Titel:
Arbeitnehmerähnliche, Versicherungsschutz, Abhängiges Beschäftigungsverhältnis, Unfallzeitpunkt, Gesetzliche Unfallversicherung, Widerspruchsbescheid, Weisungsgebundenheit, Abhängige Beschäftigung, Handlungstendenz, Arbeitsunfall, Elektronischer Rechtsverkehr, Wie-Beschäftigung, Widerspruchsverfahren, Lohnunternehmen, landwirtschaftliche Unternehmer, Sozialgerichtsgesetz, Gewinnerzielungsabsicht, Pflichtversicherung, Unternehmerversicherung, Marktüblichkeit
Leitsätze:
1. Bei der Annahme einer sog. Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs. 2 SGB VII kommt es in erster Linie auf die objektivierte Handlungstendenz im Unfallzeitpunkt an, letztlich darauf, ob der Verunfallte vorrangig fremdnützig (im Interesse eines Dritten) tätig geworden ist. Im Übrigen müssen dafür nicht sämtliche Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses vorliegen, insbesondere keine Weisungsgebundenheit.
2. Die Annahme eines Lohnunternehmens nach § 123 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII setzt voraus, dass jemand planmäßig und regelmäßig land- bzw. forstwirtschaftliche Arbeiten für Dritte, die nicht seinem Betrieb angehören, ausführt. Das Ziel muss ein gewisser unternehmerischer Profit sein, z.B. ein finanzieller Gewinn oder der Erwerb von Naturalien (z.B. Holz oder Strohballen). An die Regelmäßigkeit der lohnunternehmerischen Arbeiten und den Umfang des Gewinnstrebens dürfen dabei nicht besonders hohe Anforderungen gestellt werden. Es reicht aus, wenn die Arbeiten nur gelegentlich ausgeführt werden oder zwar eine Gegenleistung vereinbart ist, diese aber nicht ganz dem Wert einer für diese Dienstleistung marktüblichen Vergütung entspricht. Der Gesetzgeber hat die landwirtschaftliche Unternehmerversicherung und auch die Versicherung von entsprechenden Lohnunternehmen als solidarische Pflichtversicherung ausgestaltet, die grundsätzlich auch Kleinunternehmen mit relativ niedriger Gewinnerwartung kraft Gesetzes unter Versicherungsschutz stellt.
Schlagworte:
Arbeitsunfall, Arbeitnehmerähnlichkeit, Fremdnützigkeit, Handlungstendenz, Unfallversicherung, Selbstwerber, Forstarbeit
Fundstelle:
BeckRS 2025, 29631
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 23.05.2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2024 das Ereignis vom 27.02.2024 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in vollem Umfang.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Anerkennung des Ereignisses vom 27.02.2024 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung.
2
Der 1973 geborene Kläger ist selbst mit einem kleinen Stück Forst von 0,27 ha Größe, das er im Jahr 2016 gekauft hat, als fortwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten versichert. Der Unfall ereignete sich allerdings nicht im Zusammenhang mit diesem Unternehmen. Vielmehr führte der Kläger im Unfallzeitpunkt für seinen Nachbarn H. in dessen (ebenfalls bei der Beklagten versichertem) Forst Waldarbeiten durch. Schon einige Jahre zuvor hatte H. ihn immer wieder gebeten, seinen Wald, der etwa in ein Kilometer Entfernung zum Wald des Klägers liegt, nach schadhaften Bäumen zu kontrollieren und etwaige Käferbäume zu fällen. Er war selbst aus gesundheitlichen Gründen dazu nicht in der Lage. Anfang Dezember 2023 war es in weiten Teilen Bayerns wegen anhaltendem, nassem Schneefall zu Schneebruch an vielen Bäumen gekommen. Nachdem der Kläger sich in den Tagen nach den Schneefällen vom Schadensausmaß in seinem und H.s Wald überzeugt hatte, berichtete er H. telefonisch von den umfangreichen Schäden. H. bat ihn, die geschädigten Bäume und Äste zeitnah zu beseitigen, zum einen wegen der Unfallgefahr und auch wegen des drohenden Befalls mit dem Borkenkäfer im Frühjahr. Sie vereinbarten, dass die Fällung im Laufe des Winters 2023/2024 durchgeführt werden sollte. Als Gegenleistung für die Fällung der betroffenen Bäume sollte der Kläger das geschlagene Holz erhalten. Eine konkrete Markierung der zu fällenden Bäume durch H. erfolgte nicht, vielmehr vertraute er dem Kläger, dass dieser die richtigen Bäume fällen würde.
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Mitte Februar 2024 begab sich der Kläger zusammen mit seinem Sohn C. in den Wald von H., um die vereinbarten Arbeiten durchzuführen. Sie fällten dort rund 30 bis 40 Kiefernstämme, die teilweise in unterschiedlicher Höhe abgebrochen waren. H. war bei den betreffenden Arbeiten nicht anwesend. Der Kläger und sein Sohn waren etwa fünf Tage (für jeweils drei Stunden) damit beschäftigt, die Bäume zu fällen, zu entasten und die Stämme mit dem Rückewagen aus dem Wald zu fahren. Er lagerte diese auf seinem Wohnanwesen, das damals noch dem Schwiegervater gehörte, sowie auf dem Anwesen seiner Tante A. Einen bestimmten Verwendungszweck hatte er dafür nach seiner eigenen Aussage im Erörterungstermin vom 03.09.2025 damals noch nicht vorgesehen. Die abgeschnittenen Äste der betreffenden Bäume und das Reisigholz (sog. Schnittgut) blieben zunächst im Wald zurück.
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Um das Schnittgut zu holen, begab sich der Kläger am 27.02.2024 gegen 16.00 Uhr (dieses Mal ohne seinen Sohn C.) mit Schlepper (Massey Ferguson) und Rückewagen erneut in das betreffende Waldgrundstück. Er wollte dort das angefallene Schnittgut aufladen und aus dem Wald fahren. Das Schnittgut sollte (ebenso wie das Stammholz) gemäß der mündlichen Vereinbarung mit H. ihm gehören (für seine privaten Zwecke). Er stieg vom Schlepper ab, ging hinter den Traktor und stieg auf das am Rückewagen auf etwa 1,20 m Höhe angebrachte Bedienpodest, auf dem man (stehend) den Rückekran steuern konnte. Das Bedienpodest befand sich, räumlich betrachtet, zwischen dem Rückewagen und dem Schlepper. Beim Schwenken des Rückekrans fiel dieser plötzlich in Richtung Schlepper, genau dahin, wo der Kläger auf dem Bedienpodest stand. Der Kläger wurde im Bereich des oberen Rumpfes zwischen dem Rückekran und der Fahrerkabine des Schleppers eingeklemmt. Er erlitt hierbei schwerste Wirbelsäulenverletzungen, u.a. eine Luxationsfraktur auf der Höhe von HWK 5/6 mit Vertebralisdissektion bds. und eine komplette Querschnittslähmung bei HWK 5. Vom Unfallort wurde er zunächst mit dem Rettungshubschrauber ins Universitätsklinikum R. geflogen und am Folgetag in die Unfallklinik Murnau verlegt. Er ist seither auf den Rollstuhl angewiesen.
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Die Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten, I. und J., hatten am 28.02.2024 bzw. am 04.03.2024 die Unfallörtlichkeit untersucht. Im Unfalluntersuchungsbericht vom 04.03.2024 wurde vermerkt, dass der Kläger bei dem Unfall einen Rückewagen des Herstellers „Nokka“ (aus Finnland) im Einsatz gehabt habe. Eigentümer des Rückewagens (TYP MV 951 mit Kran 4572 SE; Fabrik-/Serien-/Fahrgestellnr. F 154; Kennzeichen: PAN AL 885) sei der Sohn des Klägers, C. Den Rückewagen mitsamt Kran hatte laut Aktenlage zunächst die Rückenwagengemeinschaft S. im Jahr 2014 von der Landmaschinenfirma W. aus E-Stadt gekauft. Der Sohn des Klägers, C., hat diesen dann im Februar 2023 von der Rückewagengemeinschaft S. (vertr. durch O.) in gebrauchtem Zustand erworben.
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Die Fa. W. hatte es ihren Käufern angeboten, auf den von ihr vertriebenen Rückewägen einen entsprechenden Kran samt Stand-Bedienpodest („Bedienplatz“) zu montieren. Sie bezog die Bausätze für die Kräne von der Fa. „Nokka“, baute diese zusammen und montierte sie auf den Rückewägen. Vom Hersteller aus war kein Bedienplatz an dem Rückekran vorgesehen gewesen. Vielmehr sollte laut dem Hersteller der Kran vom Traktor aus bedient werden.
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Nach den Angaben im Bedienhandbuch (Regelwerk RL 2006/42 EG) war es nicht zulässig, einen Bedienplatz anzubringen oder sonstige technische Veränderungen vorzunehmen. Die Fa. W. montierte dennoch auf Wunsch der Kunden derartige Bedienplätze, weil der Kran ohne einen Bedienplatz faktisch nicht zu bedienen war (laut Aussage der Zeugen J. und I. am 03.09.2025). Daher hätten fast alle Käufer einen Bedienplatz anbringen lassen. Bereits im Auftrag der Rückewagengemeinschaft S. war im Jahr 2014 von der Firma W. ein Kran samt Bedienplatz am Rückewagen montiert worden. Der Sohn des Klägers kaufte den Rückewagen im Februar 2023 von der Rückewagengemeinschaft S. inklusive dieser fest montierten Zusatzausstattung.
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Der Präventionsdienst erwähnte in seinem Unfalluntersuchungsbericht vom 28.02.2024, dass der Kläger im Unfallzeitpunkt bereits Frührentner gewesen sei. Er habe aber zu diesem Zeitpunkt 0,25 ha eigenen Wald bewirtschaftet und sei diesbezüglich mit einem forstwirtschaftlichen Unternehmen bei der Beklagten versichert gewesen. Zusätzlich habe er in familiärer Verpflichtung 0,7 ha Wiesen und ca. 3 ha Getreide für seinen Schwiegervater, dem damals das gemeinsame Wohnanwesen noch gehörte, bewirtschaftet. Darüber hinaus habe er 2,25 ha Wald, deren Eigentümerin seine Tante A. sei, in familiärer Mithilfe gepflegt. Zum streitigen Unfall wurde erwähnt, dass der Kläger als Gegenleistung für die Tätigkeit bei H. am Unfalltag das angefallene Holz erhalten sollte. Er habe damit einen Hühnerstall und ein kleines landwirtschaftliches Nebengebäude errichten wollen (so die Angabe der technischen Aufsichtsbeamten).
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Im Unfallfragebogen vom 12.03.2024 gab der Kläger an, dass er Eigentümer von 0,25 ha Wald sei. In der Landwirtschaft (des Schwiegervaters) würden vier Schafe, zehn Hühner und drei Gänse gehalten.
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Der Zeuge H. erklärte in den Fragenbögen und dem Schreiben vom 19.03.2024 gegenüber der Beklagten, dass er selbst seinen Wald aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr bewirtschaften könne. Deshalb habe er beim Kläger angefragt, ob dieser die erforderlichen Arbeiten nach dem Schneebruch für ihn durchführen könne. Dieser habe dafür keine Entlohnung in Geld, vielmehr als Gegenleistung das herausgeputzte Schadholz erhalten. Der Kläger habe dieses für eigene Zwecke (als Brennholz) verwenden wollen. Die letzten vier bis fünf Jahre habe der Kläger bereits einige Male bei ihm ausgeholfen und nach Absprache mit ihm einzelne tote Bäume (Käferbäume) herausgenommen. Befreundet sei er mit dem Kläger nicht. Er wies zudem darauf hin, dass er als Waldbesitzer zur Beseitigung der Sturmschäden aus Sicherheitsgründen verpflichtet gewesen sei. Wenn der Kläger die Arbeiten nach dem Schneebruch im Winter 2023/24 nicht durchgeführt hätte, dann hätte dies ein Anderer machen müssen.
11
Am 07.03.2024 nahm die Ehefrau des Klägers für diesen eine Gewerbeanmeldung im Hinblick auf ein Lohnunternehmen „gelegentliche Rückewagenarbeiten“ bei der Wohnort-Gemeinde vor. Anfang April 2024 meldete die Ehefrau des Klägers für diesen ein entsprechendes Lohnunternehmen bei der Beklagten an. Im Fragebogen „Lohnunternehmen“ vom 05.04.2024 wurde angegeben, dass der Kläger seit 01.01.2023 ein Lohnunternehmen für „gelegentliche Rückewagenarbeiten“ betreibe. Jährlich wende er dafür ca. 40 Stunden (oder fünf Arbeitstage) auf. Der jährliche Gesamtbruttolohn betrage ca. 2500 €. Die Ehefrau erklärte im Telefonat vom 25.04.2024 gegenüber der Beklagten, dass keine Rechnungen über forstwirtschaftliche Lohnarbeiten bei Dritten existieren würden.
12
Im anwaltlichen Schreiben vom 16.05.2024 ließ der Kläger der Beklagten mitteilen, dass I. (der Mitarbeiter der Beklagten) am 04.03.2024 der Ehefrau des Klägers bei einem Gespräch gesagt habe, dass der Kläger zur Herstellung eines Versicherungsschutzes rückwirkend ein Gewerbe (Lohnunternehmen) anmelden solle. Allein aus dem Grund habe die Ehefrau Anfang April 2024 die Gewerbeanmeldung vorgenommen. Eine neue Betriebsnummer sei aber von der Beklagten nicht vergeben worden. Der Klägervertreter vertrat die Auffassung, dass es letztlich aber nicht darauf ankomme, ob im Unfallzeitpunkt ein Lohnunternehmen bestanden habe, weil der Kläger bei den unfallbringenden Verrichtungen „wie ein Beschäftigter“ für den Betrieb des H. tätig geworden sei.
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Mit Bescheid vom 23.05.2024 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 27.02.2024 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht zum Kreis der versicherten Personen gezählt habe. Ein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nummer 5a) Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) scheide aus, da der Kläger nicht als Unternehmer im eigenen Wald und auch nicht als selbstständiger Lohnunternehmer tätig geworden sei. Er sei auch kein Beschäftigter oder Wie-Beschäftigter des H. gewesen. Die Tätigkeit sei nach der erforderlichen Gesamtbetrachtung nicht als arbeitnehmerähnlich zu werten. Das Verhältnis zwischen H. und dem Kläger habe einem Werkvertrag entsprochen. Der Kläger habe die Ausführung des Auftrags frei planerisch gestalten und seine Arbeitszeit frei einteilen können.
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Mit Schreiben vom 29.05.2024 ließ der Kläger dagegen Widerspruch erheben. Dieser wurde im Schreiben vom 25.06.2024 damit begründet, dass der Kläger als Wie-Beschäftigter tätig geworden sei. Er habe eine einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht, die ihrer Art nach auch von Personen verrichtet werden könne, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stünden. Als Unternehmer sei er nicht tätig geworden. Ein Unternehmen im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung setze eine planmäßige, auf eine gewisse Dauer ausgelegte Vielzahl von Tätigkeiten voraus, die auf ein einheitliches Ziel gerichtet seien und mit einer gewissen Regelmäßigkeit ausgeübt würden. Grundsätzlich gelte nicht als Unternehmer, wer nicht regelmäßig und planmäßig Arbeiten für fremde Personen ausführe.
15
Im anwaltlichen Schreiben vom 27.06.2024 wurde ergänzt, dass man sich aber von Klägerseite, falls dies die Beklagte bevorzuge, auch der Annahme eines schon im Unfallzeitpunkt bestehenden Lohnunternehmens nicht entgegenstellen würde.
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Im Widerspruchsbescheid vom 16.07.2024 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.
17
Hiergegen wurde mit anwaltlichen Schreiben vom 23.07.2024 Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben. In der Klagebegründung vom 30.10.2024 wurde nochmals darauf Bezug genommen, was bereits im Widerspruchsverfahren ausgeführt wurde (Annahme einer sog. Wie-Beschäftigung).
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In der Klageerwiderung der Beklagten vom 03.12.2024 wurde betont, dass eine Wie-Beschäftigung dann nicht anzunehmen sei, wenn keinerlei Weisungsgebundenheit vorgelegen habe.
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Das Gericht hat die Beteiligten für den 03.09.2025 zu einer Beweisaufnahme geladen mit Einvernahme der Zeugen I., J. und H.
20
Im Hinblick auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wird in vollem Umfang auf die Sitzungsniederschrift vom 03.09.2025, die sich in der Streitakte befindet, Bezug genommen (gem. § 136 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung nach § 124 Abs. 2 SGG einverstanden.
die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 23.05.2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2024 das Ereignis vom 27.02.2024 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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Im Hinblick auf die weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf die beigezogene Akte der Beklagten, die zu dem streitigen Unfall geführten Akten der Staatsanwaltschaft Landshut, sowie auf die vorliegende Streitakte.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass es sich bei dem Ereignis vom 27.02.2024 um einen Arbeitsunfall handelt. Bei der zum Unfall führenden Tätigkeit, der Fällung der Bäume und den zugehörigen Säuberungsarbeiten stand der Kläger nach der Rechtsauffassung der Kammer unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
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Der Bescheid vom 23.05.2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2024 verletzt den Kläger in seinen Rechten und war daher aufzuheben.
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Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten, infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Eine Versicherung als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr.1 SGB VII lag zwar nicht vor, da ein Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis des Klägers im Unfallzeitpunkt nicht bestanden hat.
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Er zählte aber nach der Rechtsauffassung der Kammer in diesem Zeitpunkt als „Wie-Beschäftigter“ gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII zum Kreis der versicherten Personen. Auf der Grundlage dieser Vorschrift sind Personen versichert, die, wenn auch nur vorübergehend, in ähnlicher Weise als die nach § 2 Abs. 1 SGB VII Versicherten tätig werden (sog. „Wie-Beschäftige“). Es müssen dabei nicht sämtliche Merkmale eines Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisses vorliegen (wie Abhängigkeit in Zeit, Ort und Dauer der Tätigkeit, Fremdnützigkeit für den Arbeitgeber, Weisungsgebundenheit, Eingliederung in den Betrieb, kein Unternehmerrisiko). Das ergibt sich schon daraus, dass bei Vorliegen aller Merkmale einer abhängigen Beschäftigung bereits § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII greifen würde. Eine „Wie-Beschäftigung“ muss lediglich in ihrer Grundstruktur einer abhängigen Beschäftigung ähneln (d.h. „arbeitnehmerähnlich“ sein), indem eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wird, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen (ständige Rechtsprechung vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2005, B 2 U 22/04 R, SozR 4-2700 § 2 Nr.6).
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Nach der Rechtsauffassung der Kammer liegen diese Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB VII bei der im Unfallzeitpunkt verrichteten Tätigkeit des Klägers vor. Er hat zweifelsohne im Unfallzeitpunkt eine in erster Linie einem fremden Waldbesitzer dienende, dessen Willen entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht. Diese hätte auch von abhängig Beschäftigten verrichtet werden können.
30
Aus den in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Auslegung des Begriffs der „Wie-Beschäftigung“ kann keine klare Trennlinie, unter welchen Voraussetzungen eine Tätigkeit als noch „arbeitnehmerähnlich“ bzw. schon „unternehmerähnlich“ zu werten sei, entnommen werden. Die Grenzen und Übergänge sind fließend. Es wird in der Kommentarliteratur sogar die Auffassung vertreten, die Kriterien der Rechtsprechung seien so allgemein und von den Umständen des Einzelfalles abhängig, dass eine gewisse Rechtsunsicherheit bestehe (vgl. BeckOGK/Lilienfeld, 01.07.20217, SGB VII § 2 Rn. 123, 124). Das muss man aber nicht zwingend so sehen, denn es ist schließlich häufig die Aufgabe der erkennenden Gerichte, anhand der Umstände des Einzelfalles und unter Auslegung der anzuwendenden unbestimmten Rechtsbegriffe eine Entscheidung und Wertung im Einzelfall zu treffen. So musste das Gericht auch hier anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles und des Gesamtbildes der im Unfallzeitpunkt ausgeübten Verrichtung eine Entscheidung, ob eine „Wie-Beschäftigung“ im Rechtssinne vorliegt oder nicht, treffen.
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Dabei ist Folgendes zu berücksichtigen: In der Rechtsprechung werden die Grenzen der „Arbeitnehmerähnlichkeit“ relativ weit gezogen. Wie bereits erwähnt, müssen für deren Annahme nicht alle Merkmale eines Beschäftigtenverhältnisses erfüllt sein, insbesondere keine persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit vorliegen und kein damit verbundenes Weisungsrecht hinsichtlich Zeit, Dauer und Art der Tätigkeit. Die Tätigkeit ähnelt einer Tätigkeit auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses, wenn eine Person ihre Arbeitskraft dem Unternehmen eines Anderen für Arbeiten zur Verfügung stellt, die der andere Unternehmer kraft seiner rechtlichen Verpflichtung selbst hätte erledigen müssen und dabei nicht vorrangig eigene Interessen verfolgt (vgl. etwa BSG, Urteil vom 25.11.1992, 2 RU 48/91).
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In einem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11.12.2007 (L 3 U 299/06), dort Rn. 17 in juris, wurde an diese Rechtsprechung des BSG aus dem Jahr 1992 angeknüpft: Danach will § 2 Abs. 2 SGB VII aus sozialpolitischen und rechtssystematischen Gründen den Versicherungsschutz bewusst auf Tätigkeiten erstrecken, die nicht sämtliche Merkmale eines Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisses aufweisen; es muss insbesondere keine Weisungsgebundenheit in der Form vorliegen, wie sie bei einem Arbeitnehmer gegeben ist. Es steht der Annahme von Arbeitnehmerähnlichkeit nicht entgegen, wenn der Verletzte die weitreichenderen Fachkenntnisse für die Vornahme der Arbeiten hatte und daher den technischen Ablauf der Tätigkeit weitgehend selbst bestimmte (BayLSG, a.a.O., Rn. 30). Wie dieses Urteil des BayLSG zeigt, schadet es auch nicht, wenn ein konkreter Handlungserfolg (z.B. die Fällung eines Baumes) das Ziel des Tätigwerdens der Verletzten war.
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Von entscheidender Bedeutung für die Einstufung als „arbeitnehmerähnlich“ ist demgegenüber die mit einem – objektiv arbeitnehmerähnlichen – Verhalten verbundene Handlungstendenz des Verletzten, nämlich, dass er nach den objektiven Anknüpfungstatsachen und für Dritte erkennbar in erster Linie fremdnützig tätig werden wollte (sog. „objektivierte Handlungstendenz“); diese anhand äußerer Umstände erkennbare Handlungstendenz ist vom bloßen subjektiven Motiv für das Tätigwerden zu unterscheiden ist (vgl. BSG, Urteil vom 05.03.2002, B 2 U 9/01 R, SGb 2002, 441). Ohne diese fremdnützige Handlungstendenz verfolgt eine Person, selbst wenn die Tätigkeit in vielerlei Hinsicht einem Beschäftigungsverhältnis ähnelt, in Wirklichkeit im Wesentlichen eigene Interessen; sie ist dann nicht wie im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses tätig. Wenn es etwa einer Person, die in fremden Wäldern Holz erntet, vorrangig darum geht, für den Eigengebrauch Brennholz zu gewinnen, dann ist das nicht fremdnützig. Man nennt diese Personen „Selbstwerber“, diese sind nach der Rechtsprechung nicht gesetzlich unfallversichert (vgl. Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 17.11.2023, L 8 U 3164/22, Rz. 37 in juris; Urteil des LSG Hessen vom 03.05.2016, L 3 U 129/12 ZVW, Rn. 34 in juris).
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Dient eine Tätigkeit sowohl eigenen Belangen als auch fremden Zwecken (wie vorliegend), so sind objektiv erbrachte Leistungen und objektivierte Handlungstendenz ihrer Intensität nach im konkreten Einzelfall jeweils gegeneinander abzuwägen (Kruschinsky in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung, § 2 Rdnr. 831).
35
Vorliegend war die objektiv vom Kläger erbrachte Leistung deutlich mehr wert als die erbrachte Gegenleistung (das geschlagene Holz), denn das „Bruchholz“, das der Kläger im Februar 2024 in H.s Wald erntete, hatte einen minderen Wert, weil die Kiefernstämme wegen des Schneedrucks an verschiedensten Stellen abgebrochen waren. Laut der glaubhaften Angaben des Klägers war die geerntete Holzmenge somit kein marktgerechter Gegenwert für die von ihm und seinem Sohn für die Fällung erbrachte Arbeitsleistung von weit über 30 Stunden reine Forstarbeit. Die Einschaltung eines professionellen Waldrodungsunternehmens hätte für H. weit mehr an Kosten verursacht.
36
Zudem hat die Einvernahme des Klägers und der Zeugen H., I. und J. ergeben, dass der Kläger hauptsächlich im Interesse seines Nachbarn tätig geworden ist, als er im Februar 2024 die durch den Schneebruch beschädigten Bäume beseitigte. H. hatte den Kläger schon die Jahre vor dem Unfall damit beauftragt, sein Waldgrundstück auf schadhafte Bäume zu kontrollieren und soweit erforderlich, diese zu beseitigen. Der Kläger wollte dem Nachbarn helfen, weil dieser selbst gesundheitlich dazu nicht in der Lage war. Darüber hinaus fiel ihm das nicht schwer, weil er die nötigen Kenntnisse und die erforderliche Ausrüstung ohnehin hatte. Zudem hatte er infolge seiner eigenen Erwerbsminderung in seinem Beruf als Molkereitechniker viel Zeit, er machte er die Waldarbeit gerne und sie war für ihn sinnstiftend. Dass er bei der Hilfe für H. auch Holz für den Eigengebrauch erhielt, war für ihn zweitrangig. Zum Holzbedarf des Klägers ist Folgendes auszuführen: Zu Hause hat er einen sog. „Wamsler-Herd“, einen holzbeheizten Herd in der Küche. Für diesen braucht man zum Kochen Scheitholz in relativ geringem Umfang, das Wohnhaus wird mit Öl beheizt. Größere Holzmengen werden daher im Haushalt des Klägers nicht benötigt. Hierfür reicht das Holz aus seinem eigenen Wald aus.
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Im Folgenden wird noch einmal in allen bekannten Details die objektivierte Handlungstendenz des Klägers bezüglich der unfallbringenden Tätigkeit beleuchtet: Im Dezember 2023 hatte der Kläger mit H. telefoniert, weil es auch in H.s Wald zu erheblichen Schäden durch den Schneebruch gekommen war. H. bat ihn, die nicht unerheblichen Schäden durch die Fällung der rund 30 bis 40 betroffenen Kiefern im Laufe des Winters zu beseitigen. Der Kläger wollte H. auch hier wieder in erster Linie wegen der nachbarschaftlichen Verbundenheit aushelfen, insbesondere deshalb, weil H. selbst dazu aus gesundheitlichen Gründen nicht in Lage war. Wie der Zeuge H. aussagte, handelt es sich bei der Wohnortgemeinde des Klägers und des Zeugen („A-Stadt“) um eine kleine Gemeinde in Niederbayern, wo man sich gegenseitig kennt und aushilft. Man trifft sich auch auf örtlichen Festivitäten (wie z.B. auf dem Frühlings- oder Dorffest), wo man sich austauscht und daher weiß, an wen man sich bei einem bestimmten Problem wenden kann. Die Leute bringen sich im Sinne einer gegenseitigen Solidarität für andere Mitglieder der Dorfgemeinschaft ein mit dem, was sie gut können bzw. wofür sie die Ausrüstung haben. Hauptmotiv des Klägers war es also nicht (so die Überzeugung der Kammer), für sich selbst Holz zu gewinnen, sondern sich mit seinem Knowhow und seiner Ausrüstung einzubringen und einen Nachbarn zu unterstützen.
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Es ist zudem nach Aussage der Zeugen J., I. und H. gerade im niederbayerischen Raum, wo viele Menschen kleine Forstgrundstücke besitzen, allgemein üblich, dass die gut ausgerüsteten Waldbesitzer den anderen (nicht so gut ausgerüsteten) Waldbesitzern bei der Entfernung von Schadholz helfen, da nicht jeder das Fachwissen und die Geräte für die risikoreiche Arbeit im Wald hat. Auch profitieren letztlich alle Waldbesitzer in einem Gebiet, wenn der Ausbreitung des Borkenkäfers durch die Entfernung von schadhaftem Holz Einhalt geboten wird.
39
Der Kläger kannte H. schon lange, wenngleich sie nicht direkt befreundet waren (daher scheidet auch das Vorliegen einer Sonderbeziehung und damit die Annahme einer reinen Gefälligkeit aus). Dennoch sah er sich ihm als Mitglied der Dorfgemeinschaft und als benachbarter Waldbesitzer verbunden. Wie bereits erläutert, stand das eigene Interesse des Klägers an der streitgegenständlichen Holzernte im Hintergrund. Er hatte aus dem eigenen Waldbestand genug Holz für seinen Wamsler-Herd in der Küche, dazu hätte er das Holz von H. nicht gebraucht. Die objektivierte Handlungstendenz spricht also nach Auffassung der Kammer gewichtig für eine die Annahme einer Arbeitnehmerähnlichkeit.
40
Ein reiner Selbstwerber war der Kläger im Übrigen auch nicht, weil es ihm bei der unfallbringenden Tätigkeit nicht in erster Linie darum ging, für sich selbst Brennholz zu gewinnen, sondern (wie oben erläutert) darum, dem Nachbarn bei der Erfüllung von dessen eigener Verpflichtung zur Beseitigung der Schneebruchschäden zu helfen. „Selbstwerber“ ernten im Übrigen auch „gesunde“ Bäume, während die oben beschriebene solidarische Hilfe unter Waldbesitzern ausschließlich auf die Entfernung schadhafter Bäume abzielt und somit mehr dem Eigentümer des Waldes dient als dem, der diesem bei der Beseitigung hilft.
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Gegen die Annahme einer Arbeitnehmerähnlichkeit spricht zwar, dass der Kläger die Fällung und alle damit zusammenhängenden Arbeiten eigenständig, mit eigenem Gerät und in eigener Verantwortung vorgenommen hat (vgl. vorgenanntes Urteil des BayLSG vom 11.12.2007, a.a.O., Rn. 33). Allerdings war es von H. vorgegeben, dass nur die Schneebruchschäden zu beseitigen waren (keine gesunden Bäume); auch der Zeitpunkt der Fällung war für den Kläger nicht frei bestimmbar, weil die Schäden vor Beginn des Frühjahrs beseitigt werden mussten. H. war als Waldeigentümer verpflichtet, aus Gründen des Waldschutzes die Schäden vor Beginn der Borkenkäferaktivität im April zu entfernen. Das liegende Schadholz hätte ansonsten den Schadinsekten optimale Bedingungen geboten und so die benachbarten Bäume und Bestände gefährdet (vgl. Seite des Bayerischen Landwirtschaftsministeriums: https://www.waldbesitzer-portal.bayern.de/kaefer_sturm/sturm/index.html; „Das Risiko von Sturmschäden senken“, Handeln nach dem Sturmschaden, aktualisiert am 21.06.2024, aufgerufen am 05.09.2025).
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Trotz der eigenverantwortlichen und im Detail nicht weisungsgebundenen Ausführung kann man vorliegend also eine Arbeitnehmerähnlichkeit annehmen, weil das entscheidende Kriterium für die Feststellung einer „Arbeitnehmerähnlichkeit“ nach Meinung des Gerichts die überwiegende Fremdnützigkeit ist. Ein Unternehmer handelt dagegen in erster Linie mit dem Ziel, einen eigenen materiellen Nutzen von seiner Tätigkeit zu haben. Dies war beim Kläger nicht der Fall.
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Wenn man (entgegen der vorstehenden Ausführungen) vorliegend zur Auffassung käme, dass die Gesamtumstände überwiegend gegen eine Arbeitnehmerähnlichkeit sprächen und der Schwerpunkt der objektivierten Handlungstendenz in der Eigennützigkeit gelegen habe, dann muss man in diesem Fall das Tätigwerden des Klägers im Unfallzeitpunkt konsequenterweise als „unternehmerisch“ oder „unternehmerähnlich“ werten; dann wäre der Kläger im Unfallzeitpunkt auf der Grundlage folgender Überlegungen gem. § 123 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII unter Versicherungsschutz gestanden:
Auffangtatbestand: Tätigwerden als „Lohnunternehmer“
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Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass der Kläger im Unfallzeitpunkt zwar „unternehmerähnlich“ tätig gewesen sei, aber dennoch die Kriterien für die Annahme eines Lohnunternehmens nach § 123 Abs. 1 Nr.3 SGB VII nicht vorlägen und er damit im Unfallzeitpunkt nicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5 a) SGB VII unter Versicherungsschutz gestanden habe. Diese Meinung teilt die Kammer nicht. Wenn man hier den Schwerpunkt schon nicht im „arbeitnehmerähnlichen“, sondern „unternehmerähnlichen“ (also eigennützigen) Handeln des Klägers sieht, dann kann man nicht gleichzeitig durch eine restriktive Auslegung des „Unternehmerbegriffs“ in § 123 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII den Versicherungsschutz versagen.
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Eine derartig restriktive Auslegung würde aus folgenden Gründen dem Willen des Gesetzgebers widersprechen: Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5 a) SGB VII sind landwirtschaftliche Unternehmer kraft Gesetzes unfallversichert. Diese Vorschrift stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass der Unternehmer selbst (etwa in der gewerblichen Unfallversicherung) grundsätzlich nicht kraft Gesetzes unfallversichert ist. Bei landwirtschaftlichen Unternehmern reicht dagegen die faktische Aufnahme der entsprechenden Tätigkeiten, damit kraft Gesetzes ab diesem Zeitpunkt der Versicherungsschutz eintritt. Die Regelung basiert nicht auf dem in der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich vorherrschenden Gedanken der Ablösung der Unternehmerhaftung, sondern bezweckt aus sozialpolitischen Gründen eine Einbeziehung dieses Personenkreises in die gesetzliche Unfallversicherung im Sinne einer genossenschaftlichen, auf versicherungsrechtlicher Basis aufgebauten Eigenhilfe (vgl. LPK-SGBVII/Köhler, 6. Aufl. 2024, SGB VII, § 2 Rn. 41). Sie berücksichtigt die zuweilen schwache wirtschaftliche Position einzelner Versicherter, vor allem bei geringem Unternehmensumfang. Sie bezieht daher grundsätzlich auch außerberufliche, z.B. aus Liebhaberei oder für den Eigenbedarf tätige Unternehmen, mit ein (vgl. BeckOGK/Lilienfeld, SGB VII, § 2 Rn. 18-19).
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Unternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5a) SGB VII sind auch land- und forstwirtschaftliche Lohnunternehmen, für die die Beklagte zuständig ist (vgl. § 123 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII), weil der Versicherungsschutz an die Tatbestände des landwirtschaftlichen Unternehmens im Sinne von § 123 SGB VII anknüpft (vgl. LPK-SGBVII/Köhler, 6. Aufl. 2024, SGB VII, § 2 Rn. 41). „Lohnunternehmen“ sind selbstständige Dienstleistungsunternehmen ohne eigene Bodenbewirtschaftung, die gegen Vergütung (unzutreffend „Lohn“) auf Grund Werk- oder Dienstvertrages land- und forstwirtschaftliche Arbeiten für Dritte erledigen, die sonst diesen Dritten (meist land- oder forstwirtschaftliche Unternehmer) selbst obliegen würden: z.B. Bestellung und Aberntung von Feldern, etwa Lohnpflügereien, -säereien, -dreschereien; Rodungs- und Forstpflanzungsunternehmen, Unternehmen der Holzrückung, -entrindung, -entastung und des Holzeinschlags, etc. (BeckOGK/Koch, 15.5.2025, SGB VII § 123 Rn. 43).
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Nach § 123 Abs. 1 Nr.3 SGB VII ist Lohnunternehmer derjenige, dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht, der auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung, mit eigenem Gerät und einem eigenen Unternehmensziel für Dritte tätig wird. Ein solches Unternehmen im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung setzt eine planmäßige, auf eine gewisse Dauer ausgelegte Vielzahl von Tätigkeiten voraus, die auf ein einheitliches Ziel gerichtet sind und mit einer gewissen Regelmäßigkeit ausgeübt werden. Grundsätzlich betätigt sich daher nicht als Unternehmer, wer nicht regelmäßig und planmäßig Arbeiten für fremde Personen ausführt (BSG, Urteil vom 27.11.1986, 2 Ru 13/86). Eine einmalige Hilfe beim Nachbarn reicht also in aller Regel für die Annahme eines Lohnunternehmens nicht aus.
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Ob die Tätigkeiten nun aber mit Geld oder Naturalien, etwa dem geschlagenen Holz entlohnt werden, ist für die Annahme eines Unternehmens im Rechtssinne nicht entscheidend. Die Frage, was Alles unter den Tatbestand des § 123 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII und den unbestimmten Rechtsbegriff des „Lohnunternehmens“ zu subsumieren ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dazu zählt auch die systematische und die teleologische Auslegung.
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Die systematische Auslegung soll dazu beitragen, dass unterschiedliche Normen in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit und Stellung innerhalb eines Gesetzes beleuchtet werden. Die teleologische Auslegung fragt nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes.
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In dem Zusammenhang muss man hier berücksichtigen, dass die reine landwirtschaftliche „Unternehmerversicherung“ nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a) SGB VII i.V.m. § 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII relativ schnell greift, etwa, wenn eine kleine Landwirtschaft nur zur Eigenversorgung betrieben wird. An die Unternehmerversicherung eines Lohnunternehmers nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a) SGB VII i.V.m. § 123 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII können daher nicht wesentlich strengere Anforderungen gestellt werden; es muss genügen, wenn mit der Arbeit nur „Produkte“ (etwa Holz oder Heuballen) zur Eigenversorgung erworben werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers handelt es sich, wie oben erläutert, bei der landwirtschaftlichen Unternehmerversicherung um eine Art zwangsweise (also kraft Gesetzes) eintretende solidarische Pflichtversicherung, in die nach dem Willen des Gesetzgebers zu ihrer eigenen Absicherung auch Kleinunternehmer miteinbezogen werden sollen (vgl. LPK-SGBVII/Köhler, 6. Aufl. 2024, SGB VII, § 2 Rn. 41). Daher können auch bei Lohnunternehmen im Hinblick auf die „Gewinnerzielungsabsicht“ und die „Regelmäßigkeit“ der Ausübung keine besonders hohen Anforderungen gestellt werden.
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Wie die Beklagte meint, sei der Kläger im Unfallzeitpunkt zwar „wie ein Unternehmer“ tätig geworden, aber sein unternehmerisches Tätigwerden sei nicht auf Dauer ausgelegt gewesen, er habe die entsprechenden Tätigkeiten für Dritte nicht „regelmäßig“ (genug) und „planmäßig“ zur Erreichung eines bestimmten Unternehmensziels ausgeführt. Daher könne man den Tatbestand des § 123 Abs. 1 Nr.3 SGB VII nicht als einschlägig ansehen.
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Dagegen ist einzuwenden, dass (wie oben erläutert) unternehmerisches Handeln im Sinne dieser Vorschrift wie auch beim Fall des § 2 Abs. 1 Nr. 5 a) SGB VII i.V.m. § 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII keine Vollzeittätigkeit und auch keine zeitlich engmaschige Regelmäßigkeit voraussetzt, auch nicht notwendigerweise eine Gewinnerzielungsabsicht im Sinne marktüblicher Einnahmen in Geld. Das Unternehmensziel kann nach der Rechtsauffassung der Kammer auch sein, anderen Landwirten mit eigener Ausrüstung und eigenem Fachwissen eine preisgünstige Möglichkeit zur Waldpflege gegen den Erwerb des geschlagenen Holzes anzubieten. Diese Art von gegenseitiger solidarischer Unterstützung ist laut Aussagen der Zeugen H., I. und J. (zumindest) in Niederbayern bei Waldbesitzern üblich und weit verbreitet. Hierbei liegt der Wert des geschlagenen Schadholzes häufig unter dem marktüblichen Wert der geleisteten Arbeit bzw. der Waldbesitzer müsste bei Beauftragung eines professionellen Waldrodungsunternehmens wesentlich mehr an Gegenleistung erbringen. Dies ist oft nicht rentabel, weil mit dem Verkauf des geschlagenen Holzes kein entsprechender Gegenwert erzielt werden kann. Man behilft sich laut Aussage des Zeugen J. in der oben beschriebenen Weise, weil sonst viele kleine Waldbesitzer „draufzahlen“ würden und zudem die Waldbesitzervereinigungen (WBV) keine „Kleinaufträge“ annehmen würden. Für diejenigen, die diese günstige Möglichkeit gelegentlich für andere Waldbesitzer anbieten, muss auch sichergestellt sein, dass sie bei dieser risikoreichen Arbeit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen. Allein dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, der auch land- und forstwirtschaftliche Kleinunternehmer und kleine „Lohn“-Unternehmer gesetzlich unfallversichern wollte.
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Im konkreten Fall bedeutet dies: Der Kläger hatte vergleichbare Arbeiten für H. (Fällung sog. „Käferbäume“) schon in den Jahren vor dem Unfall immer wieder erbracht. Man kann daher durchaus von einer gewissen „Regelmäßigkeit“ ausgehen. Der Kläger, der gut ausgerüstet war und laut dem Zeugen J. fachmännisch vorging, hat in jedem Fall auch strukturiert und „planmäßig“ gehandelt. Wenn man also die unternehmerischen Elemente bei der Ausführung der Holzernte vorliegend in den Vordergrund stellt (v.a. anders als das Gericht eine überwiegende Eigennützigkeit annimmt), dann muss man nach Auffassung der Kammer auch von einer von Gesetzes wegen eingetretenen Unternehmerversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 5a) SGB VII i.V.m. § 123 Abs. 1 Nr.3 SGB VII ausgehen.
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Ergänzend sei erwähnt, dass es im Übrigen hier nicht hinreichend bewiesen ist, dass das Fällen der Bäume der zum Unfallzeitpunkt bestehenden kleinen Landwirtschaft des Klägers bzw. des Schwiegervaters gedient habe und evtl. dadurch ein Versicherungsschutz in Frage gekommen wäre. Dafür sprechen allein die Angaben der technischen Aufsichtsbeamten im Unfalluntersuchungsbericht vom 28.02.2024, der Kläger habe mit dem Holz einen Hühnerstall bzw. ein landwirtschaftliches Nebengebäude (am eigenen Hof) errichten wollen. Der Kläger war zu dem Zeitpunkt wegen seiner schweren Verletzungen noch nicht selbst befragt worden. Bei dieser dokumentierten Annahme, dass das Holz für den Bau eines Hühnerstalles verwendet worden wäre, kann es sich auch nur um eine Spekulation (z.B. der zeitnah befragten Ehefrau) gehandelt haben. H. gab demgegenüber zeitnah zu dem Unfall an, der Kläger habe das Holz als Brennholz nutzen wollen (Fragenbögen und Schreiben von H. vom 19.03.2024). Der Kläger selbst widersprach diesen Angaben im Erörterungstermin vom 03.09.2025 und sagte, er habe im Februar 2024 noch nicht gewusst, was er mit dem Holz machen würde. Daher ist es letztlich offengeblieben, wie der Kläger im Unfallzeitpunkt das geschlagene Holz verwenden wollte. Ein Versicherungsschutz im Rahmen familiärer Mithilfe in der versicherten Landwirtschaft des Schwiegervaters (z.B. wegen Holzgewinnung für den Bau eines Hühnerstalles) kommt somit nicht in Betracht.
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Aus den oben genannten Gründen ist das Gericht aber im Ergebnis ohnehin davon überzeugt, dass der Kläger im Unfallzeitpunkt in erster Linie fremdnützig und damit „arbeitnehmerähnlich“ für den Zeugen H. tätig geworden ist, so dass er gem. § 2 Abs. 2 SGB VII unter Versicherungsschutz stand. Auf einen (bei Annahme einer überwiegenden Eigennützigkeit in Frage kommenden) Versicherungsschutz als „Lohnunternehmer“ muss das Gericht somit nicht zurückgreifen.
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Die Beklagte war aufgrund der vorgenannten rechtlichen Wertungen zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 23.05.2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2024 das Ereignis vom 27.02.2024 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
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Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG.