Titel:
Erfolgloser Berufungszulassungsantrag einer Standortgemeinde gegen Genehmigung einer Werbeanlage
Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4
BauGB § 30 Abs. 3, § 31 Abs. 2, § 34 Abs. 1
BauNVO § 4, § 11, § 23
BayBO Art. 8, Art. 14 Abs. 2
Leitsätze:
1. Ein Vorhaben fügt sich in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es sich innerhalb des aus seiner näheren Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, es sei denn, es fehlt die gebotene Rücksichtnahme auf die in der unmittelbaren Umgebung vorhandene Bebauung. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Ärztehaus ist keine Anlage für gesundheitliche Zwecke im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO, sondern unterfällt der freiberuflichen Nutzung nach § 13 BauNVO, die in allgemeinen Wohngebieten nur in Räumen nicht aber in Gebäuden zulässig ist. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Von einem großflächigen Einzelhandelsbetrieb im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO ist bei einer Verkaufsfläche von 800 m² auszugehen ungeachtet des Umstandes, um wieviel diese Grenze überschritten wird. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
4. Werbeanlagen sind bauplanungsrechtlich als Gewerbebetriebe zu behandeln und fügen sich grundsätzlich ein, wenn gewerbliche Nutzung in der näheren Umgebung vorhanden ist. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
5. Um eine Verunstaltung im Sinn des Art. 8 Satz 2 BayBO anzunehmen, reicht nicht jede Störung der architektonischen Harmonie aus, vielmehr ist ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Beschauers nicht nur beeinträchtigender, sondern verletzender Zustand erforderlich. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
6. Eine konkrete Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch bauliche Anlagen und deren Nutzung liegt vor, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder „bloßer“ Wahrscheinlichkeit ein Verkehrsunfall oder doch eine Verkehrsbehinderung in überschaubarer Zeit zu erwarten ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Werbeanlage, Einfügen nach Art der baulichen Nutzung, Befreiung, Berufungszulassungsverfahren, ernstliche Richtigkeitszweifel, Darlegungserfordernis, Baurecht, Bauplanungsrecht, Art der baulichen Nutzung, Verunstaltung, Verkehrssicherheit, Verkehrsleichtigkeit, Gemengelage, nähere Umgebung, Einfügungsgebot, Rücksichtnahmegebot, Bezugsfallwirkung, Ortsbild
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 24.04.2023 – M 8 K 22.75
Fundstelle:
BeckRS 2025, 29156
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 20.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegt.
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1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen des Zulassungsvorbringens keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts, dass die Beklagte zu verpflichten war, über den Bauantrag der Klägerin vom 31. Mai 2021 in der Fassung des Änderungsantrags vom 26. Oktober 2022 zur Errichtung einer Werbeanlage unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass sich das nach § 30 Abs. 3 i.V.m. § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilende Vorhaben der Art nach in die als Gemengelage einzustufende maßgebliche nähere Umgebung einfüge. Jedoch bedürfe es noch der Erteilung einer im Ermessen der Beklagten liegenden Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von der für das Vorhabengrundstück festgesetzten Baulinie. Des Weiteren hat es eine Verunstaltung nach Art. 8 BayBO sowie eine Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nach Art. 14 Abs. 2 BayBO durch das Vorhaben verneint.
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1.1. Die Beklagte vermag die erstgerichtliche Annahme, dass sich die Werbeanlage der Art nach in die nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB einfüge, nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen.
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In die Eigenart der näheren Umgebung fügt sich ein Vorhaben ein, das sich innerhalb des aus seiner näheren Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, es sei denn, es lässt die gebotene Rücksichtnahme auf die in der unmittelbaren Umgebung vorhandene Bebauung fehlen (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris Rn. 17). Bei der Bestimmung des für die Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB maßgeblichen Rahmens für die Art der baulichen Nutzung ist grundsätzlich auf die in der Baunutzungsverordnung ausdrücklich genannten Nutzungsarten abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1994 – 4 C 13.93 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 14.12.2017 – 1 B 15.2795 – juris Rn. 18; OVG RhPf, U.v. 29.10.2018 – 1 A 10232/18 – juris Rn. 25).
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1.1.1 Die von der Beklagten vorgebrachte Begründung, dass sich die maßgebliche nähere Umgebung nicht als Gemengelage, sondern als „Allgemeines Wohngebiet“ nach § 4 BauNVO darstelle und sich somit die Werbeanlage nicht einfüge, bleibt erfolglos.
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Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass ausweislich des Augenscheins eine Reihe von Nutzungen in der Umgebung anzutreffen seien, die in einem „Allgemeinen Wohngebiet“ nach § 4 BauNVO nicht bzw. nur ausnahmsweise zulässig seien. Dabei hat es auf das Vorhandensein von mehreren aufgrund ihrer Größe und/oder ihres Sortiments nicht der Versorgung dienenden Läden, Büronutzung, sonstigen nicht störenden Gewerbetrieben, einem „Ärztehaus“ sowie einem großflächigen Einzelhandelsbetrieb abgestellt (UA Rn. 16 ff.). Dagegen ist zulassungsrechtlich nichts zu erinnern. Insbesondere überzeugt das Vorbringen der Beklagten, dass alle vorhandenen Nichtwohnnutzungen der Versorgung des Gebiets dienenden Läden bzw. nicht störenden Handwerksbetrieben nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO, jedenfalls aber nicht störenden Gewerbebetrieben nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zuzuordnen seien mit der Folge, dass hier ein „Allgemeines Wohngebiet“ anzunehmen sei, nicht. Denn sowohl das Ärztehaus als auch der vorliegende Supermarkt stellen keine Nutzungen dar, die in einem „Allgemeinen Wohngebiet“ allgemein oder ausnahmsweise zulässig sind.
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Anders als die Beklagte meint, kann das Ärztehaus nicht als Anlage für gesundheitliche Zwecke im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO qualifiziert und damit Krankenhäusern gleichgestellt werden. Vielmehr unterfällt es der freiberuflichen Nutzung nach § 13 BauNVO (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.1996 – 4 C 17.95 – BVerwGE 102, 351; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand Februar 2025, § 4 BauNVO Rn. 98). Nach dieser Regelung sind freiberufliche Nutzungen in Baugebieten des § 4 BauNVO nur in Räumen zulässig, nicht aber in Gebäuden. Das bedeutet, dass die freiberuflich genutzten Räume nur ein Teil eines überwiegend anders genutzten Gebäudes sein dürfen (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 13 BauNVO Rn. 37). Dies ist hier gerade nicht der Fall.
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Auch vermag die Beklagte nicht hinreichend darzulegen, dass es sich bei dem hier vorliegenden Supermarkt um einen der Versorgung des Gebietes dienenden Laden handelt. Nach der von der Beklagten vorgelegten Baugenehmigung weist dieser eine Verkaufsfläche von 826 m² auf. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass ab einer Verkaufsfläche von 800 m² von einem großflächigen Einzelhandelsbetrieb im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO auszugehen ist (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2005 – 4 C 10.04 – juris Rn. 12; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 11 BauNVO Rn. 53c). Dabei spielt der Umstand, um wieviel diese Grenze überschritten wird, für die Beurteilung der Großflächigkeit grundsätzlich keine Rolle (vgl. Köpfler in Spannowsky/Hornmann/Kämper BeckOK BauNVO, Stand 15.7.2025, § 11 Rn. 38). Nichts anderes ergibt sich aus dem Vorbringen der Beklagten, dass von der Verkaufsfläche der später dazu gekommene Backshop und DHL-Shop abzugrenzen seien. Insoweit genügt ihr Vortrag nicht den Darlegungsanforderungen gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, weil sie schon nicht aufzeigt, ob bei einem Abzug der diesen zugehörigen Bereiche die Verkaufsfläche von 800 m² für den Supermarkt unterschritten werden würde. Im Übrigen kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die von den beiden Shops benötigte Fläche von der Verkaufsfläche des Supermarktes abzuziehen ist. Dies ist davon abhängig, ob es sich jedenfalls um einen in Bezug auf die Frage der Ermittlung der Verkaufsfläche einzigen Einzelhandelsbetrieb im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO oder um mehrere Einzelhandelsbetriebe handelt. Ist innerhalb eines Gebäudes die Betriebsfläche baulich in mehrere selbstständig nutzbare betriebliche Einheiten unterteilt, bilden diese gleichwohl einen Einzelhandelsbetrieb im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO, wenn die Gesamtfläche durch einen Einzelhandelsbetrieb als Hauptbetrieb geprägt wird und auf den baulich abgetrennten Flächen zu dessen Warenangebot als Nebenleistung ein Warenangebot hinzutritt, das in einem inneren Zusammenhang mit der Hauptleistung steht, diese nur abrundet und von untergeordneter Bedeutung bleibt (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2005 – 4 C 14.04 – BVerwGE 124, 376; U.v. 24.11.2005 – 4 C 8.05 – juris Rn. 10). Dass dies hier nicht der Fall ist, hat die Beklagte nicht vorgetragen und ist auch nicht erkennbar. Darüber hinaus kommt es für die Einordnung als großflächiger Einzelhandelsbetrieb nicht auf die von der Beklagten behaupteten fehlenden wesentlichen Auswirkungen des Supermarktes, insbesondere dergestalt, dass kein das Wohnen störender Parkverkehr gegeben sei, an. Denn ob ein Bauvorhaben nach der Art der baulichen Nutzung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB als großflächiger Einzelhandelsbetrieb zu qualifizieren ist, hängt nicht davon ab, wie es sich auf den Verkehr in der Gemeinde auswirkt. Die Großflächigkeit stellt vielmehr ein eigenständiges, von der in § 11 Abs. 3 Sätze 2 und 3 BauNVO normierten Vermutungsgrenze unabhängiges Tatbestandsmerkmal dar (vgl. BVerwG, U.v. 22.5.1987 – 4 C 19.85 – ZfBR 1987, 254; U.v. 11.2.1993 – 4 C 15.92 – juris Rn. 20).
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In Anbetracht der Tatsache, dass hier das Ärztehaus sowie der großflächige Supermarkt der Annahme eines „Allgemeinen Wohngebiets“ entgegenstehen, ist der weitere Vortrag der Beklagten, dass für die Beurteilung, ob die vorhandenen Läden bzw. Handwerksbetriebe der Versorgung des Gebiets im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO dienten, auch die umliegenden Gevierte einzubeziehen seien, unerheblich.
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1.1.2. Darüber hinaus bemängelt die Beklagte, dass selbst bei Unterstellung einer Gemengelage die geplante Werbeanlage, die zwischen dem ersten und dritten Obergeschoss angebracht werden solle, sich nicht einfüge, weil jedenfalls eine vertikale Nutzungsgliederung gegeben sei und damit andere Nutzungen als Wohnen nur im Erdgeschossbereich anzutreffen seien. Mit diesem Vortrag dringt sie nicht durch. Denn entgegen ihrer Auffassung kann insoweit das „Ärztehaus“, das unstreitig auch in den Obergeschossen Nichtwohnnutzungen aufweist, nicht als Ausreißer außer Betracht bleiben. Dies gilt schon vor dem Hintergrund, dass ausweislich des Augenscheinprotokolls vom 24. April 2023 neben diesem zwei weitere freiberufliche Nutzungen in der näheren Umgebung vorhanden sind; so eine Physiotherapiepraxis im Gebäude E.straße 55 und eine Zahnarztpraxis im Gebäude E.straße 57, die ebenfalls im Obergeschossbereich angesiedelt sind.
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1.1.3. Ebenso wenig überzeugt der Einwand der Beklagten, dass die geplante Werbeanlage sich auch mangels eines Vorbildes in der näheren Umgebung nicht einfüge. Da Werbeanlagen bauplanungsrechtlich als Gewerbebetriebe zu behandeln sind (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1992 – 4 C 27.91 – juris R. 25 f.; BayVGH, B.v. 22.1.2004 – 1 ZB 03.294 – juris Rn. 10; U.v. 11.12.2007 – 14 B 06.2880 – juris Rn. 14), fügen sich diese grundsätzlich ein, wenn gewerbliche Nutzung in der näheren Umgebung vorhanden ist. In einer Gemengelage wie vorliegend, in der sich jedenfalls auch ein großflächiger Einzelhandel befindet, fügt sich eine unter gewerbliche Nutzung fallende Werbeanlage der Art nach ein, auch wenn es noch keine Fremdwerbeanlage gibt (vgl. VGH BW, U.v. 22.7.2024 – 3 S 667/22 – juris Rn. 36). So liegt der Fall hier. Daher kann es hier offen blieben, ob und welche Nutzungen in der maßgeblich näheren Umgebung als Gewerbebetriebe einzuordnen sind.
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1.1.4. Soweit die Beklagte rügt, dass hier ausnahmsweise das Gebot der Rücksichtnahme in Bezug auf das Baugrundstück selbst verletzt sei, hat bereits das Erstgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass das Gebot der Rücksichtnahme sich nur auf das Verhältnis des Vorhabens zur benachbarten Nutzung beziehe. Daher greife es nur, soweit Nachbarbelange berührt seien. Die Bewohner des Vorhabengrundstücks seien jedoch keine Nachbarn im bauplanungsrechtlichen Sinne (vgl. UA Rn. 20 m.N.).
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1.2. Darüber hinaus ist die weitere erstgerichtliche Auffassung, dass die Klägerin einen Anspruch auf fehlerfreie Entscheidung über eine Befreiung hinsichtlich der Überschreitung der Baulinie durch das Vorhaben nach § 31 Abs. 2 Nr. 2, § 30 Abs. 3 BauGB hat, nicht zu beanstanden.
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Nachvollziehbar und überzeugend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass vorliegend die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Mit der Festsetzung der Baulinie werde die Gewährung einer optisch einheitlichen Häuserflucht entlang des Straßenzugs als Grundzug der Planung verfolgt. Das Vorhabengebäude verfüge über eine gegliederte Fassade, die an der Baulinie verspringe. Um das Gebäude herum befinde sich darüber hinaus umlaufend eine weit auskragende, erdgeschossige Überdachung, welche die Baulinie ebenfalls deutlich (ca. 1 m) überschreite. Vor diesem Hintergrund fielen die Auswirkungen der Werbeanlage, die in einem nach Süden um ca. 30 cm zurückversetzten Teil der Fassade angebracht werden solle und daher nur unmerklich (ca. 20 cm) über den bereits vorhandenen Wandvorsprung heraustrete, sowie ihrer gegenüber der Hausfassade des siebengeschossigen Hauses nur untergeordneten städtebaulichen Bedeutung nicht entscheidend ins Gewicht. Die übrigen Voraussetzungen nach § 31 Abs. 2 BauGB seien ebenfalls gegeben, insbesondere komme dem Vorhaben angesichts der bereits vorhandenen Fassadenversprünge und des umlaufenden Überschreitens der Baulinie durch das Vordach keine unerwünschte Bezugsfallwirkung zu. Die Beklagte habe aber das ihr zustehende Ermessen bisher noch nicht pflichtgemäß ausgeübt, da sie das Vorhandensein mehrerer die Baulinie bereits durchbrechender Fassadenteile und die kaum spürbaren städtebaulichen Auswirkungen hinsichtlich der Überschreitung der Fassade durch die Werbeanlage nicht berücksichtigt habe (UA Rn. 24 ff.).
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Diese Ausführungen vermag die Beklagte nicht ernsthaft in Frage zu ziehen. Dies gilt vor allem, soweit die Beklagte aufzuzeigen versucht, dass keine Vergleichbarkeit der Baulinienüberschreitung durch das Vorhaben insbesondere mit dem von der Baulinie abweichenden Vordach bestehe. Entgegen ihrer Ansicht fällt die Überschreitung der Baulinie durch das Vordach nicht unter die Bestimmung des § 23 Abs. 2 Satz 2 BauNVO, wonach das Vor- oder Zurücktreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß zugelassen werden kann mit der Folge, dass es keiner Befreiung nach § 31 BauGB bedarf. Denn die Regelung setzt voraus, dass es sich hierbei um einen untergeordneten Gebäudeteil handelt. Dies ist jedenfalls nicht anzunehmen, wenn sich der Gebäudeteil wie hier über die gesamte Hausbreite erstreckt (vgl. Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand Februar 2025, § 23 BauNVO Rn. 40 m.w.N.).
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1.3. Das Vorhaben beeinträchtigt auch nicht das Ortsbild im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB. Diese das Ortsbild schützende Vorschrift stellt auf einen größeren maßstabsbildenden Bereich als auf die für das Einfügensgebot maßgebliche nähere Umgebung ab; es kommt auf das „Orts“-Bild, also auf das Erscheinungsbild zumindest eines größeren Bereichs der Gemeinde an (vgl. BVerwG, U.v. 11.5.2000 – 4 C 14.98 – juris Rn. 15 ff.; BayVGH, U.v. 14.9.2018 – 9 B 15.1278 – juris Rn. 23 m.w.N.). Dass eine derart weitreichende Wirkung von der geplanten Werbeanlage am gegenständlichen Standort ausgeht, ist insbesondere angesichts der Größe der Werbeanlage nicht ersichtlich.
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1.4. Soweit das Verwaltungsgericht eine verunstaltende Wirkung durch das Vorhaben nach Art. 8 BayBO verneint hat, bleiben die hiergegen gerichteten Einwände der Beklagten erfolglos.
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Nach der Regelung des Art. 8 Satz 2 BayBO darf eine bauliche Anlage das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild nicht verunstalten. Eine Verunstaltung im Sinn des Art. 8 Satz 2 BayBO ist dann anzunehmen, wenn ein für ästhetische Eindrücke offener Durchschnittsbetrachter die betreffende Werbeanlage an ihrer Anbringungsstelle als belastend oder Unlust erregend empfinden würde. Dabei reicht jedoch nicht jede Störung der architektonischen Harmonie aus, vielmehr ist ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Beschauers nicht nur beeinträchtigender, sondern verletzender Zustand erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 28.6.1955 – I C 146.53 – BVerwGE 2, 172; BayVGH, U.v. 26.7.1999 – 2 B 94.1533 – juris Rn. 13; U.v. 25.7.2002 – 2 B 02.164 – juris Rn. 19). In Bezug auf Werbeanlagen entspricht es gefestigter Rechtsprechung, dass sie ihren Anbringungsort verunstalten, wenn sie die entsprechende Wand zu einem Werbeträger umfunktionieren oder einem vorhandenen ruhigen Erscheinungsbild einen Fremdkörper aufsetzen und diese damit empfindlich stören (vgl. BayVGH, B.v. 16.2.2016 – 2 ZB 15.2503 – juris Rn. 3; B.v. 12.1.2018 – 9 ZB 15.1911 – juris Rn. 9). Im Übrigen sind für die Beurteilung, ob eine Verunstaltung vorliegt, neben der Wirkung der Werbeanlage am Anbringungsort, die Funktion und der Charakter des Baugebiets sowie letztlich das Gesamtbild der Umgebung von ganz entscheidender Bedeutung (vgl. Dirnberger in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand Mai 2025, Art. 8 Rn. 199 m.w.N.). Das Maß der im Einzelfall anzulegenden Gestaltungsanforderungen ist deshalb für Werbeanlagen in repräsentativen Straßen, in Altstadt- oder mittelalterlich geprägten Gebieten oder in Wohngebieten, dörflich oder landwirtschaftlichen Gegenden höher als in uneinheitlicher, wenig ansprechender oder schon stark durch Werbung beherrschter Umgebung wie innerstädtischen Geschäftszentren oder -straßen und gewerblich geprägten Gebieten. Das harmonische Gesamtbild der Umgebung wird sodann beeinträchtigt, wenn eine Werbeanlage sich dem Charakter des Straßen- und Ortsbildes, also seiner Umgebung, nicht einfügt, sondern so aufdringlich wirkt, dass sie als wesensfremdes Gebilde zu ihr in keiner Beziehung mehr steht (vgl. Dirnberger in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Art. 8 Rn. 200).
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1.4.1. Mit dem Vorbringen, dass durch das Vorhaben die klare Symmetrie des Gebäudes, das durch einheitliche Zonen gekennzeichnet sei, durchbrochen werde, das Vorhaben eingeklemmt wirke, es keine Rücksicht auf die Fassadengestaltung nehme, die Werbefläche sich über nahezu drei Geschosse erstrecke und damit im Ergebnis zu einem Werbeträger degradiert werde, wendet sich die Beklagte gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung. Eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt in solchen Fällen nur in Betracht, wenn aufgezeigt wird, dass die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung mangelhaft ist, weil das Verwaltungsgericht mit Blick auf entscheidungserhebliche Tatsachen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder die Beweiserhebung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweist, was insbesondere bei einer Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder offensichtlich sachwidriger und damit willkürlicher Beweiswürdigung anzunehmen ist (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2024 – 15 ZB 24.1582 – juris Rn. 8; B.v. 4.3.2024 – 6 ZB 23.1745 – juris Rn. 10; B.v. 17.1.2022 – 9 ZB 20.18 – juris Rn. 13; B.v. 21.1.2013 – 8 ZB 11.2030 – juris Rn. 17 m.w.N.). Ein solcher Fehler ist hier weder dargetan noch erkennbar.
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Das Erstgericht hat die obigen Maßstäbe zugrunde gelegt und sich auf die Eindrücke des durchgeführten Augenscheins gestützt. Es hat darauf abgestellt, dass die streitgegenständliche Fassade weder von besonderer architektonischer Qualität noch der Anbringungsort als schützenswerte „architektonische Beruhigungsfläche“ auszumachen sei. Die Fassadenelemente der Gebäude E.straße 51-57 wiesen eine einheitliche, von der Befensterung dominierte Gestaltung („Lochfassade“) auf. Der fensterlose Wandteil an der Nordwestecke vermöge hingegen aufgrund seiner optischen Unterordnung keine eigene gestalterische Aussagekraft zu entfalten. Die Werbeanlage werde auf diesem unauffälligen, zurückspringenden Teil der Außenwand angebracht und stehe aufgrund ihrer geringen Tiefe nur unmerklich über die dominierende Lochfassade hinaus, sodass diese in ihrer architektonisch-gestalterischen Wirkung nicht beeinträchtigt werde. Die Werbeanlage setze sich zudem nicht zur Fassadengestaltung in Widerspruch, sondern nehme die vorgegebenen Konturen (Fensterbrüstungen) auf. Überdies werde sie im unteren Drittel des verputzten Wandteils angebracht, sodass die freibleibende Fläche das Erscheinungsbild des Rückversatzes weiterhin dominiere und die architektonische Aussage des Gebäudes im Ganzen nicht beeinflusst werde. Aufgrund der Größe des Baukörpers im Vergleich zum Bauvorhaben könne auch von einer Degradierung des Gebäudes zum Werbeträger keine Rede sein. Dagegen ist zulassungsrechtlich nichts zu erinnern.
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1.4.2. Auch ist die erstgerichtliche Annahme, das Bauvorhaben beeinträchtige das Straßen- oder Ortsbild nicht wesentlich, nicht zu beanstanden. Insoweit hat das Verwaltungsgericht unter Anwendung der oben dargelegten Grundsätze und unter dem Eindruck des Augenscheins überzeugend herausgearbeitet, dass das Straßen- und Ortsbild um den Anbringungsort von großmaßstäblichen Gebäuden, durch den Kreuzungsbereich zweier großer Hauptverkehrsstraßen mit jeweils mehreren Fahrstreifen, Rad-, Geh- und Parkflächen sowie teilweise Straßenbegleitgrün geprägt sei. Die streitgegenständliche Werbeanlage wirke vor diesem Hintergrund nicht wesensfremd und verfüge aufgrund ihrer Größe schon nicht über die optische Dominanz, diese „Blickfänge“ in den Hintergrund zu drängen.
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Dagegen ist die Beklagte der Auffassung, dass die Werbeanlage vor dem Hintergrund ihrer Situierung an dem Eckbereich des Vorhabengebäudes eine dominante Wirkung habe. Sie sei sowohl von der S.straße als auch von der S.R.straße kommend weithin sichtbar und dominiere den Platz am N. wie auch den Bereich an der E.straße und S.straße, die bisher von Wohnen geprägt seien. Damit greift die Beklagte wiederum das Ergebnis der Beweiswürdigung an; ein Beweiswürdigungsfehler des Verwaltungsgerichts hat sie damit nicht dargetan. Soweit sie einwendet, dass mit dem geplanten Neubau auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Architektur der Straßenfronten besonders gewichtet worden sei, ist dieser Vortrag ohne Belang. Denn künftige Gestaltungen des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes bleiben außer Betracht, außer diese sind in einer bestehenden Rechtsvorschrift unmittelbar oder mittelbar geregelt (vgl. Dirnberger in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Art. 8 Rn. 92).
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1.4.3. Gleichermaßen rügt die Beklagte wiederum lediglich das Ergebnis der Beweiswürdigung, soweit sie sich gegen die erstgerichtliche Ansicht, dass keine störende Häufung nach Art. 8 Satz 3 BayBO gegeben ist, wendet. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
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1.5. Ferner führt der Vortrag der Beklagten, die beantragte Werbeanlage gefährde die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs, nicht zur Zulassung der Berufung.
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Nach Art. 14 Abs. 2 BayBO darf die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch bauliche Anlagen und deren Nutzung nicht gefährdet werden. Eine konkrete Gefährdung liegt danach vor, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder „bloßer“ Wahrscheinlichkeit ein Verkehrsunfall oder doch eine Verkehrsbehinderung in überschaubarer Zeit zu erwarten ist (vgl. BayVGH, U.v. 30.5.2018 – 2 B 18.681 – juris Rn. 2). Hierbei ist innerorts regelmäßig von einer gewissen Ablenkungswirkung, andererseits aber auch von einer Gewöhnung an den Anblick von Werbeanlagen auszugehen (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2021 – 9 ZB 19.1582 – juris Rn. 19 f.).
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Das Verwaltungsgericht hat insbesondere auf Grundlage der Beweisaufnahme durch Inaugenscheinnahme eine Einzelfallbewertung vorgenommen. Es ist danach zu dem Ergebnis gekommen, dass die Verkehrsführung im Kreuzungsbereich für das Gebiet der Beklagten weder besonders komplex noch besonders unübersichtlich sei. Dabei hat es sich auch darauf gestützt, dass das im Verwaltungsverfahren beteiligte Polizeipräsidium keine Einwände gegen die Errichtung der Anlage erhoben habe (UA Rn. 36). Dem tritt die Beklagte mit ihren Hinweisen auf die Wirkung der Werbeanlage auf die Kreuzungsbereiche E.straße und S.R.straße aufgrund ihrer von Weitem vorhandenen Sichtbarkeit, die für aus dieser Richtung kommenden Radfahrern und bei rechts abbiegenden Autofahrern nicht ungefährlich sei, sowie der Unübersichtlichkeit der Verkehrslage infolge der Baustelleneinrichtungen an der S.straße nicht in zulassungsbegründender Weise entgegen. Auch mit ihrem Vorbringen, dass die geplante Werbeanlage in einer Sichtachse mit den davor befindlichen Lichtzeichenanlagen liege und so diese überdecke bzw. deren Wahrnehmbarkeit beeinträchtige, zeigt die Beklagte keine sachwidrige oder willkürliche Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts auf, sondern setzt dessen Beweiswürdigung nur ihre eigene Beweiswürdigung entgegen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).