Inhalt

LG Schweinfurt, Beschluss v. 07.10.2025 – 4 Qs 96/25
Titel:

Pflichtverteidigerbeiordnung, Beiordnung eines Pflichtverteidigers, Notwendige Verteidigung, Sofortige Beschwerde, Kostenentscheidung, Fahrlässige Tötung, Tatvorwurf, Beschuldigter, Kosten des Beschwerdeverfahrens, Beschlüsse des Amtsgerichts, Ermittlungsverfahren, Notwendige Auslagen, Ausnahmesituation, Absehen von Strafe, Aufsichtspflichtverletzung, Mitbeschuldigten, Freiheitsstrafe, Leichte Fahrlässigkeit, Pflichtverletzung, Staatsanwaltschaft

Schlagworte:
Pflichtverteidiger, Ermittlungsverfahren, fahrlässige Tötung, emotionale Betroffenheit, Schwere der Tat, elterliche Pflichtverletzung, psychische Ausnahmesituation
Fundstelle:
BeckRS 2025, 29593

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des … gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schweinfurt vom 11.09.2025 (Az.: …) wird dieser aufgehoben.
2. Dem Beschuldigten wird gemäß § 140 Abs. 2 StPO
Rechtsanwalt ...
als Verteidiger beigeordnet.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten darin entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.
1
Die Staatsanwaltschaft S. führt gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung zum Nachteil seiner beiden Töchter. Hinsichtlich des zugrundeliegenden Sachverhaltes wird auf den Zwischenbericht der KPI ...vom 09.09.2025 Bezug genommen.
2
Mit Schriftsatz vom 21.08.2025 beantragte Rechtsanwalt ... seine Beiordnung als Pflichtverteidiger, worauf das Amtsgericht Schweinfurt diesen Antrag mit Beschluss vom 11.09.2025, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, zurückgewiesen hat.
3
Hiergegen wendet sich der Beschuldigte mit seiner sofortigen Beschwerde, eingelegt mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 16.09.2025, auf dessen weiteren Inhalt hinsichtlich der Begründung des Rechtsmittels gleichfalls verwiesen wird.
4
Die Staatsanwaltschaft S. hat unter dem 25.09.2025 die Verwerfung der sofortigen Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
5
Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg, weshalb dem Beschuldigten unter Aufhebung des Beschlusses vom 11.09.2025 Rechtsanwalt ... als Pflichtverteidiger beizuordnen war.
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Zwar sind die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO nicht erfüllt, doch liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO vor, da die Schwere der dem Beschuldigten zur Last liegenden Taten die Bestellung eines Verteidigers gebietet und der Beschuldigte aufgrund seiner emotionalen Betroffenheit nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen.
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1. Die Schwere der dem Beschuldigten zur Last liegenden Tat, welche nach Auffassung der Kammer die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO erforderlich macht, folgt aus der Tatsache, dass auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen der Verdacht besteht, dass der Beschuldigte gemeinsam mit seiner mitbeschuldigten Ehefrau seine eigenen Kinder im Alter von sechs und sieben Jahren, welche nicht schwimmen konnten, für einen nach Ansicht der Kammer sehr langen Zeitraum (nach den bisherigen Erkenntnissen wohl mindestens 10 bis 15 Minuten !) ohne fortlaufende unmittelbare Aufsicht im bzw. am Baggersee in Schweinfurt spielen ließ und dadurch deren Tod durch Ertrinken verursachte. Dies begründet nicht nur den Verdacht der fahrlässigen Tötung, für den für sich genommen bereits leichteste Fahrlässigkeit ausreichend wäre, sondern würde sich, sollte sich dieser Verdacht bestätigen, unabhängig davon, ob die Kinder sog. Schwimmhilfen trugen oder nicht, als eine besonders grobe elterliche Pflichtverletzung darstellen. Zwar verkennt die Kammer in diesem Zusammenhang nicht, dass – wie im Beschluss des Amtsgerichts Schweinfurt vom 11.09.2025 vollkommen zutreffend gesehen – der Beschuldigte und seine mitbeschuldigte Ehefrau aufgrund des Todes beider eigenen Kinder selbst kaum härter getroffen sein könnten und daher trotz der Schwere des Tatvorwurfs ein Absehen von Strafe durchaus im Bereich des Möglichen liegt, jedenfalls kaum eine zu vollstreckende Freiheitsstrafe zu erwarten ist, sollten nicht noch gravierende schulderhöhende Gesichtspunkte zu Tage treten. Allerdings kann im Einzelfall die Schwere des Tatvorwurfs bereits für sich, also unabhängig von der zu erwarteten Rechtsfolge, die notwendige Verteidigung begründen (BeckOK StPO/Krawczyk, 56. Ed. 1.7.2025, StPO § 140 Rn. 26, beckonline). So liegt der Fall nach Ansicht der Kammer hier.
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2. Die Mitwirkung eines Verteidigers ist außerdem immer dann erforderlich, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschuldigte aus in seiner Person liegenden Gründen (geistige Fähigkeiten, Gesundheitszustand, kognitive Einschränkungen oder sonstigen Umständen) nicht in der Lage ist, alle Möglichkeiten einer sachgemäßen Verteidigung zu nutzen. Gänzliche Verteidigungsunfähigkeit ist nicht erforderlich; es genügen erhebliche Zweifel an der Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen. Solche erheblichen Zweifel sind liegen hier nach Ansicht der Kammer vor, da Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschuldigte aufgrund der mit dem Verlust beider Kinder verbundenen, emotionalen Ausnahmesituation nicht in der Lage ist, sich neben der Bewältigung der zumindest moralischen Verantwortung für den Tod beider Kinder und den damit zweifellos verbundenen Verlust- und Schuldgefühlen auch mit dem strafrechtlichen Tatvorwurf umfassend und sachgerecht auseinanderzusetzen. So führt der Beschwerdeführer für die Kammer ohne weiteres nachvollziehbar aus, sich aufgrund des tragischen Vorfalls, welcher noch nicht lange zurückliegt, in einer extremen psychischen Ausnahmesituation zu befinden und aktuell nicht einmal in der Lage zu sein, alltägliche Aufgaben zu bewältigen.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.