Titel:
Erfolglose Klage gegen eine Nutzungsuntersagung für eine Asylbewerberunterkunft in einem Gewerbegebiet
Normenketten:
VwGO § 122 Abs. 2 S. 3, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 5, § 124a Abs. 4 S. 1, S. 4, Abs. 5 S. 2
GG Art. 103 Abs. 1
BauGB § 246 Abs. 10, Abs. 11 S. 1, Abs. 13a
BauNVO § 8 Abs. 3 Nr. 2
Leitsätze:
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei einer – verhaltensbezogenen oder gegenstandsbezogenen – Nutzungsuntersagung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, im Zulassungsantragsverfahren somit der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über diesen Antrag. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Bauaufsichtsbehörde muss die Rechtmäßigkeit einer Nutzungsuntersagung ständig verfahrensbegleitend kontrollieren und ihre Entscheidung ggf. – auch in einem laufenden gerichtlichen Verfahren – aktualisieren. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Art. 103 Abs. 1 GG ist dann verletzt, wenn die Ablehnung eines als sachdienlich und erheblich angesehenen Beweisantrags im Prozessrecht keine Stütze mehr findet, mithin auf sachfremde Erwägungen gestützt ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nutzungsuntersagung einer Asylbewerberunterkunft im Gewerbegebiet, (Keine) Ermessensreduzierung auf Null, Verwirkung, Antrag auf Zulassung der Berufung, ernstliche Zweifel, Nutzungsuntersagung, formelle Rechtswidrigkeit, offensichtliche Genehmigungsfähigkeit, maßgeblicher Zeitpunkt, unter Kontrolle halten, Dauerverwaltungsakt, Vertrauenstatbestand, Treu und Glauben, Asylbewerberunterkunft, Gewerbegebiet, Ermessensreduzierung auf Null, Beweisantrag, Verfahrensfehler, im Prozessrecht keine Stütze findet
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 05.12.2024 – AN 17 K 24.754
Weiterführende Hinweise:
zu red. Ls. 2 s. Busse/Kraus/Decker, 160. EL Dezember 2025, BayBO Art. 76 Rn. 294
Fundstelle:
BeckRS 2025, 29112
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 5. Dezember 2024 – AN 17 K 24.754 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Kläger wendet sich gegen eine Nutzungsuntersagung für die Umnutzung eines gewerblichen Anwesens in eine Unterkunft für Asylbewerber.
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … (* … … … …*). Das Grundstück liegt zum Großteil im Geltungsbereich des Bebauungsplans „… …“ von 1973, der im maßgeblichen Bereich ein Gewerbegebiet festsetzt. Mit Bescheid vom … … 1978 wurde dort der Rechtsvorgängerin des Klägers der Neubau einer Lagerhalle mit Büro und Garage genehmigt.
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Der Freistaat Bayern, vertreten durch das Landratsamt …, hatte mit dem Kläger im November 2023 einen privatrechtlichen Betreibervertrag für die Unterbringung von Flüchtlingen ab dem 1. November 2023 geschlossen, in dem unter anderem vereinbart war: „Im Rahmen des vereinbarten Vertragszwecks ist der Vermieter für die baurechtliche Zulässigkeit der Nutzung verantwortlich“ (§ 1 des privatrechtlichen Betreibervertrags). Mit Schreiben vom 20. März 2024 kündigte es diesen Vertrag aus wichtigem Grund zum 31. März 2024 und wies die untergebrachten Flüchtlinge bis zum 2. April 2024 anderen Unterkünften zu. Zudem teilte es dem Verwaltungsgericht mit Schreiben vom 4. Oktober 2025 mit, dass aktuell kein dringender Bedarf an Flüchtlingsunterkünften auf dem Gebiet der Beklagten bestehe. Ab Dezember 2024 liege aufgrund weiterer für Geflüchtete vorhandenen Unterkünfte eine Quotenerfüllung von 101 Prozent vor.
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Mit Bescheid vom 12. März 2024 untersagte die Beklagte dem Kläger unter anderem die Nutzung des Anwesens zu Wohnzwecken (Ziffer 1 Satz 1) und sprach aus, dass die Lagerhalle und die Büroräume nicht mehr zu Wohnzwecken genutzt werden dürfen (Ziffer 1 Satz 2). Dem Kläger wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt (Ziffer 3) und eine Gebühr von 150,00 EUR festgesetzt (Ziffer 4).
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In den Gründen ist ausgeführt, dass im Rahmen einer Ortseinsicht am 5. März 2024 festgestellt worden sei, dass auf dem Grundstück mehrere Personen, etwa 17 Geflüchtete, wohnhaft seien. Da die Nutzung des Anwesens als Lagerhalle mit Büro genehmigt sei, liege eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung vor. Neben der formellen Illegalität sei die Nutzung auch materiell rechtswidrig. Eine Genehmigung könne nicht erteilt werden. Nach § 8 BauNVO sei das Wohnen in einem Gewerbegebiet auch nicht ausnahmsweise zulässig. Eine Ausnahme gem. § 246 BauGB sei nicht gegeben, da kein dringender Wohnbedarf für Geflüchtete bestehe.
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Die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 5. Dezember 2024 ab. Zur Begründung führte es aus, die auf Art. 76 Satz 2 BayBO gestützte Nutzungsuntersagung sei rechtmäßig. Die fehlende Anhörung sei im Laufe des behördlichen, spätestens jedoch im gerichtlichen Verfahren – auch unter Berücksichtigung, dass es sich bei der Nutzungsuntersagung um eine Ermessensentscheidung handle – nachgeholt worden. Die Nutzungsuntersagung sei auch materiell rechtmäßig. Die Nutzung sei bereits formell rechtswidrig, da es keine Baugenehmigung für die Nutzungsänderung gebe. Die Nutzung sei zudem nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Eine Baugenehmigung für eine Asylbewerberunterkunft komme nur im Wege einer Ermessensentscheidung nach § 31 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 BauNVO oder § 246 Abs. 10 oder Abs. 12 BauGB in Betracht. Eine offensichtliche Ermessensreduzierung auf Null zugunsten des Klägers sei nicht erkennbar. Da der Kläger als Eigentümer Zustandsstörer und als Bauherr gleichzeitig Handlungsstörer sei, sei auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Anordnung ihm gegenüber erlassen habe.
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Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. Er macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sowie einen Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) geltend. Die Beklagte tritt dem entgegen und verteidigt das verwaltungsgerichtliche Urteil.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
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1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
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Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
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a) Die Nutzungsuntersagung ist als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung stets auf eine Anpassung an jeweils veränderte Umstände angelegt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist mithin bei einer – verhaltensbezogenen oder gegenstandsbezogenen – Nutzungsuntersagung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, im Zulassungsantragsverfahren somit der Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über diesen Antrag (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2018 -1 ZB 15.2574 – juris Rn. 3 m.w.N.). Die Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts von der behördlichen zur gerichtlichen Entscheidung soll aus materiellen Gründen sicherstellen, dass das Gericht eine realitätsnahe und möglichst abschließende Entscheidung treffen und damit weitere Verfahren vermeiden kann; das Tatsachengericht muss daher im Rahmen seiner Aufklärungspflicht auch neue entscheidungserhebliche Umstände, die nach der behördlichen Entscheidung eingetreten oder bekannt geworden sowie rechtzeitig dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 1 und 4 VwGO) worden sind, umfassend ermitteln und würdigen (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2011 – 1 C 14.10 – BVerwGE 141, 253 = juris Rn. 10). Das hat zur Folge, dass die Bauaufsichtsbehörde die Rechtmäßigkeit der Verfügung ständig verfahrensbegleitend kontrollieren und ihre Entscheidung ggf. – auch in einem laufenden gerichtlichen Verfahren – aktualisieren muss (BayVGH, B.v. 23.7.2018 – 15 ZB 17.1092 – juris Rn. 18 m.w.N.). Gleiches gilt für die Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens. Auch hier ist auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, U.v. 4.12.2014 – 4 C 33.13 – juris Rn. 18 m.w.N.).
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b) Der Kläger trägt vor, es käme nicht nur auf die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens an, vielmehr hätte seine materielle Rechtswidrigkeit vollumfänglich geprüft werden müssen, da die Asylbewerberunterkunft dem Schutz besonders schutzwürdiger Interessen diene, weil sie den alleinigen Mittelpunkt der privaten Existenz der Bewohner bilde. Selbst wenn gegenwärtig möglicherweise kein erheblicher Bedarf an Unterkünften mehr bestehe, so hätte berücksichtigt werden müssen, dass ein ursprünglich vorhandener und eine gewisse Zeit lang bestehender erheblicher Bedarf zur materiellen Legalität der Nutzung als Unterkunft geführt hätte. Im Übrigen habe das Gericht die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens als Flüchtlingsunterkunft verkannt. Diese ergebe sich aus § 246 Abs. 10 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO i.V.m. § 246 Abs. 11 Satz 1 BauGB, der eine Ermessensreduzierung auf Null nahelege.
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Dieser Vortrag begründet keine ernstlichen Zweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. In ihr wurde zutreffend zugrunde gelegt, dass der Erlass einer Nutzungsuntersagung grundsätzlich schon dann gerechtfertigt ist, wenn ein genehmigungspflichtiges Vorhaben ohne Baugenehmigung ausgeführt wird (vgl. BayVGH, B.v. 9.11.2020 – 9 CS 20.2005 – juris Rn. 18; B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris Rn. 21 m.w.N.; VGH BW, U.v. 9.11.2020 – 3 S 2590/18 – juris Rn. 59 ff.). Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH, U.v. 26.2.2019 – 9 CS 18.2659 – juris Rn. 15 m.w.N.). Nach diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht die angefochtene Nutzungsuntersagung als rechtmäßig angesehen (UA S. 12 ff.). Auf dessen Ausführungen nimmt der Senat insoweit Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen Folgendes zu bemerken:
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(1) Im Zeitpunkt des Ablaufs der Darlegungsfrist, § 124a Abs. 4 Satz 1 und 4 VwGO, sowie auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Zulassungsantrag wohnten im streitgegenständlichen Gebäude keine geflüchteten Personen mehr, weshalb der Vortrag des Klägers, die Asylbewerberunterkunft stelle für deren Bewohner den alleinigen Mittelpunkt der privaten Existenz dar, nicht entscheidungserheblich und daher für die Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung irrelevant ist. Gleiches gilt für seinen Vortrag, die Nutzung sei zwischendurch materiell legal gewesen, denn auch dies würde nichts an deren materiellen Rechtswidrigkeit im entscheidungserheblichen Zeitpunkt ändern.
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(2) Ebenfalls ohne Erfolg bleibt der klägerische Einwand, die Beklagte habe einen Vertrauenstatbestand geschaffen, nicht gegen die ausgeübte Nutzung einzuschreiten, da sie durch die gemeinsame Ortsbesichtigung mit dem Landratsamt die Duldung der Nutzung bis zur Fertigstellung der städtischen Unterkunft sowie durch das Unterlassen jeglicher bauaufsichtlicher Maßnahmen über Monate hinweg ein schutzwürdiges Vertrauen beim Kläger begründet habe.
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Die aus diesem schutzwürdigen Vertrauen folgende Verwirkung ist ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung und bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. BVerwG, U.v. 7.2.1974 – III C 115.71 – BVerwGE 44, 339 = juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 31.7.2020 – 15 B 19.832 – juris Rn. 24 m.w.N.). Das vorangegangene schlichte Unterlassen der Bauaufsichtsbehörde, zwischen der Ortsbesichtigung im Oktober 2023 und dem Erlass der Nutzungsuntersagung am 12. März 2024 gegen die Nutzung der Anlage als Unterkunft einzuschreiten, ist mit einer Zeitspanne von etwa fünf Monaten bereits zu kurz, um die Grundlage für die Schaffung eines Vertrauenstatbestands zu bilden, da selbst ein Verwaltungsakt, dessen Rechtswidrigkeit der Begünstigte kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, von der zuständigen Behörde innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme über die Rechtswidrigkeit zurückgenommen werden kann, vgl. Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG. Im Übrigen legt die Klägerseite neben der bloßen kurzzeitigen Untätigkeit der Beklagten kein Verhalten dar, das zu einer Annahme des Klägers hätte führen können, die Beklagte werde von ihrer Befugnis keinen Gebrauch machen.
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(3) Mit seiner Behauptung, aus § 246 Abs. 10 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO i.V.m. § 246 Abs. 11 Satz 1 BauGB ergebe sich die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit der Asylbewerberunterkunft, kann der Kläger keine ernstlichen Zweifel am verwaltungsgerichtlichen Urteil begründen. Gem. § 246 Abs. 13a BauGB darf von den Absätzen 8 bis 13 nur Gebrauch gemacht werden, soweit dringend benötigte Unterkünfte im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können. Nach Aussage der für die Unterbringung zuständigen Behörde lag im entscheidungserheblichen Zeitpunkt kein dringender Bedarf an Unterkünften für Flüchtlinge vor. Im Übrigen regelt § 246 Abs. 11 Satz 1 BauGB, dass selbst bei Vorliegen eines entsprechenden Bedarfs, Anlagen, die der Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden dienen, „in der Regel zugelassen werden sollen“. Insofern handelt es sich allenfalls um intendiertes Ermessen. Dies ist nicht mit einer offensichtlichen Ermessensreduzierung auf Null gleichzusetzen. So ist das Genehmigungsverfahren beispielsweise dazu da, eine schalltechnische Untersuchung durchzuführen, um die auf die Bewohner einwirkenden Lärmimmissionen zu prüfen. Daher ist der Kläger – auch im Fall dringend benötigter Unterkünfte – auf ein entsprechendes Genehmigungsverfahren zu verweisen.
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(4) Die behauptete Unterlassung der Aufforderung, den Kläger auf die Stellung eines Bauantrags zu verweisen, führt ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der Nutzungsuntersagung. Die Rechtswidrigkeit einer Nutzungsuntersagung ohne den Bauherrn vorher aufgefordert zu haben, einen Bauantrag zu stellen, begründet sich daraus, dass es unverhältnismäßig wäre, eine Nutzung zu untersagen, deren materielle Rechtmäßigkeit auf der Hand liegt. Wie unter 1. b. (3) ausgeführt, besteht für die streitgegenständliche Nutzung keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit, weshalb der Verweis auf ein Genehmigungsverfahren nicht zwingend zu dem Ziel führt, sie zu legalisieren. Der Verweis auf ein Genehmigungsverfahren ist daher nicht offensichtlich geeignet, die Rechtswidrigkeit der Nutzung zu beseitigen und stellt dementsprechend kein milderes Mittel gegenüber der Nutzungsuntersagung dar.
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2. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 20.5.2019 – 9 ZB 18.1261 – juris Rn. 17).
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a) Der vom Kläger für klärungsbedürftig gehaltenen Frage, „ob und unter welchen Voraussetzungen eine Nutzung als Flüchtlingsunterkunft im Gewerbegebiet als Anlage für soziale Zwecke untersagt werden kann?“ kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, da die Zulässigkeit einer solchen Nutzung von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt.
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b) Bezüglich der weiteren Frage, „ob ministerielle Hinweise zur vorzeitigen Nutzungsaufnahme eine Duldungspraxis begründen können?“ legt der Kläger bereits nicht dar, inwiefern die Klärung dieser Frage entscheidungserheblich ist.
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c) Schließlich ist auch die letzte vom Kläger aufgeworfene Frage, „ob eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 246 Abs. 10 BauGB die Nutzungsuntersagung ausschließt?“ nicht entscheidungserheblich, da eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens gerade nicht gegeben ist, vgl. oben unter 1. b. (3).
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3. Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensmangels, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), zuzulassen. Mit seinem Zulassungsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es sämtliche Beweisanträge mit der Begründung abgelehnt hat, es komme auf die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht an, legt der Kläger keinen solchen dar.
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a) Art. 103 Abs. 1 GG ist dann verletzt, wenn die Ablehnung eines als sachdienlich und erheblich angesehenen Beweisantrags im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, B.v. 30.1.1985 – 1 BvR 393/84 – BVerfGE 69, 141 – juris Rn. 10 m.w.N.; BVerwG, B.v. 10.8.2015 – 5 B 48.15 – juris Rn 10 ff. m.w.N.; BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 10 m.w.N.), mithin auf sachfremde Erwägungen gestützt ist. Hierfür ist maßgebend auf den materiell-rechtlichen Standpunkt der angegriffenen Entscheidung abzustellen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht erfordert eine § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechende Rüge unter anderem den substantiierten Vortrag, dass die Ablehnung des Beweisantrags fehlerhaft erfolgt ist, die Begründung der Ablehnungsentscheidung im Gesetz keine Stütze findet und deshalb das rechtliche Gehör verletzt worden ist (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 28.3.2013 – 4 B 15.12 – ZfBR 2013, 479 – juris Rn. 16). Hieran fehlt es.
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b) Die klägerischen Beweisanträge bezogen sich überwiegend auf die Tatsache, ob in bestimmten Zeiträumen ein erheblicher Bedarf an Flüchtlingsunterkünften bestanden habe bzw. bestehen werde (Beweisanträge Nrn. 1 bis 6), zudem darauf, dass der Klägerseite kein Hinweis darauf gegeben worden sei, dass ein Antrag auf Baugenehmigung zu stellen sei (Beweisantrag Nr. 7) und darauf, dass in der streitgegenständlichen Unterkunft keine Zustände festgestellt worden seien, die eine Gefahr für Leib oder Leben der im Anwesen untergebrachten Personen hervorgerufen oder einer Nutzung als Unterkunft entgegengestanden hätten (Beweisanträge Nrn. 8 und 9).
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Diese Beweisanträge hat das Verwaltungsgericht aus den in der Sitzungsniederschrift angegebenen Gründen ohne Rechtsfehler abgelehnt. Denn auf den unter Beweis gestellten Sachverhalt kommt es nach der maßgebenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts – wonach die streitgegenständliche Unterkunft (unabhängig von einem aktuell oder künftig bestehenden Bedarf an Flüchtlingsunterkünften) nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist – nicht entscheidungserheblich an. Einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des Sachverhalts hat es daher nicht bedurft.
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4. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 9.4.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025. Bei Nutzungsuntersagungen ist danach maßgebend auf den geschätzten Jahresnutzwert abzustellen. Nach dem mit dem Freistaat Bayern im November 2023 geschlossenen Betreibervertrag betrug der jährliche Mietzins 216.000,00 Euro (12 x 18.000,00 Euro). Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Nutzungsuntersagung eine Nutzung der Halle als Lagerhalle mit Büro nicht ausschließt, ist anzunehmen, dass eine von der Baugenehmigung gedeckte Nutzung deutlich geringere jährliche Mieteinnahmen zur Folge hätte. Den entgangenen Jahresnutzwert hat der Senat daher auch unter Beachtung der für die Flüchtlingsunterkunft notwendigen Aufwendungen wie Möblierung und Nebenkosten auf jährlich 50.000,00 Euro geschätzt und der Streitwertfestsetzung zu Grunde gelegt.
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5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).