Titel:
Kein Herausgabeanspruch bei beeinträchtigenden Schenkungen nach Vereinbarung eines Rechts zum Rücktritt von einem Erbvertrag
Normenkette:
BGB § 2287
Leitsätze:
1. Die bloße Vereinbarung eines Rücktrittsrechts schließt, soweit die Voraussetzungen für dessen Ausübung bei der Schenkung vorliegen, eine objektive Beeinträchtigung des Vertragserben im Sinne von § 2287 Abs. 1 BGB aus, ohne dass der Rücktritt erklärt werden müsste. Ein Rücktrittsvorbehalt lässt zwar die erbrechtliche Bindungswirkung unberührt, er schwächt aber diese Wirkung erheblich ab, so dass eine berechtigte Erberwartung des Vertragserben nicht enttäuscht werden kann. (Rn. 29)
2. Die Vertragsparteien eines Erbvertrags können sich auch durch einen notariellen Nachtrag zu diesem ein Rücktrittsrecht nachträglich rechtswirksam vorbehalten. In diesem Fall entfällt die Grundlage für etwaige, bereits „angelegte“ Ansprüche aus § 2287 Abs. 1 BGB rückwirkend. (Rn. 32)
1. Eine Schenkung löst einen Anspruch nach § 2287 BGB aus, wenn und soweit sie die "berechtigte Erberwartung" des Vertragserben beeinträchtigt, der Erblasser also entgegen der von ihm durch den Erbvertrag eingegangenen Bindungen handelt. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird in einem Nachtrag zu einem Erbvertrag ein voraussetzungsloses Recht zum Rücktritt "von diesem Erbvertrag" vereinbart, so ist das dahin auszulegen, dass sich das Rücktrittsrecht nicht nur auf den Nachtrag, sondern auf den Erbvertrag insgesamt bezieht. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein nachträglich vereinbartes Recht zum Rücktritt von einem Erbvertrag entzieht auch im Fall von Schenkungen vor dieser Vereinbarung einem Herausgabeanspruch nach § 2287 BGB die Grundlage. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erbvertrag, Bindungswirkung, Beeinträchtigende Schenkung, Rücktrittsrecht, Rücktrittsvorbehalt, Schenkungen des Erblassers, Vertragserbe, nachträgliche Vereinbarung
Vorinstanz:
LG Regensburg, Endurteil vom 14.02.2024 – 71 O 799/21 Erb
Rechtsmittelinstanz:
BGH vom -- – IV ZR 256/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 30321
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 14. Februar 2024, Az. 71 O 799/21 Erb, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 186.801,33 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien sind die einzigen Kinder des am ... 2018 verstorbenen Erblassers und der Erblasserin, die zwischenzeitlich nach Anhängigkeit des Berufungsverfahrens am ... 2024 ebenfalls verstorben ist.
2
Der Erblasser und seine Ehefrau schlossen am 30. Juni 1969 einen Erbvertrag (Anlage K 2), in dem u.a. folgendes vereinbart war:
Nunmehr vereinbaren wir …, und …, geb. …, durch diesen Erbvertrag in einseitig unwiderruflicher Weise was folgt:
1.) Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen Vorerben ein. Der Vorerbe ist von den gesetzlichen Beschränkungen und Verpflichtungen befreit, soweit eine Befreiung überhaupt zulässig ist. Der Fall der Nacherbfolge tritt ein beim Tod des überlebenden von uns. Nacherben sind unsere Abkömmlinge nach gleichen Stammteilen.
2.) Zu Erben des Letztversterbenden von uns setzen wir ebenfalls unsere Abkömmlinge nach gleichen Stammteilen ein.
3.) Sollte ein Abkömmling nach Eintritt des Erbfalls seinen Pflichtteil verlangen, so scheidet er sowohl als Nacherbe als auch als Erbe des Letztversterbenden von uns aus.
4.) Dem Überlebenden von uns, also dem Vorerben, bleibt das Recht vorbehalten, durch letztwillige Verfügung Teilungsanordnungen zu treffen.
5.) Wir nehmen vorstehende Verfügungen von Todes wegen als vertraglich bindend an.“
3
In einem notariellen Nachtrag zum Erbvertrag vom 15. September 2015 (Anlage K 11) wurde von den Erblassern klargestellt, dass Nacherben beim Tod des Erstversterbenden und Schlusserben beim Tod des Zweitversterbenden jeweils die gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen sein sollten. Ferner wurden durch den länger lebenden Ehegatten Vermächtnisse ohne Anrechnung auf den Erbteil ausgesetzt. Der Kläger sollte vermächtnisweise das Eigentum an einem Mehrfamilienhaus in Gl. und an einer Eigentumswohnung in M. , die Beklagte das Eigentum an zwei Eigentumswohnungen in R. erhalten. Ferner vereinbarten die Erblasser in II. 3) des Nachtrags folgende Abänderungsbefugnis:
Der Überlebende von uns soll jedoch nach dem Tode des Erstversterbenden von uns berechtigt sein, durch einseitige Verfügung von Todes wegen seinen eigenen Nachlass unter unseren gemeinsamen Abkömmlingen anders aufzuteilen als in dieser Urkunde festgelegt, insbesondere die Erbquote bis hin zur Enterbung beliebig festzulegen, Vermächtnisse auszusetzen, abzuändern und aufzuheben, überhaupt jede beliebige Anordnung zu treffen, auch Testamentsvollstreckung. Andere Personen als unsere gemeinsamen Abkömmlinge dürfen dabei jedoch nicht begünstigt werden.“
4
Ferner vereinbarten die Erblasser in Ziff. III) des Nachtrags folgendes:
Die Bindungswirkung dieses Erbvertrages und die Möglichkeiten und Formen der Abänderung und Aufhebung dieses Erbvertrages sind uns bekannt; im Hinblick hierauf behält sich jeder Vertragsteil das Recht zum Rücktritt von diesem Erbvertrag vor. Über Voraussetzungen und Form des Rücktritts hat der Notar belehrt.“
5
Die Beklagte hatte ab dem 2. Februar 2009 eine General- und Vorsorgevollmacht für den Erblasser und seine Ehefrau (Anlage K9). Seit Anfang des Jahres 2017 hat sie aufgrund körperlicher Einschränkungen des Erblassers die Geldgeschäfte für diesen im Wege der erteilten Generalvollmacht übernommen.
6
Der Erblasser überwies im Zeitraum vom 6. Oktober 2000 bis 13. Oktober 2016 zu verschiedenen Zeitpunkten auf das Konto der Beklagten Beträge in Höhe von insgesamt 111.247,35 €. In erster Instanz war unstreitig, dass der Erblasser zudem im Jahr 2008 die Kosten für die Dachsanierung für das Haus …, dessen Eigentümerin die Beklagte war, in Höhe von insgesamt 18.510,35 € bezahlte.
7
Mit notariellem Überlassungsvertrag vom 11. Juni 2003 (Anlage K4) übertrug der Erblasser der Beklagten eine noch zu vermessende Teilfläche von ca. 365 m², die künftige Bauparzelle 1, von dem damals unbebauten Grundstück im …, Gemarkung Bogen, Flur-Nr. …, eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts Straubing, Grundbuchblatt …, schenkungsweise, unter Anrechnung auf den Pflichtteil und ohne Pflicht zur Ausgleichung. Die tatsächliche Fläche des Grundstücks beträgt 379 m². Die Beklagte errichtete auf dem Grundstück mit der jetzigen Hausnummer 2 für sich ein Haus. Am 11. Mai 2007 übertrug der Erblasser der Beklagten ferner das Eigentum an einem weiteren Grundstücksteil im …, Gemarkung Bogen, Flur-Nr. …, eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts Straubing, Grundbuchblatt …, unentgeltlich im Wege der Schenkung. Dieses Grundstück hat eine Fläche von 368 m².
8
Bei der VbK ... in ... bestanden Konten des Erblassers, die als Nummernkonten mit Unterkonten geführt wurden. Die Beklagte hatte hierfür eine Bankvollmacht. Von den Konten wurden im Zeitraum vom 18. Juli 2003 bis 30. Juli 2013 insgesamt 190.348,60 € abgehoben. Unstreitig hob die Beklagte hierbei die letzten drei Teilbeträge von 20.000,00 € am 17. Juli 2013, 10.000,00 € am 19. Juli 2013 und 69.537,40 € am 30. Juli 2013 ab.
9
Vom Konto Nr. ... des Erblassers bei der Spk. ... wurden 2017 und 2018 bis zur Kontoauflösung am 30. September 2018 insgesamt 21.528,99 € abgehoben, davon noch mehrere Beträge nach dem Tod des Erblassers.
10
Nach diversen Krankenhausaufenthalten war der Erblasser ab März 2018 in einem Pflegeheim untergebracht, wo er auch am ... 2018 verstarb.
11
Nach dem Tod des Erblassers schlug die Erblasserin, vertreten mittels der Generalvollmacht durch die Beklagte, ihr Erbe aus. Die Parteien traten das Erbe des Erblassers damit zu je 1/2 an (vgl. Erbschein, Anlage K 1a). Die Erbengemeinschaft besteht noch aus Immobilienvermögen, die Nachlasskonten sind bereits aufgeteilt.
12
Der Kläger hat die Beklagte wegen ihn als Vertragserben beeinträchtigenden Schenkungen im Sinne des § 2287 Abs. 1 BGB klageweise in Anspruch genommen. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass der Erbvertrag kein Rücktrittsrecht enthalten und umfassende Bindungswirkung entfaltet habe. Ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers an den streitgegenständlichen Schenkungen habe nicht bestanden. Die Beklagte sei daher zur Herausgabe bzw. Wertersatz nach § 2287 Abs. 1, § 818 Abs. 2 BGB verpflichtet.
13
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 64.878,85 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
- 2.
-
Die Beklagte wird verurteilt, einen 1/2 – Miteigentumsanteil an den Immobilien … und …, eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts Straubing von Bogen, BI. … und BI. …, FL-Nr. …, an den Kläger zu übertragen und an diesen aufzulassen.
Hilfsweise für den Fall der Abweisung des Antrags Ziffer 2:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 112.050, – € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
3. Im Wege der Stufenklage wird die Beklagte verurteilt:
a) Auskunft darüber zu erteilen,
- welche Kontoverfügungen und Abhebungen sie von den Konten Nr. ... und Nr. ... des Erblassers Herrn …, geb. ... 1927, verst. ... 2018 bei der Vbk ..., ... vorgenommen hat und
- welche Beträge sie davon vom Erblasser erhalten hat und wo die übrigen Beträge verblieben sind.
b) einen Betrag in noch zu beziffernder Höhe an den Kläger zu bezahlen, der sich aus der Auskunftserteilung gemäß Ziffer 3a als Anspruch gemäß § 2287 BGB ergibt nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
4. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger weitere 10.764,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
14
Die Beklagte hat beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
15
Das Landgericht Regensburg hat mit Endurteil vom 14. Februar 2024 der Klage nur teilweise stattgegeben. Unter Abweisung des weitergehenden Klageantrags zu 1) hat es die Beklagte zur Zahlung eines Betrags in Höhe von 24.545,85 € verurteilt. Ferner hat es unter Abweisung des auf Herausgabe der Grundstücksschenkungen gerichteten Hauptantrags zu 2) die Beklagte auf den Hilfsantrag hin zur Zahlung eines weiteren Betrags in Höhe von 43.184,50 € verurteilt. Den Klageantrag zu 3) (Stufenklage) und den Klageantrag zu 4) hat das Erstgericht abgewiesen. Zur Begründung hat das Erstgericht ausgeführt, dass dem Kläger betreffend die Klageanträge zu 1) und 2) ein Anspruch aus § 2287 Abs. 1, § 812 Abs. 2 BGB entsprechend seiner Erbquote dem Grunde nach zustehe. Die Summe der mit dem Klageantrag zu 1) herausverlangten Schenkungen betrage aber nicht – wie vom Kläger geltend gemacht – 129.757,70 € (111.247,35 € [Überweisungen] + 18.510,35 € [Dachreparatur]), sondern nur 49.091,70 €, wovon dem Kläger ein Bruchteil von ½, also 24.545,85 € zustehe. Auch wenn dem Kläger grundsätzlich wegen der Grundstücksschenkungen ein Anspruch auf Herausgabe nach § 2287 Abs. 1 BGB zustehe, könne dieser wegen der von der Beklagten zulässigerweise vorgenommenen Bebauung unter Berücksichtigung der „Wertungen, die in § 818 Abs. 3 und auch § 242 BGB“ ihren Niederschlag gefunden hätten, nicht die Rückgabe der Grundstücke verlangen, sondern nur Wertersatz.
16
Gegen dieses Urteil richten sich die Berufungen des Klägers und der Beklagten. Der Kläger greift die Abweisung der Stufenklage (Klageantrag zu 3) nicht an und verfolgt im Übrigen die erstinstanzlichen Klageanträge, soweit sie nicht zuerkannt wurden, im Wesentlichen weiter. Die Beklagte begehrt die vollständige Abweisung der Klage.
17
Der Kläger beanstandet, dass das Erstgericht bei der Bemessung der Höhe des zuerkannten Anspruchs aus § 2287 Abs. 1 BGB die Einzahlung des Erblassers auf die Lebensversicherung der Beklagten in Höhe von 50.000,00 € und die Zahlungen mit dem Betreff „M M Studium L“ nicht berücksichtigt habe. Ferner rügt der Kläger, dass das Erstgericht die Beklagte auf den Hauptantrag des Klageantrag zu 2) hin nicht zur Herausgabe der schenkungsweise übertragenen Grundstücke, sondern nur auf Wertersatz verurteilt habe. Der Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB gehe auf Herausgabe des Geschenks und nicht auf Wertersatz. Falls aber nur ein Wertersatzanspruch bestehen würde, würde sich dieser entgegen der Ansicht des Erstgerichts nicht nach dem Wert zum Übertragungszeitpunkt, sondern nach dem Wert im Zeitpunkt des Herausgabeverlangens, also dem Schluss der mündlichen Verhandlung, hilfsweise dem Erbfall, bemessen.
Das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 14.02.2024 (Az.: 71 O 799/21 Erb) wird teilweise wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 64.878,85 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab 23.04.2021 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, einen 1/2-Miteigentumsanteil an den Immobilien … und …, eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts Straubing von Bogen, Blatt … und Blatt …, Flur-Nr. … an den Kläger zu übertragen und an diesen aufzulassen.
Hilfsweise für den Fall, der Abweisung des Antrags Ziffer 2:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 112.050 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über den Basiszinssatz ab 23.04.2021 zu bezahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 9.872,48 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über den Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
19
Die Beklagte beantragt,
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
20
Die Beklagte hält das Ersturteil, soweit die Klage abgewiesen wurde, für rechtsfehlerfrei. Sie ist aber der Ansicht, dass das Erstgericht den Klageantrag zu 1) vollständig abweisen hätte müssen. Die Beklagte trägt hierzu vor, dass ihr der Grund der Überweisung vom 6. Oktober 2020 in Höhe von 30.000,00 DM (15.338,75 €) in erster Instanz zunächst nicht mehr erinnerlich gewesen sei, weshalb sie sich hierzu nicht geäußert habe. Der Erblasser habe ihr mit dieser Überweisung aus einer Notlage geholfen, weil sie Geld zum Kauf eines PKW und Unterstützung für ihren laufenden Lebensbedarf und den ihrer beiden Töchter benötigt hätte. Die Schenkung habe daher einer sittlichen Pflicht entsprochen. Außerdem sei die Zuwendung für die Lebensführung verbraucht worden, so dass ein Anspruch des Klägers wegen Entreicherung ausscheide. Das Landgericht hätte dem Kläger auch nicht aus der Summe der Aufwendungen in Höhe seines hälftigen Erbteils einen Betrag in Höhe von 7.226,23 € zusprechen dürfen. Mit Ausnahme der von dem Erblasser am 15. September 2009 bezahlten Grunderwerbsteuer in Höhe von 884,00 € bezögen sich sämtliche weitere Abbuchungen auf Handwerkeraufträge, die der Erblasser, ohne die Beklagte vorher gefragt zu haben, erteilt habe. In erster Instanz habe sie aufgrund ihrer Mehrfachüberlastung auch übersehen, dass sie, die Beklagte, die Kosten der Dachsanierung in Höhe von 18.510,35 € selbst bezahlt habe. Der Erblasser habe – entgegen der Annahme des Erstgerichts – keine einzige Zahlung auf die Dachsanierung geleistet. Die Beklagte ist der Ansicht, dass das Erstgericht wegen der erhaltenen Grundstücksschenkungen dem Kläger zu Unrecht einen Betrag in Höhe von 43.184,50 € zugesprochen habe. Ein Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB bestehe nicht, da der Erblasser mit diesen Schenkungen ein anzuerkennendes lebzeitiges Eigeninteresse verfolgt habe. Im Übrigen habe das Erstgericht den Wert der Schenkungen zu hoch bewertet. Es hätte nur den Wert für unerschlossene Baugrundstücke und damit den Bodenrichtwert in Höhe von 61,00 €/m² ansetzen dürfen.
21
Die Beklagte rechnet hilfsweise mit Gegenforderungen, gestützt auf § 2287 Abs. 1 BGB, in Höhe von insgesamt 111.247,14 € sowie wegen eines schenkungsweisen Teilerlasses von Darlehensschulden in Höhe von 115.191,56 € auf.
22
Die Beklagte beantragt,
Unter Abänderung des am 14.02.2024 verkündeten Endurteils des Landgerichts Regensburg, AZ 71 O 799/21 wird die Klage abgewiesen.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
24
Der Kläger hält die Berufung der Beklagten für unbegründet.
25
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
26
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts steht dem Kläger aus keinem Rechtsgrund ein Anspruch gegen die Beklagte als Beschenkte auf Zahlung eines Betrags in Höhe von 24.545,85 € und eines weiteren Betrags in Höhe von 43.183,50 € zu. Der Kläger hat einen Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB, der als einzige Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, nicht schlüssig vorgetragen.
27
0. Eine Schenkung löst einen Anspruch nach § 2287 BGB aus, wenn und soweit sie die „berechtigte Erberwartung“ des Vertragserben beeinträchtigt (Staudinger/Raff (2022), BGB, § 2287 Rn. 26). Nur wenn der Erblasser entgegen der von ihm durch den Erbvertrag eingegangenen Bindungen handelt, kann ein Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB entstehen (MüKoBGB/Musielak, a.a.O., § 2287 Rn. 10). Deshalb greift § 2287 Abs. 1 BGB zugunsten des Vertragserben nicht ein, wenn dem Erblasser durch den Erbvertrag das Recht eingeräumt worden ist, über den Nachlass des zuerst Verstorbenen frei zu verfügen oder wenn er Gegenstände verschenkt, die er trotz des Erbvertrags auch durch Verfügung von Todes wegen dem Beschenkten hätte zukommen lassen können (MüKoBGB/Musielak, a.a.O.; Grüneberg/Weidlich, BGB, 84. Aufl., § 2287 Rn. 5; BeckOGK/Müller-Engels, a.a.O., § 2287 Rn. 41).
28
Ferner soll § 2287 BGB nach der einen Ansicht in der Literatur nicht greifen, wenn ein Rücktrittsvorbehalt vereinbart worden ist, sofern die Voraussetzungen für dessen Ausübung bei der Schenkung vorlagen (Grüneberg/Weidlich, a.a.O., NK-BGB/Claus-Henrik Horn, § 2287 Rn. 37a; Schindler, ErbR 2015, 526, 530). Andere Stimmen in der Literatur sind hingegen der Ansicht, dass das bloße Vorhandensein eines Rücktrittsvorbehalts nicht genügen soll, um eine objektive Beeinträchtigung des Vertragserben aufgrund der Schenkung auszuschließen (BeckOGK/Müller-Engels, a.a.O.; Staudinger/Raff (2022), § 2287 Rn. 89). Begründet wird diese Auffassung damit, dass der Erbvertrag trotz Rücktrittsvorbehalts seine erbrechtliche Bindungswirkung entfalte, die erst mit der (zudem formbedürftigen) Ausübung des Rücktrittsrechts ende. Allerdings könne „im Rahmen der Missbrauchsprüfung“ der Rücktrittsvorbehalt ein „Gesichtspunkt“ sein (Staudinger/Raff (2022), a.a.O.).
29
Der Senat hält die zuerst genannte Ansicht, wonach bereits die Vereinbarung eines Rücktrittvorbehalts, soweit nur die Voraussetzungen für seine Ausübung bei der Schenkung vorliegen, dazu führt, dass keine objektive Beeinträchtigung des Vertragserben vorliegt, für überzeugender. Es ist zwar rechtsdogmatisch zutreffend, dass bei einem Rücktrittsvorbehalt, solange der Rücktritt nicht erklärt ist, der Vertrag bestehen bleibt und erbrechtlich bindend ist. Die Bindungswirkung ist aber im Verhältnis zum Vertragserben von vornherein erheblich abgeschwächt, so dass keine berechtigte Erberwartung enttäuscht werden kann. Der Erblasser ist nicht endgültig gebunden, weil er sich jederzeit vom Erbvertrag und seiner Bindung an eine erbvertragsmäßige Erbeinsetzung durch Ausübung des Rücktrittsrechts lösen könnte. Mit Blick auf den Schutzzweck des § 2287 Abs. 1 BGB ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entscheidend, dass die „berechtigten Erberwartungen“ des Vertragserben beeinträchtigt werden. Hat sich der Erblasser – wie hier – ein freies Rücktrittsrecht vorbehalten, kann der Erblasser zu Lebzeiten dem Vertragserben jederzeit sein Erbrecht durch eine (formgerechte) einseitige Rücktrittserklärung wieder entziehen. Es kann daher, solange das Rücktrittsrecht ausgeübt werden könnte, auch keine berechtigte Erberwartung des Vertragserben entstehen. Durch das bloße Vorhandensein eines freien Rücktrittsvorbehalts und der damit verbundenen Abschwächung der Bindungswirkung entfällt die Schutzbedürftigkeit des erbvertragsmäßig Bedachten. Wenn sich der Erblasser – wie hier – durch die Ausübung des in einem (gegenseitigen) Erbvertrag vorbehaltenen Rücktrittsrechts vollständig von diesem lösen kann, muss es ihm als rechtliches Minus erst recht erlaubt sein, unter Beibehaltung des Vertrags und der darin bestimmten Einsetzung des Vertragserben lebzeitige Schenkungen vorzunehmen. Auch von Vertretern der Gegenansicht wird Übrigens darauf hingewiesen, dass der Rücktrittsvorbehalt bei der Missbrauchsprüfung ein Gesichtspunkt sein könne (vgl. Staudinger/Raff (2022), § 2287 Rn. 89). Für die Anfechtung des Erbvertrags ist nach herrschender Meinung anerkannt, dass die bloße Anfechtbarkeit der bindenden Verfügung von Todes wegen dazu führt, dass keine objektive Beeinträchtigung mehr vorliegt (NK-BGB/Claus-Henrik Horn, a.a.O., § 2287 Rn. 37). Der Hinweis der Gegenansicht, dass es bei dem Anfechtungsrecht um die Beseitigung von Willensmängeln gehe, weshalb die Problematik nicht vergleichbar sei (BeckOGK/Müller-Engels, 17.2025, § 2287 Rn. 53), hält der Senat nicht für überzeugend. Entscheidend ist nicht die unterschiedliche Zweckrichtung, sondern dass es sich sowohl beim Rücktritt als auch bei der Anfechtung um Gestaltungsrechte handelt, die erst bei ihrer tatsächlichen Ausübung die Wirksamkeit des Erbvertrags beseitigen bzw. zur Aufhebung eines (gegenseitigen) Erbvertrags führen. Der Erbvertrag behält – ebenso wie beim Rücktrittsvorbehalt – auch bei einer Anfechtbarkeit seine erbrechtliche Bindungswirkung, solange die Anfechtung nicht wirksam erklärt wird (vgl. Spellenberg, NJW 1986, 2531, 2534). Es wäre daher ein nicht gerechtfertigter Wertungswiderspruch, würde man beim Rücktrittsvorbehalt anders als bei der Anfechtung dessen tatsächliche Ausübung verlangen.
30
1. Nach diesen Maßstäben fehlt es bei sämtlichen streitgegenständlichen Schenkungen an einer notwendigen objektiven Beeinträchtigung des Klägers als Vertragserben.
31
a) Die Bindungswirkung des Erbvertrags wurde durch eine rechtswirksame, nachträgliche Vereinbarung eines voraussetzungslosen Rücktrittsrechts erheblich eingeschränkt und abgeschwächt, so dass praktisch keine berechtigte Erberwartung des Vertragserben mehr enttäuscht werden konnte.
32
Die Vertragsparteien haben im ursprünglichen Erbvertrag vom 30. Juni 1969 ihre Abkömmlinge und damit auch den Kläger durch erbvertragsmäßige Verfügung zum Nacherben des Erstversterbenden und zum Schlusserben des Zuletztversterbenden bestimmt, ohne sich eine Abänderungsbefugnis oder ein Rücktrittsrecht vorzubehalten. Die Erblasser haben aber im Erbvertragsnachtrag vom 15. September 2015 nicht nur eine weitgehende Abänderungsbefugnis in Ziff. II 3) vereinbart, sondern sich darüber hinaus in Ziff. III. – ohne Bedingungen oder Einschränkungen – das „Recht zum Rücktritt von diesem Erbvertrag“ vorbehalten. Eine solche nachträgliche Vereinbarung eines Rücktrittsrechts ist rechtswirksam. Denn der Vorschrift des § 2293 BGB, dass sich der Erblasser den Rücktritt im „Vertrage“ vorbehalten muss, kann auch dadurch genügt werden, dass die Parteien des Erbvertrags in einem Nachtragsvertrag eine entsprechende Vereinbarung treffen (MüKoBGB/Musielak, 9. Aufl., § 2293 Rn. 4).
33
Mit der auslegungsbedürftigen Formulierung, dass sich jeder Vertragsteil das Recht zum Rücktritt „von diesem Erbvertrag“ vorbehalte, ist bei objektivierter Auslegung (§§ 133, 157 BGB) nicht nur ein Rücktritt vom Nachtrag zum Erbvertrag, sondern vom gesamten Erbvertrag mit den im Nachtrag vereinbarten Modifikationen gemeint. Hierfür spricht schon, dass sich der Rücktrittsvorbehalt nach dem Wortlaut auf diesen „Erbvertrag“ und nicht auf den „Nachtrag zum Erbvertrag“, der ausdrücklich als solcher überschrieben ist, bezieht. Diese Wortwahl spricht dafür, dass die Vertragsparteien von einem einheitlichen, durch den Vertragsnachtrag modifizierten „Erbvertrag“ ausgegangen sind. Es würde auch wenig Sinn ergeben, den Rücktritt auf den Nachtragsvertrag mit der Folge zu beschränken, dass im Falle des Rücktritts der ursprüngliche Erbvertrag, der keine Rücktrittsmöglichkeit und keine Abänderungsbefugnis vorsah, „wiederaufleben“ würde. Die Vertragsparteien haben damit nachträglich ein voraussetzungsloses, freies Rücktrittsrecht für den gesamten Erbvertrag vereinbart. Sie haben durch die Vereinbarung eines solchen umfassenden Vorbehalts, der sämtliche im Erbvertrag enthaltenen Verfügungen betraf, der Sache nach ihren Willen zum Ausdruck gebracht, dass die betreffenden Verfügungen nur einseitig angeordnet sein sollen (vgl. BeckOGK/Röhl, 1.5.2025, § 2278 Rn. 30).
34
Bei der zunächst vorzunehmenden Prüfung der Schlüssigkeit der Klage ist der Einwand der Beklagten, dass die Erblasserin ... bei Abschluss des Erbvertragsnachtrags am 15. September 2015 geschäftsunfähig gewesen sei, nicht relevant. Es kommt hierbei nur auf den Klägervortrag an. Der Kläger hat aber eine Geschäftsunfähigkeit bzw. Testierunfähigkeit der Erblasserin in diesem Zeitpunkt nach den nicht angegriffenen tatbestandlichen Feststellungen des Erstgerichts bestritten und auf dieser Grundlage die Rechtsansicht vertreten, dass der Erbvertragsnachtrag wirksam sei (vgl. auch Schriftsatz vom 6.9.2022, S. 3, Bl. 146 d.A.). Auch im Berufungsverfahren hat der Kläger ausdrücklich eine Testierunfähigkeit der Erblasserin zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertragsnachtrags bestritten (Schriftsatz vom 13. August 2024, S. 11, Bl. 86 d.A.).
35
b) Das bloße Vorhandensein des von den Erblassern damit jeweils wirksam vereinbarten umfassenden Rücktrittsvorbehalts im notariellen Nachtrag zum Erbvertrag vom 15. September 2015 hat nach der vorgenannten Literaturansicht, welcher der Senat folgt, ohne weiteres zur Folge, dass die danach vorgenommenen Schenkungen die berechtigte Erberwartung des Klägers als Vertragserben nicht mehr beeinträchtigten. Gegen eine Beeinträchtigung des Klägers spricht ferner, dass die vertragsschließenden Erblasser im Nachtrag zum Erbvertrag auch noch eine weitreichende „Abänderungsbefugnis“ in Ziff. II 3) vereinbart haben, die es dem „Überlebenden“ nach dem Tod des Erstversterbenden gestattete, durch einseitige Verfügung von Todes wegen den eigenen Nachlass unter den gemeinsamen Abkömmlingen anders aufzuteilen als in dieser Urkunde festgelegt, insbesondere die Erbquote bis hin zur Enterbung beliebig festzulegen, Vermächtnisse auszusetzen, abzuändern und aufzuheben, überhaupt jede beliebige Anordnung zu treffen, auch Testamentsvollstreckung. Der Erblasser hätte somit der Beklagten aufgrund dieser Abänderungsbefugnis die schenkungsweise überlassenen Gegenstände durch Verfügung von Todes wegen auch vermächtnisweise zuwenden dürfen. Zwar galt die Abänderungsbefugnis nach dem Wortlaut erst „nach dem Tod des Erstversterbenden“. Es ist aber fraglich, ob dieses Abänderungsrecht nach dem Willen der Vertragsparteien nicht „erst recht“ schon zu Lebzeiten beider Vertragsparteien gelten sollte. Ungeachtet dessen ist hier maßgebend, dass bei denjenigen Schenkungen, die der Erblasser nach Abschluss des Nachtrags zum Erbvertrag vorgenommen hat, diese Bedingung eintreten hätte können, so keine berechtigte Erberwartung des Klägers entstehen konnte.
36
Für die vor dem Abschluss des notariellen Nachtrags zum Erbvertrag vorgenommenen Schenkungen, wie insbesondere die schenkungsweisen Grundstücksübertragungen vom 11. Juni 2003 und 11. Mai 2007, ist durch die nachträgliche Vereinbarung des voraussetzungslosen Rücktrittsrechts die Grundlage etwaiger bereits angelegter Ansprüche aus § 2287 Abs. 1 BGB rückwirkend entfallen. Die Ansprüche gemäß §§ 2287 f. BGB hängen vom Bestand des Erbvertrags ab (vgl. Staudinger/Raff (2022), BGB, § 2287 Rn. 96). Der Schutz entfällt also beispielsweise bei Aufhebung des Erbvertrags (§§ 2290 ff. BGB) oder bei einem Rücktritt (§§ 2293 ff., § 2298 Abs. 2 BGB) oder Anfechtung (§§ 2281 ff. BGB; vgl. Staudinger/Raff (20022), a.a.O.). Wenn also die Vertragsparteien sogar den gesamten Erbvertrag wieder aufheben können und damit auch etwaigen, bereits angelegten Ansprüchen aus § 2287 BGB die Grundlage (wieder) entziehen können, muss diese Rechtswirkung auch für einen nachträglich vereinbarten Rücktrittsvorbehalt und die damit einhergehende Abschwächung der Bindungswirkung des Erbvertrags gelten mit der Folge, dass der Bedachte auch in diesem Fall keinen Anspruch wegen etwaiger früherer beeinträchtigender Schenkungen aus § 2287 Abs. 1 BGB mehr hat.
37
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 2287 Abs. 1 BGB liegen somit für sämtliche streitgegenständliche Schenkungen nicht vor. Da die zuerkannten Ansprüche auch nicht auf andere Anspruchsgrundlagen gestützt werden können, ist die Berufung der Beklagten gegen die Verurteilung zur Zahlung eines Betrags in Höhe von 24.545,85 € und eines weiteren Betrags in Höhe 43.183,50 € begründet.
38
Die Berufung des Klägers ist unbegründet.
39
0. Der Kläger rügt, dass das Erstgericht einzelne Positionen aus dem Klageantrag zu 1) zu Unrecht nicht zugesprochen habe. Das Erstgericht habe rechtsfehlerhaft einen Anspruch aus dieser Vorschrift betreffend die Übertragung der Lebensversicherung Standard Life im Wert von 50.000,00 € und die Zahlungen mit dem Betreff „B M Studium L“ über 15.000,00 € und 3.150,00 € nicht zuerkannt.
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Die Rüge ist nicht begründet. Ein weitergehender Anspruch aus § 2287 Abs. 1 BGB besteht schon deshalb nicht, weil – wie bereits ausgeführt – die Anspruchsvoraussetzungen mangels objektiver Beeinträchtigung des Klägers als Vertragserbe nicht erfüllt sind.
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1. Ohne Erfolg beanstandet der Kläger, dass das Erstgericht zwar einen Herausgabeanspruch betreffend die beiden Grundstücksschenkungen angenommen habe, dann aber mit Blick auf die vorgenommene Bebauung nur auf Wertersatz erkannt habe. In Betracht kommt als Anspruchsgrundlage nur § 2287 BGB. Der Kläger behauptet nicht, wie es die Beklagte vorträgt, dass die Erblasserin bei Abschluss des Übergabevertrags geschäftsunfähig gewesen sei. Nach dem Klägervortrag (Schlüssigkeitsebene) kommen daher keine Ansprüche aus §§ 812 ff. BGB in Betracht. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 2287 BGB sind aber – wie ausgeführt – nicht erfüllt. Der Berufungsantrag ist daher unbegründet.
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2. Die Berufung des Klägers wendet sich weiterhin gegen die Abweisung des Klageantrags zu 4). Allerdings verfolgt der Kläger die Abhebungen nach dem Erbfall (27. April 2018) in Höhe von 1.784,02 € bzw. 50% (= 892,01 €) hiervon im Berufungsverfahren nicht mehr weiter. Der Kläger trägt vor, die Abhebungen vor dem Tod des Erblassers seien „Schenkungen“, die nach § 2287 BGB auszugleichen seien. An anderer Stelle führt der Kläger aus, es handle sich um Gelder, welche die Beklagte nach §§ 812 ff. BGB (isoliert) herauszugeben habe.
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Der zur Begründung des Klageantrags zu 4) gehaltene Sachvortrag ist nicht schlüssig. Es handelt sich um einen alternativen Sachvortrag, wobei in der einen Alternative der Anspruch nicht begründet wäre, weshalb der geltend gemachte Anspruch insgesamt nicht besteht:
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Soweit es sich um (lebzeitige) Schenkungen des Erblassers handeln sollte, kann der Anspruch nach dem oben Gesagten nicht auf § 2287 BGB gestützt werden, da es an einer objektiven Beeinträchtigung des Klägers als Vertragserben fehlt.
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Der Kläger beruft sich (alternativ) darauf, dass die Beklagte die Verwendung der Gelder nicht schlüssig dargelegt habe, weshalb diese nach §§ 812 ff. BGB herauszugeben seien. Grundsätzlich käme zwar ein auftragsrechtlicher Anspruch auf Herausgabe des Erlangten aus § 667 BGB in Betracht. Es ist aber sehr fraglich, ob der Kläger einen Anspruch aus Auftragsrecht schlüssig vorgetragen hat. Der alternative Vortrag des Klägers widerspricht sich selbst. Entweder es lag den Abhebungen eine, wenn auch formunwirksame, Schenkungsabrede mit dem Erblasser zugrunde oder die Beklagte hat – entgegen dem erteilten Auftrag – absprachewidrig Gelder abgehoben und für sich behalten. Maßgeblich ist aber, dass in einer der beiden Sachverhaltsalternativen (Schenkung) ein Anspruch nicht gegeben ist, weshalb der geltend gemachte Anspruch nicht schlüssig vorgetragen ist.
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Ungeachtet dessen ist die Annahme des Erstgerichts zutreffend, dass der Kläger bei Ansprüchen, die nicht aus § 2287 Abs. 1 BGB folgen, keine Teilbefriedigung an sich, sondern nur Zahlung an die Erbengemeinschaft verlangen kann, da der Nachlass noch nicht teilungsreif ist. Auch Nachlassforderungen gegen einen Miterben fallen unter § 2039 BGB, so dass nur Leistung an alle Miterben verlangt werden kann. In keinem Fall kann der Miterbe eigenmächtig und auf § 2039 BGB gestützt die Zahlung an sich verlangen, sei es auch – wie hier – nur in Höhe der Erbquote (BeckOGK/Rißmann/Szalai, BGB, § 2039 Rn. 16).
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Die Berufung des Klägers ist daher in vollem Umfang unbegründet.
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0. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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1. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 3 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen vor. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, ob das bloße Vorhandensein eines Rücktrittvorbehalts im Erbvertrag Ansprüche aus § 2287 BGB ausschließt, ist klärungsbedürftig und begründet eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Es besteht hierzu, soweit ersichtlich, keine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage zwar nicht schon deshalb, weil sie der Bundesgerichtshof noch nicht entschieden hat (Zöller/Festkorn, ZPO, 35. Aufl., § 543 Rn. 13). Vielmehr muss ihre Beantwortung zweifelhaft sein, weil sie vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden ist und in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt wird oder wenn sie in der Literatur in gewissen Umfang umstritten ist (Zöller/Festkorn, a.a.O.). Zur vorgenannten Rechtsfrage werden von namhaften Stimmen in der Literatur abweichende Auffassungen vertreten, die im Streitfall entscheidungserheblich sind und in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen entscheidungsrelevant werden können.