Inhalt

Vergabekammer München, Beschluss v. 10.04.2025 – 3194.Z3-3_01-25-10
Titel:

Vergabeverfahren, Antragsgegner, Entscheidungen der Vergabekammer, Verfahren vor der Vergabekammer, Nachprüfungsantrag, Sittenwidrigkeit des Vertrages, Nachprüfungsverfahren, Zuschlagserteilung, Öffentlicher Auftraggeber, Vergaberechtsverstoß, Vergaberechtswidrigkeit, Grundsätze des Vergaberechts, Vergaberechtsverstöße, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Rahmenvereinbarung, Alleiniges Zuschlagskriterium, Zuschlagskriterien, Erteilung des Zuschlags, Vergabestelle, Leistungsbeschreibung

Schlagworte:
Zuschlagserteilung, Nachprüfungsantrag, Sittenwidrigkeit, Vergabeverfahren, Leistungsfähigkeit, Akteneinsicht, Rahmenvertrag
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 12.09.2025 – Verg 5/25 e
Fundstelle:
BeckRS 2025, 30024

Tenor

1. Der Nachprüfungsantrag wird als unzulässig verworfen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von …,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war notwendig.

Gründe

I.
1
Mit Auftragsbekanntmachung vom 13.11.2024, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union unter Nr. …, schrieb die Antragsgegnerin einen „Rahmenvertrag Wartung Kanalreinigung Ölabscheider Fettabscheider“ im Wege eines offenen Verfahrens aus. Einziges Zuschlagskriterium war gemäß Ziffer 5.1.10 der Bekanntmachung der Preis.
2
Ausweislich der Angabe in Ziffer 5.1.11 der Bekanntmachung standen die Auftragsunterlagen für einen uneingeschränkten und vollständigen direkten Zugang gebührenfrei unter der dort genannten Internetadresse zur Verfügung. Bestandteil der Vergabeunterlagen war das Formblatt L 211 EU. Dieses wies aus, dass die Bindefrist am 06.02.2025 endet. Zudem war Bestandteil der Vergabeunterlagen das Dokument „Ergänzungen Leistungsbeschreibung“. In diesem war auszugsweise folgendes festgelegt:
[…] „20. Kanalreinigung
Die Kanalreinigung wird als jährliche Wartungsreinigung ausgeführt, eine Angabe des Zeitpunkts der letzten Unterhaltsreinigung kann nicht gemacht werden.
••
Anforderungen an Saug- und Hochdruckspülfahrzeuge gemäß DIN 30705 (Begriffe siehe DIN 30702),
Anforderungen siehe DIN 30705 und DIN 30701).
••
Anforderungen an das Kanalreinigungsfahrzeug:
Der AG fordert für die Kanalreinigung der Dimensionen DN 100 bis DN 800 mm ein kombiniertes Hochdruck-Spül- und Saugfahrzeug mit Wasserrückgewinnung:
Digitale Dokumentation der Kanalreinigung
In den Spül-Saugfahrzeugen muss eine Installation zur digitalen Dokumentation der Kanalreinigung vorhanden sein, die neben den Schacht- und Haltungsbezeichnungen auch
••
Die Ergebnisse dazu sind jeder Rechnung beizulegen zur Kontrolle der lückenlosen Reinigung.
Die Stammdaten erhält der Auftragnehmer hierfür vom Auftraggeber digital in Absprache der Formate einschl. der Angaben zu bereits mit Inlinern sanierten Haltungen.
Die Fahrzeuge müssen mit den notwendigen Gerätschaften, Gaswarn-, Sicherheits-, Rettungs- und Deckelhebegeräten, ausreichenden Düsen, Lampen, Rundumleuchten, Steighilfen, Schaufeln, Seilen usw. ausgestattet sein.
Notwendige Absperrvorrichtungen sollten bei Bedarf vorhanden sein. Der Einsatz muss dem AG jedoch rechtzeitig angemeldet werden. Es erfolgt keine separate Vergütung. Ein eventuell erforderlicher Rückstau im Kanalrohr/-netz ist während der Arbeiten nur mit Zustimmung des AG zulässig. Gegebenenfalls kann ein Rückstau unter ständiger Beobachtung der ansteigenden Rückstauhöhe erlaubt werden, wenn zuvor ausreichende Vorkehrungen wie einschaltfertige Pumpeninstallation oder Saugwagenbereitschaft mit ausreichendem Füllvolumen an einen geeigneten Schacht vorgenommen wurden.“ […]
3
Die Antragstellerin und die Bestbieterin reichten innerhalb der auf den 17.12.2024 festgesetzten Angebotsfrist ein Angebot ein.
4
Mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 20.01.2025 setzte die Antragsgegnerin die Antragstellerin davon in Kenntnis, dass auf ihr Angebot nicht der Zuschlag erteilt werden könne, weil es nicht das wirtschaftlichste sei. Zudem teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag am 04.02.2025 auf das Angebot der Bestbieterin zu erteilen.
5
Mit Schreiben vom 27.01.2025 beanstandete die Antragstellerin die Vergabeentscheidung der Antragsgegnerin als vergaberechtswidrig. Gemäß den Ergänzungen im Leistungsverzeichnis Seite 6 Absatz 20 Kanalreinigung könne die Bestbieterin die geforderten Anforderungen nicht erfüllen. Dies erkläre auch den preislichen Unterschied. Die vertragliche Vereinbarung diesbezüglich gelte bereits seit 2014 zur lückenlosen Dokumentation der Kanalreinigung.
6
Mit Schreiben vom 27.01.2025 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sich der Bieter mit fristgerechter Abgabe der Angebote verpflichte, die Leistungsbestandteile der Ausschreibung zu erfüllen. Unter anderem würden, wie im Formblatt L213 beschrieben, die Ergänzungen zur Leistungsbeschreibung Bestandteil des Vertrags werden, die zu erfüllen seien. Der Einspruch werde dennoch seitens der Vergabestelle geprüft.
7
Mit Schreiben vom 04.02.2025, bei der der Antragstellerin am 05.02.2025 zugegangen, antwortete die Antragsgegnerin der Antragstellerin, dass die Bestbieterin zur Aufklärung aller zu erfüllenden Bedingungen betreffend Punkt 20 der Ergänzungen des Leistungsverzeichnisses die erforderlichen Nachweise habe erbringen können. Der Zuschlag gehe, wie bereits im Informationsschreiben § 134 GWB mitgeteilt, an die Bestbieterin. Dieses Vergabeverfahren werde hiermit abgeschlossen.
8
Am 06.02.2025 übermittelte die Antragsgegnerin der Bestbieterin mit Nachricht über die Vergabeplattform eine „Rahmenvereinbarung Kanal“ und bat um Rücksendung der unterzeichneten Unterlage über das Vergabeportal. Die Bestbieterin antwortete am 06.02.2025 über die Nachrichtenfunktion des Vergabeportals und übersandte die unterschriebene Rahmenvereinbarung.
9
Nachdem der Rüge der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte sie mit Schreiben vom 19.02.2025, eingegangen bei der Vergabekammer am 20.02.2025, einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.
10
Die Antragstellerin trägt vor, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet sei. Das Unternehmen, welches bezuschlagt werden solle, könne mit dem bei ihm vorhandenen Maschinenpark die Anforderung der lückenlosen Sensorschnittstellendokumentation der Arbeiten nicht erfüllen, weil bei deren Fahrzeugen die entsprechende Hardware gar nicht verbaut sei und auch nicht nachgerüstet werden könne bzw. nicht innerhalb der einschlägigen Leistungszeiträume eine solche Hardware beschafft werden könne. Das Angebot der ausgewählten Firma hätte gar nicht berücksichtigt werden dürfen, da es an der technischen Leistungsfähigkeit des Unternehmens mangele (§ 122 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 Var. 1 GWB). Bei korrekter Durchführung des Vergabeverfahrens hätte der Zuschlag an die Antragstellerin gehen müssen.
11
Die Antragstellerin beantragt
1.
der Antragsgegnerin aufzugeben, den Zuschlag nicht an die Bestbieterin zu erteilen,
2.
der Antragsgegnerin aufzugeben, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen,
3.
der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und
4.
die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären.
12
Zudem wurde um Einsicht in die Vergabeakten gemäß § 165 Abs. 1 GWB gebeten.
13
Mit Schriftsatz vom 24.02.2025, eingegangen bei der Vergabekammer am 25.02.2025, trägt die Antragsgegnerin vor, dass die Antragstellerin die Bestandsauftragnehmerin sei. Der Vertrag mit der Antragstellerin ende am 30.04.2025. Um ihren weiterhin bestehenden Bedarf zu decken, habe die Antragsgegnerin den streitgegenständlichen Rahmenvertrag ausgeschrieben. Nach Überprüfung der Ausschreibungsunterlagen seien die Bieter ordnungsgemäß gemäß § 134 GWB über die beabsichtigte Zuschlagserteilung informiert worden. Auf die Rüge der Antragstellerin habe die Antragsgegnerin die Bestbieterin zur Stellungnahme aufgefordert und die daraufhin von der Bestbieterin eingereichten Unterlagen überprüft. Die Prüfung habe keinerlei weitere Mängelpunkte die Leistungsfähigkeit der Bestbieterin betreffend ergeben, was der Antragstellerin schriftlich mitgeteilt worden sei. Da kein weiterer Einspruch eingelegt worden sei, habe die Antragsgegnerin den Auftrag am 05.02.2025 an die Bestbieterin erteilt.
14
Mit rechtlichem Hinweis vom 28.02.2025 teilte die Vergabekammer mit, dass sie nach erster Prüfung des Nachprüfungsantrags, der Antragserwiderung sowie der Vergabeakte zu der vorläufigen Rechtsauffassung komme, dass der Nachprüfungsantrag vom 19.02.2025 unzulässig sei. Gem. § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB könne ein wirksam erteilter Zuschlag nicht aufgehoben werden. Ein nach wirksamer Zuschlagserteilung gestellter Nachprüfungsantrag sei nicht statthaft und führe zur Unzulässigkeit des Antrags. Die Vergabekammer gehe nach vorläufiger Rechtsauffassung davon aus, dass die Antragsgegnerin der im Informationsschreiben vom 20.01.2025 benannten Bestbieterin am 06.02.2025 und damit vor Stellung des Nachprüfungsantrags am 20.02.2025 wirksam den Zuschlag erteilt habe. Der Wirksamkeit der Zuschlagserteilung stehe auch nicht ein Verstoß gegen die in § 134 GWB enthaltene Informations- und Wartepflicht entgegen. Die Antragstellerin erhielt bis spätestens 06.03.2025, 12.00 Uhr Gelegenheit zur Stellungnahme sowie dazu, mitzuteilen, ob sie den Nachprüfungsantrag zurücknimmt. Abschließend wies die Vergabekammer darauf hin, dass bei Unzulässigkeit oder offensichtlicher Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags gem. § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB nach Lage der Akten entschieden werden könne.
15
Mit Schriftsatz vom 01.03.2025, bei der Vergabekammer eingegangen am 03.03.2025, erklärte die Antragstellerin, dass ohne die bereits beantragte Akteneinsicht keine Stellungnahme auf den Hinweis der Vergabekammer erfolgen könne.
16
Mit Beschluss vom 03.03.2025 erteilte die Vergabekammer der Antragstellerin Einsicht in folgende Unterlagen der Vergabeakte der Vergabestelle: Nachricht vom 06.02.2025 – teilweise geschwärzt – 3 Seiten und Antwort vom 06.02.2025 – teilweise geschwärzt – 4 Seiten. Bei diesen beiden Dokumenten handelte es sich um die am 06.02.2025 stattgefundene Konversation zwischen Antragsgegnerin und Bestbieterin hinsichtlich der Zusendung und Unterzeichnung der „Rahmenvereinbarung Kanal“.
17
Mit Schriftsatz vom 06.03.2025, eingegangen bei der Vergabekammer per Fax am 07.03.2025 um 18:20 Uhr, bat die Antragstellerin um Überlassung des einschlägigen Schriftverkehrs zwischen der Vergabestelle und dem erfolgreichen Bieter ab dem Zeitpunkt, ab dem die Antragstellerin gegenüber der Vergabestelle gerügt habe, dass der erfolgreiche Bieter technisch gar nicht in der Lage sei, die Anforderungen zu erfüllen. Weiter trug die Antragstellerin vor, dass es zwar grundsätzlich richtig sei, dass ein wirksamer Zuschlag vorliegend zur Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags führe. Ein wirksamer Zuschlag käme aber gerade nicht zustande, wenn die Vergabestelle positiv gewusst habe oder es sich ihr hätte aufdrängen müssen, dass der ausgewählte Bieter technisch nicht leistungsfähig sei, ihm aber trotzdem, also „sehenden Auges“ oder zumindest mit dolus eventualis der Auftrag „zugeschanzt“ worden sei. In einem solchen Fall sei der durch Zuschlagserteilung beabsichtigte Vertrag nichtig und ein Zuschlag gerade eben nicht wirksam. Hierzu verwies sie auf den Beschluss des OLG Celle vom 24.10.2019, Az.: 13 Verg 9/19.
18
Mit Beschluss vom 14.03.2025 erteilte die Vergabekammer der Antragstellerin eine ergänzende Akteneinsicht. Hiervon umfasst waren die Dokumente „Aufklärung vom 28.01.2025“ und „Antwort vom 30.01.2025 ohne Anlagen“. Es handelte sich hierbei um die von der Antragsgegnerin durchgeführte Aufklärung bei der Bestbieterin.
19
Mit Schriftsatz vom 20.03.2025 trug die Antragstellerin vor, dass die ergänzende Akteneinsicht nicht weiterhelfe. Die Vergabestelle habe bei der Bestbieterin nachgefragt, ob sie die technischen Anforderungen erfüllen könne. Die Bieterin habe hierauf kurzum geantwortet, sie erfülle die Anforderungen und verweist auf eine nicht in der Akteneinsicht enthaltene Anlage, deren Dateiname sogar geschwärzt sei. So könne nicht beurteilt werden, ob sich der Vergabestelle die Ungeeignetheit der Bieterin – anhand der Anlage – aufgedrängt habe, wovon die Antragstellerin ausgehe. Die Vergabekammer steuere mit dieser Handhabe auf einen offensichtlichen Gehörsverstoß zu. Die Antragstellerin benötige die Anlage, die die Bieterin vorgelegt habe, um zu beweisen, dass sie im Fahrzeug eine automatische digitale Dokumentationsschnittstelle verbaut habe.
20
Mit Schriftsatz vom 26.03.2025 beantragte die Antragsgegnerin:
1.
den Nachprüfungsantrag als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen,
2.
der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Antragsgegners aufzuerlegen,
3.
festzustellen, dass die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin notwendig war.
21
Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig sei, da es bereits an einer ordnungsgemäßen Rüge fehle und die Antragstellerin mithin ihre Rügeobliegenheit aus § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB verletzt habe. Bei der Rüge der Antragstellerin vom 27.01.2025 sei das Mindestmaß an Substantiierung nicht eingehalten. Es handele sich daher um eine Rüge „ins Blaue hinein“. Jedenfalls sei der Nachprüfungsantrag nach wirksamer Zuschlagserteilung gestellt worden. Die Aufhebung eines wirksamen Zuschlags sei gemäß § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht möglich. Entgegen den Ausführungen der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 06.03.2025 sei die Beauftragung nicht nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam. Es liege weder eine objektive noch subjektive Sittenwidrigkeit vor. Hilfsweise sei ergänzend auszuführen, dass der Nachprüfungsantrag unbegründet wäre, da die Antragstellerin keine Verletzung in eigenen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften darlegen könne. Durch die Erteilung des Zuschlags an die Erstplatzierte habe die Antragsgegnerin nicht gegen Vergabevorschriften verstoßen. Die Erstplatzierte habe ein ausschreibungskonformes Angebot abgegeben und da der Preis alleiniges Zuschlagskriterium sei, habe die bezuschlagte Bieterin den ersten Platz erzielt und ihr Angebot habe entsprechend vergaberechtskonform beauftragt werden dürfen.
22
Der Schriftsatz der Antragsgegnerin wurde der Antragstellerin zur Kenntnis und Gelegenheit zur Stellungnahme bis spätestens 01.04.2025 weitergeleitet. Innerhalb der gesetzten Frist ist kein weiterer Schriftsatz der Antragstellerin eingegangen.
23
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
24
1. Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig.
25
1.1. Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i.V.m. §§ 1 und 2 BayNpV. Gegenstand der Vergabe ist eine Rahmenvereinbarung i.S.d. § 103 Abs. 5 GWB über Dienstleistungsaufträge i.S.d. § 103 Abs. 4 GWB. Die Antragsgegnerin ist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 2 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert. Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107-109 GWB liegt nicht vor.
26
1.2. Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages steht der an die im Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 20.01.2025 benannte Bestbieterin wirksam erteilte Zuschlag entgegen.
27
Gemäß § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB kann ein wirksam erteilter Zuschlag nicht aufgehoben werden. Das gilt auch für den Vertrag, der durch den wirksamen Zuschlag nach §§ 145 ff. BGB geschlossen wird. Zuschlag und Vertragsschluss fallen grundsätzlich zusammen. Dabei handelt es sich um ein Grundprinzip des deutschen Vergaberechts. Der wirksame Abschluss des zivilrechtlichen Vertrages und damit korrespondierend ein wirksam erteilter Zuschlag beenden das Vergabeverfahren. Das gilt auch dann, wenn das vorausgehende Vergabeverfahren vergaberechtswidrig war (Fett, in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage 2022, § 168 GWB Rn. 35), sofern dieser Verstoß nicht zur Nichtigkeit führt (Blöcker, in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 5. Auflage 2020, § 168 GWB Rn. 43).
28
Ist ein Vergabeverfahren im Zeitpunkt der Anrufung der Vergabekammer durch eine wirksame Zuschlagserteilung beendet worden, ist die Vergabekammer zu einer Entscheidung in der Sache nicht berufen (vgl. BGH, Beschluss vom 19.12.2000, X ZB 14/00). Ein nach wirksamer Zuschlagserteilung gestellter Nachprüfungsantrag ist somit nicht statthaft und führt zur Unzulässigkeit des Antrags (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.04.2022, VII-Verg 34/21; Dicks/Schnabel, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Auflage 2024, § 160 GWB, Rn. 4). Ein nicht wirksam erteilter Zuschlag beendet das Vergabeverfahren dagegen nicht (Fett, in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage 2022, § 168 GWB Rn. 38) und steht insofern auch nicht der Zulässigkeit eines erhobenen Nachprüfungsantrags entgegen.
29
Die Antragsgegnerin hat der im Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 20.01.2025 benannten Bestbieterin am 06.02.2025 und damit zeitlich vor Stellung des Nachprüfungsantrags durch die Antragstellerin am 20.02.2025 wirksam den Zuschlag erteilt.
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1.2.1. Ausweislich der Vergabeakte hat die Antragsgegnerin der Bestbieterin am 06.02.2025 um 7:35 Uhr und damit innerhalb der Bindefrist, die ausweislich des Formblattes L 211 EU am selben Tag endete, eine „Rahmenvereinbarung Kanal“ über die Nachrichtenfunktion der Vergabeplattform übermittelt.
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In dem mit „Rahmenvereinbarung“ überschriebenen Dokument wird ausgeführt, dass […] „Auf Grund Ihres oben genannten Angebots (…) Sie die Rahmenvereinbarung für die oben bezeichneten Leistungen im Namen und für Rechnung folgender Auftraggeber: … Universität …, Gebäudemanagement, …“ […] erhalten. Weiter wird Bezug genommen auf das Angebot vom 07.12.2024. Unter „Bereich/Liegenschaft(en)/Betriebsstrecke(n)“ ist die … Universität …, Campus … ausgewiesen und unter „Leistung“ ist vermerkt: […] „Wartung Kanalreinigung Ölabscheider Fettabscheider“ […]. Unter „Erläuterungen“ ist aufgeführt, dass es sich um einen Rahmenvertrag vom 01.05.2025 bis 30.04.2029 mit einer Verlängerung optional für ein Jahr handele. Diese Ausführungen geben die wesentlichen Inhalte der Ausschreibung wieder und sind in ihrer Gesamtheit als Zuschlag auf das Angebot der Bestbieterin und in der Folge zivilrechtlich als Annahme ihres Angebots zu werten (vgl. Eichler, in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage 2022, 1. Teil Rn. 303; Hertwig, in: Hertwig, Praxis des Vergaberechts, 7. Auflage 2021, Rn. 291).
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1.2.2. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 06.03.2025 mitgeteilt, dass ihrer Ansicht nach ein wirksamer Zuschlag nicht zustande käme, wenn die Vergabestelle positiv gewusst habe oder es sich ihr hätte aufdrängen müssen, dass der ausgewählte Bieter technisch nicht leistungsfähig sei und ihm aber trotzdem, also „sehenden Auges“ oder zumindest mit dolus eventualis, der Auftrag „zugeschanzt“ worden sei. In einem solchen Fall sei der durch Zuschlagserteilung beabsichtigte Vertrag nichtig und ein Zuschlag gerade eben nicht wirksam. Hierzu verweist die Antragstellerin auf den Beschluss des OLG Celle vom 24.10.2019, 13 Verg 9/19.
33
Die Vergabekammer geht nach verständiger Würdigung und Auslegung des Vortrages der Antragstellerin davon aus, dass diese eine Nichtigkeit des Vertrages aufgrund von Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB und hierzu korrespondierend eine Unwirksamkeit des Zuschlages geltend machen möchte.
34
Mit diesem Einwand dringt sie im Ergebnis nicht durch, denn der zwischen der Antragsgegnerin und der Bestbieterin geschlossene Vertrag ist nicht nach § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig.
35
Weder führen die von der Antragstellerin zitierte Entscheidung des OLG Celle sowie die darin zitierten Entscheidungen zur Sittenwidrigkeit dazu, im vorliegenden Fall von einem sittenwidrig zwischen der Antragsgegnerin und der Bestbieterin geschlossenen Vertrag auszugehen (dazu 1.2.2.1.), noch ist eine Sittenwidrigkeit des Vertrages im Übrigen erkennbar (dazu 1.2.2.2.).
36
1.2.2.1. Die von der Antragstellerin zitierte Entscheidung und die darin zur Frage der Sittenwidrigkeit zitierten Entscheidungen sind mangels Vergleichbarkeit der Fallkonstellationen mit dem hiesigen Verfahren für die Entscheidungsfindung nicht heranziehbar.
37
Nach dem OLG Celle im von der Antragstellerin zitierten Beschluss vom 24.10.2019, 13 Verg 9/19 kann ein Vertrag sittenwidrig und damit nichtig sein, wenn er ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens vergeben wird und der öffentliche Auftraggeber in bewusster Missachtung des Vergaberechts handelt, also entweder weiß, dass der betreffende Auftrag dem Vergaberecht unterfällt oder sich einer solchen Kenntnis mutwillig verschließt, auch kollusiv mit dem Auftragnehmer zusammenarbeitet. Das OLG Celle hat sich diesbezüglich auf Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte bezogen. Die darin aufgeworfenen Fallkonstellationen sind jedoch mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Denn im hiesigen Fall hat die Antragsgegnerin ein förmliches Vergabeverfahren in Form eines offenen Verfahrens durchgeführt.
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Soweit das OLG Celle weiter ausführt, dass eine Nichtigkeit bei groben Vergaberechtsverstößen – insbesondere gegen Transparenzvorschriften – in Betracht kommen kann, was allerdings voraussetzt, dass gezielt bestimmte Unternehmen benachteiligt werden, der Auftraggeber und Auftragnehmer kollusiv zusammenwirken oder sich die Vergabestelle jedenfalls der Vergaberechtswidrigkeit bewusst ist oder sich zumindest einer entsprechenden Kenntnis verschließt, sieht die Vergabekammer auch die in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidungen für nicht übertragbar an. Hinsichtlich der erstgenannten Fallkonstellation hat sich das OLG Celle auf eine Entscheidung des BGH vom 19.12.2000 mit dem Aktenzeichen X ZB 14/00 bezogen. Der dortige Fall behandelte gegenständlich die Auftragsvergabe an einen Mitbewerber ohne vorherige Inkenntnissetzung der beabsichtigten Vergabe gegenüber der dortigen Antragstellerin, nachdem zuvor ein Verhandlungsverfahren mit allen Beteiligten durchgeführt worden war. Eine Vergleichbarkeit der Fallkonstellationen scheidet aus, denn im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 20.01.2025 darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie beabsichtigt, den Zuschlag am 04.02.2025 auf das Angebot der Bestbieterin zu erteilen. Die zweite, vom OLG Celle vorgetragene Fallkonstellation bezog sich auf Entscheidungen des OLG Düsseldorf. Im Beschluss vom 18.06.2008, Verg 23/08 hatte das OLG Düsseldorf darüber zu entscheiden, ob ein geschlossener Vertrag nach § 138 BGB unwirksam ist, wenn öffentlicher Auftraggeber und Zuschlagsempfänger wussten oder zumindest für möglich hielten, dass der Auftrag ausschreibungspflichtig ist. Auch der Beschluss des OLG Düsseldorf vom 12.01.2000, Verg 4/99 behandelte eine Fallkonstellation, in der es unterlassen wurde, ein Vergabeverfahren durchzuführen. Wie oben bereits festgestellt, hat die Antragsgegnerin ein förmliches Vergabeverfahren in Form eines offenen Verfahrens durchgeführt. Es gab damit keine Fragestellung dahingehend, ob eine Ausschreibungspflicht vorliegt oder nicht.
39
Das OLG Celle hatte zudem auf das Urteil des OLG Brandenburg vom 16.12.2015 mit dem Aktenzeichen 4 U 77/14 verwiesen, wonach die Nichtigkeit eines Vertrages aus dem Vorliegen gravierender Verstöße gegen Grundwertungen des Vergaberechts gefolgert wurde, ohne ein solches Bewusstsein der Vergaberechtswidrigkeit vorauszusetzen. Aber auch die darin streitgegenständliche Fallkonstellation ist mit der vorliegenden nicht vergleichbar und daher nicht übertragbar. In der dortigen Fallgestaltung folgte die Sittenwidrigkeit aus mehreren Verstößen gegen das Vergaberecht von erheblichem Gewicht, während auch im Übrigen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB gegeben waren. Die Verstöße lagen dergestalt vor, dass ein Streithelfer im Vergabeverfahren beteiligt worden war, der sowohl Beauftragter der Auftraggeberin als auch zumindest eine sonst unterstützende Person der späteren Auftragnehmerin war. Dieser Streithelfer hatte zudem auf die Entscheidung von Mitbietern eingewirkt, kein Nachprüfungsverfahren anzustrengen. Das Vorliegen vergleichbarer gravierender Verstöße gegen Grundwertungen des Vergaberechts hat die Antragstellerin im hiesigen Verfahren weder vorgetragen, noch sind Anhaltspunkte hierfür aus der vorgelegten Dokumentation ersichtlich.
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Auch die Entscheidung des OLG Celle selbst ist bei der Entscheidungsfindung nicht heranzuziehen. Im vom OLG Celle im Beschluss vom 24.10.2019, 13 Verg 9/19 zu entscheidenden Fall ist der Auftraggeber vor Zuschlagserteilung von bekanntgegebenen Bedingungen für das Vergabeverfahren – dem Standort für die Erbringung der ausgeschriebenen Rettungsdienstleistungen innerhalb eines vorgegebenen Gebiets – zugunsten eines Bieters aktiv abgewichen, ohne diese Änderung anderen Bietern mitzuteilen. Vorliegend ist die Antragsgegnerin nicht von ihren ausgeschriebenen Bedingungen zugunsten der Bestbieterin abgewichen, sondern der Zuschlag ist über den ausgeschriebenen Rahmenvertrag zustande gekommen. Nur der Vollständigkeit halber weist die Vergabekammer an dieser Stelle darauf hin, dass das OLG Celle die Sittenwidrigkeit des geschlossenen Vertrages im Ergebnis verneint hatte.
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1.2.2.2. Aber auch im Übrigen ist der zwischen der Antragsgegnerin und der Bestbieterin geschlossene Vertrag nicht nach § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig.
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Umstände, die einen Vertrag mit dem Makel der Sittenwidrigkeit behaften, liegen nur in ganz besonderen Ausnahmefällen vor. Eine Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der öffentliche Auftraggeber in bewusster Missachtung des Vergaberechts gehandelt und überdies kollusiv, also zum Nachteil eines Dritten, etwa eines Konkurrenten des Auftragnehmers, mit dem Auftragnehmer zusammengewirkt hat (Gnittke/Hattig, in: Müller-Wrede, GWB, 1. Auflage 2016, § 135 Rn. 146-149).
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Von diesen Grundsätzen ausgehend lässt sich eine Sittenwidrigkeit des geschlossenen Vertrages im vorliegenden Fall nicht feststellen.
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Soweit die Antragstellerin vom Vorliegen einer Sittenwidrigkeit ausgehen möchte, wenn die Vergabestelle positiv gewusst habe oder es sich ihr hätte aufdrängen müssen, dass der ausgewählte Bieter technisch nicht leistungsfähig sei und ihm aber trotzdem, also „sehenden Auges“ oder zumindest mit dolus eventualis, der Auftrag „zugeschanzt“ worden sei, sieht die Vergabekammer darin bereits nicht den Tatbestand der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB verwirklicht. Den Ausführungen der Antragstellerin fehlt es bereits an einem Vortrag dahingehend, dass Antragsgegnerin und Bestbieterin kollusiv zusammengewirkt hätten, was jedoch für eine Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB erforderlich ist.
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Aus der vorgelegten Vergabeakte und insbesondere dem zwischen der Antragsgegnerin und der Bestbieterin geführten Schriftverkehr im Hinblick auf die Aufklärung aller zu erfüllenden Bedingungen aus den Ergänzungen der Leistungsbeschreibung Ziffer 20 Kanalreinigung ergeben sich für die Vergabekammer keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass von einem kollusiven Zusammenwirken zwischen Antragsgegnerin und Bestbieterin zum Nachteil der Antragstellerin oder zumindest von positiver Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis eines schwerwiegenden Vergaberechtsverstoßes auszugehen wäre. Der öffentliche Auftraggeber darf grundsätzlich davon ausgehen, dass ein Bieter seine vertraglichen Zusagen erfüllen wird. Erst wenn sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dies zweifelhaft ist, ist der öffentliche Auftraggeber gehalten, durch Einholung ergänzender Informationen die Erfüllbarkeit des Leistungsversprechens bzw. die hinreichende Leistungsfähigkeit des Bieters zu prüfen (BayObLG, Beschluss vom 29.05.2024, Verg 15/23). Vor diesem Hintergrund begegnet es keinen vergaberechtlichen Bedenken, dass die Antragsgegnerin vorliegend davon ausgegangen ist, dass die Bestbieterin ihre vertraglichen Zusagen erfüllen wird. Ob es sich vorliegend bei den Ausführungen der Antragstellerin in ihrem Schreiben vom 27.01.2025 um eine Rüge ins Blaue handelt, wie die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 26.03.2025 meint, bedarf vorliegend keiner Entscheidung in der Sache. Denn die Antragsgegnerin hat jedenfalls die von der Antragstellerin vorgebrachten Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Bestbieterin zum Anlass genommen, bei dieser eine Aufklärung durchzuführen. Hierzu hat sie ihr mit E-Mail vom 28.01.2025 mitgeteilt, dass […] „Zweifel an der Eignung Ihres Unternehmens angemeldet“ […] worden seien. Mit Unterschrift des Formblattes L213 seien die Ergänzungen zur Leistungsbeschreibung als Vertragsbestandteil anerkannt worden. Die Antragsgegnerin bitte daher […] „um Aufklärung und Nachweis aller zu erfüllenden Bedingungen … Ergänzungen LV unter Punkt 20 Kanalreinigung.“ […]. Die Bestbieterin hat fristgemäß geantwortet, dass sie die Anforderungen aus Ziffer 20 der Ergänzungen der Leistungsbeschreibung erfüllen könne und entsprechende Nachweise vorgelegt, mit denen sie ihre Ausführungen belegte. Im Anschluss daran hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin sodann mitgeteilt, dass die Bestbieterin zur Aufklärung aller zu erfüllenden Bedingungen die erforderlichen Nachweise habe erbringen können. Auf der Grundlage dieser Dokumentation sind für die Vergabekammer keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, die dafür sprechen, dass die Antragsgegnerin davon ausgegangen ist oder sich der Kenntnis grob fahrlässig verschlossen hat, dass die Bestbieterin etwas anderes angeboten hat, als ursprünglich ausgeschrieben war. Überdies fehlt es aber auch an einem kollusiven Zusammenwirken, etwa dergestalt, dass die Antragsgegnerin im Rahmen der Aufklärung erkannt hätte, dass die Bestbieterin nicht das anbietet, was gegenständlich mit dem Vergabeverfahren ausgeschrieben wurde, sie die Bestbieterin aber dennoch beauftragt hat und Bestbieterin und Antragsgegnerin gemeinschaftlich und zum Nachteil der Antragstellerin vorgegangen wären. Aus der vorgelegten Dokumentation ergibt sich für die Vergabekammer vielmehr, dass die Antragsgegnerin davon ausgegangen ist, dass die Bestbieterin den mit dem Vergabeverfahren ausgeschriebenen Rahmenvertrag auch erfüllen können wird.
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1.3. Auch andere Unwirksamkeitsgründe sind vorliegend nicht ersichtlich. Ein Nachprüfungsantrag, welcher – wie vorliegend – nach der Zuschlagserteilung für bzw. dem Abschluss des Vertrags über einen öffentlichen Auftrag bzw. eine Rahmenvereinbarung i.S.d. § 103 Abs. 5 GWB eingereicht wird, wäre ungeachtet der Ausführungen unter Gliederungspunkt 11.1.2. dieses Beschlusses statthaft, wenn mit ihm die Feststellung der Unwirksamkeit des öffentlichen Auftrags bzw. der Rahmenvereinbarung nach § 135 Abs. 1 GWB geltend gemacht wird. Die Antragstellerin hat jedoch keinen dahingehenden Vortrag geleistet, dass sie ein solches Antragsziel verfolgen würde. Es liegen auch keine Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Rahmenvereinbarung nach §§ 135 Abs. 1 Nr. 1, 103 Abs. 5 GWB oder nach §§ 135 Abs. 1 Nr. 2, 103 Abs. 5 GWB vor.
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1.4. Aufgrund der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrages hat sich die Vergabekammer dafür entschieden, eine Entscheidung nach Lage der Akten nach § 166 Abs. 1 Satz 3 Var. 2 GWB zu treffen. Es war kein weiterer Erkenntnisgewinn durch eine mündliche Verhandlung zu erwarten.
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2. Die Gewährung einer weitergehenden Akteneinsicht an die Antragstellerin nach § 165 Abs. 1 GWB war nicht veranlasst. Soweit die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 20.03.2025 vorgetragen hat, dass sie die Anlage benötige, die die Bestbieterin gegenüber der Antragsgegnerin vorgelegt hat, um „zu beweisen“, dass sie im Fahrzeug eine automatische digitale Dokumentationsschnittstelle verbaut habe, war diesem Antrag nicht stattzugeben. Die Vergabekammer hat ihre Entscheidung maßgeblich nur auf die Teile der genannten Unterlagen gestützt, die auch gegenüber der Antragstellerin offengelegt wurden. Ein Akteneinsichtsrecht besteht aber von vornherein nur bezüglich der entscheidungserheblichen Aktenbestandteile (ausführlich Kus, in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 5. Auflage 2020, § 165 GWB Rn. 29 ff.; BayObLG, Beschluss vom 29.05.2024, Verg 17/23 e).
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3. Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend die Antragstellerin.
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Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
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Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Es wurde aus Gründen der Billigkeit gebührenmindernd berücksichtigt, dass keine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde.
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Von der Antragstellerin wurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraft verrechnet.
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Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB. Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i.S.v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Über die Notwendigkeit, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden. Dabei ist danach zu fragen, ob die Antragsgegnerin unter den Umständen des Falls auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen, der im Hinblick auf eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren von Bedeutung ist, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.03.2020, Verg 38/18). Bei durchschnittlich schwierigen Nachprüfungsverfahren wird bei einem öffentlichen Auftraggeber, der regelmäßig mit Vergabeverfahren betraut ist und eine eigene Vergabestelle unterhält, die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung nicht in jedem Fall bejaht werden können. Die anwaltliche Vertretung war im vorliegenden Fall jedoch erforderlich. Das streitgegenständliche Nachprüfungsverfahren behandelte die Fragstellung, inwiefern die Sittenwidrigkeit eines geschlossenen Vertrages Relevanz im Zusammenhang mit einer wirksamen Zuschlagserteilung und damit einhergehend der Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages haben kann. Damit waren zivilrechtliche und vergaberechtliche Fragestellungen aufgeworfen, deren Beantwortung nicht einfach gelagert war. Der Streitstoff geht über die Themen hinaus, die eine Vergabestelle selbständig bewältigen können muss.