichtliche Dauer der Unterbringung wurde auf 24 Monate eingeschätzt, ein Vorwegvollzug von 13 Monaten und zwei Wochen angeordnet. Wegen dieser Sache befand sich der Kläger ab 3. Mai 2022 in Untersuchungshaft, ab 20. April 2023 in Strafhaft.
7
Im Rahmen der Anhörung vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids gab der Kläger insbesondere an, dass er deutsch und italienisch spreche, in Italien kein Grundbesitz bzw. Haus/Wohnung vorhanden sei, im Bundesgebiet eine Schwester lebe, zu der er seit 2005 keinen Kontakt habe, und er in Italien keine Familienangehörige habe.
8
Mit Bescheid vom 4. Juli 2023 stellte die Beklagte gegenüber dem Kläger den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland fest (Ziffer I.) und befristete die Wirkungen der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts auf die Dauer von sechs Jahren ab Ausreise bzw. Abschiebung (Ziffer II.). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik zu verlassen (Ziffer III.), widrigenfalls wurde ihm die Abschiebung insbesondere nach Italien angedroht (Ziffer IV). Zur Begründung führte die Beklagte insbesondere an, dass der Kläger nach eigener Darstellung erstmals mit neun Jahren ins Bundesgebiet eingereist sei. Laut Melderegister sei die erste Einreise jedoch erst im September 1981 erfolgt. Nach eigener Darstellung in einer Urteilsbegründung sei der Kläger im Oktober 1990 aus dem Bundesgebiet aufgrund von Straftaten ausgewiesen worden. Weitere Informationen hierzu lägen nicht (mehr) vor. Der Kläger sei zuletzt mit Urteil des Landgerichts … vom 2. Dezember 2022 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei tatmehrheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in Tatmehrheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt worden, wobei unter einem Vorwegvollzug von 13 Monaten und zwei Wochen die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden sei. Rechtsgrundlage für die durchzuführende Aufenthaltsbeendigung des Klägers sei das Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU). Die Beklagte gehe zugunsten des Klägers davon aus, dass dieser schon aufgrund seiner Staatsangehörigkeit Freizügigkeit nach dem FreizügG/EU genieße. Damit seien für die beabsichtigte Maßnahme die Voraussetzungen des § 6 FreizügG/EU zu beachten. Da der Kläger im September 2017 eine Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht/EU erhalten habe, habe er unzweifelhaft ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU erworben, sodass eine Feststellung zum Verlust des Freizügigkeitsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden dürfe (§ 6 Abs. 4 FreizügG/EU). Der noch weitergehende Schutz nach § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 FreizügG/EU stehe dem Kläger nicht zu. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids erfülle er die Voraussetzung eines ununterbrochenen zehnjährigen Aufenthalts nicht, da er bereits seit 3. Mai 2022 inhaftiert sei. Auch die Zeiten eines Maßregelvollzugs, der beim Kläger ab September 2023 durchgeführt werden solle, lasse den Aufenthaltszeitraum unterbrechen. Vor der derzeitigen Inhaftierung bzw. Unterbringung habe sich der Kläger nachweislich im Zeitraum von November 2014 bis Mai 2017 sowie von November 2019 bis Oktober 2020 in Haft befunden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes unterbrächen Haftstrafen grundsätzlich die Kontinuität des Aufenthalts. Ob diese Unterbrechung zu einem Entfallen eines verstärkten Schutzes vor Verlustfeststellung führe, sei abhängig von einer umfassenden Beurteilung der konkreten Situation. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs komme die Beklagte zu dem Ergebnis, dass die Verlustfeststellung nicht an § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zu messen sei. Zwar halte sich der Kläger seit seiner letzten Einreise im März 2002, und damit mehr als zehn Jahre, im Bundesgebiet auf. Es sei jedoch davon auszugehen, dass die Integrationsverbindungen jedenfalls durch die Verbüßung der wiederholten Haftstrafen abgerissen sind. Die Wahrscheinlichkeit des Abreißens der Integrationsbande durch Verbüßung einer Haftstrafe sei umso geringer, je fester die Integrationsbande zum Aufenthaltsstaat, insbesondere in gesellschaftlicher, kultureller und familiärer Hinsicht, sind. Der Kläger befinde sich aktuell seit 3. Mai 2022, und somit seit mehr als einem Jahr, in Haft. Zudem sei er von November 2014 bis Mai 2017 sowie von November 2019 bis Oktober 2020 inhaftiert gewesen. Somit habe der Kläger in dem relevanten 10-Jahres-Zeitraum bereits rund fünf Jahre in Haft verbracht. Vor der jetzigen Inhaftierung bzw. Unterbringung seien die Integrationsverbindungen des Klägers im Bundesgebiet nur in geringem Maße ausgeprägt gewesen. Er habe im Bundesgebiet zwar die Schule besucht, diese jedoch ohne Abschluss verlassen. Seine Erwerbsbiografie im Bundesgebiet sei immer wieder vom (ergänzenden) Bezug von staatlichen Transferleistungen gekennzeichnet gewesen. Von einer nennenswerten wirtschaftlichen oder beruflichen Integration, die hätte abreißen können, könne beim Kläger nicht gesprochen werden. Der Kläger sei ledig und kinderlos. Zu seiner Schwester habe er nach eigenen Angaben bereits seit 2005 keinen Kontakt mehr. Gegen eine gelungene Integration in die Verhältnisse der Bundesrepublik spreche schwerwiegend der strafrechtliche Werdegang des Klägers und die Tatsache, dass er seit Jahren Betäubungsmittelkonsument sei. Der Kläger sei beginnend mit dem Urteil vom 30. September 1983 wiederholt wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden. So liege auch dieser Entscheidung eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zugrunde. Auch die Anzahl der weiteren vom Kläger begangenen Straftaten ließe erkennen, dass keine nennenswerten Integrationsbande vorlägen. Der Lebenswandel des Klägers mache deutlich, dass er die Werte der deutschen Gesellschaft, wie sie insbesondere im Strafrecht zum Ausdruck kommen, grundlegend missachte. Der Kläger habe langjährige Hafterfahrung. Er habe unterschiedlichste Straftaten aus verschiedenen Deliktsbereichen begangen (Betäubungsmitteldelikte, gefährliche Körperverletzung, Betrug, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, Bedrohung) und sei nach jeweiliger Verbüßung der Strafe erneut straffällig geworden. Aus dem Urteil des Amtsgerichts … vom 26. September 2019 wegen Bedrohung gehe die äußerste Brutalität des Klägers hervor. Zum Tatzeitpunkt sei der Kläger bereits sechsmal vorbestraft gewesen und habe unter laufender Reststrafenbewährung gehandelt, wobei es sich bereits um die zweite Vorsatztat in laufender Bewährung gehandelt habe. Darüber hinaus sei der Kläger bereits im Oktober 1990 wegen gefährlicher Körperverletzung ausgewiesen und nach Italien abgeschoben worden. Nach der unerlaubten Wiedereinreise im Jahr 1995 sei der Kläger nach einem weiteren sechsmonatigen stationären Aufenthalt wieder nach Italien abgeschoben worden. Die zuletzt abgeurteilte Straftat lasse erkennen, in welchem Maß der Kläger sich der deutschen Gesellschaft entfremdet habe. Eventuell vorhandene Integrationsverbindungen seien sukzessive und letztlich mit Verbüßung der nun neuerlichen Haftstrafe bzw. Unterbringung abgerissen. Der Kläger könne sich daher nicht auf den besonderen Schutz nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen. Grundsätzlich seien jedoch aufgrund der Verurteilung durch das Landgericht … vom 2. Dezember 2022 auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU erfüllt. Als Rechtsgrundlage für die Verlustfeststellung werde vorliegend jedoch § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4  FreizügG/EU herangezogen. Die vom Kläger begangene Straftat rechtfertige die Verlustfeststellung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung. Dies ergebe sich eindeutig aus dem ganzen bisherigen Verhalten des Klägers und aus dem gegen den Kläger jüngst ergangenen Strafurteil. Die Einträge des Klägers im Bundeszentralregister reichten bis ins Jahr 1983 zurück. Der Kläger sei bereits vielfach – davon mehrfach einschlägig – vorbestraft. Zuletzt sei der Kläger mit Urteil des Landgerichts … vom 2. Dezember 2022 rechtskräftig wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden. Die vom Kläger begangenen Straftaten zählten zu den schweren Straftaten gemäß § 100a Abs. 2 Nr. 7 StPO. Die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, seien schwerwiegend und berührten ein Grundinteresse der Gesellschaft. Der Kläger sei zum wiederholten Male wegen Rauschgiftvergehen und -verbrechen – solche seien auch im Katalog des Art. 83 AEUV als Formen besonders schwerer Kriminalität aufgeführt – verurteilt worden. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung lägen beim Kläger schwerwiegende Gründe für die Entscheidung über die Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU unzweifelhaft vor. Was die Drogentherapie anbetreffe, der sich der Kläger derzeit auf Anordnung des Landgerichts zu unterziehen habe, so liege deren Ziel erstens in der Heilung von der Drogensucht und zweitens darin, dem Kläger den Weg für eine künftige straffreie Lebensführung zu ebnen. Hieraus folge indessen nicht, dass der Kläger deswegen im Inland belassen werden müsste, etwa nach der Hypothese „Drogensucht geheilt – Wiederholungsgefahr gebannt“. Denn dabei bleibe das enorme Ausmaß der begangenen Beeinträchtigung der Rechtsordnung außen vor, wofür selbst das Recht der Europäischen Union die Option der Beendigung des Aufenthalts eines Unionsbürgers vorsehe. Der Kläger müsse sich seinen umfangreichen strafrechtlichen Lebenswandel vorhalten lassen. Bereits im Alter von nur 23 Jahren habe er die erste im Bundesgebiet aktenkundige Straftat im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln begangen. Die nächste einschlägige Straftat sei im Jahr 1988 gewesen. Im Jahr 1989 sei die Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen einer gefährlichen Körperverletzung angeordnet worden. Infolge dieser Verurteilung sei er ausgewiesen und nach Italien abgeschoben worden. Entgegen der bestehenden Einreisesperre sei der Kläger 1995 wieder ins Bundesgebiet eingereist und nach nochmaliger Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ein halbes Jahr später erneut nach Italien abgeschoben worden. Im Jahr 2002 sei er erneut ins Bundesgebiet zurückgekehrt. 2008 sei er wegen Betrugs zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Im Jahr 2013 sei der Kläger zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die zunächst zur Bewährung ausgesetzt worden sei, wegen wiederholter Straffälligkeit (Bedrohung) sei die Bewährung jedoch nachträglich widerrufen worden. Das entscheidende Gericht habe zum Bewährungswiderruf ausgeführt, dass der Kläger weder bewährungswillig noch bewährungsfähig sei. Nur wenige Monate nach der Haftentlassung (Mai 2017) habe der Kläger im September 2017 die Tat begangen, wegen der gegen ihn im Januar 2018 eine Geldstrafe verhängt worden sei (unerlaubtes Entfernen vom Unfallort). Im Folgejahr 2019, als er unter laufender Bewährung gestanden habe, sei der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden, nachdem er eine andere Person mit dem Tod bedroht habe. Im Zeitraum vom November 2019 bis Oktober 2020 habe er sich erneut in Haft befunden. Kurz nach der Haftentlassung seien dem Kläger die in der anlassgebenden Verurteilung erwähnten Straftaten anzulasten (jedenfalls von August 2021 bis Dezember 2021 Betäubungsmittelhandel). Das gesamte Verhalten des Klägers zeuge von einer beeindruckenden Geringschätzung der Werte- und Gesellschaftsordnung und beweise, dass dem Kläger keinerlei Einsicht bzw. Selbstreflexion zu eigen sei. Vielmehr hinterlasse er den Eindruck, dass die (Straf-) Gesetze für ihn schlicht keine Geltung entfalten und dass die Bewährungschancen nur weitere Möglichkeiten eröffnen, sich erneut nicht an die geltenden Regeln zu halten. Das Verhalten des Klägers lasse in keinerlei Weise erkennen, dass er sich in Zukunft im Bundesgebiet rechtstreu verhalten werde. Illegale Betäubungsmittel in Form von Cannabisprodukten (Marihuana und Haschisch) nehme der Kläger seit er 15 Jahre alt sei. Bis zur polizeilichen Durchsuchung der Wohnung am 15. Dezember 2021 habe sich sein regelmäßiger Konsum auf etwa 4 Gramm pro Tag gesteigert. Zusätzlich habe der Kläger ein bis zweimal im Monat geringe Mengen Kokain zu sich genommen und auch Amphetamin und Metamphetamin ausprobiert. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe beim Kläger eine manifeste Cannabisabhängigkeit diagnostiziert. Die Strafkammer habe festgestellt, dass die Rauschmittelabhängigkeit Auslöser und Anlass der Straftaten gewesen sei. Laut Aktenlage werde der Kläger nach einem Vorwegvollzug ab September 2023 die Therapie beginnen. Es könne ordnungsrechtlich nicht vertreten werden abzuwarten, ob und gegebenenfalls inwieweit der Straf- bzw. Maßregelvollzug zu einer Festigung einer labilen, vom jahrzehntelangen Drogenkonsum geprägten Persönlichkeit in einer Weise führt, die weitere Straftaten nicht mehr erwarten ließe. Selbst für den Fall, dass der Kläger die Therapie erfolgreich abschließt, erlaube dies angesichts der erfahrungsgemäß hohen Rückfallquote noch nicht die Prognose, dass keine ordnungsrechtlich relevante Wiederholungsgefahr mehr vom Kläger ausgehe. Eine solche Annahme sei erst nach drogen- und straffreier Lebensführung über einen längeren Zeitraum gerechtfertigt. Gerade beim Kläger müsse ergänzend in den Blick genommen werden, dass in einem fortgeschrittenen Lebensalter die Veränderungsbereitschaft erheblich eingeschränkt bzw. die Herausforderung, sich auf einen Lebenswandel einzulassen umso höher sei. Auch falle der Kläger nach Haft- bzw. Therapieende in ein einförmiges Umfeld ohne Ablenkung zurück, in welchem die einzige Abwechslung der Rückfall in die Drogensucht bilde. Aufgrund des vom Kläger gezeigten persönlichen Verhaltens ergebe sich somit eine tatsächliche und hinreichende Gefährdung der öffentlichen Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Das Verhalten des Klägers lasse begründet darauf schließen, dass bei einem weiteren Aufenthalt nach Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt bzw. dem Maßregelvollzug im Bundesgebiet konkret weitere Straftaten drohen würden. Damit sei auch das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung zu begründen. Hierbei werde die Wahrscheinlichkeitsprognose nicht dadurch widerlegt, dass der Kläger wegen der derzeitigen Haft bzw. Unterbringung nicht in der Lage sein dürfte, im Bundesgebiet neue Straftaten zu begehen. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse müsse davon ausgegangen werden, dass auch durch diesen Strafvollzug an der Einstellung des Klägers zum Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Änderungen zu erwarten seien. Die Anforderungen nach § 6 Abs. 3 FreizügG/EU i.V.m. § 6 Abs. 1 FreizügG/EU seien berücksichtigt. Der Kläger sei ledig und kinderlos. Er halte sich zwar zwischenzeitlich – mit mehreren Haftunterbrechungen – seit 2002 im Bundesgebiet auf, sei jedoch in Italien geboren und dort sozialisiert worden, insbesondere habe er dort seinen Schulabschluss erworben. Auch sei er im Erwachsenenalter mehrere Male für längere Zeit in seinem Heimatland gewesen, mit dessen Kultur und Sprache er bestens vertraut sei. Im Bundesgebiet sei er verschiedenen Beschäftigungen nachgegangen, habe aber auch von (ergänzenden) staatlichen Transferleistungen gelebt. Er habe aktuelle Schulden in Höhe von 10.000 EUR. Er sei laut dem Zentralregisterauszug ab dem Jahr 1983 immer wieder straffällig und schon zweimal abgeschoben worden. Zwar sei der Kläger mittlerweile in einem fortgeschrittenen Alter und leide ausweislich des Strafurteils auch an Arthrose und rheumatischen Beschwerden, jedoch habe trotz des langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet keine nennenswerte Integration des Klägers stattgefunden. Im Übrigen könnten die Erkrankungen auch in Italien ohne weiteres ärztlich versorgt werden. Die Abwägung der persönlichen Interessen, im Bundesgebiet bleiben zu können, mit dem öffentlichen Interesse an der Beendigung des Aufenthalts wegen der bestehenden Gefahr erneuter Straftaten müsse zugunsten des öffentlichen Interesses entschieden werden. Aufgrund dieser Entscheidung verliere der Kläger sein – im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit angenommenes – Freizügigkeitsrecht. Mit Bekanntgabe der Entscheidung werde er ausreisepflichtig. Mit Eintritt der Bestandskraft der Entscheidung werde er vollziehbar ausreisepflichtig. Da die Ausreise auch unter den besonderen Umständen der Haft organisiert werden könne, laufe die Ausreisefrist auch während der Haft. Sofern die Entscheidung Bestandskraft während der Strafhaft des Klägers erlangt, werde er unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben (ggf. § 456a StPO) abgeschoben. Sollte der Kläger nicht innerhalb der gesetzten Ausreisefrist von einem Monat ausreisen, werde ihm die Abschiebung insbesondere nach Italien angedroht. Das Wiedereinreiseverbot müsse von Amts wegen befristet werden. Der Kläger sei massiv strafrechtlich in Erscheinung getreten und zuletzt zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt worden, wobei auch seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden sei. Eine zeitnahe Befristung würde, insbesondere im Hinblick auf die dargestellte Wiederholungsgefahr hinsichtlich neuer Straftaten, den Verlustfeststellungszweck konterkarieren. Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Kläger sprechenden bekannten Umstände werde die Wirkung der Verlustfeststellung (und ggf. Abschiebung) auf die Dauer von sechs Jahren ab Ausreise/Abschiebung befristet.
9
Mit bei Gericht am 25. Juli 2023 eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag ließ der Kläger Klage erheben. Zur Begründung führte der Klägerbevollmächtigte insbesondere aus, dass der Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2023 rechtswidrig sei und den Kläger in seinen Rechten verletze. Der Kläger habe die Therapie im Bezirkskrankenhaus … im September 2023 begonnen und bislang erfolgreich absolviert. Somit könne nicht davon ausgegangen werden, dass bei ihm eine Wiederholungsgefahr bestehe. Entgegen der Auffassung der Beklagten streite für den Kläger § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU. Im Zeitpunkt der Behördenentscheidung habe sich der Kläger zehn Jahre rechtmäßig im Unionsgebiet aufgehalten und ein Recht auf Daueraufenthalt erworben. Die jeweilige Verbüßung der Freiheitsstrafe habe nicht zu einem Abreißen der Integrationsverbindung geführt. Der Kläger habe keinerlei Kontakte mehr nach Italien. Er habe lediglich noch eine Schwester, die wohl ebenfalls in Deutschland lebe, zu der er aber keinerlei Kontakt habe. Das Grab seiner Eltern, um das er sich bisher immer gekümmert habe, befinde sich in … In Italien habe er keinerlei Familienangehörige mehr. Die erforderlichen zwingenden Gründe, die einen besonders hohen Schweregrad der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit erforderten, lägen nicht vor. Die zwingenden Gründe dienten nicht dem privaten Rechtsgüterschutz, sondern nur dem Schutz des Bestandes und der Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen sowie der zwischenstaatlichen Beziehungen. Eine Ausnahme werde nur wegen des außergewöhnlichen Charakters der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit bei bandenmäßigem Handel mit Betäubungsmitteln und bei der sexuellen Ausbeutung von Kindern gemacht. Beim Kläger bestehe auch keine Wiederholungsgefahr.
10
Der Kläger beantragt,
Der Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2023, mit dem der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt worden ist, wird aufgehoben.
11
Die Beklagte beantragt unter Verweis auf die streitgegenständliche Entscheidung:
Die Klage wird abgewiesen.
12
Nach dem Therapiebericht des Bezirksklinikums … vom 13. Mai 2025 befindet sich der Kläger im vierten Halbjahr seiner ersten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Der Kläger sei am 11. September 2023 im Bezirksklinikum aufgenommen worden. Nach komplikationslosem Verlauf sei er am 17. Oktober 2023 von der Aufnahmestation in die intensivtherapeutische Station verlegt worden und von dort am 18. Oktober 2024 in den teiloffenen Resozialisierungsbereich Haus *. Auf Haus * sei es dem Kläger rasch gelungen, sich einzubinden. Er habe seine Stationsdienste überwiegend erledigt und die Wochenpläne zumeist zuverlässig erfüllt. Konflikte im Sinne einer krisenhaften Auseinandersetzung seien nur selten beobachtet worden. Die unbegleiteten Stadtausgänge sowie Tagesbeurlaubungen (primär in … und …*) seien ohne Auffälligkeiten verlaufen. Die Stationsregeln seien meist eingehalten worden. Ab 25. November 2024 sei der Kläger in einer Arbeitstätigkeit außerhalb der Maßregelvollzugseinrichtung erprobt worden, wo es zu keiner Auffälligkeit gekommen sei. Der Kläger sei auf der Suche nach einer Mietwohnung in … Sobald er Wohnraum angemietet habe, werde ein detaillierter Behandlungsplan für das Probewohnen im Zuge von Serienübernachtungen der Stufe D erstellt werden. Er erhalte keine psychiatrische Festmedikation. Im Bereich der einzeltherapeutischen Intervention sei in Gesprächen insbesondere am Umgang mit der Abhängigkeitserkrankung sowie an suchtauslösenden Faktoren und am Umgang mit aufkommendem Suchdruck gearbeitet worden. Der Kläger habe ein gebessertes Verhalten bezüglich seiner impulsiven Persönlichkeitsanteile an den Tag gelegt. Er zeige insgesamt eine aktive Beteiligung an den Gesprächen und präsentiere sich weiterhin veränderungsmotiviert und bezüglich der bislang erfolglosen Wohnungssuche frustrationstolerant. In der Zusammenarbeit mit dem sozialpädagogischen Dienst kümmere sich der Kläger selbstständig und zuverlässig um seine Belange. Zu den Terminen erscheine er pünktlich und imponiere durch Transparenz und Absprachefähigkeit. Er habe bislang während der gesamten Unterbringung keinerlei Verdachtsmomente auf den Konsum von Alkohol, Betäubungsmitteln oder anderen psychotropen Substanzen gezeigt. Ebenso habe sich bei keiner der durchgeführten Kontrolluntersuchungen auf Substanzmissbrauch ein positiver Befund ergeben.
13
Im Rahmen der Sachstandsabfrage durch das Gericht teilte die Beklagte mit Schreiben vom 20. Mai 2025 mit, dass nach dem aktuellen Therapiebericht vom 13. Mai 2025 der Kläger gegenwärtig noch am Beginn der Resozialisierungsphase sei. Es könne daher auch weiterhin ordnungsrechtlich nicht vertreten werden abzuwarten, inwieweit ein in Zukunft womöglich gar erfolgreicher Abschluss der gerichtlich angeordneten Maßnahme zu einer Festigung der labilen, vom jahrzehntelangen Drogenkonsum geprägten Persönlichkeit führt, die weitere Straftaten nicht mehr erwarten ließe. Eine solche Annahme sei erst nach drogen- und straffreier Lebensführung über einen längeren Zeitraum außerhalb der gefestigten Strukturen des Maßregelvollzugs möglich. Es werde darauf hingewiesen, dass der Kläger bereits erstmals 1983 wegen eines Betäubungsmitteldelikts auffällig wurde und im Alter von 15 Jahren erstmals Cannabisprodukte konsumierte. Dies lasse – auch im Hinblick auf den aktuellen Therapiebericht, der sich einschränkend positiv zum Kläger auslasse – weiterhin eine tatsächliche und hinreichende Gefährdung der öffentlichen Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, erkennen.
14
Mit Schreiben vom 4. August 2025 bestätigte das Bezirksklinikum, dass sich seit der Übersendung des Therapieberichts vom 13. Mai 2025 keine wesentlichen Änderungen ergeben hätten. Der Kläger befinde sich weiterhin auf Wohnungssuche, ein Starttermin für das Probewohnen könne daher nicht angegeben werden.
15
In der mündlichen Verhandlung am 24. September 2025 verwies der Klägerbevollmächtigte insbesondere auf den positiven Verlauf des Maßregelvollzugs. Der Kläger habe mittlerweile eine eigene Wohnung gefunden und stehe unmittelbar vor dem Probewohnen. Zudem arbeite er seit etwa acht Monaten außerhalb des Bezirkskrankenhauses und erziele Einkommen. Es könne derzeit nicht von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden.
16
Mit Schreiben vom 28. Juli 2023 beteiligte sich die Regierung von Mittelfranken als Vertreter des öffentlichen Interesses an dem Verfahren.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

18
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der als Vertretung des öffentlichen Interesses beteiligten Regierung von Mittelfranken über die Sache verhandeln und entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
19
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2023 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
20
Die in Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheides verfügte Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland stellt sich ebenso als rechtmäßig dar wie die in Ziffer II auf die Dauer von sechs Jahren ab Ausreise/Abschiebung befristete Wirkung der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts und die in den Ziffern III und IV verfügten ausländerrechtlichen Annexmaßnahmen.
I.
21
Die in Ziffer I nach pflichtgemäßem Ermessen ausgesprochene Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1, Abs. 2 FreizügG/EU erweist sich im grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22.14 – juris Rn. 11) als rechtmäßig.
22
1. Rechtsgrundlage der Verlustfeststellung ist vorliegend § 6 Abs. 1 FreizügG/EU. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU unbeschadet des § 2 Abs. 4 und des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt werden. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU genügt die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich alleine nicht, um die Verlustfeststellung zu begründen. Es dürfen nach § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nur im Bundeszentralregister nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Bei der Entscheidung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (§ 6 Abs. 3 FreizügG/EU). Gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU darf eine Feststellung nach Abs. 1 nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden. Darüber hinaus darf nach § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, und bei Minderjährigen nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden.
23
Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben nach ständiger Rechtsprechung bei der Prüfung, ob i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch ein persönliches Verhalten des Betroffenen zu erkennen ist, ebenso wie bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung, eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, B.v. 11.9.2015 – 1 B 39/15 – InfAuslR 2016, 1; BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 19 ZB 19.914 – juris Rn. 9 m.w.N.). Nach dem Gefahrenmaßstab des § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dieser Maßstab verweist – anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizeirecht – nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich ein Grundinteresse der Gesellschaft, das berührt sein muss (vgl. NdsOVG, B.v. 5.9.2019 – 13 ME 278/19 – juris Rn. 6). Eine strafrechtliche Verurteilung kann eine Verlustfeststellung nur insoweit rechtfertigen, als die ihr zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. EuGH, U.v. 17.4.2018 – C-316/16 und C-424/16 – juris Rn. 92; U.v. 29.4.2004 – C-482/01 und C-493/01 – DVBl. 2004, 876, Rn. 67 m.w.N.). Es besteht keine dahingehende Regel, dass bei schwerwiegenden Taten das abgeurteilte Verhalten allein die hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen begründet (vgl. BVerwG, B.v. 30.6.1998 – 1 C 27.95 – InfAuslR 1999, 59). Ob die Begehung einer Straftat nach deren Art und Schwere (vgl. EuGH, U.v. 29.4.2004, a.a.O., Rn. 99) ein persönliches Verhalten erkennen lässt, welches ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, kann nur aufgrund der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden.
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Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und die Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu berücksichtigen. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens zu differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 19 ZB 19.914 – juris Rn. 9). Was die Prognose der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im Hinblick auf Drogenstraftaten angeht, ist zudem festzuhalten, dass Betäubungsmitteldelikte zu den schweren, Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten gehören (vgl. Art. 83 Abs. 1 Unterabschnitt 2 AEUV).
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2. Nach Überzeugung des Gerichts liegt vor diesem Hintergrund im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine vom Kläger ausgehende gegenwärtige tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
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Das Gericht geht wie die Beklagte zu Gunsten des Klägers, ohne die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU im Einzelnen zu prüfen, davon aus, dass der Kläger schon auf Grund seiner italienischen Staatsangehörigkeit ein freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger ist.
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Zu Recht geht die Beklagte weiter davon aus, dass dem Kläger der besondere Schutzstatus nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU zusteht.
28
Ob einem Unionsbürger der erhöhte Ausweisungsschutz nach § 6 Abs. 4 oder 5 FreizügG/EU zukommt, richtet sich nach dem Zeitpunkt des Erlasses der Verlustfeststellung durch die Ausländerbehörde (vgl. VGH BW, U.v. 17.5.2021 – 11 S 800/19 – juris Rn. 102; EuGH, U.v. 17.4.2018 – C-316/16 und C-424/16 – juris Rn. 88; BayVGH, U.v. 29.1.2019 – 10 B 18.1094 – juris Rn. 40; Kurzidem in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.4.2025, § 6  FreizügG/EU Rn. 17). Vorliegend ist daher auf die Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheids abzustellen, die ausweislich des Empfangsbekenntnis des Klägerbevollmächtigten am 4. Juli 2023 erfolgte (Art. 41 Abs. 1, Abs. 5, 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG, Art. 2 Abs. 1, 5 Abs. 4 und 7, 8 VwZVG).
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Der Erwerb des in § 6 Abs. 4 FreizügG/EU in den Blick genommenen Daueraufenthaltsrechts bestimmt sich nach § 4a FreizügG/EU. Nach § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU haben Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Daueraufenthalt). Der Erwerb des Daueraufenthaltsrechts tritt von Gesetzes wegen ein, sobald seine Voraussetzungen erfüllt sind. Das einmal erworbene Aufenthaltsrecht geht nicht mehr verloren, auch dann nicht, wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU nicht (mehr) erfüllt sind. Der Verlust des Rechts tritt nur in dem in § 4a Abs. 7
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FreizügG/EU geregelten Fall der mehr als zweijährigen nicht nur vorübergehenden Abwesenheit ein (vgl. Tewocht in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 1.4.2025, § 4a FreizügG/EU Rn. 7). Der Kläger lebt seit seiner letzten Einreise im März 2002 ununterbrochen im Bundesgebiet, so dass der erforderliche fünfjährige ständige rechtmäßige Aufenthalt am 4. Juli 2023 gegeben war. Zudem wurde dem Kläger am 19. September 2017 eine Bescheinigung über das Bestehen des Daueraufenthaltsrechts ausgehändigt, für einen Verlust ist eine ausdrückliche behördliche Feststellung darüber nötig (vgl. Geyer in Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, § 5 FreizügG/EU Rn. 22).
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Der besondere Ausweisungsschutz nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU steht dem Kläger nach Überzeugung des Gerichts jedoch nicht zu, da der hierfür erforderliche zehnjährige Aufenthalt im Bundesgebiet bei Bescheiderlass nicht vorlag.
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Anders als bei dem für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts erforderlichen Zeitraum, der mit dem rechtmäßigen Aufenthalt des Betroffenen in dem Aufnahmemitgliedstaat beginnt, ist der für die Gewährung des verstärkten Schutzes gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU erforderliche Aufenthalt von zehn Jahren vom Zeitpunkt der Verlustfeststellung dieser Person an zurückzurechnen (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2014 – C-400/12 – juris Rn. 24, 28 i.B.a. Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EG). Der zehnjährige Zeitraum muss überdies grundsätzlich ununterbrochen sein. Insbesondere die Verhängung von Freiheitsstrafen ohne Bewährung ist hinsichtlich der Bewertung der Integrationsbindungen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geeignet, deutlich zu machen, dass der Betroffene die von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats in dessen Strafrecht zum Ausdruck gebrachten Werte nicht beachtet (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2014 – C-400/12 – juris Rn. 31; VG München, U.v. 18.5.2022 – M 12 K 21.6094 – juris Rn. 39). Der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen ist grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthalts i.S.d. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich diese Person vor dem Freiheitsentzug zehn Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Dieser Umstand kann gleichwohl bei der umfassenden Beurteilung berücksichtigt werden, die für die Feststellung, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind, vorzunehmen ist (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2014 – C-400/12- juris Rn. 38; U.v. 17.4.2018 – C-316 und C-424/16 – juris Rn. 70 ff.). Zu den im Rahmen dieser Beurteilung zu berücksichtigenden Gesichtspunkten gehören dabei insbesondere die Stärke der vor der Inhaftierung des Betroffenen zum Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsbande, die Art der die verhängte Haft begründenden Straftat und die Umstände ihrer Begehung sowie das Verhalten des Betroffenen während des Vollzugs (vgl. EuGH, U.v. 17.4.2018 – C-316 und C-424/16 – juris Rn. 83). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass je fester die Integrationsbande zum Aufnahmemitgliedstaat insbesondere in gesellschaftlicher, kultureller und familiärer Hinsicht sind – in einem Maße beispielsweise, dass sie zu einer echten Verwurzelung in der Gesellschaft dieses Staates geführt haben – umso geringer die Wahrscheinlichkeit sein wird, dass eine Verbüßung einer Freiheitsstrafe zu einem Abreißen der Integrationsbande und damit zu einer Diskontinuität des Aufenthalts von zehn Jahren i.S.d. Art. 28 Abs. 3 Buchst. a) RL 2004/38/EG (hier § 6 Abs. 5 FreizügG/EU) geführt haben kann (vgl. EuGH, U.v. 17.4.2018 – C-316 und C-424/16 – juris Rn. 72; BayVGH, U.v. 29.1.2019 -10 B 18.1094 – juris Rn. 40).
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Nach diesem Maßstab ist davon auszugehen, dass das Integrationsband des Klägers ins Bundesgebiet schon vor seiner im Zeitpunkt der Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheids anhaltenden Inhaftierung am 4. Juli 2023 abgerissen war. Denn er war zuvor schon zu mehreren Haftstrafen verurteilt worden, die auch vollstreckt wurden. Der Kläger befand sich in Haft aufgrund der Verurteilung vom 8. Oktober 2013/15. April 2014 zu drei Jahren Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung (nachdem die nachträglich gewährte Bewährung widerrufen worden war) und aufgrund der Verurteilung vom 26. September 2019 zu fünf Monaten Freiheitsstrafe wegen Bedrohung. Die Inhaftierung erstreckte sich letztlich bis Oktober 2020. Es sind keine durchgreifenden Aspekte ersichtlich, die in einer Gesamtbewertung dazu führen, dass trotz der Vollstreckung der Freiheitsstrafen die Integrationsbande aufrechterhalten blieben. Denn der 1959 geborene Kläger kann zwar – mit zwei mehrjährigen Unterbrechungen – auf einen Aufenthalt im Bundesgebiet seit seiner Kindheit und auch einen damit verbundenen Schulbesuch verweisen, jedoch konnte er sich trotz dieser langen Zeit weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich nachhaltig integrieren. Allein aus einem langen Aufenthalt kann nicht auf eine Kontinuität und entsprechende starke Verwurzelung geschlossen werden (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2021 – 19 ZB 18.104 – juris Rn. 14; VG München, U.v. 24.11.2016 – M 12 K 16.2918 – juris Rn. 56). Der Kläger beendete die Schule im Bundesgebiet ohne Abschluss, ging hier nur teilweise beruflichen Tätigkeiten nach, die zudem eher als gering qualifiziert anzusehen sind, und blieb ledig und kinderlos. Zu seiner wohl im Bundesgebiet wohnenden Schwester, seiner einzigen lebenden Familienangehörigen, hat er schon seit Jahren keinen Kontakt. Aus den von dem Kläger begangenen Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und die persönliche Freiheit, weswegen er schon vor der anlassgebenden Tat zu Freiheitsstrafen verurteilt wurde, wird deutlich, dass er die gesellschaftlichen Grundwerte der Bundesrepublik Deutschland nicht verinnerlicht und akzeptiert hat. Gegenüber dem Kläger wurde die nachträglich gewährte Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung widerrufen, weil er während offener Bewährung wieder straffällig wurde. Er respektierte die Gesetze und damit die Werte der Bundesrepublik nicht einmal dann, wenn er einem besonderen Wohlverhaltensdruck durch die Bewährungszeit ausgesetzt war.
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Selbst wenn die genannten Strafvollstreckungen nicht zu einem Abreißen der Integrationsverbindung des Klägers mit der Bundesrepublik geführt haben, so ist (spätestens) mit der Inhaftierung aufgrund der Verurteilung vom 2. Dezember 2022 zu sechs Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe wegen der Betäubungsmitteldelikte ein Abreißen eingetreten, so dass der besondere Ausweisungsschutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU dem Kläger nicht zustand. Durch diese abgeurteilten Straftaten hat der Kläger eindeutig und wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass er die Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik nicht achtet. Diese mehrjährige Freiheitsstrafe wurde verhängt, da der Kläger über einen mehrmonatigen Zeitraum hinweg Betäubungsmitteldelikte beging (unerlaubter Besitz und – auch bewaffneter – Handel). Betäubungsmitteldelikte gehören zu den schweren, Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten (vgl. Art. 83 Abs. 1 Unterabschnitt 2 AEUV). Er hat mit dieser massiven Straffälligkeit, die zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe führte, zum Ausdruck gebracht, den Werten der Bundesrepublik, die im Strafrecht zum Ausdruck kommen, keine Bedeutung beizumessen. Demgegenüber sind keine besonderen Faktoren ersichtlich, die trotz dieser mehrjährigen Strafvollstreckung eine anhaltende Integrationsverbindung des Klägers ins Bundesgebiet stützen könnten (s. o.). Die vorzunehmende Gesamtbetrachtung führt daher zu dem Ergebnis, dass die schon vor der Haft abgerissenen bzw. zumindest geschwächten Integrationsbande des Klägers zur Bundesrepublik zum Zeitpunkt der Verlustfeststellung jedenfalls durch die Haft gänzlich abgerissen sind. Aufgrund dieser Diskontinuität des Aufenthalts kann sich der Kläger nicht auf den Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen.
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3. Nach Überzeugung des Gerichts muss aufgrund des persönlichen Verhaltens des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Die Verlustfeststellung ist vorliegend aus schwerwiegenden Gründen i.S.v. § 6 Abs. 4 FreizügG/EU gerechtfertigt. Durch das Tatbestandsmerkmal „schwerwiegend“ wird an das geschützte Rechtsgut angeknüpft, sodass gesteigerte Anforderungen an das berührte Grundinteresse der Gesellschaft zu stellen sind. Die Voraussetzungen sind insbesondere bei drohender Wiederholung von Verbrechen und besonders schweren Vergehen anzunehmen (vgl. in Dienelt in Bergmann/Dienelt, 15. Aufl. 2025, § 6 FreizügG/EU Rn. 73).
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Aus der Straftat, aufgrund derer der Kläger mit Urteil des Landgerichts … vom 2. Dezember 2022 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei tatmehrheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in Tatmehrheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, folgt eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Kläger im August/September 2021 von einem anderweitig Verurteilten bei mindestens zwei Gelegenheiten jeweils 250 Gramm Marihuana erwarb, das er abzüglich eines Eigenkonsumanteils von 50% gewinnbringend an seine Abnehmer weiterveräußerte. Zudem fuhr der Kläger am 27. September 2021 den anderweitig Verurteilten G. mit einem Pkw von … nach …, wo G., wie der Kläger wusste, vom anderweitig Verfolgten F. 100 Gramm Kokain für den gewinnbringenden Weiterverkauf übernahm. Am folgenden Tag fuhr der Kläger den G. wieder zurück nach …, wo G., wie der Kläger wusste, das Kokain gewinnbringend weiterveräußerte. Am 15. Dezember 2021 bewahrte der Kläger zum Zwecke des Eigenkonsums und des gewinnbringenden Weiterverkaufs in seiner Wohnung in … 251,27 Gramm Marihuana, 61 Gramm Haschisch und 2,98 Gramm Kokain auf. Zur gleichen Zeit bewahrte der Kläger in seiner Wohnung, griffbereit auf dem Couchtisch, ein zur Verletzung von Personen geeignetes und hierfür von ihm auch bestimmtes arretierbares Klappmesser mit einer Klingenlänge von zehn Zentimetern auf. In zwei Meter Entfernung versteckte der Kläger eine Teilmenge des Marihuanas in einem Fernsehschrank. Der Kläger konnte das Klappmesser mit einem Handgriff erreichen und umgehend, innerhalb von zwei bis drei Sekunden, öffnen und zum Einsatz bringen.
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Zum Drogenkonsum ist im Strafurteil insbesondere ausgeführt, dass der Kläger erstmals illegale Betäubungsmittel in Form von Cannabisprodukten (Marihuana und Haschisch) im Alter von ca. 15 Jahren konsumierte und sich ein regelmäßiger Konsum einstellte, der sich bis zum 15. Dezember 2021 (Durchsuchung der Wohnung) auf etwa 4 Gramm Marihuana pro Tag steigerte. Zusätzlich konsumierte der Kläger beim Feiern ein- bis zweimal im Monat Kokain in geringen Mengen. Bei der Strafzumessung sah die Strafkammer insbesondere zugunsten des Klägers, dass er selbst betäubungsmittelabhängig ist und die Taten auch beging, um seine eigene Betäubungsmittelabhängigkeit zu finanzieren oder zumindest die Bezugsquelle zu sichern. Die Kammer ordnete die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt an, aufgrund einer bei ihm bestehenden manifesten Cannabisabhängigkeit und des Zusammenhangs zwischen dem Hang des Klägers, berauschende Mittel im Übermaß zu konsumieren, und der abgeurteilten Straftaten. Der Kläger absolviert derzeit, nach einem Vorwegvollzug, eine Drogentherapie und befindet sich kurz vor einer Lockerungsstufe mit Probewohnen in einer eigenen Wohnung. Vor der anlassgebenden Verurteilung war der Kläger schon mehrmals straffällig geworden und befand sich auch schon in Strafhaft. Die ersten Verurteilungen – wegen Betäubungsmitteldelikte – erfolgten schon 1983 und 1988. Es folgte 1989 eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung, weswegen der Kläger in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurde. Nach seiner Abschiebung im Jahr 1990 und seiner Wiedereinreise unter Verstoß gegen das Einreiseverbot im Jahr 1995 wurde er erneut abgeschoben. Im Jahr 2002 reiste er wieder ins Bundesgebiet ein. 2008 wurde er erneut verurteilt, dieses Mal wegen Betrugs. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aufgrund der nachfolgenden Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung wurde zunächst nach einer Teilverbüßung mit Beschluss vom 27. April 2017 zur Bewährung ausgesetzt. Nach zunächst erfolgter Verlängerung der Bewährungszeit wurde die Bewährungsaussetzung mit Beschluss vom 20. November 2019 widerrufen, da der Kläger eine neue vorsätzliche Straftat begangen hat. Diese Straftat war die Bedrohung, weswegen er am 26. September 2019 zu fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Mit Beschluss vom 18. August 2020 wies das Landgericht …, das beim Kläger eine deutliche Gewaltproblematik sah, den Kläger insbesondere an, keine Waffen zu besitzen und sich psychotherapeutisch und/oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen. Führungsaufsicht bis 21. Oktober 2025 wurde angeordnet. Dem Kläger hätte schon alleine aufgrund des vorangegangenen Verfahrens zum Widerruf der Bewährung die Bedeutung eines straffreien Lebens eindeutig bewusst sein müssen, doch trotz dieses immensen und deutlichen Wohlverhaltensdrucks beging er wieder Straftaten, zuletzt gravierende Betäubungsmitteldelikte, sogar unter laufender Führungsaufsicht. Dies zu Grunde gelegt muss davon ausgegangen werden, dass vom Kläger bei einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet die Begehung von weiteren Straftaten, insbesondere von Betäubungsmitteldelikten und Gewaltdelikten, droht. Die Gefahrenprognose wird vor allem getragen durch die jahrelange Betäubungsmittelabhängigkeit, die wiederholte Straffälligkeit (selbst unter laufender Bewährung und Führungsaufsicht), durch die eine nachhaltige Missachtung der Rechtsordnung der Bundesrepublik zum Ausdruck kommt, und die fehlende wirtschaftliche und soziale Integration des Klägers im Bundesgebiet. Hinzu kommt, dass der Kläger in einem eher fortgeschrittenen Alter ist, so dass erfahrungsgemäß eine Veränderung einer jahrzehntelang eingeübten Verhaltensweise und Einstellung zum Rechtssystem sich als eher schwierig erweist. Es sind insbesondere keine Aspekte für ein stabiles soziales Umfeld ersichtlich, das den Kläger künftig vor der Begehung von Straftaten abhalten kann. Das wohl gleichgebliebene soziale Umfeld begünstigt eher einen Rückfall in das jahrelang eingeübte Verhaltensmuster.
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In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gefahren, die von Rauschgiftkriminalität ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13.12 – juris Rn. 12 mit Nachweisen der Rspr. des EuGH und des EGMR; BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 19 ZB 18.1611 – juris Rn. 7). Der Europäische Gerichtshof hat festgestellt, dass der illegale Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten darstellt (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 – C-145/09 – juris Rn. 46). Da die Rauschgiftsucht ein großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit sei, könnte der Handel mit Betäubungsmitteln ein Maß an Intensität erreichen, durch das die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung insgesamt oder eines großen Teils derselben unmittelbar bedroht werden (vgl. EuGH, U. v. 23.11.2010 – C-145/09 – juris Rn. 47). Der vom Kläger betriebene bzw. unterstützte Handel mit Methamphetamin und Kokain, einer sogar harten Droge, gefährdet letztlich auch andere Personen in ihrer Gesundheit und trägt dazu bei, dass diese süchtig werden, aufgrund Rauschgiftsucht erkranken oder sogar zu Tode kommen.
39
Die erkennende Kammer sieht, dass der Kläger die Drogentherapie, die ihm im Rahmen einer Maßregel im Strafurteil vom 2. Dezember 2022 auferlegt wurde, bislang wohl erfolgreich absolviert und kurz vor der nächsten Lockerungsstufe, dem Probewohnen, steht. Bei Straftaten, die – wie hier – auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Verlustfeststellung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 27.3.2025 – 10 ZB 23.127 – juris Rn. 19; B.v. 11.10.2022 – 19 ZB 20.2139 – juris Rn. 52; B.v. 29.5.2018 – 10 ZB 17.1739 – juris Rn. 9; U.v. 3.2.2015 – 10 B 14.1613 – juris Rn. 32 m.w.N.). Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12; B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11). Der Kläger hat die Therapie noch nicht erfolgreich beendet. Ihm wurden zwar schon aufeinander aufbauende Lockerungsstufen gewährt, jedoch kann er sich nur im engen Rahmen der festgelegten Therapie samt den damit verbundenen Kontrollen und Terminen bewegen. Der Kläger konnte sich außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs noch nicht in Freiheit bewähren. Die Kammer geht daher im Hinblick auf die längerfristig angelegte ausländerrechtliche Gefahrenprognose und den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter davon aus, dass der Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wieder straffällig wird.
40
Die vorstehenden Ausführungen zu Grunde gelegt wäre im Übrigen die Feststellung des Verlusts des Rechts des Klägers auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland auch dann rechtmäßig, wenn man von einem Ausweisungsschutz nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU ausginge (vgl. zum Schutzumfang ausführlich BayVGH, B.v. 10.12.2014 – 19 ZB 13.2013 – juris Rn. 7 ff.). Denn die getroffene Verlustfeststellung kann auch auf zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit gestützt werden. Zwingende Gründe können hier gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU vorliegen, da der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt worden ist, nämlich zu sechs Jahren und drei Monaten. Zwingend sind nur Gründe, wenn sie noch gewichtiger sind als die schwerwiegenden Gründe der zweiten Stufe nach § 6 Abs. 4 FreizügG (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, 15. Aufl. 2025, § 6 FreizügG/EU Rn. 95). Da, wie soeben dargelegt, Gefahren, die von Rauschgiftkriminalität ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren und vom Kläger insbesondere hinreichend wahrscheinlich die Gefahr der Begehung von Betäubungsmitteldelikten droht (s. o.), liegen auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU vor.
41
4. Die Beklagte hat bei Erlass der Verlustfeststellung das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Im Rahmen der gebotenen Ermessensentscheidung ist abzuwägen, ob das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung das private Interesse des Unionsbürgers an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt (vgl. BVerwG, U.v. 3.8.2004 – 1 C 30.02 – juris Rn. 27). Hierbei ist gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
42
Das Gericht kann die Ermessensentscheidung der Beklagten gemäß § 114 Satz 1 VwGO lediglich darauf hin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Gemessen an diesen Vorgaben ist die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Sie hat insbesondere zutreffend die Art und Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten berücksichtigt, sein Alter, die fehlenden familiären Bindungen und seinen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet – unterbrochen durch Aufenthalte im Heimatland aufgrund von Abschiebungen.
II.
43
Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die in Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Befristung der Wirkungen der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts auf die Dauer von sechs Jahren. Rechtsgrundlage ist insoweit § 7 Abs. 2 FreizügG/EU. Dabei ist jeweils auf die aktuelle Tatsachenlage im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung abzustellen (vgl. EuGH, U.v. 17.6.1997 – C-65/95, C-111/95 – juris Rn. 39 ff.). Die Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf fünf Jahre nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU – wie hier – überschreiten (§ 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU). Eine Höchstfrist für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU ist gesetzlich nicht vorgesehen (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18.14 – juris Rn. 23). Die Beklagte kommt unter Berücksichtigung aller für und gegen den Kläger sprechenden bekannten Umstände zum Ergebnis, die Wirkung der Verlustfeststellung auf die Dauer von sechs Jahren zu befristen. Diese Frist erscheint auch der Kammer im Hinblick auf die von dem Kläger ausgehenden Gefahren und der fehlenden familiären Bindungen im Bundesgebiet für angemessen, insbesondere verhältnismäßig.
III.
44
Ist die Verlustfeststellung rechtmäßig, so begegnen auch den in Ziffern III und IV verfügten ausländerrechtlichen Annexmaßnahmen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU keine rechtlichen Bedenken.
45
Die Klage war somit vollumfänglich abzuweisen.
IV.
46
Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.