Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 05.09.2025 – Au 4 K 25.33517
Titel:

Asylrecht Syrien, Widerruf wegen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, subsidiärer Schutz (abgelehnt), Abschiebungsverbote (verneint)

Normenketten:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, Abs. 8 Nr. 3
AsylG § 3 Abs. 4, § 73 Abs. 5
Schlagworte:
Asylrecht Syrien, Widerruf wegen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, subsidiärer Schutz (abgelehnt), Abschiebungsverbote (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2025, 30064

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger, nach den Feststellungen der Beklagten am ... 1979 in A. geboren und syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit, wendet sich mit seiner Klage gegen den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter und der Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes.
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Er wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 29. März 2019, Az., zusammen mit seiner Ehefrau und den in den Jahren 2004, 2005 sowie 2014 geborenen Kindern als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. In Syrien besuchte er bis zur 7. Klasse die Schule, welche er im Alter von 13 Jahren ohne Abschluss abbrach. Anschließend arbeitete er als Maler und Bauhelfer sowie als Taxi- und Busfahrer. Seine Ehefrau, welche drei Kinder mit in die Ehe brachte, heiratete er im Jahr 2011. Im Januar und Dezember 2014 kamen sodann seine beiden Töchter zur Welt. 2012 verließ er Syrien endgültig und zog in den Libanon. Dorthin holte er seine Familie nach. Sein Stiefsohn floh 2015 nach Deutschland und 2018 zog die gesamte Familie nach. Er und seine Familie lebten fortan von staatlicher Unterstützung.
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Mit Urteil des Landgerichts ... vom 13. Februar 2023, rechtskräftig seit 28. Juni 2023, wurde der Kläger wegen Vergewaltigung in drei Fällen und der besonders schweren Vergewaltigung in zwei tateinheitlichen Fällen und der besonders schweren sexuellen Nötigung und des sexuellen Übergriffs mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt.
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Mit Urteil des Landgerichts ... vom 26. Juli 2023 wurde der Kläger wegen schwerer Brandstiftung sowie vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der mit Urteil des Landgerichts ... vom 13. Februar 2023 verhängten Einzelstrafen unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Jahren und neun Monaten verurteilt.
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Daraufhin leitete das Bundesamt mit Verfügung vom 29. Mai 2024 das Widerrufsverfahren ein und hörte den Kläger mit Schreiben vom 3. Juni 2024 zum beabsichtigten Widerruf des gewährten Schutzes an. Der Kläger nahm hierzu mit Schreiben vom 13. Mai 2025 Stellung und führte u.a. aus, dass eine Rückführung der Familie sehr schwierig sei aufgrund der kriegsbedingten Zerstörungen. Seine Ehefrau habe eine Arbeitsstelle, seine leiblichen Kinder gingen in die Schule. Nach Syrien hätten sie keine sozialen Bindungen mehr. Seine Geschwister lebten mittlerweile mit deren Familien in Deutschland.
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Mit Bescheid vom 10. Juni 2025, zugestellt am 20. Juni 2025, hat das Bundesamt die mit Bescheid vom 29. März 2017 (Az. ... ) zuerkannte Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) sowie die Anerkennung als Asylberechtigter widerrufen (Nr. 2), den subsidiären Schutzstatus nicht zuerkannt (Nr. 3) und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass die Widerrufsvoraussetzungen erfüllt seien aufgrund der strafrechtlichen Verurteilungen. Der Kläger sei mit Urteil des Landgerichts ... vom 28. Juni 2023 zu einer Freiheitstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Ferner sei aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Dies ergebe sich zum einen aus der der gesetzlichen Regelung zugrundeliegenden Wertung. Zum anderen sei er der besonders schweren Vergewaltigung bzw. sexuellen Nötigung schuldig gewesen. Die Gesamtfreiheitsstrafe sei erheblich. Das Verhalten des Klägers zeige eine Geringschätzung der körperlichen Unversehrtheit und der sexuellen Selbstbestimmung der Opfer. Die zum Ausdruck gekommene kriminelle Energie sei erheblich. Gerade bei Sexualstraftaten sei eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit gegeben. Der Schutz der Bevölkerung vor Sexualdelikten entspreche einem Grundinteresse der Gesellschaft. Auch die Persönlichkeit des Klägers lasse auf eine Wiederholungsgefahr schließen. Schließlich müsse auch das Nachtatverhalten berücksichtigt werden; der Kläger sei in der Justizvollzugsanstalt erneut straffällig geworden. Vom Kläger gehe eine Gefahr für die Allgemeinheit aus. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Syrien führten nicht zur Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers gegen Art. 3 EMRK verstoßen werde. Zwar sei die humanitäre Lage in Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes desolat. Der Kläger sei aber noch jung genug, um sich in Syrien eine Existenz aufzubauen. Er habe in Syrien gearbeitet und sei mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut. Es sei deswegen davon auszugehen, dass er auch unter den derzeit schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen in der Lage sei, sich sein Existenzminimum zu erwirtschaften. Allein aufgrund der möglichen Rückkehrunterstützung sei eine Absicherung über einen hinreichend langen Zeitraum gewährleistet. Die Wehrdienstpflicht sei durch die Übergangsregierung abgeschafft worden.
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Hiergegen erhob der Kläger mit am 26. Juni 2025 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg eingegangenem Schreiben Klage und beantragt (sinngemäß),
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1. den Bescheid des Bundesamts vom 10. Juni 2025 aufzuheben.
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2. Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu gewähren.
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3. Weiter hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass beim Kläger Abschiebungsverbote hinsichtlich Syrien vorliegen.
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Zur Begründung führt der Kläger im Wesentlichen aus, dass er seit 2018 in der Bundesrepublik Deutschland sei wegen des Krieges in Syrien. Dort habe er keine Lebensgrundlage mehr, nachdem sein Haus zerstört worden sei. Sein gesamter Familienverband mit Brüdern, Onkeln, Nichten und deren Familien seien in Deutschland. Seine Familie sei in Deutschland integriert, für seine Ehefrau und seine Kinder wäre eine Abschiebung eine Katastrophe, da sie kein arabisch sprechen würden. Er bereue seine Tat, habe seitdem den Kontakt zu diesen Leuten abgebrochen und wolle sich in Deutschland integrieren. In Aleppo habe er keine Lebensgrundlage mehr.
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Am 7. Juli 2025 trat die Beklagte der Klage entgegen. Für sie ist beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 5. September 2025 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage konnte verhandelt und entschieden werden, obwohl der Kläger nicht erschienen ist, da er hierauf in der Ladung hingewiesen wurde (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
I.
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Die Klage ist im Hauptantrag als Anfechtungsklage gegen den in den Ziffern 1 und 2 des angefochtenen Bescheids verfügten Widerruf der mit Bescheid vom 29. März 2019 erfolgten Zuerkennung des Flüchtlingsstatus und Anerkennung als Asylberechtigter statthaft.
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Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Widerrufsentscheidung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere hat die Beklagte den Kläger gemäß § 73b Abs. 6 Satz 1 AsylG mit Schreiben vom 3. Juni 2024 von dem beabsichtigten Widerruf in Kenntnis gesetzt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Kläger hat sich am 13. Mai 2025 hierzu geäußert.
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2. Auch in materieller Hinsicht erweist sich der angefochtene Bescheid in den Ziffern 1 und 2 als rechtmäßig. Gemäß § 73 Abs. 5 AsylG ist die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu widerrufen, wenn der Ausländer von der Erteilung nach § 3 Abs. 4 AsylG ausgeschlossen ist. Dies ist unter anderem der Fall, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Nr. 3 AufenthG vorliegen.
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Voraussetzung hierfür ist, dass der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Dies ist hier der Fall.
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Eine entsprechende Anlassstraftat mit einer Verurteilung zur einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren liegt vor. Mit Urteil des Landgerichts ... vom 13. Februar 2023, rechtskräftig seit 28. Juni 2023, wurde der Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt.
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Um die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Nr. 3 AufenthG zu verwirklichen, reicht eine Verurteilung des Ausländers für sich genommen aber nicht aus. Von ihm muss vielmehr im Zeitpunkt der Entscheidung eine konkrete, ernsthaft drohende Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen, die eine Wiederholung der schwerwiegenden Straftaten nahelegt, derentwillen der Ausländer verurteilt worden ist (BVerwG, U.v. 5.5.1998 – 1 C 17.19 – juris Rn. 32 f.). Das bedeutet, dass in Zukunft eine Gefahr für die Allgemeinheit durch neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen muss; die lediglich entfernte Möglichkeit weiterer Straftaten genügt nicht (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2000 – 9 C 6.00 – juris). Bei dieser Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, aber auch die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BVerwG, B.v. 12.10.2009 – 10 B 17.09 – juris Rn. 4; VGH BW, U.v. 29.1.2015 – A 9 S 314/12 – juris Rn. 46).
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Einzelfalls von einer weiterhin bestehenden konkreten Wiederholungsgefahr auszugehen. Insofern nimmt das Gericht Bezug auf die ausführliche Begründung im streitgegenständlichen Bescheid, § 77 Abs. 3 AsylG, welcher der Kläger nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten ist. Das Bundesamt hat bei der Gefahrenprognose zu Recht entscheidend auf die Schwere und die Umstände der konkreten Straftat und ihrer Begehung und das besonders hohe Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Schutzguts, der sexuellen Selbstbestimmung von solchen Taten besonders schutzlos ausgelieferten Kindern, sowie das Fehlen jeglicher Auseinandersetzung und Aufarbeitung dieser Taten beim Kläger abgestellt (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2019 – 10 ZB 18.1768 – juris Rn. 18). Bei Sexualdelikten gegenüber Kindern handelt es sich um schwerwiegende Straftaten, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (BayVGH, B.v. 2.5.2017 – 19 ZB 16.186 – juris Rn. 13). Das in den Taten zum Ausdruck kommende Gewaltpotential des Klägers lässt ernsthafte Bedrohungen für gewichtige Rechtsgüter befürchten. Dem Bundesamt ist ferner beizupflichten, dass die Persönlichkeit des Klägers ebenso wie sein Nachtatverhalten auf eine entsprechende hohe Wahrscheinlichkeit der Wiederholung erheblicher Straftaten schließen lassen.
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Demzufolge ist beim Kläger in Zukunft davon auszugehen, dass neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen. Er ist daher als Gefahr für die Allgemeinheit anzusehen.
II.
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Aufgrund des Vorliegens eines Ausschlussgrundes scheidet auch die vom Kläger hilfsweise begehrte Gewährung subsidiären Schutzes aus (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG).
27
Der Kläger hat eine schwere Straftat im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG begangen. Die Vorschrift geht zurück auf Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie), die selbst ebenfalls keine Konkretisierung des Begriffs der schweren Straftat enthält. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist der Begriff der schweren Straftat als Ausschlussgrund restriktiv auszulegen. Bei der Würdigung der Schwere der fraglichen Straftat ist eine vollständige Prüfung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen. Maßgeblich ist unter anderem die Art der Straftat, die verursachten Schäden, die Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens, die Art der Strafmaßnahme sowie, ob die fragliche Straftat in anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen werde (vgl. EuGH, U.v. 13.9.2018 – C-369/17 – juris Rn. 52, 56, 58).
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Ferner kann auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff der „Straftat von erheblicher Bedeutung“ in § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG (früher: § 25 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b AufenthG) zurückgegriffen werden, da dieser Begriff inhaltsgleich mit demjenigen der „schweren Straftat“ i.S.d. Art. 17 Abs. 1 Buchst. b RL 2011/95/EU ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 16.14 – juris Rn. 22). Eine solche Straftat erfordert ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (BVerwG, a.a.O., Rn. 27).
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Der Kläger hat nach den Feststellungen des Landgerichts ... im Urteil vom 13. Februar 2023 rechtswidrig u.a. die Tatbestände der besonders schweren Vergewaltigung und der besonders schweren sexuellen Nötigung erfüllt. Hierbei handelt es sich um schwere Straftaten im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG. Hierfür spricht zunächst indiziell, dass es sich bei den begangenen Taten um Verbrechen nach § 12 Abs. 1 StGB handelt. Nach den Richtlinien zum internationalen Schutz über die Anwendung von Ausschlussklauseln des UNHCR stellen nach den meisten Rechtsordnungen Mord, Vergewaltigung und bewaffneter Raub zweifellos schwere Verbrechen dar (vgl. VG Karlsruhe, U.v. 3.6.2024 – A 12 K 2656/23 – juris Rn. 35; VG Halle, – 2 A 280/24 HAL – juris Rn. 44 m.w.N.). Die konkreten Umstände des Einzelfalls lassen eine andere Bewertung der begangenen Straftaten nicht zu. Der Kläger handelte aus persönlicher Triebbefriedigung und wiederholt über einen längeren Zeitraum.
III.
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Dem Kläger steht kein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
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Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist auch der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 17) und die aus zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist. Die Gefahren müssen ein Mindestmaß an Schwere unter Berücksichtigung der Gesamtumstände aufweisen. Eine bloße Verschlechterung der Lebensumstände oder Verringerung der Lebenserwartung im Zielstaat gegenüber den Verhältnissen im Aufenthaltsstaat genügt nicht; es muss sich vielmehr um einen so außergewöhnlichen Fall handeln, dass humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 10 f. m.w.N.).
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Ein derartiger extremer Ausnahmefall liegt bei einer Gesamtschau der in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismittel und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht vor. Dem Kläger droht aufgrund seiner individuellen Voraussetzungen und seiner konkret zu erwartenden Lebenssituation bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage aufgrund der humanitären Lage in Syrien.
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Zur Begründung wird zunächst auf die umfangreichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 3 AsylG). Ergänzend hierzu wird ausgeführt:
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Ein Abschiebungsverbot im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation ist nicht gegeben, wenn der Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und sich damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren kann (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 27 f.; B.v. 25.11.2012 – 10 B 16.12 – juris Rn. 10). Maßstab für die im Rahmen der Prüfung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK anzustellende Gefahrenprognose ist grundsätzlich, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum eines Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist. Kann der Rückkehrer Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, die eine Verelendung innerhalb eines absehbaren Zeitraums ausschließen, so kann Abschiebungsschutz ausnahmsweise nur dann gewährt werden, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten behördlichen oder gerichtlichen Tatsachenentscheidung davon auszugehen ist, dass dem Ausländer nach dem Verbrauch der Rückkehrhilfen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Je länger der Zeitraum der durch Rückkehrhilfen abgedeckten Existenzsicherung ist, desto höher muss die Wahrscheinlichkeit einer Verelendung nach diesem Zeitraum sein (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10.21 – juris Rn. 25).
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Hinsichtlich der humanitären und wirtschaftlichen Lage in Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes wird auf die ausführliche und detaillierte Darstellung im angegriffenen Bescheid verwiesen (Seite 7 ff.). Ergänzend wird Bezug genommen auf die Ausführungen des VG Bremen im Beschluss vom 25. Juli 2025 (3 V 1569/25 – juris Rn. 32 f.) sowie den Entscheiderbrief der Beklagten 8/2025 zur aktuellen Lage in Syrien. Mit den von der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid (Seite 10 f.) ausführlich dargestellten Rückkehrhilfen wie Reisegeld, Starthilfe, Kurzzeitunterstützung und bayerisches Rückkehrprogramm wird der Kläger zunächst trotz der angespannten humanitären Situation in Syrien in der Lage sein, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum nach der Rückkehr zu befriedigen. Im Hinblick auf die beruflichen Erfahrungen des Klägers sowohl in Syrien als auch im Ausland (Libanon und Griechenland) ist nicht ersichtlich, dass ihm auch nach dem Verbrauch seiner Ersparnisse und der Rückkehrhilfen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Der Kläger spricht die Landessprache und es ist aufgrund seiner Erwerbsbiographie davon auszugehen, dass er mit den Gepflogenheiten in der Heimat grundlegend vertraut ist. Er ist im erwerbsfähigen Alter und hat nach eigenem Bekunden keine gesundheitlichen Einschränkungen. Laut Anhörungsprotokoll vom 8. März 2019 leben noch weitere Verwandte in der Heimat, nur die Brüder mit ihren Familien würden sich nun laut seiner Stellungnahme vom 13. Mai 2025 in Deutschland bzw. noch weitere Verwandte laut Klagebegründung außerhalb Syriens aufhalten. Insofern ist die hier mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland in die gerichtliche Prognose, ob das wirtschaftliche Existenzminimum bei der Rückkehr eines Asylbewerbers gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG gefährdet ist, stets mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, B.v. 1.10.2001 – 1 B 185.01 – juris).
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In der Gesamtschau droht dem Kläger aufgrund seiner individuellen Voraussetzungen und seiner konkret zu erwartenden Lebenssituation auch unter Berücksichtigung seines diesbezüglichen Vortrags bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage aufgrund der humanitären Situation in Syrien. Hierbei ist auch bei einer familiären Lebensgemeinschaft für jedes Familienmitglied gesondert zu prüfen, ob ein nationales Abschiebungsverbot vorliegt. Für die Prognose der bei einer Rückkehr drohenden Gefahren ist zwar bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern mit minderjährigen Kinder) im Familienverbunde in ihr Herkunftsland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 49.18 – juris Ls 1 und 2). Allerdings ist der Kläger erst seit 2018 in Deutschland und befand sich seit 20. Juni 2020 ununterbrochen in Haft. Eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie besteht mithin schon seit über fünf Jahren nicht mehr. Hinzukommt, dass vorliegend ein vom Regelfall abweichender Ausnahmefall auch deswegen anzunehmen ist, weil Opfer der vom Kläger begangenen Verbrechen seine zum Tatzeitpunkt minderjährigen (Stief-)Töchter gewesen waren.
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Soweit der Kläger konfliktbedingte Gefahren geltend macht, besteht nach Auffassung des Gerichts seit dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 keine ernsthafte, individuelle Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Bürgerkrieg) mehr. Zwar ist die allgemeine Sicherheitslage in Syrien weiterhin als äußerst volatil und angespannt anzusehen; es gibt weiterhin aktive Kampfhandlungen, ethnisch-motivierte Gewalttaten gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen, militärische Aktivitäten von Drittstaaten, Terrorismusgefahr, Gewaltkriminalität und Entführungen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Syrien, 30.5.2025, S. 2, 5). Der Kläger stammt aus dem Gebiet Aleppo, das zumindest unter teilweiser Kontrolle der neuen syrischen Regierung ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Syrien, 30.5.2025, S. 4). Laut BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Syrien, vom 8. Mai 2025 (S. 60) ist die Sicherheitslage in Nordsyrien und auch in der strategisch wichtigen Stadt Aleppo nach wie vor instabil, da verschiedene Fraktionen um Kontrolle und Einfluss konkurrieren. Allerdings wird es für den Kläger als zumutbar erachtet, auf andere, sicherere Gebiete Syriens auszuweichen, wenn er – nach eigenem Bekunden – ohnehin in seiner Heimatregion keinen familiären Anlaufpunkt mehr hat. Er kann daher in ein Gebiet ausweichen, in dem weder sein Leben noch seine körperliche Unversehrtheit aufgrund willkürlicher Gewalt mit einer hinreichend beachtlichen Wahrscheinlichkeit bedroht sein wird.
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Somit ist im Rahmen der anzustellenden Gefahrenprognose („real risk“) eine Verletzung des Art. 3 EMRK nicht zu erwarten und demzufolge ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht zu erteilen.
IV.
39
Schließlich sind auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt. Es ist nicht erkennbar, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche, individuelle und konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Anhaltspunkte für eine den Kläger drohende erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen. Auch die wirtschaftliche Lage in Syrien rechtfertigt kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
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Daher war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG)