Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 11.09.2025 – Au 4 K 25.33418
Titel:

Asylrecht Syrien, Widerruf wegen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, subsidiärer Schutz (abgelehnt), Abschiebungsverbote (verneint)

Normenketten:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, Abs. 8 Nr. 3
AsylG § 26 Abs. 4 S. 1, § 73a S. 1, § 73b Abs. 6 S. 1
Schlagworte:
Asylrecht Syrien, Widerruf wegen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, subsidiärer Schutz (abgelehnt), Abschiebungsverbote (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2025, 30063

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger, nach den Feststellungen der Beklagten am ... 2001 in A. geboren und syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit, wendet sich mit seiner Klage gegen den Widerruf der Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes.
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Ihm wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 23. Juni 2017 (Az. ...) im Rahmen des internationalen Schutzes für Familienangehörige gemäß § 26 Abs. 5 Satz 2 AsylG Flüchtlingsschutz zuerkannt. Er lebte mit seinen Eltern sowie seinen in den Jahren 1997 bis 2018 geborenen neun Geschwistern zusammen. Vom 9. Oktober 2017 bis Januar 2018 hat er die Volksschule besucht und von September 2018 bis Januar 2020 eine Berufsschule. Im Zeitraum vom 12. Oktober 2020 bis 30. Oktober 2020 nahm er an einem Alphabetisierungskurs teil. Mit 19 Jahren arbeitete er als Metallhelfer für neun Monate.
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Laut Auszug aus dem Bundeszentralregister ist der Kläger strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:
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Am 30 August 2017 hat die Staatsanwaltschaft nach § 45 Abs. 1 JGG von der Verfolgung des Tatvorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung abgesehen;
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am 24. Juli 2018 wurde er vom Amtsgericht ... wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt zur Erbringung von Arbeitsleistungen;
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am 8. April 2021 wurde er vom Amtsgericht Y... wegen versuchten Diebstahls zu einer Geldstrafe verurteilt;
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am 17. Juli 2022 wurde vom Amtsgericht Y... wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherung ein Freizeitarrest und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt;
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am 11. Juli 2023 wurde vom Amtsgericht Y... wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen einer Schusswaffe drei Wochen Jugendarrest verhängt und es erging eine richterliche Weisung;
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am 7. Mai 2024 wurde er vom Amtsgericht Q... wegen Handelstreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die Unterbringung in eine Entziehungsanstalt wurde angeordnet.
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Daraufhin leitete das Bundesamt mit Verfügung vom 2. Oktober 2024 das Widerrufsverfahren ein. In seiner beim Bundesamt am 21. November 2024 eingegangenen Stellungnahme teilte der Kläger mit, dass er seit sieben Jahren in Deutschland lebe und im Alter von 14 Jahren aufgrund des Krieges seine Heimat verlassen habe. Er habe mangels Schulpflicht dort keine Schule besucht. Bei einer Rückkehr müsse er zum Militärdienst. In Syrien sei immer noch Krieg, seine Zukunftschancen seien daher schlecht. Seine Familie lebe in Deutschland. Seit über drei Jahren lebe er in einer Beziehung, er habe bereits gearbeitet und mit seinem Führerschein begonnen.
Während seiner Arbeitslosigkeit habe er sich wiederholt erfolglos um eine Arbeitsstelle bemüht. Er habe Anschluss gesucht, sei aber an die falschen Leute geraten. Seine Tat bereue er. Er befinde sich auf gutem Weg und sei während seines Aufenthalts im Bezirkskrankenhaus nicht rückfällig geworden. Seit drei Monaten besuche er einen Deutschunterricht und habe bereits beim Lesen und Schreiben große Fortschritte erzielt. Er wolle dann eine Ausbildung beginnen. Die Therapie sei eine Chance, um sein Leben zu verändern und zu verbessern.
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Mit Bescheid vom 7. Oktober 2024 hat die zuständige Ausländerbehörde die Ausweisung verbunden mit einem vierjährigen Einreise- und Aufenthaltsverbot gegenüber dem Kläger verfügt. Die hiergegen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhobene Klage wird unter dem Az. Au 6 K 25.1095 geführt.
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Mit Bescheid vom 10. Juni 2025, zugestellt mit Schreiben vom 17. Juni 2025, hat das Bundesamt die mit Bescheid vom 23. Juni 2017 (Az. ... ) zuerkannte Flüchtlingseigenschaft widerrufen (Nr. 1), den subsidiären Schutzstatus nicht zuerkannt (Nr. 2) und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass der dem Kläger zuerkannte Flüchtlingsschutz für Familienangehörige zu widerrufen sei, da er einen Ausschlusstatbestand des § 26 Abs. 4 Satz 1 AsylG iVm. § 60 Abs. 8 Nr. 3 AufenthG erfülle. Er sei mit Urteil des Amtsgerichts Q... vom 7. Mai 2024 zu einer Freiheitstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Zudem erfülle die vom Kläger begangene Straftat die Voraussetzungen für das Vorliegen einer besonders schweren Straftat. Ferner sei aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Dies ergebe sich zum einen aus der der gesetzlichen Regelung zugrundeliegenden Wertung. Zum anderen sei der Kläger bereits mehrfach vorbestraft, wobei sich die Straftaten in ihrer Schwere über die Jahre hin gesteigert hätten, seine kriminelle Energie beruhe auf Gewinnstreben, das bedrohte Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit sei von hohem Gewicht und er sei wirtschaftlich bzw. beruflich kaum integriert. Zwar lebten seine Mutter und Geschwister in Deutschland. Der Ausschluss der Schutzgewährung sei jedoch verhältnismäßig. Vom Kläger gehe eine Gefahr für die Allgemeinheit aus. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Syrien führten nicht zur Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers gegen Art. 3 EMRK verstoßen werde. Zwar sei die humanitäre Lage in Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes desolat. Der Kläger sei aber jung, arbeitsfähig und ohne Unterhaltsverpflichtungen. Er habe bis zur 3. oder 4. Schulklasse in Syrien gelebt. Sein Werdegang lasse auf eine gewisse Robustheit und Durchsetzungsfähigkeit schließen. Es sei deswegen davon auszugehen, dass er auch unter den derzeit schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen in der Lage sei, sich sein Existenzminimum zu erwirtschaften. Allein aufgrund der möglichen Rückkehrunterstützung sei eine Absicherung über einen hinreichend langen Zeitraum gewährleistet. Die Wehrdienstpflicht sei durch die Übergangsregierung abgeschafft worden.
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Hiergegen ließ der Kläger am 24. Juni 2025 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage erheben. Für ihn ist zuletzt beantragt,
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1. den Bescheid des Bundesamts vom 10. Juni 2025 aufzuheben.
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2. Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu gewähren.
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3. Weiter hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass beim Kläger Abschiebungsverbote hinsichtlich Syrien vorliegen.
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Obschon sich der Kläger seit nunmehr über acht Jahren mit seiner „Kernfamilie“ im Bundesgebiet aufhalte, sich seit mehreren Jahren in einer festen und stabilen Beziehung befinde, die von ihm begangenen strafrechtlichen Verfehlungen zutiefst bereue und das Strafgericht an Stelle von Strafvollzug den Maßregelvollzug angeordnet habe, habe die Beklagte die Flüchtlingszuerkennung widerrufen.
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Am 7. Juli 2025 trat die Beklagte der Klage entgegen. Für sie ist beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Unter dem 18. August 2025 trug der Kläger ergänzend vor, dass ihm eine Rückkehr nach Syrien aufgrund der dortigen angespannten Lage mit zahlreichen anhaltenden innerstaatlichen Konflikten, Protesten und humanitären Krisen nicht zumutbar sei. Er habe bis zur Inhaftierung bei seinen Eltern und Geschwistern gewohnt. Darüber hinaus verfüge er über eine stabile und gefestigte langjährige Beziehung zu einer deutschen Verlobten. Die Eheschließung sei beabsichtigt. Er fühle sich wie ein faktischer Inländer. Er befürchte im Fall einer Rückkehr die zwangsweise Einziehung zum Militärdienst. Wegen seines langjährigen Aufenthalts im westlichen Ausland werde ihm eine regimekritische Haltung zugeschrieben und er werde besonders engmaschig überwacht werden. Nach aktueller Einschätzung bleibe die Situation in Syrien komplex und unübersichtlich, mit anhaltenden Herausforderungen für die Bevölkerung. Die Gefahr einer Abschiebung nach Syrien sei ihm unzumutbar.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 5. September 2025 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
I.
23
Die Klage ist im Hauptantrag als Anfechtungsklage gegen die durch Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids verfügten Widerruf der mit Bescheid vom 23. Juni 2017 erfolgten Zuerkennung des Flüchtlingsstatus statthaft.
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Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Widerrufsentscheidung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere hat die Beklagte den Kläger gemäß § 73b Abs. 6 Satz 1 AsylG mit Schreiben vom 25. Oktober 2024 von dem beabsichtigten Widerruf in Kenntnis gesetzt und ihm hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Kläger hat sich mit beim Bundesamt am 21. November 2024 eingegangenem Schreiben geäußert.
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2. Auch in materieller Hinsicht erweist sich der angefochtene Bescheid in Ziffer 1 als rechtmäßig. Gemäß § 73a Satz 1 AsylG ist eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die – wie vorliegend – im Rahmen des internationalen Schutzes für Familienangehörige erteilt worden ist, zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 Satz 1 iVm. Abs. 5 Satz 1 AsylG vorliegen. Dies ist unter anderem der Fall, wenn beim Familiengehörigen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Nr. 3 AufenthG vorliegen.
27
Voraussetzung hierfür ist, dass der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Dies ist hier der Fall.
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Eine entsprechende Anlassstraftat mit einer Verurteilung zur einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren liegt vor. Der Kläger wurde mit Urteil des Amtsgerichts Q... vom 7. Mai 2024 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt.
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Um die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Nr. 3 AufenthG zu verwirklichen, reicht eine Verurteilung des Ausländers für sich genommen aber nicht aus. Von ihm muss vielmehr im Zeitpunkt der Entscheidung eine konkrete, ernsthaft drohende Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen, die eine Wiederholung der schwerwiegenden Straftaten nahelegt, derentwillen der Ausländer verurteilt worden ist (BVerwG, U.v. 5.5.1998 – 1 C 17.19 – juris Rn. 32 f.). Das bedeutet, dass in Zukunft eine Gefahr für die Allgemeinheit durch neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen muss; die lediglich entfernte Möglichkeit weiterer Straftaten genügt nicht (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2000 – 9 C 6.00 – juris). Bei dieser Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, aber auch die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BVerwG, B.v. 12.10.2009 – 10 B 17.09 – juris Rn. 4; VGH BW, U.v. 29.1.2015 – A 9 S 314/12 – juris Rn. 46).
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Einzelfalls von einer weiterhin bestehenden konkreten Wiederholungsgefahr auszugehen. Insofern nimmt das Gericht Bezug auf die ausführliche Begründung im streitgegenständlichen Bescheid, § 77 Abs. 3 AsylG. Ergänzend ist anzumerken, dass auch die mehrjährige Beziehung mit einer deutschen Verlobten den Kläger offensichtlich nicht von der Begehung der zahlreichen Straftaten abhalten konnte. Auch der Umstand, dass der Kläger nach § 64 StGB untergebracht ist, eine entsprechende Therapie begonnen hat, rechtfertigt nicht die Annahme, die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten sei nunmehr beseitigt. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts war die Therapie schon wieder beendet und zwar ausweislich des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Beschlusses des Landgerichts Z... , weil sie gescheitert sei. Jedoch ist der erfolgreiche Abschluss einer Drogentherapie von zentraler Bedeutung für die Gefahrenprognose und zwingende Voraussetzung für ein Entfallen der Wiederholungsgefahr. Um die erhebliche Wiederholungsgefahr im Fall des Klägers ernsthaft in Zweifel ziehen zu können, wäre nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung erforderlich, dass er eine Therapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig straffreien Verhaltens auch nach Straf- bzw. Therapieende glaubhaft gemacht hätte. Auch das Vorbringen des Klägers, er arbeite in der Therapie gut mit und werde auch nach Therapieende unter Führungsaufsicht und staatlicher Kontrolle stehen, lässt die Wiederholungsgefahr in Bezug auf die Begehung weiterer Straftaten im Bereich der Drogenkriminalität nicht entfallen. Ein Wohlverhalten unter dem Druck einer strafgerichtlich angeordneten Therapie und staatlicher Kontrolle lässt nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen (stRspr, BayVGH, B.v. 27.3.2025 – 10 ZB 23.1217 – juris Rn. 19; B.v. 11.9.2024 – 10 ZB 24.216 – juris Rn. 5; B.v. 24.4.2023 – 10 ZB 22.2398 – juris Rn. 10; B.v. 17.12.2015 – 10 ZB 15.1394 – juris Rn. 8). Insofern ist auch in den Blick zu nehmen, dass nach den Feststellungen des Amtsgerichts im Strafurteil vom 7. Mai 2024 bei Kläger eine starke Abhängigkeit von Betäubungsmittelns vorliegt. Der Sachverständige spricht von einer gravierenden substanzbezogenen Abhängigkeitserkrankung und geht von einer sehr hohen Wiederholungswahrscheinlichkeit gleichgelagerter Straftaten bei fortgesetztem Konsum aus. Die zu erwartende Therapiedauer wurde mit 24 Monaten angegeben, welche vorliegend noch lange nicht abgelaufen sind. Weiter ergänzend wird zur Wiederholungsgefahr auf die Ausführungen der zuständigen Ausländerbehörde in der Ausweisungsverfügung vom 7. Oktober 2024 verwiesen.
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Demzufolge ist beim Kläger in Zukunft davon auszugehen, dass neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen. Er ist daher als Gefahr für die Allgemeinheit anzusehen. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang den Widerruf der Flüchtlingszuerkennung als unverhältnismäßig erachtet, weil er „faktischer Inländer“ sei, ist anzumerken, dass dieser Aspekt allenfalls bei der Ausweisungsentscheidung Berücksichtigung finden kann (vgl. hierzu u.a. BayVGH, B.v. 20.2.2025 – 10 ZB 23.116 – juris Rn. 34 f. m.w.N.), aber keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Widerrufsentscheidung ist. Ungeachtet dessen hat der Kläger sich sozial und wirtschaftlich nicht integriert, er hat trotz des mehrjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet weder ausreichende Sprachkenntnisse erworben, noch einen Schulabschluss erlangt, noch auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Es ist ihm auch nicht gelungen, einen rechtstreuen, mithin straffreien Lebenswandel zu führen. Es fehlt mithin (schon) an einer tiefgreifenden Integration im Aufenthaltsstaat, so dass es auf eine Entwurzelung nicht ankäme. Die Voraussetzungen für die Annahme eines „faktischen Inländers“ sind daher nicht gegeben.
II.
32
Aufgrund des Vorliegens eines Ausschlussgrundes scheidet auch die vom Kläger hilfsweise begehrte Gewährung subsidiären Schutzes aus (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG).
33
Der Kläger hat eine schwere Straftat im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG begangen. Die Vorschrift geht zurück auf Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie), die selbst ebenfalls keine Konkretisierung des Begriffs der schweren Straftat enthält. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist der Begriff der schweren Straftat als Ausschlussgrund restriktiv auszulegen. Bei der Würdigung der Schwere der fraglichen Straftat ist eine vollständige Prüfung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen. Maßgeblich ist unter anderem die Art der Straftat, die verursachten Schäden, die Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens, die Art der Strafmaßnahme sowie, ob die fragliche Straftat in anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen werde (vgl. EuGH, U.v. 13.9.2018 – C-369/17 – juris Rn. 52, 56, 58).
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Ferner kann auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff der „Straftat von erheblicher Bedeutung“ in § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG (früher: § 25 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b AufenthG) zurückgegriffen werden, da dieser Begriff inhaltsgleich mit demjenigen der „schweren Straftat“ i.S.d. Art. 17 Abs. 1 Buchst. b RL 2011/95/EU ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 16.14 – juris Rn. 22). Eine solche Straftat erfordert ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (BVerwG, a.a.O., Rn. 27).
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Der Kläger hat nach den Feststellungen des Amtsgerichts Q... im Urteil vom 7. Mai 2024 rechtswidrig die Tatbestände des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erfüllt (§ 29a Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 und 4 BtMG). Hierbei handelt es sich um ein schwere Straftaten im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG (vgl. VG München, U.v. 3.6.2022 – M 22 K 18.32695 – juris Rn. 45).
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Hierfür spricht zunächst indiziell, dass es sich bei den begangenen Taten um Verbrechen nach § 12 Abs. 1 StGB handelt, welche darüber hinaus als „schwere Straftat“ im Sinne des § 100a Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b StPO besonders grundrechtsrelevante Ermittlungsmaßnahmen, etwa die Telekommunikationsüberwachung (§ 100a Abs. 1 StPO), rechtfertigen. Auch lässt sich Art. 83 Abs. 1 und 2 AEUV entnehmen, dass illegaler Drogenhandel innerhalb der Europäischen Union dem Bereich der „besonders schweren Kriminalität“ zugeordnet wird, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten eine grenzüberschreitende Dimension hat und bei der „eine besondere Notwendigkeit [besteht], sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen“. Die besondere Schwere der vom Kläger verwirklichten Taten folgt zudem aus den erheblichen Gefahren, die vom unerlaubten Vertrieb von Betäubungsmitteln, insbesondere für Leben und körperliche Gesundheit der Allgemeinheit, ausgehen (vgl. VG Trier, U.v. 6.10.2020 – 1 K 942/20.TR – juris Rn. 24; VG Würzburg, GB.v. 7.5.2020 – W 9 K 19.31444 – juris Rn. 26; VG Ansbach, B.v. 17.4.2019 – AN 1 S 19.30405 – juris Rn. 38). Die konkreten Umstände des Einzelfalls lassen eine andere Bewertung der begangenen Straftaten nicht zu. Der Kläger handelte gewerbsmäßig, um sich aus wiederholter Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle zu erschließen. Ein derart gewerbsmäßiges Handeln rechtfertigt regelmäßig auch bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz die Annahme eines besonders schweren Falles der Tatbegehung (vgl. etwa § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG, § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG).
III.
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Dem Kläger steht kein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
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Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist auch der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 17) und die aus zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist. Die Gefahren müssen ein Mindestmaß an Schwere unter Berücksichtigung der Gesamtumstände aufweisen. Eine bloße Verschlechterung der Lebensumstände oder Verringerung der Lebenserwartung im Zielstaat gegenüber den Verhältnissen im Aufenthaltsstaat genügt nicht; es muss sich vielmehr um einen so außergewöhnlichen Fall handeln, dass humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 10 f. m.w.N.).
39
Ein derartiger extremer Ausnahmefall liegt bei einer Gesamtschau der in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismittel und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht vor. Dem Kläger droht aufgrund seiner individuellen Voraussetzungen und seiner konkret zu erwartenden Lebenssituation bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage aufgrund der humanitären Lage in Syrien.
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Zur Begründung wird zunächst auf die umfangreichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 3 AsylG). Ergänzend hierzu wird ausgeführt:
41
Ein Abschiebungsverbot im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation ist nicht gegeben, wenn der Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und sich damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren kann (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 27 f.; B.v. 25.11.2012 – 10 B 16.12 – juris Rn. 10). Maßstab für die im Rahmen der Prüfung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK anzustellende Gefahrenprognose ist grundsätzlich, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum eines Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist. Kann der Rückkehrer Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, die eine Verelendung innerhalb eines absehbaren Zeitraums ausschließen, so kann Abschiebungsschutz ausnahmsweise nur dann gewährt werden, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten behördlichen oder gerichtlichen Tatsachenentscheidung davon auszugehen ist, dass dem Ausländer nach dem Verbrauch der Rückkehrhilfen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Je länger der Zeitraum der durch Rückkehrhilfen abgedeckten Existenzsicherung ist, desto höher muss die Wahrscheinlichkeit einer Verelendung nach diesem Zeitraum sein (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10.21 – juris Rn. 25).
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Hinsichtlich der humanitären und wirtschaftlichen Lage in Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes wird auf die ausführliche und detaillierte Darstellung im angegriffenen Bescheid verwiesen (Seite 8 ff.). Ergänzend wird Bezug genommen auf die Ausführungen des VG Bremen im Beschluss vom 25. Juli 2025 (3 V 1569/25 – juris Rn. 32 f.) sowie den Entscheiderbrief der Beklagten 8/2025 zur aktuellen Lage in Syrien. Mit den von der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid (Seite 11 f.) ausführlich dargestellten Rückkehrhilfen wie Reisegeld, Starthilfe, Kurzzeitunterstützung und bayerisches Rückkehrprogramm wird der Kläger zunächst trotz der angespannten humanitären Situation in Syrien in der Lage sein, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum nach der Rückkehr zu befriedigen. Im Hinblick auf die beruflichen Erfahrungen des Klägers ist nicht ersichtlich, dass ihm auch nach dem Verbrauch seiner Ersparnisse und der Rückkehrhilfen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Der Kläger spricht die Landessprache und es ist davon auszugehen, dass er, nachdem er bis zur 3./4. Schulklasse in Syrien gelebt hat, mit den dortigen Gepflogenheiten zumindest dem Grunde nach weitgehend vertraut ist. Er war in Deutschland, wenn auch nur über einen kürzeren Zeitraum, erwerbstätig und konnte im Strafvollzug über einen längeren Zeitraum weitere, zusätzliche berufliche Erfahrungen sammeln. Er ist jung und hat keine Unterhaltsverpflichtungen. Laut eigenem Bekunden hat er keine gesundheitlichen Einschränkungen. Auch wenn er, insoweit sein Vortrag als wahr unterstellt, in seiner Heimat auf keine Unterstützung durch Verwandte vor Ort zurückgreifen kann, weil seine Familie seit mehreren Jahren in Deutschland lebt und sich seine übrigen Verwandten ebenfalls in Deutschland aufhalten oder ins benachbarte Ausland wie Libanon, Saudi-Arabien und Dubai geflohen seien, so ist eine mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland in die gerichtliche Prognose, ob das wirtschaftliche Existenzminimum bei der Rückkehr eines Asylbewerbers gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG gefährdet ist, stets mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, B.v. 1.10.2001 – 1 B 185.01 – juris).
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In der Gesamtschau droht dem Kläger aufgrund seiner individuellen Voraussetzungen und seiner konkret zu erwartenden Lebenssituation auch unter Berücksichtigung seines diesbezüglichen Vortrags bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage aufgrund der humanitären Lage in Syrien.
44
Soweit der Kläger konfliktbedingte Gefahren geltend macht, besteht nach Auffassung des Gerichts seit dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 keine ernsthafte, individuelle Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Bürgerkrieg) mehr. Zwar ist die allgemeine Sicherheitslage in Syrien weiterhin als äußerst volatil und angespannt anzusehen; es gibt weiterhin aktive Kampfhandlungen, ethnisch-motivierte Gewalttaten gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen, militärische Aktivitäten von Drittstaaten, Terrorismusgefahr, Gewaltkriminalität und Entführungen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Syrien, 30.5.2025, S. 2, 5). Der Kläger stammt aus dem Gebiet Aleppo, das zumindest unter teilweiser Kontrolle der neuen syrischen Regierung ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Syrien, 30.5.2025, S. 4). Laut BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Syrien, vom 8. Mai 2025 (S. 60) ist die Sicherheitslage in Nordsyrien und auch in der strategisch wichtigen Stadt Aleppo nach wie vor instabil, da verschiedene Fraktionen um Kontrolle und Einfluss konkurrieren. Allerdings wird es für den Kläger als zumutbar erachtet, auf andere, sicherere Gebiete Syriens auszuweichen, wenn er – nach eigenem Bekunden – ohnehin in seiner Heimatregion keinen familiären Anlaufpunkt mehr hat. Er kann daher in ein Gebiet ausweichen, in dem weder sein Leben noch seine körperliche Unversehrtheit aufgrund willkürlicher Gewalt mit einer hinreichend beachtlichen Wahrscheinlichkeit bedroht sein wird.
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Soweit der Kläger eine Einberufung zum Militär befürchtet, ist anzumerken, dass in den von der neuen syrischen Regierung kontrollierten Gebieten der verpflichtende Wehrdienst abgeschafft ist. Ende des Jahres 2024 bestätigte Syriens Präsident Al-Sharaa, dass man zu einer Freiwilligenarmee übergehen wolle. Seitdem gibt es keine Berichte über Zwangsrekrutierungen mehr (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Syrien, 30.5.2025, S. 13).
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Soweit der Kläger befürchtet, wegen seines langjährigen Aufenthalts im westlichen Ausland als regimekritisch eingestuft und besonders „engmaschig“ überwacht zu werden, findet sich hierzu in den aktuellen Lageberichten kein Anhalt (siehe u.a. Auswärtiges Amt, Lagebericht Syrien, 30.5.2025, S. 27 ff. zur Rückkehrsituation).
47
Somit ist im Rahmen der anzustellenden Gefahrenprognose („real risk“) eine Verletzung des Art. 3 EMRK nicht zu erwarten und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht zu erteilen.
IV.
48
Schließlich sind auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt. Es ist nicht erkennbar, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche, individuelle und konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Anhaltspunkte für eine den Kläger drohende erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen. Auch die wirtschaftliche Lage in Syrien rechtfertigt kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
49
Daher war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG)